Hans Dominik
John Workmann wird Millionär
Hans Dominik

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7. Kapitel

Mr. Reppington saß in seinem Zimmer und stellte allerlei Betrachtungen an. Mr. Taylor hatte ihm vor langen Wochen einmal merkwürdige Andeutungen gemacht. So in dem Sinne, als besäße der junge Mensch, den er ihm als Gehilfen ganz besonders empfahl, eine geheimnisvolle Vergangenheit. Mit den amerikanischen Milliardärsfamilien sollte er gut bekannt sein, wahrscheinlich selber aus sehr reicher Familie stammen, zu dem Zeitungskönig von New York Beziehungen pflegen.

Mr. Reppington hatte das alles schweigend angehört und nichts darauf erwidert. Mr. Reppington war selfmademan und hielt nicht viel von Beziehungen und Empfehlungen. Er hatte John Workmann deshalb sogar mit einem gewissen Mißtrauen zu sich genommen. Aber das offene, freie und natürliche Wesen des jungen Mannes hatte dieses Gefühl schnell unterdrückt. Er erkannte in ihm einen Menschen, der mit eisernem Fleiße bestrebt war, zu lernen, sich selbst weiter zu bilden, und außerdem das kaufmännische Rechtlichkeitsgefühl des Amerikaners besaß. Eine Szene kam ihm in Erinnerung, bei welcher John Workmann sich geweigert hatte, den Lohn für Überstunden in Empfang zu nehmen, weil er in den eigentlichen Arbeitsstunden ja noch nicht für Mr. Ford verdiente, sondern selbst erst lernte.

Nun kam diese Geschichte mit dem »New York Herald« dazwischen. Woher wußte der Herald, daß John Workmann hier an den Niagarafällen saß. Wie kam eine Zeitung von der Bedeutung des Herald dazu, diesen jungen Menschen mit einem Bericht zu beauftragen. Das alles waren Dinge, die Mr. Reppington zu wissen wünschte. Er beschloß daher, John Workmann etwas auf den Zahn zu fühlen.

Gleich nach dem Lunch forderte er ihn auf, mit ihm zu kommen und in Niagara Falls City noch zu sehen, was zu sehen der Mühe wert wäre. Von der hochgelegenen Stadt führte der Weg durch einen Wald zu Tale. An dieser Stelle kamen die merkwürdigen und eigentümlichen nordamerikanischen Nadelhölzer zur vollen Geltung. Die wundervollsten Tannenarten, daneben immergrüne Lärchen und Bäume, die aus Versehen seit der Sintflut stehengeblieben zu sein schienen. Groteske Gebilde mit gewaltigen, direkt aus dem Stamme schießenden Nadeln, die eher in einen Steinkohlenwald als in die Jetztzeit gehörten.

In anmutigen Windungen zog sich der Weg dicht am Strome entlang und gewährte durch die Baumgruppen hindurch fortwährende Ausblicke auf den Fall. Vor ihnen wurde die lange Kettenbrücke sichtbar, welche sich zwischen den Fällen und dem whirl-pool in einer Länge von 1200 Metern über den Strom erstreckt.

»Ein tüchtiger Kerl, der Röbling«, eröffnete Mr. Reppington die Unterhaltung. »Ein Ingenieur von deutscher Abkunft, dem wir aber in den Staaten enorm viel zu verdanken haben.«

John Workmann hatte den Namen Röbling bereits gehört.

»Yes, Mr. Reppington, das war doch der Mann, der die große Seilbrücke zwischen New York und Brooklyn über den East River erbaut hat.«

»Derselbe, Mr. Workmann. Aber er hat außerdem noch ein Dutzend anderer, womöglich noch kühnerer Bauwerke in den Staaten geschaffen. Die Brücke, die wir vor uns sehen, ist auch sein Werk. Ich hätte wohl dabeisein mögen, wie sie sie hier über die Fälle bauten. An einem Drachen brachten sie eine Schnur über den Strom. An der Schnur eine Leine, an der Leine einen Draht. An dem ersten Draht zogen sie hundert andere hinüber und dann begann die gefährliche Arbeit. In der schwindelnden Höhe da oben verspannten sie die hundert Drähte zu einem Seil. Gewiß, es war kühn, daß Monsieur Blondin auf einem Seile über den Fall tanzte. Aber viel wertvollere Arbeit leisteten nach meiner Meinung die Männer, welche in schaukelnden, schwebenden Kästen an jenen Drähten entlangfuhren und sie zu einem einzigen, traghaften Seil vereinigten. Monsieur Blondin hat im günstigsten Falle ein halsbrecherisches Zirkuskunststück geleistet, genau so, wie jener Narr, der da gestern in einer Tonne durch den Strudel trieb. Mr. Röbling aber und seine Leute haben über der wirbelnden Höhe einen sicheren Pfad in die Luft gelegt, auf dem noch hundert Jahre nach dem Tode der Erbauer die Menschen wandeln werden.«

Nach einer Pause des Schweigens sagte John Workmann:

»Mein Vater war auch ein Deutscher.«

»Ihr Vater kam aus Deutschland? War er auch Ingenieur? Wir haben gute Ingenieure von dort bekommen.«

»Nein, Sir, mein Vater war Künstler, war Maler. Er kam aus Deutschland hierher, um sein Glück zu machen. Aber er ist schon früh gestorben. Ich war eben zwei Jahre, als er von uns ging. Ich blieb mit meiner Mutter, die er in New York geheiratet hatte, allein zurück.«

Mr. Reppington sog die Luft ein, wie ein witterndes Wild.

»Aber Ihre Mutter war Amerikanerin?«

»Yes, Sir, meine Mutter stammt aus New York.«

Mr. Reppington überlegte im Weitergehen, wie er die Einzelheiten über John Workmanns Herkunft erfahren könnte, ohne zudringlich zu erscheinen. Aber John Workmann, der sich freute, von seiner Mutter sprechen zu können, machte es ihm leicht.

»Meine Mutter stammte aus einer guten Familie. Sie war eine geborene MacHolm. Aber ich hörte, daß sie meinen Vater gegen den Willen ihrer Angehörigen geheiratet hat . . .«

Mr. Reppington war in New York groß geworden und kannte die dortigen Verhältnisse recht genau. Er ließ die verflossenen Jahre an seinem Gedächtnis vorüberziehen. Der junge Mann da neben ihm war jetzt 17 Jahre alt. Vor etwa 18 bis 20 Jahren mochte seine Mutter geheiratet haben. Der Name MacHolm kam ihm merkwürdig bekannt vor. Er glaubte sich dunkel einer Zeitungsnotiz zu erinnern, die er erst kürzlich gelesen hatte und in welcher der Name erwähnt wurde. Nur der Zusammenhang, in welchem es geschah, war ihm im Moment nicht recht klar. Aber schließlich . . . MacHolm war gerade kein seltener Name. Er mochte wohl bei irgendeiner alltäglichen Begebenheit erwähnt worden sein.

Aber dann überlegte Mr. Reppington weiter. Vor neunzehn Jahren . . . jetzt kam ihm die Erinnerung . . . vor neunzehn Jahren hatte es in der Familie eines angesehenen New Yorker Bankiers namens MacHolm einen Familienskandal gegeben, weil die einzige Tochter gegen den Willen der Eltern einen völlig mittellosen deutschen Künstler geheiratet hatte. Wenige Monate später war eine schwere Wirtschaftskrise über die Vereinigten Staaten dahingegangen und hatte zahlreichen angesehenen und alteingesessenen Handelshäusern den Untergang gebracht. Auch das Bankhaus MacHolm & Co. hatte damals liquidieren müssen, um dem Niederbruch vorzubeugen. Der eine der beiden Inhaber, der alte MacHolm, sollte kurze Zeit darauf einem Schlaganfall erlegen sein.

Alle diese Dinge gingen Mr. Reppington durch den Kopf, während er den neben ihm kräftig ausschreitenden blonden Jüngling betrachtete.

Waren aber diese Erinnerungen richtig, so war ein geheimnisvoller Zusammenhang John Workmanns mit den führenden Leuten der Hochfinanz dadurch noch nicht erklärt. Die MacHolms mochten zu den Upper ten, zu den oberen Zehntausend gehört haben, aber zu den oberen Vierhundert gehörten sie jedenfalls nicht. Irgendein Geheimnis blieb da noch zu klären, und vergeblich dachte Mr. Reppington darüber nach, wo und in welchem Zusammenhange er erst kürzlich wieder den Namen MacHolm gelesen haben mochte.

Der Weg durch den Wald erreichte jetzt sein Ende. Die Wanderer hatten dabei den vollen Höhenunterschied zwischen dem Ober- und Unterwasser der Fälle zurückgelegt, und der Pfad führte unmittelbar am Ufer des Niagaraflusses entlang. Aber nur eine kurze Strecke von wenigen hundert Metern, dann bog er notgedrungen vom Wasser ab, um Raum für ein mächtiges, in weißgrauem Beton errichtetes Gebäude zu geben.

Niagara Falls Power Co., Electrochemical Works, las John Workmann in großen, goldenen Buchstaben über dem Dach des reichlich dreihundert Meter langen Gebäudes.

Mr. Reppington war hier bekannt, und dem Besuche der Anlage stand daher nichts im Wege. John Workmann hatte bereits Maschinen in seinem Leben kennengelernt. Die gewaltigen Rotationsmaschinen im Betriebe des Zeitungsriesen, die Eismaschinen in Chikago und die Maschinen der Farm. Aber hier kam er doch in eine ganz neue Welt. Wie winzige Zwerge nahmen sich die Menschen neben den Maschinen aus, die hier ihrer zwölf an der Zahl in dem großen Maschinensaal standen. Ein dumpfes Dröhnen ließ den mit schimmernden Fliesen bedeckten Boden der Halle leicht zittern. Sonst herrschte völlige Ruhe in der gewaltigen Halle. Und Bewegung war auch nur wenig zu bemerken. An zweien von den zwölf gewaltigen Maschinenaggregaten sah man noch das wirbelnde, im Sonnenlicht flimmernde Spiel der Zentrifugalregulatoren. Bei den zehn anderen Maschinen fehlte auch dieses. Völlig ruhig schienen sie zu stehen. Nur etwas stärker zitterte der Boden in ihrer Umgebung und wenn man ganz nahe herantrat, so merkte man, daß elektromagnetische Ankerräder gigantischer Dynamomaschinen sich hier mit sinnverwirrender Geschwindigkeit drehten.

Mr. Reppington bemerkte das stumme Staunen seines Begleiters und hielt es an der Zeit, ein paar Erklärungen zu geben.

»Sie sehen nur den kleineren Teil der Maschinerie, Mr. Workmann, den elektrischen Teil. Die Turbinen, welche das Kraftwasser der Fälle schlucken, und dessen Arbeit in Form von Drehungen an die Dynamomaschinen weitergeben, sind unter dem Fußboden eingebaut, 12 Riesenturbinen von je 11 000 Kilowatt Nutzleistung. Das sind 15 000 Pferdestärken. Rund 32 Kubikmeter Kraftwasser strömen in jeder Sekunde durch jede dieser Turbinen. Etwa 380 Kubikmeter laufen in jeder Sekunde durch die Maschinen dieses Hauses. Während das Wasser der Fälle da draußen donnernd und krachend niederstürzt, während es sich beim Sturze auch merkbar erwärmt, gibt es hier seine ganze Energie an die Schaufeln der Turbinenräder ab. Ohne Dröhnen und Schäumen verläßt es in langsamem Fluß durch den Unterwasserkanal das Werk und läuft wieder in den Strom.«

John Workmann stand schweigend und ließ staunend die Riesenkräfte auf seinen Geist wirken, die hier tätig waren. Dann griff er nach seinem Notizbuch, schrieb die Zahlen, die ihm Mr. Reppington genannt hatte, nieder und machte eine kurze Überschlagsrechnung.

»Ihre Zahlen stimmen, Mr. Reppington, wenn Sie einen Wirkungsgrad der Turbinen von 0,7 annehmen. 180 000 Pferdestärken werden in diesem Gebäude den Fällen abgezapft. Ist denn diese Entnahme nicht zu merken?«

»Well, my boy, darüber sind sich die Gelehrten nicht ganz einig. Sie wissen nämlich noch nicht einmal genau, wieviel Pferdestärken die Fälle überhaupt enthalten. Nach der einen Schätzung geben die Fälle nur sechs Millionen Pferdestärken her, nach einer anderen dagegen volle dreißig. Die bekannten ältesten Leute, die natürlich auch in Niagara Falls City nicht fehlen, wollen sich erinnern, daß die Fälle in ihrer Jugendzeit etwas kräftiger und donnernder gewesen seien. Aber ich persönlich lege wenig Wert auf derartige Feststellungen und Erinnerungen. Denn das ist jedenfalls einmal sicher, daß der Kraftunterschied der Fälle bei Hochwasser und Niedrigwasser heute wohl immer noch ebensoviel ausmachen dürfte, wie die ganze Kraft, die man den Fällen bisher überhaupt abzapft. Die Leute merken aber keinen Unterschied in der Stärke der Fälle während des Verlaufes eines Jahres, und daher glaube ich auch nicht an diese Erinnerungen der alten Leute. Das ist ja immer so; in der Jugend schien die Sonne viel wärmer, der Himmel war viel blauer, und natürlich sind auch die Fälle viel mächtiger gewesen.«

John Workmann war zu jung, um diese Philosophie Mr. Reppingtons über die Erinnerungen alter Leute zu begreifen. Desto mehr interessierten ihn die positiven Zahlen. Er wünschte zu wissen, wie man denn die Fälle einschätzte und wie man zu solchen Schätzungen gekommen wäre. Mr. Reppington räusperte sich, bevor er zu einer neuen Erklärung ausholte.

»Sie wissen ja, Mr. Workmann, daß eine Pferdestärke gleich einer Leistung von 75 Meterkilogramm in der Sekunde ist. Wir wollen einmal vorläufig von allen Verlusten in den Maschinen, also von den Wirkungsgraden absehen und nur die theoretische Arbeitsmöglichkeit betrachten. Die Höhe der Fälle ist mit 50 Meter ziemlich genau bekannt. Ein Kubikmeter Wasser wiegt 1000 Kilogramm; jedes Kubikmeter Wasser, welches die Fälle hinunterstürzt, kann also 50 mal 1000 gleich 50 000 Meterkilogramm leisten. Jedes Kubikmeter, das in der Sekunde hinunterstürzt, bringt also theoretisch 666 Pferdestärken. Die ganze Frage läuft darauf hinaus, genau zu wissen, wieviel Kubikmeter in jeder Sekunde durch die Fälle kommen . . .«

John Workmann griff wieder zu Bleistift und Notizbuch.

»Die Fälle haben eine Breite von rund 1000 Meter. Man müßte also wissen, mit welcher Geschwindigkeit das Wasser über die Kante des Falles schießt und wie stark die fallende Schicht dort ist. Ich will schätzungsweise einmal annehmen, daß der Fall an der Kante 3 Meter stark ist und daß das Wasser mit der Schnelligkeit des Empire-Expreß, also etwa mit 20 Meter in der Sekunde, über die Kante schießt. Das gibt dann rund 60 000 Kubikmeter in der Sekunde. Sind also sechs Millionen Kilogramm. Multipliziert mit der Fallhöhe von 50 Meter sind es 3000 Millionen Meterkilogramm. Dividiert durch 75 macht 40 Millionen Pferdestärken . . .«

John Workmann schaute Mr. Reppington fragend an und der lächelte. »Für einen Anfänger gar nicht so übel geschätzt. Ihre Mutmaßung bleibt nur 25% über der höchsten Schätzung der Fachleute. Hätten Sie die Breite der Fälle etwas geringer gegriffen, beispielsweise für den Hufeisenpfad die Diagonale genommen, wären Sie mit einigen 20 Millionen Pferdestärken sogar innerhalb der amtlichen Schätzungen geblieben. Aber natürlich kann man die Wassermenge hier an den Fällen überhaupt nur roh schätzen. Wenn man sie wirklich messen will, muß man stromaufwärts etwa bis zum Fort Erie gehen oder stromabwärts nach Queenstown. Dort ist der Fluß so breit und fließt so langsam, daß man ihn wirklich messen kann. So rechte Zeit hat man hier in den Staaten für solche Messungen noch nicht gehabt. Drüben in Deutschland machen die Leute so etwas sehr gründlich, indem sie Schwimmer treiben lassen und die Geschwindigkeit an hundert verschiedenen Stellen des Flußprofils genau ermitteln. Immerhin hat man die Messungen doch so weit durchgeführt, daß ein Wert von 25 000 Kubikmeter in der Sekunde als das wahrscheinlichste gilt . . .«

John Workmann begann wieder mit dem Bleistift zu arbeiten. »25 mal 50 dividiert durch 75 . . . das wären ungefähr 17 Millionen Pferdestärken . . .«

»Ganz recht, my boy, diese Schätzung kann ungefähr stimmen. Bei einem Wirkungsgrad unserer Turbinen zwischen 0,7 und 0,8 könnten wir aus den ganzen Fällen immerhin 13 Millionen Pferdestärken gewinnen. Wir nehmen aber jetzt erst 800 000 Pferde ab. Hier bleibt noch viel zu tun übrig. Ich pfeife auf alle Naturschönheiten und auf das Geschrei der Hotelbesitzer in Niagara Falls City, wenn ich unserem Volke 13 Millionen Pferdestärken nutzbar machen kann. Maschinenarbeit heißt Befreiung der Menschen von grober körperlicher Arbeit, heißt neue Lebensmöglichkeit für neue Geschlechter.«

Mr. Reppington und sein junger Begleiter schritten weiter, vorbei an den Maschinen und weiter an den Schalttafeln, welche die eine mächtige Querwand der großen Halle ziemlich vollständig bedeckten. Und dann standen sie in einem Teile der eigentlichen elektrochemischen Fabrik. Da sah es nun freilich nicht so sauber und glänzend aus wie in der Maschinenhalle. Schwarz und rußig waren die Räume, und schwarz und düster sahen auch die Arbeiter aus, die hier die elektrischen Öfen bedienten. Sie standen vor einem solchen Karbidofen, der sich wie ein gigantischer, zylindrischer Block vor ihnen erhob, und John Workmann sah, wie von oben her mit Hilfe eines kräftigen Kranes die eine Kohlenelektrode in den Ofen gesenkt wurde. Aber diese Elektrode war selber ein Graphitblock von mehr als Mannesstärke und trug am oberen Ende einen Kupferring von geradezu ungeheuren Dimensionen. Dieser Ring endete an der einen Seite in einen blockartigen Lappen, der wohl allein eine Tonne wog, und an diesen wurde nun die Stromzuleitung festgeschraubt. Aber diese Zuleitung war kein Klingeldraht, sondern eine schwere quadratische Kupferschiene von 20 Zentimetern Kantenstärke. Sie hatte also einen Querschnitt von 400 Quadratzentimetern oder 40 000 Quadratmillimetern. Und dann wurde der Strom eingeschaltet. Ein dumpfes Brummen und Brausen ertönte aus dem Ofen und leichter Qualm drang hier und dort aus einer Fuge.

John Workmann ging in seiner Neugier immer näher an den Ofen heran, aber Mr. Reppington zog ihn an der Schulter zurück.

»Bleiben Sie hier, Mr. Workmann, ein Platz, wo 5000 elektrische Pferde auf einem Raume von einem Kubikmeter sich frei austoben können, ist mir nicht ganz geheuer. Wenn etwas passiert, wenn der Ofen bersten sollte, ist jedes Meter wertvoll, das man davon ab ist.«

Sie ließen den Karbidofen weiter brausen und brodeln und wandten sich einer anderen Halle zu, in der gerade ein Graphitofen neu aufgesetzt wurde. Aus feuerfesten Steinen hatten die Arbeiter ein muldenförmiges Bett, etwa 2 Meter breit, 1 Meter tief und 6 Meter lang aufgebaut. Durch die beiden schmalen Wände der Mulde ragten Graphitelektroden von ähnlicher Mächtigkeit wie beim Graphitofen in den Muldenraum. Jetzt waren sie dabei, die ganze Mulde mit feingemahlener Kohle vollzuschaufeln. Der schwarze Staub erfüllte weithin die Luft, und schon aus Reinlichkeitsgründen war es nicht geboten, dieser Arbeitsstätte allzu nahe zu kommen. Nur von weitem betrachteten sie das Fortschreiten der Arbeit, und Mr. Reppington erklärte, daß hier unter der Einwirkung von 3000 Pferdestärken der Kohlenstaub zwischen den Elektroden auf die dreifache Temperatur der Weißglut erhitzt würde. Dabei aber erfahre er eine Umwandlung seiner kleinsten Teilchen und aus einfacher Kohle verwandle er sich in eine andere Modifikation des Kohlenstoffes, in Graphit.

»Und wie ist es mit der dritten Modifikation, mit dem Diamanten«, platzte John Workmann heraus. »Kann man im elektrischen Ofen nicht auch gewöhnliche Kohle in Diamanten verwandeln?«

Mr. Reppington zuckte mit den Achseln. »Sie fragen zuviel, mein Freund. Wenn ich das wüßte, würde ich mich für einige Zeit ins Privatleben zurückziehen und Diamanten machen. Bei den Preisen, die man heute noch für den kristallisierten Kohlenstoff anlegt, würde sich das Geschäft am Ende lohnen.«

»Aber es müßte doch gehen. Ich habe mir gedacht, Mr. Reppington, wenn man den Kohlenstoff durch den elektrischen Strom bis zur höchsten Glut erhitzt und ihn gleichzeitig einem riesenhaften Druck aussetzt, so müßte er erst flüssig werden und dann kristallisieren.«

Mr. Reppington pfiff leise vor sich hin.

»Den Gedanken haben schon andere Leute vor Ihnen gehabt. Aber die praktische Ausführung dieses Gedankens kostet einige harte Dollars. Dabei ist der Erfolg durchaus zweifelhaft, und so ist es bei dem Gedanken geblieben.«

John Workmann schwieg einige Sekunden.

»Wenn ich einmal reich sein werde, werde ich den Versuch machen.«

Er hatte es nur leise gesagt, aber Mr. Reppington hatte es doch gehört.

»Da müssen Sie aber erst sehr viele Dollars ernten, my boy. So etwa eine halbe Million Dollars dürften immerhin für die ersten Versuche draufgehen.«

»Trotzdem werde ich den Versuch machen.«

John Workmann hatte es nur geflüstert, aber den scharfen Ohren Reppingtons war es trotzdem nicht entgangen. Er tat, als ob er es nicht gehört habe. Aber der alte Verdacht stieg wieder in ihm auf, daß sein junger Begleiter irgendwelche geheimnisvollen Beziehungen zur Hochfinanz haben müsse. Denn daß jemand in jugendlichem Überschwang so sicher über Millionen disponieren könne, die vorläufig noch auf dem Monde lagen, diese Idee kam dem nüchternen Mr. Reppington, diesem ausgesprochenen matter of fact man, auch nicht im entferntesten. Ruhig, als habe er nichts gehört, fuhr er in seiner Erklärung fort:

»Der Versuch wäre mehr als unsicher, denn wir wissen so gut wie nichts über die Entstehung der Diamanten. Wir haben nicht einmal die geringste Vermutung über die Art ihrer Entstehung. Bei allen anderen Mineralien wissen wir wenigstens, ob sie unter der Einwirkung des Feuers oder des Wassers entstanden sind. Beim Diamanten ist sogar diese grundlegende Frage noch ungeklärt. Man hat bei einigen wenigen Diamanten in winzigen Bläschen mikroskopische Mengen flüssiger Kohlensäure eingeschlossen gefunden und man glaubt daher annehmen zu dürfen, daß die Kristallisation der Diamanten unter großem Druck erfolgt ist. Darüber hinaus ist unser Wissen über diesen Edelstein vollkommen unklar. Doch lassen wir die Diamanten und sehen wir uns lieber den Abstich des Kalziumkarbidofens an.«

Sie gingen zu dem ersten Ofen zurück und kamen gerade zurecht, um zu sehen, wie sich aus einem Stichloch der blauweißglühende Inhalt wie eine blendende Schlange auf den Sandboden ergoß, sich dort verästelte, in einzelnen Rinnen weiterfloß und flache Sandformen ausfüllte. Nur allmählich ließ die Glut des Gusses nach, und es dauerte geraume Zeit, bis die gegossenen Tafeln erkalteten und von den Arbeitern mit Zangen gepackt und auf einen Haufen geworfen werden konnten.

»Auch eine Erfindung des Zufalles«, erklärte Mr. Reppington. »Da hat man um das Jahr 1890 herum Kalk und Kohle im elektrischen Ofen zusammengeschmolzen. Ich vermute, der Elektrochemiker, der das besorgte, hatte wohl auch die dunkle Absicht, irgendwie Diamanten zu machen. Aber es gab nur einen häßlichen, schwarzen, schlackenartigen Stoff, den Sie dort liegen sehen; also weg damit. Die Arbeiter, die mit dem Wegtransport beauftragt waren, warfen die Karre voll Kalziumkarbid in einen Bach, der wenige hundert Meter von hier entfernt in den River mündet. Sie waren erstaunt, als der Bach sofort fürchterlich zu brodeln begann, waren entsetzt, als die Sache in Brand geriet und haushohe rußende Flammen weithin aus dem Wasser emporschlugen. Erschrocken rannten sie davon, ließen die Karre im Stich und meldeten die Geschichte. Nun ging man der Sache auf den Grund, und seit der Zeit haben wir eine blühende Karbidindustrie.

Hunderterlei Dinge hat man damals zusammengeschmolzen, aber nur wenige haben eine brauchbare Verbindung gegeben. Kalk und Kohle das Kalziumkarbid, Kieselerde und Kohle das Karbosilizium, ein Schleifmittel, welches dem Korund kaum nachsteht und daher als Karborund in den Handel gebracht wird. Beinahe noch wichtiger als diese Zusammenschmelzungen sind freilich die elektrochemischen Zerlegungen, bei denen unter der Einwirkung von Gleichstrom die chemischen Verbindungen einer feurigen Schmelze zerlegt werden. Da machen sie hier, ein Haus weiter, aus reiner Tonerde das Aluminium; außerdem werden in kleinen Öfen aber auch Kalium, Natrium und Kalzium gewonnen.«

Mr. Reppington ging weiter, und durch viele Räume und an zahlreichen Öfen vorbei gelangte er schließlich, von John Workmann gefolgt, wieder ins Freie. Er schritt zu einem kleinen Hügel, von dessen Gipfel aus der Unterlauf der Fälle gut zu überblicken war. Da lagen auf beiden Seiten die Kraftwerke. Hier die amerikanischen, und drüben die kanadischen. Alles riesige Bauwerke in jener monumentalen Betonarchitektur, die für den neuzeitlichen Industriebau so charakteristisch ist.

»800 000 Pferdekräfte sind bis jetzt ausgenutzt, my boy. Die Konzession für weitere 600 000 ist gegeben, aber sie wird noch nicht ausgeführt. Sie scheinen ja gern mit Millionen zu rechnen. Sind Sie sich ungefähr klar darüber, was die Fälle, die dort ungenutzt zu Tale donnern, dem amerikanischen Volk jährlich kosten?«

»Aber sie kosten doch nicht. Sie sind doch vorhanden.«

»Mein Freund, Sie müssen noch bei den Juristen in die Lehre gehen. Die unterscheiden sehr fein und logisch zwischen damnum emergens und lucrum cessans, das heißt zwischen einem auftauchenden Schaden und einem entgehenden Gewinn. Beides aber betrachten sie ganz richtig als einen Verlust. Diese Fälle, die dort unausgenutzt zu Tale stürzen, gehören in die Klasse des entgehenden Gewinnes. Und nun nehmen Sie Ihren Bleistift und rechnen Sie ein wenig! Für die Pferdekraftstunde brauchen wir in unseren besten Maschinen ein halbes Kilogramm Steinkohle. Das Jahr wollen wir der Einfachheit halber zu 8000 Stunden rechnen. Ein Pferdekraftjahr braucht also 4000 Kilogramm oder 4 Tonnen Kohle. Wir wollen ganz gering annehmen, daß nur 10 Millionen Pferdestärken aus den Fällen herauszuholen sind. Dann entspricht das jährlich einer Kohlenmenge von 40 Millionen Tonnen. Rechnen Sie billig die Tonne Kohlen zu 3 Dollar, so macht das im Jahr 120 Millionen Dollar . . . Eine ganz hübsche jährliche Rente. Nicht wahr? Sie können diese Rente von 120 Millionen Dollar kapitalisieren. Sie können beispielsweise mit 20 multiplizieren und kommen dann zu dem betrüblichen Ergebnis, daß das amerikanische Volk auf die Rente eines Kapitals von 2,4 Milliarden Dollar zugunsten eines Naturschauspiels verzichtet. Wie lange noch . . . ich weiß es nicht. Aber ich hoffe, noch den Tag zu erleben, an welchem die Niagarafälle bis auf den letzten Tropfen durch Turbinen laufen und ihre Kraft unserer Industrie zugute kommt.«

Die Sonne neigte sich bereits stark gegen Westen, als Mr. Reppington nach dem Besuche der Kraftwerke in das Hotel zurückkehrte. Eine Depesche der Ford-Werke lag dort, die ihn nach Detroit zurückrief.


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