Hans Dominik
Land aus Feuer und Wasser
Hans Dominik

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Die ›Berenice‹ macht eine Luftfahrt

Mr. MacClure, in einer Person Eigentümer und Kapitän der ›Silver Star‹, begrüßte Professor Eggerth an Bord seiner Jacht mit schottischer Herzlichkeit. Er lud ihn vor allen Dingen erst mal zu einem Soda-Whisky ein. Dabei kam schnell ein Gespräch in Gang.

»Ich hielt es anfangs für einen Scherz, als mein Funker mir Ihr Radiogramm brachte«, meinte MacClure. »Unsere Seekarten zeigen hier mehr als 150 Meter Wassertiefe. Sie können sich meinen Schreck vorstellen, als wir dann doch loteten und merkten, daß wir dicht am Aufschrammen waren.«

»Ja, mein verehrter Herr Kapitän«, sagte Professor Eggerth, »es hat hier vor zwei Tagen ein Seebeben schwerster Art gegeben. Sehen Sie da drüben die Nebelbank«, er deutete durch das Bulleye der Kabine, »sie entstand, als die Lava und die See hier zusammenstießen. Auf viele Meilen hin ist alles anders geworden. Die ganze Gegend muß neu vermessen werden, die alten Karten sind unbrauchbar geworden.«

»Das müßte aber bald geschehen. Sobald wie möglich«, äußerte sich MacClure. »Jedes Schiff läuft ja Gefahr zu scheitern, wenn es sich auf die alten Karten verläßt.«

»Mit solchen plötzlichen Veränderungen wird man in vulkanischen Regionen immer rechnen müssen«, meinte Professor Eggerth achselzuckend. »Wenn ich hier ein Schiff zu führen hätte, würde ich unter allen Umständen dafür sorgen, daß ein Echolot an Bord ist und grundsätzlich jede halbe Stunde loten, ganz egal, welche Tiefen die Seekarten angeben.«

»Theoretisch sehr schön, Herr Professor«, warf MacClure ein, »aber jedes Schiff kann sich diese Einrichtung nicht leisten. Denken Sie nur an die vielen Trampschiffe des Koprahandels, die in der Südsee verkehren. Ich wiederhole, man wird die Seekarte schnellstens berichtigen müssen.«

»Das wird selbstverständlich geschehen«, stimmte Professor Eggerth ihm zu. »Die deutsche Regierung wird schon in den nächsten Tagen ein Vermessungsschiff auslaufen lassen.«

»Die deutsche Regierung? Warum gerade die?« fragte der Schotte verwundert.

»Weil wir uns hier in deutschen Gewässern befinden, Mr. MacClure.« Während der Professor weiter sprach, ging ein leichtes Lächeln über sein Gesicht. ». . . Wir haben . . . das heißt Deutschland hat Glück gehabt. Die kleine herrenlose Insel, die das Reich hier vor einigen Wochen als Kolonie in Besitz nahm, ist durch das Seebeben stark gewachsen. Soweit ich es von unserem Flugschiff übersehen konnte, dürfte sich ihr Areal vertausendfacht haben . . .«

»Ver . . . ver . . . tausendfacht?!« MacClure vergaß es in der Überraschung, seinen Mund wieder zu schließen und starrte den Professor ungläubig an.

»Vertausendfacht, Mr. MacClure«, wiederholte der seine letzten Worte, »ich sage es ohne Übertreibung.«

»Ja, dann hätten Sie . . . dann hätten ja . . . unbegreiflich, Herr Professor . . .«

»Es ist nicht so bedeutend, wie es sich im ersten Augenblick anhört«, fuhr der Professor ruhig fort. »Gewiß, aus 15 Quadratkilometern sind etwa 15 000 geworden, aber schließlich ist und bleibt es doch nur ein kleiner Punkt in der großen Südsee.«

»15 000 Quadratkilometer . . . rund 3000 Quadratmeilen . . .« MacClure wiederholte die Zahlen mehr zu sich als zu Professor Eggerth sprechend ein paarmal. Er brauchte Zeit, um die Neuigkeit zu verdauen.

»Unsere Meilen sind größer als Ihre. Für uns hat die Insel nur 260 Quadratmeilen«, warf Professor Eggerth trocken dazwischen. Aber MacClure ließ sich in seinem Gedankengang nicht stören. »Vertausendfacht!? . . . es ist ungeheuerlich . . . wenn es noch mehr gewesen wäre? Das Zehntausendfache? . . . wenn sich um Ihr Inselchen herum ein neuer Erdteil aus der See gehoben hätte? . . . was wäre dann?«

»Die Frage brauchen wir nicht zu erörtern«, versuchte der Professor abzulenken. »Das ist ja nicht geschehen.«

»Aber es hätte doch geschehen können . . . und wenn es nun geschehen wäre?« verharrte der Schotte hartnäckig bei seiner Idee, und wohl oder übel mußte Professor Eggerth sich zu einer Antwort bequemen.

»Dann wäre das Land an unseren Küsten zugewachsen. Es wäre auch nach internationalem Recht deutsches Land.«

MacClure schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn das neue Land aber bis an andere Inseln herangewachsen wäre?« fragte er weiter. »Etwa nach Norden hin bis an die französischen Gesellschaftsinseln, wie wäre es dann?«

»Dann würde man sich auf diplomatischem Wege einigen müssen. Vermutlich würde man die neue Grenze genau in der Mitte zwischen unserer Insel und den Gesellschaftsinseln ziehen, aber der Fall steht ja Gott sei Dank nicht zur Diskussion. Erörtert wurde er übrigens schon vor vielen Jahren im Zusammenhang mit einem technischen Zukunftsprojekt. Ich weiß nicht, ob Sie von dem phantastischen Plan gehört haben, das Mittelmeer an der Straße von Gibraltar durch einen Damm vom Ozean abzusperren?«

MacClure nickte. »Ich erinnere mich, etwas darüber gelesen zu haben. Durch die natürliche Verdunstung sollte der Spiegel des Mittelmeeres nach der Absperrung um 200 Meter fallen.«

»Das ist es, Sir«, fiel ihm Professor Eggerth ins Wort, »eine solche Senkung würde ganz neue Uferlinien schaffen. Beispielsweise würde die italienische mit der Balkanhalbinsel zusammenwachsen und die beiderseitigen Anliegerstaaten der Adria müssen sich über eine neue gemeinsame Grenze einigen. Da haben Sie das gleiche Problem, und schon damals haben sich Kapazitäten des internationalen Rechtes dahin ausgesprochen, daß die neue Grenzlinie genau in der Mitte zwischen den früheren Grenzen verlaufen müßte.«

Jetzt endlich gab sich MacClure zufrieden, und der Professor konnte auf den eigentlichen Zweck seines Besuches zu sprechen kommen.

»Es handelt sich also darum, die Besatzung der ›Berenice‹ zu übernehmen und bis zu einem Hafen zu bringen, von dem aus eine Verbindung nach USA. besteht«, schloß Professor Eggerth seinen kurzen Bericht.

»Die ›Berenice‹? . . . Captain Dryden? . . . ich kenne Mr. Dryden nicht persönlich, aber ich hörte mancherlei von ihm«, sagte MacClure nachdenklich. »Er soll ein tüchtiger Seemann, aber auch ein Abenteurer sein. Hätte er 200 Jahre früher gelebt, wäre er vielleicht unter die Korsaren gegangen. Glauben Sie, daß er sein Schiff so leicht aufgeben wird? Ich vermute eher, daß er alles Erdenkliche versuchen wird, um es wieder flottzumachen.«

»Es wäre ein vergebliches Beginnen, Mr. MacClure. Die ›Berenice‹ liegt ungefähr 20 Kilometer landeinwärts auf dem Trockenen.«

»20 Kilometer?! Wie ist das möglich, Herr Professor?« »Sehr einfach, Sir, die ›Berenice‹ stand etwa 8 Kilometer von der alten Strandlinie entfernt, als das Beben ausbrach. Captain Dryden setzte sofort Kurs auf die hohe See, aber das Beben lief schneller als sein Schiff.«

»Verdammt! Das hätte auch jedem anderen passieren können.« Noch nachträglich erschrak MacClure bei dem Gedanken, daß seiner Jacht leicht das gleiche hätte zustoßen können, und wiederholte dem Professor gegenüber seine Bereitwilligkeit, die Besatzung des verlorenen Schiffes bis zu einem geeigneten Hafen mitzunehmen.

Immer tiefer war während ihrer Unterredung die Sonne gesunken, und schon berührte sie die Kimme. Professor Eggerth trat an das Bulleye und blickte zu der Nebelbank hinüber.

»Sehen Sie dort«, er winkte MacClure an seine Seite. »Bei schärferem Hinschauen können Sie eben noch die Mastspitzen der ›Berenice‹ vor der Nebelwand erkennen. Das Schiff selbst liegt für unsern Standort unter dem Horizont. Schade . . . für heut ist es zu spät geworden, aber morgen gleich bei Sonnenaufgang wollen wir die Besatzung holen.«

Noch während Professor Eggerth sprach, fiel bereits die kurze Tropendämmerung ein. Mit einem ›Auf Wiedersehen, morgen‹ verabschiedete sich Professor Eggerth, um an Bord von ›St 25‹ zurückzukehren. – – –

»Wie geht es Ihrem Patienten?« Der Professor richtete die Frage im Mittelraum von ›St 25‹ an James Garrison, den er dort im Gespräch mit Wille und Schmidt antraf.

»Danke für die Nachfrage, Sir! Es geht.« Garrison gab die Antwort zerstreut, weil er mit Dr. Wille gerade eine Erdbebentheorie erörterte.

»Ich habe den Mann zu Bett gebracht und ihm noch ein paar Tabletten gegeben, Herr Professor«, antwortete von einem Nebentisch her Georg Berkoff. »Ich denke, er wird einen Nervenklaps verschlafen und morgen wieder in Ordnung sein.«

Professor Eggerth nickte. »Recht so, mein lieber Berkoff, wo stecken die beiden anderen?«

»Die sind auch in die Kojen gekrochen, nachdem sie noch kräftig gegessen hatten. Die Landpartie durch den Nebel scheint sie auch etwas mitgenommen zu haben.«

»Lassen wir sie schlafen! Wer schläft, sündigt nicht«, meinte Professor Eggerth mit einem Lächeln und setzte sich an den anderen Tisch. Dort war Dr. Wille eben mit seinen gelehrten Auseinandersetzungen zu Ende gekommen, und Garrison benutzte die Gelegenheit, um sich bei Professor Eggerth über das Ergebnis von dessen Besuch auf der Jacht zu erkundigen. Mit Vergnügen hörte er, daß Kapitän MacClure bereit war, die Besatzung der ›Berenice‹ an Bord des ›Silver Star‹ zu nehmen, aber schon tauchte dabei in seinem Unterbewußtsein wieder die Frage auf: wer wird Captain Drydens Schiff bezahlen?

Was er früher schon vermutete, war ihm in der Unterhaltung mit Dr. Wille zur Sicherheit geworden. Diese ganze überraschende Landhebung beruhte auf einem wohldurchdachten Plan der Deutschen. Mit ihrer bekannten Gründlichkeit hatten sie alle in Betracht kommenden Faktoren untersucht und in Rechnung gestellt. Genau in dem Maße und in der Richtung, in der es ihren Absichten dienlich war, hatten sie die unterirdischen Kräfte entfesselt und ihren Zweck, eine Vervielfachung ihres Areals, glänzend erreicht.

Garrison war selbst zur Genüge Wissenschaftler, um diese Leistung voll würdigen zu können, und schon begannen seine Gedanken nach einer anderen Richtung hin zu arbeiten. Vorher, als Dr. Wille ihm seine Magmatheorie entwickelte, war ihm zum erstenmal eine Idee gekommen und hatte ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Die Idee, ob man etwas Ähnliches an geeigneter Stelle nicht auch in den Vereinigten Staaten versuchen könnte. Deshalb hatte er den langen Vortrag von Wille geduldig über sich ergehen lassen und jede Zahl und jede Möglichkeit, die Dr. Wille dabei vorbrachte, in seinem Gedächtnis verankert.

Es war viel Wissenswertes, was er dabei erfahren hatte, aber die Einwände, die Dr. Schmidt, seiner alten Gewohnheit folgend, den Ausführungen Dr. Willes entgegensetzte, hatten den Amerikaner zum Teil wieder unsicher gemacht. Er beschloß, jetzt den Professor Eggerth gewissermaßen als letzte Instanz über diese Angelegenheit auszuholen und begann vorsichtig Fragen zu stellen. So geschickt er es nach seiner Meinung aber auch anfing, der Professor witterte doch die Absicht und hielt es für angebracht, ihn zu warnen.

»Das Experiment, das wir hier gemacht haben«, begann er in einem so ernsten Ton, daß Garrison stutzig wurde, »ist nicht ungefährlich. Hier mitten im weiten Ozean auf einer unbewohnten Insel, Hunderte von Kilometern von der nächsten menschlichen Ansiedlung entfernt, konnten wir es riskieren. Wenn wirklich die schlimmste Möglichkeit eintrat, mit der wir durchaus rechnen mußten, Mr. Garrison, wenn die ganze Insel wie ein explodierender Dampfkessel in die Luft flog, so wäre doch niemand dabei zu Schaden gekommen . . .«

»Well, ich danke, Herr Professor!« unterbrach ihn Garrison. »Ich war mit meinen Leuten auf der Insel, als die Geschichte losging.«

»Ihr eigener Fehler, Mr. Garrison. Sie hatten dort nichts zu tun. Sie hätten nach allem, was Sie bei Ihrem letzten Besuch bei uns sahen, gewarnt sein müssen. Wenn unser Unternehmen anders ausging, wenn Sie samt Ihren Leuten durch eine Explosion der Insel in die Stratosphäre geschleudert worden wären, hätten Sie es sich selbst zuzuschreiben gehabt. Wir selbst waren im Begriff, eine sichere Höhe aufzusuchen, als wir zu unserem Schrecken Sie und Ihre Leute auf der Insel bemerkten. Im Sturzflug ging ›St 25‹ wieder nach unten. Wir wollten Sie und auch Captain Dryden mit seinem Schiff aus der Gefahrenzone herausholen, aber es war schon zu spät . . .«

»Ich verstehe, Herr Professor«, warf Garrison ein. »Die Zeitzündung ging bereits vorher los.« Professor Eggerth schüttelte den Kopf.

»Wir hatten keine Zeitzündung, Mr. Garrison. Sie wäre uns nicht sicher genug gewesen. Von uns war eine Sprengung mittels Hertzscher Wellen vorgesehen, und sie sollte erst erfolgen, wenn ›St 25‹ genügend weit vom Schuß ab war.«

»Ach so! Deshalb der neue Funkmast und die Apparatur daneben«, bemerkte Garrison. »Ich dachte im Augenblick nicht daran. Natürlich, Sie wollten es mit abgestimmten Relais und einer Sprengdepesche machen. Aber wie ist die Geschichte dann doch vorzeitig losgegangen?«

»Danach müssen Sie O'Brien fragen, Mr. Garrison«, die Stimme des Professors klang abweisend, während er es sagte. »Wir konnten beobachten, wie er mit ungeschickten Händen an den Zündrelais herumspielte. Wir sahen das Unheil kommen und konnten doch nichts dagegen unternehmen. Nur schnellste Flucht in die Stratosphäre blieb für uns übrig, als es geschehen war. Viel Hoffnung, Sie, Mr. Garrison, lebendig wiederzusehen, hatte ich damals nicht. Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie so gut davongekommen sind.«

»Drahtlose Sprengung aus einer sicheren Entfernung . . . eine vorzügliche Maßnahme, die man sich merken muß.« Garrison sprach die Worte mehr zu sich als zu den anderen.

»Ich warne Sie dringend, Mr. Garrison«, fiel ihm Professor Eggerth in seine Überlegungen. »Glauben Sie ja nicht, daß unser Versuch sich einfach in jedem vulkanischen Gebiet wiederholen läßt. Nur einmal vielleicht unter hundert Fällen kann er gelingen, die andern neunundneunzigmal wird er mit einer Katastrophe enden. Es wäre mehr als Leichtsinn, es wäre ein Verbrechen, wenn man ihn in der Nähe menschlicher Siedlungen anstellen wollte.«

»Es gibt Vulkane, die von allen Siedlungen weit ab liegen«, überlegte Garrison für sich halblaut weiter.

»Was heißt hier weit und was nah?« unterbrach Dr. Wille die Reflektion Garrisons. »Das Magma hängt über Tausende von Kilometern zusammen. Sie könnten irgendeinen Vulkan in Südmexiko kitzeln und riskieren es dabei, daß die Wolkenkratzer in Frisko zu wackeln anfangen.«

»Oh, glauben Sie wirklich, Herr Doktor?« fragte Garrison etwas beklommen.

»Herr Dr. Wille vertritt dies« Meinung«, mischte sich der lange Schmidt ein. »Ich für meine Person kann sie nicht akzeptieren. Ich halte es mit der Wegenerschen Theorie, derzufolge der Vulkanismus stets lokal begrenzt ist.«

Dr. Wille schnitt ein verdrießliches Gesicht. »Sehen Sie sich eine Erdkarte der Vulkane an, Herr Kollege«, begann er. »Da ist doch der Zusammenhang über unseren ganzen Globus hin einfach nicht abzustreiten.«

Dr. Schmidt machte eine abwehrende Handbewegung. »Lassen wir das, Herr Dr. Wille. Mag es so oder so sein, auf jeden Fall würde man Gefahr laufen, den ganzen amerikanischen Isthmus zu zerstören, wenn man an den dortigen Vulkanen Versuche von unserer Art unternehmen wollte.«

»Den Isthmus zerstören? Was verstehen Sie darunter?« fragte Garrison interessiert. Schmidt und Wille zuckten die Achseln und schwiegen. Professor Eggerth nahm das Wort.

»Sie fragen, was in diesem Fall zerstören heißt, Mr. Garrison? Denken Sie sich den größten Dampfkessel eines Großkraftwerke milliardenfach vergrößert und überheizen Sie ihn, bis er explodiert. Der Dampfkessel würde bei diesem Vergleich dem Vulkan, das Kesselhaus Ihrem Isthmus entsprechen, und damit haben Sie auch schon die Antwort auf Ihre Frage. Die Fetzen der Landenge könnten dabei viele hundert Kilometer weit in den Stillen oder in den Atlantischen Ozean geschleudert werden, und an der Stelle, wo früher mal Ihr Vulkan stand, wäre nur noch ein Riesenloch vorhanden . . .«

»Ein Riesenloch, Herr Professor!? . . . Vielleicht so groß, daß es von einem bis zum anderen Ozean reichte?«

»Das wäre nicht ausgeschlossen, Mr. Garrison«, sagte Professor Eggerth.

»Ich möchte es sogar für wahrscheinlich halten«, griff Dr. Schmidt die Frage auf. »Der amerikanische Isthmus sieht schon auf der Landkarte wie ein gequälter Wurm aus, und er ist es auch in Wirklichkeit. Die beiden gewaltigen Kontinentalschollen Nordamerika und Südamerika treiben auf der Erdoberfläche nach verschiedenen Richtungen und mit verschiedenen Geschwindigkeiten dahin, und die unglückselige Landenge wird dabei gepreßt, gezerrt und verbogen. Ein geringfügiger Anlaß könnte bereits genügen, um sie zum Zerreißen zu bringen. Ein Experiment an einem Vulkan in der dortigen Gegend . . . ich glaube, Mr. Garrison, das wäre mehr als hinreichend, um Nord- und Südamerika gründlich voneinander zu trennen.«

»Ganz meine Meinung, Herr Kollege«, wurde er von Dr. Wille unterstützt. »Obwohl ich von anderen Voraussetzungen ausgehe als Sie, komme ich doch zu dem gleichen Ergebnis.«

James Garrison sah nachdenklich vor sich hin und schwieg eine Weile. Er brauchte Zeit, um das eben Gehörte zu verarbeiten.

»Wenn das so ist, meine Herren«, begann er endlich zu sprechen, »dann begreife ich es nicht, warum man sich noch die Mühe macht, mit einem Aufwand von Milliarden von Dollars Schiffahrtkanäle durch den Isthmus zu graben. Da wäre es doch viel einfacher, sie mit Hilfe der vulkanischen Kräfte herzustellen.«

Professor Eggerth lachte. »Haben Sie schon mal von einem gewissen Dr. Eisenbart gehört?« fragte er den Amerikaner.

Garrison schüttelte den Kopf. »No, Sir! Kenne den Gentleman nicht.«

»Nun dann lassen Sie sich etwas über ihn erzählen, Mr. Garrison. Dieser Dr. Eisenbart soll ein Freund von Gewaltkuren gewesen sein und lebt deshalb bei uns in Deutschland noch heut im Volkslied fort. Man singt von ihm:

Da kam ein Mann, der Zahn war hohl,
er schoß ihn aus mit dem Pistol,
ach Gott, wie ward dem Mann so wohl.«

James Garrison besaß einigen Sinn für Humor. Er mußte lachen und meinte, daß diese Art von Kur für Durchschnittspatienten doch wohl etwas zu kräftig gewesen wäre.

»Sehr richtig, Mr. Garrison«, stimmte ihm Professor Eggerth zu. »Etwas zu kräftig für den Patienten, und das würde auch das eben von Ihnen vorgeschlagene Kanalbauverfahren für den Isthmus sein. Es würde dabei viel mehr zum Teufel gehen, als die ganze Sache wert ist. Schlagen Sie sich diesen Gedanken um Himmelswillen aus dem Kopf.«

»Well, Herr Professor, wie Sie meinen«, sagte Garrison, aber es war keineswegs sicher, ob er auch wirklich überzeugt war.

Berkoff, der bisher von dem Nebentisch her der Unterhaltung der anderen mit stillem Vergnügen zugehört hatte, mischte sich wieder ein.

»Wie wäre es meine Herren«, schlug er vor, »wenn wir jetzt zu Tisch gingen. Es ist nachgerade Abendbrotzeit geworden.« – – –

Die Mahlzeit war vorüber, und Mr. Garrison hatte sich in seine Kabine zurückgezogen. Professor Eggerth, Wille und Schmidt blieben noch kurze Zeit im Kommandoraum zusammen, um die Maßnahmen für den nächsten Morgen zu besprechen. Als sie damit zu Ende waren, kam ihre Unterhaltung noch einmal auf den Amerikaner zurück.

»Ich fürchte, Herr Professor«, meinte Dr. Wille, »daß unser Freund Garrison sich in seine verrückte Idee verrannt hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn er in den Staaten irgendeinen höllischen Unfug anrichtete.«

»Unsere Schuld ist es nicht, Herr Dr. Wille«, sagte der Professor. »Wir können ihn nicht daran hindern. Gewarnt haben wir ihn zur Genüge.«

Der lange Schmidt zog sein Gesicht in bissige Falten. »Schadet gar nichts, wenn er sich mal wieder die Finger verbrennt«, gab er seine Meinung kund. »Der Yankee hat hier die ganze Zeit bei uns herumgeschnüffelt. Ist uns reichlich lästig geworden. Hoffentlich wird er morgen mit seinem Flugzeug wieder nach USA. abbrausen. Meinetwegen mag er da auf seine Weise glücklich werden, wenn er uns nur nicht länger stört.«

»Kein sehr christlicher Wunsch, Herr Kollege«, warf Dr. Wille ein.

»Aber für uns das beste«, beendete Dr. Schmidt das Gespräch.

*

Ein Tag war zu Ende gegangen, eine unruhige Nacht war ihm gefolgt, und ein anderer Tag war angebrochen. Die Besatzung der ›Berenice‹ merkte den Wechsel nur an einem Dunkler- oder Lichterwerden des Nebels, der das Schiff umgab. Auch bei Tage mußten die Lampen unter Deck brennen. Nur die Gewißheit, daß das deutsche Stratosphärenschiff sich in nächster Nähe aufhielt, bereit, sobald wie möglich die versprochene Hilfe zu bringen, hielt die Stimmung der Mannschaft aufrecht.

Am Spätnachmittag des zweiten Tages saß Captain Dryden mit Professor Brown, den er von allen an Bord befindlichen Wissenschaftlern am meisten schätzte, in seiner Kabine, um zum dreizehntenmal die Lage zu beraten, die sie bereits ein dutzendmal durchgesprochen hatten. Auch diesmal kamen sie zu dem gleichen Ergebnis wie früher schon.

»Wir müssen warten, Captain«, faßte Professor Brown das Ergebnis seiner Überlegungen zusammen, »bis der Nebel verschwunden ist. Es wäre nicht nur zwecklos, sondern gefährlich, wenn wir vorher das Schiff verlassen wollten.«

Captain Dryden sprang auf und lief ein paarmal ungeduldig in der Kabine hin und her.

»Warten und immer wieder warten, Professor! Es ist zum Verrücktwerden! Wie lange soll das noch dauern?«

Professor Brown machte eine unschlüssige Bewegung. »Ich weiß es nicht, Captain. Auf einige Tage werden wir uns wohl gefaßt machen müssen. Verlieren Sie darüber nicht die Nerven. Vergessen Sie nicht, daß wir in einer hundertmal besseren Lage sind als andere Schiffbrüchige.«

Professor Brown wollte noch etwas Weiteres zur Beruhigung des ungeduldigen Captains hinzufügen, als ein neuer Funkspruch gebracht wurde. Dryden überflog ihn und atmete erleichtert auf.

»Gott sei Dank, Professor! Wir haben Aussicht, bald aus der verfluchten Milchsuppe rauszukommen. Das deutsche Flugschiff funkt, daß die Bank stark zurückgegangen ist. Vielleicht werden wir schon über Nacht nebelfrei.«

Brown griff nach dem Blatt und studierte es mit professonaler Gründlichkeit.

». . . über Nacht frei werden, Captain? . . . Da müßte eigentlich schon jetzt etwas zu merken sein. Ich schlage vor, daß wir einmal auf Deck gehen.«

»Meinetwegen, Professor«, brummte Dryden, »viel scheußlicher als hier unten kann es da oben auch nicht sein.« – – –

Über einen Gang und eine Treppe kamen die beiden auf Deck und stiegen noch weiter zur Brücke empor. Nach wie vor lag es nach allen Seiten hin milchig weiß um die ›Berenice‹ herum. Wie ein Jagdhund schnupperte Professor Brown in die Nebelluft, während Dryden verdrossen vor sich hin starrte.

»Es ist schon etwas lichter geworden«, fing Brown nach einiger Zeit an. »Sehen Sie im Westen den helleren Fleck in der Nebelbank? Dort muß jetzt die Sonne stehen.«

»Kann sein, Professor, aber zu sehen ist sie leider noch nicht.« Professor Brown blickte prüfend zu dem Fockmast vor der Brücke empor. Nur bis zu einer Höhe von wenigen Metern konnte er ihn verfolgen. Nur die unterste Rah war eben noch sichtbar, darüber verschwamm bereits alles im Nebel.

»Trauen Sie sich eine kleine Kletterpartie zu, Captain?« fragte er Dryden unvermittelt.

»Kletterpartie?! Wohin? . . . Warum?«

»Zum Top des Fockmastes, Captain. Ich vermute, daß man da oben schon eine bessere Aussicht haben könnte.«

»Wenn es weiter nichts ist, Professor.« Captain Dryden fühlte sich bei seiner Ehre gepackt. »Auf den Fockmast entern? Wäre ja gelacht, wenn mir das was ausmachte.«

»All right, Captain. Dann wollen wir mal raufklettern.« Captain Dryden sah Professor Brown verwundert an.

»Was? Sie auch? Ausgeschlossen, Professor. Sie sind kein Seemann. Rutschen mir dabei aus, fallen aus den Wanten, und ich werde von dem Institut für Sie haftbar gemacht. So etwas will von Jugend auf gelernt sein, sonst unterläßt man es besser.«

Er wollte noch weiter sprechen, als Professor Brown bereits die Treppe von der Brücke zum Verdeck hinab eilte. Und dann, ehe Dryden noch recht wußte, was geschah, hatte der lange sehnige Brown sich mit einer akrobatenhaften Gelenkigkeit in die Steuerbord-Wanten des Fockmastes geschwungen und stieg an ihnen empor. Er stand bereits auf der untersten Rah, bevor Dryden etwas unternehmen konnte.

»Auf Ihre eigene Gefahr, Professor«, schrie der Captain ihm nach, während er selbst emporzuklimmen begann. Dann mußte er sich um sich selber kümmern, denn der weitere Aufstieg über die zweite, dritte und vierte Rah bis zur Mars war nicht ganz einfach, und es waren immerhin zwanzig Jahre her, seitdem Captain Dryden das letztemal aufgeentert war.

Damals war er jung und schlank, heut dagegen ein Schwergewicht in mittleren Jahren. Er spürte den Unterschied gegen früher, während er Meter um Meter emporstieg. Es wurde ihm reichlich warm dabei, aber er kam voran, und während er an Höhe gewann, sah er den Nebel umher lichter werden. Als er den Fuß auf die dritte Rah setzte, wogte nur noch ein leichter Dunst um die Takelung, und wie ein Purpurfleck war im Westen die Sonne zu erkennen. Als er sich in die Mars über der vierten Rahe schwang, hatte er eine fast freie Sicht, und der Sonnenball hob sich als eine rötlich-gelbliche Scheibe von dem diesigen Himmel ab.

»Auch glücklich angelangt?« begrüßte ihn Professor Brown, der die Mars eine halbe Minute vorher erreicht hatte, »eine nette Gegend hier ringsherum, Captain. Sehen Sie sich die Landschaft mal an.«

Captain Dryden verschlug bei dem, was er erblickte, die Sprache. Gewiß, er hatte, bevor der Nebel über die ›Berenice‹ hineinbrach, gesehen, daß das Meer wie in einem Ebbestrom von dem Schiff seewärts hin weglief, aber immer noch hatte er gedacht, daß es in einem Flutstrom wieder zurückkehren würde. Immer noch hatte er mit der Hoffnung gespielt, daß es vielleicht doch möglich sein könnte, die ›Berenice‹ wieder flott zu machen. Bei dem, was er jetzt zu sehen bekam, mußte er jede Hoffnung fahren lassen. Mitten in einem weiten hin und wieder durch leichte Hügellinien unterbrochenen Land lag sein Schiff. Nach Süden zu sperrte die Nebelbank noch den Blick in die Weite. Nach Norden hin aber war die Sicht auf weite Entfernung frei, obwohl auch hier dicht über dem Boden noch Nebelschwaden lagen. Captain Dryden hatte von der Höhe des Fockmastes aus eine Aussicht, wie man sie wohl von einem Flugzeug hat, das dicht über einer hin und wieder aufgerissenen Wolkendecke dahinfliegt. In leichter Bewegung wogte das Nebelmeer nach Süden zu hin und her, in große Weiten erstreckte es sich auch nach Norden. Auf viele Kilometer schätzte Captain Dryden seine Ausdehnung, aber ganz weit in der Ferne sah er im Süden das Meer blau schimmern und erkannte mit seinen scharfen Augen die Mastspitzen eines Schiffes.

Die offene See lag dort hinten. Das freie Meer, das auch sein Schiff vor kaum drei Tagen ungefährdet durchfurcht hatte. Bis dorthin reichte der Bodennebel nicht mehr. Wie ein stahlblauer Schild hob sich der Ozean gegen den Horizont ab, aber ein breiter braungelber Streifen lag zwischen dem Blau der See und dem Milchweiß des Nebels, ein Streifen, der nichts anderes als Land bedeuten konnte.

Auf Meilenferne war die unheimliche Insel in die See hineingewachsen. Niemals wieder würde Captain Drydens Schiff sich auf den Fluten der See wiegen. Verrosten und zerfallen würde es an dieser Stelle, wenn ihm die Schweißbrenner und Brechstangen der Abwracker nicht schon früher ein Ende bereiteten. Düster blickte Captain Dryden vor sich hin, während er das Schicksal seines Schiffes überdachte. Die Gedanken Browns liefen in einer anderen Richtung. Das Schicksal der ›Berenice‹ war ihm ziemlich gleichgültig, aber dies neue aus der See emporgestiegene Land interessierte ihn als Wissenschaftler.

»Was sagen Sie dazu, Captain?« fragte er. »Das ist eine geologische Veränderung, wie sie seit Menschengedenken nicht beobachtet wurde. Man hat gerade in diesen Breiten hier öfters erlebt, daß Inseln versinken und gelegentlich auch auftauchten, aber eine Erhebung des Seebodens in einem solchen Umfange, das ist ein vollkommenes Novum. Man sollte . . .«

»Novum hin und Novum her«, fiel ihm Captain Dryden in seinen Vortrag, »mich interessiert es nur, wie ich wieder zu einem neuen Schiff kommen werde?«

Auf diese Frage vermocht ihm Professor Brown auch keine bündige Antwort zu geben. »Sprechen Sie darüber mit Mr. Garrison«, versuchte er ihn zu trösten. »Unsere Forschungen hier in der Südsee sind noch nicht abgeschlossen, und das Carnegie-Institut legt Wert darauf, daß sie zu Ende geführt werden. Es wird sicher für ein neues Schiff sorgen, und der beste Kommandant dafür werden Sie sein.«

»Kommandant vielleicht, aber auf der ›Berenice‹ war ich Kapitän und Reeder in einer Person«, widersprach ihm Captain Dryden, »das ist ein Unterschied, Professor.«

»Sprechen Sie mit Garrison«, konnte Professor Brown nur wiederholen. »Morgen bei klarem Himmel und hellem Sonnenschein wird alles anders aussehen als heute.«

Captain Dryden zuckte mißmutig die Achseln. Die gut gemeinten Worte Browns vermochten ihn nicht aus seiner trüben Stimmung zu reißen.

»Kommen Sie, Captain«, forderte der ihn jetzt auf. »Die Dämmerung bricht herein. Wir wollen hinuntersteigen, bevor uns die Nacht über den Hals kommt.« – – –

Der Morgen brach an, und mit ihm kamen ein klarer Himmel und heller Sonnenschein. Als Captain Dryden die Brücke der ›Berenice‹ betrat, waren nach Norden hin die letzten Nebelspuren verschwunden, und auch nach Süden zu hatte es stark aufgeklärt. Eine leichte Nordwestbrise war aufgekommen und stand im Begriff, die letzten Reste der Nebelbank über der alten Insel zu verwehen. Deutlich hob sich dort bereits die Silhouette des Vulkans gegen den Himmel ab. Ein schwacher, kaum noch merklicher Dunst war alles, was von den riesigen Nebelmassen übrig war, die Tage hindurch über der Insel und ihrer Umgebung lagerten.

»Was gibt's da auf dem Achterdeck für einen Lärm?« wandte sich Captain Dryden an Professor Brown, der ihm auf die Brücke gefolgt war.

»Das sind meine Kollegen von der botanischen und zoologischen Fakultät, Captain. Sie wollen sich die seltene Gelegenheit zu einem Spaziergang auf dem Seegrund nicht entgehen lassen. Da achtern bei Steuerbord können Sie sie sehen.« Captain Dryden beugte sich über die Reling und schüttelte bei dem Anblick, der sich ihm bot, unmutig den Kopf. Eine Gruppe von acht Leuten sah er dort, die querab vom Schiff langsam über den nassen Schlick des ehemaligen Meeresgrundes dahinschritten. In dreien davon erkannte er Mitglieder seines ›Zoologischen Gartens‹, wie er die Wissenschaftler, welche die ›Berenice‹‹ an Bord hatte, bei sich zu benennen pflegte. Die anderen waren Seeleute, zur Besatzung der ›Berenice‹ gehörig und als Hilfskräfte mitgenommen, wie die Körbe und allerlei Gerät, das sie mit sich schleppten, verrieten.

»Was in drei Teufels Namen haben die Leute vor?« fluchte der Captain.

»Eine Forschungsexpedition, Mr. Dryden. Die Kollegen beabsichtigen, den alten Seeboden gründlich abzusuchen. Sie sind der Meinung, daß sich sehr viel bisher Unbekanntes und für die Wissenschaft Wertvolles darauf finden läßt. Da! Jetzt können Sie schon sehen, wie der und jener sich bückt, und allerlei in die Körbe und Gläser verpackt wird.«

»Triple condensed fools!« brummte Captain Dryden. »Wo wollen die Kerle mit all dem Zeug hin? Wir müssen froh sein, wenn das deutsche Stratosphärenschiff uns selber zu einem anständigen Hafen bringt. Wir können von Glück sagen, wenn wir das Notwendigste mitnehmen dürfen, und die übergeschnappte Gesellschaft läuft im Watt herum und botanisiert auf Teufel komm raus.«

»Stop, Captain! Nicht so schnell voran«, unterbrach ihn Brown. »Sie schneiden eine Frage an, die natürlich später auch geregelt werden muß. Aber das hat vorläufig noch Zeit, denn die ›Berenice‹ liegt hier gut und sicher im Trockenen. Selbstverständlich wird man alles von Wert, was sich an Bord befindet, früher oder später nach den Staaten zurückbringen. Es wird niemand sein Eigentum verlieren . . .«

»Aber ich habe mein Schiff verloren«, nahm Captain Dryden seinen alten Gedankengang wieder auf.

»Darüber ist das letzte Wort auch noch nicht gesprochen«, wandte Brown ein und hielt inne.

Propellerdröhnen erschütterte die Luft. An seinen Hubschrauben hängend trieb ›St 25‹ langsam heran und ließ sich neben der ›Berenice‹ nieder.

»Ah, wir bekommen Besuch«, sagte Brown, während auf dem deutschen Schiff bereits die Tür geöffnet und eine Treppe herausgeschoben wurde. »Zwei Leute steigen aus, der eine ist unser Freund Garrison . . . der andere . . . wenn ich recht sehe, ein deutscher Kollege, Herr Professor Eggerth. Sie wollen wohl die Jakobsleiter, die unsere Forscher am Achterdeck herausgehängt haben, benutzen, um zu uns an Bord zu gelangen. Kommen Sie, Captain, wir wollen ihnen entgegengehen und sie auf Deck empfangen.« – – –

Kurz danach saßen die vier in Captain Drydens Kabine um einen Tisch herum. »Ich bedaure die Umstände, unter denen wir uns wiedersehen, Sir«, eröffnete Professor Eggerth die Unterhaltung.

»Sie sind mit in diese Seebebenkatastrophe hineingerissen worden. Leider wurden unsere Bemühungen, Sie daraus fernzuhalten, durch einen Eingriff von dritter Seite vereitelt.«

»Von dritter Seite vereitelt? . . . Ich begreife nicht, was Sie meinen, Herr Professor.« Captain Dryden sah Professor Eggerth verständnislos an.

»Das ist mit wenigen Worten erklärt, Captain Dryden. Wir sahen von ›St 25‹ aus Ihr Schiff in gefährlicher Nähe beim Nordstrand und kamen im Sturzflug herunter, um Sie zu veranlassen, die hohe See aufzusuchen. Leider kamen wir zu spät. Einer von Ihrer Mannschaft, es war ein gewisser O'Brien . . .«

»Der gehört zu Mr. Garrisons Leuten«, fiel ihm Captain Dryden ins Wort.

»Mag sein, Mr. Dryden. Jedenfalls machte sich dieser O'Brien unbefugterweise an unsern Apparaten zu schaffen und löste dadurch vorzeitig eine Sprengung aus, die dann zwangsläufig alles Weitere zur Folge hatte. Uns selbst blieb in diesem kritischen Augenblick nichts anderes übrig, als in die Stratosphäre zu flüchten, denn wir wußten, daß die Folgen, die der ungeschickte Fingerdruck eines Unkundigen nach sich ziehen mußte, im wahrsten Sinn des Wortes erderschütternd sein würden.«

»Mich kostet diese Sprengung mein gutes Schiff«, begehrte Captain Dryden auf. »Die Verantwortung dafür fällt auf diejenigen, welche die Sprengung veranlaßt haben. Auf Sie, Herr Professor, auf den Reichskommissar Dr. Wille . . . auf . . . ich weiß nicht, wen sonst noch alles. Letzten Endes jedenfalls auf die deutsche Regierung. Man wird mir meinen Verlust ersetzen müssen, und ich werde nicht ruhen, bevor es geschehen ist. Ich werde, wenn's nötig ist, deswegen nach Washington gehen und selbst mit unserm Präsidenten . . .«

»Halt, Mr. Dryden«, unterbrach ihn Professor Eggerth. »Versündigen Sie sich nicht! Sie sollten Ihrem Schöpfer dafür danken, daß Sie und Ihre Leute mit dem Leben davongekommen sind. Es ist ein Wunder, daß Ihr Schiff hier heil und unversehrt auf sicherem Grund liegt. Ebensogut konnten die vulkanischen Kräfte, für deren vorzeitige Entfesselung wir keine Verantwortung haben, es bis in die Wolken schleudern, konnten es in Atome zerfetzen . . . konnten es in glühender Lava begraben. Sie haben ein unerhörtes Glück bei der Sache gehabt, Captain Dryden. Vergessen Sie das nicht!«

Der Ernst, mit dem Professor Eggerth sprach, verfehlte seine Wirkung auf Dryden nicht. Er begann zu begreifen, daß der Tod, ein grauenvoller Tod, dicht an ihm und seiner Mannschaft vorübergegangen war.

»Ist das wirklich so, Herr Professor?« fragte er unsicher.

»Es ist so, wie ich es sagte, Mr. Dryden. Über Ihr Schiff und Ihre Ansprüche können wir uns noch später unterhalten.«

Brown nickte zustimmend. »Sehr richtig, Herr Kollege. Das gleiche habe ich Captain Dryden auch schon gesagt. Jetzt handelt es sich doch darum, Dispositionen für die nächste Zeit zu treffen.«

»Deshalb kam ich hierher«, fuhr Professor Eggerth fort. »Ihr Schiff, Mr. Dryden, mit allem, was dran und drin ist, steht in sicherer Obhut der deutschen Verwaltung. Wir bürgen Ihnen dafür, daß nichts davon abhanden kommt. Für die Schiffsbesatzung dürfte es hier im Augenblick keine Verwendung geben. Ich hatte deshalb schon gestern mit einem Landsmann von Ihnen, dem Kapitän MacClure, dessen Jacht, die ›Silver Star‹, draußen bei der neuen Küste vor Anker liegt, eine Besprechung. Er hat sich bereiterklärt, jeden, der mitkommen will, an Bord zu nehmen und zu einem geeigneten Hafen zu bringen. Die ›Silver Star‹ hat reichlich Raum. Die Leute, die mit ihr fahren wollen, können ihr ganzes Hab und Gut gleich mit an Bord nehmen. Auch sonst könnte noch manches, was Sie, Mr. Dryden, von der ›Berenice‹ nach den Staaten schaffen wollen, sofort dorthin gebracht werden.«

Captain Dryden tauschte einen Blick mit Garrison, fragte dann: »Wie denken Sie darüber, Mr. Garrison?«

Der nickte. »Ich halte das für einen sehr brauchbaren Vorschlag, Captain. Es hätte keinen Sinn, die Leute hier untätig herumsitzen zu lassen. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Professor, werde ich auch mit MacClure sprechen und die geldliche Seite der Angelegenheit mit ihm regeln.«

Dryden vernahm den Vorschlag Garrisons mit einer stillen Genugtuung. Wenn der Sekretär des Carnegie-Instituts schon hier von einer geldlichen Regelung sprach, würde er vielleicht auch wegen einer Entschädigung für die ›Berenice‹ mit sich reden lassen.

»Was soll mit den Forschern geschehen, die ich an Bord habe?« fragte er weiter.

»Ich denke, wir geben sie auch an Bord der anderen Jacht«, schlug Garrison vor.

»Ich weiß nicht, ob sie damit einverstanden sein werden«, meinte Captain Dryden zweifelnd.

»Die Leute stehen im Dienst des Carnegie-Instituts und haben sich meinen Anordnungen zu fügen«, entschied Garrison.

»Hoffentlich tun sie es auch«, warf Dryden ein. »Die Herrschaften sind versessen darauf, den Boden des Neulandes zu durchforschen. Es wird nicht ganz leicht sein, sie von diesem Steckenpferd abzubringen.«

»Es wird sehr leicht sein, Captain«, erklärte Garrison kategorisch. »Ich werde den Leuten den Kopf schon zurechtsetzen. Wichtiger ist für mich die Frage, wie ich mein Flugzeug flott bekomme; es kann nur vom Wasser aus starten.«

»Dafür ist ›St 25‹ da«, sagte Professor Eggerth lachend. »Unser Schiff wird Ihre Maschine unter seine Fittiche nehmen und sicher auf der See absetzen. Es wäre ja nicht das erstemal, daß ›St 25‹ das Manöver macht. Damit wollen wir unsere Arbeiten beginnen. Sie, Captain Dryden, bitte ich, Ihre Leute antreten zu lassen und alles, was mitgenommen werden soll, von Bord zu schaffen.« – – –

Zehn Minuten später stieg ›St 25‹ über dem Achterdeck der ›Berenice‹ senkrecht in die Höhe. In seinen Greifern hielt das riesige Stratosphärenschiff das Flugzeug Garrisons. Wie ein Habicht, der eine Taube geschlagen hat, schwebte es damit ab und nahm Kurs auf die See zu. Captain Dryden stand auf dem Deck der ›Berenice‹ und blickte dem Schiff nach, sah wie es in der Ferne verschwand und atmete schwer.

›Wenn die deutsche Maschine mein Schiff auch so in die Krallen nehmen und zur See bringen könnte‹, ging es ihm durch den Sinn . . . aber das war ja ein unerfüllbarer Wunsch. Er seufzte schmerzlich auf; sein Schiff war verloren. Jetzt galt es, die Reste seiner Habe und das Eigentum seiner Leute zu bergen. Er trieb sie zur Eile an, und bald häuften sich Kästen und Kisten neben der ›Berenice‹ zu einem stattlichen Stapel auf.

Propellerdröhnen wurde von ferne vernehmbar, schwoll auf und übertönte bald jeden anderen Laut. Kam ›St 25‹ schon von der See zurück? Captain Dryden blickte in die Richtung, aus der das Geräusch herkam und sah eine lange Kette von Flugschiffen heranziehen. Ein Geschwader von . . . er zählte die schimmernden Bauten, als sie über seinem Schiff dahinstrichen . . . zwanzig . . . dreißig . . . vierzig . . . neunundvierzig Schiffe waren es. Eine ganze Luftflotte schickte Deutschland nach seiner neuen Kolonie. Was mochten die Schiffe hier vorhaben, fragte er sich noch, als ein beträchtliches Stück hinter diesen Schiffen auch ›St 25‹ wieder herankam und neben der ›Berenice‹ niederging. Dann riß ihn die Stimme Professor Eggerths aus seinen Sinnen. Jetzt galt es, sich zu rühren und zuzufassen. Der große Umzug begann. So ziemlich alles, was nicht niet- und nagelfest war, hatte die Besatzung der ›Berenice‹ inzwischen herausgeschleppt, und sechsmal mußte ›St 25‹ schwer beladen den Weg zur See und zur ›Silver Star‹ hin machen, um alles fortzuschaffen. Der Vormittag und auch noch die ersten Nachmittagsstunden gingen darüber hin, dann war alles glücklich an Bord der Jacht verstaut. Ein letzter kurzer Abschied noch von Professor Eggerth und den Leuten von ›St 25‹, dann hob sich das Stratosphärenschiff wieder von der Wasserfläche ab und nahm Kurs auf die Insel. – – –

MacClure war ein alter erfahrener Seemann, der so manchen Sturm und mehr als einen Schiffbruch erlebt hatte. Er konnte mitfühlen, wie es einem Kapitän, der sein Schiff verloren hat, ums Herz ist, und verzichtete darauf, Dryden mit billigen Worten zu trösten. Mit seinen Sorgen und Gedanken allein, stand Captain Dryden auf dem Achterdeck der ›Silver Star‹ und schaute nach Süden wo, seinen Blicken von hier aus nicht mehr erreichbar, die ›Berenice‹ lag. An frühere Fahrten dachte er, an glückliche sorgenlose Jahre, die er auf den Planken seines alten Schiffes verbracht hatte. Die Zeit verrann darüber. Wohl eine Stunde mochte verstrichen sein, als er aus seinen Sinnen auffuhr und zur Kommandobrücke ging, um MacClure zu treffen.

Er fand dort nur einen Matrosen, hörte von dem, daß MacClure in seiner Kabine wäre und suchte ihn dort auf. So entging ihm etwas, das er von seinem früheren Standort auf Deck sicher gesehen hätte. Die deutsche Stratosphärenflotte, die auf dem alten Liegeplatz auf der Insel niedergegangen war, stieg wieder auf und schwebte in einer eng geschlossenen Formation zu der Stelle hin, wo die verlassene ›Berenice‹ lag.

Captain Dryden war ohne einen bestimmten Grund zu MacClure gekommen, nur von dem Drang getrieben, sich irgendeinem Menschen gegenüber aussprechen zu können, um seine eigene Stimme und die eines anderen zu hören und wenigstens vorübergehend die trüben Gedanken loszuwerden. Er sprach von diesem und jenem; fragte zuletzt, wann der andere den Anker aufholen lassen und die Fahrt beginnen würde.

MacClure blickte auf die Wanduhr. Eine kurze Weile zögerte er mit der Antwort in Erinnerung an die letzte kurze Besprechung, die er vor einer Stunde unter vier Augen mit dem deutschen Professor gehabt hatte.

»Ich möchte keine falschen Hoffnungen erwecken. Die Enttäuschung würde danach um so größer sein«, hatte der ihm gesagt. »Warten Sie, bis es soweit ist, sprechen Sie erst, wenn es wirklich gelungen ist.«

Ungeduldig wiederholte Captain Dryden seine Frage.

»Ich kann es noch nicht sicher sagen, Sir«, antwortete MacClure ausweichend. »Vielleicht in einer Stunde. Wir müssen uns noch ein Weilchen gedulden.«

»Gedulden? Ich verstehe Sie nicht, Mr. MacClure. Worauf warten Sie denn noch?«

Der Kapitän der ›Silver Star‹ schien einen Augenblick mit sich selbst uneins zu sein. Dann griff er mit einem schnellen Entschluß nach seiner Mütze. »Ja, ich erwarte noch etwas«, sagte er ausweichend. »Ich möchte einmal Ausschau halten.«

Von der Brücke aus hatten sie einen freien Ausblick nach Süden. MacClure griff zu einem Fernglas und beobachtete geraume Zeit hindurch den Horizont. Wie es Dryden schien, richtete er das Glas gerade auf diejenige Stelle, wo hinter der Kimme die ›Berenice‹ liegen mußte.

Captain Dryden kniff die Lider zusammen, um schärfer sehen zu können, und glaubte auch mit unbewaffnetem Auge dort etwas zu erblicken. Etwas weit ausgedehnt Blinkendes, das sich dicht über der Kimme vom dunklen Blau des Himmels abhob. Für das deutsche Luftgeschwader hielt er es, das dort wohl in enggeschlossener Formation einen Flug machte. Vom angestrengten Hinschauen begannen ihm die Augen zu tränen. Er mußte sie für einen Moment schließen. Als er sie wieder öffnete, hielt ihm MacClure sein Glas hin.

Captain Dryden schaute hindurch und erblickte nun scharf und klar, was er bisher nur undeutlich und verschwommen gesehen hatte. Es waren in der Tat die Schiffe der deutschen Luftflotte, die dort im Süden dicht zusammengedrängt im Äther standen. So eng zusammen, daß Captain Dryden sich keine Erklärung über den Zweck dieses ungewöhnlichen Manövers machen konnte.

Kopfschüttelnd nahm er das Glas wieder von den Augen, fragte: »Wissen Sie, MacClure, was das zu bedeuten hat?«

MacClure zuckte die Achseln, begann dann langsam zu sprechen. »Die deutsche Stratosphärenflotte hat Nordkurs. Wenn sie näher heran ist, werden wir es wohl sehen können. Bis dahin müssen wir uns gedulden.«

»Gedulden?!« Da war das Wort wieder, das MacClure vor kurzem schon einmal gebraucht hatte. Was meinte er damit? Hing das, was er erwartete, mit der Stratosphärenflotte dort zusammen? Merklich näher war die Gruppe der Flugschiffe jetzt herangekommen. Auf etwa 10 Kilometer schätzte Captain Dryden den Abstand noch, horchte schärfer hin und glaubte auch bereits Motordröhnen und Propellerbrausen zu vernehmen. Wie mächtig mußten diese Maschinen arbeiten, wie mußten ihre Motoren donnern und krachen, wenn das Geräusch über solche Entfernung hin noch hörbar war, ging es Dryden durch den Kopf, während er das Glas wieder an die Augen brachte.

Viel deutlicher war das Bild inzwischen geworden. Beängstigend dicht neben- und übereinander standen die schimmernden Riesenvögel in der Luft. Sehr hoch konnten sie auch nicht sein, denn auf die Entfernung hin sah es immer noch so aus, als ob sie sich dicht über dem Boden hin bewegten. Auf 100, höchstens 150 Meter schätzte Captain Dryden die Höhe, während er unentwegt durch das Glas starrte.

Unverkennbar war es jetzt, daß die Luftflotte Kurs auf die ›Silver Star‹ hin hielt; offensichtlich auch, daß die Schiffe nur sehr langsam flogen, in der Hauptsache wohl an ihren Hubschrauben hingen und die Horizontalpropeller nur schwach arbeiten ließen.

Captain Dryden setzte das Glas wieder ab. »Die Flotte kommt auf uns zu. Ist es das, was Sie erwarten?« fragte er MacClure.

»Das ist es, was ich erwarte, Mr. Dryden. Ich hoffe, es wird für uns alle eine erfreuliche Überraschung sein. In zehn Minuten werden wir es wohl wissen.«

Unaufhaltsam war das Luftgeschwader inzwischen näher gekommen. Wieder griff Dryden zu dem Fernglas, und jetzt konnte er bereits erkennen, daß die Höhe, in der die Schiffe flogen, doch nicht ganz so gering war und noch etwas anderes erblickte er jetzt, das unter ihnen über die Kimme hinaufkam. Ein dunkles massiges Etwas, das sich unter ihnen mit zu bewegen schien. Eine mächtige Last, die von der ganzen Flotte getragen und mitgenommen wurde.

Dryden ließ das Glas sinken und schloß die Augen. MacClure nahm es ihm aus der Hand und schaute selbst hindurch. Wie im Traum, wie aus weiter Ferne vernahm Dryden zwischen dem immer stärker werdenden Motorendonner die Stimme MacClures.

»Ich glaube Dryden, die Deutschen schaffen es. Sie bringen Ihnen Ihr Schiff hierher.«

Dryden krallte seine Hände um die Reling, als wolle er das Eisenrohr zerdrücken. Er fühlte seine Kehle trocken werden, brachte nur unzusammenhängende Worte hervor.

»Unmöglich, MacClure! . . . Die ›Berenice‹ . . . mein Schiff . . . ein Viertausendtonner . . .«.

»Die Deutschen kamen mit fünfzig Schiffen«, sprach MacClure weiter. »Der deutsche Professor sagte mir, daß jedes der Schiffe hundert Tonnen tragen kann. Das würde langen, Dryden, um Ihre ›Berenice‹ wieder zu Wasser zu bringen.« – – –

*

Viel früher als die beiden Männer auf der Brücke der ›Silver Star‹ konnte James Garrison die Vorgänge beobachten, die sich um Captain Drydens Schiff abspielten, nachdem seine Besatzung an Bord der ›Silver Star‹ gebracht worden war. Ursprünglich hatte der Amerikaner die Absicht gehabt, mit seinem Flugzeug sofort Kurs nach den Staaten zu nehmen, aber eine Bemerkung, die Professor Eggerth beim Abschied so nebenher hinwarf, hatte ihn neugierig gemacht. Er war mit seiner Maschine aufgestiegen, doch anstatt auf Nordostkurs zu gehen, kreiste er noch eine Weile in mäßiger Höhe zwischen der ›Silver Star‹ und dem neuen Nordufer der Insel, und bald bekam er hier in der Tat etwas zu schauen, was ihn höchstlich interessierte.

Er sah die ganze Stratosphärenflotte von ihrem alten Liegeplatz aufsteigen, zu Drydens Schiff hinschweben und dort wieder niedergehen. Er sah viele Dutzende von Werkleuten aus den Schiffen herausströmen, die sich mit eigenartigen Maschinen und Apparaten an der ›Berenice‹ zu schaffen machten. Trockenbagger von einer ihm bisher nicht bekannten Art schienen es ihm zu sein, die dort angesetzt wurden und an zehn Stellen den Schlick und Sand unter dem Rumpf der ›Berenice‹ weggruben. Andere Gruppen von Werkleuten sah er dann armstarke Stahlkabel über den Boden dahinschleifen, sah einzelne Menschen in den von den Baggern ausgehöhlten Gruben verschwinden und jene Seile hinter sich her zerren, sah mit stockendem Atem, wie sie an der anderen Seite des Schiffes wieder hervorkamen und die stählernen Schlangen nach sich zogen.

Weiter ging das rätselhafte Spiel dort unten. Nach einem anscheinend vorher genau festgelegten Plan wickelte es sich ab. So exakt und ohne alle Störungen verlief es, als ob es vorher genau eingeübt worden sei. Andere etwas schwächere Stahldrahtseile wurden an jene ersten gefügt, die man unter dem Kiel der ›Berenice‹ hindurch gezogen hatte. Ehe Garrison im Pilotenraum seines Flugzeuges noch recht begriff, was dort unten geschah, waren die Mannschaften bereits wieder verschwunden, waren in die Stratosphärenschiffe zurückgekehrt, deren Motoren jetzt zu trommeln, deren Hubschrauben zu wirbeln begannen.

Fünfzig der schimmernden Kolosse zählte Garrison, fünfundzwanzig lagen zu jeder Seite der ›Berenice‹. In fünf Reihen zu je fünf Schiffen waren sie auf Steuerbord und Backbord angeordnet, lagen genau ausgerichtet da.

Stärker schwoll der Motorendonner an, und die beiden äußersten Reihen der Stratosphärenschiffe lösten sich vom Boden und schwebten langsam empor. Schon folgten ihnen die nächsten, dann auch die dritten, vierten und fünften Reihen. In fünf Etagen stand die Stratosphärenflotte jetzt übereinander, und durch ein scharfes Glas konnte James Garrison erkennen, daß sie durch zahlreiche Stahldrahtseile zu einer Art von Netz verbunden waren, das an den zehn Hauptseilen endete, die unter dem Kiel der ›Berenice‹ lagen. Und dann mußte er sich trotz der Entfernung die Ohren zuhalten, denn zu einem kaum noch erträglichen Donnern und Krachen schwoll das Gebrüll von zweihundert Motoren auf. Eine halbe Million Pferdestärken arbeitete in ihren Zylindern, peitschte die Hubschrauben in rasendem Wirbel durch die Luft, hob die Metallbauten höher und zerrte mit Riesenkräften an den stählernen Seilen.

Und dann geschah es. Ein Rucken und Zucken ging durch den Rumpf der ›Berenice‹. Das stark nach Steuerbord überliegende Schiff richtete sich langsam auf, stand noch einen kurzen Augenblick auf dem Boden und hob sich dann langsam von ihm ab. Von einer Flotte von fünfzig Stratosphärenschiffen getragen, hing es frei pendelnd in der Luft. Dann begannen die Horizontalpropeller der Stratosphärenflotte auch zu spielen, in mäßiger Fahrt schwebte dies ganze wundersame Gebilde auf Nordkurs davon, kaum 100 Meter über dem Boden Captain Drydens Schiff. 100 . . . 200 . . . 300 Meter darüber die großen durch ein Stahldrahtnetz zusammengekoppelten Flugschiffe Professor Eggerths.

James Garrison war entschlossen, sich keinen Akt dieses Dramas entgehen zu lassen. Aber sein Flugzeug war kein Hubschrauber, es mußte in schneller Fahrt bleiben, wenn es sich in der Luft halten wollte. So folgte er der abziehenden Stratosphärenflotte, weite Kreise ziehend in einiger Entfernung, die Lippen zusammengepreßt, die Augen weit aufgerissen beobachtete er, wie sie Kilometer um Kilometer gewann und der See immer näher kam.

Schon konnte er dort draußen die ›Silver Star‹ vor Anker liegen sehen. Jetzt überschritt die Stratosphärenflotte die neue Uferlinie und schob sich über das Meer hinaus. Immer langsamer wurde dabei ihr Flug, immer schwächer liefen die Horizontalpropeller, während die Hubschrauben mit unveränderter Stärke donnerten und dröhnten. Jetzt schien das ganze dicht bei der ›Silver Star‹ fast stillzustehen; jetzt begann es sich langsam zu senken.

Schon berührte der Kiel der ›Berenice‹ die blaue Fläche, schon tauchte ihr Rumpf wieder in das feuchte Element ein, dem eine Naturkatastrophe sie entrissen hatte. Die schweren Seile, die bisher straff bis zum Reißen gespannt gestanden hatten, wurden schlaff, und dann kam ein neues Manöver.

James Garrison konnte nur sehen, wie es schlagartig ausgeführt wurde. Wie es zustande kam, wie in diesem Moment die Empfänger von neunundvierzig Stratosphärenschiffen gleichlautende Kommandos von ›St 25‹ aufnahmen, das konnte er nicht wahrnehmen. Er sah nur, wie die Seile der Steuerbordgruppe plötzlich abgeworfen wurden und klatschend ins Meer fielen, wie fünfundzwanzig Stratosphärenschiffe aus ihrer Verstrickung befreit, sich voneinander lösten und in weit ausholendem Bogen auf Südkurs gingen.

Ein ähnliches Schauspiel danach bei der Backbordgruppe. Vierundzwanzig Schiffe ließen auch hier die Trossen fallen. Nur noch ›St 25‹ hatte Verbindung mit dem Seilwerk und an Bord von ›St 25‹ begannen Motorwinden zu arbeiten, welche die Drahtseile Meter um Meter einholten. Während das Wasser von ihnen ablief, wurden sie mit Motorkraft durch eine offene Luke in den Kielraum von ›St 25‹ hineingezogen. Schon waren sie darin verschwunden und geschäftige Hände dabei, die Öffnung wieder hermetisch zu verschrauben.

Garrison konnte nicht sehen, was weiter im Inneren des Stratosphärenschiffes geschah; wie dort die einzelnen Trossen wieder voneinander gelöst, aufgerollt und sorgsam gestapelt wurden. Er sah nur, wie vierundzwanzig Schiffe der Backbordgruppe der bereits vorausgeflogenen Steuerbordgruppe folgten, während ›St 25‹ dicht neben der ›Berenice‹ wasserte. Sah schließlich noch, wie Leute von der Besatzung des Flugschiffes an Bord von Drydens Schiff gingen, wie ein Leichtmetallboot von ›St 25‹ abstieß, zur ›Silver Star‹ hinüber fuhr und dort am Fallreep festmachte. Da konnte er seine Neugierde nicht länger zügeln, brachte auch sein Flugzeug zu Wasser und trieb mit langsam laufenden Propellern auf die ›Silver Star‹ zu.

Er kam zurecht, um noch zu sehen, wie Professor Eggerth am Fallreep der ›Silver Star‹ emporstieg und auf das Achterdeck eilte, wo MacClure und Dryden ihn erwarteten. – – –

Benommen von dem Wunder, das seine Augen gesehen hatten und sein Herz doch immer noch nicht zu fassen vermochte, war Captain Dryden unfähig, ein Wort hervorzubringen. Nur die Hand Professor Eggerths ergriff er und preßte sie mit einem langen, fast schmerzhaften Druck. Unverwandt hingen seine Augen an der ›Berenice‹, die sich, kaum 50 Meter von der ›Silver Star‹ entfernt, in einer leichten Dünung des Ozeans wiegte. Er scheute sich, die Lider zu schließen, als fürchte er, daß sein Schiff wieder verschwinden könne, wenn er es nicht ständig mit seinen Blicken umfaßte. Etwas Starres kam dadurch in seine Züge. Wie ein Nachtwandler, der zu sehen scheint und doch nicht sieht, schaute er unverwandt auf sein Schiff . . . sein Schiff, das er verloren geglaubt, und das ihm wie durch ein Wunder wiedergeschenkt worden war.

Auch Professor Eggerth war ergriffen. Erst jetzt, nachdem das Wagnis geglückt war, kam ihm die überstandene Gefahr zu vollem Bewußtsein. Während er schweigend die Hand Drydens in der seinen hielt, wogten seine Gedanken traumhaft hin und her, zogen ihm Bilder von Katastrophen, schweren Stürzen und Niederbrüchen durch den Sinn. Im Geiste sah er Trossen brechen, hörte Seile mit schrillem Klang zerreißen, sah die ›Berenice‹ in jähem Sturz in die Tiefe fallen, zerschellen, sah die Schiffe seiner Stratosphärenflotte mit in den Fall verwickelt, in das Trossennetz verstrickt, in die Tiefe gerissen werden; sah sie in lodernden Flammen vergehen.

Mit Gewalt suchte er der dunklen Gedanken und Bilder Herr zu werden, versuchte die gelungene Tat noch nachträglich vor sich selber zu rechtfertigen. Durchflog in Gedanken noch einmal die Rechnung, die er vor sechzig Stunden in einer schlaflosen Nacht durchgeführt hatte, bevor er sich zu dem Entschluß aufraffte, alle verfügbaren Schiffe seiner Werke durch Funkspruch heranzurufen. Und wie er die Zahlen noch einmal im Geiste durchging, begann der Spuk zu verfliegen, überkam ihn ein beglückendes Bewußtsein, daß er richtig gerechnet, und der Erfolg seine Rechnung bestätigt hatte.

In sein nachdenkliches Sinnen klangen die Worte MacClures. »Meinen Glückwunsch, Herr Professor. Sie haben Unerhörtes geleistet. Uns stockte der Atem, als wir Ihre Flotte herankommen sahen. Befreit haben wir aufgeatmet, als die ›Berenice‹ wieder in ihrem Elemente schwamm. Hallo, Dryden! Wollen Sie nicht wenigstens Dankeschön sagen?«

Während MacClure die letzten Worte sprach, schlug er Dryden kräftig auf die Schulter, und die körperliche Erschütterung des Schlages wirkte lösend auf den Bann, der den Captain gefangenhielt. Die Erstarrung fiel von ihm ab. Leben und Bewegung kehrten in seine Gestalt und in seine Züge zurück. Jetzt ging ihm der Mund von dem über, dessen sein Herz voll war, und Worte heißen Dankes kamen sich überstürzend von seinen Lippen.

Professor Eggerth war kein Freund von großen Worten. Leicht verlegen versuchte er die Lobsprüche abzuwehren, die Dryden und MacClure seiner Tat nachträglich zollten.

»Es war ein Versuch, meine Herren«, sagte er, »der um der Wissenschaft willen unternommen werden mußte. Die Aufgabe, eine größere Last auf mehrere Stratosphärenschiffe zu verteilen, beschäftigt uns bereits seit geraumer Zeit, und hier bot sich eine willkommene Gelegenheit, das Experiment mit einem größeren Objekt zu machen. Daß wir bei dieser Gelegenheit Ihr Schiff wieder glücklich zu Wasser bringen konnten, freut mich für Sie, Captain Dryden. Aber auch wir haben viel dabei gelernt. Die Ergebnisse, die wir gewannen, sind uns gerade für die kommenden Arbeiten auf der Insel sehr wertvoll. Wir werden hier Maschinen und andere schwere Bauteile brauchen, deren Gewicht über das Tragvermögen eines Stratosphärenschiffes hinausgeht, und wir werden sie so schnell benötigen, daß wir den langsameren Wasserweg dafür nicht wählen können. Seit heute weiß ich, daß wir unsere Stratosphärenflotte dafür zu Hilfe nehmen können . . . Also Mr. Dryden . . .« schloß Professor Eggerth seine Rede, »sind eigentlich wir Ihnen zu Dank verpflichtet, weil Sie uns Gelegenheit gaben, das Problem zu studieren.«

MacClure konnte seine Heiterkeit nicht verbergen. »Sehr hübsch gesagt, Herr Professor«, meinte er lachend. »Der Retter bedankt sich bei dem Geretteten dafür, daß er ihn retten durfte. Aber es stimmt schon mit dem überein, was mir über die Vertreter der deutschen Wissenschaft zu Ohren gekommen ist. Gestatten Sie mir wenigstens, Sie zu einem Lunch an Bord der ›Silver Star‹ einzuladen. Ich hoffe, das werden Sie mir nicht abschlagen.«

Bevor der Professor noch mit ja oder nein antworten konnte, mischte sich Dryden ein. »Ein Lunch . . . gewiß, ja! Selbstverständlich aber nicht hier, sondern an Bord der wiedergewonnenen ›Berenice‹«

Captain Dryden beharrte auf seiner Einladung und verstand sie durchzusetzen. Gemeinsam fuhren sie zu Drydens Schiff hinüber, und in der Messe der ›Berenice‹ wurde die Tafelrunde schnell größer.

James Garrison, dessen angeborene Neugier alle Fehlschläge und Rippenstöße des Schicksals immer noch nicht zu verringern vermocht hatten, konnte es sich natürlich nicht versagen, ebenfalls an dieser Mahlzeit teilzunehmen und kam über das Fallreep an Bord der ›Berenice‹, und bald folgten auch die beiden Doktoren Wille und Schmidt. Zu sechst saß man bei Tisch und zwischen den einzelnen Gerichten konnte in Ruhe alles Erforderliche besprochen werden. Da war zuerst die erfreuliche Tatsache festzustellen, daß MacClure die unfreiwilligen Gäste, denen er an Bord der ›Silver Star‹ Unterkunft gewährt hatte, wieder los wurde. Mit Sack und Pack zog die Besatzung der ›Berenice‹ wieder von der ›Silver Star‹ ab.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge geschah es. Vorbei war es zwar mit der Hoffnung auf einige Wochen süßen Nichtstuns, aber schließlich waren sie doch alle froh, wieder die Planken ihres alten Schiffes unter den Füßen zu haben; die Wissenschaftler, Drydens Zoologischer Garten, nicht weniger als die Seeleute.

Nachdem das erledigt war, kamen die Dispositionen für die nächste Zukunft zur Sprache, und sowohl MacClure wie Dryden wunderten sich über die Dringlichkeit, mit der Professor Eggerth ihnen empfahl, einstweilen die Insel und auch ihre Umgebung zu meiden. Aber beide mußten ihm recht geben, als er ihnen seine Gründe entwickelte. Auf viele Meilen hin mußte ja das Fahrwasser hier neu vermessen werden, bevor eine sichere Schiffahrt möglich sein würde. Bis dahin lief jedes Schiff Gefahr, auf neuentstandene Untiefen zu rennen. Und noch etwas anderes führte der Professor für seine Ansicht ins Treffen. Es sei nicht ausgeschlossen, meinte er, daß auch jetzt noch plötzliche Veränderungen des Seebodens eintreten könnten. Veränderungen, bei denen dann ein Schiff trotz aller Vorsicht und allen Lotens doch plötzlich wieder auf dem Trockenen sitzen könnte. Das wirkte überzeugend und die beiden Kapitäne waren entschlossen, sobald als möglich die Anker zu lichten und weniger bedenkliche Gewässer aufzusuchen.

»Kommen Sie in einem Jahr wieder«, sagte Professor Eggerth zum Schluß, »dann wird es hier wesentlich anders aussehen. Dann werden Sie nicht nur ein gut vermessenes Fahrwasser finden, sondern, wie ich hoffe, auch brauchbare Hafenanlagen. In einem Jahr werden wir auch nicht mehr mit neuen Bodenbewegungen zu rechnen haben. Und das neue Land, das jetzt noch wüst und leer daliegt . . . ich hoffe, meine Herren, das werden Sie bei Ihrem nächsten Besuch auch sehr verändert wiederfinden.« – – –

Alles war besprochen, und das Mahl ging zu Ende. Es wurde Zeit zum Aufbruch. Ein kurzes Abschiednehmen und Händedrücken noch auf dem Deck der ›Berenice‹, dann gingen sie auseinander. Professor Eggerth lud Garrison in sein Boot ein, um ihn zum Flugzeug zu bringen, bevor er selbst zu ›St 25‹ fuhr.

»Mein lieber Mr. Garrison«, sagte er vertraulich und für die anderen unhörbar zu ihm, als das Boot bei der amerikanischen Maschine anlegte, »nehmen Sie meinen Rat mit. Machen Sie keine leichtsinnigen Experimente in den Staaten. Ich warne Sie, Mr. Garrison«, fuhr er ernster fort, als James Garrison etwas dagegen zu sagen versuchte. »Es ist leicht, die Kräfte der Tiefe zu entfesseln, aber schwer, sie zu beherrschen.« – – –

»Was hatten Sie mit dem Amerikaner zu besprechen?« fragte Wille, als das Boot zu ›St 25‹ hinüber fuhr.

»Ich habe ihn gewarnt, Herr Doktor«, sagte der Professor nachdenklich, »aber ich fürchte, er wird es trotzdem nicht lassen . . . und sich vielleicht die Finger verbrennen.«

»Wer nicht hören will, muß fühlen«, bemerkte Dr. Schmidt trocken, »aber noch eine andere Frage, Herr Professor. Glauben Sie in der Tat, daß wir noch mit stärkeren Veränderungen des Seebodens zu rechnen haben?«

Professor Eggerth lachte. »Keine Spur, Herr Doktor. Ich bin überzeugt, daß unser Experiment auf lange Zeit einen Ausgleich der unterirdischen Kräfte herbeigeführt hat, aber ich hielt es nicht für nötig, das den beiden alten Seebären auf die Nasen zu binden, und wie Sie sehen, haben meine Mitteilungen den gewünschten Erfolg gehabt. Die Herren Dryden und MacClure dampfen schon in voller Fahrt nach Norden ab. Wir können ohne überflüssige Zuschauer an unsere nächsten Arbeiten gehen.«

*

Vieles hatte James Garrison von seinem Flugzeug aus beobachten können, aber doch bei weitem nicht alles. Wohl konnte er sehen, was die deutsche Stratosphärenflotte bei der von ihrer Besatzung verlassenen ›Berenice‹ unternahm, aber entgangen war ihm all das, was vorher schon auf der Insel geschah, als die Schiffe das erstemal dort auf dem alten Liegeplatz niedergingen. Da waren den geöffneten Luken der mächtigen Flugschiffe Menschen und immer wieder Menschen entstiegen. Werkleute der verschiedensten Berufe, mehr als zweitausend im ganzen, und dann begannen Kräne und Winden zu arbeiten und schafften unabsehbares Gut von Bord der Flotte. Maschinen aller Art, Kraftmaschinen, Lichtmaschinen, Baumaschinen, schwere Traktoren, vielscharige Pflüge; weiter dann stählerne Bauteile, allerlei Träger und Gitterwerk. In Stapeln und Haufen lagerte das alles auf der alten Wiesenfläche, eine Last von fast 2000 Tonnen gab die Flotte von Bord, bevor sie derartig geleichtert wieder aufstieg, um das Rettungswerk an Captain Drydens Schiff zu vollbringen.

Denn nicht nur deshalb war sie ja von Deutschland gestartet. Nur nebenher gewissermaßen erfolgte die Bergung der ›Berenice‹, die Garrison dann beobachten konnte. Der eigentliche Zweck der Expedition war es, Menschen, Maschinen und Werkstoffe nach der vergrößerten Insel zu bringen. Wie ein befruchtender Strom sollte menschliche Arbeit sich über das Land ergießen, das eben erst der See entstiegen, noch wüst und leer dalag, zielbewußte Arbeit sollte ein Paradies entstehen lassen, wo jetzt noch unfruchtbarer Sand und Schlick lagen.

Vorbereitet waren die Pläne dafür schon seit Wochen. Immer wieder waren in jenen Tagen, die man des Nebels wegen scheinbar tatenlos verbringen mußte, die Funksprüche zwischen ›St 25‹ und Deutschland hin- und hergegangen und hatten in hundert deutschen Werken Maschinen laufen, Öfen glühen und Hämmer dröhnen lassen. In Tag- und Nachtschichten war es so gegangen, und als endlich jener Funkspruch kam, der die Stratosphärenschiffe nach der Insel rief, war alles bis auf das letzte Rad und die letzte Schraube zur Verladung bereit.

Nun konnte die Arbeit beginnen, eine Arbeit, deren Übermaß auch Männer, wie Wille und Schmidt und den Professor, zu Anfang bedrückte. Zuerst galt es, die Schäden zu beseitigen, die das Erdbeben an den Baulichkeiten auf dem alten Areal der Insel verursacht hatte. Das Verwaltungsgebäude ließ sich ausbessern, bei dem Maschinenhaus hätte es sich nicht gelohnt. Sprengstoff riß die Ruine, die hier noch übriggeblieben war, vollends in Trümmer und ein neuer Bau wurde an der gleichen Stelle begonnen.

In Mengen von vielen Tausenden von Kubikmetern wurde Beton für die Bauten benötigt, die auf der Insel entstehen sollten. Zehnmal und noch öfter hätte die ganze große Stratosphärenflotte den Flug um den halben Globus machen müssen, wenn man den dafür erforderlichen Zement aus Deutschland holen wollte. Aber schon damals, als man hier die ersten beiden Gebäude errichtete, hatte Dr. Schmidt eine andere Möglichkeit entdeckt; die zum Teil bereits verwitterten Auswurfstoffe an den Hängen des Vulkans am Nordufer boten ein geeignetes Ausgangsmaterial für einen guten Zement. Man brauchte sie nur zu zerkleinern, zu brennen und zu mahlen. Mit Eifer hatte Professor Eggerth die Anregung des langen Doktors aufgegriffen, und alles für die Verwirklichung der Idee Notwendige befand sich bereits unter der Ladung, welche die Stratosphärenflotte zur Insel brachte.

Schon standen Steinbrecher und Kollergänge arbeitsbereit, vorläufig noch provisorisch unter freiem Himmel aufgebaut. Schon begannen sie den Rohstoff zu verarbeiten, den eine ebenfalls erst behelfsmäßig angelegte Drahtseilbahn von dem Vulkanhang heranbrachte. Schon zischten die Brenner unter den rotierenden Glühöfen, und in ständigem Strom ergoß sich der köstlichste aller Baustoffe, der Zement, zu den Baustellen hin, um dort in den Betonmaschinen mit Sand, Kies und Wasser vereinigt zu Beton zu werden.

Wasser!? Das war die große, die dringende Frage. Wasser brauchte man für ein Heer von zweitausend Werkleuten, Wasser brauchte man, um den Baustoff zu bereiten, Kühlwasser schließlich auch noch für die vielen Maschinen. Behelfsmäßig stellte man zunächst eine starke Motorpumpe am Rand des neuen Stausees auf und drückte das Wasser durch eine Rohrleitung über die Bodenwelle hinweg in den alten Bachlauf, in dem es nun wieder zu dem Maschinenhaus und dann weiter nach der See hin strömte. Für die ersten Tage und Wochen mußte das genügen, doch schon jetzt wurde ein anderes großes Projekt in Angriff genommen. Es galt, einen Stollen durch jenes natürliche Wehr, hinter dem sich der Stausee gebildet hatte, zu treiben und ein Wasserkraftwerk zu errichten, das gleichzeitig Energie und Wasser liefern sollte.

Nur einen einzigen hölzernen Stiel braucht die Axt, dann vermag sie den ganzen Wald zu fällen. Nach diesem alten Erfahrungssatz nahmen die Dinge auch hier ihren Lauf. Als vier arbeitsvolle Wochen sich zum ersten Monat rundeten, da stand an der Stelle des alten ein neues Maschinenhaus und spendete weithin Licht und Kraft. Da hob sich nicht weit von ihm entfernt eine stattliche Zementfabrik. Da wuchsen auch bereits an neuangelegten Straßen Wohnhäuser für die Werkleute empor. Da sah alles auf dem Gelände am alten Nordufer bereits so verändert aus, daß beispielsweise Mr. Garrison die Gegend kaum wiedererkannt hätte.

Doch das bisher Geschaffte, so groß und so bedeutend es auch war, bildete doch erst einen Teil der Arbeiten, die hier nach einem großen Plan vonstatten gingen. Schon zog sich auch nach Süden hin längs durch das alte Inselareal eine breite Fahrstraße. Mit Feuer und Eisen hatte man sie durch den Tropenwald gebahnt, planiert, gewalzt, betoniert und in einer erstaunlich kurzen Zeit fertiggestellt.

Draußen aber auf dem Neuland waren Tag und Nacht die schweren Traktoren und Motorpflüge am Werk. Tief rissen die stählernen Pflugscharen den alten Seeboden auf, legten ihn in Schollen um, mischten Schlick, Sand und Korallenkalk dabei durcheinander und legten das Ganze so hin, daß die Tropensonne es so recht durchwärmen und durchglühen konnte.

Ein Quadratkilometer nach dem anderen, eine Quadratmeile nach der anderen kam so unter den Pflug. Geackert und bald auch geeggt lag der Boden da, bereit Saat aufzunehmen und Frucht zu bringen. Man müsse ihn erst noch eine Weile so liegen, ihn richtig gar werden lassen, riet Dr. Schmidt, aber Professor Eggerth war dagegen und gewann auch Dr. Wille für seine Ansicht.

»Unterschätzen Sie nicht die ungeheure Fruchtbarkeit der Natur in diesen Breiten hier«, meinte der Professor, »wenn wir den Acker hier auch nur einen Monat unbesät liegen lassen, wird er sich auch ohne unser Zutun begrünen. Millionen und Abermillionen von Keimen, die der Wind von dem alten Inselland her verträgt, werden in ihm aufgehen, und das werden wahrscheinlich Kräuter sein, an denen uns wenig liegt. Wir würden die grüne Decke nur noch einmal aufbrechen müssen und hätten nichts dabei gewonnen. Es ist besser, wir bringen das Saatgut sofort in den Boden.«

Nach seinem Rat geschah es. Auf den Pflug und die Egge folgte jetzt die Drillmaschine. Schiffe der Stratosphärenflotte verließen die Insel und kehrten wenige Tage später mit Saatkorn aller Art zurück. Viele tausend Tonnen waren ja nötig, um die riesigen neugewonnenen Flächen zu besäen, und schnell zeigte es sich, wie richtig der Rat des Professors gewesen war. Schon wenige Tage nach der Aussaat sproßten die ersten grünen Spitzen aus den Ackerrillen empor, um sich fast über Nacht zu kräftigen Halmen zu entwickeln. Gerade noch rechtzeitig ging die Saat auf, um das wilde Kraut, das sich auch schon zu regen begann, niederzuhalten und zu erdrücken. – – –

Noch einmal saß Professor Eggerth mit seinen alten Freunden Wille und Schmidt an dem runden Tisch im Verwaltungsgebäude, der mit Zeichnungen und Aktenstücken bedeckt war. Dr. Wille faltete einen Karton zusammen, der die neue Hauptstadt der Kolonie zeigte.

»Es wird Jahre dauern, Herr Professor, bis das alles in Stahl und Beton fertig ist«, sagte er nachdenklich, während er den Plan beiseitelegte.

»Sie haben ja Zeit, mein lieber Herr Doktor«, meinte der Professor. »Sie werden auf dieser Insel der Phäaken glückliche schaffensfrohe Jahre verleben. Sie werden Ihr Volk hier wachsen und gedeihen sehen und . . .« Professor Eggerth lächelte, während er es sagte, »Sie werden ihm ein gütiger und gerechter Herrscher sein.«

Dr. Wille verzog den Mund. »Das Volk wächst mir etwas zu heftig, Herr Professor. Jede Woche haben Ihre Schiffe uns neue Leute, Siedler . . . zweite und dritte Söhne von deutschen Erbhofbauern hierhergebracht. Da ist es nicht leicht, den Ansprüchen gerechtzuwerden, hundert verschiedene Wünsche zu erfüllen . . . den einzelnen mit Rat und Tat zu unterstützen. Meine Leute haben die letzte Zeit bis zum Umfallen gearbeitet.«

»Das wird schnell anders werden«, tröstete ihn Professor Eggerth. »Für morgen sind zwei Schiffe fällig, welche die beantragten Hilfskräfte für Ihren Verwaltungsapparat an Bord haben. Dann werden Sie entlastet sein.«

»Für wie lange?« fragte Dr. Wille.

»Bis zum nächstenmal«, lachte Professor Eggerth. »Darüber müssen Sie sich klar werden, mein lieber Wille, daß die Zuwanderung so bald nicht abreißen wird. Wir verfügen hier über etwa fünf Millionen Hektar fruchtbaren Landes, die besiedelt sein wollen. Zur Ruhe werden Sie so leicht nicht kommen. Trösten Sie sich mit dem Gedanken, mein lieber Doktor, daß Arbeit jung und frisch erhält.«

»Das sagen Sie, Herr Professor, und ich muß es Ihnen wohl glauben. Es ist nur schade, daß Sie uns verlassen wollen. Warum beteiligen Sie sich nicht weiter an unserer Arbeit, wenn Sie das für so bekömmlich halten?«

»Mein lieber Herr Doktor . . .« Professor Eggerth lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schöpfte tief Atem. »Wenn Sie wüßten, welche Berge von Arbeit mich in meinen Werken in Deutschland erwarten, dann würden Sie anders sprechen. Fast vier Monate lang habe ich dort alles laufen lassen müssen, wie es eben lief . . . habe mich ganz dem Unternehmen hier widmen müssen. Es ist höchste Zeit, daß ich zu Haus wieder selber nach dem Rechten sehe. Gewiß, ich habe tüchtige Direktoren und Prokuristen in Bitterfeld, aber . . . trotz alledem . . . Sie verstehen wohl, was ich meine, Herr Doktor . . .«

Wille nickte. »Gewiß, ich begreife . . . der alte Spruch, daß das Auge des Herrn das Vieh fett macht, besteht immer noch zu Recht. Aber daß Sie mir auch unsern Freund Schmidt entführen wollen, bekümmert mich.«

»Nur für acht Tage, Herr Wille, dann sollen Sie ihn wiederhaben; aber einstweilen wird er dringend in Waltershausen verlangt.«

»Waltershausen? . . . Ach so! . . . Familienangelegenheiten.«

»Richtig, Herr Dr. Wille. Da gilt es nach langer Trennung ein Wiedersehen zu feiern. Sie erinnern sich wohl noch jenes Mr. Smith, der von der Carnegie-Expedition auf der Insel zurückgeblieben war?«

Dr. Wille mußte erst ein Weilchen nachdenken. So viele und so große Erlebnisse hatten ihm die letzten Monate hier gebracht, daß die Episode seinem Gedächtnis entfallen war.

»Ich erinnere mich dunkel«, begann er zögernd, »dieser Smith entpuppte sich doch als ein Verwandter unseres Schmidt . . .«

»Als ein richtiger Neffe von ihm, Herr Doktor«, half Professor Eggerth nach. »Der junge Mann hat eine Versöhnung zustande gebracht. Sein Vater, der Bruder von unserm Doktor hier, ist jetzt auch bei dem alten Herren in Waltershausen zu Besuch, und da darf unser Schmidt hier als der vierte im Bunde nicht fehlen.«

»So, also deswegen?« meinte Wille. »Ich kann es Ihnen nachfühlen, Herr Kollege, daß Sie den Wunsch haben, Ihre nächsten Verwandten nach einer so langen Trennung wiederzusehen.«

Der lange Schmidt schnitt ein zweifelhaftes Gesicht.

»Na ja!« stieß er hervor. »Ich sehe meine Leute ganz gern wieder, aber, . . .«

». . . ich mußte ein wenig nachhelfen«, meinte Professor Eggerth lachend.

»Nachhelfen?« fuhr der lange Schmidt dazwischen. »Ich will es Ihnen nicht verschweigen, Herr Doktor, der Professor hat mich einfach in die Presse genommen. Er hat die Anstellung meines Neffen in seinen Werken davon abhängig gemacht, daß ich vorher mit ihm nach Waltershausen komme. Sagen Sie selbst, was blieb mir da weiter übrig?«

Dr. Wille schmunzelte. »Aha, das alte Rezept. Der Zweck heiligt die Mittel. Ich gönne Ihnen ein paar Ferienwochen und das Wiedersehen mit Ihren Verwandten von Herzen, lieber Kollege. Ich weiß ja, daß Sie nicht die Absicht haben, mir dauernd untreu zu werden . . .«

»In spätestens vierzehn Tagen bin ich wieder hier«, fiel ihm der lange Schmidt ins Wort, und dann wurde es Zeit, an den Aufbruch zu denken. ›St 25‹ stand zum Rückflug nach Deutschland bereit.

 


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