Hans Dominik
Land aus Feuer und Wasser
Hans Dominik

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Ein Experiment wird vorbereitet

Hein Eggerth und Georg Berkoff hatten ihre Zeit nicht verloren. Als der Professor mit Wille und Schmidt zurückkam, blinkte ihm an der Steuerbordseite des Flugschiffes, an eben jener Stelle, wo der Riß im Rumpf gesessen hatte, eine frisch aufgeschweißte Metall-Lasche entgegen.

»Ein sauberes Stück Arbeit«, äußerte er sich anerkennend, während er einige Schritte zurücktrat, um die reparierte Stelle besser betrachten zu können. »Wo stecken denn die jungen Herren? Scheinen in das Schiff zurückgegangen zu sein, um sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen.« In seine letzten Worte klangen Hammerschläge von der Backbordseite des Schiffes her und jetzt auch das Zischen von Schweißbrennern.

»Da drüben scheint auch etwas nicht zu stimmen«, meinte Professor Eggerth. »Ich muß sehen, was da los ist. Wollen Sie mitkommen, meine Herren?« wandte er sich an seine Begleiter, aber weder Wille noch Schmidt zeigten Lust dazu. Dr. Wille verspürte nach dem Marsch durch die Tropenhitze eine unbezwingliche Sehnsucht nach den gut temperierten Räumen von ›St 25‹, und dem langen Schmidt lag auch etwas anderes am Herzen. Beide verschwanden im Schiffsinneren, während der Professor außen um den Rumpf herumging.

Auf Backbord fand er, was er schon beinahe vermutet hatte. Sein Sohn und Berkoff waren dabei, auch dort eine Lasche aufzuschweißen.

»Die Stelle hier war auch verdächtig«, rief ihm Hein Eggerth zwischen dem Brausen der Brenner von der Leiter hinab zu. »Wir hielten es für richtig, sie auch gleich zu verstärken. Jetzt geht es in einem Ausfegen, und wir sind nachher vor weiteren Zwischenfällen sicher.«

Wie lange es noch dauern würde, wollte der Professor wissen. Mit dem Bescheid, daß noch eine gute Stunde daraufgehen könnte, betrat er das Innere des Flugschiffes.

Von Wille und Schmidt war nichts zu sehen, beide hatten sich in ihre Kabinen zurückgezogen. Dr. Wille lag auf einem Ruhebett und erholte sich von den Strapazen dieses ›tropischen Spazierganges‹, wie er es bei sich nannte. Der lange Schmidt kramte in seinen Akten herum und suchte emsig nach Notizen über die Expedition der Carnegie-Stiftung. Unter diesen Umständen zog es Professor Eggerth vor, ebenfalls seinen Privatraum aufzusuchen. Eine Stunde Zeit noch, bevor ›St 25‹ wieder aufsteigen konnte; er beschloß, sie für die Untersuchung der mitgebrachten Gesteinsproben zu benutzen.

Schon unterwegs beim Einsammeln war ihm das verhältnismäßig hohe Gewicht dieser Brocken aufgefallen. Während vulkanische Auswurfstoffe häufig schwammig und blasig und wie beispielsweise Bimsstein so leicht sind, daß sie auf Wasser schwimmen, zeigte das einem braunen Glasfluß ähnelnde Gestein, das Professor Eggerth jetzt vor sich auf einem Tisch ausbreitete, ein weit höheres Gewicht. Er hielt es für zweckmäßig, das zunächst einmal zahlenmäßig festzustellen und suchte die wenigen dazu erforderlichen Geräte aus einem Schrank zusammen.

Zwei Messungen waren nötig, um das spezifische Gewicht genau festzustellen. Einmal eine Wägung des zu untersuchenden Brockens in der Luft. Der Professor legte ihn zu dem Zweck einfach auf eine Federwaage und notierte sich das Gewicht, das sie anzeigte. Eine zweite Wägung, bei welcher der Stein im Wasser hing, hatte danach zu erfolgen. Auch das ließ sich ohne Schwierigkeiten bewerkstelligen. Er schlang ein feines Gummiband um den Brocken und hing ihn mit einem Zwirnsfaden an der Federwaage auf. Dann füllte er ein Literglas mit Wasser, brachte es von unten her so darunter, daß der Stein vollkommen in die Flüssigkeit eintauchte, und schob schließlich noch ein Buch unter das Glas, um es in dieser Stellung festzuhalten. Darauf griff er nach seinem Schreibblock und Bleistift und ging daran, die kleine Rechnung aufzumachen, durch die sich das spezifische Gewicht eines Körpers leicht ermitteln läßt, wenn man sein Gewicht in der Luft und im Wasser kennt.

Eben war er dabei, das Ergebnis niederzuschreiben, als ein leises Klicken ihn aufschauen ließ. Sein Blick fiel auf die Waage; sie zeigte jetzt etwas ganz anderes als noch eben vor einer knappen Minute. Sein Auge wanderte weiter zu dem Glase hin, und der Bleistift entfiel seiner Hand beim Anblick dessen, was er dort sah. Wie ein Schwamm war der scheinbar doch so feste Stein in dem Wasser aufgequollen, hatte jede Spur der Flüssigkeit in sich aufgesogen, hatte sich dabei stark und immer stärker ausgedehnt und schließlich die Glaswand zersprengt.

In Scherben lag das Gefäß auf dem Tisch und immer noch weiter quoll und wuchs der wunderliche Stein. Schon hatte er soviel an Größe gewonnen, daß er die Tischplatte berührte; schon zerriß auch das Gummiband, das der Dehnung bisher noch standgehalten hatte.

Schon stieß das nach allen Seiten weiter quellende Gebilde gegen die Federwaage und warf sie um. Mit schnellem Griff brachte Professor Eggerth sie in Sicherheit und starrte wie fasziniert auf das wunderbare Schauspiel, das sich vor seinen Blicken vollzog; schaute Minuten lang darauf, bis das rätselhafte Wachstum endlich sein Ende erreichte. Aber da war aus dem früher noch nicht faustgroßen Brocken auch ein Gebilde geworden, das die halbe Tischfläche bedeckte und etwa die Form und den Umfang eines recht großen Kürbisses aufwies.

Professor Eggerth strich über die Stirn. Narrte ihn ein Spuk? War das Ganze eine Fieberphantasie? Er griff sich an den Puls; der ging ruhig und kräftig. Er schloß die Augen und öffnete sie wieder. Das Bild blieb unverändert. Wuchtig und mächtig lag nach wie vor der zu einem gewaltigen Block aufgequollene Brocken auf dem Tisch. Er wollte näher herantreten, ihn befühlen, ihn anheben, als es klopfte.

Die Tür ging auf, Dr. Schmidt kam hinein. Aufgeregt schwenkte er ein Bündel Zeitungsblätter in der Rechten. Ohne den Tisch mit seiner auffallenden Last zu bemerken, platzte er mit seiner Nachricht heraus.

»Wissen Sie das Neueste, Herr Professor? Wissen Sie, wer in dem Zelt gehaust hat, das wir vorher entdeckten? . . .«

Professor Eggerth wollte abwehren. Ihn interessierte in diesem Augenblick das rätselhafte vulkanische Gestein auf seinem Tisch mehr als alles andere, aber der lange Schmidt ließ sich nicht abstoppen. Ohne sich unterbrechen zu lassen, sprach er weiter.

»James Garrison ist hier gewesen. James Garrison . . . unser alter Bekannter aus der Antarktis. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter gehörte er zu der Carnegie-Expedition. Es stimmt auch; magnetische Messungen sind seine Spezialität. Ich hätte gleich daran denken sollen, als ich das Magnetometer in dem Zelt sah.«

Der Name ›Garrison‹ ließ Professor Eggerth aufmerken und gab seinen Gedanken für eine kurze Weile eine andere Richtung.

»So, so, Herr Doktor, Mr. Garrison war mit der Carnegie-Expedition hier? Ein eigenartiges Zusammentreffen«, sagte er sinnend, während er an den anderen unfreiwilligen Aufenthalt auf dieser Insel denken mußte, zu dem sein Sohn und Berkoff James Garrison und dessen Kumpan Bolton schon früher einmal verholfen hatten.

Einen kurzen Augenblick stutzte der lange Schmidt, als Professor Eggerth von einem eigenartigen Zusammentreffen sprach. Einen Moment ging ihm der Verdacht, den er beim Anblick des ersten Zeltes gefaßt hatte, wieder durch den Kopf, doch dann sprudelte er weiter. »Es ist übrigens möglich, Herr Professor, daß wir durchaus nicht die einzigen Bewohner der Insel sind.«

»Wieso nicht, Herr Doktor?« fiel ihm Professor Eggerth ins Wort. »Die Insel ist unbewohnt, das weiß ich zufällig ganz genau.«

»War unbewohnt, Herr Professor«, fuhr Dr. Schmidt fort. »Hier steht etwas . . .« Er blätterte in den Zeitungsausschnitten, die er mitgebracht hatte. »Merkwürdig unbestimmt sind alle diese Meldungen. Wie absichtlich gemacht kommt mir manches darin vor, aber der Satz hier läßt sich jedenfalls nicht wegwischen. Hier steht es, daß der Expedition unterwegs drei Mitglieder abhanden gekommen sind. Von einem übereilten Aufbruch, dem fluchtartigen Verlassen einer Insel ist dabei die Rede. Namen und Orte sind nicht genannt, doch ich meine, das könnte nur hier gewesen sein, als die Expedition Hals über Kopf vor dem Vulkanausbruch flüchten mußte. Lesen Sie den Bericht selbst.«

Er reichte Professor Eggerth das Zeitungsblatt hin. Der ließ sich auf einen Stuhl nieder und begann zu lesen. Eine kurze Zeit beobachtete ihn Dr. Schmidt dabei. Dann ließ er seine Blicke durch den Raum gehen und bemerkte den Block auf dem Tisch. Erstaunt trat er näher heran, fuhr mit den Händen darüber und hob das eigenartige Gebilde schließlich etwas an, während seine schmalen Lippen Fragen formten.

»Was ist das hier, Herr Professor? Wie kommen Sie zu diesem Mineral? Scheint vulkanischer Natur zu sein. Fühlt sich fast wie Bimsstein an. Wo haben Sie das gefunden? . . . Wann haben Sie es denn in das Schiff gebracht?« Es waren viele Fragen auf einmal, aber jetzt mußte der lange Schmidt auf Antwort warten, denn Professor Eggerth war noch mit dem Zeitungsbericht über die Carnegie-Expedition beschäftigt.

»Ja, mein lieber Herr Doktor«, sagte er, als er das Blatt endlich beiseite legte, »das sieht in der Tat aus, als ob die Expedition hier bei ihrer überstürzten Abfahrt drei Mann zurückgelassen hat. Da steht auch etwas davon da, daß man ein Schiff ausschicken will, um die Leute abzuholen. Lassen sich reichlich Zeit damit, die Herrschaften in USA. Nun ja, das kostet natürlich Geld, und da es sich wahrscheinlich um arme Teufel handelt, eilt es nicht so besonders.«

Der lange Schmidt kannte Professor Eggerth und seine Art, die Dinge zu erledigen. Er wußte, daß jetzt erst diese Geschichte mit der Carnegie-Expedition zu Ende durchgesprochen werden mußte, bevor er auf seine anderen Fragen Antwort bekommen würde.

»Es ist in der Tat so, Herr Professor«, ging er auf dessen Gedankengang ein. »Wenn sich die Vermißten auf der Insel hier befinden, so müssen sie schon seit mehr als drei Monaten hier sein. Höchst wahrscheinlich doch ohne Waffen und sonstige Hilfsmittel. Wahrhaftig keine angenehme Lage für die Leute. Wer weiß, wie sie's überstanden haben.«

»Ich glaube, darüber brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, Herr Dr. Schmidt. Es gibt auf der Insel Süßwasser und nahrhafte Früchte in Mengen. Mit ein bißchen Glück und Geschick lassen sich auch Schildkröten und Fische fangen. Aber natürlich wäre es unbillig, die Leute länger als nötig ihrem Schicksal zu überlassen.«

»Sie meinen, Herr Professor, daß wir uns um sie kümmern sollten?«

»Ganz recht, Herr Doktor. Wir werden uns nach ihnen umsehen, wenn ›St 25‹ wieder in Ordnung ist. Wenn sie wirklich hier sind, dürfte es nicht allzu schwer sein, sie zu finden.«

Der lange Schmidt zog sein Gesicht in Falten. »Fremde an Bord von ›St 25‹? Ich weiß nicht, ob das empfehlenswert ist, Herr Professor. Es gibt Neukonstruktionen im Schiff, die noch nicht geschützt sind . . .«

Professor Eggerth schob die Bedenken des langen Schmidt kurz beiseite. »Wir werden den Leuten nichts zeigen, was sie nicht sehen sollen, aber wir dürfen in diesem Fall nicht kleinlich sein. Es ist unsere Pflicht, sie aus ihrem Exil zu erlösen. Um so mehr, als der Vulkan unberechenbar ist. Das hier . . .«, Professor Eggerth deutete auf den Steinblock auf dem Tisch, »gibt mir allerhand zu denken.«

Damit kam nun der Professor glücklich zu dem Thema, das Dr. Schmidt im Augenblick am Herzen lag. Er berichtete ihm von seinem Versuch und den überraschenden Erscheinungen, die es dabei gegeben hatte, und gemeinsam machten sie sich daran, das Experiment mit einem anderen Brocken zu wiederholen.

Sprachlos sah Dr. Schmidt zu, wie auch dieses Lavastückchen zu quellen und zu schwellen begann und sich noch stärker ausdehnte als das erste; wahrscheinlich deshalb, weil Professor Eggerth diesmal ein wesentlich geräumigeres Gefäß mit einer entsprechend größeren Wassermenge benutzt hatte. Immer noch schweigend und mit zusammengekniffenen Lippen betrachtete der Doktor den zweiten Block, der nach Beendigung des Versuches die ganze Tischplatte bedeckte und stellenweise noch darüber hinausragte.

»Unerklärlich! Vollkommen rätselhaft!« kam es schließlich fast tonlos von seinen Lippen.

»Das sagt die Wissenschaft auch zu den Erscheinungen in der Solfatare von Pozzuoli, Herr Dr. Schmidt, aber die Erscheinungen sind unbestreitbar da. Vielleicht können wir das hier für unsere Zwecke ausnutzen, auch wenn wir das Rätsel nicht zu lösen vermögen.«

»Wie meinen Sie das, Herr Professor?« fragte Dr. Schmidt.

»Ich denke an ein anderes größeres Experiment, Herr Doktor. Wir haben hier gesehen, daß die Lava ein Vielfaches ihres Volumens annimmt, wenn man sie mit Wasser zusammenbringt. Was halten Sie von der Idee, eine gehörige Portion Wasser direkt in den Vulkankrater hinein zu gießen? Der Versuch wäre nicht allzu schwierig. Man braucht nur die Wassertanks von ›St 25‹ vollzufüllen . . . Süßwasser gibt es auf der Insel zur Genüge . . . dann über den Krater hinfliegen und die Tanks auslaufen lassen und sich danach möglichst schnell in die Stratosphäre verziehen . . . und aus sicherer Höhe zusehen, was daraus wird.«

Dr. Schmidt schüttelte den Kopf. »Zwecklos, Herr Professor! Sie würden eine Dampfwolke sehen und weiter nichts.«

»Glauben Sie, Herr Doktor? Angesichts dieser Dinge hier«, Professor Eggerth deutete auf die beiden Gesteinsblöcke, »bin ich anderer Meinung. Es müßte sich auch im Krater eine Reaktion zeigen.«

»Ausgeschlossen, Herr Professor. Die Lava im Krater ist weit über 2000 Grad heiß. Sie vergessen den sphäroidalen Zustand. Bei dem Versuch, den Sie planen, würde sich zwischen dem Wasser und der Lava sofort eine trennende Dampfschicht bilden und jede Reaktion verhindern.«

»Hm, hm . . .« Professor Eggerth strich sich nachdenklich durch das Haar. »Da könnten Sie am Ende recht haben, Herr Dr. Schmidt. Man wird es anders herum versuchen müssen.«

»Ich wüßte nicht wie«, beharrte der lange Schmidt auf seinem abweisenden Standpunkt. »Kaltes Wasser und glühende flüssige Magma lassen sich nicht vermischen. Stets wird eine Dampfhaut sie auseinanderhalten . . .«

»Bei Wasser wird es vielleicht der Fall sein, Herr Doktor, bei Eis ist es möglicherweise ganz anders. Es gibt da eine Theorie über die Entstehung unserer Planeten, die manches ganz plausibel erklärt und bis heute nicht widerlegt ist. Demnach soll in unvordenklichen Zeiten einmal ein mächtiger Eisball in die glühende Sonne gestürzt sein . . .«

Dr. Schmidt zog ein Gesicht, als ob er auf etwas Saures gebissen hätte und machte eine abwehrende Bewegung. »Um Himmelswillen, Herr Professor! Wollen Sie etwa mit der Welteislehre operieren? Die ist doch inzwischen wohl endgültig erledigt.«

»Wir wollen uns nicht über die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit dieser Lehre streiten, Herr Doktor«, fiel ihm Professor Eggerth ins Wort. »Mich interessiert nur die Möglichkeit . . . ich möchte fast sagen Wahrscheinlichkeit, daß Eis sich in der glühenden Lava anders verhalten könnte als Wasser. Wenn man eine tüchtige Eisbombe . . . eine Last von 100 Tonnen könnte ›St 25‹ sicher tragen . . . mit der nötigen Geschwindigkeit in den Vulkankrater hineinschleuderte . . . ich muß sagen, Herr Doktor, ich verspreche mir einiges von solchem Versuch. Würde er Sie nicht auch interessieren?«

»Gewiß, Herr Professor, es wäre physikalisch nicht uninteressant . . . aber wo wollen Sie hier in den Tropen das nötige Eis herbekommen. ›St 25‹ hat keine großen Eismaschinen an Bord.«

»Aber ›St 21‹, Herr Dr. Schmidt. Ich werde an unser Werk funken . . . um forcierten Flug ersuchen. ›St 21‹ könnte in fünfzehn Stunden hier sein.«

Noch immer gab sich Dr. Schmidt nicht geschlagen. »Dann müssen wir auch solange hier bleiben, Herr Professor. Wenn ich Sie recht verstand, äußerten Sie bei unserer Landung den Wunsch, möglichst bald wieder von der Insel und aus der Nähe des Vulkans fortzukommen. Ich weiß wirklich nicht, ob es zweckmäßig ist, sich hier länger als dringend nötig aufzuhalten . . .« Der lange Schmidt war ins Reden gekommen und brachte noch eine ganze Reihe von ›Wenn und Aber‹ vor. Professor Eggerth ließ ihn gewähren. Er hatte nach einem Schreibblock gegriffen und war dabei, ein im Geheimkode der Bitterfelder Werke verschlüsseltes Telegramm aufzusetzen, das ›St 21‹ schnellstens nach der Insel beorderte.

»Lassen Sie es, Herr Doktor«, sagte er, als er damit fertig war. »Die Sache ist mir einen Versuch wert, und ich werde ihn machen. Einige Zeit müssen wir sowieso noch hierbleiben, da wir uns nach den Vermißten der Carnegie-Expedition umsehen wollen . . . noch um eins möchte ich Sie ersuchen, Herr Doktor. Wollen Sie bitte unsere Besprechung hier bis auf weiteres als vertraulich behandeln. Es wird immer noch Zeit sein, darüber zu reden, wenn ›St 21‹ hier ist, und wir den Versuch wirklich machen.«

Der Professor stand auf, in der Absicht, das Radiogramm, welches er soeben aufgesetzt hatte, in die Funkerkabine zu bringen, als ihn Dr. Schmidt noch einmal zurückhielt.

»Wenn Sie die Angelegenheit vorläufig geheimhalten wollen«, meinte er in seiner methodischen und stets ein wenig hölzern wirkenden Art, »so dürfte es sich empfehlen, diese Blöcke beiseite zu schaffen. Wer sie hier in Ihrem Raum sieht, wird sicher wissen wollen, woher sie stammen.«

»Alle Wetter, ja Herr Doktor Schmidt, das Zeug muß weg.« Professor Eggerth kratzte sich hinter dem Ohr. »Umständliche Sache. Es ist nicht gerade notwendig, daß man uns dabei beobachtet.«

Seine Bemerkung war nicht unberechtigt, denn wie überall im Schiff waren auch in seiner Kabine die Fenster nicht zum Öffnen eingerichtet. Die schweren Kristallscheiben waren hermetisch in die Metallwand eingefügt. Die Ventilation in allen Räumen des Schiffes erfolgte durch den Frischluftstrom, den die Kompressoren während des Fluges ständig in das Innere warfen.

So blieb nichts anderes übrig, als die beiden Blöcke in mehrere kleine Stücke zu zerspalten, was sich verhältnismäßig leicht bewerkstelligen ließ, und sie danach durch die Eingangspforte des Schiffes hinauszutragen.

»Uff!« sagte Professor Eggerth, als er den letzten Brocken in ein Gebüsch warf, »das wären wir los. Ich gehe jetzt zu Lorenzen. Er soll gleich mit Bitterfeld funken.«

Während der Professor durch den Gang nach achtern ging, blieb Dr. Schmidt im Mittelraum, machte es sich in einem Sessel bequem und vertiefte sich wieder in seine Zeitungsausschnitte. Vielleicht, daß sich darin doch noch die eine oder andere Notiz fand, die er bisher übersehen hatte. Er war noch mit seiner Lektüre beschäftigt, als Berkoff und Hein Eggerth hineinkamen. Sie hatten inzwischen auch die Ausbesserung draußen an Backbord vollendet und mußten jetzt durch den Mittelraum, um das Schweißgerät und die Leitern wieder abzustellen, was nicht ohne einiges Gepolter abging.

Unwillig über die Störung blickte Dr. Schmidt von seinen Zeitungsblättern auf. Seine Gedanken waren noch ganz bei dem, was er eben gelesen hatte.

»Wissen Sie auch, wer hier auf der Insel gewesen ist?« sagte er zu Hein Eggerth.

»Mensch! Das lange Gereck hat Lunte gerochen«, wisperte Hein Eggerth Berkoff zu. »Ich habe keine Ahnung, Herr Doktor«, sagte er laut, während er ein scheinheiliges Gesicht machte.

»Ja, das ist interessant, meine Herren«, fuhr der lange Schmidt fort, »unser alter Bekannter aus der Antarktis, Mr. James Garrison ist hier auf der Insel gewesen.«

Hein Eggerth sah Georg Berkoff an, und Georg Berkoff sah Hein Eggerth an. Eine ganze Geschichte lag in den stummen Blicken, die sie miteinander wechselten.

War der lange Doktor ihnen also doch auf die Sprünge gekommen? Hatte er etwa bei dem Spaziergang Spuren gefunden, die ihm die frühere Anwesenheit von Garrison und Bolton hier einwandfrei verrieten? Oder war es nur eine Vermutung, versuchte Dr. Schmidt nur auf den Busch zu klopfen? Hein Eggerth entschloß sich, den Erstaunten zu markieren.

»Ach, was Sie nicht sagen, Herr Doktor?« begann er. »Mr. Garrison ist auf der Insel hier gewesen. Ja, was in aller Welt hatte der Mann denn hier zu suchen?«

Er hielt inne, weil er nicht recht wußte, was er noch weiter sagen sollte. Georg Berkoff versuchte, seinem Freund Hein mit einer Notlüge zu Hilfe zu kommen. »Vielleicht hat Mr. Garrison die Insel mit einer wissenschaftlichen Expedition aufgesucht«, warf er halb fragend ein, während er bei sich dachte, ›Lieber Schmidt, wenn du eine Ahnung davon hättest, wie wir den guten Garrison damals in seinem Morphiumdusel ausgebootet haben . . .‹

Im nächsten Moment hätte er beinahe aufgeschrien, so stark kniff ihn Hein Eggerth bei den Worten Schmidts in den Arm.

»Sie haben es erraten, Herr Berkoff«, sagte Dr. Schmidt, »Mr. Garrison war gerade während des Vulkanausbruches mit einer Carnegie-Expedition hier.«

»Ich dachte es mir ja gleich«, meinte Berkoff, während er sich seinen Arm rieb. »Wissen Sie sonst noch Näheres über ihn?«

Dr. Schmidt gab bereitwillig Auskunft. »Die Expedition hat die Insel während des Vulkanausbruches fluchtartig verlassen müssen. In der allgemeinen Verwirrung sollen drei Leute zurückgeblieben sein . . . vergessen worden sein . . . man weiß nichts Genaues . . . hoffentlich sind sie bei der Eruption nicht umgekommen. Wir werden uns nach ihnen umsehen müssen, bevor wir wieder abfliegen.«

»Zweifellos, Herr Doktor, das ist Christenpflicht«, brachte Hein Eggerth treuherzig hervor und griff zusammen mit Berkoff zu, um das letzte Gerät von der Reparatur beiseitezuschaffen.

»Junge, Junge«, meinte er zu Berkoff, als sie eine Sauerstoff-Flasche im Kielraum abstellten, »das konnte diesmal leicht ins Auge gehen, aber jetzt brauchen wir kaum noch etwas zu fürchten. Mr. Garrison zweimal auf dieser gesegneten Insel; da wird es dem guten Schmidt schwerfallen, nachträglich herauszufinden, was von seinem ersten und was von seinem zweiten Besuch stammt.«

»Hoffen wir das Beste, Hein«, pflichtete Berkoff ihm bei. »Wird übrigens nicht so ganz einfach sein, die drei Vermißten hier aufzufinden. Wenn sie sich nicht durch ein Feuer mit viel Rauch oder sonstwie bemerkbar machen, werden wir am Ende lange nach ihnen suchen können. Ich fürchte, das gibt noch einen Aufenthalt, der alle unsere schönen Rekordpläne über den Haufen wirft.«

»Kannst recht haben, Georg«, meinte Hein Eggerth, »ich will mal meinen alten Herrn suchen gehen, um zu hören, wie der über den Fall denkt.«

 

Professor Eggerth hielt die Antwort auf sein Radiogramm in der Hand, als er die Funkerkabine verließ. ›St 21‹ wurde in Bitterfeld schon flugbereit gemacht, würde in einer Viertelstunde starten und in forcierter Fahrt den halben Erdball umjagen, um zu ›St 25‹ zu stoßen.

Als der Professor den Mittelraum betrat, berührte die Sonne weit draußen im Westen eben die Kimme zwischen Wasser und Himmel. Zusehends versank der rotglühende Ball in der Flut. Jetzt war er verschwunden, und schon leuchteten die ersten Sterne am Himmel auf. Fast ohne Übergang brach die Tropennacht herein.

Professor Eggerth ging von seinem Sohn begleitet zu dem Fenster auf Backbord und blickte hinaus. Fast gespenstisch ragte in der Ferne der Kegel des Vulkans empor; ein rötlich-gelblicher Schimmer umspielte dessen Gipfel. Unstet zuckte das Licht bald stärker bald schwächer auf. In Gedanken versunken starrte der Professor darauf hin.

Das Bild, das der Berg jetzt in der Dunkelheit bot, bewies unwiderleglich, daß die unterirdischen Kräfte in ihm noch längst nicht zur Ruhe gekommen waren. Jedesmal, wenn es von dort drüben her greller aufleuchtete, erwartete der Professor, daß der Lavasee bis zum Kraterrand emporsteigen und über den Hang hinunterfließen würde und malte sich in Gedanken dann weiter aus, wie das glutflüssige Magma wohl auf den Versuch reagieren würde, den am nächsten Tage auszuführen er jetzt fester denn je entschlossen war. In sein Sinnen klang eine Frage seines Sohnes.

»Wollen wir die Nacht über hier liegen bleiben, Vater? Ich traue dem Burschen da drüben . . .« – Hein Eggerth deutete nach dem Vulkan hin, »nicht über den Weg.«

»Wir bleiben bis Sonnenaufgang liegen«, entschied Professor Eggerth. »Es wird aber die Nacht über reguläre Flugwache gegangen. Alle Motoren müssen warm bleiben. Das Schiff muß in der Lage sein, zu jeder Sekunde mit den Hubschrauben aufsteigen zu können.«

»Gut, ich werde das Nötige anordnen«, sagte Hein Eggerth und ging zum Kommandoraum, um den Befehl seines Vaters weiterzugeben.

*

Die Wiese, auf der ›St 25‹ gelandet war, lag an der Nordwestecke der Insel; und an der Nordostecke reckte der neue Vulkan seinen Krater empor. Weiter erstreckte die Insel sich dann gut zehn Kilometer nach Süden. Dieser Teil war leicht hügelig und bis dicht an die Küste mit einem üppigen Wald bedeckt, der nur an wenigen Stellen durch kleine Wiesenflächen unterbrochen wurde.

An der Südspitze der Insel fiel das Gelände von etwa 30 Meter Höhe jäh zur Küste ab. In Form einer Steilwand trat hier das Felsgestein zutage. Am Fuße dieser Wand lag noch ein etwa 50 Meter breiter Wiesenstreifen, der durch einen ungefähr ebenso breiten Strand von der See getrennt war. Das alles wurde jetzt von der Dunkelheit der schnell aufkommenden Tropennacht verschlungen. Nur ein leichtes Brausen, fast wie das Atmen eines schlafenden Riesen klang es, verriet noch die Nähe des Weltmeeres. Ein anderes unregelmäßiges Rauschen kam von dem Wald her, in dessen Baumkronen der Nachtwind sein Spiel trieb.

Doch jetzt leuchtete ein schwacher Lichtschein auf. Ein brennendes Streichholz schien es zu sein, das unsicher eine Hand beleuchtete, die es zwischen dürres Gras und Reisig hineinschob. Da fand das schwache Flämmchen schnell Nahrung und wurde zur größeren Flamme, fraß knisternd erst und dann kräftig prasselnd an den dürren Ästen weiter, loderte hell auf und beleuchtete nun deutlicher die Gestalten zweier Männer, die neben dem Feuer im Grase lagerten.

Verwildert sahen die beiden Menschen aus. Struppiger Bartwuchs bedeckte ihre Gesichter. Es war unverkennbar, daß sie seit langem mit keinem Schermesser in Berührung gekommen waren. Ihre Kleidung, soweit es sich noch feststellen ließ, billige Konfektionsware, war arg mitgenommen; zerrissen und zerschlissen von den Dornen des Tropenwaldes, und fast noch stärker lädiert war ihr Schuhwerk. Die beiden Männer sprachen englisch miteinander, soweit man den Neuyorker Slang noch als Englisch bezeichnen kann, doch hatte die Redeweise des einen starken irischen Einschlag, während diejenige des anderen auf deutsche Herkunft schließen ließ.

»Ich habe mich bestimmt nicht getäuscht, O'Brien«, sagte der mit dem deutschen Akzent. »Was wir heute mittag gehört haben, war sicherlich ein Flugzeug. Schade, daß wir's verpaßt haben. Jetzt können wir weiter hier sitzen, bis wir schwarz werden.«

»Nonsens!« widersprach ihm der andere. »Ich bin sofort den Berg rauf gelaufen, Smith. Bin gerannt, daß mir fast die Lungen platzten. Bin auf einen Baum geklettert, habe nach allen Seiten ausgespäht. Wenn ein Flugzeug dagewesen wäre, hätte ich's sehen müssen.«

Der mit Smith Angeredete schob erst ein paar Äste ins Feuer, bevor er antwortete.

»Dagewesen ist's, O'Brien. Da will ich meinen Kopf drauf wetten . . .«

»Schade, um das schöne Köpfchen! Ihr werdet's verlieren, Smith«, warf der Ire dazwischen. Der andere beachtete den Einwand nicht und fuhr fort.

»Fragt sich bloß, O'Brien, ob es schon wieder weg ist, oder ob es vielleicht noch da ist . . .«

»Noch da ist?! . . .« O'Brien schlug sich auf den Schenkel, daß es knallte. »Noch da?! Mann, ich würde denken, daß Ihr das Delirium habt, aber leider ist seit Monaten kein Tropfen Whisky mehr über unsere Lippen gekommen. Seit Monaten schon, Smith! Länger als ein Vierteljahr hocken wir auf dieser dreimal gottverfluchten Insel, und die Leute des Institutes kümmern sich nicht um uns . . . denken nicht daran, uns holen zu lassen. Na ja, Smith, wir sind ja auch bloß ein paar einfache workers . . . werden wohl unsere Tage hier beschließen müssen.«

»Würde für uns vielleicht zutreffen, aber Ihr vergeßt Mr. Harte«, wandte Smith ein. »Einen Professor der Botanik, zweimal ordentlicher Doktor, drei- oder viermal Ehrendoktor, Mitglied des Carnegie-Instituts, werden die nicht vergessen. Ich dachte heute mittag schon, daß sie mit dem Flugzeug kommen, um ihn zu holen.«

»Ach der arme Harte! Der liegt nun auch schon seit Monaten in dem Grab, das wir ihm mit unsern bloßen Händen mühsam gegraben haben, um den brauchen die kein Flugzeug mehr zu schicken.«

»Redet doch nicht so ungereimtes Zeug«, fuhr ihm Smith dazwischen. »Die haben doch keine Ahnung, daß Harte tot ist. Woher sollten sie's denn wissen, daß ihn ein heißer Brocken erschlug? Habt Ihr denn ganz und gar vergessen, Mann, wie das damals war? Unser Schiff, die ›City of Baltimore‹ lag an der Nordküste vor Anker; mit uns beiden war Professor Harte nach Süden marschiert. Wir steckten mitten im Wald, waren im besten Botanisieren, als das Beben losging. Dachten damals in unserm Unverstand erst, es wäre Hagel, was da vom Himmel her in den Wald prasselte. Als wir den Braten rochen, da war's schon zu spät, da hatte es Mr. Harte schon erwischt. Sind damals erst wie die Irrsinnigen weiter nach Süden gerannt, anstatt nach Norden durchzubrechen. War unser Fehler, O'Brien, als wir uns am nächsten Morgen die Bescherung besahen, war die ›City of Baltimore‹ mit Mann und Maus verschwunden . . .«

»Warum wärmt Ihr die alten Geschichten wieder auf, Smith?« unterbrach der Ire die lange Rede seines Leidensgefährten. »Davon wird's auch nicht besser.«

»Ich wollte Euch bloß klarmachen, daß Mr. Garrison und seine Leute von dem Tode Hartes nichts wissen können«, verteidigte sich Smith, »und gerade darauf baue ich meine Hoffnung, daß sie doch einmal wiederkommen werden, um ihn zu holen.« Nur widerstrebend gab O'Brien dem anderen recht.

»Wie Ihr's so sagt«, meinte er zögernd, »möchte man's fast glauben, aber verflucht lange lassen die Herren sich Zeit. Drei Patronen haben wir noch, wenn die auch verschossen sind, ist's mit dem Fleisch vorbei. Der Teufel mag wissen, wie's dann werden soll. Wir müssen einen Entschluß fassen, Smith. Wir müssen endlich etwas unternehmen.«

»Richtig, O'Brien. Endlich ein vernünftiges Wort. Wollen aber auch danach handeln. Seit Wochen rede ich Euch zu, mal mit mir nach dem Norden vorzustoßen . . . mal zu sehen, ob sich da nichts Brauchbares entdecken läßt, aber Ihr seid ja von hier nicht fortzukriegen.«

»Ihr kennt meine Gründe dafür, Smith«, suchte sich O'Brien zu rechtfertigen. »Der Vulkan kann jeden Augenblick wieder anfangen zu spucken. Hier sind wir 10 Kilometer von ihm ab und haben unsere Höhle, in der wir vor Lavabomben sicher sind. Wagen wir uns weiter nach Norden vor, kann's uns leicht ebenso wie dem Professor Harte gehen.«

»Kann gewiß, O'Brien, braucht aber nicht«, widersprach ihm Smith. »Der Vulkan ist schon seit Wochen ruhig. Ich riskier's auf jeden Fall. Ich gehe morgen mal zum Nordufer. Wenn Ihr mitkommen wollt, soll es mich freuen.«

Der Ire vermied eine glatte Antwort. »Wir wollen sehen, wie's morgen bei Tageslicht aussieht«, meinte er ausweichend. »Vielleicht werden wir zusammen gehen.«

»Na, da überlegt's Euch noch bis morgen«, sagte Smith. »Vorläufig können wir nichts Besseres tun, als uns aufs Ohr legen. Wollen aber sehen, daß unser Feuer bis morgen vorhält. Unsere Streichhölzer fangen an, rar zu werden.«

Während Smith es sagte, stand er auf und machte sich an dem Feuer zu schaffen. Vorerst einmal packte er über die durchgebrannten glühenden Äste eine kräftige Schicht neues Holz, und danach begann er den so vergrößerten Scheiterhaufen mit Erde und mit Rasenstücken, die er mit seinem Taschenmesser aus dem Boden schnitt, von allen Seiten her zu bedecken. Nur eine größere Öffnung oben an der Spitze und ein paar kleinere am Fuß des Haufens ließ er frei.

»So!« meinte er, als er das Messer wieder in die Tasche steckte, »das wird sich für zwölf Stunden halten. Gegessen haben wir schon, legen wir uns schlafen.«

Er ging ein paar Schritte zu einer Stelle hin, wo die Felswand weit übersprang und einen natürlichen Schutz bildete. Dort streckte er sich bequem auf ein Lager aus dürrem Gras aus. Noch einiges vor sich hin brummend, folgte O'Brien seinem Beispiel. Nicht lange währte es, und zu den Geräuschen von Meer und Wald gesellte sich ein drittes, das an ein mäßiges Sägewerk erinnerte. In einem gesunden Schlaf vergaßen die beiden auf die Insel Verschlagenen für Stunden ihre Sorgen und Nöte.

*

Im Osten färbte sich der Horizont rot, die Sterne verblichen, die Sonne eines neuen Tages hob sich strahlend aus den Fluten. Im Kommandoraum von ›St 25‹ griff Berkoff nach den Hebeln des Maschinentelegraphen, Zeiger wanderten über weiße Scheiben, Glockensignale schrillten auf, die Motoren des Stratosphärenschiffes sprangen an.

Langsam zunächst noch begannen die Kompressorpumpen Luft in den wieder hermetisch geschlossenen Rumpf zu drücken. Wirbelnd schwangen die drei großen Hubschrauben schnell und immer schneller um ihre vertikalen Achsen. Lauter brüllten die Motoren jetzt auf, ein leichtes Schüttern ging durch das Schiff. Leicht, als ob er alle irdische Schwere von sich abgeschüttelt hätte, hob der mächtige Metallbau sich von dem Rasen ab und stieg senkrecht empor, gewann Meter um Meter an Höhe, bis nun auch das Spiel der Horizontalpropeller einsetzte und ›St 25‹ auf immer schnellere Fahrt brachte.

Schon wurde das Schiff von seinen Schwingen getragen und bedurfte der Hubschrauben nicht mehr. Ein neuer Hebeldruck im Kommandoraum, diese Schrauben standen still und wurden eingezogen. Eine Metallverkleidung in Stromlinienform schob sich über sie hin, während das Schiff sich in weiten Spiralen immer höher emporbewegte.

Im Mittelraum waren Professor Eggerth, sein Sohn und Berkoff beisammen. Mit scharfen Gläsern durchspähten sie das Gelände, über das ›St 25‹ seine Bahn zog. Immer tiefer versank, während die Minuten verstrichen, die Insel, schien dabei immer kleiner zu werden, lag jetzt wie aus einer Landkarte herausgeschnitten, unter ihnen; da nahm der Professor sein Glas von den Augen.

»Vergebliches Bemühen, Hein.« Nach einem Blick auf den Höhenzeiger fuhr er fort: »Aus 5 Kilometer Höhe läßt sich ein einzelner Mensch nicht mehr erkennen. Wir wollen es später noch einmal versuchen. Jetzt haben wir anderes zu tun.«

»Einen Augenblick, Herr Professor«, mischte sich Berkoff ein, der nach wie vor durch sein Glas starrte. »Mir war's eben ganz so, als ob sich da unten auf dem Strand an der Südspitze zwei schwarze Pünktchen bewegt hätten.«

»Kann schon sein, mein lieber Berkoff«, meinte der Professor. »Aber wer weiß, was Sie gesehen haben. Irgendwelches Getier vielleicht, das aus dem Wald an den Strand kam, mit Sicherheit läßt sich aus dieser Höhe nichts mehr erkennen.«

»Wenn man noch einmal hinunterginge«, schlug Berkoff vor. Professor Eggerth lehnte es ab.

»Später, Herr Berkoff. Ich möchte unser Programm nicht umstoßen. Jetzt ist es ein Viertel vor Sieben. Wir wollen unsern Probeflug in die Stratosphäre fortsetzen. Ich möchte bis neun Uhr damit fertig sein.«

Berkoff warf Hein Eggerth einen fragenden Blick zu. Der zuckte die Achseln. Er wußte, daß sein Vater sich schwer davon abbringen ließ, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Mochte der Himmel wissen, welche Absichten er jetzt wieder verfolgte.

Als ob Professor Eggerth seine Gedanken gelesen hätte, sagte er: »Um neun Uhr wollen wir aus der Stratosphäre zurück sein. Ich habe dann noch eine kleine Überraschung für euch in petto.«

Da hätten nun Hein Eggerth und Georg Berkoff gern etwas Näheres gehört, aber der Professor zog es vor, sich in Schweigen zu hüllen.

»Abwarten und Tee trinken«, antwortete er auf alle Fragen, »ihr werdet es schon merken, wenn es so weit ist. Jetzt mal erst mit Volldampf in die Stratosphäre.«

Unablässig schraubte sich ›St 25‹ weit auskurvend immer höher. Längst war die 10-Kilometer-Grenze überschritten, langsam pendelte der Höhenzeiger auf die Zwanzig zu. Nur noch wie ein in leichten Nebel gehülltes grünes Fleckchen war die Insel unter ihnen zu sehen. Stetig und kräftig arbeiteten jetzt auch die Kompressoren. Unbeweglich stand der Zeiger des Manometers auf der Eins, ein Zeichen, daß der vorgeschriebene Druck von einer Atmosphäre im Schiffsinneren gehalten wurde.

So war es jetzt, und so blieb es auch, als die 30 Kilometer überschritten waren, als ›St 25‹ schließlich auch auf 35 Kilometer emporstieß, und nun mit vollster Maschinenkraft eine Schleife von mehreren hundert Kilometern abjagte, um die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Teiles der Maschinenanlage zu erproben. Als Professor Eggerth endlich das Zeichen zum Abstieg gab, hatte er die Gewißheit gewonnen, daß ›St 25‹ wieder voll leistungsfähig war. Er durfte überzeugt sein, daß das Schiff seiner Besatzung bei jeder plötzlich auftauchenden Gefahr, mochte sie kommen, woher sie wollte, einen sicheren Zufluchtsort bieten konnte. – – –

Der junge Tag, in dessen erstem Licht ›St 25‹ seinen Flug in die Stratosphäre begann, weckte auch die beiden Schläfer an der Südspitze der Insel. Noch ein paarmal gähnend, sich reckend und streckend erhoben sie sich von ihrem Lager.

Die ersten Schritte von Smith galten dem Feuer. Vorsichtig entfernte er die deckende Schicht, die er am Vorabend darüber gebreitet hatte, und nun zeigte es sich, daß das Ganze die Nacht hindurch wie ein Meiler gearbeitet hatte. Klingende Holzkohle war in den vergangenen Stunden aus dem Holz geworden, das Smith am Abend noch aufgelegt hatte, und schnell geriet sie in helle Glut, sobald die Luft wieder vollen Zutritt hatte.

Sich die Hände reibend, als ob es ihn in der Morgenfrische fröstelte, stand Smith davor, blickte in die spielenden Flämmchen und bewegte dabei den Mund, als ob er an etwas Leckeres dächte. »Was schneidet Ihr für Grimassen, Smith?« fragte ihn der Ire.

»Ich denke an etwas, O'Brien.«

»Schlimm, wenn Ihr zu denken anfangt. Kommt selten etwas Vernünftiges bei raus. Was für verquere Gedanken habt Ihr schon wieder am frühen Morgen?«

»Ich denke, O'Brien, wie herrlich es wäre, wenn wir jetzt einen Kessel hätten und uns einen richtigen starken Kaffee kochen könnten . . . frisch aufgebrüht . . . aromatisch duftend . . .«

»Stop, Sir«, unterbrach ihn der andere, während er nach einem Rasenstück griff, »hört auf damit oder ich werfe Euch das an den Kopf.«

». . . einen guten Mokka mit Zucker und Sahne . . .« fuhr Smith unbeirrt fort und sprang im nächsten Moment blitzschnell beiseite. Haarscharf flog das Rasenstück an seinem Kopf vorbei, und schon griff O'Brien nach einem zweiten.

»Hört damit auf!« beschwichtigte ihn Smith. »Wir wollen uns fertigmachen und unsern Vorstoß nach Norden unternehmen. Seid Ihr bereit, heute mitzukommen?«

»In Gottesnamen meinetwegen«, stimmte O'Brien zu. »Versprechen tue ich mir wenig davon, aber ich will Euch den Gefallen tun. Doch vor allen Dingen wollen wir erst frühstücken. Werden auch etwas Proviant mitnehmen müssen. Wer weiß, ob wir auf unserem Wege etwas Eßbares finden.«

Während er es sagte, wandte er sich der Felswand zu, und jetzt im hellen Tageslicht ließ sich erkennen, daß es unter der überhängenden Wand noch weiter in den Felsen hineinging. Eine natürliche Höhle war dort vorhanden, in der O'Brien verschwand. Ein absolut sicherer, geradezu unschätzbarer Zufluchtsort war sie für die beiden Verschlagenen in jenen bösen Tagen gewesen, an denen der neu entstandene Vulkan das Land weithin mit Lavabrocken übersäte.

Was O'Brien jetzt aus der Höhle zutage förderte, sah freilich nicht allzu verlockend aus. Vor einigen Tagen hatte Smith durch einen glücklichen Schuß eine Ziege erlegt, und mehr schlecht als recht hatten die beiden sie über offenem Feuer an einem Holzspieß gebraten. Was davon noch übrig war, brachte der Ire herbei und außerdem noch einige Brotbaumfrüchte, von denen sie sich für den Notfall einen größeren Vorrat in der Höhle aufgestapelt hatten.

In Hast wurde das frugale Frühstück eingenommen. Den Rest des Fleisches und etwas Brotfrucht verpackte Smith in eine große Botanisiertrommel, die er bei jenem letzten Ausflug mit Professor Harte glücklich gerettet hatte. Eine Viertelstunde beanspruchte danach noch das Feuer, das sie aus zwingenden Gründen nur sehr ungern ausgehen ließen. Ebenso wie am Vorabend baute Smith wieder einen kunstgerechten Meiler, und dann war alles für die Reise bereit.

Noch einmal gab es eine kurze Beratung über die Route, die sie einschlagen wollten. Daß sie nicht durch den unwegsamen Wald führen dürfte, darüber waren sie sich von Anfang an einig. So blieb nur noch die Frage zu entscheiden, ob sie am Weststrand oder am Ostufer nach Norden wandern wollten. Der östliche Weg hätte sie nahe an dem Vulkan vorbeigeführt, und dafür war O'Brien auch jetzt noch nicht zu haben. Der Weg am Westufer vermied diese bedenkliche Nachbarschaft und würde überdies während des Vormittages einigen Schatten bieten. So machten sie sich denn am Westufer entlang auf den Weg, aber geraume Zeit hatten sie über ihre Vorbereitungen vertrödelt. Reichlich anderthalb Stunde seit Sonnenaufgang waren darüber verstrichen, und als sie endlich den Marsch antraten, befand sich ›St 25‹ schon in der Stratosphäre, unsichtbar und unhörbar für jeden auf der Erdoberfläche Weilenden.

Es marschierte sich gut auf dem feuchten festen Sand des Uferstrandes, über den hin und wieder von der See her wie spielend kleine Wellen aufliefen. Rüstig kamen sie voran und hatten nach einer Stunde ein tüchtiges Stück des Weges hinter sich gebracht, doch allmählich begann die immer höherkommende Sonne sich geltend zu machen, und mit dem Schatten war es nicht mehr weit her. Aus allen Poren brach den beiden Wanderern der Schweiß und notgedrungen verlangsamten sie ihre Schritte. Mit Freude begrüßten sie einen kleinen Bach, der hier vom Innern der Insel her zufloß, stillten ihren Durst und ließen sich zu einer kurzen Rast nieder.

»Meinetwegen, O'Brien, wenn Ihr Euch durchaus ausruhen müßt«, hatte Smith nach einigem Widerstreben zugestimmt. »Aber nicht länger als eine halbe Stunde, dann muß es wieder weitergehen.«

Mit dem Rücken gegen eine niedrige Sanddüne gelehnt saß Smith da und blickte schräg voraus über die blaue Flut. Auf dem Bauche liegend, hatte sich O'Brien lang ausgestreckt.

»Eigenartig, O'Brien«, begann Smith nach einiger Zeit. »Seht Ihr das da vorn? Etwa einen halben Kilometer von hier entfernt. Das sieht doch aus wie eine Menge flacher Klippen, die dort aus dem Meer ragen. Habe Ähnliches mal vor Jahren an der Küste von Norwegen gesehen, wundere mich aber, wie so etwas hier in der Südsee vorkommen kann.« Smith brauchte einige Zeit, um seinen Genossen für seine Entdeckung zu interessieren, denn dessen Aufmerksamkeit wurde durch etwas Näherliegendes in Anspruch genommen.

»Ihre Klippen werden uns nicht weglaufen«, meinte er nach einem kurzen Blick in die Richtung, in die Smith deutete. »Aber sehen Sie das andere da vor uns auf dem Strand. Dachte zuerst auch, daß es Steine wären, aber das bewegt sich jetzt und läuft über den Sand auf das Wasser zu. Wollen doch mal hin und sehen, was es ist.«

Obwohl die von Smith für die Rast zugebilligte halbe Stunde noch nicht um war, sprang der Ire mit einer bemerkenswerten Schnelligkeit auf und marschierte, von Smith gefolgt, den Strand weiter entlang. Sie kamen nahe genug heran, um noch zu erkennen, daß es etwa ein halbes Dutzend großer Seeschildkröten waren, die sich dort vor ihnen im Meer in Sicherheit brachten; sie kamen zu spät, um noch das eine oder andere der Tiere greifen zu können.

»Schadet nichts, O'Brien«, suchte Smith seinen Kumpan zu trösten. »Gewiß, Schildkrötensuppe und Schildkrötenfleisch sollen recht gute Dinge sein, aber wir haben kein Kochgeschirr.«

»Ach was! Ich hätte das Vieh auch am Spieß gebraten, wenn wir's erwischt hätten«, knurrte O'Brien, während sie langsam weiter wanderten. »Verflucht, Smith! Was ist das?«

Der Sand, sonst überall schön glatt und fest, hatte unter dem rechten Fuß von O'Brien plötzlich nachgegeben; bis über die Wade war er eingesunken, und als er den Fuß wieder herauszog, triefte der Stiefel von einer weißlich gelblichen Masse.

»Verdammte Schweinerei«, fluchte er, mit dem Bein hin und her schlenkernd, »was ist das für ein Dreck?«

»Sieht fast wie Rührei aus«, meinte Smith, der sich die Bescherung interessiert betrachtete. »Möchte vermuten, O'Brien, daß Ihr in ein Schildkrötengelege getreten seid. Schade um die Eier, wäre ein gutes Frühstück für uns gewesen.«

»Meinen Sie, Smith?« fragte O'Brien zweifelnd, während er bemüht war, sich mit einer Handvoll trockenem Seegras zu säubern.

»Meine ich in der Tat, O'Brien. Jetzt mal die Augen auf und Vorsicht, wenn wir weitergehen. Es waren mehr Schildkröten hier, also werden vermutlich auch noch mehr Gelege hier sein.«

Sie brauchten nicht lange zu suchen. Schon nach wenigen Schritten hielt Smith den Iren am Arm fest und deutete auf eine Stelle, wo der Boden zerwühlt aussah. Er ließ sich auf die Knie nieder, begann den Sand vorsichtig mit den Händen beiseite zu räumen. Kaum einen halben Fuß tief war er gekommen, als er das Gelege entdeckte. Ein gutes Dutzend weißer Eier von der Größe etwa gewöhnlicher Hühnereier. Schon hatte er eins ergriffen, herausgehoben und von den Sandspuren befreit. O'Brien konnte bemerken, daß es sich zwischen den Fingern von Smith verformte. Offensichtlich fehlte ihm die harte Schale der Hühnereier. Und dann sah O'Brien etwas, das ihm im ersten Moment einen Schauder einjagte. Smith schob dies Schildkrötenei zwischen die Lippen, schlürfte es mit einem Zug in den Mund, kaute ein wenig und schluckte es mit offensichtlichem Wohlbehagen hinunter.

»Kann man das Zeug denn so roh essen?« fragte O'Brien noch zweifelnd, als Smith schon nach einem zweiten Ei griff.

»Man kann es, O'Brien«, antwortete der mit vollem Mund. »Schmeckt vorzüglich. Fast ebenso wie ein rohes Hühnerei. Ein klein wenig fischig vielleicht«, fuhr er fort, nachdem er das dritte verzehrt hatte. »Denken Sie, daß Sie einen Teelöffel Kaviar auf ein Hühnerei legen, dann haben Sie ungefähr den Geschmack.«

Während Smith es sagte, griff er bereits nach dem vierten Ei, und nun hielt sich O'Brien auch nicht länger zurück. Er faßte ebenfalls zu und nach wenigen Minuten war das Gelege leer.

»Gut, aber zu wenig!« knurrte O'Brien, während er sich über den Magen strich.

»Wir werden noch mehr finden«, tröstete ihn Smith, »es waren ja mehrere Schildkröten hier.«

Seine Voraussage erfüllte sich. In nächster Nähe entdeckten sie noch drei andere Gelege und waren reichlich gesättigt, als sie ihre Wanderung wieder aufnahmen.

»Doch endlich seit langem mal wieder was anderes auf unserer Speisekarte«, sagte der Ire befriedigt.

»Na also, Sir«, meinte Smith, »ich glaube, es war doch ganz vernünftig, daß wir uns endlich mal auf den Weg gemacht haben.«

»Wollen es hoffen. Mir fällt da eben was ein, Smith. Als wir damals mit Professor Harte von Bord der ›Baltimore‹ gingen, hörte ich Mr. Garrison noch etwas von einer Beobachtungsstation sagen, die er an Land einrichten wollte. Wenn die zurückgeblieben wäre, könnten wir da vielleicht allerlei für uns Nützliches finden.«

Smith horchte interessiert auf. »Habt Ihr das sicher gehört?« fragte er. O'Brien nickte.

»Ja, natürlich, Sir. Mr. Garrison sprach mit dem dritten Offizier. Ich konnte gerade noch hören, daß er den ersuchte, die Motorbarkasse zu Wasser zu lassen. Dann rief Professor Harte nach mir, und ich mußte mich sputen, daß ich zu ihm ins Boot kam.«

»Eine Beobachtungsstation an Land, sagtet Ihr, O'Brien?«

»Habe ich gesagt, Smith. Garrison redete etwas von Magnetometern und ähnlichem Kram . . .«

»Eine Beobachtungsstation auf der Insel . . .« Wie zu sich selbst sprach Smith die Worte, während sie langsam weitergingen. Plötzlich blieb er stehen und schlug seinen Gefährten auf die Schultern. »O'Brien! Mann! Wenn die Leute eine Funkstation auf der Insel zurückgelassen hätten. Es wäre unsere Rettung. Wir könnten uns mit der Welt in Verbindung setzen. Ich würde SOS funken, daß der ganze Äther wackelt. Mann, das wäre eine Sache!«

O'Brien schüttelte den Kopf. »Glaubt Ihr etwa, daß jetzt nach mehr als drei Monaten noch ein Tropfen Strom in den Akkumulatoren ist, wenn sie das Ding wirklich hier gelassen haben? Wäre ein Wunder, Smith, und Wunder passieren heutzutage nicht mehr.«

O'Brien wollte sich noch weiter über dieses Thema auslassen, als Smith den Schritt verhielt. »Seht mal erst das da«, sagte er, auf die See deutend. »Ein ganzes Klippenfeld, ist das nicht eigentümlich?«

O'Brien machte eine geringschätzige Bewegung. »Kann nichts Besonderes daran finden, Sir. Ist ein Haufen Steine, wie sie auch anderswo in der See rumliegen . . .«

»Anderswo ja, O'Brien! Aber nicht in der Südsee! Habe Euch ja erzählt, daß ich früher ein paar Jahre zur See gefahren bin. Habe etwas Ähnliches massenhaft an der norwegischen Küste gesehen. Hunderte . . . nein tausend von nackten Granitklippen ragen da vor den Küsten aus dem Meer. Aber in der Südsee gibt's so etwas doch nicht. Da kommen höchstens Korallenriffe vor . . .«

»Ihr redet mal wieder wie ein deutscher Professor«, unterbrach ihn O'Brien. »Seht ja mit Euren eigenen Augen, daß es auch hier vorkommt. Warum macht Ihr so viel Worte über die Sache?«

»Weil . . . weil . . .« Smith blickte auf, als ob ihm plötzlich eine Eingebung käme. »Weil ich glaube, Mr. O'Brien, daß die Klippen da draußen irgendwie mit dem neuen Vulkan zusammenhängen. Weiß zwar noch nicht wie, bin aber immer fester davon überzeugt.«

O'Brien schüttelte den Kopf. »Ihr seid und bleibt ein merkwürdiger Kauz, Smith. Wunderlich und querköpfig wie alle Dutchmen, die mir bisher über den Weg gelaufen sind. Ist doch vollkommen egal, ob der Vulkan oder der Teufel die Brocken da in die See geworfen hat. Uns können sie so oder so nicht helfen. Wollen machen, daß wir weiterkommen. Denke, wir haben noch eine halbe Stunde bis zu dem Kap da vor uns zu laufen. Werden dann ja bald sehen, ob die ›City of Baltimore‹ etwas Brauchbares für uns dagelassen hat.«

»Habt recht, wollen machen, daß wir weiterkommen. Eine schandbare Hitze hier«, seufzte Smith und wischte sich die Stirn mit seinem Ärmel. »Hinter dem Kap werden wir wenigstens etwas Schatten finden.«

Ohne sich zu übereilen, stapften sie nebeneinander weiter den Strand entlang. Eine Viertelstunde mochte vergangen sein, als Smith plötzlich horchend stehenblieb.

»Was gibt's schon wieder?« fragte der Ire mißmutig.

»Pst . . . Hört Ihr nichts? . . . Da!« Smith deutete mit der Hand voraus in die Richtung nach dem Kap hin. »Da vor uns! . . . Motoren!«

Er lauschte wieder, legte die Hände wie Schalltrichter an die Ohren, um besser hören zu können. »Merkt Ihr es jetzt, O'Brien?«

Auch der Ire horchte angestrengt. Ganz schwach zunächst noch und immer wieder übertönt, wenn die See eine Welle über den Strand warf, wurde ein Geräusch vernehmbar, das wie Motortacken klang. Die beiden Wanderer verhielten den Atem. Minutenlang standen sie still, mit angespannten Sinnen in den Äther spähend. Da wurde das Geräusch stärker. Wurde unverkennbares Trommeln von Motoren, und dann erspähten sie weit voraus im Norden im Blau des Himmels ein glitzerndes Pünktchen.

»Ein Flugzeug, Smith!«

»Es kommt, uns zu holen, O'Brien.«

»Es kommt, Smith! Wir müssen ihm entgegengehen, damit es uns nicht verfehlt.«

Mehr laufend als gehend legten die beiden das letzte Wegstück bis zum Kap zurück. Als sie um die Felsnase, die hier bis dicht an die See herantrat, herumbogen und auf dem Nordufer weiter nach Westen liefen, stand das Flugzeug fast senkrecht über ihnen. Es begann Kurven zu ziehen und dabei immer tiefer herunterzugehen. Auf 3000 Meter, jetzt nur noch auf 2000 . . . auf 1000 Meter . . . schätzten sie seine Höhe, um dann zu merken, daß sie sich gründlich verschätzt hatten. Dann als es nun endlich so tief flog, daß sie Einzelheiten zu erkennen vermochten, sahen sie, daß es kein gewöhnliches Flugzeug, sondern ein Riesenbau war. Viele Tausende von Metern mußte der schimmernde Vogel hoch gewesen sein, als sie ihn zuerst erblickten.

Atemlos bleiben sie am Ufer stehen; alles Weiterlaufen hatte jetzt seinen Zweck verloren. Ihre Jacken rissen sie sich vom Leibe und schwenkten sie wie Signalflaggen durch die Luft. Durch Winken, Schreien und Gestikulieren versuchten sie sich dem Flugschiff bemerkbar zu machen, von dem sie Befreiung, Rückkehr in die Zivilisation erhofften. Vergeblich blieben ihre Bemühungen. Niemand an Bord des Schiffes schien sie zu bemerken. Unbeirrt verfolgte es seinen Kurs nach Westen weiter, ging dabei wieder in die Höhe, wurde klein und immer kleiner, war schließlich nur noch ein kaum mehr zu sichtender Punkt. Verzweifelt ließ sich Smith zu Boden fallen, mit einem Fluch warf sich O'Brien neben ihm auf den Sand hin.

»Verspielt, Smith!« stieß er mit keuchenden Lungen heraus.

»Verspielt, O'Brien«, gab der matt zurück. »Sie haben uns nicht gesehen . . .«

». . . oder nicht sehen wollen, Smith!« Der Ire schlug mit der Faust wütend auf den Boden und richtete seinen Oberkörper halb auf.

Smith strich sich apathisch über die Stirn. »Wenn wir eine Stunde früher aufgebrochen wären, O'Brien . . . es wäre vielleicht anders gekommen.«

Seine Worte brachten den Iren noch mehr in Harnisch. »Nonsens, Sir!« Er richtete sich vollends auf, wollte weiter reden und stockte plötzlich, brachte dann abgerissene Worte hervor. »Da im Osten, Smith. Das Flugzeug kommt von Osten her zurück. Hat eine mächtige Kurve gemacht. Vielleicht hat es uns doch gesehen . . . es kommt zurück, um uns zu holen.«

Schon war er wieder aufgesprungen und schaute nach Osten aus, versuchte mit zusammengekniffenen Lidern den schimmernden Punkt festzuhalten, der dort allmählich aus dem Himmelsblau hervortrat.

»Rafft Euch auf, Mann!« rief er seinem Gefährten zu, ohne sich nach ihm umzublicken. Auch Smith hatte sich inzwischen halb aufgerichtet, und nun hörte der Ire ihn sprechen.

»Ihr irrt Euch, O'Brien, das Flugzeug kommt aus dem Westen zurück.«

»Aus dem Osten, Smith!«

»Nein, aus dem Westen, O'Brien!«

»Mann, Smith! Hat Euch die Sonne auf unserem Marsch geschadet?«

»Unsinn, O'Brien! Ich weiß doch, was ich sehe.«

Auch Smith raffte sich auf, wollte seinem Kameraden bei der Schulter fassen und mit dem Gesicht nach Westen drehen, schaute dabei selbst nach Osten und ließ den Arm wieder sinken.

»Bei Gott, O'Brien! Ihr habt recht! Vom Osten her kommt auch eins.«

»Auch eins?!« O'Brien wandte sich zu seinem Gefährten um, schaute dabei nach Westen, und nun war das Staunen an ihm.

»Ihr habt wahrhaftig recht«, war alles, was er hervorbringen konnte. Ein unerwartetes Schauspiel war es in der Tat, das die beiden auf die Insel Verschlagenen wohl in Verwirrung bringen konnte. Von Osten und von Westen her brausten zur gleichen Zeit zwei Flugschiffe heran. Gleich mächtig in ihrem Bau und so gleichartig auch in ihren Formen, daß man sie wohl für Schwesternschiffe halten mußte. Jetzt kreisten sie in engen Kurven umeinander, und wenn Smith und O'Brien etwas von dem hätten vernehmen können, was bereits seit geraumer Zeit zwischen den Antennen der beiden Schiffe hin und her spritzte, so wären ihnen die Sorgen der letzten Viertelstunde erspart geblieben.

Schon längst hatte ›St 21‹ die beiden auf ihrer Wanderung am Ostrand der Insel erspäht, hatte die Nachricht sofort an ›St 25‹, das zu der Zeit noch hoch in der Stratosphäre war, weitergegeben, und nun trafen die Schiffe sich hier zur gemeinsamen Landung. Immer tiefer sanken die schimmernden Bauten, immer langsamer wurde ihr Flug. Regungslos schienen sie jetzt in der Luft stillzustehen. Nur der Donner ihrer Motoren verriet, daß ihre Anlagen noch arbeiteten.

Wie gebannt starrten Smith und O'Brien auf das fremdartige Schauspiel, das sich ihren Augen hier bot. Ganz langsam . . . viel langsamer als ein fallendes Blatt sanken die mächtigen Schiffe nach unten, waren jetzt schon so tief, daß Smith und O'Brien das wirbelnde Spiel der gewaltigen Hubschrauben auf ihren Rücken erkennen konnten. Noch einen Meter und noch einen. Leicht und stoßfrei setzten die Schiffe nur wenige hundert Meter von den Verschlagenen entfernt auf einer grünen Wiese auf.

»Begorra, Sir!« O'Brien stieß den alten irischen Ruf aus, der sich auf hundert verschiedene Arten übersetzen läßt und in dem alles, angefangen beim größten Staunen und geendet bei vollster Zufriedenheit, umschlossen liegt.

»Sie sind da, Smith. Sie sind gekommen, um uns zu holen. Laufen wir, damit sie uns nicht wieder wegfliegen.« Seine Sorge war unbegründet. Deutlich konnten sie von ihrem Standpunkt aus sehen, wie sich an beiden Schiffen Pforten öffneten, wie schimmernde Treppen hinausgeschoben wurden, wie Menschen aus dem Innern der Riesenvögel herauskamen, sich von beiden Schiffen her entgegengingen, sich auf dem grünen Rasen trafen, sich begrüßten, sich die Hände schüttelten.

»Los, Smith, jetzt wird's Zeit!« Während O'Brien es sagte, gab er Smith einen kräftigen Stoß und eilte auf den Landungsplatz der beiden Schiffe zu. Langsamer, fast wie ein Träumender, folgte ihm Smith.

*

Die ersten, die auf den Rasen sprangen und sich entgegenliefen, waren Georg Berkoff von ›St 25‹ und Fritz Heineken, der Chefpilot von ›St 21‹. Eine kurze, aber desto herzlichere Begrüßung, dann prasselte auf Heineken ein Schnellfeuer von Fragen aus Berkoffs Mund los. Wohl hatte Berkoff durch den Funker Lorenzen gehört, daß ›St 21‹ von Professor Eggerth durch ein Radiogramm hierher beordert worden war, doch über den Zweck dieser Anordnung hatte er nichts in Erfahrung bringen können. Das wollte er nun von Heineken wissen, aber der lange Friese konnte oder wollte ihm auch nichts Bestimmtes sagen. Mit unerschütterlicher Ruhe ließ er die Fragen Berkoffs über sich ergehen. »Mußt den Professor danach fragen, mein Jungchen«, meinte er phlegmatisch.

»Unsinn, Fritze!« wies Berkoff den Vorschlag zurück. »Ich werde den Deibel was tun und dem Alten damit kommen. Weißt doch selber, wie der unerwünschte Frager ablaufen läßt.«

Mit Mühe und Not bekam Berkoff nur heraus, daß ›St 21‹ die vollzählige Bedienungsmannschaft für seine Eismaschinen mit an Bord hatte, und das war eine Mitteilung, auf die er sich keinen rechten Vers zu machen vermochte. Nahe bei ›St 25‹ standen Professor Eggerth und Dr. Schmidt zusammen.

»Es sind nur zwei«, sagte der Professor mit einem Blick nach O'Brien und Smith hin, die inzwischen herankamen. »Wo steckt der dritte?«

»Wir werden sie danach fragen«, erklärte Dr. Schmidt in seiner apodiktischen Art und Weise, als O'Brien auch schon, vom Laufen noch außer Atem, vor ihnen stand.

»Zwei Mitglieder der Carnegie-Expedition, Sir«, stieß er hervor. »Nehme an, Sir, daß Sie gekommen sind, uns abzuholen.« Er sagte es in englischer Sprache, und Professor Eggerth antwortete ihm ebenfalls auf englisch.

»Wir werden Sie mitnehmen und nach Europa oder Amerika bringen. Doch wir hörten, daß drei Mitglieder der Expedition auf der Insel zurückblicken. Ich sehe nur zwei?«

Mittlerweile war auch Smith herangekommen und von der anderen Seite von ›St 25‹ gleichzeitig Dr. Wille. Smith hatte die Frage des Professors ebenfalls gehört. »Der dritte war Professor Harte«, antwortete er zunächst ebenfalls auf englisch, fuhr dann, als er Schmidt und Wille unter sich deutsch reden hörte, in deutscher Sprache fort, »Herr Professor Harte war Botaniker. Wir waren zusammen auf einer Exkursion in den Wäldern, als der Ausbruch losging . . .«

»Professor Harte, der bekannte Botaniker? Wo haben Sie ihn gelassen?« warf Dr. Wille dazwischen.

»Er ist tot, Herr. Während wir vor dem Ausbruch nach Süden flohen, wurde er von einem Lavastein erschlagen.«

»Harte tot?! Schade um den Mann. Er war ein hervorragender Gelehrter. Die Wissenschaft erwartete noch viel von ihm.« Wille sagte es mehr zu sich als zu den anderen.

»Sind die Herren auf Veranlassung des Carnegie-Institutes hier?« fragte Smith inzwischen den Professor. Der schüttelte den Kopf.

»Nein, Herr . . . Herr . . .«

»Smith ist mein Name, Frederic Smith aus Harvard im Staate Massachusetts«, machte Smith sich bekannt.

»Nein, Mr. Smith«, fuhr Professor Eggerth fort, »wie Sie hören und sehen, sind wir Deutsche. Es ist ein reiner Zufall, daß wir hier gelandet sind; aber wie ich bereits sagte, sind wir selbstverständlich bereit, Sie und Ihren Gefährten mitzunehmen und in die Zivilisation zurückzubringen.«

Etwas Genaueres noch wünschte Professor Eggerth über Namen und Art seiner neuen Gäste zu erfahren, und bereitwillig gab Smith ihm Auskunft. Weder er noch O'Brien hatten zu den wissenschaftlichen Mitgliedern der Carnegie-Expedition gehört. Als All-roundhands, wie man in den Vereinigten Staaten sagt, als Leute für alles, waren sie mitgegangen. Frederic Smith war Mechaniker von Beruf, O'Brien Motorschlosser, aber über diese, ihre ursprünglichen Professionen hinaus, hatten sie sich noch manches andere angenommen. Gerade weil sie bei den verschiedensten Vorkommnissen helfend eingreifen konnten, waren sie für die amerikanische Expedition wertvoll gewesen. Smith stellte sein Licht nicht unter den Scheffel und strich auch die Fähigkeiten O'Briens kräftig heraus, als er Professor Eggerth darüber berichtete.

»Nun gut«, sagte der Professor, als Smith mit seiner Aufzählung zu Ende war, »Sie und Mr. O'Brien werden unsere Gäste an Bord von ›St 25‹ sein. Mit der Zivilisation wollen wir gleich hier anfangen«, fügte er mit einem Blick auf das Äußere der beiden hinzu und winkte seinen Sohn heran. »Nimm dich der beiden Herren an, Hein. Sie mußten ein Vierteljahr allein auf der Insel hier hausen. Sorge dafür, daß sie alles Notwendige bekommen.«

Hein Eggerth lachte. »Verstehe, Vater. Erst mal ein Bad, Rasierzeug . . . passende Garderobe wird sich auch finden. Die Herrschaften sollen sich wohl bei uns fühlen . . .«

In Begleitung von Smith und O'Brien kehrte Hein Eggerth zu ›St 25‹ zurück und führte das Programm, das er seinem Vater kurz angedeutet hatte, mit Sorgfalt und Gründlichkeit aus.

Kaum wiederzuerkennen waren die beiden Amerikaner, als sie eine Stunde später in dem Mittelraum von ›St 25‹ am gedeckten Tisch saßen. Aus zwei verwahrlosten Tramps waren zwei gutaussehende Gentlemen geworden, die sich nach langen Monaten zum erstenmal wieder behaglich dem Genuß einer anständigen Mahlzeit hingaben. – – –

Während das in ›St 25‹ geschah, war Professor Eggerth mit Heineken zu ›St 21‹ gegangen, um mit ihm die Einzelheiten für den beabsichtigten Versuch zu besprechen. Einige Anweisungen dafür hatte er schon in seinem Funkspruch gegeben, und an Bord von ›St 21‹ war man danach verfahren. Während des langen Fluges um den halben Erdball herum hatten die Eismaschinen des Schiffes ununterbrochen gearbeitet, und in Form von kleineren Blöcken lagen viele Kubikmeter klaren Kristalleises in den Behältern der Maschinenanlage. Auch eine Anzahl kreisförmig gebogener Kupferrohre hatte ›St 21‹ mitgebracht und außerdem noch eine große Leinwanddecke.

Der Plan, den sich Professor Eggerth zurechtgelegt hatte, war verhältnismäßig einfach, aber er erforderte doch allerlei Vorbereitungen und Mittel. Seine Absicht ging dahin, auf der ausgebreiteten Leinwand aus den Eisblöcken, die fertig aus den Kühlzellen der Gefrieranlage genommen werden konnten, ein kugelförmiges Gebilde von rund 100 Kubikmetern Inhalt aufzubauen. Wie die Rechnung ergab, mußte das eine Kugel von annähernd 6 Meter im Durchmesser ergeben. Weiter würde es sich dann noch darum handeln, diesen Eisbau zu einem massiven Block zusammenfrieren zu lassen. Dazu mußte man ihm noch Wasser zusetzen, und ferner war den Kupferrohren eine besondere Rolle dabei zugedacht.

Aufmerksam folgten Heineken und Beckmann den Erklärungen des Professors, dann riefen sie ihre Leute zusammen, und die Arbeit begann. Dreißig Hände griffen zu, um die große Stoffplane dicht neben ›St 21‹ auf dem Rasen auszubreiten. Kaum lag sie, als die Kolonnen der Werkleute über eine der beiden von ›St 21‹ ausgelegten Stiegen in das Schiffsinnere eilten. Wenige Minuten später kamen sie über die zweite Stiege wieder heraus, doch jetzt trug jeder der Leute einen Eisblock im Gewicht eines Zentners auf der Schulter. Nach den Weisungen Heinekens begannen sie die Blöcke auf der Plane aufzuschichten, während andere unter der Leitung Beckmanns sich daran machten, aus den Kupferröhren ein kugelförmiges Gerippe um das Ganze herumzufügen.

Noch waren die letzten Eisblöcke nicht an Ort und Stelle, als dieser Rohrbau bereits fertig zusammengefügt dastand, während andere Werkleute zwei schwere Schläuche daran anschlossen und bis in das Schiffsinnere hinein aufrollten. Eben noch lagen die Schläuche schlaff, doch jetzt blähten sie sich bereits. Salzsole aus der Kühlanlage, bis auf 30 Grad unter Null niedergekühlt, strömte durch sie zu den Kupferröhren, durchlief diese und floß durch den zweiten Schlauch zu den Maschinen von ›St 21‹ zurück.

Wohl brannte die Tropensonne unbarmherzig hernieder, wohl leckte es bereits stark von den Eisblöcken, aber in wenigen Minuten bildete sich unter der Wirkung der eisigen Sole ein schwerer Eisbelag auf den Kupferröhren.

Und nun war der letzte Eisblock eingefügt, der Aufbau vollendet; da schlugen die Werkleute die Plane um ihn herum, wie man etwa einen Kürbis in einen großen Bogen Papier einschlägt, banden sie oben zusammen und führten vom Schiff her einen dritten Schlauch heran. Kaltes Wasser warfen die Pumpen von ›St 21‹ aus den Tanks des Schiffes durch diesen dritten Schlauch in das Gebilde hinein. Prall blähte sich die Plane unter dem Wasserdruck. Fast genau kugelförmige Gestalt gewann sie. Ein Gemisch von Eis und Wasser stand jetzt in ihr, und unablässig verrichtete die eisige Sole in den Kupferröhren weiter ihr Werk. Schneidender Frost begann sich auszuwirken, der das Ganze zu einer massiven Eiskugel von 100 Tonnen im Gewicht erstarren ließ.

Mit der Uhr in der Hand stand Professor Eggerth dabei und verfolgte den Gang der Arbeiten; nahm bisweilen sein Notizbuch zu Hilfe, schrieb Zahlen nieder, rechnete, schaute dann wieder auf die Uhr.

»Noch eine Stunde, Herr Heineken, dann wird der Block durch und durch gefroren sein«, er steckte die Uhr wieder in die Tasche. »Dann werden wir starten können. Sie sind genau im Bilde, wie wir vorgehen wollen?«

»Ich weiß Bescheid, Herr Professor«, erwiderte der Chefpilot von ›St 21‹. »In einer Stunde lösen wir alle Verbindungen und starten mit ›St 21‹! Der Eisball wird von ›St 25‹ aufgenommen.«

»So ist es«, bestätigte der Professor die Worte Heinekens, »Sie starten und gehen mit Ihrem Schiff sofort in die Stratosphäre. ›St 25‹ wird Ihnen sobald wie möglich folgen. Ihre Funkstation A wollen Sie betriebsbereit für Nahempfang unserer Werkwelle halten, damit ›St 25‹ jederzeit mit Ihnen sprechen kann. Ihre Stationen B und C können Sie nach Belieben einstellen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß es bald nach unserm Aufstieg allerlei Interessantes im Äther zu hören geben wird.«

Damit verabschiedete Professor Eggerth sich von Heineken und ging zu ›St 25‹ hinüber. – – –

Das Mahl im Mittelraum von ›St 21‹ ging zu Ende. Die Hauptkosten der Unterhaltung trug dabei Hein Eggerth, der abwechselnd in Deutsch und Englisch zahllose Fragen seiner Gäste zu beantworten hatte. Von den Eggerth-Werken in Bitterfeld und von den berühmten Stratosphärenschiffen hatten die beiden Amerikaner bereits mancherlei gehört und wollten jetzt noch mehr darüber wissen. Hein Eggerth gab ihnen Auskunft, soweit er es für angebracht hielt und kam endlich, als bereits der Kaffee aufgetragen wurde, auch seinerseits dazu, ein paar Fragen über die Carnegie-Expedition zu stellen.

Während diese Unterhaltung an einem runden Tisch auf der Steuerbordseite des Schiffes geführt wurde, saß der lange Schmidt, in ein Bündel amerikanischer Zeitschriften vertieft, in einem Sessel am Backbordfenster. Solange die drei drüben sich über die Eggerth-Werke unterhielten, studierte er eifrig seine Hefte; als sie jedoch auf die Carnegie-Expedition zu sprechen kamen, begann er aufzumerken, spitzte die Ohren, als zum erstenmal der Name Garrison fiel, und mischte sich dann direkt in die Unterhaltung ein.

»Hatten Sie viel mit Mr. Garrison zu tun?« fragte er O'Brien, der eben wieder im Zusammenhang mit einer ziemlich belanglosen Angelegenheit den Namen erwähnt hatte.

»Es ließ sich halten, Sir«, erwiderte O'Brien. »Zuweilen kam Mr. Garrison mit einem Wunsch zu mir oder zu Smith, aber häufig geschah es nicht. Im allgemeinen bekamen wir unsere Aufträge von Mr. Johnson, dem Kapitän der ›City of Baltimore‹.«

Ob das auch noch auf der Insel selbst nach der Ausbootung der Fall gewesen wäre, wollte der Doktor danach wissen. Smith hatte bemerkt, daß dessen Englisch ein wenig rostig war und beantwortete die Frage an O'Briens Stelle auf deutsch.

»Auf der Insel wurden wir beide . . . O'Brien und ich . . . Professor Harte zugeteilt, der vom ersten Tage an mit uns botanische Exkursionen in die Wälder unternahm. Da haben wir von Mr. Garrison nicht mehr viel zu sehen bekommen.«

»Hm! Schade!« Der lange Schmidt murmelte allerlei Unverständliches vor sich hin, sprach dann wieder laut weiter. »Das ist bedauerlich. Ich kenne Mr. Garrison gut. Ich hätte gern noch irgend etwas Genaueres über ihn gehört.«

»Well, Doktor«, meinte Smith nach kurzem Überlegen, »da ist nicht viel zu berichten. Mr. Garrison beschäftigte sich hauptsächlich mit geophysikalischen Messungen. Ein paarmal habe ich ihm die Apparate dafür justieren müssen. Bei der Gelegenheit erzählte er mir beiläufig, daß er schon früher einmal auf der Insel gewesen wäre.«

»So, so?« Der lange Schmidt mußte erst ein paarmal schlucken, bevor er weiter sprach. »Mr. Garrison ist schon früher auf der Insel gewesen? Hat er Ihnen nicht gesagt, wann und bei welcher Gelegenheit?«

Zum größten Bedauern von Dr. Schmidt war der Amerikaner nicht in der Lage, auf diese Frage zu antworten, denn James Garrison hatte ihm nichts darüber gesagt.

Während an dem runden Tisch Hein Eggerth sich über diese Verschwiegenheit Garrisons freute, war der lange Schmidt ganz offensichtlich unzufrieden darüber. Er beschloß sich wieder seinen Zeitschriften zuzuwenden. Während er schon wieder nach einem der Hefte griff, fragte Hein Eggerth den Amerikaner:

»Wo haben Sie eigentlich Ihr gutes Deutsch gelernt? Mr. Smith?«

»Von meinem Vater, Mr. Eggerth. Er war ein Deutscher. Ist erst vor dreißig, nein vor achtundzwanzig Jahren in die Staaten eingewandert. Er kam aus Waltershausen in Thüringen herüber. Vater hat mir öfter erzählt, daß wir da noch deutsche Verwandte haben.«

»Ah, so ist das, Mr. Smith.« Hein Eggerth überlegte ein paar Sekunden und sprach dann weiter. »Da hat Ihr Vater wohl ursprünglich gut deutsch ›Schmidt‹ geheißen und seinen Namen erst in den Staaten amerikanisiert.«

»Richtig geraten, Sir«, bestätigte Smith die Vermutung Hein Eggerths. »Mein Vater hieß ursprünglich Heinrich Schmidt, als er nach USA. kam, nannte er sich natürlich Henry Smith. Sie wissen ja, Mr. Eggerth, wie das die deutschen Einwanderer in den Staaten so machen . . .« Schon als in der Unterhaltung zwischen Smith und Hein Eggerth die Worte ›Thüringen‹ und ›Waltershausen‹ fielen, hatte Dr. Schmidt seine Zeitschrift wieder beiseite gelegt. Jetzt erhob er sich und kam zu den anderen an den Tisch herüber.

»Ihr Vater hieß Heinrich?« fragte er den Amerikaner unvermittelt. »Wann ist er von Waltershausen fortgegangen?«

»Vor achtundzwanzig Jahren, ich sagte es bereits, Sir.«

»Und hat er Ihnen Näheres über die deutschen Verwandten in Waltershausen erzählt?«

Dr. Schmidt stellte die Frage, und Hein Eggerth wunderte sich im stillen, wie lebhaft der sonst stets verschlossene und zurückhaltende Doktor auf einmal war.

»Die deutschen Verwandten, Sir? . . .« Smith machte eine unschlüssige Bewegung. »Vater hat öfter von ihnen erzählt, aber nichts besonders Erfreuliches. Es soll damals zu Hause einen mächtigen Familienkrach gegeben haben. Der Großvater muß ein richtiger Tyrann gewesen sein.«

»Wissen Sie, wie er hieß? Was er gewesen ist?« fuhr der lange Schmidt dazwischen. Mr. Smith mußte sich eine kurze Weile besinnen, bevor er zur Antwort ansetzte.

»Karl Schmidt war sein Name. Irgend so eine Sorte von einem Rat soll er gewesen sein. Ein Gebirgsrat oder ein Waldrat. Ich kenne mich mit den deutschen Titeln nicht aus . . .«

»Forstrat war er!« platzte Dr. Schmidt heraus.

»Richtig Sir, ein Forstrat. Er wollte seinen beiden Söhnen mit Gewalt seinen Willen aufzwingen. Meinem Vater hat das nicht gepaßt. Hat ihm den ganzen Krempel vor die Beine geschmissen. Ist als Achtzehnjähriger bei Nacht und Nebel von Waltershausen weg nach USA

Mit wachsendem Staunen beobachtete Hein Eggerth das wechselnde Mienenspiel von Dr. Schmidt, während der Amerikaner seine Mitteilungen vorbrachte. Sonst stets hölzern und wenig bewegt, zeigte das Gesicht des langen Doktors jetzt einen ganz anderen lebhafteren Ausdruck.

»Wie ist es Ihrem Vater drüben in den Staaten gegangen?« fragte er.

»Hat sich durchkämpfen müssen, Sir. Kam ohne Mittel drüben an, war natürlich nicht leicht für ihn. Hatte aber einen offenen Kopf und geschickte Hände. Mußte wie die meisten Einwanderer von unten anfangen. Ist aber vorwärtsgekommen, hat heut eine gute Motorwerkstatt in Massachusetts. Ist kein Millionär geworden, hat aber sein gutes Auskommen.«

»Ah, Ihr Vater lebt noch?« Der lange Schmidt stellte die Frage in einem Ton, daß Smith stutzte und ihn verwundert ansah.

»Selbstverständlich, Sir! Warum sollte er nicht leben? Er ist ja noch nicht mal fünfzig.«

»So, so, Mr. Smith. Und es geht Ihrem Vater gut?«

»Kann man wohl sagen, Sir. Die Werkstatt ist ein guter Job. Hat mächtig zu tun. Haben bei Hochsaison schon mit vierzig Mann gearbeitet.«

Dr. Schmidt murmelte etwas schwer Verständliches vor sich hin, was ungefähr wie ›erfreulich‹ und ›angenehm‹ klang.

»Wissen Sie vielleicht auch, wie der Bruder Ihres Vaters hieß, der in Deutschland blieb?« fragte er unvermittelt.

Der Amerikaner mußte sich erst geraume Zeit besinnen. »Adolf war sein Name, wenn ich mich richtig erinnere«, sagte er ein wenig unsicher. »Hörte mal so etwas, daß der unter die Studierten gegangen sein soll.«

Vergeblich wartete Mr. Smith auf weitere Fragen. Der lange Schmidt raffte seine Hefte zusammen und verließ ohne weiter ein Wort zu sagen den Raum.

»Was hat der Mann?« fragte der Amerikaner Hein Eggerth. »Habe ich ihn beleidigt? Das war nicht meine Absicht . . .«

Hein Eggerth schüttelte den Kopf. »Keineswegs, Mr. Smith. Aber die Welt ist ein Dorf.«

»Was meinen Sie damit, Mr. Eggerth? Ich verstehe Sie nicht.«

»Dann will ich's Ihnen erklären, Mr. Smith. Der Doktor, der hier eben hinausging, heißt Adolf Schmidt und stammt aus Waltershausen, wo sein Vater Forstrat war. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?«

Mr. Smith riß den Mund auf und schnappte erst ein paarmal tief Luft, bevor er zu antworten vermochte.

»Dann wäre ja . . . dann wäre ja . . .«

»Dr. Schmidt Ihr richtiger Onkel, Mr. Smith«, sagte Hein Eggerth.

Smith war aufgesprungen. »Wirklich, Herr Eggerth? Ist das so?«

»Ich bin überzeugt, daß es so ist, Mr. Smith.«

»Ich will zu ihm gehen, ich muß weiter mit ihm sprechen.« Smith wollte fortgehen, Hein Eggerth drückte ihn auf seinen Stuhl zurück.

»Sie werden später Gelegenheit dazu haben. Warten Sie noch ein wenig. Lassen Sie dem Doktor Zeit. Er muß sich erst selber mit dem abfinden, was er eben erfahren hat.«

 


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