Hans Dominik
Land aus Feuer und Wasser
Hans Dominik

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Neugierige Leute aus USA.

Captain Dryden hatte sich mit der Ausführung des Auftrages, den das Carnegie-Institut ihm erteilte, reichlich Zeit gelassen. Mehrere Tage hindurch lag die ›Berenice‹ bei völliger Windstille unbeweglich auf der gleichen Stelle. Während die Botaniker und Zoologen, die sich an Bord befanden, gute Zeit hatten und nach Herzenslust ihre Netze und Angeln auswerfen konnten, reckte sich Captain Dryden behaglich in seinem Liegestuhl auf Deck. Nur hin und wieder unterbrach er das süße Nichtstun, um einige nach seiner Meinung überflüssige Funksprüche des Instituts zu erwidern. Aus dem, was in seinen Antworten stand, konnten die Herren in USA. entnehmen, daß die ›Berenice‹ mit Motorkraft ihren Kurs auf die Insel verfolge.

Bis dann nach langer Flaute doch endlich ein günstiger Wind aufkam, der den Captain veranlaßte, alle Leinwand setzen zu lassen und sein Ziel anzusteuern. Er tat es, obwohl er den Auftrag, den man ihm erteilt hatte, für zwecklos hielt. Was mit dieser Insel los war, glaubte er bereits zur Genüge bei seinem letzten Besuch festgestellt zu haben. Der Nebel, der sie damals verhüllte, würde sich jetzt wohl verzogen haben, aber ob er von der Insel überhaupt noch etwas vorfinden würde, erschien ihm mehr als zweifelhaft.

Mit einer größeren Sorgfalt als sonst nahm er die tägliche Ortsbestimmung vor und wiederholte sie mehrmals am Tage, als die ›Berenice‹ sich der Stelle näherte, an der die Insel gelegen hatte. Auch Lotungen ließ er in kurzen Abständen vornehmen, denn mit Veränderungen des Meeresgrundes war zu rechnen.

Wieder hatte er jetzt mit dem Sextanten gearbeitet, die Sonnenhöhe gemessen und gerechnet. Etwa zehn Seemeilen konnte er von seinem Bestimmungsort noch entfernt sein. Wenn von der Insel noch etwas vorhanden war, mußte es bald über der Kimme auftauchen. Er schickte einen Mann auf den Fockmast, mit dem Befehl, scharf Ausschau zu halten. Der war kaum oben, als auch schon sein Ruf ertönte: ›Land voraus‹.

Also schien doch noch etwas von der vermaledeiten Insel übriggeblieben zu sein. Captain Dryden kratzte sich bedenklich den Kopf, als er den Ruf vernahm. Hoffentlich war es nicht allzuviel, denn eine unrichtige Meldung an das Institut . . . das konnte ihm Schwierigkeiten bereiten. Er ging selbst auf die Brücke und spähte mit einem guten Glase aus, während die ›Berenice‹ ihren Kurs verfolgte.

Eine Spitze konnte er jetzt über der Kimme bemerken. Etwas, das sich, während die Minuten verrannen, immer mehr zu einem Bergkegel auswuchs. Ein leichtes Wölkchen schien über der Spitze zu schweben, doch sonst war von dem früheren Dunst und Nebel keine Spur mehr vorhanden. Und dann wurde das, was am Horizont auftauchte, immer breiter und massiger. Höhenzüge und das bläuliche Grün weit entfernter Wälder konnte Captain Dryden durch sein Glas erkennen, zu derselben Zeit, zu der Dr. Schmidt das seinige absetzte und nach ›St 25‹ eilte.

Der Captain zerkaute einen ellenlangen Fluch zwischen den Lippen, während sein Hirn bereits nach einer Begründung für seine frühere Meldung zu suchen begann. Die undurchdringlichen Dampfmassen damals . . . der veränderte Seeboden . . . dunkel entsann er sich, daß er auch etwas von dem im weiten Kreis kochenden Meer gefunkt hatte . . . das alles zusammen noch einmal gut aufgebauscht und richtig vorgebracht, gab vielleicht die Möglichkeit, sich dem Institut gegenüber herauszureden. So stellte sich Captain Dryden die Angelegenheit vor, denn von den weitreichenden politischen Folgen, die sein damaliger Funkspruch nach sich gezogen hatte, wußte er ja nichts.

Meile um Meile brachte die ›Berenice‹ hinter sich und deutlich wurden jetzt Einzelheiten auf der Insel erkennbar. Ein Mast, an dem die deutsche Flagge wehte. Von der Besitznahme der Insel einige Tage vor der Katastrophe hatte der Captain durch Funksprüche Kenntnis erhalten und sich wie so viele andere über die dummen Deutschen ins Fäustchen gelacht. Jetzt aber wollte ihm der Flaggenmast dort gar nicht gefallen.

Verschiedene Gebäude unterschied er dann weiter, ein untrügliches Anzeichen dafür, daß die Deutschen bereits dabei waren, sich auf ihrer neuen Erwerbung seßhaft zu machen. Und nun, als das Schiff wieder ein gutes Stück vorangekommen war, fiel sein Blick auf etwas, das ihn erst recht aufschauen ließ. Ein Förderturm erhob sich dort auf der Strandwiese. Unverkennbar war das Rad mit dem darüberlaufenden Förderseil. Eine Bergwerksanlage also, wenn er seinen Augen trauen durfte. Das konnte doch nur einen Sinn haben, wenn es auf der Insel Bodenschätze gab, die solche Anlage lohnten.

Alle Zuversicht, in die er sich vor kurzem hineingeredet hatte, verließ ihn wieder. Hier gingen offensichtlich Dinge vor, die in USA. höchstlich interessieren mußten, und es war sein Fehler . . . das gestand er sich selber jetzt rückhaltlos ein . . . daß das Institut und die hinter ihm stehenden Interessenten nicht rechtzeitig darüber unterrichtet worden waren. Nur durch einen zweiten möglichst inhaltsreichen Bericht würde sich dieser Fehler wieder gutmachen lassen. Das erkannte Captain Dryden klar und er faßte den Entschluß zu diesem Zweck auf der Insel zu landen, was ursprünglich nicht in seiner Absicht gelegen hatte. – – –

Dr. Schmidt fand Professor Eggerth in seiner Kabine über Zeichnungen gebeugt in eifriger Arbeit. Es gab da noch gewisse Schwierigkeiten bei dem großen Plan, dessen Verwirklichung sich der Professor vorgenommen hatte, und in stundenlangem Nachdenken und Grübeln suchte er Wege und Mittel zu finden, um ihrer Herr zu werden. Aus seinem Gedankengang gerissen fuhr er zusammen, als Dr. Schmidt nach kurzem Anklopfen in seine Kabine trat. Noch bevor er etwas sagen oder fragen konnte, platzte der lange Schmidt mit seiner Nachricht raus.

»Wir bekommen Besuch, Herr Professor.«

»Besuch, Herr Doktor? Wer gibt uns die Ehre?«

»Captain Dryden. Sein Schiff, die ›Berenice‹ steuert die Insel mit vollen Segeln an.«

Professor Eggerth schob seine Zeichnungen und Notizen beiseite und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Ein leichtes Lächeln lief über seine Züge, während er zu sprechen begann. »Vorläufig sind die Herrschaften ja noch nicht hier, Herr Doktor.«

»Aber sie können in einer Stunde hier sein«, unterbrach ihn Schmidt.

»Wenn Captain Dryden mit seinem Schiff sich inzwischen nicht festläuft«, fuhr Professor Eggerth fort. »Die Aussichten dafür stehen fünfzig zu fünfzig. Der Seeboden hat bei dem letzten Ausbruch starke Veränderungen erfahren.«

»Unterschätzen Sie Captain Dryden nicht«, widersprach ihm Dr. Schmidt. »Er ist ein alter mit allen Wassern gewaschener Seemann. Er wird rechtzeitig loten und nötigenfalls eine Barkasse aussetzen.«

»Hm, schade«, der Professor sagte es mehr zu sich als zu Schmidt, »Sie glauben also, daß die Yankees uns bestimmt einen Besuch abstatten werden?«

»Ich bin davon überzeugt, Herr Professor«, meinte Dr. Schmidt mit Entschlossenheit.

»Ja dann, mein lieber Schmidt«, wieder lief ein Lächeln über die Züge des Professors, während er weiter sprach, »fällt Ihnen eine Aufgabe zu, die Sie vor Jahren in der Antarktis ja schon einmal glänzend gelöst haben.«

Der lange Schmidt sah den Professor verwundert an. »Ich weiß nicht, was Sie meinen?« fragte er unsicher.

Professor Eggerth lachte auf. »Aber erinnern Sie sich doch, mein lieber Herr Doktor, wie Sie in der Antarktis, es ist ja schon ein paar Jahre her, Captain Andrew und Mr. Garrison geleimt haben. Unser Hagemann, der sich's nicht verkneifen konnte, am Schlüsselloch zu lauschen, hat mir die Geschichte später erzählt. Großartig haben Sie das den beiden damals besorgt, so ähnlich werden Sie es heut auch mit Mr. Dryden und seinen Leuten machen müssen.«

Dr. Schmidt hatte Bedenken. »So einfach wie damals wird die Sache diesmal nicht gehen«, wandte er ein. »In der Antarktis hatten wir alle Spuren unserer Tätigkeit bereits beseitigt. Hier liegen unsere Arbeiten offen zutage.«

»Aber liebster, bester Schmidt! Was liegt denn schon zutage?« erwiderte Professor Eggerth. »Ein Schacht von 50 Meter Tiefe, aus dem wir nur taubes Gestein herausgebracht haben. Das Fördergut liegt frei umher, die Herrschaften mögen es nach Herzenslust untersuchen, sie werden dadurch nicht klüger werden.«

»Aber sie werden unbequeme Fragen stellen, Herr Professor. Sie werden wissen wollen, warum wir hier eine Abteufung vorgenommen haben. Mit Captain Dryden würde ich schon fertig werden; aber die amerikanischen Wissenschaftler, die er an Bord hat, die werden mir ein Loch in den Rock fragen.«

»Hm, so! Die Herren Gelehrten? Wissen Sie zufällig, Herr Dr. Schmidt, ob Geologen oder Geophysiker dabei sind?«

Der lange Schmidt schüttelte den Kopf. »Soweit ich unterrichtet bin, befinden sich bei der Expedition von Captain Dryden nur Zoologen, Botaniker und Biologen.«

»Vortrefflich, Herr Doktor!« Professor Eggerth schlug sich auf den Schenkel. »Es wird Ihnen doch nicht schwer fallen, den Kollegen von der anderen Fakultät einen blauen Dunst vorzumachen. Tischen Sie den Herrschaften geologische Märchen und geophysikalische Absurditäten auf, bis sie nicht mehr wissen, wo vorn und wo hinten ist.«

»Hm! Ja, aber was?« Dr. Schmidt zog sein Gesicht in nachdenkliche Falten.

»Sie haben reichlich Zeit, sich's zu überlegen«, ermunterte ihn der Professor. »Vor einer halben Stunde können die Yankees nicht hier sein. Dann werde ich sie erst mal zu einem guten Frühstück einladen. Bis dahin wird Ihnen schon etwas Passendes einfallen. Strengen Sie sich an, lieber Doktor. Ich verlasse mich ganz auf Sie.« – – –

Die ›Berenice‹ mochte noch einen Kilometer vom Ufer entfernt sein. Ein Segel nach dem anderen hatte Captain Dryden reffen lassen. Nur noch mit geringem Zeug machte das Schiff langsame Fahrt. In kurzen Abständen kam vom Vorschiff her der Ruf des dort lotenden Matrosen.

»Drei Faden«, meldete er soeben. »Zwei Faden«, eine halbe Minute später. Für Captain Dryden war es das Signal, das Ruder der ›Berenice‹ schleunigst rumwerfen zu lassen und abzudrehen. Keine Sekunde zu spät, denn schon verriet ein schwaches Scharren, daß das Schiff eine leichte Bodenberührung gehabt hatte. Auf ein neues Kommando hin ging der Motor an. Mit Maschinenkraft entfernte das Schiff sich von der Insel, bis das Lot wieder drei Faden zeigte.

Rasselnd ging der Anker auf den Grund; die letzte Leinwand wurde fortgenommen. Die ›Berenice‹ lag vor Anker, kaum merklich von einer schwachen Dünung bewegt. Captain Dryden verschwand in seiner Kabine, um sich landfein zu machen, während eine Motorpinasse ausgeschwungen und zu Wasser gelassen wurde.

Als er wieder auf Deck kam, waren an der Stelle der Reling, wo die Pinasse neben der ›Berenice‹ auf dem Wasser lag, die wissenschaftlichen Mitglieder seiner Expedition in einer mehr als lebhaften Unterhaltung versammelt. Bald hörte er aus dem Stimmengewirr heraus, daß sie von der bevorstehenden Landung sprachen, wobei jeder von ihnen seine eigenen Pläne und Absichten verfocht. Das wettergebräunte Gesicht Captain Drydens wurde um einen Ton röter, als er es vernahm, er hatte nicht die Absicht, irgendeinen von der gelehrten Gesellschaft mitzunehmen, sondern wollte erst einmal allein an Land fahren.

Doch vergebens versuchte er mit seiner kräftigen Stimme durchzudringen. In einer nicht mißzuverstehenden Weise beriefen sich die anderen auf das Carnegie-Institut, sprachen von ihren Rechten und von den Pflichten des Captains, bis ihm schließlich nichts anderes übrigblieb, als nachzugeben. Vergeblich wies er darauf hin, daß das Boot überlastet würde, wenn sie alle mitkämen. Sie blieben für alle Einwände unzugänglich und bestanden auf ihrem Recht.

Leise vor sich hinfluchend sah Captain Dryden zu, wie einer nach dem anderen über das Fallreep in die Pinasse kletterte. Als er ihnen mit zwei Maschinisten folgte, befanden sich neun Personen in dem kleinen Boot. Es war ganz offensichtlich überladen.

»Würde euch nichts schaden, wenn ihr euch bei der Gelegenheit gründlich die Hosen auswaschen tätet«, murmelte der Captain vor sich hin, als das Boot von der ›Berenice‹ abstieß und auf das Ufer der Insel zuhielt. Die ersten 800 Meter ging die Fahrt glatt. Dann ein Scharren und Knirschen. Mit einem jähen Ruck blieb das Boot stehen, daß Botaniker und Zoologen wie Kraut und Rüben durcheinander purzelten. Es war mit dem Kiel fest auf dem Felsgrund aufgelaufen und lag halb schräg nach Steuerbord über.

»Da habt ihr den Salat, Gentlemen«, schrie Captain Dryden, während sein Gesicht ein Gemisch von Ärger und Schadenfreude widerspiegelte. »Die Pinasse muß geleichtert werden, anders kommen wir nicht wieder los. Vier Mann mal raus über Bord!« Der Captain hatte gut kommandieren. Kein einziger war gewillt, dem Befehl zu folgen und sich die Schuhe naßzumachen.

Während ein Debattieren und Streiten darüber begann, wer von ihnen das Opfer bringen und in das hier knapp knietiefe Wasser steigen sollte, schauten sie verlangend nach dem kaum noch 300 Meter entfernten Strand hinüber. Am Ufer sahen sie drei Männer stehen, die ihnen winkten, näher zu kommen. Weiter dahinter erblickten sie Gebäude, die sie schon von der ›Berenice‹ aus gesehen hatten, und weiter fiel ihnen noch etwas auf, was den meisten bisher entgangen war. Eine Flotte nämlich von fünfundzwanzig Flugbooten, die in einer Senkung der Wiese auf dem Rasen lagen.

Noch ging der Streit hin und her, wer von den Insassen aus der gestrandeten Pinasse ins Wasser sollte, als eins der Flugschiffe sich drüben auf der Insel vom Rasen abhob und in ganz niedriger Höhe langsam heranschwebte. Jetzt stand es über der Pinasse und senkte sich noch etwas tiefer, während alle Augen aus dem Boot zu dem glänzenden Metallrumpf emporblickten. Und dann . . . sie wußten kaum, wie es geschah, so schnell ging alles vor sich . . . fuhren vier Greiferarme aus dem Boden des Metallbaues heraus, umklammerten die Pinasse und hoben sie, während das Flugschiff wieder ein wenig stieg, aus dem Wasser heraus.

Das Unerwartete verschlug ihnen die Sprache. Es wurde still in dem Boot, während das Flugschiff mit seiner Beute wieder dem Ufer zuschwebte. Dort auf dem Rasen dann noch einmal das gleiche Manöver in umgekehrter Folge. Sanft setzten die mächtigen Metallgreifer die Pinasse auf den Boden und zogen sich in den Rumpf des Flugschiffes zurück, das langsam zu seinem Liegeplatz zurückkehrte.

Als erster sprang Captain Dryden aus dem Boot. Ein langer hagerer Mann mit einem schmalen bartlosen Gesicht trat ihm entgegen und begrüßte ihn in englischer Sprache.

»Captain Dryden, wenn ich nicht irre?«

Der Captain nickte. »Yes, Sir.«

»Ich bin der Ministerialrat Dr. Schmidt«, machte sich ihm der Lange bekannt. »Ich habe das Vergnügen, Sie auf deutschem Boden zu begrüßen, Herr Kapitän. Unsere Hafenverhältnisse sind noch etwas primitiv. Wir erlaubten uns, Sie mit einem unserer Flugschiffe an Land zu holen, als wir bemerkten, daß Sie auf Grund saßen.«

»War sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Ministerialrat«, sagte der Captain und schüttelte dem langen Schmidt kräftig die Rechte. »Wir hatten in der Tat die Absicht, Ihrer neuen Niederlassung einen Besuch abzustatten.«

»Freut uns aufrichtig, Sir«, nickte Dr. Schmidt.

»Aber leider hat es hier nach den letzten Vulkanausbrüchen Bodenveränderungen gegeben, die noch auf keiner Seekarte stehen. Um ein Haar wäre ich auch mit der ›Berenice‹ aufgeschrammt.«

»Wird bald anders werden, Sir«, meinte Dr. Schmidt kurz und winkte Hein Eggerth und Georg Berkoff heran, um sie mit dem Captain bekannt zu machen. Dann drängten auch dessen Wissenschaftler . . . sein »Zoologischer Garten«, wie er das Gelehrtenvolk bei sich nannte . . . heran und er mußte sie Dr. Schmidt und seinen Begleitern vorstellen.

»Meine Herren«, sagte Dr. Schmidt, als das geschehen war, »im Auftrage des Herrn Reichskommissars Dr. Wille habe ich die Ehre, Sie zu einem kleinen Imbiß in das Verwaltungsgebäude zu bitten.«

Er machte eine einladende Bewegung und setzte sich an die Spitze. Hein Eggerth und Berkoff flankierten den Trupp von beiden Seiten, und so ging es über den schwellenden Rasen auf das neue Gebäude zu. Nicht jeder von den amerikanischen Gästen war damit einverstanden. Frühstücken konnten sie auch an Bord der ›Berenice‹, hier wären sie lieber auf Entdeckungsreisen ausgegangen, aber im Augenblick wenigstens war das beim besten Willen nicht möglich. Nur ihre Blicke konnten frei umherschweifen. Zur Rechten nach der Stelle, wo die Flugboote lagen, zur Linken nach jenem Förderturm hin, der ihre Neugier schon an Bord der ›Berenice‹ erregt hatte.

Am Hauptportal des neuen Gebäudes wurden sie von Dr. Wille und Professor Eggerth begrüßt. Noch einmal eine Verstellung, ein allgemeines Händeschütteln, ein kurzer Weg durch einen breiten Flur, und sie traten in einen behaglich eingerichteten Raum, in dem eine gutbesetzte Tafel bereitstand. Dr. Wille bat seine Gäste, Platz zu nehmen, und bald klapperten Messer und Gabeln, während gleichzeitig eine lebhafte Unterhaltung aufkam.

»Sie haben mit Ihrer Erwerbung Glück gehabt, Herr Reichskommissar«, sagte der Captain zu Dr. Wille, »ich sehe zu meiner Freude, daß die Insel bei dem letzten Ausbruch kaum gelitten hat. In den Staaten hatte man andere Nachrichten darüber. Dort galt das Eiland schon als zerstört und verloren.«

Professor Eggerth hielt sich einen Augenblick die Serviette vor den Mund. ›Weil du den Unsinn nach Amerika gefunkt hast‹, ging's ihm durch den Sinn, während er sich das Lachen verbeißen mußte, ›wenn du eine Ahnung hättest, wie sehr uns dein Funkspruch für unsere eigenen Pläne zupasse kam‹.

Er ließ die Serviette wieder sinken und meinte zu Captain Dryden gewandt, »die Nachricht war stark übertrieben. Es gab bei dem letzten Ausbruch ein wenig Nebel und Dampf. Das war alles, und mehr war auch nicht zu erwarten oder zu befürchten.«

»Wissen Sie auch, Herr Professor«, nahm der Captain die Unterhaltung mit ihm auf, »daß man sich in den Staaten den Kopf darüber zerbrochen hat, warum Deutschland gerade auf dieses Fleckchen hier verfiel. Ein verlorener Punkt im Ozean . . . ein richtiges Robinson-Eiland mit einigen Ziegen und Tauben und sonst kaum etwas anderem. Man versteht es bei uns nicht recht, wie das zu einer Erwerbung reizen konnte. Darf ich frei sprechen, Herr Professor?«

Professor Eggerth nickte. »Bitte sehr, Herr Kapitän. Ihre Meinung ist uns sehr interessant.«

»Ich spreche nicht meine Meinung aus, Herr Professor, sondern diejenige unserer Volkswirtschaftler. Einstimmig sind sie der Ansicht, daß diese Erwerbung für Ihr Land ein Geschäft mit Unterbilanz ist und voraussichtlich immer bleiben wird.«

»Vielleicht, Herr Kapitän, vielleicht auch nicht. Ich bin nur als Privatperson hier und möchte mich jeden Urteils enthalten. Aber vielleicht ist unser Ministerialrat in der Lage, etwas darüber zu sagen . . .«

Der Professor warf Dr. Schmidt einen Blick zu, und der begriff, daß jetzt die Zeit für ihn gekommen war, ein Garn zu spinnen.

»Es waren hauptsächlich Überlegungen geophysikalischer Art«, begann er nach einigem Räuspern, »die das Reich zu der Erwerbung veranlaßten. Ich hatte hier bereits früher erdmagnetische Messungen gemacht . . .«

Die Wissenschaftler Captain Drydens horchten auf, als das Wort ›erdmagnetisch‹ fiel. Wenn sie auch, wie sich Professor Eggerth Dr. Schmidt gegenüber ausgedrückt hatte, zu einer anderen Fakultät gehörten, so hatten sie doch einiges über die Leistungen von Schmidt auf diesem Gebiete gehört und waren begierig, jetzt mehr zu erfahren.

»Ich konnte damals gewisse Anomalien der erdmagnetischen Feldstärke feststellen«, dozierte der lange Schmidt geruhsam weiter, »die mir die Vermutung aufdrängten, daß hier gewisse Erzvorkommen vorhanden wären, denen nachzugehen sich am Ende doch lohnen dürfte . . .«

»Aha! So war das?« Professor Brown, der eine der Zoologen von der ›Berenice‹ warf es mit einem Seufzer der Erleichterung dazwischen. Ihm und den anderen Wissenschaftlern war die Befreiung darüber anzusehen, daß sie nun endlich die Lösung des Rätsels erfahren hatten. Nur Captain Dryden schien anderer Meinung zu sein.

»Hm, Bodenschätze, wertvolle Erze vielleicht?« meinte er zweifelnd. »Nun ja, aber Sie sitzen hier auf einem höllisch wackligen Boden. Der Vulkan da drüben hat sich schon zweimal ganz gehörig gerührt und kann auch ein drittes Mal spucken, daß kein Fetzen auf der Insel übrigbleibt. Das ist doch ein schweres Risiko, Herr Ministerialrat, das Sie auf der Minusspalte Ihrer Erwerbung verbuchen müssen.«

»Doch nicht, Herr Kapitän«, widersprach ihm der lange Schmidt. »Der Vulkan bildet gewissermaßen die Bestätigung für meine Theorie, daß bestimmte Bodenschätze hier in einer nicht allzu großen Tiefe vorhanden sein müssen. Als ich meine ersten Messungen machte, war er noch nicht da . . .«

»Oh, Herr Ministerialrat, dann sind Sie schon vor der Carnegie-Expedition auf der Insel gewesen?« unterbrach ihn Captain Dryden.

»Das war ich, Herr Kapitän«, log der lange Schmidt mit eiserner Miene weiter. »Damals war ich meiner Sache noch nicht so ganz sicher, denn meine Theorie verlangte den Vulkanismus, wenn sie bis aufs letzte stimmen sollte. Sobald ich von einem unserer Stratosphärenschiffe erfuhr, daß jetzt ein Ausbruch erfolgt sei, sah ich meine Theorie bestätigt und beschloß zu handeln.«

Und nun tischte Dr. Schmidt den Leuten von der ›Berenice‹ ein geophysikalisches Märchen auf, daß ihnen die Augen übergingen. Von Sial, Sima und Nife redete er, als ob er diese Bestandteile unseres Erdballes täglich in Händen gehabt hätte, warf lange mathematische Formeln dazwischen, und als er endlich schloß, rauchten seinen Zuhörern die Köpfe. Zwar hatten sie kaum etwas von seinem Vortrag verstanden, aber jetzt waren sie davon überzeugt, daß Deutschland mit dieser Insel ein überaus wertvolles Objekt an sich gebracht hätte.

Als Dr. Schmidt mit seinem Vortrag fertig war, ging auch das Mahl seinem Ende entgegen. Noch zehn Minuten bei Kaffee und Zigarren, dann erhob sich Dr. Wille und gab damit das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.

»Wenn die Herren sich ein wenig Bewegung machen wollen«, sagte er einladend, »könnten wir einen kleinen Rundgang über die Uferwiese machen. Viel zu sehen gibt es bei uns noch nicht. Wir haben erst vor kurzem mit unseren Arbeiten begonnen.«

Bereitwillig wurde sein Vorschlag angenommen. In einzelnen Gruppen schlenderten die amerikanischen Gäste über den Rasen, wobei sich Hein Eggerth und Berkoff als Führer betätigten.

Captain Dryden warf einen Blick nach der Pinasse hin, neben der die beiden Maschinisten Jeffris und Robertson im Grase saßen.

»Hallo, Mr. Captain. Wir haben ja Ihre Leute vergessen; die werden auch Hunger haben«, wandte sich Berkoff an ihn, »wir können noch etwas für sie auftragen lassen.«

»Keine Sorge, Sir«, wehrte der Captain ab, »die Boys haben an Bord der ›Berenice‹ gehörig vorgelegt. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Ich will nur eben nach ihnen sehen.« Während Berkoff sich einer anderen Gruppe zuwandte, ging Captain Dryden zu der Pinasse hin.

»Habt ihr etwas entdeckt, Jungens?« fragte er.

»Nicht viel, Captain«, antwortete Robertson. »Bei dem Schacht war nichts Besonderes zu sehen. Da lag nur taubes Gestein herum. Ein paar Brocken davon habe ich in die Tasche gesteckt.«

»Ist nicht viel, Robertson«, brummte Captain Dryden. »Ist sonst gar nichts?«

»Jeffris hat auf der Wiese noch etwas gefunden, Captain.«

»Ein paar Brocken von einem merkwürdigen Gestein«, meldete sich Jeffris. »Das Zeug lag in einem Busch. Sah fast so aus, als ob es da einer versteckt hätte. Das fiel mir auf, habe deshalb etwas davon mitgenommen.«

»Gut, Jeffris, haltet auch weiter die Augen offen. Wir reden später an Bord darüber«, sagte Captain Dryden und kehrte zu den anderen zurück, um noch etwas von einem Vortrag aufzuschnappen, den Dr. Schmidt am Rande des neuen Schachtes hielt.

Geduldig hörten die Wissenschaftler der ›Berenice‹ dort die Ausführungen des langen Doktors über Bohrmaschinen und Sprengungen an. Captain Dryden benutzte die Gelegenheit, noch ein wenig in den Halden, auf die man das Geförderte geworfen hatte, herumzustöbern. Hier und dort langte er einen Brocken auf und warf ihn wieder beiseite, sobald er merkte, daß es nur taubes Gestein war. Seine Hoffnung, hier vielleicht ein paar Erzproben zu erwischen, erfüllte sich nicht und damit war auch sein Interesse an der Insel erschöpft. Er begann zum Aufbruch zu drängen.

»Reisende Leute soll man nicht aufhalten«, raunte Professor Eggerth dem langen Schmidt zu. »Machen Sie einen Punkt in Ihrem Vortrag, Doktor. Wir wollen die Herrschaften wieder zu ihrem Schiff bringen.« – – –

Zehn Minuten später setzten die Greifer eines Flugbootes die Pinasse mit ihren Insassen dicht neben der ›Berenice‹ auf dem Seespiegel ab. Noch ein letztes Winken und Tücherschwenken der Amerikaner zu der Insel hin, während eine Deckwinde bereits den Anker der ›Berenice‹ einholte. Segel wurden gesetzt und blähten sich. Das Schiff kam in Fahrt und richtete seinen Bug nach Norden. – – –

In ›St 25‹ stand Professor Eggerth neben Lorenzen.

»Stellen Sie einen Empfänger auf die Welle der amerikanischen Handelsmarine und notieren Sie alles, was die ›Berenice‹ in den nächsten Stunden funkt«, befahl er ihm. – – –

In seiner Kabine in der ›Berenice‹ saß Captain Dryden und nahm seine beiden Maschinisten ins Verhör.

»Ist das alles, was Sie gefunden haben?« fragte er, nachdem Robertson seine Taschen auf den Tisch ausgeleert hatte; der nickte. »Yes, Sir.«

»Ist nicht sehr berühmt, Robertson«, achtlos schob der Captain die tauben Brocken beiseite, »nun packen Sie mal aus, Jeffris.«

Jeffris holte hervor, was er gefunden hatte. Ein merkwürdig poröses, eigenartig schimmerndes Gestein war das. Captain Dryden griff nach einem Stück davon und staunte über das federleichte Gewicht.

»Eigenartig, eigenartig . . .«, murmelte er vor sich hin, während er prüfend in der Hand wog. »Das Zeug müßte, denke ich, auf dem Wasser schwimmen. Nur an der einen Stelle haben Sie es gefunden, Jeffris, und da war's nach Ihrer Meinung versteckt?«

»Sah ganz so aus, Captain«, beantwortete Jeffris die Frage.

»Allright, Boys, bin zufrieden mit euch.« Captain Dryden griff in die Tasche und drückte jedem einen Dollar in die Hand.

»Könnt euch beim Bottler dafür etwas leisten.«

»Danke, Captain«, sagten die beiden Maschinisten einstimmig und traten ab.

Als Captain Dryden allein war, griff er nach Schreibblock und Bleistift, um seinen Bericht für das Carnegie-Institut abzufassen. Die Anschrift war schnell zu Papier gebracht, aber dann stockte der Captain und kaute an dem Bleistift. Der Text machte ihm mehr Schwierigkeiten, als er zuerst gedacht hatte.

Er schrieb einen Satz nieder, strich ihn wieder aus, begann von neuem zu überlegen und warf den Bleistift unmutig auf den Tisch. Seine Hand griff nach einem der Steinchen, die ihm Jeffris gebracht hatte. Ob das Zeug wohl schwimmt? ging es ihm durch den Kopf. Er stand auf, holte sich ein großes Glas Wasser und warf den kleinen Brocken hinein. Eine kurze Zeit schaukelte das poröse Mineral auf der Oberfläche, dann begann es sich wie ein Schwamm vollzusaugen, wurde dabei schwerer und sank allmählich nach unten.

Interessiert verfolgte Captain Dryden den Vorgang. Immer durchsichtiger und zuletzt fast glasklar wurde das Steinchen in dem Wasser und begann gleichzeitig zu quellen. Immer undeutlicher ließen sich dabei seine Umrisse erkennen. Ein wenig erinnerte das Ganze den Captain jetzt an ein Stück Zucker, das sich im Wasser auflöst. Er stützte den Kopf in beide Hände und starrte auf das Glas. Was war das für ein wunderliches Mineral, das seine Leute ihm da gebracht hatten? Jetzt war das Stückchen ganz und gar verschwunden. Es schien sich vollständig aufgelöst zu haben; nur ein wenig getrübt sah das Wasser danach aus.

Captain Dryden griff nach dem Glase, um es näher an die Augen zu bringen, unwillkürlich hielt er's dabei ein wenig schräg und bemerkte zu seiner Überraschung, daß die Oberfläche der Flüssigkeit sich nicht waagerecht einstellte. Der ganze Inhalt des Glases schien erstarrt zu sein. Er neigte das Glas noch stärker; er drehte es schließlich völlig um, daß es mit der Öffnung nach unten gerichtet war und mußte konstatieren, daß er sich nicht geirrt hatte, der Inhalt war in der Tat fest geworden.

Kopfschüttelnd stellte er es auf den Tisch zurück und tippte mit dem Bleistift auf die Oberfläche der sonderbaren Masse. Er erwartete, daß sie unter einem leichten Druck nachgeben würde, daß das ganze vielleicht eine Art von Gelatine geworden wäre und erlebte zum zweiten Male eine Überraschung. Die Bleistiftspitze brach ab, als er stärker drückte. Der Inhalt des Glases war hart wie massives Eis, wenn nicht vielleicht noch härter.

Captain Dryden wollte sich Gewißheit verschaffen. Er holte sein Taschenmesser heraus und kratzte mit der Stahlklinge auf dem rätselhaften Stoff herum. Es gelang ihm auch damit nicht, etwas davon abzuschneiden, und als er mit großer Kraft aufdrückte, wurde die Klinge stumpf. Verblüfft legte er das Messer beiseite, während die Gedanken in seinem Hirn durcheinander wirbelten.

Captain Dryden hatte auf seinen Fahrten, die ihn über alle Ozeane des Weltmeeres führten, manches Absonderliche und Wunderbare kennengelernt, aber etwas Ähnliches wie das hier, war ihm noch niemals begegnet. Ein Stoff . . . ein Mineral, von dem ein winziges Stückchen genügte, um einen halben Liter Wasser zu einem felsharten Körper erstarren zu lassen. In einem Gebüsch versteckt, hatte sein Maschinist das gefunden . . . wer konnte es versteckt haben? . . . doch kaum jemand anders als die Deutschen, die aus Gründen, über die sich die internationale Welt immer noch nicht klar war, diese gottverlassene Insel annektiert hatten . . . von wertvollen Bodenschätzen hatte der lange deutsche Doktor den Leuten von der ›Berenice‹ erzählt, aber über die Art dieser Schätze kein Wort gesagt . . . war es etwa dies Mineral hier mit den merkwürdigen Eigenschaften, für dessen Gewinnung sie dort den Schacht anlegten? Aber bis jetzt hatten sie nur gewöhnliches Gestein gefördert. Davon hatte er sich ja selbst bei dem Herumstöbern in den Halden überzeugt. Wenn das Mineral dort wirklich in größerer Tiefe vorkam, dann waren sie bis jetzt wenigstens noch nicht darauf gestoßen . . . wo kamen dann aber diese Stücke her, die Jeffris auf der Insel entdeckt hatte? Rätsel über Rätsel, für die Captain Dryden keine Lösung fand, so sehr er auch sein Hirn zergrübelte.

Er hatte das Empfinden, daß er einem wichtigen Geheimnis auf der Spur war, wenn ihm auch vorläufig jede Erklärung dafür fehlte. Er gab sich keiner Täuschung darüber hin, daß sein Bericht an das Carnegie-Institut zu Händen des Mr. James Garrison jetzt noch viel schwieriger werden würde als vorher; aber im stillen beglückwünschte er sich zu dem Zufall, der ihn diese Probe mit dem Steinchen anstellen ließ. Mochte der Bericht ihm auch schwere Mühe machen, an Inhalt würde es ihm jetzt jedenfalls nicht mehr fehlen. Mit neuem Mut machte er sich an die Arbeit, ihn abzufassen.

*

Mr. James Garrison hatte sich, wie man in den Staaten sagt, improved, das heißt, er hatte seine Position sehr erheblich verbessert. Nach einer jahrelangen Tätigkeit als Observator an der großen amerikanischen Sternwarte in Pasadena war es ihm gelungen, eine dreimal so gut bezahlte Stellung als Sekretär des Carnegie-Instituts in Minneapolis zu bekommen. Dabei aber hatte auch seine Tätigkeit eine grundlegende Veränderung erfahren. Vorbei war es mit der ruhigen wissenschaftlichen Arbeit, der er sich in Pasadena widmen konnte. In der neuen Stellung galt es für ihn, über die großen Mittel des Instituts ständig und richtig zu disponieren, zu organisieren, Expeditionen auszurüsten, wenn irgendwo wissenschaftliches Neuland zu winken schien; mit einem Wort, dafür zu sorgen, daß das Institut stets als erstes zur Stelle war, wenn es galt, wissenschaftliche Eroberungen zu machen. Manchem hätte ein solcher Posten vielleicht nicht besonders gelegen, aber James Garrison war er gerade recht.

Im Augenblick hatte Mr. Garrison den Funkbericht Captain Drydens vor sich, und je weiter er ihn las, desto stärker wurde er davon gefesselt. Ein neues Mineral mit bisher noch nie beobachteten Eigenschaften. Ein Gestein, das ein Vielfaches seines eigenen Volumens an Wasser in eine felsharte Masse zu verwandeln vermochte . . . das war etwas nach dem Herzen von James Garrison. Es war Ehrensache für ihn, diese Entdeckung dem Institut zu sichern. Aber Eile tat not. Wenn die Deutschen zuerst damit herauskamen, dann war der Reiz der Neuheit dahin.

So schnell wie ihm diese Erkenntnis kam, entschloß er sich auch zum Handeln. Schon zehn Minuten später legte der Funker der ›Berenice‹ Captain Dryden einen Funkspruch auf den Tisch, bei dessen Lektüre der Captain öfter als einmal vor sich hinfluchte. Sorgfältigste Aufbewahrung alles noch etwa an Bord befindlichen Minerals dieser sonderbaren Art legte das Radiogramm dem Captain ans Herz. Zum Glück lag das Zeug noch in einem Winkel seines Schreibtisches. Ebensogut hätte es auch schon über Bord geflogen sein können.

Um genaue Ortsangabe und weiteren Kurs der ›Berenice‹ ersuchte die Depesche danach und meldete weiter ein Flugzeug an, das kommen würde, um das Mineral nach Minneapolis zu holen. Kopfschüttelnd legte Captain Dryden den Funkspruch auf den Tisch. Durch seine Wissenschaftler an Bord war er an allerhand Extravaganzen gewöhnt, aber das hier schien ihm doch über die Hutschnur zu gehen. Ein Flugzeug von Minneapolis bis in die Südsee zu entsenden, um eine Handvoll elender Gesteinsbrocken zu holen.

Nun mochte Mr. Garrison zusehen, wie er die Verschwendung vor dem Kuratorium des Institutes vertreten konnte. Captain Dryden brauchte sich darüber schließlich keine Sorgen zu machen. Nur den Auftrag mußte er erfüllen, den der Funkspruch enthielt, und das tat er dann auch umgehend. Für ihn war die Angelegenheit damit bis auf weiteres erledigt. – – –

Am Nordufer der Insel setzten die Bohrmaschinen auf dem Grund des Schachtes zu neuer Arbeit an, um zwei Stollen vorzutreiben. Den einen in die Richtung landeinwärts schräg nach unten, den anderen zur See hin schräg nach oben. Vorläufig war das für die damit beschäftigten Techniker und Bergleute eine sehr ruhige Sache. Weder ein Steinschlag noch Wassereinbruch waren zu fürchten. Das Gestein, das die Stollen durchfahren mußten, war ein druckfreier, nicht allzuharter Sandstein, in dem man ziemlich schnell vorwärtskam und keine Zimmerung einzubauen brauchte. Stetig schritt die Arbeit im Viertakt fort. Auf das Getöse der Bohrmaschinen folgte Stille, während der Sprengstoff eingebracht wurde. Als dritter Takt kam danach der Donner der Explosionen, der dumpf aus dem Schacht nach oben drang. War er verhallt, so setzte das Brausen der Ventilatoren und das Rollen der Fördervorrichtungen ein, die das geschossene Gestein zutage brachten. Dreimal wiederholte sich dies Spiel während jeder Schicht, und viermal lösten sich die Schichten in vierundzwanzig Stunden ab.

Die Arbeit war nicht schwer. Die Bergknappen und Steiger, die jetzt hier auf einer Tropeninsel werkten, hatten in der Heimat schon andere kennengelernt, die ein gut Teil anstrengender und gefährlicher war. Sechs Stunden unter Tage schaffen und danach achtzehn Stunden Freizeit auf einem paradiesischen Eiland, auf dem ewiger Frühling und Sommer herrschten, das war ein Leben, das ihnen gefallen konnte.

Fast ein wenig zu viel der freien Zeit war es. Unwillkürlich kamen sie während der langen Stunden, in denen sie sich einem süßen Nichtstun hingeben konnten, ins Schwätzen, Grübeln und Debattieren über den Zweck der Arbeiten und begannen allerlei vage Vermutungen auszusprechen.

Bis jetzt arbeitete man zwar noch im tauben Gestein, aber immer mehr kamen die Werkleute zu der Anschauung, daß man demnächst . . . vielleicht schon bald . . . vielleicht schon bei der nächsten Sprengung auf Bodenschätze von unerhörter Art stoßen würde, auf Erze von märchenhaftem Gehalt, vielleicht sogar auf Gold oder Silber führende Adern. Was der eine nicht wußte, erfand der andere hinzu, und was heut noch als ein Gerücht von Mund zu Mund lief, galt morgen schon als feststehende Tatsache. Ein Unbeteiligter, der diese Reden zufällig mit anhörte, konnte wohl den Eindruck gewinnen, daß hier eine Sache im Gange war, die ihren Unternehmern einen Gewinn von nicht abzuschätzender Größe in den Schoß werfen mußte.

Von wesentlich anderer Art waren die Gedanken und Sorgen, die Professor Eggerth bewegten. Im Prinzip stand der Gang der Arbeiten seit langem für ihn fest. Möglichst dicht mußte man von dem neuen Schacht aus mit dem einen Stollen an den Vulkan und mit dem anderen an den Seeboden heran. Dann waren an diesen Enden der beiden Stollen Sprengladungen von hinreichender Stärke anzubringen. Danach mußte der senkrechte Schacht durch einen Betonpfropfen hermetisch verschlossen werden, und schließlich galt es, mittels Fernzündung zu schlagen, aber . . . und nun kam das große ›Aber‹, das dem Professor schlaflose Nächte bereitete. Würde die Sprengung den gewünschten Erfolg haben? Würde sie auf der einen Seite die Verbindung zwischen dem Stollen und dem vom Vulkan in die Tiefe führenden Lavaschlauch herstellen und auf der anderen Seite die Verbindung mit der See?

Die zweite Frage machte ihm wenig Kopfzerbrechen; hier glaubte er seiner Sache ziemlich sicher zu sein. Um so schwerer war die erste zu beantworten. Erst während des Weiterganges der Arbeiten würde es sich ja herausstellen, wie nahe man an den Lavaschlauch herankommen könnte. Der Fall war jedenfalls denkbar, daß die Hitze im Gestein schon vorher zu einer unerträglichen Höhe anstieg. Daß man den Stollenvortrieb zu früh abbrechen und eine Steinwand stehen lassen mußte, die durch keine Sprengung zu bewältigen war. Aber auch die andere Möglichkeit mußte in Betracht gezogen werden, daß man unversehens zu nahe an diesen Lavaschlauch herankam, der dem Professor in seinen Träumen allmählich als eine feurige Schlange zu erscheinen begann; daß man vorzeitig durch eine Sprengung die Verbindung zwischen der Lava und dem Stollen herstellte, was alle Planungen und Absichten über den Haufen werfen mußte.

Nur durch sorgfältige Messungen, durch Markscheiderarbeit von größter Präzision würde man sich gegen diese zweite Möglichkeit schützen können. Vorläufig war es ja noch nicht so weit. Der in die Tiefe gehende Stollen war immer noch 200 Meter von dem Vulkan entfernt . . . oder genauer gesagt, von einer Linie, die man sich vom Mittelpunkte des Kraters zum Erdmittelpunkt hingezogen denken mußte. Aber jeder Tag brachte den Stollen ein gutes Stück weiter, und höchstens noch eine Woche konnte es dauern, bis die Angelegenheit kritisch wurde. Bis jetzt war aber so gut wie nichts von einer Temperaturerhöhung zu spüren, und das war der einzige Trost, den Professor Eggerth bei allen seinen Berechnungen und sorgenvollen Überlegungen hatte.

Aber war es denn überhaupt ein Trost? Qualvoll sprang die Frage den Professor in einer schlaflosen Nacht an. Wiederholt hatte er den Lavasee im Krater überflogen und mit optischen Pyrometern die Temperatur festgestellt. Nach wie vor betrug sie etwa 2000 Grad. Längst hätte der Lavasee kälter geworden, ja vielleicht schon erstarrt sein müssen, wenn ihm nicht durch eine Verbindung mit der Glut der Tiefe ständig neue Wärmemengen zugeführt wurden.

Das aber hatte wieder zur Voraussetzung, daß eine Verbindung zwischen dem See und der unendlichen Tiefe auch wirklich bestand, durch die ständig heißere Lava nach oben strömte, während kältere nach unten sank. Bis dahin schien die Schlußkette einwandfrei zu sein.

Wenn es aber so war, dann mußte von dieser Glut auch etwas auf das benachbarte Gestein übergehen; zum zwölften Male machte Professor Eggerth die Berechnung wieder auf, die er schon elfmal durchgeführt hatte und kam immer wieder zu dem gleichen Ergebnis. Man hätte in der Entfernung, in der sich der Stollenkopf jetzt vom Krater befand, schon eine beträchtlich stärkere Temperaturerhöhung haben müssen als diejenige, die tatsächlich vorhanden war.

Von Zweifeln hin und her gerissen, sprang er auf, verließ seine Kabine und begann die Bibliothek in seinem Arbeitsraum zu durchwühlen. Er hatte sich mit der einschlägigen Fachliteratur reichlich versehen, bevor die Stratosphärenflotte die zweite Expedition zu der Insel unternahm, und nach einigem Suchen fand er, was er brauchte. Ein umfangreiches Tabellenwerk über die Wärmeleitung in Gesteinen.

Seite um Seite blätterte er um; immer wieder stieß sein Auge auf die gleichen Zahlen, die er bisher bei seinen Rechnungsansätzen verwendet hatte. Fast wollte er das Buch wieder mutlos zur Seite schieben, als er eine neue Tabelle entdeckte, deren Ziffern ihn stutzig machten. Was waren das für Werte, die hier standen? Fast ideale Wärmeisolatoren mußten ja diese Gesteinsarten sein, die man hier in einer besonderen Liste zusammengestellt hatte.

Er schaltete volles Licht ein, um seinen Augen besser trauen zu können. Er las den Text zu diesen so unwahrscheinlichen Zahlen und fand eine Erklärung, die ihn befriedigt aufatmen ließ. Mineralien von einem bimssteinartigen Charakter mit zahllosen Luftbläschen durchsetzt waren es, die diese Eigenschaft aufwiesen. So gering war ihr Wärmeleitungsvermögen, daß man einen solchen verhältnismäßig kleinen Stein zwischen den Fingern halten und seine eine Seite im Knallgasbrenner bis zum Schmelzen erhitzen konnte, ohne daß die Wärme für die Hand lästig wurde. Das war endlich die Erklärung, nach der er Tage hindurch vergeblich gesucht hatte.

Zweifellos bestand der Vulkankegel in seinem Zentrum aus derartigen porösen Gesteinsmassen, und ungezwungen erklärte sich jetzt das Fehlen jeder Erwärmung in den ihn umgebenden Felsmassen. Als Professor Eggerth soweit gekommen war, fand er das erste Mal nach langer Zeit wieder Ruhe. In einem langen Schlaf holte er nach, was er in den vorhergehenden Nächten versäumt hatte. – – –

Herr Dr. Schmidt, der essigsaure Schmidt, wie ihn Hein Eggerth und Georg Berkoff in ihren Privatgesprächen neuerdings zu titulieren beliebten, fand inzwischen eine ihn ausfüllende Tätigkeit bei den Vermessungsarbeiten. Zwar stand er dem kühnen Plan von Professor Eggerth innerlich noch immer ablehnend gegenüber, weil nach der von ihm verfochtenen Theorie ein allgemeiner Zusammenhang der unterirdischen glutflüssigen Magmamassen nicht vorhanden war. Aber das hinderte ihn nicht, die Linienführung der beiden Stollen mit peinlicher Gewissenhaftigkeit zu überwachen.

Sowohl in den Stollen selbst wie auch über Tage waren von ihm ausgesuchte und gründlich eingedrillte Leute ständig mit Meßketten, Visierlatten und Theodoliten an der Arbeit, und bald hier, bald dort tauchte der lange Doktor unvermutet auf, um sie zu kontrollieren und ihre Messungen nachzuprüfen.

»Ich glaube zwar nicht, daß unser Herr Professor den erwarteten Erfolg haben wird«, äußerte er sich in diesen Tagen einmal zu Dr. Wille, »aber ich will jedenfalls dafür sorgen, daß die Stollen auf den Zentimeter genau zu den berechneten Punkten herankommen.«

Kopfschüttelnd hatte Dr. Wille die Mitteilung zur Kenntnis genommen. Er war ja seit langem an allerlei Schrullen und Eigenarten seines alten Mitarbeiters gewöhnt.

›Ein drolliger Kauz, aber eine ehrliche Haut‹, ging's ihm durch den Sinn, während er seinen Blick über den grünen Rasen bis zu dem Vulkankegel hin schweifen ließ.

Dort oben am Kraterrand erhob sich aus drei schlanken Palmstämmen zusammengebaut ein spitzes dreikantiges Gerüst, einer der zahlreichen ›trigonometrischen Punkte‹, mit denen Dr. Schmidt das Land vom Seeufer bis zum Vulkan hin bepflastert hatte. Bei der Sorgfalt, mit welcher der lange Schmidt bei seinen Arbeiten vorging, war wirklich zu erwarten, daß die beiden Stollen auf den Zentimeter genau an ihre Zielpunkte kommen würden.

Auch heute hatte Dr. Schmidt wieder stundenlang unter Tage gesteckt, überall kontrolliert und selbst vermessen. Ein wenig erschöpft ließ er sich in der Förderschale des Schachtes nach oben bringen. Von dem Sonnenschein, der über der Wiese lag, geblendet, schloß er zunächst die Augen. Er brauchte Zeit, um sich nach dem langen Aufenthalt unter Tage an das volle Licht zu gewöhnen. Als er seine Lider wieder öffnete, stand ein Mann von den Flugschiffbesatzungen vor ihm.

»Was wollen Sie?« fragte Schmidt ihn, immer noch etwas benommen.

»Ein Brief für den Herrn Ministerialrat«, sagte der Bote.

»Was? Ein Brief? Seit wann haben wir denn Postverbindung nach hierher?« wunderte sich Schmidt.

»Vor einer Stunde ist ›St 18‹ von Deutschland angekommen, Herr Ministerialrat«, erklärte ihm der andere die Sachlage.

»Hm, na ja, geben Sie her!« Er griff nach dem Brief, wollte ihn in die Tasche stecken, besann sich dann eines anderen. Vorläufig konnte er seine Meßtrupps mit gutem Gewissen sich selbst überlassen; also beschloß er, das Schreiben sofort zu lesen. Mit langen Schritten stelzte er über den Rasen, bis er einen schattigen Platz und dort auch eine Sitzgelegenheit entdeckte. Er fühlte, daß ein wenig Ruhe ihm jetzt gut tun würde. Behaglich ließ er sich nieder und besah sich den Brief aus Deutschland zunächst mal von außen.

Die Adresse: An Herrn Dr. Schmidt, zur Zeit an Bord von ›St 25‹, Eggerth-Werke, Bitterfeld. Damit war er zweifellos gemeint, aber wer in Deutschland konnte wissen, daß er tatsächlich zu diesem Stratosphärenschiff gehörte?

Die Handschrift? Sie war ihm unbekannt, aber gewisse Buchstaben wie das ›t‹ und ›r‹ wiesen auf einen Anglosachsen als Schreiber hin. Der Poststempel? Der Brief war mit einer deutschen Inlandsmarke frankiert und in Waltershausen in Thüringen abgestempelt; in Waltershausen, seiner alten Heimatstadt. Zweifellos hatte man ihn in den Eggerth-Werken in Bitterfeld dem nächsten Flugschiff, das zu der Südsee-Insel startete, mitgegeben.

Mit einer gewissen Erregung riß Dr. Schmidt den Umschlag auf und zog das Schreiben heraus. Ein langer Brief war das, acht eng geschriebene Seiten umfaßte er und kam, wie dem langen Doktor ein Blick auf die Unterschrift zeigte, von Frederic Smith, jenem Versprengten der Carnegie-Expedition, in dem Dr. Schmidt auf der Insel vor kaum vier Wochen einen leiblichen Neffen entdeckt hatte.

Also hatte der Junge seinen Plan doch ausgeführt und war nach Waltershausen gekommen. Wie mochte der alte Forstrat ihm dort entgegengetreten sein? Hatte der Alte seinen amerikanischen Enkel kurzerhand an die Luft gesetzt? Dr. Schmidt war sehr geneigt, es anzunehmen; oder hatte er ihn sich doch vielleicht näherkommen lassen? Eifrig machte der Doktor sich an die Lektüre, um das zu erfahren.

Öfter als einmal ließ er dabei den Brief sinken und schlug mit der Hand darauf. Natürlich war es zuerst genau so gegangen, wie Schmidt es vermutete. Unnahbar und stachlig war der Herr Forstrat zunächst gewesen. Frederic Smith genierte sich nicht, in seinem Brief etwas von einem porcupine, einem Stachelschwein zu schreiben, wie er denn überhaupt in seinen Mitteilungen kein Blatt vor den Mund nahm. Aber er hatte nicht nachgelassen und war dem Alten in hemdsärmliger amerikanischer Manier immer wieder auf den Leib gerückt, bis der endlich anfing, weich zu werden. Mit Photos hatte Smith ihn bombardiert, die ihn selbst und seine Brüder, die anderen Enkel des Forstrates darstellten. Hatte dann andere Bilder hervorgeholt, die seinen Vater, ›den mißratenen Sohn‹, in jüngeren Jahren zeigten, hatte schließlich auch noch Abbildungen auf den Tisch gelegt, die dessen Betrieb in USA. wiedergaben, und ganz allmählich war dabei die Rinde, mit welcher der Alte sein Herz seit Jahrzehnten gepanzert hatte, zum Schmelzen gekommen.

Dr. Schmidt war sich nicht ganz klar darüber, was mehr gewirkt haben mochte. Ob es die überraschende Nachricht war, daß die Familie, die schon fast auf dem Aussterbeetat stand, wenigstens in USA. lebensfrischen Nachwuchs hatte? Oder die Tatsache, daß Heinrich Smith sich in den Staaten eine gute, um nicht zu sagen eine recht gute Existenz gezimmert hatte. Ein nicht wegzuleugnender und höchst erfreulicher Erfolg blieb es auf jeden Fall, daß der alte Forstrat einem Brief, den Smith junior aus Waltershausen an seinen Vater in den Staaten schrieb, einen eigenhändigen Gruß anfügte, ein Ereignis, das Dr. Schmidt bis zu dem Moment, wo er es geschrieben las, für außerhalb jeder Möglichkeit liegend erachtet hätte.

Während der lange Doktor den Brief wieder einmal sinken ließ und über die sonnige Wiese hinaus nach der blauen See hin blickte, zeigten seine Züge eine Veränderung, daß ihn seine beiden ›Spezialfreunde‹ Hein Eggerth und Georg Berkoff kaum wiedererkannt haben würden. Endlich also war der alte Familienzwist, der viele Jahre hindurch auch auf ihm gelastet und seinem ganzen Wesen den Stempel aufgedrückt hatte, zu einem glücklichen Ende gekommen . . . Dr. Schmidt fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als ob er Gedanken verjagen wolle, die ihm durch den Sinn gingen, und griff von neuem nach dem Schreiben. Was mochte sein amerikanischer Neffe noch weiter auf dem Herzen haben?

Aha, da kam es schon. An jenem Morgen, an dem Smith und O'Brien vom Süden der Insel aufbrachen, um nach dem Nordufer zu wandern, hatten sie ihre geringe Habe in der Höhle, die ihnen so lange als Zufluchtsort diente, zurückgelassen. Es war geschehen, weil sie sich für den Marsch nicht unnötig belasten wollten und ja bald zurückzukehren gedachten. Aber dann war es dazu nicht mehr gekommen, und nun bat Smith den Doktor, doch jemand dorthin zu schicken und eine Anzahl von Sachen, über die er eine Liste beifügte, holen zu lassen.

Noch vor vierundzwanzig Stunden hätte der lange Schmidt über solchen Auftrag mißbilligend die Achseln gezuckt und ein abweisendes Gesicht aufgesetzt. Jetzt dachte er anders darüber. Natürlich mußte man dem Jungen seinen Wunsch erfüllen. Schleunigst sollte es ausgeführt werden. Eine kurze Weile überlegte Dr. Schmidt, wen er damit beauftragen sollte und kam nach kurzem Überlegen zu dem Entschluß, daß keiner von allen denen, an die er dachte, dafür zuverlässig genug war. Er selber würde hingehen und das besorgen.

Freilich waren es gut 10 Kilometer bis dorthin. Anderthalb bis zwei Tage würden für die Expedition draufgehen, aber das ließ sich nicht ändern. Dann mußte sich Dr. Wille eben solange um die Vermessungsarbeiten bei dem Stollenbau kümmern. Er dachte weiter nach, wen er zur Begleitung mitnehmen sollte. Ein paar Leute von den Flugschiffbesatzungen würde er dafür wohl bekommen können. Unangenehm blieb es, daß man kein Fahrzeug auf der Insel hatte. Einen Augenblick dachte er daran, den Professor um die Überlassung eines der Stratosphärenschiffe zu bitten. Aber ebenso schnell, wie die Idee ihm kam, verwarf er sie auch wieder, denn einen solchen Aufwand schien ihm die Sache doch nicht wert zu sein. Mit dem Entschluß, am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang aufzubrechen, legte Dr. Schmidt sich an diesem Abend zur Ruhe.

 


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