Hans Dominik
Die Spur des Dschingis-Khan
Hans Dominik

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Weithin dehnt sich das alte Siebenstromland zwischen dem Balkasch- und dem Issisee. In Wierny, der Hauptstadt des Landes, hatte Georg Isenbrandt sein Standquartier. Von hier aus leitete er die Arbeiten, welche die ihm unterstellten Ingenieure und Schmelzmeister in den südlich und westlich gelegenen Alpen ausführten. Seit Jahren war Wierny die zweite Heimat Isenbrandts geworden.

Am Frühstückstisch saßen die beiden Freunde sich gegenüber. Wellington Fox sprach: »Die Lampe hat gestern noch lange bei dir gebrannt, Georg . . .«

»Berufsarbeit, lieber Freund. Die ersten Transporte des neuen Mittels sind avisiert. Das gibt für die ersten Wochen eine reichliche Dosis Arbeit. Instruktionen für die Schmelzmeister . . . neue Pläne für die ganze Schmelzstrecke . . . die Pläne sind zum größten Teil fertig . . . Die Instruktionen beginnen heute. Beeile dich, damit wir bald aufbrechen können.«

Wellington Fox ließ sich das nicht zweimal sagen. Noch einen Schluck und einen Bissen, und er war fertig. Beim Schlage der neunten Morgenstunde erhob sich die kleine schnelle Flugmaschine des Oberingenieurs. Isenbrandt selbst führte das Steuer und setzte den Kurs nach Süden.

Erst Ebene, dann Berge und dann weiter tiefgrüner See. Der mächtige Issikul breitete seine Fluten unter ihnen aus. Dann wieder Berge. Hoch und immer höher, bis sie den Kamm des Himmelsgebirges erreicht hatten, das hier die Grenze zwischen Rußland und China bildet.

Den Gebirgsgrat entlang in nordöstlicher Richtung führte Georg Isenbrandt jetzt die Maschine. In brodelndem, wogendem Nebel lag das Alpenmassiv unter ihnen. Nur selten einmal brach ein Sonnenstrahl durch diese milchweißen Massen und erreichte schneebedeckte Hänge und glasige Gletscher. Gletscher, aus denen breite Ströme entsprangen und nach Norden hin in den Issi stürzten.

Vom Dynotherm getrieben, arbeiteten die Turbinen der Flugmaschine vollkommen geräuschlos, und mühelos konnten die Freunde ihr Gespräch führen.

Jetzt warf Isenbrandt das Steuer herum und setzte das Schiff auf Nordwestkurs. Wellington Fox sah, wie die Nebelmassen hier wie abgehackt aufhörten und der Alpenkamm sich scharf und klar weiterhin nach Osten erstreckte.

»Warum, Georg . . . warum geht es hier nicht weiter?«

»Weil wir am kritischen Punkt sind. Du siehst die natürliche Grenze, das Gebirge weiter nach Osten ziehen. Die politische Grenze biegt scharf nach Norden um. Was da halbrechts vor uns liegt, ist das Ilidreieck, seit 150 Jahren ein strittiges Gebiet, bald unter chinesischer, bald unter russischer Herrschaft. Heute wieder chinesisch.«

Das Flugzeug folgte der Grenze nach Norden. Ein mächtiger Strom wälzte unter den Reisenden seine Wogen nach Westen. Georg Isenbrandt senkte die Maschine so tief, daß sie den Boden fast zu berühren schien. Und dann stand sie doch plötzlich wieder hoch über dem Grunde; denn in jähem Abfall senkte sich das Gebirge. Ein breites, tiefes Tal, auf beiden Seiten von schroffen Felsmauern umsäumt, durch das der Ilistrom seinen Weg nahm. Von den Felsen her ein riesenhafter Staudamm, im Bau begriffen. Dort stand der von Menschenhand gefügte Wall schon mehrere hundert Meter hoch. Im mittleren Teil aber waren die Arbeiten noch bei den Fundamenten.

Georg Isenbrandt runzelte die Brauen, während das Flugschiff langsam über der Dammkrone dahinzog.

»Verdammt! Wir kommen hier nicht so schnell vorwärts, wie ich möchte . . . Ich werde MacClure ablösen lassen . . . Mag er auch zehnmal ein Protektionskind sein!«

Wellington Fox sah, wie die Fäuste Isenbrandts sich bei diesen Worten um das Steuer krampften.

»Ist der Dammbau so eilig, Georg?«

»Aber sehr eilig! . . . Die Gelben besitzen ebenfalls Dynotherm und schmelzen damit in ihrem Lande. Fällt es ihnen eines Tages ein, hier im Ilidreieck plötzlich und allzu stark zu schmelzen, so vernichtet das Hochwasser unsere Siedlungen im Siebenstromland . . . Bei der gespannten Lage zwischen Gelb und Weiß ist eine Überraschung nicht ausgeschlossen. Der Damm muß schnellstens fertig werden.«

In steilen Kreisen ließ Isenbrandt die Maschine steigen. Kilometer um Kilometer ging sie in die Höhe, und immer weiter dehnte sich die Landschaft. Jetzt dämmerte am Osthorizont Kuldscha herauf. Die Hauptstadt des soviel umstrittenen Gebietes. Jetzt lag das ganze Dreieck wie ein offener Kessel unter ihnen.

Isenbrandt deutete mit der Rechten dorthin.

»Begreifst du es wohl, daß wir das Ilidreieck haben müssen? . . . Siehst du es ein? . . . Die Siedlungsgesellschaft sieht es freilich auch ein, hat es längst begriffen . . . Aber die Furcht, die feige Furcht vor den Gelben ist zu groß . . .«

Wellington Fox umfaßte mit prüfendem Auge die riesenhafte Talmulde. Ein sarkastisches Lächeln glitt über seine Züge.

»Ich vermute, mein lieber Georg, hier wird es eines Tages gehen wie im Erlkönig . . . Und folgst du nicht willig, dann brauch' ich Gewalt . . .«

Georg Isenbrandt antwortete nicht. Seine Züge blieben unbeweglich, nur in seinen Augen flammte ein stählerner Glanz auf. Jetzt stellte er die Maschine ab und ließ das Schiff im gestreckten Gleitflug wieder in die Tiefe schießen. Und dann setzte es leicht und sicher auf einer Bergwiese auf. Sie waren vor einem Bezirkshaus des Abschnittes gelandet. Etwa ein Dutzend Ingenieure war hier versammelt, durch Fernruf benachrichtigt, und erwartete ihren Chef.

Isenbrandt wandte sich an einen jungen Menschen, der in der Nähe stand.

»He! Sie da! Franke, führen Sie den Herrn hier zu Ihrem Großvater. Er soll ihm alles zeigen, was er zu sehen wünscht . . . Lieber Fox! Du hast drei Stunden Zeit, einen unserer interessantesten Schmelzpunkte zu besuchen. Um vier Uhr bitte pünktlich wieder hier!«

An der Seite des jungen Mannes machte Wellington Fox sich auf den Weg. Er war ein tüchtiger, trainierter Bergsteiger, aber er mußte sich anstrengen, um mit dem hier vorgelegten Tempo Tritt zu halten. Auf dem Wege erfuhr er, daß der alte Schmelzmeister aus Deutschland aus dem Merseburgischen stammte. Jetzt war er seit langen Jahren im Dienste der Dynothermkompagnie tätig. Sein Sohn bewirtschaftete eine der neuen Siedlungen im Siebenstromland. Der Enkel, der Wellington Fox jetzt den Berg hinaufführte, war gleichfalls in den Diensten der Gesellschaft und hegte den Ehrgeiz, ein so tüchtiger Schmelzmeister wie der Alte zu werden.

Jetzt wurde der Weg weniger steil, und dann standen sie auf einer Alm vor einer rohgezimmerten Blockhütte. Mißtrauisch begrüßte der alte Schmelzmeister den Ankömmling. Auch jetzt, nach beinahe zwanzigjährigem Aufenthalt in Asien, sprach er noch unverkennbar den sächsischen Dialekt der Halleschen Gegend.

»Was sind Sie denn? . . . So! Zeitungsschreiber sind Sie? . . . Na, gerade für die haben wir hier sehr wenig Verwendung . . . Nee, nee, da kann ich Ihnen nichts zeigen . . .«

Der junge Franke mußte sich nochmals energisch ins Mittel legen und den Auftrag Isenbrandts wiederholen, bevor der Alte sich endlich bereitfinden ließ. Aber auch dann brummelte er noch allerlei vor sich hin.

»Zeitungsschreiber . . . Professionelle Neugierige . . . Ich kenne die Brüder noch von damals . . . damals, als der Kessel kochte . . . Sind mir damals Tag und Nacht nicht von der Pelle gegangen . . . Und ich wußte doch nichts . . . Konnte doch nur sagen: Er kocht eben! . . . Er kocht eben . . . kocht, ohne daß ich Feuer drunter habe . . .«

Wellington Fox horchte auf. »Als der Kessel kochte . . .« Hatte nicht Isenbrandt die Worte erst vor kurzem gebraucht . . . Hatte nicht der alte Professor Müller ihnen schon in der Schule eine Erzählung unter diesem Titel vorgetragen?

Wie ein Jäger auf seine Beute, stürzte er sich auf den Alten, und in zwei Minuten hatte er ihn so weit, daß er zu erzählen begann:

»Ja, also damals war's . . .« Er zählte an seinen Fingern ab.

»Zweiundvierzig, nein, dreiundvierzig Jahre ist es jetzt her. Im Leunawerk bei Merseburg war's. Der Betriebsingenieur hatte mir den Auftrag gegeben, einen großen Reservekessel für den nächsten Tag anzuheizen. Früh um vier kam ich in das Kesselhaus. Bitterkalt war es und natürlich noch stockdunkel. Der Kessel hatte eine Reparatur hinter sich und war leer.

Ich also . . . als erstes, was ich tue . . . ich drehe natürlich zuallererst den Wasserleitungshahn auf, um den Kessel erst mal voll Wasser laufen zu lassen. Derweil das Wasser läuft, suche ich mir Holz zum Feueranmachen zusammen, und so allmählich kommen auch meine Kollegen . . . Sie müssen wissen, Herr, ich war damals der jüngste und mußte zuallererst da sein.

Wie ich so mein Holz zusammentrage, wird mir warm und immer wärmer, und dabei hatten wir doch 15 Grad Kälte im Freien. Im Kesselraum war's fast ebenso kalt . . . denn Sie müssen wissen, Herr, besondere Öfen stellt man nicht in die Kesselhäuser. Die Kessel heizen selber ganz schön, wenn sie in Betrieb sind.

Wie ich noch so stehe und mir den Schweiß von der Stirn wische, da gibt mir mein Kollege einen Stoß in die Rippen und zeigt auf das Manometer am Kessel. Und da denke ich doch . . . da denke ich doch, der Deubel soll mich holen . . . da zeigt das Manometer auf zwölf Atmosphären. Dabei, Herr, kein Stückchen Feuer auf den Rosten . . . eben erst kaltes Wasser aus der Leitung in den Kessel gepumpt.

Ich denke zuerst, ich habe mich verschaltet und Dampf aus einem der anderen Kessel auf den leeren Kessel angedreht. Aber alle Ventile sind zu, und ich verbrenne mir bloß eklig die Finger. Ich lasse vor Schreck die Schaufel fallen und retiriere vor diesem Deubelskessel bis zur Eingangstür.

Da kommt gerade der Ingenieur. Der sagt ganz harmlos: ›Na, Leute, ihr habt ja schon ganz schönen Dampfdruck.‹

›Ja!‹ sage ich. ›Aber den Kessel hat der Deubel geheizt.‹

›Wieso?‹ fragt der Ingenieur. Ich gehe langsam an den Kessel ran, mache die Feuertür auf und zeige ihm die kahlen Roste.

Mit einem einzigen Satz ist er an der Tür und verschwindet, ohne noch ein Wort zu sagen.

In fünf Minuten war er mit dem Direktor wieder da. Und wie der Direktor die Bescherung sieht, da stellt er sich hin und lacht. Gelacht hat der . . . Ich sage Ihnen, wenigstens fünf Minuten hat er gelacht, daß das ganze Kesselhaus wackelte. Dann sprang er plötzlich zu und schaltete den unheimlichen Kessel auf die Maschinen. Es war aber auch nachgerade Zeit, denn der Druck war inzwischen auf fünfundzwanzig Atmosphären gestiegen, und noch fünf Atmosphären weiter, da wären wir wohl alle in die Luft geflogen.

Da kam der Direktor zurück und sagte nur ganz trocken: ›Der Doktor Frowein soll mal kommen.‹ Und als der kam, da guckte er ihn bloß an und sagte: ›Na, weißt du, Karl, das ist mal wieder ein echter Frowein! Junge, Junge, daß dir das gelungen ist!‹ Und dann fiel der Direktor dem Doktor Frowein um den Hals, und die Tränen kugelten ihm aus den Augen.

Als er ihn wieder losließ, da sagte er zu uns: ›Kinder, merkt euch den heutigen Tag. Der 13. Februar 1963 wird noch für Jahrhunderte ein Gedenktag bleiben. Heute fängt ein neues Kapitel der Technik, der Zivilisation, der Kultur an. Der hier ist's, dem die Menschheit das verdankt.‹

Wir standen noch da mit offenen Mäulern, denn verstehen taten wir das nicht.

Na, und der Frowein, das war so ein ganzer Stiller, der sagte so nebenbei: ›Bist du jetzt überzeugt, du ungläubiger Thomas?‹ Und dann gingen sie beide Arm in Arm weg. Aber vorher drehte er sich nochmal um und sagte zu uns: ›Na, Jungens, seht euch beizeiten nach was anderem um. Ich glaube, Heizerstellen werden rar werden.‹

Dann ging er los. Ich sage Ihnen, Herr, wenn ich hundert Jahre alt werde, den Morgen da in dem Kesselhaus werde ich niemals vergessen.

Tag und Nacht hat der Kessel gekocht. Wir mußten bloß Wasser nachpumpen. Und in den Zwischenzeiten mußten wir den vielen Neugierigen ihre Fragen beantworten. Aus aller Welt kamen sie, und die Absperrung war einfach nicht durchzuführen. Wenn wir eben einen hinausgeworfen hatten, kroch schon ein zweiter irgendwo her aus dem Aschkasten oder dem Kohlenbunker und setzte uns mit Fragen zu.

Wie es dann mit der Erfindung weiterging, das wissen Sie ja wohl. Kohlen zum Heizen brauchten wir nicht mehr. Öl auch nicht mehr. Die Bergarbeiter wurden größtenteils überflüssig. Die ganze Wirtschaft wurde auf den Kopf gestellt. Na, ganz glatt ist das ja nicht gegangen. Auf einmal so viele Menschen ohne Brot! . . . Na, Sie können sich ja denken, was das zu bedeuten hat. Aber allmählich hat sich ja alles wieder eingerenkt. Wem das Deubelszeug das Brot genommen hatte, dem gab es durch die Siedlungen bald gesünderes Brot wieder. Wenn Sie hier über die Steppen gefahren sind, dann haben Sie ja was davon gesehen. Zwanzig Millionen Leute aus Europa wohnen jetzt hier in bestem Wohlstand, wo früher ein paar hunderttausend Kirgisen kümmerlich hausten. Aber kommen Sie! Ich will Sie zu unserer Schmelzstelle bringen.«

Gespannt hatte Wellington Fox der Erzählung des alten Schmelzmeisters gelauscht, während der Magnetograph in seiner Tasche sie Wort für Wort niederschrieb. Jetzt folgte er dem Alten, der ihn auf einem neuen Pfade weiter bergan führte. Die Luft war hier verhältnismäßig klar und sichtig, da ein scharfer Südostwind die Nebelschwaden vertrieb. Noch eine kurze Wendung, und vor ihnen lag ein mächtiger Gletscher. Wohl mehrere Kilometer breit und in einer Mächtigkeit von hundert Meter schob sich der gigantische Eisstrom zu Tal. Wie ein dunstiger Schleier lag es auf dem Eise. Wo der Windstrom ihn faßte und zerriß, schimmerte glasig grün das Eismassiv hervor. An solchen Stellen konnte Wellington Fox hier und da schwarze Punkte wie Fliegen über die Fläche kriechen sehen. Er nahm sein gutes Glas zu Hilfe und sah nun, daß es große tankartige Fahrzeuge waren. Riesige Motorwagen, die hier das Gletschereis befuhren und gleichmäßig mit dem Dynotherm bestreuten, ähnlich, wie etwa ein Sämann die Getreidesaat über das Feld verteilt.

Während seine Augen an dem interessanten Schauspiel hingen, nahm der Schmelzmeister seine Erklärungen wieder auf:

»Sehen Sie, Herr, wie der Strom des erschmolzenen Wassers etwa fingerhoch über der Gletscherfläche zu Tal läuft. Meilenweit über das Eis läuft und dabei immer heißer wird.«

Wellington Fox ließ sein Glas sinken.

». . . Und wie lange hält der Gletscher aus?«

»Ja . . . eigentlich sollte der Gletscher längst verbraucht sein, wenn nicht . . . wenn nicht . . .«

»Wenn was nicht?«

»Ja . . . die Gelehrten behaupten, daß hier überhaupt viel mehr Regen und Schnee fällt, seitdem die Schmelzerei im Gange ist. Trotzdem könnten die Gletscher hier bald zu Ende gehen, wenn wir nicht sparsam schmelzen müßten . . . Ja, wenn wir da oben im Quellgebiet des Ili schmelzen könnten . . . aber das gehört ja den verdammten Gelben . . . und die lassen uns nicht ran, obgleich sie auch Vorteil dabei hätten. Reine Bosheit von der Bande!

Und dabei könnten wir noch so viel Wasser gebrauchen, da doch der Balkaschsee mit dem Pulver nächstens zum Dampfen gebracht werden soll. Sie wissen, Herr, damit die Wolkenbildung und die Niederschläge reichlicher werden. Sie machen da unten schon große Vorbereitungen für die großen Feierlichkeiten, die bei der Gelegenheit vom Stapel gelassen werden. Na, davon habe ich nichts. Aber ich werde dann hier oben abgelöst und komme runter an den See. Das ist mir auch viel lieber.

. . . Die alten Knochen wollen nicht mehr so recht. Warme Buden haben wir ja . . . aber die feuchte Luft . . . der ewige Nebel . . . wie in einem Waschhause . . . Das Herz will nicht mehr.

Mir ist's lieber unten am See. Da bin ich unter lauter alten Leunaern. Da unten auf dem Leunaer Kirchhof will ich auch mal begraben werden, wenn's auch nicht das alte Leuna meiner Heimat ist . . .«

Der Junge mischte sich ein: »Na, Großvater, erst wolltest du gar nichts sagen, und jetzt kannst du kein Ende finden. Der Herr muß jetzt fort!«

Eine halbe Stunde später saßen die beiden Freunde wieder im Flugzeug, das sie nach Wierny zurückbringen sollte.

»Na, alter Fox, hat unsere Arbeit deinen Beifall gefunden?«

»Aber gewiß, Georg! Interessant war mir auch die Erzählung des alten Schmelzmeisters: ›Als der Kessel kochte.‹ Lebt eigentlich Frowein noch?«

»Aber ja! Der alte Herr sitzt doch ehrenhalber im Aufsichtsrat unserer Gesellschaft.«

»Sage mal, Georg, wie ist denn der damals darauf gekommen?«

»Alter Fox, du fragst verkehrt! Ich bin ja mit Frowein bekannt und über die Entstehung der Erfindung orientiert. Aber um dir das zu explizieren, müßte ich dir tagelange Vorträge halten, die du . . . deinen hellen Kopf in Ehren . . . doch nicht begreifen würdest.«

»Na, dann versuch mal in der Zeit, bis wir in Wierny landen, mir die Sache in ihren Grundzügen zu erklären. Ich weiß nur, daß euer Dynotherm ein künstlich hergestellter radioaktiver Stoff ist, der, mit Wasser zusammengebracht, unbändige Wärme entwickelt.«

»Damit hast du den Kern der Sache getroffen. Die Erfindung entstand ungefähr in folgender Weise: Frowein hatte jahrelang mit natürlichen radioaktiven Substanzen gearbeitet. Ihm als erstem war es endlich gelungen, den Zerfall dieser Stoffe, der bis dahin unwandelbar an bestimmte Zeiten gebunden zu sein schien, zu beeinflussen, nach Belieben zu verzögern oder zu beschleunigen. Von da war es nur noch ein Schritt, das Verfahren auch an Stoffen zu versuchen, die man bis dahin nur als nicht mehr radioaktiv kannte. Frowein hat diesen Schritt getan, und seine Folgen siehst du hier vierzig Jahre später.«

»Sehr schön! Sehr gut! Der Mann hat meine volle Hochachtung! Die Kohlenzeit damals muß schauderhaft gewesen sein. Ich erinnere mich noch an Bilder, wo Städte, in denen Menschen wohnten, mit Schornsteinen besteckt waren wie der Igel mit Stacheln. Aber du! Was hast du nun jetzt daran verbessert?«

Isenbrandt kniff die Lippen zusammen. Über seine eigenen Leistungen sprach er wenig und ungern. Aus seiner Tasche zog er zwei kleine Zinntuben.

»Da sind je zehn Gramm des neuen, nach meinem Verfahren hergestellten Dynotherms. Sie wirken wie zwei Zentner des älteren Präparates . . .«

Begierig griff Wellington Fox nach den winzigen Röhrchen.

»Alle Achtung, Georg! Soviel mein dummer Schädel im Augenblick überschlagen kann, muß das ja kolossale Bedeutung haben. Ich kann mir jetzt schon Fälle denken, wo man das Pülverchen gut verwenden kann, ohne gerade Schnee zu schmelzen.«

Isenbrandt sah ihn nachdenklich an.

»Du könntest recht haben, Fox! Behalte sie, wenn du willst. Aber vergiß nicht, daß in jeder dieser winzigen Röhren ein Vulkan schlummert, der, von wenigen Tropfen Wasser geweckt, seinem Träger Lebensgefahr bedeutet. Bewahre sie wohl. Wer weiß . . . wann du sie brauchen wirst!«

Sorgsam barg Wellington Fox die Tuben in seiner Brieftasche.

»Herzlichen Dank, Georg! Leider muß ich das meiste, was ich bei dir sah, den Lesern der Chikago-Preß vorenthalten. Um sie zu entschädigen, werde ich einen hinreißenden Bericht über das internationale Highlife im asiatischen Davos im Kogarthaus bringen. Da oben am Paß ist ja der Schneesport noch in vollem Gange.

* * *

Um die sechste Abendstunde stand Wellington Fox allein auf der Westveranda des Kogarthauses. Nur gedämpft drang die Musik aus den Gesellschaftsräumen des großen Luxushotels bis hierher. Ungestört konnte er Ausschau halten. Seine Augen umfaßten ein Landschaftsbild von majestätischer Schönheit.

Zweitausend Meter unter ihm strömten im Süden die Fluten des Sirflusses durch das Paradies der Ferghanaebene. In allen Tönen spielten die Strahlen der sinkenden Sonne mit den Dampfwolken der heißen Quellen von Andischan. Doch diesen Schönheiten widmete Wellington Fox nur geringes Interesse. Sein Blick haftete auf den Abhängen der Kogartberge, die das Panorama nach Norden zu begrenzten. Prüfend und witternd sog er die Luft mit leicht vibrierenden Nasenflügeln ein, während die Falte auf seiner Stirn sich vertiefte. Mit einem guten Glas durchforschte er die Schneehänge der Kogartberge, die jetzt in den Strahlen der scheidenden Sonne rosig aufzuglühen begannen. Mit einem Ruck ließ er das Glas wieder in die Riemen fallen. Seine Mienen verrieten Ärger und Besorgnis.

»Verfluchter Leichtsinn! Bei solchem Firnwind eine Skitour zu unternehmen. Nicht einmal einen vernünftigen Führer haben sie mitgenommen . . . Auf die Renommierereien dieses MacGornick sind sie reingefallen. Aus purem Trotz mit dem alten Trottel losgegangen. Möchte er nur das Genick brechen . . . und die edle Gräfin Toresani meinetwegen auch. Aber Helen Garvin . . .«

Daß sie mit bei der Tour war, das verursachte seine Unruhe. Wäre er doch so vernünftig gewesen und auch mitgegangen. Jetzt waren sie irgendwo auf den unsicheren Schneefeldern, und er stand hier und machte sich Vorwürfe.

Helen Garvin, dieser kleine Trotzkopf! Vor der Tour und vor der Komtesse di Toresani hatte er sie gewarnt . . .

Er ließ sich in einen Sessel fallen. Sein Auge haftete auf den Abhängen der Kogartberge. Ihm selbst kaum merklich verschwammen die schneeigen Konturen allmählich und nahmen die Gestalt der Sierra Nevada bei Frisko an. Garvins Park auf San Matteo tauchte vor ihm auf.

Wie er damals Helen Garvin zum erstenmal sah . . .

Mißmutig war er durch den prächtigen Park geschlendert, in dem die Launen des Besitzers neben den herrlichen Gartenanlagen auch allerlei Merkwürdigkeiten geschaffen hatten. Das Labyrinth wollte er sehen, jenes wunderliche Bauwerk, das der Milliardär dort in die Felsen von San Matteo sprengen ließ.

Ein junges Mädel, das er um den Weg fragte, hatte ihn dorthin geführt. Als er ihr, hingerissen von ihrer jugendlichen Schönheit und ihrem natürlichen Plaudern, allzu lebhaft seinen Dank ausdrücken wollte, da hatte das Mädel überraschend plötzlich die Allüren einer großen Dame angenommen, die ihn mit gespielter Hoheit darauf aufmerksam machte, daß er sich im Parke ihres Vaters befände . . . Und sie würde gleich die Diener rufen . . . und ihn hinausspedieren lassen.

Der Schalk, der dabei aus ihren Augen blitzte, verriet ihm zwar, daß das nicht bitterer Ernst war, aber . . .

Seitdem kannte er Helen Garvin.

Allein war er damals in das Labyrinth gegangen. Durch Kreuz- und Quergänge, bis er den Mittelbau erreichte. Ein mächtiges, elliptisches Gewölbe. Eine reiche Sammlung aztekischer Altertümer war hier aufgestellt. Interessiert hatte er die Sachen betrachtet, ohne auf andere Besucher zu achten.

Da hatten auf einer Bank zwei Männer gesessen und leise miteinander gesprochen. Als er weit von ihnen entfernt vor einer Maske des Mexiki stand und vergnügt die scheußlichen Züge des alten Götzen musterte, waren plötzlich gut verständliche Worte an sein Ohr gedrungen. Worte, die ihn lange und gespannt lauschen ließen.

»Das Ohr des Dionysos!« . . . Eine halbvergessene Schulerinnerung kam ihm wieder. Das elliptische Gewölbe, das die Laune des Milliardärs hier in den Fels getrieben hatte, ließ ihn in einem Brennpunkte verblüffend deutlich hören, was in der Nähe des anderen viele Meter von ihm entfernt geflüstert wurde. So hatte er hier durch den Zufall mit Leichtigkeit alles das gehört, um dessentwillen er schon seit Wochen in Frisko suchte.

Dort stand er. Mit dem Fleiß eines Forschungsreisenden zeichnete er die greuliche Maske des Mexiki in sein Notizbuch und hörte . . . von Plänen . . . Verschwörungen . . . Organisationen . . .

Hörte, bis das Flüstern erstarb . . . sah dann . . . und sah zwei Gesichter.

Seitdem kannte er Collin Cameron.

Das ferne Donnern einer zu Tal gehenden Lawine riß ihn aus seinen Träumen.

Mit einem Satz stand er auf beiden Beinen.

»Verdammt! Sagt ich's nicht? . . . Lawinenwetter . . .«

Er schickte sich an, die Veranda zu verlassen. An der großen Flügeltür stieß er auf Wilhelm Knöpfle, den Leiter des Kogarthauses. Der hatte die Schneeberge vor Davos mit denen von Ferghana vertauscht, als der Wintersport hier oben in Mittelasien Mode wurde. Die Begegnung gab Wellington Fox Veranlassung, seinem Herzen Luft zu machen.

»Schlechtes Wetter, Herr! Die Luft gefällt mir nicht. Ich fürchte, es wird nach Sonnenuntergang noch mehr Lawinenschläge geben. Einige Leute hier hätten ihre Unternehmungslust zügeln und besser zu Hause bleiben sollen.«

Der Direktor zuckte kaum merklich mit den Achseln.

»Drinnen ist die Luft auch nicht besonders. Gewitterspannung. Eine Atmosphäre, geladen mit allerlei Mißtrauen und verborgener Feindschaft . . .«

Wellington Fox warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Sind neue Nachrichten aus Peking da?«

»Immer noch das alte Lied. Die verhüllte Weisheit befindet sich auf dem Wege zur vollen Genesung . . .«

Jetzt war es an Wellington Fox, mit den Achseln zu zucken.

»Der Weg scheint sich in die Länge zu ziehen . . . Ich mache mir meinen Vers auf die Sache . . .«

»Gehen Sie in den Gesellschaftssaal, Mr. Fox. Sie werden einen interessanten Fünfuhrtee finden!«

Wellington Fox betrat den großen, prunkvoll ausgestatteten Saal, in dem eine kaukasische Kapelle ihre Weisen ertönen ließ. Man war hier im asiatischen Davos. In zweitausend Meter Höhe an den Hängen der Kogartberge gelegen, bot das Haus seinen Gästen bis tief in den Frühling hinein Gelegenheit zu allem alpinen Sport. Während unten bei Andischan schon die Wiesen geschnitten wurden und die Obstbäume abgeblüht hatten, lag hier oben noch die dichte weiße Decke über den Hängen und bot den Skiläufern gute Wege.

Aus allen Enden der Welt kamen die Gäste hier zusammen. Aus Europa und Amerika waren sie da. Neben Mongolen und Tataren, Turkmenen und Persern saßen Inder und Japaner. Die Tage waren dem Sport gewidmet, die Abende dem gesellschaftlichen Vergnügen. Längst war der Schneesport international im weitestgehenden Sinne des Wortes. Die Angehörigen der gelben und braunen Rasse pflegten ihn ebenso leidenschaftlich und mit gleicher Vollkommenheit wie die Weißen.

Alle Farben waren hier vertreten, aber auf den ersten Blick war es kaum zu bemerken. Der Gletscherbrand hatte alle diese Gesichter noch einmal gefärbt, hatte ihnen die besondere rötlichbräunliche Tönung gegeben, unter der die ursprüngliche Hautfarbe fast verschwand.

An kleinen Tischen saßen die Gäste in dem großen Saal. Erfrischungen aller Art wurden gereicht, und die Kapelle übertönte die Unterhaltung der einzelnen Gruppen.

Wellington Fox fand einen leeren Tisch in einer Ecke. Er begann seine Musterung und fand die Bemerkung des Hoteldirektors bestätigt. Die Sonderung der Farben war heute stärker ausgeprägt als an anderen Tagen. Es fehlten die Gruppen, in denen weiße, gelbe und braune Mitglieder der großen Sportgemeinde früher wohl zusammensaßen.

Wellington Fox witterte hier, wie er draußen auf der Balustrade gewittert hatte. Von Tisch zu Tisch wanderten die scharf blickenden Augen, und mit der charakteristischen Bewegung sog er die Luft ein. Er hätte darauf wetten mögen, daß die Gelben hier allerlei mehr wußten als er.

Die Instinkte des Jägers und des Berichterstatters wurden in ihm wach. Zum Teufel . . . weg mit diesen Gedanken . . . Die Sorge um Helen Garvin nahm ihn wieder gefangen.

Wellington Fox erhob sich und schritt durch den Saal. Irgendwie mußte er sich Gewißheit verschaffen. Telefonieren . . . Rundfragen . . . Er trat in die Kanzlei und starrte auf die stummen Apparate . . . Da . . . ein Ruf eines der hier aufgestellten lautsprechenden Telephone.

MacGornick sprach: ». . . großes Unglück . . . sofort vom Hotel Rettungsexpedition schicken . . . Lawinenschlag . . . Begleiterinnen Gräfin Toresani und Helen Garvin verschüttet.«

Bevor noch der Portier eingreifen konnte, hatte Wellington Fox den Schalthebel gedreht und die Geberstation des Hotels eingeschaltet. Scharf und knapp kamen seine Rückfragen . . . wo der Unfall geschehen sei . . . am Ketmansteg . . . genau unterhalb des Kogartpasses.

Im nächsten Moment warf Wellington Fox das Mikrophon dem Portier gegen die Brust und stürmte aus der Kanzlei. Im Vorraum stand allerlei Sportgerät. Ohne Besinnen griff er die ersten besten Skier und eilte weiter. In vollem Gesellschaftsanzug war er für eine Skitour nicht eben sehr glücklich gekleidet. An einem Haken sah er den dicken wolligen Pelz eines der eingeborenen kirgisischen Führer hängen und riß ihn mit einem Ruck an sich.

So stürmte er ins Freie. Der aufgehende Mond beleuchtete unsicher die schneebedeckten Hänge und Flächen. Mit geübten Händen zog er die Bindungen der Skier über seine Lackschuhe. Schon im Gleiten, warf er den Pelz über.

Eine Minute nach dem Empfang von MacGornicks Notruf schoß Wellington Fox ohne Rücksicht auf die Gefahr in sausender Talfahrt auf den dreihundert Meter tiefer gelegenen Ketmansteg zu.

Jetzt noch über eine steile Halde hundert Meter hinab . . . jetzt sah er eine einzelne Gestalt auf der weiten weißen Fläche . . . war im Augenblick heran . . . versuchte im letzten Moment durch Abdrehen der windenden Fahrt Herr zu werden . . . und merkte, daß es nicht mehr ging. Gewaltige, wild und wirr durcheinandergeworfene Schneemassen versperrten ihm den Weg. Mit Aufbietung aller seiner Kraft schnellte er sich in die Höhe, streifte in gewaltigem Sprung MacGornicks Gestalt dort, daß sie der Länge nach in die weißen Flocken hinschlug, und landete dann selbst inmitten der wild aufgetürmten Schneemassen.

Das Mondlicht reichte eben aus, um die Dinge in der nächsten Umgebung zu erkennen. Eine gewaltige Lawine war halb schräg von der Paßhöhe her zu Tal gegangen. Er konnte ihre Spur die Hänge hinauf bis weit nach Norden erblicken. Hier in der Schlucht des Ketmansteges waren die stürzenden Massen zum größten Teil zur Ruhe gekommen. Nur ein Teil hatte sich noch über die Höhe des südlichen Schluchtrandes hinauf gestaut und war über ihn weiter hinab in das Tal gestürzt.

Bevor noch MacGornick sich durch die Schneemassen langsam zu ihm hinzuarbeiten begann, strebte er, so schnell es der zu wirren Blöcken zusammengepreßte Schnee gestattete, der Stelle zu, wo die Bruchstücke eines Schneeschuhes aus den eisigen Massen ragten. Das letzte Zeichen der Personen, die hier vom weißen Tod überrascht worden waren.

Seine Rechte fuhr zur Brusttasche. Jetzt hielt er eine der winzigen Tuben in der Hand, die ihm Georg Isenbrandt in Wierny gegeben hatte. Undenkbar erschien es ihm, daß die geringfügige Menge des unscheinbaren Pulvers gegen die ungeheure, hier in der Schlucht gestaute Schneemasse etwas ausrichten könnte. Aber noch während er den Gedanken dachte, hatte er schon den Verschluß geöffnet. Mit den Fingerspitzen griff er das Pulver und streute die Stäubchen wie kostbare Samenkörner in die Schneewüste, während er den gebrochenen Ski in immer weiter werdenden Spiralen umkreiste.

»Georg, hilf!« . . .

Wie ein Stoßgebet kam es ihm von den Lippen, während er sich durch die Schneemassen seinen Weg bahnte und Körnchen auf Körnchen streute. Jetzt war die Tube leer, und jetzt stieß er auf MacGornick.

Der Schotte wollte sprechen . . . wollte fragen, ob die Hilfsexpedition schon unterwegs wäre.

Mit einem schlecht unterdrückten Fluch wandte Wellington Fox ihm den Rücken . . . und sah über der ganzen Fläche, die er eben noch im Mondlicht begangen und bestreut hatte, dichte Nebel wallen.

Eben noch standen sie kaum fußhoch. Jetzt wogten sie schon in Augenhöhe und stiegen in jeder Sekunde höher. Mit einem Schrei stürzte er in der Richtung davon, in der er eben noch die Skitrümmer erblickt hatte. Warme, dunstige Treibhausluft umfing ihn. Aber eisig umflutete ihn Schmelzwasser bis zu den Knien.

Schon war der eben noch so harte froststarrende Schnee über die ganze Fläche hin eine schmelzende, auseinanderfließende Masse geworden. Jetzt stieß sein linker Ski auf Widerstand. Das mußte der zerbrochene Ski sein.

Mechanisch faßten seine Hände in die Taschen des fremden Pelzes . . . und griffen eine der tausendkerzigen elektrischen Fackeln, wie sie Bergführer bei sich zu tragen pflegen.

Im nächsten Moment flammte die mächtige Leuchte auf. Wie glühendes Eisen ließen ihre Strahlen die Nebelmassen selbst leuchtend werden. Aber auch in die Klüfte und Spalten der schmelzenden Lawine drang das Licht. Mit einem Ruck entledigte sich Wellington Fox der störenden Schneeschuhe und warf sich auf die Knie in den eisigen Schlamm, um einer dunklen Stelle in den schmelzenden Massen näherzukommen. Schob mit den Händen den erweichenden Schnee zurück, bekam ein Stück Stoff zu fassen und zog mit einer kurzen letzten Anstrengung eine menschliche Gestalt zu sich heran.

Kalt und leblos lag die Gerettete in seinen Armen. Der immer stärker schmelzende Schnee hatte ihre Kleidung vollkommen durchnäßt. Mit Schrecken erkannte Wellington Fox, daß das von ihm angewandte Mittel nicht ungefährlich war. Zwar die Schneemassen selbst schmolz dieses wunderbare Dynotherm in fabelhaft kurzer Zeit zusammen. Aber das abziehende Schneewasser durchtränkte die tieferen Schichten und bedrohte alles, was dort noch etwa verschüttet lag, mit dem Tode des Ertrinkens.

Beim Scheine der starken Leuchte betrachtete er die Züge der Geretteten. Die, die er vor allem suchte, an die er am meisten dachte, war es nicht. Die Marchesa di Toresani hielt er hier in den Armen. Aber Helen Garvin lag noch irgendwo verschüttet, von den schmelzenden Massen immer stärker bedroht.

Er ließ die regungslose Gestalt zu Boden gleiten. Sah dabei, daß der Riemen ihrer Umhängetasche gerissen war, und ließ die Tasche mechanisch in seinen Pelz gleiten. Dann begann er mit der Kraft der Verzweiflung von neuem zu suchen. Nur von der Hoffnung aufrecht gehalten, daß die Katastrophe die beiden Frauen dicht beieinander betroffen habe.

Er suchte und fand. Gerade eben jetzt gaben die schmelzenden und dampfenden Massen den Zipfel eines Gewandes frei. Im Moment stürzte sich Wellington Fox darauf und hielt Helen Garvin in seinen Armen. Ebenso bleich und regungslos wie ihre Gefährtin.

Jetzt schnell heraus aus den dampfenden und schmelzenden Massen. Nur wenige Minuten waren verstrichen, aber wie hatte sich das Bild in kurzer Zeit verändert. Schon stand er in einer tiefen Mulde, und von allen Seiten her schoß das Schmelzwasser in Sturzbächen die Abhänge hinab, um gurgelnd und brausend seinen Weg zu Tale unter den Schneemassen fortzusetzen.

Mit den Zähnen faßte Wellington Fox die Fackel. An seiner linken Brust ruhte Helen. Mit dem rechten Arm umklammerte er den Körper der Toresani. Mit der doppelten Last mußte er sich an dem schmelzenden und weichenden Abhang in die Höhe arbeiten. Bis an den Leib sank er dabei in die wässerigen Massen. Schritt um Schritt kämpfte er sich empor, alle Muskeln und Sehnen bis zum äußersten gespannt. Knirschend gruben sich seine kräftigen Zähne bei der gewaltsamen Anstrengung tief in den hölzernen Griff der Fackel.

Bis endlich die Steigung geringer, der Schnee unter seinen Füßen fester wurde. Bis das Licht einer anderen Fackel in seine Augen fiel.

MacGornick hatte sich endlich zur Tat aufgerafft, hatte sich der eigenen Fackel erinnert. Mit ihr war er jetzt in das Nebelmeer eingedrungen und auf Wellington Fox gestoßen. Mit einer letzten Anstrengung legte ihm Wellington Fox den regungslosen Körper der Marchesa di Toresani in die Arme.

»Zurück, Sir . . . auf trocknen Schnee . . .«

Mit pfeifenden Lungen stieß er die wenigen Worte hervor.

Zwei Minuten später traten sie aus dem wallenden Nebelmeer in die klare Luft und sahen das Mondlicht wieder. Ohne ein Wort zu verlieren, ohne einen Blick auf seinen Begleiter zu werfen, bettete Wellington Fox Helen Garvin auf den Schnee und versuchte durch Reiben und Massieren das Leben in den regungslosen Körper zurückzuzwingen. Die Fackel, die er neben sich in den Schnee gestoßen hatte, überflutete die bleichen Züge des jungen Mädchens mit blendendem Licht, ließ sie noch blasser und lebloser erscheinen.

Lange schien Wellington Fox sich um eine Gestorbene zu mühen. Bis endlich eine Spur von Leben zurückkehrte, bis ein leichter Atemzug die Brust erschütterte. Ein kurzer Freudenschrei kam von seinen Lippen. Jetzt galt es, das Werk zu vollenden, die Geretteten in die Wärme und Trockenheit des Kogarthauses zu schaffen.

Das war noch ein langer und steiler Weg über Schnee und Felsen dreihundert Meter in die Höhe. Auch für einen Mann, der ihn unbelastet ging, keine geringe Anstrengung. Wellington Fox hob Helen Garvin mit starken Armen empor und begann den Weg zu schreiten, als ob sie federleicht wöge. Und wäre gern so mit ihr weitergegangen bis in alle Ewigkeit.

Der Lichtschein von Fackeln erreichte sein Auge. Stimmen drangen an sein Ohr. Eine Rettungskolonne kam ihm entgegen. Träger und Führer umringten ihn. In allen Sprachen drangen Fragen auf ihn ein. Doch nur noch undeutlich vernahm er die Stimmen. Nur noch ein dumpfes Gewirr schlug an sein Ohr. Jetzt, da er Helen Garvin gerettet wußte, verließ ihn die Spannkraft. Mit einer letzten Anstrengung half er Helen auf eine Bahre betten. Dann fiel er bewußtlos neben ihr nieder.

* * *

Im Süden von San Franzisko auf der Hochebene von San Matteo liegen, von wundervollen Parkanlagen umgeben, die Sommersitze der westlichen Finanz- und Industriemagnaten. Noch vor einem halben Menschenalter streckten sich hier dürre Einöden. Jetzt hatten die Menschen mit Hilfe des Dynotherms ein Paradies aus den wilden Gebirgsgegenden gemacht.

Schattige Reitwege und trauliche Fußpfade. Zwischen Felsenhügeln Miniaturseen, Bäume, Blumenbeete und allerlei blühende Sträucher, von berufenen Künstlern zu einem bildhaften Ganzen verschmolzen.

Der schönste unter den schönen Landsitzen der von Francis Garvin. Unter den reichen Männern der Union einer der reichsten Francis Garvin.

Die Grundlagen zu seinem riesenhaften Vermögen hatte er in jener denkwürdigen Landspekulation gelegt, als er vor einem halben Menschenalter die großen wüsten Landstriche zwischen der Sierra Nevada und dem Koloradofluß für einen Spottpreis an sich brachte und dann durch die Wirkungen des Dynotherms fruchtbar machte und besiedelte. Die Aktien der American Settlements Company waren zum großen Teil noch in seinen Händen. An der Europäischen Siedlungsgesellschaft war er stark beteiligt.

Auf der großen Terrasse, die über Wälder und Wiesen hinweg einen Blick auf die Fluten des Stillen Ozeans gewährte, saßen Francis Garvin und Helen, seine einzige Tochter.

Unruhig maß der Milliardär die Terrasse in ihrer ganzen Länge. Bald fuhren seine Hände in die Taschen, bald gestikulierten sie in der Luft. Mit merkbarem Ingrimm hafteten seine scharfen Augen bald auf diesem, bald auf jenem Gegenstand. Bald fuhr er sich durch das dichte weiße Haar, daß es sich zu Bergen sträubte.

In einen Korbsessel vergraben saß Helen und sah dem Vater halb belustigt, halb ängstlich zu. Gewiß hatte sie nicht erwartet, seinen ungeteilten Beifall zu finden, als sie ihm vor einer Viertelstunde in vorsichtigen Andeutungen ihre Liebe zu Wellington Fox gestand. Aber auf einen so heftigen Widerstand war sie auch nicht gefaßt gewesen. Auf solch schroffes Nein von seiten ihres Vaters, der sie immer verwöhnte, stets jeden ihrer Wünsche erfüllte.

»Habe ich ein Leben voll endloser Sorgen und Mühen geführt, habe ich gearbeitet wie ein Zugstier, um alles, was ich besitze, schließlich einen elenden Zeitungsschreiber in die Tasche stecken zu sehen?!«

Francis Garvin fand keine Worte mehr für seine Stimmung. Mit seinen starkknochigen Händen ergriff er ein unschuldiges Taburett und stieß es zu Boden, daß ihm die dünnen chinesischen Porzellansächelchen wie eine Fontäne um den Kopf flogen und im nächsten Augenblick in tausend Scherben am Boden lagen.

»Schäm dich. Pa! . . . Mein schönes Porzellan, das ich selbst auf meiner Reise in Kaschgar gekauft habe . . . Eine liebe Erinnerung . . .«

»Der Teufel hole deine Reise . . . und die liebe Erinnerung . . . und vor allen diesen Fox!«

»Pa!« klang es strafend aus dem Korbsessel. »Mr. Fox ist ein Gentleman, der mit eigener Gefahr deine Tochter gerettet hat und dem du höchsten Dank schuldest.«

»Alles hat seine Grenzen! . . . Auch die Dankbarkeit. Ich will den Mann empfangen und belohnen . . . wie kein anderer Mann in den Staaten ihn besser belohnen könnte . . . Aber dich ihm geben?! . . . Wäre dieser Fox ein Gentleman, hätte er es niemals gewagt, dein Gefühl einer übertriebenen Dankbarkeit so zu seinen Gunsten auszubeuten.«

»Ach, Pa! . . . Das tut er ja gar nicht . . . Leider . . .«

Helen sagte es in einem Ton, der scherzhaft klingen sollte und doch viel Resignation enthielt.

»Was?«

Francis Garvin blieb mit einem Ruck vor seiner Tochter stehen. Sein offener Mund gab einen Ton von sich, der an die abblasenden Sicherheitsventile einer Frachtlokomotive erinnerte.

»Was . . . willst du mich ganz und gar verrückt machen? . . . Er will dich gar nicht . . . Leider?!«

»Leider«, nickte Helen betrübt. »Das heißt, er hat noch gar nicht gesagt, daß er mich will . . .«

»Bravo! . . . Mr. Fox ist mein Mann. Ein Gentleman, der meine Tochter vom Tode gerettet hat und keinen Anspruch auf ihre Hand macht . . . die sich ihm entgegenstreckt . . .«

»Pa! Das ist zu arg. Erst beleidigst du Mr. Fox und jetzt mich.«

Sie erhob sich und trat, ihm den Rücken kehrend, zur Brüstung der Terrasse. Sie drehte sich auch nicht um, als Francis Garvin zu ihr trat und in einem Tone voller Befriedigung fortfuhr:

»Ich werde mich revanchieren, my Darling. Morgen kaufe ich die Chikago-Preß und schenke sie diesem Fox. Du wirst sehen, der Mann . . .«

»Der Mann wird das Geschenk nicht annehmen . . .«

Helen hatte sich umgedreht und sah ihren Vater mit blitzenden Augen an.

»Abwarten, mein Kleines! . . . Die zwölf Millionen Dollar, die die Zeitung kosten wird, nimmt jeder, dem Francis Garvin sie schenken will. Du hältst diesen Fox für einen schlechten Geschäftsmann.«

»Ich halte ihn für einen Gentleman, der dir dein Geschenk vor die Füße werfen wird.«

»Wetten, daß nicht?«

»Das gilt, Pa! Verlierst du, mußt du mich zu der Einweihung des Balkaschsees mit nach Asien nehmen! . . . Abgemacht!« . . .

Ein Diener brachte eine Karte und überreichte sie Helen Garvin. Ein freudiges Leuchten ging über ihr Gesicht, das aber schnell einem Schein der Trauer wich.

»Florence Dewey! Gut. Ich gehe gleich mit. Auf Wiedersehen, Pa. Die Wette gilt . . .

Florence!«

Sie flog auf die Freundin zu und faßte sie an beiden Schultern.

»Du bist es wirklich . . . Ein unerwarteter Besuch.«

»Ich denke wohl, Helen dear.«

Ein größerer Gegensatz als zwischen diesen beiden Freundinnen war kaum denkbar. Helen Garvin . . . das Köpfchen von goldig schimmernden Locken umgeben, große blaue Augen, ein Stumpfnäschen mit rosigen Flügeln . . . Das Ganze eine Nippesfigur aus Meißner Porzellan.

Daneben Florence Dewey, schlank und stolz. Schwarzes Haar um ein bleiches Antlitz, dessen Alabaster durch einen kreolenartigen Hauch gefärbt wurde. Trotz ihrer Jugend lag Ernst, ja Trauer in den schönen Zügen des Mädchens.

Von Jugend an waren Helen Garvin und Florence Dewey, die Töchter der beiden reichsten Leute von Frisko, eng befreundet.

Helen Garvin fragte:

»Du bist noch hier? Ich glaubte, du hättest die geplante große Reise längst angetreten?«

»Es war mehr der Plan meines Vaters als meiner. Ich habe ihn wohl erwogen . . . aber verworfen. Es hätte ausgesehen wie eine Flucht . . .«

Eine glühende Röte bedeckte ihr Gesicht, und ihre Stimme nahm einen leidenschaftlichen Klang an.

»Ich fliehen? . . . Und wovor? . . . Vor häßlichem Klatsch?! Nein . . . niemals.«

»Und doch waren es sicherlich schwere Tage, die du damals durchlebt hast.«

Helen legte den Arm teilnahmvoll um die Schulter der Freundin. Florence duldete die Umarmung mehr, als sie sie erwiderte.

»Was weißt du, Kleines, von den Kämpfen, die mir das Herz zerrissen! Danke dem Himmel, daß du nicht den tausendsten Teil davon kennengelernt hast.

Wäre es nur das eine gewesen . . . daß der schwarze Blutstropfen, der von Vaters Seiten in meinen Adern rollt, mir in einer rein weißen Gesellschaft Schwierigkeiten macht . . . gelacht hätte ich darüber. Aber daß ich deshalb auch meine Liebe lassen mußte . . . daß ich . . .«

Die Kehle schien ihr zugeschnürt. Die Stimme versagte. Sie richtete das Gesicht empor, um die Tränen mit den langen Wimpern zurückzuhalten.

»Quäle dich nicht, Florence . . . versuche Averil Lowdale zu vergessen! Ein Mann, der dich um solch Vorurteil lassen konnte, ist deiner nicht würdig, hat dich nie wahrhaft geliebt.«

»Averil? . . . Averil mich verlassen?! . . . Nein. Er tat es nicht!«

»Wie . . . du sagst? . . . Ich verstehe dich nicht. Schicktest du ihn von dir?«

Florence hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Ihre Schultern zuckten krampfhaft. Ein Lachen, das wie ein Schluchzen klang, kam aus ihrem Munde. Jetzt ließ sie die Hände sinken. Ihre großen, unnatürlich weit geöffneten Augen blickten starr in die Ferne. Eine steinerne Ruhe lag auf den blassen Zügen. Wie eine blutrote Wunde zuckte der Mund in dem schneeweißen Gesicht.

»Florence! . . . Florence . . .«

Zweimal . . . dreimal rief Helen die Freundin an. Langsam lösten sich deren verkrampfte Hände. Mit einer müden Handbewegung strich sie über die Stirn, als wolle sie die quälenden Gedanken hinwegwischen. Dann begann sie mit ruhiger tonloser Stimme zu erzählen: »Du weißt, Helen, wie ich Averil Lowdale kennen- und liebenlernte. Er hielt bei meinem Vater um meine Hand an, der sie ihm nicht verweigerte. Auch der alte Lord Lowdale war mit unserem Bund einverstanden . . . Warum auch nicht? . . . Das Vermögen der Lowdale war nie groß gewesen. Ein langjähriger Prozeß um die Lordschaft hatte den größten Teil der Revenuen verschlungen. Die Millionen meines Vaters kamen sehr erwünscht. Daß er ein Selfmademan war, wurde mit in den Kauf genommen.

Da erhielt mein Verlobter plötzlich ein Telegramm, umgehend nach England zurückzukehren. Wenige Tage später hatte mein Vater einen Brief des alten Lords in den Händen: ›Seine Lordschaft zieht ihr Einverständnis mit dem Ehebunde von Deweys Tochter mit seinem Sohn zurück. Weil . . . weil ich nicht rein weißer Abstammung sei. Der Vater meines Vaters habe eine Quadronin zur Frau gehabt . . .‹«

»Unmöglich, Florence . . . und wäre die Behauptung wahr, so wäre es doch nur ein vorgeschobener Grund!«

»Du irrst, Helen . . .«

Ein Zug von Verachtung und Bitterkeit prägte sich um die Mundwinkel der Sprecherin aus.

». . . Es ist wahr . . . leider ist es wahr. Wirst du mich auch verachten, weil ein paar schwarze Tropfen in meinen Adern rollen?«

»Florence! . . . Die Unbill, die dir widerfahren ist, macht dich grausam. Ich hoffe es nicht . . .«

»Du wirst es vielleicht besser verstehen, Helen, wenn ich dir die Vorgeschichte erzähle. Als der Vorgänger des jetzigen Lords Lowdale starb, trat sein Neffe als nächster Erbberechtigter auf. Seine Ansprüche, an sich unanfechtbar, wurden ihm von dem jetzigen Lord streitig gemacht, weil er Halbblut sei. Seine Mutter war eine Gelbe. Ein jahrelanger Prozeß entspann sich um die Erbschaft. Eine besondere Parlamentsbill entschied schließlich zuungunsten des Halbblutes. Seit jener Zeit ist Lord Lowdale ein eifriger Verfechter der Bestrebungen für Reinhaltung der weißen Rasse.«

»Und darum . . .«

»Darum durfte Averil keine Herrin in die Halle von Lowdalehouse bringen, unter deren Ahnfrauen eine ist, deren Wiege einmal in einem Negerdorf gestanden hatte.«

»Und Averil? Fügte er sich widerspruchslos dem Verbot des alten Lords?«

Florence blickte traumverloren ins Weite. Der abweisende Zug auf ihren Mienen wich einem weichen, glückverlorenen Lächeln.

»Nein, Helen . . . Averil trat mutig an meine Seite. Er war bereit, das Vaterhaus zu verlassen, mit seinem Vater zu brechen. Er kündigte mir seine Abreise von London an. Da . . . da gab ich ihm sein Wort zurück.«

»Du . . . Florence . . . du tatest das?«

»Ich tat es . . . nach langem, schwerem Kampf.«

»Warum, Florence? . . . Zweifeltest du doch an Averil . . . an seiner Treue?«

Tief atmend lehnte sich Florence zurück und bedeckte mit der Hand ihre Augen.

»Warum? . . . Weil ich ihn liebte . . . mehr liebte als mein Glück. Averils Entschluß war eine Tat, die mich beseligte . . . mich beglückte. Wer England und seine Institutionen kennt, weiß, was er meinetwegen aufgeben wollte. Sein Opfer war groß. So groß, daß ich es nicht annehmen durfte . . .

Laß die Vergangenheit. Es ist nutzlos, davon zu sprechen. Weg mit den Erinnerungen an jene Tage und Nächte der Verzweiflung . . .«

Sie erhob sich und ging ein paarmal mit starken Schritten durch das Gemach.

»Deine Erzählungen von den wunderbaren Arbeiten in Asien reizen meine Neugier, Helen. Du sprachst davon, daß du vielleicht mit deinem Vater zur Einweihung des Balkaschsees dorthin zurückgehen würdest. Wäre dir meine Begleitung angenehm?«

»Du fragst, Florence?! . . . Mit tausend Freuden begrüße ich deine Begleitung. Aber . . . es ist noch zweifelhaft, ob ich selbst gehe. Ich muß . . .«

Ein Lächeln stand in ihrem Gesicht. »Ich muß erst noch eine Wette gegen Pa gewinnen.«

»Eine Wette? . . . Und warum . . . worüber?«

»Nicht jetzt fragen, Florence. Später werde ich dir den Scherz erzählen. Ich glaube bestimmt, die Wette zu gewinnen. Sonst würde deine Helen sehr traurig sein . . . Aber nicht der verlorenen Wette halber.«

* * *


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