Hans Dominik
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Hans Dominik

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Uhlenkorts Hand tastete an die Mauer des alten Leuchtturms, klammerte sich an die verwitterten Quadern. Beruhigung schien von den kalten Steinen auszustrahlen, auf ihn überzugehen.

Kaum drei Stunden war es her, daß das Flugzeug, in dem er nach Spitzbergen kam, die Nachricht auffing: Die ganze Kanaltrasse auf einmal gesprengt. Von Colon bis Panama alles in die Luft geflogen.

Da war er aufgesprungen, von Schrecken, von Entsetzen gepackt, war in den Empfangsraum geeilt, hatte in höchster Erregung der weiteren Meldungen geharrt. Bis dann die zweite, die erlösende Nachricht kam: Alles gut verlaufen. Das Befürchtete nicht eingetreten.

Erlösend? War diese Nachricht wirklich erlösend? Einen Augenblick ja! Dann waren die Zweifel gekommen.

Was hatte er gesagt? Er, zu dem er jetzt eilte? Er, vor dessen Heim er jetzt stand? Die eine Hand an den Quadern, die andere an dem Eisengeländer, stieg er die Stufen zu der Eingangspforte empor, wie ein müder, kranker Mann.

»Der alte Invalide wies ihn den Turm hinauf zur Laterne. Ein langer Weg über zweihundert Stufen. Und dann stand er oben, stieß die Tür zurück. Sein Blick flog suchend durch das Gewirr der Apparate und Instrumente, die den Raum füllten.

Da saß der, den er suchte, ihm halb den Rücken kehrend.

»Du bist es? Ich erwarte dich. Eine kleine Weile, und ich bin fertig.«

Uhlenkort stand an der Tür. Seine Blicke hingen an der gebeugten, zusammengekrümmten Gestalt. Als wäre es ein Zauber, der von dieser ausging, fühlte er sein Herz leichter werden . . . leichter mit jedem Pulsschlag.

Und dann richtete der Mann sich auf, wandte sich ihm zu, sah ihn einen kurzen Moment an. Diese Augen . . . zwingend . . . bannend . . . befreiend . . . erlösend. Die schmale weiße Hand ausgestreckt, trat er auf ihn zu.

»Walter! Du kommst. Ich wußte es. Ich freue mich.«

Ihre Hände lagen ineinander, und unter dem leisen Druck dieser Hand fühlte Uhlenkort, wie der letzte Rest der quälenden Spannungen von ihm wich. Fest umklammerten seine Finger die des anderen.

»Johannes! Ja, ich komme zu dir, schwere Sorgen im Herzen. Und jetzt, da ich bei dir bin, dich sehe, deine Hand fühle, schwindet die Last . . . diese fürchterliche Last . . .«

Sie saßen sich an dem großen Fenster gegenüber, das freien Blick nach Süden gab.

»Der Kanal ist auf einmal gesprengt. Du hörtest es vor drei Stunden. Was du befürchtetest, es ist geschehen . . .«

». . . der Schurkenstreich Rouses!« vollendete Uhlenkort. »Er wird nicht lange mit der Ausrede warten lassen, es wäre durch blinden Zufall geschehen. Die dunkle Ahnung, die ich immer hatte, sie wurde stärker, immer stärker, je näher wir der Sprengung kamen. Trieb mich hierher . . . zu dir, noch bevor es geschehen.«

»Du . . .« Seine Hand fuhr dem anderen entgegen. »Du, sag es mir . . . Was wird nun kommen? Auch die andere Kunde vernahm ich, daß alles gut verlaufen sei, daß das Befürchtete nicht eingetreten ist. Wie mögen da Millionen von Menschen aufgejubelt haben, welche die erste Nachricht in Todesangst versetzte. Auch ich . . . ich, der ich an dich glaube . . . ich hörte die Nachricht, versuchte, mich an sie zu klammern, mich durch sie zu befreien . . . und vermochte es nicht.«

Und als ob die Sorgen und Qualen der letzten Stunden wieder auf ihn einstürmten, sank er zurück und deckte die Augen mit der Hand.

»Johannes! Ich verzweifle . . . Sag es mir! Was wird nun kommen?«

Jener saß und starrte durch die Scheiben über die weite, graue Fläche des Nordmeeres. Seine Blicke schienen, gelöst vom Körper, in weiter Ferne zu suchen . . . zu fragen. Die Strahlen des roten Sonnenballes brachen sich in den gewölbten Scheiben, warfen einen flackernden Schein auf das Gesicht des Mannes. Minuten verrannen. Zeitlos . . . wunschlos schien alles um Uhlenkort zu werden.

Da fühlte er, wie eine Hand sich auf seine Schulter legte, wie ein Kopf sich zu seinem Ohr neigte, wie ein Mund zu ihm sprach.

Er hörte die Worte, die so schrecklich waren und ihn doch nicht zu treffen schienen, die so Fürchterliches vor seinem Auge malten und doch sein Herz still ließen.

Und Uhlenkort stand neben ihm, an jenem blitzenden Instrument, an dem der Mann vorher gesessen, als er eintrat. Der beugte sich darüber, bewegte Hebel, Schrauben und Schalter und warf einen Blick auf die große Uhr.

An der Nordwand blitzte es kurz über eine dunkle Fläche. Wieder beugte sich das Haupt des Mannes zu dem Tisch. Die Lippen murmelten leise Worte. Das Instrument drehte sich leicht zur Seite.

»Jetzt! Du wirst hier sehen, was dort geschieht, und doch an mich glauben!«

Dann war es, als ob das Dunkel des Raumes ihn verschlungen hätte. Uhlenkort stand allein und starrte auf die Wand, die Mattscheibe, auf die ihn J. H. gewiesen. Ein bleicher Schimmer flog darüber, wurde heller und immer heller, zeigte Farben, zeigte Konturen. Blaue Flächen . . . grüne Wälder . . . fahrende Schiffe . . . dahinziehende Flugzeuge.

»Der Kanal!« Uhlenkort schrie es. »Der Kanal!«

In der Sekunde, in der das Bild erstand, hatte sein Auge es begriffen. Seine Blicke flogen über die Fläche hin.

Da war es. Das Bild, das er im Geiste trug, seitdem er jene erste Kunde vernahm. Die beide Ozeane links und rechts. Das breite, glitzernde Band, das von dem einen zum anderen ging. Die Felsen und Berge. Die Wälder und Hänge an den Seiten.

Wie Nußschalen groß die Schiffe, die aneinander vorbei von Ozean zu Ozean strebten. Das lachende Spiel der Flugzeuge, die zum Wasserspiegel hinuntergingen, schwammen und mit triefendem Kiel wieder emporflogen.

Und dann . . . das Bild verschob sich. Nur der nördliche Teil des Kanals mit der Küste bei Colon lag vor ihm. Größer, jetzt deutlich, fast greifbar sah er das Bild. Ein großes Schiff bog um die Küste, fuhr in den neuen Kanal. Die Passagiere jubelten, schwenkten Tücher. In der Maiensonne strahlten die Fluten, leuchteten die grünen Wälder zu beiden Seiten des Kanals.

Da! Bei Colon war es, dicht an der Mündung des Kanals. Ein Schwanken, ein Zittern ging durch das Land. Es bebte . . . es hob sich. Verschwunden war das Schiff. Ein dichter weißer Nebel . . . Wasserdampf verbarg es.

Zu bersten schien die Erde. Himmelhoch flogen gewaltige Felsmassen empor. Unendliche Mengen von Land und Gestein, gemischt mit siedend heißem Wasserdampf . . . und jetzt feurige Lohe aus den dichten Dampfnebeln. Ein Vulkan hatte sich aufgetan, spie und schleuderte unablässig Land, Dampf und Wasser zum Himmel.

In wilder Flucht retteten sich die Schiffe, die dem wahnwitzigen, unausdenkbaren Ausbruch der Naturkräfte entronnen waren. Sie flohen nach Süden den Kanal entlang. Sie flohen nach Norden in die Karibische See.

Das Bild verschob sich. Und dann . . .

Schrie er . . . oder war's sein Herz?

Ein neuer Ausbruch . . . ein neuer Vulkan. Da, wo die hohen Berge von Culebra an den Kanal herantraten. Und jetzt, nach dem Höllenschauspiel des zweiten ein dritter, ein noch gewaltigerer Ausbruch in dem Südende des Kanals. Ein Ausbruch, der die Stadt Panama in wenigen Sekunden hinwegfegte, in eine Masse fliegender Steintrümmer verwandelte.

Und dann schienen diese drei Ausbruchstellen zu einer einzigen zusammenzuschmelzen. Eine feuerspeiende, unendliche Dämpfe ausstoßende Spalte war dort, wo vor kurzem die Fluten des neuen Kanals von Ozean zu Ozean gingen.

Wasser und Feuer waren zusammengetroffen, kämpften, schufen Dampf, höchstgespannten Wasserdampf in unendlichen Mengen und von unendlicher Sprengkraft.

Der Isthmus zerriß. Zerriß bis in die tiefsten Tiefen des Grundes.

Breit und immer breiter klaffte der ungeheure Spalt, aus dem Feuer und Dampf in wildem Durcheinander zum Himmel stiegen. Weiß wallender Wasserdampf, grauer Qualm dazwischen, dunkel und immer dunkler.

Verschwunden war der lachende Himmel. Die Finsternis der Nacht lag über dem reißenden und berstenden Isthmus. Finsternis, nur durchbrochen von dem zuckenden Feuerstreifen von Colon bis Panama.

Uhlenhorst stand starr, alle Kräfte des Körpers und Geistes zum Zerreißen gespannt. Seine Augen hingen an den Bildern des Schreckens. Vergessen war alles, was der andere ihm weiter gesagt. Er fühlte, wie seine Kräfte schwanden, je weiter das Unglück vorschritt, wie seine Knie ins Wanken gerieten, wie er schwankte, wie eine unsichtbare Hand ihn auffing.

Er lag auf einem Ruhebett. Eine Hand strich über seine gequälten Augen. Die Lider schlossen sich. Doch sein Geist blieb wach, sah ohne Wand . . . ohne leuchtende Mattscheibe, was weiter geschah . . . in den nächsten Stunden und Tagen.

Der Isthmus riß, riß immer weiter auseinander. Wie schwingende Federn vibrierten die beiden auseinandergerissenen Enden, zitterten unter dem Kampf der unterirdischen Mächte. Riesengewalten zerrten und rüttelten an dem gemarterten Leibe des Isthmus. Er bebte und spie Feuer von Nicaragua bis Columbia. Und immer neue Massen schleuderte die unterirdische Gewalt zum Himmel empor.

Wie wilde See wellte das Land. Berge fielen um. Wälder stürzten wie Kornhalme unter der Sense des Schnitters.

Flußtäler verschwanden, ihr Wasser hierhin und dorthin ergießend. Riesenspalten rissen auf.

Menschen zu Tausenden verwundet, erschlagen . . . die Überlebenden in sinnloser Flucht umherirrend.

Immer breiter wurde die feuerspeiende Spalte. Schon längst kein Kanal mehr. Eine breite, mächtige Bahn jetzt, in der das Seewasser kochte und immer wieder mit Feuer vermischt zum Himmel emporgeworfen wurde.

Bis endlich die Nacht wich, bis die dunklen Wolken sich verteilten, bis es lichter wurde.

Und dann war es ihm, als ob sein Auge über Welten und Meere ging. Der Golfstrom! Da kam er her aus den Breiten des Südens. Er sah ihn an der brasilianischen Küste entlanggleiten, sah ihn hineinfließen in den Golf von Mexiko, den Golf, der ihm den Namen gab, sah ihn sich scharf nach Osten zurückwenden . . . nein, jetzt brach er sich, bog ab . . . nein, er folgte der alten Westrichtung, die jetzt kein Hindernis mehr sperrte.

Die Wasser des Stromes stockten, stauten sich, wie sich besinnend, und fuhren durch die offene Sperre in das ihnen bereitete neue Bett.

Er sah sie den Weg nach Westen nehmen, Wärme und Leben in das stille Weltmeer tragen.

Seine Sinne wollten schwinden. Sein Auge ging nach Norden. Hinauf zu den lachenden Fluren Schottlands, zu den grünen Wäldern Norwegens und nach Spitzbergen. Er sah sie erstarren, veröden in Frost und Eis. Zusammensinken in Trümmer . . . menschenleer. Stätten des Todes, des Grauens.

Hamburg, die Heimat! Ein Schrei . . . sein Herz stieß ihn aus.

Und dann waren es wieder die kühlen, linden Hände, die ihn umfingen, über seine heiße Stirn gingen, ihn befreiten von den Schreckensbildern. Er wachte auf. Seine Hände hielten die des anderen umklammert, zogen sich hoch an ihnen. Seine Augen sahen dessen Augen.

»Johannes! Du! Was war das? War's Traum, war's . . .«

Er fühlte, wie der sich neben ihn setzte, wie dessen Hand seine umfaßte.

»Es war Wirklichkeit, was du sahest. Es war das, was kommen wird, kommen muß. Die nächsten Stunden, Tage, sie werden es bringen, wenn . . . wenn . . .«

Als ob eine fremde Hand ihm den Mund verschlossen, brach er jäh ab. Seine Hand suchte Uhlenkorts Hand. Langsam sprach er weiter.

»Du sahst es und glaubst doch an mich. An meine Mission, die ein Schicksal mir gab. Ein Schicksal, das es auch wollte, daß deine Augen mehr sahen. Das dir einen Teil der Last, einen kleinen Teil der Last auflud.«

»Johannes! Was wird geschehen? Was wird folgen? Wie wird sich das Schicksal der Millionen gestalten, die das Unheil trifft? Schrecken . . . Verzweiflung . . . Untergang für viele Tausende . . . Ist es unvermeidlich?«

»Das Schicksal will es. Das Schicksal, dasselbe Schicksal, das Rettung bringt für . . .«

*

Die Massen, die sich auf Straßen und Plätzen der amerikanischen Städte vor den Lautsprechern und Fernsehgeräten drängten, begannen sich zu zerstreuen. Noch spiegelte sich in Worten und Gebärden die Erregung der letzten Stunden wider.

Der ungeheure Knall der Explosionen, der, tausend Membranen zerbrechend, den Jubel von Millionen hervorrief. Die Schreckensnachricht: Alles auf einmal in die Luft geflogen! Und dann zuletzt: Alles in Ordnung! Die Ozeane vereint. Die ersten Schiffe auf der Fahrt durch den neuen Kanal.

Immer weitere Nachrichten waren in den nächsten Stunden gefolgt. Aber sie vermochten nichts Besonderes mehr zu bringen. Das Straßenbild gewann das alte Aussehen.

Da, um die vierte Stunde! Im Nu stauten sich die Mengen. Was war es, was die Lautsprecher schrien?

»Vulkanausbruch bei Colon! Colon zerstört! Kanal gesperrt! Ungeheure Todesopfer!«

Mit bleichen Gesichtern, stumm hörte die Menge die Nachrichten, die sich überstürzten, immer neue, größere Schrecken meldeten. Die Menschenmasse wuchs von Minute zu Minute. Gesperrt war jeder Verkehr. Neue Nachrichten: »Riesenvulkan bei Culebra . . . Der ganze Kanal ein feuerspeiender Schlund . . . Panama verschlungen . . . Der ganze Isthmus in Bewegung geraten . . . zerstört . . .« Die Fernsehbilder zeigten Verwüstungen unfaßbaren Ausmaßes.

Dann nur noch abgerissene, verstümmelte Nachrichten . . . dann Schweigen.

Die Menge stand und wich nicht. Allmählich ein Summen, ein Brausen. Die Lippen gewannen die Sprache zurück. Immer wieder der Name der Kanalgesellschaft und ihres Präsidenten. Ein einziger Schrei der Verwünschungen zuletzt.

Und Fragen dann . . . Der Golfstrom? Europa?

Was?

Wie in den Staaten, geschah es auf der ganzen Erde. Hunderte von Millionen hörten es, das Ungeheure, hörten und entsetzten sich.

J. H. . . . Der magische Mann, die mystische Gestalt . . . jetzt war sie überall.

*

In einem stillen Seitental der Sierra Nevada lag der fürstliche Sommersitz Rouses. In einem kühlen Nordzimmer, geschützt vor den glühenden Strahlen der kalifornischen Sonne, lag Juanita auf einem Ruhebett. Das Antlitz noch bleicher als sonst. Die umschatteten Augen halb geschlossen. Die schmalen weißen Hände ruhelos auf der Seidendecke, die ihre Gestalt einhüllte.

Ein leichtes Hüsteln kam ab und zu von ihren Lippen. Die Ärzte hatten sie hierher geschickt, obwohl Rouse widerstrebte. Die Krankheit, von der sie sprachen, war ihm nichts als eine vorübergehende Unpäßlichkeit, verursacht durch die anstrengenden Reisen der letzten Wochen. Juanita wußte es besser. In Kapstadt, da geschah es zum ersten Male, als sie nach jenem Zusammentreffen mit Tredrup allein in ihrem Zimmer war. Ein ungekanntes Schwächegefühl hatte sie taumeln lassen. Ein heftiger Schmerz hatte ihre Brust zusammengekrampft. Stundenlang hatte sie gelegen, bis der Anfall überwunden war.

Am nächsten Morgen war sie abgereist. Die frische Seeluft über dem Atlantik hatte ihr die alte Spannkraft wiedergegeben . . . scheinbar . . . es war wiedergekommen . . . stärker. Bis sie nach der Rückkunft von Montegna in ihrem Heim zusammenbrach. Und nun war sie hier, nur mit Widerstreben von Guy Rouse freigegeben.

Wie lange würde sie hier bleiben können? Wie lange würde er sie hier lassen? Nur zu deutlich hatte er ihr gezeigt, wie schwer er sie entbehrte.

Er? Sein Herz? Nein! Sein Geist, dessen Werkzeug sie war . . . Willenlos!

Was war es, was sie an ihn fesselte?

Liebe? Haß?

Der Rausch, in den er sie damals versetzte, war nur allzu rasch verflogen. Bald mußte sie fühlen, daß er gesättigt war, daß seine Augen nach anderer Schönheit suchten. Ihr Stolz hatte sich aufgebäumt. Fliehen? Wohin? Montegna war ihr verschlossen.

Er erriet ihre Gedanken, wie er es auch verstand, in den verborgensten Falten ihrer Seele zu lesen. Und er wollte sie nicht verlieren. Nur zu gut hatte er erkannt, wie nützlich, wie wertvoll dies an Körper und Geist gleich hervorragende Geschöpf ihm bei seinen Plänen war. Als er sah, daß das glänzende Leben allein sie nicht an seiner Seite halten konnte, änderte er sein Verhalten.

Sein faszinierendes Wesen, dem alles unterlag, was mit ihm in Berührung kam, zwang auch sie. Vergeblich rang sie immer wieder dagegen. Sie blieb bei ihm . . . blieb, schwankend zwischen Neigung und Haß. Wie oft hatte sie in Stunden, wo sie fern von ihm war, geglaubt, sich von ihm lösen zu können. Immer wieder hatte diese rätselhafte Macht, die von ihm ausging, sie besiegt.

Jahre des Kämpfens waren es, bis sie resignierte, bis sie aufgab, bis sie sein willenloses Werkzeug war. Selten nur noch ein kurzes Rebellieren, wenn ihr Stolz allzusehr getreten wurde, wenn allzu kraß das Unsaubere seiner Pläne in ihr Bewußtsein trat.

Ein Rätsel, die Macht dieses Mannes . . . ein Rätsel ihr Herz. Die Hände der Liegenden preßten sich an die Stirn, als müßte sie sie finden, die Lösung. Im Fluge zogen die Jahre vor ihren Sinnen vorbei.

Die Schulreiterin . . . sie stockte . . . Was war's, was ihn zu dieser Frau zog? War's auch hier nur der Trieb der Sinne? Nein! Hier schien es mehr zu sein. Durch einen Zufall war sie auf die Spur gekommen, war ihr nachgegangen. Sie hatte zurückgeführt bis zum Kanal.

In der gleichen Zeit, in der er in ihr Leben brach, hatte er auch jene umworben. Umworben? Ja! Hier war's Werben, Werben um mehr als das jugendschöne Mädchen. Gefühlsmäßig hatte sie das erfaßt. Ein Hieb für ihren Stolz, für ihr Selbstbewußtsein.

Und dann hatte sie dieses Mädchen gesehen . . . im Zirkus in Kapstadt, und Haß und Neid hatten ihre Hand geführt, hatten sie jene Rosen schleudern lassen, die die andere zu Sturz brachten. Im letzten Augenblick wollte ihre Hand zurück, aber der Wurf war geschehen . . . und dann war Tredrup gekommen. Zu spät! Hätte sie ihn nur früher gesehen!

Alte, verborgene Wunden rissen damals wieder auf. Die Szene im Park in Kapstadt stand greifbar vor ihren Augen. Hätte er ihn nicht gesehen, den verhängnisvollen Wurf! Die Stunden des reinen Glückes, die sie mit ihm verlebt, waren in Sekundenschnelle an ihr vorübergegangen; ein reines Gefühl war in ihr aufgewallt, das sie zu ihm hinzog.

Da stellte der Mann die Frage, die sie zur Lüge zwang, zur Lüge, die mehr als alles andere sie für immer von ihm schied.

Ihre Hände sanken schlaff auf die Decke zurück. Unaufhaltsam liefen zwei Tränen über die blassen Wangen.

Zu spät! Immer zu spät!

Erregt schleuderte sie die Decke zurück, sprang auf und eilte aus dem Raum.

Weg mit den Gedanken! Den Erinnerungen! Ablenkung! Was anderes! Da! Der Fernseher! Mechanisch betätigte sie ihn. Eine Weile stand sie . . . hörte und sah mit halben Sinnen.

Immer wieder der Kanal?

Da! Ihre Augen weiteten sich. Was vernahm sie? Der ganze Isthmus erschüttert . . . in fürchterlichen Erdbeben, die alles vernichteten . . . die Zahl der Todesopfer ungeheuer . . . Der Golfstrom . . . Europa . . .

Sie schaltete den Apparat ab.

Sein Werk! Mein Werk!

Wie eine Irre stürzte sie aus dem Haus in den Park. Wie eine Irre jagte sie durch seine verschlungenen Wege . . . weiter . . . immer weiter dem Ausgang zu.

Das große eiserne Tor war verschlossen. Ihre Hände umkrampften es, rissen an ihm.

»Mörderin! Mörderin!« gellte es aus ihrem Munde.

Sie sah es nicht, wie ein Kraftwagen vor dem Tor haltmachte, Guy Rouse ihm entstieg, auf das Tor zuschritt und es aufschloß.

»Juanita!« Der Name, von seinem Munde gerufen, brachte sie zum Bewußtsein. Mit wirren Augen sah sie um sich, fühlte, wie er sie umfaßt hielt, zum Wagen führte, bis in das Haus brachte, zu dem Ruhebett geleitete.

Und da saß er neben ihr und hielt ihre Hand und streichelte ihr Gesicht und sprach zu ihr. Den Kopf dicht an ihrem Gesicht.

Und wie wenn ein Zauberer neben ihr säße, wandelte sich alles in ihrer Seele . . . bis die Schreckensbilder verflogen, bis sie wieder das Wachs wurde, das er in seinen Händen knetete. Bis ihr die Sprache wiederkam. Und dann sprach er immer wieder zu ihr. Ihre Sinne wurden schärfer von Satz zu Satz.

Er brauchte sie wieder . . . sein Werkzeug.

»Ich fahre fort von hier, Juanita. Nur ein paar Stunden noch kann ich bleiben. Fort aus den Staaten! Längst hätte ich sie hinter mir, wenn ich nicht dich noch hätte sprechen müssen.«

Eine kurze Freude war ihr der Gedanke, mit ihm wegzugehen, zu fliehen.

»Du mußt bleiben, Juanita! Für mich wirken . . . arbeiten . . . nicht hier in den Bergen, du mußt nach Washington. Spätestens morgen.«

Mit abwehrenden Händen hatte sie sich weggewandt.

»Nein! Nein! Nimm mich mit. Ich kann nicht mehr . . .«

»Doch, Juanita! Du wirst bleiben, du wirst stark sein. Du mußt tun, was geschehen muß.«

Und dann brachte er den Mund ganz nahe an ihr Ohr und sprach zu ihr . . .

Von James Smith, den man verhaftet hatte, sprach er, von der kommenden Gerichtsverhandlung, von den Aussagen des verhafteten Chefingenieurs vor den Richtern, sprach von seiner Angst, daß dieser unter dem Druck des Geschehenen schwach werden könne . . . sagte, wie sie zu Smith eilen müsse, mit ihm reden, ihn festhalten in dem Rausch, daß er standhaft blieb . . . ein Zufall war's gewesen, der alle Minen gleichzeitig zur Explosion brachte . . .

Und sie sank unter seinen Worten zusammen . . . ihr Leib wand sich wie unter martervollen Mißhandlungen. Ihre Seele schrie unablässig nein! Nein . . . zuviel! Zuviel!

Die gerungenen Hände streckten sich ihm entgegen in tiefster Qual. Er griff sie, und die zusammengekrampften Finger lösten sich. Er küßte sie, streichelte sie. Die Augen, die blicken konnten wie die keines anderen Menschen, senkten sich in ihre. Wie eine schwere Decke legte es sich über ihre Stirn.

Er beugte sich über sie. Seine Lippen berührten die ihren. Ein Zucken ging über ihre Gestalt, als wolle sie ihn zurückstoßen. Dann flüsterte sie: »Ja! Ich werde gehen!«

Mit geschlossenen Augen lag sie. Er war hinausgegangen. Sie hörte die Tür hinter ihm ins Schloß fallen. Langsam richtete sie sich empor. Ihre Hand griff zur Brust. Da war es wieder . . . Der Schmerz . . . der brennende Schmerz. Ein kurzes Husten erschütterte ihren Leib. Sie führte das Tuch zum Munde, ihn aufzuhalten, den Lebensstrom, der da sich lösen wollte. Mit aller Willenskraft kämpfte sie, sich aufrecht zu halten, und es gelang. Der Anfall verging.

Langsam schritt sie zum Spiegel! Wie eine Fremde starrte sie das Bild an, das der ihr entgegenwarf. Und dann fiel ihr Blick auf das Taschentuch, das der Spiegel zeigte.

Die roten Flecken darin, sie waren wieder da.

*

Christie Harlessen stand am Kai in Valparaiso. Ihre Augen hingen mit verzehrender Ungeduld an einer Turbinenjacht, die draußen von einer Boje losmachte. Ihr Fuß stampfte ungeduldig auf die Steinplatten.

»Schneller! Schneller!« murmelten ihre Lippen. Sie riß das Glas an die Augen und richtete es auf den Horizont.

Da! Da drüben, da fuhren sie . . . die beiden Simmons-Schiffe mit ihrer kostbaren Kobaltladung. Eben noch hatte sie die Farben der amerikanischen Flagge am Heck der Schiffe erkennen können. Jetzt nicht mehr. Ihre Rechte ballte sich, schlug an die Ledertasche, Papiere knisterten darin.

»Hier hab' ich sie! Die Dokumente, die die Schiffe, die Ladung in meine Hand geben.« Ihre Augen flogen zurück zu der Jacht. Diese hatte losgemacht und schob sich langsam durch das Gewirr der großen und kleinen Fahrzeuge.

»Endlich! Endlich, Herr Mönkeberg!«

»Ruhig Blut, mein liebes Fräulein Harlessen.« Das breite, freundliche Gesicht des jungen Hamburgers lachte ihr zu.

»Wir kriegen sie doch noch.« Er reichte ihr die Hand und riß die Springende an Bord.

»Los! Los, Herr Mönkeberg!«

»Immer noch nicht, Fräulein Harlessen. Der Señor da drüben, der Vertreter der heiligen Hermandad, muß auch noch mit.«

»Hallo, Señor! Vamos! Andelante! Los!«

»Sofort! Sofort, Señor.«

Christie sah, wie der sich eben noch eine Zigarette drehte.

»Vorwärts! Los, los!« Christie war auf dem Sprung zum Land zurück.

»Ich bin schon da . . . schon da, Señorita!«

Tatsächlich kam er endlich in beschleunigtem Tempo an Bord.

»Los!«

Die ›Hirundo‹ drehte vom Kai ab. Langsam ging's durch das Gewimmel des Hafens.

»Halbe Kraft voraus«, schrie Mönkeberg, der auf der Brücke stand und das Steuer selbst führte. Mit einem Ruck zog die Jacht an. Schneller, immer schneller schoß ihr Kiel durch die leichte See. Minuten später, und die letzten Landmarken lagen zurück. Da!

»Volle Kraft voraus!«

Das Summen der Maschinen ging in helles Klingen über. Schneller, immer schneller wurde die Fahrt. Dann, als wenn das Boot Flügel bekäme, fing es sich an zu heben. Höher . . . höher . . . Der Bug schien das Wasser zu verlassen.

»Höchstgeschwindigkeit!« gab Mönkeberg das Kommando. Aus dem Maschinenraum klang's wie das Spiel höchstgestimmter Saiten. Und dann . . . ein Gleiten . . . ein Schweben. Wie ein Schlitten über Schnee fuhr der breite Kiel über das Wasser.

Hirundo . . . die Schwalbe! Wie das Spiel der Schwalben über den Wassern war die Fahrt des Gleitbootes.

Christie stand neben Mönkeberg. Das Gesicht des Hamburgers war verwandelt. Verschwunden das behäbige, gemütliche Lächeln. Die Augen starr über den Steven nach vorn, zwei tiefe Falten über der Nasenwurzel, die Lippen zusammengekniffen, die Hände um das Steuer gekrampft. Sportsmann in jeder Faser. Vergessen war alles, was ihn zu dieser Fahrt gebracht. Nur der eine Gedanke . . . sie einholen, abfangen vor dem Ziel, der Dreißigmeilengrenze, an der die chilenische Souveränität endete.

Wieviel Knoten? Sein Blick fuhr zum Zeiger des Tachometers. Neunzig Knoten! Nicht genug! Mehr Druck auf die Turbinen, mehr Kompression in die Gaskammer!

Dann . . . wie ein Stöhnen ging es durch den Schiffskörper; die Maschinen heulten auf. Der Bug hob sich wie zum Sprung.

Christie taumelte zur Rückwand.

Der Vordersteven, hoch aus dem Wasser gehoben, schien, wie von Flügeln getragen, den ganzen Schiffskörper mit sich zu reißen. Kaum daß noch das Heck im Wasser blieb, die Schrauben im Wasser schlugen.

Mönkeberg blickte aufs Tachometer. Er nickte.

Achtundneunzig . . . neunundneunzig . . . hundert . . . hundertundeinhalb . . . Sein Gesicht flog zu Christie herum.

»Eine knappe Viertelstunde, zehn Minuten noch, und wir haben sie . . .«

Christie starrte hinüber zu den Simmons-Schiffen, jede Fiber ihres Körpers bebte.

Bei Tagesgrauen war sie in Valparaiso angekommen . . . nach einem Eilflug von zwölf Stunden. Ihr erster Schritt war zum Hafen gewesen. Die beiden Schiffe lagen klar zur Abfahrt.

Sie war an Bord geeilt, hatte mit dem alten Kapitän gesprochen, ihm ihre Papiere, ihre Vollmachten gezeigt. Dieser hatte mit den Achseln gezuckt, sie an den Vertreter der Firma gewiesen. Alle Vorstellungen, alle Bitten waren vergeblich. Das Äußerste, was sie ihm abzuringen vermochte, daß er die Abfahrt um ein paar Stunden verzögern wollte. Zwei Uhr nachmittags spätestens in See!

Am Hafen hatte sie ein Taxi genommen, war zum Konsulat gefahren, hatte lange mit dem Mißtrauen des Konsuls zu kämpfen gehabt, der sie schließlich an die Gerichtsbehörde verwies, einen Anwalt empfahl.

Diesen hatte sie aufgesucht. Er war nicht zu Hause, war im Gerichtsgebäude. Dorthin! Langes Suchen, endlich fand sie ihn. Ein kluger, ein ehrlicher Mann!

Sie gingen zum Richter, trugen die Sachlage vor. Christies Kenntnis der spanischen Sprache erleichterte die Verhandlung.

Der Richter zögerte, konnte oder wollte nicht an den ungeheuren Betrug glauben und lehnte jede gerichtliche Verfügung ohne Anhörung der Gegenseite ab.

Ein Expreßbote wurde geschickt, den Vertreter zu laden. Der war nicht aufzufinden . . .

Wieder begann der Kampf um einen Gerichtsbeschluß. Ein Funkgespräch mit der Hamburger Stammfirma! Das war die äußerste Konzession des Richters. Die Verbindung versagte . . . atmosphärische Störungen.

Christie war verzweifelt. Sie ließ den Anwalt bei Gericht zurück und raste im Wagen zum Hafen. Zwei Uhr!

Schon von weitem suchte ihr Blick die Schiffe. Sie hielt am Kai. Von der Stadt her kam der Ton der schlagenden Uhren. Das Herz drohte stillzustehen.

Der Kapitän . . . würde er? Da! Ja! Die Anker gingen hoch, die Schlepper zogen an.

Ein Schrei kam aus Christies Kehle. Ihre Hände streckten sich nach den Schiffen aus, als wollte sie sie halten.

Halt! Halt! Zu spät . . . zu spät . . .!

Sie taumelte, wäre fast von der Kaimauer abgestürzt, als eine starke Hand sie faßte.

»Halt, mein Fräulein . . . Mein Fräulein aus Deutschland . . . Erst mal selber halt. Viel fehlte nicht, und Sie lägen da unten im Nassen.«

Der Klang der deutsch gesprochenen Worte ließ Christie zusammenzücken.

»Ein Deutscher?«

»Hermann Mönkeberg aus Hamburg.«

»Mein Name ist Harlessen. Ich kam hierher, um . . .«

»Etwa gar Firma Harlessen & Uhlenkort?«

»Ja! Ja!« Mit fliegenden Worten erzählte sie ihm, was geschehen war. Er horchte, hörte, nickte.

»Haben Sie die Vollmachten bei sich?« unterbrach er sie. »Ich kenne Uhlenkorts Handschrift.«

Christie riß die Vollmacht aus ihrer Tasche und gab sie ihm.

Er überflog sie prüfend. Dann drehte er sich um, der See zu.

»Da fahren sie . . . fünfundzwanzig Knoten mindestens . . . sie einholen, ehe sie die Dreißigmeilenzone überschreiten . . . Ja, hätten Sie den Gerichtsbeschluß! Noch wär's Zeit. Zurück zum Gericht, das ist das einzige . . .«

Er rief seinen Chauffeur heran und gab ihm einen kurzen Auftrag.

»Kommen Sie, Fräulein Harlessen. Ich fahre mit Ihnen in Ihrem Wagen zum Gericht. Vielleicht, daß ein günstiger Himmel Ihnen wohl will . . . die Funkverbindung mit Hamburg geglückt ist.«

Sie rasten zur Stadt. Mönkeberg fuhr selbst. Am Eingang des Gerichts trafen sie den Anwalt. Seine Miene verriet, daß es gut stand.

»Verbindung geglückt! Beschluß erwirkt! Noch ein paar Minuten für die Ausfertigung . . . Sind die Schiffe noch da?«

»Sind weg, aber wir kriegen sie!« rief Mönkeberg. Er winkte ein Auto heran und erklärte den beiden in hastigen Worten seinen Plan.

Er wollte zum Hafen zurück, seine Turbinenjacht, ein Gleitschiff neuester Konstruktion klar machen. Fräulein Harlessen mit einem Gerichtsbeamten solle sofort nachkommen, sobald das Dokument in ihrer Hand sei.

Und nun stand sie hier auf der ›Hirundo‹ an Mönkebergs Seite. Schon längst sah sie wieder die Farben der Heckflaggen. Die Aufbauten wuchsen vor ihren Blicken von Minute zu Minute. Sie sah, wie von deren Bord sich Ferngläser auf sie richteten, wie Menschen verwundert an die Reling drängten. Ihre Rechte ließ das Glas und fuhr winkend in die Höhe.

»Halt! Halt!«

Unbewußt kam der Schrei von ihren Lippen.

»Flaggen raus!« schrie Mönkeberg. »Verflucht, daß wir ohne Sender fahren mußten. Flaggen raus!«

Hinter dem Aufbau am Stern tauchte der Signalmast auf. Seine Arme spreizten die chilenische Flagge an zwei Stäben auseinander. Er streckte sie hoch. Zerrissen flogen im selben Augenblick ihre Fetzen nach hinten.

Mönkeberg lachte.

»Der Deubel soll bei der Fahrt signalisieren . . . Sie entgehen uns auch so nicht.«

Da! Der singende Ton im Maschinenraum wurde eine Nuance tiefer.

Mönkebergs Stirn krauste sich. Sein geübtes Ohr hatte den geringen Tonunterschied in der Sekunde erfaßt.

»Hallo! Was gibt's?« brüllte er hinunter.

»Kammern zu heiß! Kein Druck mehr!« klang es aus der Maschine zurück.

Tiefer wurde der Turbinenton. Die Geschwindigkeit der Jacht fiel ab. Christie starrte angstvoll in das Gesicht Mönkebergs. Sah, wie dessen Lippen sich fester preßten, wie sein ganzer Körper angespannt war, dem Maschinenton zu lauschen.

Christie riß ihr Glas nach vorn, ließ es sinken, hob es wieder.

»Die Schiffe laufen schneller . . . Die Heckflaggen! Wie Bretter stehen sie im Fahrtwind . . .«

Mönkeberg ließ die Linke vom Steuer, entriß ihr das Glas. Er blickte hindurch. Ein Fluch brach von seinen Lippen . . . es war konzentriertes St. Pauli.

»Können Sie steuern?« herrschte er Christie an. Statt einer Antwort sprang sie ans Steuerrad und griff sofort in die Speichen.

Mönkeberg stand einen Augenblick, sah, wie ihre Hände sich spannten, sicher das Steuer führten.

»Weiter so!«

Mit ein paar Riesensätzen verschwand er in der Luke nach unten, stand bei den Maschinen, übersah mit einem Blick, was war.

Die Gaskammern überhitzt, die Luftzufuhr gehemmt.

»Her mit der Flasche! Der Sauerstoffflasche!«

Die Maschinisten starrten ihn mit großen Augen an.

»Her damit! Schnell, zum Donnerwetter!«

Da brachten sie sie heran.

Er nahm einen Schlüssel, öffnete das Ventil. Zischend drang der komprimierte Sauerstoff in die Verbrennungskammern.

Mönkebergs Augen hingen am Tachometer. Der Zeiger ruckte an. Stieg, stieg weiter . . . hundert . . . hundertfünf . . . hundertzehn . . .

Der Maschinist trat zu ihm.

»Herr! Wie lange soll das dauern? Die Maschine muß brechen!«

»Wann? Wie lange?« schrie ihn Mönkeberg an. Der zuckte mit den Achseln.

»Eine Viertelstunde höchstens! Dann ist sie kaputt!«

Mönkeberg nickte. »Gut! Eine Viertelstunde? Gut . . . Mag sie zum Teufel gehen . . . mag sie niederbrechen, wenn sie durchs Ziel ist . . . noch fünf Minuten . . .«

Er sah nach der Schiffsuhr. »Noch fünf Minuten! Wenn sie die noch hält, haben wir sie.«

Noch einen kurzen Blick auf die stöhnenden Turbinen. Er stand wieder auf der Brücke.

Da waren sie . . . Backbord voraus.

Er nickte Christie zu.

»Gut, gut, Fräulein Harlessen! Her mit dem Steuer! Holen Sie den Chilenen! Wir haben sie.«

Christie ließ ihm das Steuer. Schon lagen sie dwars zu den Schiffen. Taumelnd schritt sie die Treppe zum Kajütenraum hinab. Auf der letzten Stufe schlug sie mit Gewalt gegen die Seitenwand. Die Fahrt ging hart Steuerbord auf neuen Kurs, verlegte den beiden Schiffen den Weg.

»Kommen Sie! Kommen Sie!«

Sie schlug dem Chilenen die ewige Zigarette aus der Hand und riß ihn mit sich. Stürzend, stolpernd kamen sie nach oben. Christies Blick flog zu den Schiffen.

Die fuhren langsamer, man schien endlich begriffen zu haben.

»Heraus mit der Flagge!« herrschte sie den Beamten an. Noch ehe der Antwort fand, hatte sie ihm das Tuch aus der Hand gerissen. Ihr Arm stieß es in die Luft. Die Farben Chiles standen weithin sichtbar in der leichten Seebrise.

Halt! Der Signalgast setzte das Zeichen. Die Schiffe stoppten. Ihre Schrauben schlugen rückwärts. Langsam kamen die mächtigen Körper zum Stillstand. In kurzer Wendung legte sich die ›Hirundo‹ Backbord an das vorderste an.

Der Gerichtsbeamte schrie dem Kapitän, der sich über die Reling beugte, ein paar Worte zu. Der zuckte die Achseln. Schien nichts zu verstehen. Gab aber Befehl . . . Das Fallreep kam herunter.

Christie stand vor dem Kapitän. Der starrte sie mit unwirscher Miene an, hörte, was sie ihm zurief, unterbrach ihre Rede.

»Den gerichtlichen Beschluß! Haben Sie ihn?«

Der chilenische Beamte trat vor. Mit einem rasenden Wortschwall überschüttete er den Kapitän. Dieser schüttelte den Kopf. Soweit gingen seine spanischen Kenntnisse nicht, den wie ein Hagelgewitter niederprasselnden Worten des Chilenen zu folgen. Mönkeberg griff ein, nahm dem Beamten das Dokument aus der Hand und las es langsam, erst in spanischer Sprache, dann in englischer Übersetzung dem Kapitän vor. Der ließ es sich reichen, prüfte Kopf und Siegel.

Ein Kommando zur Brücke. »Entfernung zum Leuchtturm?«

»Achtundzwanzig Seemeilen und eine halbe.«

Sie waren noch innerhalb der Dreißigmeilenzone.

»All right!« rang es sich endlich von seinen Lippen. Dann, ohne sich weiter um die kleine Gruppe zu kümmern, gab er seine Befehle. »Zurück zum Hafen!«

Und dann standen sie wieder auf der Kaimauer. Der Beamte hatte sie verlassen.

»Wie soll ich Ihnen danken, Herr Mönkeberg! Ohne Sie wäre all mein Bemühen umsonst gewesen.«

»Danken, Fräulein Harlessen? Warum? War mir ein Vergnügen, ein Fest ersten Ranges, meine ›Hirundo‹ – vorige Woche kam sie erst von Hamburg herüber – in solcher Fahrt zu erproben. Alle Achtung vor der ›Hirundo‹ und der Werft! Soll's mal einer nachmachen. Was wollen Sie mit der Beute machen?«

»Ich habe den Auftrag, sie nach Kapstadt zu dirigieren.«

»Und Sie selbst?« Christie zögerte. ». . . zunächst nach New York.«

»Und dann nach Hamburg«, setzte Mönkeberg wie selbstverständlich hinzu.

»Kann sein . . . vielleicht.«

Sie wandten sich zum Gehen.

Ein Menschenauflauf vor einem New Yorker Passagierschiff am Kai. Von allen Seiten strömten die Menschen hin.

»Hallo! Was gibt's da?« Mönkeberg wies mit der Hand hinüber.

»Da geht's ja selbst für chilenisches Temperament recht lebhaft zu. Ist irgendwo die Welt untergegangen?«

Ein Reporter der ›Deutschen Zeitung‹ in Valparaiso raste an ihnen vorüber. Mönkeberg, der ihn kannte, sprang ihm in den Weg.

»Halt, mein Lieber! Was gibt's? Wo brennt's?«

Der wand sich vergeblich unter dem festen Griff, mit dem Mönkeberg ihn gepackt hielt.

»Lassen Sie mich los! Um Gottes willen, ich muß zur Redaktion!«

»Der Isthmus ist gesprengt . . . zerrissen . . . vom Meer verschlungen. Tausende . . . Millionen . . .«

Mönkebergs Hände hatten losgelassen, sanken langsam nieder.

Entgeistert starrte er dem Enteilenden nach. Er hörte nicht auf Christie, die sich an seinen Arm klammerte.

Er stand, die Augen weit geöffnet, über See nach Norden gerichtet . . .

Ein Zittern ging durch die kräftige Gestalt. Er schlug die Hände vors Gesicht.

»Das ist das Ende!« Stoßweise rang es sich aus seinem Munde. »Das Ende für Hamburg . . . für Europa . . . für uns.«

Christie legte ihre Hand in seinen Arm und führte ihn beim Gehen. Ihr kühler, klarer Verstand rang mit dem Gehörten.

Unmöglich! Unmöglich! schrie es in ihrem Innern. Es kann nicht . . . es wird nicht sein. Die Heimat!

Das Wort, früher nicht gekannt, von Uhlenkorts Mund gesprochen, es hatte Wurzeln in ihrem Herzen geschlagen. Hamburg . . . die Heimat! Ein Sehnen war ihr aufgegangen . . . größer . . . immer größer werdend.

Hamburg . . . Harlessen . . . Heimat. Und alles weggewischt jetzt?

Nein! Nein! schrie es in ihr.

Ihr Herz sträubte sich gegen den logischen Zwang des ungeheuren Ereignisses.

*

Die beiden Freunde standen auf der steilen Westwand von Black Island. Zweihundert Meter fiel die Klippe vor ihren Füßen schroff ab. Dort unten in der Tiefe, wo früher die See brandete, streckte sich weithin das neue Land. Uhlenkort nahm das Fernglas von den Augen. Seine Hand deutete nach Norden.

»Die Luft ist klar geworden. Mit bloßen Augen sehe ich da die Grenze zwischen altem und neuem Land, den Kranz von Tang und Muscheln. Laß uns noch eine Weile stehen, Johannes, daß meine Augen sich satt trinken an dem Bild, das mir tieferen Frieden gibt als die schönste Landschaft des Südens.

Und jetzt kannst du mir erzählen, was da unten geschah am Isthmus. Was es war, das die Erde erbeben, zerreißen ließ. Du sahest es voraus. Du weißt, wie es geschah . . . wie es geschehen konnte.«

Der andere wandte sich um . . . dem Süden zu.

»Wenn irgendwo es gefährlich war, den Leib der Erde so schwer zu erschüttern, so war's auf dem Isthmus von Panama. Sie hätten gewarnt sein müssen, die Toren! Dort, wo seit Menschengedenken die unterirdischen Kräfte an ihren Ketten zerrten, wo die Magmamassen immer wieder an die Schranken der Erdhülle pochten, dort war es mehr als vermessen. Das atomare Sprengmittel, das sie in so riesigen Mengen in die Eingeweide des Isthmus packten, es mußte, auf einmal detonierend, die Katastrophe bringen. Die Gewalt der gleichzeitigen Explosion mußte, nach unten sich fortpflanzend, die Sialscholle bersten lassen.

Die Risse, durchreichend bis hinab zu den Feuergluten der Tiefe, ließen die beiden Elemente sich vermählen. Ihre Umarmung gebar Untergang . . . Tod. Während die unfreiwilligen Hochzeitsgäste oben jubelten und frohlockten, kreißten die Elemente in stundenlangen Wehen. Dann brach's ans Licht. Die Wasserdämpfe, mit Gewalt sich frei machend, zerrissen den Leib des Isthmus. Im Fieber bebten dessen Glieder. In immer neuen Ausbrüchen riß der Spalt, bis er klaffte . . . ein neues Feld dem Unheil . . . weiter klaffte, bis die Wogen der beiden Ozeane in freiem Schwall auf die Gluten des Inneren fielen. Das war das Ende. Der Bogen, schon längst zum Äußersten gespannt, zerbrach. Die Enden, die freien Zungen, schnellten auseinander. Weiter, immer weiter klaffend, bis die Ränder der Kluft standen, dreihundert Kilometer dazwischen lagen.«

»Und so wird es bleiben?« fragte Uhlenkort.

Der Freund schien den Sinn der Frage nicht zu verstehen.

»Nein! Es wird weitergehen, das Unheil. Mag das Fieber jetzt nachgelassen haben, die Zeit wird kommen, wo es wieder hervorbricht . . . früher oder später . . .«

»Ich erwarte Trost. Und du kündest mir neues Unheil. Ist's nicht genug? Für Europa wird es keinen neuen Schrecken bringen. Der Golfstrom . . . die Golfdrift . . . unser Wärmespender ist dahin. Millionen Menschen durch eines Menschen verbrecherische Hand zugrunde gerichtet, gemordet.«

»Trost? Gab ich ihn dir nicht schon, Walter Uhlenkort? Noch mehr? . . . Schon zuviel war es, was der Freund dem Freunde sagte. Mag das Schicksal es mir verzeihen.«

*

Walter Uhlenkort stand auf dem Zechenhof.

Der Chefingenieur hatte zu ihm gesprochen. Was hatte er gesprochen?

Stillegung der Minen . . . Abmontieren der Maschinen . . . Wegtransport der Belegschaften . . . Unmöglichkeit, die notwendigsten Arbeiten zu Erhaltung der Bergwerke fortzusetzen . . .

Immer wieder hatte Uhlenkort genickt, zustimmend, alles bejahend, was der vorschlug. Und dann hatte er ihm die Hand gereicht, hatte gesagt:

»Sie werden alles machen, wie Sie es planen. Sie haben meine Zustimmung.«

Und dann hatte der Chefingenieur gesagt:

»Ich werde bleiben bis zur letzten Minute. Bis zu dem Augenblick, in dem der Kapitän sein Schiff verläßt«, und Uhlenkort hatte ihm die Hand gedrückt und ihm ins Gesicht gesehen.

Lange . . . und war gegangen . . .

Der Chefingenieur sah ihm nach. Was war das für ein Gesicht? Ein Rätsel . . . eine Sphinx . . .

Hatte der den Verstand verloren unter dem ungeheuren Verlust, der ihn treffen mußte, oder . . .

Die kommende unvermeidliche Vereisung, die über das nördliche Europa hereinbrechen mußte, unterband den Betrieb der Kohlenminen auf Spitzbergen wahrscheinlich auf ewige Zeiten. Die Belegschaften jetzt noch länger zu halten, wäre verbrecherisch. War es schon unbegreiflich, daß die völlige Zerstörung vermieden wurde, als Black Island sich hob, jetzt war sie unaufhaltsam . . . unabwendbar.

Der Golfstrom war die Ader, die sie hier oben am Leben erhielt. Der Golfstrom war weg . . . für immer. Der Minenbetrieb hier oben war zu Ende, wenigstens unter den bisherigen Verhältnissen. Ob die Minen jemals wieder in Betrieb kommen würden, ob der ruinenhafte Rest Europas sie noch benötigen würde, wer konnte das sagen?

*

Das Turbinenschiff ›Präsident‹ der Reederei Uhlenkort hatte Sandy Hook hinter sich gelassen und steuerte in den Atlantik hinaus.

Der Kapitän stand neben dem Ersten Offizier im Kartenhaus.

Ihre Augen ruhten auf der Tabelle, welche die Wassertemperaturen seit dem Verlassen des New Yorker Hafens in viertelstündigen Intervallen enthielt.

»Nach der Karte laufen wir jetzt vierundzwanzig Stunden mit dem Golfstrom. Auf diesem Kurs haben wir noch vor vier Wochen 23,5 Grad Celsius gemessen. Heute haben wir 20,5 Grad Wassertemperatur. Zufall? Möglich . . . Aber bei den Lufttemperaturen des letzten Monats nicht anzunehmen. Stromgeschwindigkeit? Wir haben die Bestecke mit größter Sorgfalt genommen . . . Ergebnis . . . unanfechtbares Ergebnis: Es fehlen uns gegen damals annähernd zehn Seemeilen . . . Andere Windverhältnisse? Zufall? Möglich am Ende, aber kaum noch wahrscheinlich. Zwei Zufälle? Ausgeschlossen! Der Golfstrom fehlt! Die Drift von Süden her fehlt. Der Druck, der die Massen hier schneller trieb, sie wärmer hierherbrachte.«

»Ohne Zweifel, Herr Kapitän. Die Messungen werden morgen um diese Zeit noch interessanter sein. An den Neufundlandbänken muß der ewige Kampf von Kalt und Warm noch deutlicher werden.«

»Ja, ja, ob wir da jetzt schon was merken werden? Ob der ewige Nebel da jetzt schon weniger dick sein wird?«

»Unbedingt, Herr Kapitän. Dort ist die Stelle. Dort müssen die eisigen Wasser des Baffinstromes die warme Golfströmung von Stunde zu Stunde mehr und mehr unterkriegen. Sie lähmen, schwächen, wegdrücken, ihr die Kraft nehmen, den gewohnten Weg bis zum Ende gehen. Da oben, im Eismeer, wie lange wird's dauern, und es wird ein Eismeer im wirklichen Sinne des Wortes sein. Die Fahrten da hinauf werden wohl bald der Sage angehören.«

Der Kapitän nickte.

»Der Sage angehören wie unsere Kohlenminen in Spitzbergen. Mir ist es, als ob wir das in den nächsten Tagen wieder sehen würden.«

»Nach Spitzbergen?« Der Erste Offizier schaute ihn fragend an.

»Ja! Ich glaube es. Als wir vorgestern in New York plötzlich die Order erhielten, statt mit Ladung nach Rio de Janeiro nur mit Ballast und vollen Ölbunkern nach Europa zu fahren, überkam mich die Ahnung. Warum die Order? Spitzbergen ist uns verloren. Was dort ist, Menschen, Maschinen, muß fort. In Spitzbergen ebenso wie an all den anderen Orten, die durch den Golfstrom leben. Der Schiffsraum wird knapp werden, alles rechtzeitig zu bergen. Die Messungen werden in jedem Falle fortgesetzt, einerlei, wohin der Kurs geht . . . auch wenn wir das Ende schon jetzt wissen.«

Auf dem fünfzigsten Grad östlicher Länge traf den ›Präsident‹ der Funkbefehl: Direkter Kurs nach Wibehafen!

*

Knapp vierzehn Tage waren seitdem vergangen. Der ›Präsident‹ lichtete in Wibehafen die Anker, zweitausend Seelen an Bord.

Erst die Menschen, dann die Maschinen! lautete die Order. Nach Hamburg stand der Kurs. Nach Hamburg vorerst . . . der Heimat der meisten.

Und dann, die Frage lag auf den Lippen dieser Tausende, auf den Lippen derer, die auf anderen Schiffen folgten. Bewegte die Herzen der Millionen, die früher oder später das gleiche Schicksal teilen mußten.

Flucht aus der Heimat! Wohin? Schon flüchteten sie aus Hamburg, von der Küste nach Süden . . . der Sonne zu. Der Schiffsraum war knapp . . . ja, er war knapp geworden.

Sinnlos, regellos trieb die Furcht vor dem eisigen Tod das Volk aus Norden zur Flucht. In den Hafenstädten sammelten sich die Massen, wurden größer von Tag zu Tag.

Die Schiffe, die da lagen, wurden gestürmt. Die Führer zur Abfahrt gezwungen. Wohin? Nach Süden, der Sonne zu. Nur die eine Losung in aller Munde. Die Verwirrung wuchs ins Unendliche. Das Chaos stand vor der Tür. Die Schiffsführer wußten nicht, was anfangen. Ihre Reeder waren ebenso ratlos . . . Die Regierungen?

Da, in letzter Stunde setzten ihre Anordnungen ein. Ein großzügig angelegter Organisationsplan, zu dessen Durchführung Polizei und Militär zu Hilfe genommen wurden.

Die Verbände der Industrie und der Landwirtschaft erhielten genaue Richtlinien. Alle Transportunternehmungen zu Wasser, Luft und Lande wurden unter behördliche Kontrolle gestellt. Nie bisher war Ähnliches geschehen, seitdem Menschen Geschichte schrieben. Nur in großen, in allgemeinen Zügen konnten Vorschriften gegeben werden.

Halt für alle, deren Leben nicht unmittelbar bedroht war. Zuerst die, denen das Verderben am nächsten war, denen im hohen Norden.

Mit eiserner Strenge wurde es erzwungen. Nur das eine Ziel wurde verfolgt, das Leben der Bedrohten zu retten. Der wirtschaftliche Ruin war unabwendbar. Für jene Menschen . . . die Gemeinden . . . die Staaten . . . Europa.

Und die Kunde drang in alle Welt und beherrschte aller Herzen. Überall da, wohin das Unheil nicht treffen konnte, wo man über den möglichen Eintritt der Katastrophe und ihre Auswirkungen kaum nachgedacht hatte, sah man jetzt Schreckensbilder, die sich in Europa abspielen mußten, klar vor Augen.

Die Verantwortung für das Fürchterliche wurde bedingungslos Amerika zugeschoben. Die gereizte Stimmung machte sich vielenorts in drastischer Weise Luft. Die Weltpresse erging sich in den heftigsten Schmähungen gegen dieses von einem ausgearteten Kapitalismus beherrschte, verderbte Land.

Soziale Unruhen, Revolten in den Industrieländern häuften sich. Ein Weltboykott amerikanischer Waren drohte als Vergeltung.

Und dann setzte überall in der Welt spontan ein großzügiges Hilfswerk ein. Überall und am schnellsten und besten in den USA. Der Kongreß, der unmittelbar nach der Katastrophe am Isthmus einberufen worden war, stellte als erster Europa einen Riesenkredit zur Verfügung. Sammlungen im ganzen Lande wurden veranstaltet. Mit einer Milliarde Dollar stand die New Canal Cy. obenan. Jede Tonne entbehrlichen Schiffsraums, große Lastflugzeuge wurden nach Europa dirigiert. Arbeitsgelegenheiten und Platz für Millionen sollten frei gemacht werden. Alles wurde getan, um das Odium zu mildern, das auf dem Lande lastete.

Die Schreckensszenen, die in Wort und Bild dem amerikanischen Publikum Tag für Tag vorgeführt wurden, trugen das Ihre dazu bei, die Hilfsbereitschaft zu steigern. Ergreifende, entsetzliche Bilder brachten die Filmstreifen und Fernsehbilder aus dem sterbenden Europa.

Ein freundliches Dorf in blühender Landschaft . . . eine Industriestadt mit Hunderten von Fabriken.

Einen Tag später . . . Dorf und Stadt halb leer von Menschen. Die anderen . . . zu Fuß, zu Wagen, beladen mit ihrer Habe, auf der Flucht nach den Hafenstädten.

Wilde Bilder dort! Alle Häuser überfüllt . . . Tausende auf den Feldern nächtigend . . . Menschenmauern auf den Kaimauern . . .

Ein ankommendes Schiff . . . in Booten ihm entgegen! An Bord.

Das Schiff im Hafen. Die Landungsbrücken in die gedrängten Menschenmassen stürzend, erdrückend . . . darüber drängend . . . stoßend . . . wahnsinnige Massen.

Eine Brücke bricht . . . Hunderte im Wasser . . . rettungslos versinkend.

Angehörige auseinandergerissen . . . alle Bande des Blutes gelöst.

Das Schiff überladen. Keine Abfahrt . . . tausend Hände um die Trossen geklammert . . . Der Kapitän, die Mannschaft Waffen in den Händen. Die Trossen gekappt!

Verzweifelter Sprung . . . ihm nach, dem Schiff . . . Schüsse knallen . . . Flüche . . . Verwünschungen . . . Bitten . . . Flehen . . . das Schiff in Fahrt . . .

Wohin? Tausend Wünsche . . . Der Kapitän ratlos . . .

Wohin?

Alle Mannschaft auf die Brücke und an die Rudermaschine . . . Waffen zur Abwehr gegen die Massen gerichtet . . .

Vorbei an verlassenen Leuchtfeuern . . . Sturm im Kanal . . . kein Platz mehr unter Deck. Verzweifelte . . . Kranke, Sterbende auf Deck.

Im Wetteifer überboten sich Fernsehen, Radio und Presse in diesen Szenen. Und doch waren es nur kleine Ausschnitte aus dem Riesenbild der Zerstörung eines großen Landes. Eines Bildes, das ganz zu malen Wort und Licht versagten.

Nur eines bei alledem war auffallend. Während die Presse der übrigen Welt in erster Line der New Canal Company und ihrem Leiter die Schuld an dem Geschehen beimaß und sich in Schmähungen gegen sie ergoß, schwieg die amerikanische Presse, von wenigen Ausnahmen abgesehen, beinahe völlig über diesen Punkt.

Es war die immer wiederkehrende Wendung, mit der die Klippe der Schuld umschifft wurde: Der Verantwortliche ist vor Gericht gestellt. Schuld oder Unschuld, der Richterspruch wird es erweisen.

In den wenigen Ausnahmen freilich stand es anders. Die New Canal Cy. und ihr Leiter Guy Rouse, sie waren die Schuldigen.

*

Das Berner Parlament war wieder versammelt. Ein anderes Bild als vor vier Wochen. Gewiß! Die Tribünen wieder überfüllt. Doch der große weite Saal wies beinahe soviel Lücken als Abgeordnete. Wie lange würde es dauern und diese würden für immer fehlen. Die aus dem Norden!

Nur spärlich waren die erschienen. Wozu auch? Da oben standen Not und Tod vor der Tür, wogegen hundert Parlamentsreden nichts nützen konnten.

Das Leben retten! Zusammenraffen, was an Geld und Vermögenswerten blieb . . . Das ging vor.

Die Sitzung begann. Einige Redner, die in leidenschaftlichen Worten die schwersten Anklagen gegen Amerika schleuderten. Man hörte sie . . . zuckte die Achseln. Was war damit gewonnen? Der Kranke mußte sterben. Nichts rettete ihn vom Tode.

Dann eine Reihe anderer, die mit unmöglichen Vorschlägen kamen. Man schüttelte den Kopf darüber. Die Liste war erschöpft. Die meisten hatten verzichtet. Der Minister des Innern war der letzte. Er stand auf der Tribüne. Aller Augen hingen an ihm.

Der Minister sprach. Und mit jedem Worte, das aus seinem Munde kam, wurden die Herzen der Hörer schwerer und schwerer.

Verloren! Verloren! Nichts anderes klang aus seiner Rede. Das nackte Leben retten . . . den Millionen im Norden. Mehr vermochte die Regierung nicht.

Die Periode sinnloser Flucht war vorbei. Das Organisationssystem der Regierung arbeitete. Ein Riesenproblem . . . Unvollkommen natürlich gelöst . . . Nicht ausreichend gegenüber der Größe des Unglücks, aber genügend, um das Chaos zu verhindern.

Zweihunderttausend Menschen an jedem Tag galt es, aus den bedrohten Gebieten abzutransportieren. War das schon eine Riesenaufgabe, kaum zu lösen, ohne die Unterstützung der ganzen Welt . . . noch schwerer war hier die zweite . . . Wohin?

Und nun entwarf der Minister in großen Zügen den Plan der Regierung. Abtransport mit vorgeschriebenem Gepäck und Gewicht. Nach den Häfen Europas . . . Sammlung in großen Lagern . . . Einteilung der Massen nach Zielen und Wünschen . . . später Weitertransport nach Amerika . . . Südafrika . . . Asien . . . Australien.

Jahrzehnte würde es dauern, bis der Rest Europas seine wirtschaftliche Umstellung finden und sich in die neuen Lebensbedingungen eingewöhnen würde.

Hoffnungslosigkeit sprach aus den Worten des Ministers, Hoffnungslosigkeit lag über der Versammlung. Das Parlament ging auseinander, nachdem es der Regierung unbeschränkte Vollmachten für das nächste Jahr gegeben hatte.

›Das sterbende Europa‹, das war die Überschrift, die von nun an in den ausländischen Blättern über den europäischen Nachrichten stand.

*

Sie stand, wenn auch ungeschrieben, über dem Bericht des afrikanischen Botschafters an die kaiserliche Regierung in Timbuktu. Dieser Bericht war soeben in der Sitzung des Kabinetts, die im Beisein des Kaisers und des Generalstabchefs stattfand, verlesen worden. Aller Augen hingen an Augustus Salvator.

Tief in den Stuhl zurückgelehnt, die Augen halb geschlossen, hatte er den Bericht vernommen. Kein Muskel in seinem Gesicht verriet, was dabei in seinem Innern vorging. Minuten verrannen. Tiefste Stille im Raum.

Der Kaiser . . . Was dachte, was sann er? Die drückende Stille wirkte lastender, je länger sie dauerte. Endlich! . . . Der Kaiser richtete sich auf. Sein Blick ging zu dem Generalstabschef.

»Wie weit sind die militärischen Bewegungen an der Südgrenze gekommen?«

»Alle Punkte von strategischer Wichtigkeit sind besetzt und gesichert. Verschleierte Mobilmachungsbefehle haben im Norden des Reiches die zahlenmäßige Stärke der dortigen Truppen um das Dreifache erhöht. Alle Möglichkeiten für den Abtransport nach Süden sind geregelt. Munitions- und Lebensmitteltransporte gehen Tag und Nacht in das Aufmarschgebiet . . .«

»Wie steht es drüben?« unterbrach ihn der Kaiser.

»Die gleichen Vorbereitungen! Irreguläre auf beiden Seiten haben heute nacht die ersten Schüsse gewechselt. Die Vorfälle sind unblutig verlaufen.«

Der Kaiser nickte.

»Wiederholen Sie nochmals ausdrücklich den Befehl an alle Kommandeure im Süden, sich vor jeder Grenzverletzung – selbst bei Herausforderung – zu hüten. Es würde den Krieg bedeuten, den Krieg, den . . .«, der Kaiser sprach es mit starker Stimme ». . . ich nicht wünsche.«

Sein Auge ging in die Runde.

»Nein! Ich wünsche ihn nicht. Ich will ihn nicht, den Krieg. Jetzt weniger denn je.

Meine Herren! Das Unglück, das über Europa hereinbrach, es ist zu groß, zu unausdenkbar groß, als daß ein Mann in dessen Ausnutzung etwas tun könnte, was dem Sterbenden den Becher der Linderung aus der Hand schlagen würde.

Ich sehe einige Herren erstaunt über meine Worte. Ich verstehe ihren Gedankengang. Gewiß! Ein Strom von Menschen, von Männern, mehr jungen als alten, wird sich nach Südafrika ergießen. Siedler, Soldaten. Ungeahnter Zuwachs für die Kräfte der Südafrikanischen Union. Neue Arbeitskräfte, die unsere schwarzen Brüder allmählich immer mehr verdrängen werden. Ich weiß es, ich sehe es.

Jetzt Krieg! Aasgeier würden sie mich nennen . . . mit Recht.

Nein! Die Verhandlungen mit der Südafrikanischen Union werden weitergehen wie vorher unter gleich starken Nachbarn, Gegnern, wie vorher, ehe das Unglück eintrat. Meine Forderungen werden nicht um einen Deut höher werden. Die Verhandlungen werden in demselben versöhnlichen Sinne weitergeführt werden – die Verhandlungen über die Gleichberechtigung der beiden Rassen in der Südafrikanischen Union.

Die dilatorische Behandlung der Frage hat allerdings ein Ende. Die Hoffnungen, die bisher dazu Anlaß gaben, liegen begraben unter den Ruinen Europas.«

Der Kaiser schwieg. Sinnend starrt er ins Weite. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Nein! Sie können es nicht mehr. Sie dürfen es weniger denn je verweigern. Die Gleichberechtigung der Rassen.«

Bei dem Wort, kurz, hart hervorgestoßen, war er aufgesprungen. Seine Augen blitzten. Das Gesicht schien verwandelt, unbeugsamer Wille jeder Zug darin.

»Die Gleichberechtigung, meine Herren! Hier und in der Welt, ist mein Ziel. Erst hier auf afrikanischem Boden . . .

Und wenn die da unten . . . ich glaube es nicht . . . kann es nicht glauben . . . Gott müßte sie mit Blindheit geschlagen haben . . . wenn die sich weigern . . . auch jetzt noch weigern, dann . . . werde ich sie zwingen.« Die Stimme des Kaisers sank bis zum Flüsterton. ». . . Mit dem Schwert . . . mit dem Schwert!

Die Truppenbewegungen gehen weiter. Auch die übrigen Maßregeln«, er wandte sich zu dem Marineminister, »nehmen ihren Fortgang. Von Ihnen . . .« zum Ministerpräsidenten gewandt, ». . . erwarte ich morgen den Entwurf eines Programms für eine Hilfsaktion für die europäischen Staaten.«

Er wandte sich zu dem diensttuenden Flügeladjutanten.

»Mr. Rouse«, flüsterte dieser leise.

Die Miene des Kaisers verfinsterte sich. Ein abweisender Zug trat auf sein Gesicht. Mit einer kurzen Begrüßung verließ er den Raum.

»Nehmen Sie Platz, Mr. Rouse. Die Nachricht von Ihrer Ankunft heute morgen traf mich überraschend.«

Rouse sah den Kaiser fragend an.

»Überraschend! Ja! Die Sprengung am Kanal, die Gerüchte in Ihrem Land, in der Welt, zwangen die Sie nicht zum Bleiben?«

Guy Rouse schwieg. Vergeblich suchten die scharfen Augen des Kaisers nach einer Bewegung in seinem Gesicht.

»Es war also ein Zufall, Mr. Rouse, der die Minen auf einmal zur Explosion brachte, das Unglück geschehen ließ?«

»Es war ein Zufall, Majestät!«

»Ein schlimmer Zufall, Mr. Rouse.«

»Ein Zufall, Majestät. Die Gerichtsverhandlung wird den Beweis erbringen.«

Gleichmäßig, ohne Betonung kamen die Worte aus seinem Munde.

»Sie sagen es, Mr. Rouse. Ich glaube es Ihnen . . . und doch! Warum verließen Sie Ihr Land in diesen Stunden? Fürchten Sie nicht, daß man Ihre Reise als Flucht, als den Ausdruck eines nicht reinen Gewissens auslegen wird?«

»Fürchten, Majestät? Guy Rouse fürchtet nichts. Das Wort Furcht kennt Rouse nicht . . . Nicht gegenüber einem persönlichen Gegner . . . nicht gegenüber der öffentlichen Meinung. Flucht! Das Wort, das Eurer Majestät der Welt in den Mund legte, es ist auch der Gedanke Eurer Majestät. Doch nochmals, Guy Rouse flieht nicht. Der Starke flieht nicht.«

Eine leichte Röte war auf dieses bleiche Steingesicht getreten.

»Der Starke verschmäht es nur, einem Haufen Schwacher gegenüberzustehen und Rechenschaft abzulegen. Ich bitte Euer Majestät, einen Vergleich nicht falsch auszulegen. Wem außer dem Schicksal würden Euer Majestät geneigt sein, Rechnung zu legen?«

Der lange, hagere Oberkörper richtete sich empor, schien zu wachsen. »Ich, Euer Majestät, kenne keinen Menschen in der Welt, dem Guy Rouse Rechnung abzulegen hätte außer sich selbst. Ich will sprechen auf die Gefahr hin, mir Euer Majestät Ungnade zuzuziehen. Der einfache Rock des Privatmannes Guy Rouse deckt ebenso einen Mann wie andere der Purpur. Was der eine tut, was der andere tut, er selbst ist sein Richter. Richter? . . . Glauben Euer Majestät, die Richter dort drüben – die Richter des Gerichtshofes oder, noch weiter gegangen, die öffentliche Meinung –, sie wären kompetent, über Guy Rouse zu urteilen? Nein, Majestät! Das Urteil läge doch in meiner Hand. Gold! Mein Gold . . . und sie wären für mich.«

Es war ein Zug unsäglicher Verachtung, mit dem die letzten Worte aus Rouses Munde kamen. Der Kaiser schaute ihn wie gebannt an. Was er im stillen gedacht, gefühlt über diesen Menschen, es hatte keinen Bestand.

Ja! Das war ein Mann! Anders . . . größer als alle, die er je gesehen.

Die Worte aus seinem Munde, wie hatten sie ihn gezwungen, wie er sich auch sträubte. Er riß seine ganze Willenskraft zusammen, fest zu bleiben . . . fest gegenüber dem starken Gegner . . . dem Stärkeren?

Nein! Nein! Mit äußerster Gewalt zwang der Kaiser sich. Unterlag er jetzt diesem überstarken Willen? Der leichte Glanz in dessen Augen . . . in diesen stahlharten grauen Augen. Ein kurzer Blitz nur war's gewesen. Der Kaiser hatte ihn gesehen . . . gesehen . . . Triumph? Fühlte sein Gegenüber sich als Sieger?

Des Kaisers Hand strich über die hohe kahle Stirn. Er war wieder ganz Herr seiner selbst, hatte seine volle Kraft wiedergewonnen.

Nein! Nicht stärker war jener! Ein starker Gegner blieb er.

Der Kaiser erhob sich. Ein leises Lächeln zwang seine Lippen.

»Mr. Rouse, ich verstehe Sie. Verstehe, was die Welt Flucht nennen mag. Kein irdischer Richter ist für Sie geboren. Gott . . . das Schicksal nannten Sie es, wird richten . . .«

Er trat einen Schritt auf Guy Rouse zu.

»Ich begrüße Sie als meinen Gast in meinem Lande, Mister Rouse.«

Die grüßende Hand blieb gesenkt.

»Die Geschäfte, über die wir vor Wochen sprachen, werden sie durch den Gang der Ereignisse beeinträchtigt?«

»Kein Grund, Euer Majestät. Sie sind bereits eingeleitet. Der Gang der Gerichtsverhandlung, die sich gegen meinen Chefingenieur richtet, wird auch ohne die mit Sicherheit zu erwartende glänzende Rechtfertigung desselben daran nichts ändern. Ich erwarte diese Rechtfertigung bestimmt. Euer Majestät werden denken, meine Hoffnung gründe sich auf das Gold . . . mein Gold in den Händen der Richter . . . Nein, Majestät! Ich habe es verschmäht, diesen Weg zu gehen. Das Gegenteil tat ich. In einem Schreiben an den Kongreß bat ich, bei der Zusammensetzung des Gerichtshofes Männer zu nehmen, die meine notorischen Gegner sind, wirtschaftlich und politisch. Man hat meiner Bitte entsprochen. – Doch zu unseren Geschäften. Es wäre etwas anderes, wenn Euer Majestät in Anbetracht der veränderten politischen Konstellation – die Afrikanische Union im Bunde mit Europa – Ihre Dispositionen geändert hätten?«

Der Kaiser schwieg.

Guy Rouse fuhr fort:

»Daß die Verhältnisse der Parteien sich durch die letzten Ereignisse von Grund auf geändert haben, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Wie könnte die Südafrikanische Union es jetzt noch wagen, die berechtigten Wünsche Euer Majestät zu verweigern? Gewiß, es wird sich ein Strom von Europäern über Südafrika ergießen. Darunter die Mehrzahl waffengeübte Männer. Aber . . . die Männer allein. – Die Zeiten, wo die Macht der Fäuste entschied, sind vorbei. Die europäischen Lieferungen, Kriegslieferungen werden und müssen ausbleiben. Ein anderer, der an Europas Stelle träte? Wer sollte es sein? Amerika? Die Vereinigten Staaten . . .«

Ein kurzer Ruck, der durch den Körper des Kaisers ging.

»Die Vereinigten Staaten?« Die Augen des Kaisers bohrten sich in das kühle unbewegte Gesicht des Sprechenden.

»Die USA, Majestät. Ich muß hier meine Ansicht über die sogenannte öffentliche Meinung etwas revidieren. Es gibt Momente, Majestät, wo die öffentliche Meinung unter dem Druck der Sentiments den Einflüssen des Goldes nicht zugänglich ist. Momente! Aber wie oft in der Weltgeschichte waren es Momente, die den Ausschlag gaben.«

Der Kaiser schaute ihn an, lange.

Ja, das war ein Mann, ein Mann von außergewöhnlicher Größe. War die verkörperte Macht des Goldes . . . ein Herrscher, ungekrönt, doch größer als so mancher . . .

»Ihr Gedankengang, Mr. Rouse – immer wieder bewundere ich Ihren Weitblick, Ihren Scharfsinn –, er ist mir klar. Meine Dispositionen haben sich nicht geändert. Alles bleibt, wie wir es vor Wochen besprochen haben. Europa . . . sein Schicksal . . . tritt es ein . . .«

Einen Augenblick schien es, als zweifle der Kaiser, als könne er nicht glauben.

»Meine Regierung wird Europa beistehen. Die Afrikanische Union wird nachgeben . . . Gott helfe mir, müßte ich . . .«

Augustus Salvator war aus dem hellen Licht der Lampe in das Dunkel zurückgetreten. Die Unterredung, die vorangegangene Kabinettssitzung . . . Er fühlte, daß seine Kräfte nachlassen würden, bliebe er noch länger unter dem zwingenden Bann dieses Mannes.

»Sie werden mir jederzeit willkommen sein, Mr. Rouse.«

»Ich danke Euer Majestät.«

Er beugte sich, als wenn er eine Hand küßte, die doch nicht da war, und ging hinaus.

*

Der Stettiner Hafen zeigte ein ungewohntes Bild. Seit Tagen schon. Schiffe aller Größen, von Norden kommend, legten an den Kais an, Menschenmassen an Land speiend. Grubenarbeiter aus Spitzbergen, die nach den russischen Kohlenzechen im Donezbecken und im Uralgebirge dirigiert wurden.

In der Mehrzahl verheiratete Leute, die mit Weib und Kind neue Heimat und neue Arbeitsstätten zu suchen gezwungen waren. Die Unterkunftsmöglichkeiten, für einen solchen Andrang nicht eingerichtet, waren überfüllt. Viele lebten in Schuppen, viele im Freien. Auf den Sachen sitzend, die ihre geringen Habseligkeiten bargen.

Eine neue Völkerwanderung! Doch die Gesichter der Auswanderer so ganz anders! Kein Zeichen froher Hoffnung. Mißmutig, düster standen sie in dem nässenden Nebel, der bleigrau Hafen und Stadt deckte. Selbst die Kinder waren gedrückt, unbewußt fühlten sie den Druck des Unheils, das alles vor sich hertrieb.

Bei einer Gruppe, die fester als andere zusammenhielt, saß Klaus Tredrup. Es waren die Leute seiner Belegschaft. In den wenigen Wochen, die er mit ihnen zusammen gearbeitet hatte, hatte sein offenes, freies Wesen sie eng an sich zu fesseln gewußt. Als die Minen stillgelegt wurden, der Abtransport feststand, hatte er sich eines befreundeten russischen Ingenieurs im Ural erinnert, hatte sich telegrafisch an ihn gewandt, die Zukunft seiner Leute so gut wie möglich zu sichern. Der war gern bereit gewesen, und so fuhren sie jetzt zum Ural. Plaudernd, scherzend mit den Leuten, hatte er es verstanden, ihnen Furcht und Bedenken vor der weiten Reise nach einem unbekannten Lande zu zerstreuen. Er selbst hatte zunächst die ganze Fahrt mitmachen wollen, erwogen, eventuell dort zu bleiben. Da, im letzten Augenblick, war Walter Uhlenkort nach Spitzbergen gekommen, hätte ihn zu sich gebeten zu einer Unterredung im alten Leuchtturm.

Tredrup war gegangen. Gegangen . . . nicht mit dem gewohnten freien Schritt. Einmal nur war er da gewesen. Einmal hatte er seinen Bewohner gesehen.

Die nächtliche Fahrt!

Tagelang . . . nächtelang . . . unaufhörlich tobten die Erinnerungen daran in seinem Hirn. Immer wieder hatte er versucht, all das Mystische, Geheimnisvolle auszuschalten. Streng logisch, mit kühlem, klarem Kopf alles zu rekonstruieren, was da geschehen.

Da war er bei dem Schiffer, dessen Weib krank lag. Bewog den, ihn als Stellvertreter zu melden. Da stieg er in das Motorboot. Da fuhren sie im Schein der Mitternachtssonne nach Süden.

Fuhren sie? Flogen sie?

Da begann schon das Rätsel. Was war das für eine Schnelligkeit, die das Boot – es war ein Boot wie tausend andere – durch die See trieb? Er hatte keine Karten, keine Instrumente, gehorchte nur den Weisungen des Steuermanns. Doch sein Gefühl sagte ihm . . . lange genug war er in seiner Jugend auf See gefahren . . . diese Schnelligkeit überstieg alles, was die kühnste Fantasie sich vorstellen konnte.

Die skandinavische Küste – im Flug war sie erreicht. Weiter, weiter nach Süden. Fjord an Fjord, Fjord nach Fjord. Wie im Fluge schossen sie daran vorbei. Bis die mitternächtliche Stunde schlug, bis der vom Leuchtturm . . .

Dann brach es ab . . . brach ab . . . ein paar Bruchstücke.

Was hatte er getan, der Geheimnisvolle? Immer wieder die Frage. Was hatte er getan?

In stundenlangem Brüten hatte er sein Gehirn zermartert, das zu ergründen. Es gelang nicht, gelang auch nicht, den Weg zu finden, zu dem Traum . . . Traum.

War das ein Traum? Vineta? Die Versunkene Stadt im Ostmoor. Die Sage, die sich daran knüpfte . . . gewiß! Er kannte sie von Jugend auf.

Aber das andere, was er wie im Traum weiter gesehen? Das Bild, wie sie dalag an der Nordspitze der Insel. Oben die Burg, zu ihren Füßen die Stadt.

Er war darin gewesen, war über Straßen und Plätze gegangen. Hatte das reiche Leben gesehen, das sich dort abspielte.

Ein Traum? Wie konnte er träumen, was er nie gewußt, was er nie gelesen, was seine Sinne nie aufgenommen? Er hatte sich nach Hamburg gewandt, hatte sich verschafft, was die Forschungen über Vineta ergeben. Da stand es schwarz auf weiß . . . was er geträumt. Die Bilder, die er gesehen, da waren sie.

Er hatte gegrübelt, ob ihm nicht doch jemals das schon vorher zu Gesicht, gekommen, ob es nicht doch nur ein Widerspiel im Schlaf gewesen. Nein! Sein Seelenheil hätte er verwetten mögen, daß er nie gelesen, was ihm der Traum zeigte.

Und nun das, was hinausging über die Grenzen . . . über die Grenzen des klaren Verstandes. Nach langem Schlaf war er in seinem Zimmer erwacht . . . kämpfend mit den Eindrücken des Erlebten.

Die Zeitung hatte er ergriffen. Das armselige Blatt, wo es stand: Die Stätte, wo einst Vineta lag, ist wieder erstanden.

Seine Augen hatten an der kleinen Notiz gehangen, als gelte es Leben und Sterben für ihn. Immer wieder hatten seine Lippen die Worte wiederholt: Die Stätte, wo einst Vineta lag, ist wieder erstanden.

Zuviel. Das war zuviel! Mechanisch hatte er das Blatt in die Tasche gesteckt, war zur Grube gegangen, war eingefahren. Wie Feuer hatte ihm das in der Tasche gebrannt. Immer wieder beim trüben Schein der Grubenlampen hatte er es herausgezogen, gelesen: Die Stätte, wo einst Vineta stand, ist wieder erstanden.

Der Morgen . . . unvergeßlich war die Erinnerung daran . . . die Erinnerung an jene Fahrt und alles, was dann folgte.

Nur mit größter Willensanstrengung hatte er sich vom Alpdruck der Erinnerung an diese Fahrt befreit. Den alten Leuchtturm hatte er seitdem gemieden. Dessen Anblick allein schon hätte genügt, heraufzubeschwören, was er mit aller Kraft zu vergessen suchte.

Jetzt stand er am Fuße des Turmes. Vor ihm die Stufen, die zu der Pforte führten. Er strich sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er alle die Bilder . . . Erinnerungen, die der Weg hierher in ihm wachgerufen, verscheuchen.

In dem Wohnraum hatte ihn Uhlenkort empfangen. Allein . . . der andere war nicht da . . . war oben im Laboratorium in der Laterne. Uhlenkort hatte zunächst ein paar gleichgültige Worte über den Abbau des Minenbetriebes, den Abtransport der Belegschaft gesprochen. War dann auf die Frage übergegangen: Wohin? Die Frage, die einzige Frage! Was gab es noch für andere?

Er, Tredrup, hatte ihm von seinem Plan gesprochen, eventuell in den Uralgruben Beschäftigung zu suchen. Uhlenkort hatte genickt, war dann auf andere Ziele übergegangen, auf Südafrika.

Da hatte er verweilt. Hatte gesprochen. Wie dies Land, in erster Linie bestimmt, Massen der Auswanderer aufzunehmen, am Vorabend eines Krieges stände.

Wer würde eine neue Heimat suchen in einem Lande, das von einem schweren Krieg bedroht sei? . . . Der Kaiser Augustus Salvator . . . Timbuktu . . . der Obermoser . . . das . . .

Die paar Worte, die Tredrup damals achtlos gesprochen . . . Uhlenkort hatte sie ihm jetzt wiederholt. Ihn wie beiläufig gefragt, wie er das gemeint, wie er sich das gedacht. Tredrup hatte ihm die Erklärung gegeben, noch immer ohne Ahnung ihrer vollen Bedeutung. Uhlenkort hatte lange Zeit in tiefem Nachdenken gesessen, hatte ihn angeblickt, als wolle er in seinem Innersten lesen. Hatte dann gesagt: »Sind Sie orientiert über die Schwierigkeiten, die gegenwärtig zwischen der Regierung der Südafrikanischen Union und der des Kaisers Augustus bestehen?«

»Gleichberechtigung der Rassen!« Achselzuckend hatte es Tredrup erwidert. »Der eine will's, der andere will's nicht. Doktorfrage! Was weiß ich? Ich kenne sie alle, die Rassen auf der Welt. Gleichberechtigung? Die Frage hat mir nie Anlaß zum Nachdenken gegeben.«

Und dann hatte Uhlenkort zu ihm gesprochen. Lange, eindringlich, bis es auch ihm klargeworden. Die Bedeutung der Frage: Gleichberechtigung der Rassen . . . Gleichbedeutend mit dem Abstieg der weißen Rasse. Erste Stufe eines Abstiegs, der weiter und weiter zum Unterliegen führen mußte.

Tredrup hatte gesessen, alles um sich vergessend. Bis das Wort Tschadseeschlacht ihn weckte. Noch einmal hatte Uhlenkort die Worte wiederholt, die Tredrup beim Obermoser gesprochen. Dann hatte er gewußt, um was es ging.

Erste instinktmäßige Regung: Weigern! Diese Aufgabe . . . Riesengroß hatte sie vor ihm gestanden. Schon war sein Mund geöffnet zu dem Wort: Unmöglich.

»Sie wären der einzige in der Welt, der es könnte.«

Wie ein Hieb hatten ihn diese Worte Uhlenkorts getroffen.

Er, der einzige in der Welt . . . er, Tredrup. Das Wort haftete in seinem Hirn, dem Ansturm kühler Überlegung spottend. Aufgesprungen war er, hatte dem anderen die Hand gereicht.

»Ich tu's!«

Uhlenkort hatte noch weiter gesprochen. Tredrup hatte nichts davon gehört. Seine Gedanken waren bei der Tat. Noch am selben Tage war Uhlenkort zurück nach Hamburg geflogen, hatte ihn mitnehmen wollen. Doch er hatte es abgelehnt. Seine Belegschaft wenigstens ein Stück des Weges zu geleiten, lag ihm am Herzen.

Und so stand er jetzt am Stettiner Kai. Abschiednehmend von ihnen, die sich um ihn drängten, immer wieder seine Hände ergriffen und schüttelten, ihm das Versprechen abzwangen, sie aufzusuchen da drüben im alten Land in Asien.

Das Postflugzeug, das von Hafen zu Hafen die Küste entlangstrich . . . Stralsund . . .

Tredrups Hand glitt von dem Kabinenfenster ab, legte sich über die Augen. Suchend glitt sein Blick nach Nordosten. Die alten Bilder waren wieder da.

Vineta! Ein Zauberwort! Es zwang ihn. Er rief den Steward. »Mein Gepäck weiter nach Hamburg! Ich steige aus . . . folge mit einer der nächsten Maschinen.«

Ein flinkes Hochseeboot fuhr eben hinüber. Er saß auf dem Vorderdeck. Das Glas ruhte in seiner Hand.

Was er im Traum gesehen, was jetzt sein leibliches Auge sah, verschmolz zu einem Bild. Da war Rügen . . . Da war seine Südspitze . . . jetzt . . . da war die Rudenbucht, die Südspitze von damals. An ihr vorbei. Der Oderarm. An seinem Ostufer wieder wie damals . . . Vineta. Seine Augen starrten darauf. Was er da sah . . . im hellen Sonnenschein.

Das Bild, es kam . . . es ging. Die Stadt mit der ragenden Burg . . . das graue, kahle, schlickbedeckte Land . . . Visionen, wechselnd wie im Kaleidoskop. Bald das . . . bald das.

Was war Wirklichkeit? Was war es? Die Frage!

Aber dann stand er an Land. Sie hatten die Anker geworfen. Sah den Boden, den seine Füße traten. Er beugte sich hinunter, daß seine Hände den feuchten kühlen Boden berührten. Sand . . . Schlick! Wie draußen auf den Watten der Nordsee zur Zeit der Ebbe. Wie da oben auf dem neugeborenen Black Island.

Black Island . . . Vineta . . . Ein Rätsel wie das andere. Eine Lösung wie die andere. Was war's? Die Lösung. Beide . . . aus dem Meer waren sie entstanden . . . gewachsen wie das Korn auf der Flur, das der Sämann in die Erde gesenkt.

Der Sämann! War's nicht der Geheimnisvolle . . . in seinem Boot? Black Island . . . Vineta . . .

Vergeblich kämpfte Tredrup mit den wirr sich überstürzenden Gedanken. Die alte Klippe! Immer wieder scheiterte er daran. Wo blieb der Zusammenhang, für eines Menschen Geist begreiflich? Er taumelte vorwärts, die Füße haftend in dem zähen Sand.

Dem alten Land zu! Usedom! Er stolperte, stürzte, richtete sich auf. Tiefe Gruben durchzogen den Boden. Da lagen Spaten, Harken. Frische Menschenarbeit.

Weiter! Eine leichte Wellblechhütte vor ihm. Er kam heran, trat ein. Zwei Männer saßen darin. Bei seinem Eintritt drehten sie sich um. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

Einen Augenblick stand er, keuchend, tiefatmend, bis er die Antwort fand.

»Ich kam von Stralsund mit dem Schiff. Ich suchte Vineta und . . .«

». . . fanden es nicht!« Der Ältere fiel ihm lachend in die Rede. »Sie glauben wohl, hier im alten Vineta wie in den Ruinen Pompejis wandern zu können. Durch die Mauern der alten Jomsburg steigen zu können? Nein, mein Lieber.« Er lachte. »Die werden Sie nicht sehen . . . nie sehen. Nie wird ein Mensch – mögen auch die Ausgrabungen noch so weit vorschreiten –, nie wird ein Mensch das Bild vor Augen haben, wie sie aussah, die versunkene Königin des Meeres: Vineta! Wie schön ihr Gesicht war, wie köstlich ihre Kleidung!«

Tredrup stand da, starrte den Mann an. Es schrie in ihm zu sagen: Ich weiß, wie es aussah . . . Ich kann es euch zeigen und malen, das Bild der Königin Vineta . . . Ich sah sie . . . war ihr Gast . . . sah sie sterben . . .

Sein Blick fiel auf einen Haufen Geräte . . . Rüstzeug, das man aus dem Schlamm geborgen, angerostet.

Es schrie in ihm zu sagen: Ich sah den Helm . . . das Schwert in der Hand des Wikingers, der auf stolzem Roß von der Jomsburg niederritt zur Stadt. Ich sah die Zinnkelche in den Händen der Trinker in den Herbergen. Hörte den Klang der Glocke vom Turm Sankt Maria klingen.

Der andere schob einen Stuhl an ihn heran.

»Sind Sie krank, Mann? Was haben Sie? Setzen Sie sich. Was erregt Sie so?«

Er setzte ein Glas Wein vor Tredrup hin. Der stürzte es hinunter.

Noch eins! Noch eins . . .

Die Bilder schwanden. Die graue Wirklichkeit stand vor seinen Augen. Er erhob sich, folgte den beiden, die ihn hinausführten, ihm zeigten, was die See und die Erde wiedergegeben von der versunkenen Stadt.

Und dann stand er. Die Sonne war verschwunden . . . Ein dünner kühler Regen rieselte vom Himmel. Tredrup nahm den Hut vom Kopf. Ein leichtes Wohlbehagen durchströmte ihn. Hinüber über Schlick und Land ging sein Blick zum Boot.

Zurück, Schemen! Nacht! Rätsel!

Weg! Nach Hamburg! Nach Süden! Der Sonne zu, dem Licht zu . . . der Tat zu!

*

Ein kleiner Raum. Die notwendigsten Möbelstücke darin. Kaum erhellt von den wenigen Strahlen, die das Sonnenlicht durch das kleine Fenster warf. Kein Gitter vor den Fenstern zwar . . . Das Zimmer des Untersuchungsgefangenen James Smith.

Die lange, sehnige Gestalt auf dem Bett ausgestreckt, die mächtigen Schultern die Breite des Bettes bedeckend. Die Rechte schlaff zum Boden hängend. Ein Bündel Zeitungen am Boden verstreut, als wären sie eben der Hand entglitten.

Der Isthmus . . . Der Golfstrom . . . Europa . . . Von überall her grinsten die Aufschriften zu ihm empor.

Seine Linke preßte sich auf die Augen, drückte sie fest zu, als wolle sie sie von diesen Worten, diesen folternden, marternden Worten befreien. Waren nicht allein schon die Gedanken genug? Die Gedanken, die nicht loskonnten von dem Isthmus . . . dem Golfstrom . . . dem sterbenden Europa?

Die große Gestalt bog sich, reckte sich, sprang auf. Die Füße traten, und stampften auf die Schlagzeilen der Blätter.

Von einer Wand zur anderen. Fünf Schritt hin und her. Immer schneller . . . rasend, bis er tief atmend stehenblieb. Seine Rechte klammerte sich um den Bettpfosten.

Wo gab es einen irdischen Richter, der schwerere Strafen über ihn hätte verhängen können, Schwereres als das, was er jetzt schon litt, gelitten hatte seit jenem Tage? Er preßte die freie Hand vor die Stirn.

Wie war das möglich gewesen? Er, James Smith, unterlegen dem Glanz des Goldes? Er, James Smith, dem das Gold nie mehr bedeutet hatte, als die Möglichkeit zu leben? Er, dem nur das große Ziel, nur die Arbeit Befriedigung gegeben hatte?

Seine Gedanken flogen zurück. Zu seiner Jugend, zu den Anfängen seiner Tätigkeit als Ingenieur. Gold! Nie hatte es ihn gelockt!

Etwas leisten! Etwas Großes leisten. Das war immer das Ziel gewesen. Der Panamakanal, der Isthmus! Er, der Chefingenieur! Der Gipfel aller seiner Wünsche. Was gab's da noch mehr? Das schmale silberne Band von Ozean zu Ozean. Auf ihm sich kreuzend, sich überholend die Schiffe aller Nationen der Erde.

Sein Werk, ein Werk. Groß, größer als das der Pyramiden des Altertums, unvergänglich für alle Zeiten. Unvergänglich sein Name damit verknüpft.

Die Cheopspyramide! Durch vier Jahrtausende trug sie den Namen ihres Schöpfers. Smith! . . . ein simpler Name. Und doch! Durch Tausende von Jahren würde die Welt ihn nennen . . . Smith-Kanal . . . vielleicht hätten spätere Generationen das Werk so genannt.

Und jetzt?

Seine Rechte ließ den Bettpfosten los. Er sank auf das Lager zurück. Alltäglich dasselbe. Dieselben Fragen und Antworten . . . täglich dasselbe. Ohne Schlaf, Tag und Nacht . . . und jetzt?

Das Werk war getan. Und er sein Schöpfer. Schöpfer! Ein gräßliches Lachen gellte durch den Raum . . . Nein! Er war nicht der Schöpfer! Er war's nicht! Jener war's . . . dieser Teufel . . . Rouse. Er war es, der hierhergehörte an seiner Statt. Der hätte alle diese Qualen und Martern der vergangenen Tage erdulden müssen.

Er packte eins der Blätter, hob es auf. Da stand es: Mister Rouse ist aus gesundheitlichen Rücksichten nach Afrika gereist.

Seine Hände zerrissen den Bogen, warfen die Fetzen zu Boden. Er stampfte mit den Füßen darauf.

Der Teufel! Zur Hölle! Das wäre sein Weg gewesen. Seine höllischen Kräfte allein waren es, die ihn zur Tat gebracht, gezwungen hatten!

Wie stand's in der Schrift? Und der Versucher führte ihn auf einen Berg und zeigte ihm alle Schätze der Erde.

»Fünf Millionen Dollar waren es, die er mir zeigte. Und ich unterlag . . . Unterlag? Nein, ich unterlag nicht. Der gleißende Glanz des ungeheuren Goldbergs blendete mich einen Augenblick. Einen Augenblick . . . dann wäre der gleißende Glanz verglommen. Einen Augenblick . . . da kam sie – Juanita –, von ihm geschickt!«

Er preßte die geballten Fäuste vor die Augen. Sein Atem ging keuchend. Auch das . . . wie war das möglich gewesen, wie kam es, daß er, daß sein kühler, klarer Verstand dem Girren dieses Weibes unterlag?

Mit einem jähen Ruck warf er sich in die Höhe. Mit einem Satz war er am Fenster, riß es auf. Seine Fäuste krampften sich um das leere Kreuz. Ein Ruck, ein Sprung, und er wäre draußen. Die Wachtposten davor . . . er schlüge sie nieder oder stürbe von ihren Kugeln. Seine Sehnen spannten sich zum Sprung.

Nein! Die Hände glitten nieder. Wo blieb dann seine Rache an ihm? Rache für alles, was er erduldet. Die Gerichtssitzung, er konnte sie nicht erwarten. Da würde er sprechen . . . in der öffentlichen Sitzung. Die volle Wahrheit. Alles so, wie es gekommen. Rückhaltlos würde er da die Wahrheit sagen. War's auch sein Verderben . . . der andere mußte mit.

Der Schlüsselbund des Schließers. Er kannte den rasselnden Klang. Was wollte der jetzt?

»Eine Dame, Mr. Smith, will Sie sprechen.«

Eine Dame? Sein Atem stockte . . . Juanita?

Was er gedacht, hatten seine Lippen geschrien.

»Juanita!«

»Ja, Mr. Smith, ich bin es. Sie erwarteten mich . . . wie es mich zu Ihnen trieb.«

Der Schließer war hinausgetreten. Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Die beiden standen sich gegenüber. Sekundenlang. Dann schritt sie auf ihn zu . . . näher . . . näher, bis ihre Körper sich berührten. Ihre beiden Hände legten sich auf seine Schultern. Ihr Mund schob sich an sein Gesicht heran.

»James! Sie erwarteten mich . . . erwarteten mich heute . . . gestern . . . vorgestern . . . an all den Tagen, die man Sie hier gefangenhielt. Ich weiß es, ich wußte es . . . Ich wollte kommen. Täglich wollte ich kommen. Es ging nicht. Aber jetzt bin ich da. Jetzt bin ich bei Ihnen, James.«

Smith stand starr. Langsam hoben sich seine Arme zu ihrem Gesicht. Die massigen Hände umklammerten den schmalen Kopf, seine Augen bohrten sich in ihre, drohend, fragend . . .

»Juanita!«

Das Wort, es rang sich aus tiefster Brust herauf. Sie schloß sekundenlang die Augen. Die versteckte Drohung, die im Ton des Wortes lag, spürte sie, ihr Herz bebte . . . diese Hände . . . ein Druck, und er würde sie zerquetschen.

»James!« flehte sie in Todesangst.

Seine Hände ließen los, glitten an ihr nieder, faßten ihre Hände.

»Juanita!« Wie ein Schrei aus tiefster Not brach es aus seiner Brust. Seine hohe Gestalt sank zusammen. Seine Hände umklammerten sie.

»Juanita! Du warst es, die mich zwang. Du zwangst mich. Jeden Tag, jede Stunde, die seitdem vergangen, schrie es mir zu. Deine Hand war's, die mich leitete, die meine Hand führte . . . Ich versinke . . . ich kann nicht mehr . . . rette mich . . . führe mich hinaus, wie du mich hineintriebst!«

Juanita stand da, ihre Blicke dem kleinen Fenster, dem Tageslicht zugewandt. Ihre Hände krampften sich in ihre Brust.

Da war er wieder in ihrer Gewalt! Doch kein Gefühl des Triumphes in ihr! Helfen? Sie? Dem Versinkenden? Sie, die selbst versank in Not und Qual? Nein! Ihre Hände schlug sie vors Gesicht . . . Ihre Aufgabe . . . diesen Mann stark machen! Daß er fest blieb vor dem Gerichtshof!

Ein Schrei brach aus ihrem Munde. War's Lachen . . . war's Weinen? Und dann kam es wieder . . . der Feind . . . der böse Husten.

Die schlanke, schmale Gestalt bebte unter seinen Erschütterungen. Bebte, daß James seine Hände sinken ließ, sich aufrichtete und sie anstarrte. Was war das? Was war mit ihr? Die zarte Gestalt zitterte und krümmte sich in schwerstem Schmerz.

Die eine Hand an das schlagende Herz gepreßt, die andere vor die zuckenden Lippen . . . die fiebrig glänzenden Augen halb geschlossen . . .

Dieser Anblick war zuviel für ihn.

Vergessen war alles, was ihn die Tage und Nächte gemartert hatte. Vergessen Ruf und Ehre . . . Vergessen sein Feind.

Juanita! Sie allein zählte.

Nichts anderes mehr!

Mit einem Sprung war er bei ihr. Er trug sie zum Lager, bettete sie, streichelte ihr Gesicht. Seine Lippen stammelten wirre Worte . . .

»Die Besuchsstunde ist vorüber.«

Der Schließer stand vor ihnen. Von Smiths Arm geleitet, schritt Juanita der Tür zu. Die Tür fiel ins Schloß.

*

Die ›Abraham Lincoln‹, achtzigtausend Tonnen, Turbinenschiff auf der Route Valparaiso-New York, hatte die Galapagosinseln hinter sich und setzte Kurs auf den Kanal von Panama.

»Kap Azuero in Sicht!« Die Lautsprecher hatten es gerufen. Wie ein Lauffeuer ging es durch alle Räume des mächtigen Schiffes! Kap Azuero! Das Wort weckte die Tausende von Passagieren, die der Bauch des Riesenschiffes barg.

Azuero! Bis vor kurzem noch Halbinsel am Isthmus, jetzt das Südkap von Nordamerika. Kontinent Amerika; der frühere Begriff der großen von Pol zu Pol zusammenhängenden Landmasse war ja hinfällig geworden. Gewiß, schon seit Jahrzehnten hatte eine kleine Wasserstraße zwischen den beiden Ozeanen bestanden. Ein kleiner, schmaler Wasserpfad, auf dem die Schiffe vermittels mächtiger Schleusen über das Land hinweggehoben wurden. Ein Wasserpfad, der schließlich doch nur einen mikroskopisch feinen Riß auf der Erdkruste bedeutete.

Aber was war jetzt da? Eine zweihundert Meilen breite Riesenkluft. Ein weiter Meeresarm. Ein Tummelplatz für die Gewässer der beiden Ozeane, die sich hier im freien Spiel der Kräfte maßen. Die Landbrücke des Isthmus an dieser Stelle verschwunden. Zwei Kontinente jetzt, der nordamerikanische, der südamerikanische. Ein Ereignis von ganz unvorstellbarer Größe hatte das vermocht.

Doch nicht aus sich selbst heraus war es geschehen. Menschenhand hatte einen für Menschengedenken ewigen Zustand in Minuten vernichtet, älteste Weltordnung über den Haufen geworfen.

Das Ungeheure des Geschehens, das Ungeheure seiner Folgen hatte seit jenem Tage unzählige Scharen von Schausüchtigen, Neugierigen dorthin gezogen. Gab auch das neuentstandene Meer allein nicht die gewünschte Sensation, so fand sie sich bei dem Besuch der noch stehenden Zeugen des zerfetzten Isthmus. Freilich ein ergreifendes Bild.

Die reiche, blühende Landschaft war Wüste, Chaos! Die kühnste Fantasie durch die Wirklichkeit übertroffen. Berge, wo Täler, Täler, wo Berge! Flüsse . . . ihr jahrtausendealter Lauf verschwunden . . . neue entstanden! Alle menschlichen Behausungen bis zur leichtesten Indianerhütte zerstört. Tausende und aber Tausende von Menschen getötet . . . verschüttet . . . verbrannt . . . ertrunken. Das sterbende Europa war das letzte, fürchterlichste Glied dieser Kette von Unheil.

Vom Tag der Abfahrt an war dies das Tagesgespräch der Passagiere gewesen . . . war es geblieben, die Spannung steigernd bis zu dem Augenblick, wo man vom Schiff aus mit eigenen Augen ein Bild – war es auch nur ein kleiner Ausschnitt des Riesengeschehens – sehen mußte.

Sie kamen auf Deck gestürzt.

Azuero! . . . Azuero!

Der Kapitän auf der Brücke, zu seinem Navigationsoffizier gewandt, wies lachend auf die Menge, die sich an die Reling drängte.

»Bis Mittag können sie warten, ehe sie ihre Neugier befriedigen können. Und dann«, er lachte laut, »werden sie lange Gesichter machen. Wir werden uns dicht an der Westküste halten. Die Ostküste ist nach den letzten Segelanweisungen nicht frei von Riffen. Es wäre Zeit, daß die Regierung neue Seekarten herausbringt. Aber die Vermessungsarbeiten dafür scheinen der amerikanischen Schifffahrt aufgepackt zu werden. Lotungen, Peilungen, Temperaturen, Strommessungen – das Schiffahrtsamt verlangt alles von uns.«

Er nahm das Glas vor die Augen.

»Da hinten! Das leichte Kräuseln im Westen und Osten! Es müssen schon die Ränder des neuen Stromes sein. Lassen Sie mit den Messungen beginnen. Ich bin selbst auf das Ergebnis neugierig. Ist es doch auch für mich das erstemal, daß ich auf diesem Meere fahre.«

In einem Liegestuhl des Oberdecks lag Christie Harlessen. Sie preßte die Hände an die Stirn. Wie eine körperliche Qual empfand sie das laute Tun und Treiben der Passagiere. In der Mehrzahl waren es ja Amerikaner. Aber doch – sie wußte es aus der Schiffsliste – befand sich auch eine beträchtliche Anzahl von Europäern, auch aus den nordeuropäischen Ländern, an Bord. Wie konnten die? War es nicht genug, das Bewußtsein allein: Europa stirbt? Konnten diese ihre Neugier hier an der Quelle des Unheils nicht bezähmen? Mußte nicht jeder Schraubenschlag des Schiffes, der sie näher heranbrachte, sie niederdrücken?

Seit jenem Tag . . . jede Minute des Tages stand ihr deutlich vor Augen. Der Kampf um die Schiffe von Sonnenaufgang bis Untergang . . . der Sieg . . . Triumph . . . unendliches Hochgefühl im Herzen. Die Millionen gerettet für die Firma Harlessen und Uhlenkort.

Durch sie! Die Harlessen und doch Fremde. Fremde? Nein! Die geretteten Schiffe, sie wischten es fort, das Wort ›fremd‹.

Die kostbare Ladung der Schiffe gerettet durch sie, diese Tat öffnete das Tor, das zur Heimat führte.

Hamburg . . . Heimat . . . wo blieb es jetzt?

Der Strom der Völkerwanderung, vom Norden Europas einsetzend, zum Süden flutend, sich zerteilend nach allen Himmelsrichtungen . . . wohin würde er das führen, womit sich ihr der Begriff Heimat verband? Wo in der Welt würden Harlessen-Uhlenkort ihren neuen Sitz gründen, aus dem neue Heimat entstand – wenn es überhaupt noch möglich war?

Politik! Nie hatte sie sich darum gekümmert. Gleichgültig war ihr das Wort geblieben. In jenen Tagen erst, in denen sich die Fäden von ihr zu Harlessen-Uhlenkort gesponnen hatten, war es ihr ins Bewußtsein getreten.

Überall in der Welt saßen die Vertreter der Firma, überall waren ihre Interessen verknüpft mit der Weltwirtschaft. Doch die Hauptadern, die Kohlengruben in Spitzbergen, die Zinngruben in Südafrika: unabwendbares Unheil stand darüber.

Walter Uhlenkort! Er, der Kopf, das Gehirn des Ganzen! Wo war er jetzt? Im Geiste fühlte sie sich an seiner Seite stehend. Übernatürliche Kräfte fühlte sie in sich, ihm zu helfen, sein Werkzeug, seine Gehilfin zu sein.

Was war jetzt noch ihre Tat? Was waren die geretteten Millionen gegenüber dem Zusammenbruch, der alles verschlingen mußte und auch sie zu verschlingen drohte?

Ein Freudenschrei, von Backbord beginnend, pflanzte sich über das Schiff hin.

»Die neue Küste! Der Kanal! Das neue Meer!«

In wirren Rufen klangen die Worte über das Schiff. Das steuerte Nordnordwest. Von Steuerbord strömten die Massen zur Backbordreling. Da! Da mußte etwas zu sehen sein! Näher fuhr man an der neuen Küste.

Christie sprang auf. Unerträglich dieses Schreien, Jubeln der Neugierigen. Sie ging hinunter in ihre Kabine, warf sich dort auf das Bett.

Nur der Gedanke: Allein sein! Weg von diesen!

Sie war allein . . . gewiß. Der Lärm vom Deck drang nicht bis zu ihr hinunter.

Und doch! Ihre Gedanken kamen nicht los von dem, was sie peinigte, marterte von jenem Tage an. Stunden verrannen. Sie hörte nicht, wußte nicht, wie sie von dem einen in den anderen Ozean in freier, breiter Fahrt hinübergekommen war. Uhlenkort . . . Hamburg . . . ihre Gedanken gingen um diese beiden Worte.

Der Kapitän starrte auf die Tabellen, die der Navigationsoffizier vor ihm ausgebreitet hatte.

»Die Tiefenmessungen? Fast durchgehend mehr als tausend Meter! Ich verstehe das Stöhnen der Erde . . . die Wunde, die ging tief . . . Wasserwärme achtundzwanzig Grad. Der Golfstrom . . . schon die Temperatur allein sagt's. Fahrtversetzung? Fünf Meilen! Das heißt, der Golfstrom auf seinem neuen Weg durch die Landenge verringerte unsere Fahrt um fünf Meilen in der Stunde. Kein Zweifel mehr! Der Golfstrom fließt restlos im neuen Bett.

Die Folgen für Europa? Fehlt er, fehlt auch die Golfdrift . . . fehlt die Kraft, die das Wasser des Atlantiks in warmem Strom nach Norden riß, dort oben Leben und Lebensmöglichkeit spendete . . .

Ah! Der Gong schlägt zum Abendessen. Die Reling wird leer. Das mag jetzt ein schönes Geschnatter an der Tafel geben.«

So war es auch, wenn es auch nur wenig gewesen, was die neugierigen Augen gesehen hatten. Deshalb hielt sich das Thema von der Kanalkatastrophe nicht allzu lange als Tischgespräch und war nur zu bald erschöpft.

Seeräuber! Das ältere, beliebteste Thema der Schiffspassagiere dieser Zeit! Am untersten Ende der Tafel aufgeworfen, eilte es wie ein Stichwort von einem zum anderen. Allerdings war man jetzt im Atlantik in belebtester Fahrstraße. Westlich die amerikanische Küste, östlich die Antillen. Ganz aktuell war hier das Thema nicht.

Der Stille Ozean in seiner südlichen Ausdehnung mit viel schwächerem Verkehr war das eigentliche Feld für die modernen Piraten.

Als hätte man nur auf das Stichwort gewartet, schwirrten die Geschichten von den Piratenstückchen – sich übertrumpfend an Frechheit, Tollkühnheit – durch den Raum.

Schon hatte sich ein Schleier von Romantik um dieses neue, früher kaum noch der Sage nach bekannte Freibeutertum gewoben. Da waren zum Beispiel einzelne Piratenkapitäne – sie erfreuten sich der besonderen Hochachtung des Publikums –, die mehr aus politischen als aus verbrecherischen Instinkten diese Laufbahn ergriffen hatten. Motive aller Art, von den edelsten hinab bis zu den verworfensten, sollten die Triebfedern dieser modernen Seehelden sein, die schließlich – die Motive sprachen da nicht mit – doch meistens lebenslängliche Haftstrafe ereilte.

Auch die andere Seite, die Seepolizei der Mächte, bot hervorragende Figuren, die Besonderes in der Verfolgung und Bekämpfung der Freibeuter leisteten. Ihr Kampf war sehr schwer. Fanden doch die Seeräuber bei manchen Staaten offene oder geheime Unterstützung. Auf freier See bei frischer Tat ihnen beizukommen, war so gut wie unmöglich. Sie in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen, dort zu bekämpfen, darin sie zu vernichten, die einzige Möglichkeit.

Schlupfwinkel für ein U-Boot? Die Wasser der Erde boten unzählige. Der große Aktionsradius der Boote – mit ihren Atomreaktoren konnten sie monatelang auf See fahren – ermöglichte es ihnen, Stützpunkte an den entlegensten Stellen des Weltmeeres zu wählen. Bis zu den Polen hin waren sie bei entlegenen Inseln, an abgelegenen Küsten versteckt. Doch besonders guten Unterschlupf bot den Piraten der Stille Ozean mit seinen unzähligen kleinen Koralleninseln, die kein Verkehr berührte.

So manche Tragödie hatte sich hier abgespielt, von der die Zeitungen und Magazine spaltenlang berichteten. Der übliche Gang! Ein Schiff fuhr. An Bord alles sorglos. Da, plötzlich ein Schuß, ein zweiter, ein dritter, und die Antennen der Funkanlage sind zerstört, bevor das überraschte Schiff um Hilfe funken kann.

Die Musik bricht jäh ab. Der Kapitän stürzt auf die Brücke. Längsseit der graue Leib eines U-Bootes. Keine Flagge . . . Ein Boot mit Bewaffneten . . . Hands up! Das alte Räuberwort . . .

Eine halbe Stunde später taucht das U-Boot mit seiner Beute an Geld und Geiseln . . . wie sich's traf.

Altes, schon längst Gehörtes. Die geschwätzigen Lippen wiederholten es hier an Bord der ›Abraham Lincoln‹ zum hundertsten Male.

Das neueste, beinah stärkste Stück! Es war in aller Munde. Der Herzog von Bloomfield befand sich auf der Fahrt von England nach New York. Auf seiner Rapid-Jacht, um an den Regatten von Atlantic City teilzunehmen. In Sicht der amerikanischen Küste. Scharfer Schuß vor den Bug, zweiter über den Steven. Die Jacht versucht zu fliehen . . . Schuß in die Schraube. Er funkt um Hilfe . . . Schuß in die Antenne.

Das feindliche Boot legt an. Das alte Rezept. Und doch! Dies ist ein Extrastück, hier im belebtesten Teil des Weltmeeres.

Von allen Seiten eilen Schiffe herbei, die den Hilferuf noch vernommen hatten, große, kleine; die Bewaffneten darunter lösen ihre Geschütze, schießen auf den Räuber. Der wehrt sich, erwidert das Feuer mit schwerem Geschütz.

Ein Seekampf! Die großen Schiffe werden getroffen, Feuer bricht aus, Boote stoßen ab . . . Der Seeräuber wehrt sich wie ein gestellter Eber, verbirgt sich hinter der gekaperten Jacht und taucht weg. Die Hilfe kommt heran, zu spät! Der Herzog ist geraubt, mitgeführt auf dem verschwundenen U-Boot.

Am nächsten Tag erhält seine Familie Nachricht: Lösegeld eine Million Dollar in bar, abzuwerfen vom Postflugzeug London-New York am 12. Februar in Schwimmboje zehn Uhr dreißig Minuten vormittags. Geschieht dies, so wird der Herzog unverletzt an Land gesetzt. Bei Verweigerung des Lösegeldes oder Verfolgung durch englische Polizei ist das Leben des Herzogs verwirkt.

Und es geschah, mußte so geschehen, wie es die Herren Piraten wollten. Das Postflugzeug warf die Boje mit dem Lösegeld zur bestimmten Zeit ab. Es war beinahe lächerlich, die Sorge in der Öffentlichkeit drehte sich weniger um das Leben des Geraubten, als darum, ob der Pirat auch die Boje mit dem Geld finden würde.

Wetten wurden abgeschlossen. Ein Kordon von U-Booten umzog den mittleren Atlantik. Die sahen, wie die Boje aufgenommen wurde, und mußten tatenlos zusehen. Denn der Geraubte war ja noch an Bord des Räubers. Jeder Schritt, den Piraten zu fangen, brachte das Leben des Herzogs in Gefahr.

Drei Tage später wurde der Herzog an der amerikanischen Küste abgesetzt, kam nach New York. Ein Heer von Interviewern lagerte vor der Tür seines Hotels.

Die Meinung des Herzogs: »Nette Leute, die Herren Piraten, vollkommene Gentlemen, habe keine Bequemlichkeit vermißt, tadellose Verpflegung und Unterkunft, modernstes Zehntausendtonnenboot. Ein höchst interessantes Erlebnis, mit einer Million nicht zu hoch bezahlt . . . Konversationsstoff bis ans Lebensende . . .«

Der Herzog nahm die Sache von der leichten Seite. Doch nicht immer war es so gegangen, daß die Betreffenden es als interessantes Abenteuer buchen konnten.

»Jamaika Nordost voraus!« Der Lautsprecher meldete es von der Brücke her durch den Speisesaal. Der Kapitän der ›Abraham Lincoln‹, der mit an der Tafel saß, nickte kurz, hob sein Glas.

»Auf einen weiteren glücklichen Verlauf der Reise, nachdem wir die Durchfahrt durch das neue Meer hinter uns haben!«

Der scharfe Knall eines Schusses! Die Hände sanken von den Gläsern. Noch ehe eine Stimme das Wort ›Schuß‹ herausbrachte, ein zweiter Knall.

»Seeräuber!« Eine Frauenstimme gellte es über die Tafel.

Mit einem Ruck gingen alle Blicke zum Kapitän. Der stand auf, das gebräunte Gesicht erblaßt.

»Seeräuber? Hier Seeräuber? Unmöglich . . . unmöglich . . .« Er murmelte ein paar undeutliche Worte zu den Gästen . . . »Keine Beunruhigung . . .« und stürmte hinauf.

Kam an Deck . . . eine Granate pfiff über seinen Kopf hinweg, riß die Antenne ab.

Keuchend stand er auf der Brücke. Schon hatte der Wachoffizier das Kommando »Stop« gegeben, schon schlugen die Maschinen rückwärts.

»Wo? Woher? Der Schuß!«

»Nordost voraus U-Boot«, schrie der Wachoffizier.

»Flagge?«

»Nicht zu erkennen . . . die Dämmerung . . .«

»Unmöglich!« Der Kapitän murmelte immer wieder das eine Wort. »Unmöglich. Es wird ein Boot der USA sein, das uns hier anhält. Weiß der Teufel, was sie wollen!«

»Ein Boot stößt ab«, rief der Wachoffizier unter seinem Glas hervor.

»Uniformen?«

»Noch nichts zu sehen . . . sie kommen näher . . . das Boot ist voll Bewaffneter!«

»Flagge?«

»Keine Flagge! Seeräuber!«

Der Wachoffizier schrie es.

Der Riesenrumpf der ›Abraham Lincoln‹ glitt kaum noch durch die Dünung, stand fast still. Die Sonne tauchte hinter dem Isthmus unter, den Tag mit sich hinabziehend.

»Fallreep herunter!« brüllte es von dem Boot.

Das Fallreep sank.

»›Abraham Lincoln‹? Kapitän Frederik White?« Eine schneidige, scharfe Stimme schrie es zur Brücke hinauf.

Der Kapitän war starr. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?« stammelte er.

»›Abraham Lincoln‹ von Valaparaiso nach New York? Kapitän Frederik White?«

Der bejahte.

»Der Kapitän ist mein Gefangener! Schiffsleute! Tresorschlüssel! Passagiere und Mannschaft unter Deck!«

Kaum war das Wort von seinen Lippen, waren die Decks wie reingefegt.

»Maschinengewehre an ihre Posten!«

In Minuten waren alle wichtigen Punkte des Schiffes besetzt.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Kapitän!«

Der Piratenführer setzte sich auf einen Deckstuhl, zog einen anderen heran, den Kapitän einladend. Der folgte der Aufforderung. Kaum daß seine zitternden Knie ihn noch aufrecht hielten.

»Unmöglich! Unmöglich!«

Immer wieder kam das von seinen Lippen. Er konnte und wollte nicht begreifen, was geschah. Verstand auch nicht, was der Mann mit ihm sprach, ihn fragte.

Der Unterführer kam melden. In der einen Hand ein Schriftstück über die Depositen, mit der anderen auf einen Sack deutend, den zwei Leute seiner Mannschaft heranschleppten. »Zwei Millionen Dollar . . . etwas darüber noch!«

»Gut! Gut! Sehr gut! Doch das andere? Wie ist's damit?«

»Schon besorgt!«

»Schon besorgt?«

»Jawohl! Im Boot!«

»Ah! Das ging schnell.«

Der Piratenoffizier erhob sich, wandte sich an den Kapitän.

»Ich bedaure sehr, Sie inkommodiert zu haben. Die Störung, Sie werden es selbst zugeben, war nur geringfügig. Freie Fahrt, Herr Kapitän!«

Mit ein paar Sprüngen war er am Fallreep und von Bord.

»Freie Fahrt voraus!« schrie er aus dem Boot.

»Freie Fahrt voraus!« echote es zögernd von der Kommandobrücke der ›Abraham Lincoln‹.

Die Schrauben liefen an. Der Riesenrumpf kam in Fahrt. Von unten her kamen sie an Deck . . . Mannschaften . . . Passagiere.

»Kurs Nord zu Nordost!« gab der Wachoffizier das Kommando.

Der Bug drehte auf den alten Kurs.

»Gerettet! Gerettet . . . Seeräuber an Bord? Was? Was ist geschehen? Wo sind sie?« Ein unbeschreibliches Gewirr von Fragen, Rufen in allen Sprachen der Welt.

Der Lärm drang bis zur Brücke, hinauf zum Kapitän. Der stand immer noch verwirrt, fuhr sich mit der Hand an den Kopf. Fast hätte er geschrien: »Unmöglich!«

Doch ein Blick . . . Hart Steuerbord . . . da! Eben noch das Periskop der Seeräuber . . . tauchend . . . verschwindend.

Da! Die blassen, verstörten Gesichter der Mannschaften, der Passagiere. Tausend Hände auf den fliehenden Feind deutend.

Die Stimme des Ersten Offiziers riß ihn aus seiner Verwirrung.

»Die Tresore sind beraubt! Die Passagierlisten . . . wären sie nicht nachzuprüfen?«

Der Kapitän nickte.

»Nachprüfen? Jawohl! Prüfen Sie nach!«

»Der Sender ist in Ordnung gebracht!« meldete ihm der Zweite Offizier.

»Funken Sie . . . funken Sie!« Der Kapitän kam ins Stocken. »Sie wissen's ja! Sie haben's ja erlebt . . . Funken Sie!«

Der Offizier gab die Nachricht . . . Antworten kamen von hier und von da. Die wichtigste: Amerikanische U-Boote auf der Fahrt von Kingston aus zur Verfolgung des Räubers angesetzt.

Meldung vom Ersten Offizier.

»Alle Mannschaften und Passagiere wohlbehalten an Bord. Passagier Christie Harlessen, kommend von Valparaiso, zur Zeit nicht auffindbar.«

Der Kapitän hörte es, las und nickte.

Gott sei Dank – kein Menschenleben in Gefahr, wie es schien. Christie Harlessen, Kontoristin aus New York, Raub nicht anzunehmen . . . völlig ausgeschlossen!

Eine Milliardärstochter, das wäre was anderes. Eine Kontoristin? Ausgeschlossen! Wer weiß, wo die sich in ihrer Angst verkrochen hat . . . im tiefsten Raum des Schiffes . . . Die wird sich schon wieder einfinden.

Mit einem erleichterten Aufatmen ging der Kapitän von der Brücke.

Die Nacht war da. Kein Abendkonzert, kein Bal paré. Die Gesellschaftsräume öde und leer. Kaum daß ein paar Gruppen, in den Gängen beisammenstehend, das Ereignis besprachen.

Am anderen Morgen waren die Promenadendecks überfüllt . . . Fragen in allen Sprachen schwirrend . . . Erregung über das Ereignis in Worten und Gesten . . . ein aufgeregter Bienenschwarm . . .

Nur wenige waren es, deren Eigentum geraubt war . . .

Die Frechheit der Räuber! Hier . . . auf offener See . . . die Piraten! Der Ruf nach der Seepolizei! Von allen Seiten wurde er hörbar.

Doch kein Menschenraub . . . die Passagierliste aufgerufen . . . alle waren dagewesen, bis auf eine Miß Harlessen aus New York, eine kleine Kontoristin . . . sie sollte fehlen . . . nun, wer weiß, wo sie sich versteckt hatte in der Angst. Die Lautsprecher hatten mehrmals vergeblich ihren Namen ausgerufen.

Die Melodien der Musikkapelle klangen vom Oberdeck. Mit jedem Ton verschwanden Angst und Sorge mehr.

Die, deren Depots geraubt waren? Die Versicherungsgesellschaften mußten es tragen. Wie lautete denn der neue Passus in den Policen? Auch gegen Seeraub . . .

Man hatte gelacht, als man zuerst die Worte las . . . und doch, wie hatte die Wirklichkeit die Lachenden eines Besseren belehrt.

Die Schiffszeitung brachte am nächsten Morgen Nachrichten aus aller Welt, Nachrichten von Bord . . . da zum Schluß: Passagier Christie Harlessen ab Hafen Valparaiso an Bord der ›Abraham Lincoln‹, vermißt seit der Stunde des Überfalls. Der Prozeß James Smith war zu Ende! Der Angeklagte freigesprochen! Eine Sensation ohnegleichen!

Tagelang war Washington überfüllt. Schon allein das Riesenheer der Reporter, die aus allen Teilen der Welt hierhergeeilt waren, brachte Tausende nach Washington. Bis in die entlegensten Winkel der Welt drangen ihre Berichte.

Sensationsprozeß?

Und doch! Die Gerichtsverhandlung . . . Wie wenig waren die meisten auf ihre Kosten gekommen! Die Sensation lag im Geschehnis, das den Grund zum Prozeß gab; in den fürchterlichen Auswirkungen hatte sie gelegen.

Die Gerichtsverhandlungen selbst?

Die einzige Sensation war der Angeklagte. Als die Hünengestalt des Chefingenieurs in den Saal trat, ging ein Ruck durch die Tribünenbesucher.

Das war der Mann, der Mann, an dessen Namen sich alles knüpfte, fortspann über Jahrhunderte, Jahrtausende.

Absichtlich? Unabsichtlich?

Eine Tat war geschehen durch ihn, die alle Ordnung der Welt über den Haufen warf. Der ganze Riesensaal . . . aller Blicke, vom Vorsitzenden des Gerichtshofes bis auf den letzten der Zuhörer, waren minutenlang wie gebannt auf den Angeklagten gerichtet.

Das war der Mann! Sein Bild? Die Presse der Welt hatte es längst gebracht. Ein Bild aus früheren Tagen, aus Tagen vor dem, an dem es geschah. Wie würde er jetzt aussehen?

Seine Gestalt, sein Gesicht, bis in die kleinsten Züge verfolgte es die Versammlung. Jeden! Zitternd in dem Versuch, darin zu lesen . . . irgend etwas.

Das Gesicht . . . nach dem, was geschehen, es konnte . . . es mußte sich verändert haben. Irgendwie . . .

Das ungeheure Unglück drüben! Wenn er auch schuldlos war, irgendwie mußte das doch die Züge geändert haben.

Wäre er gebeugt, mit allen Zeichen des seelischen Gebrochenseins, geführt von helfenden Armen, in den Saal gekommen, die wenigsten hätten sich darüber gewundert. Aber er war hereingekommen, die Riesengestalt hochaufgerichtet, den markanten Kopf zurückgeworfen, die Augen auf den Richtertisch geheftet. Hatte kurz davor haltgemacht, die Richter mit leichtem Neigen begrüßt und sich niedergesetzt. Die Anklageschrift war verlesen worden. Der Angeklagte hatte sie angehört. Kein Zug in seinem Gesicht veränderte sich. Kein Augenzucken, keine Bewegung des Körpers!

Das war auch so geblieben bis zum Schluß der Verhandlung. Seine Antworten an den Vorsitzenden, an die Sachverständigen, den Staatsanwalt . . . mit immer der gleichen, ruhigen, selbstbewußten Stimme gesprochen. Die Plädoyers! Auch der Staatsanwalt hatte Freisprechung beantragt.

Der Spruch des Vorsitzenden, der die Freisprechung verkündete! Nichts hatte das Gesicht des Angeklagten auch nur im kleinsten sich ändern lassen. Die eiserne, fast gleichgültige Ruhe war immer dieselbe geblieben. Er war aufgestanden, von der Anklagebank hinausgeschritten durch die Masse der Zuhörer, die ihm Beifall zuriefen.

Des Mannes Gesicht . . . wäre es aus Stein gehauen . . . nicht starrer hätte es blicken können.

Der Kraftwagen brachte ihn zum Hotel.

Er trat in sein Zimmer, schloß es ab. Das Schnappen des Schlosses . . . das Schnappen des Schlosses an seiner Kerkertür! Wie hatte ihn das bei jedem Hinausgehen des Schließers gepeinigt, ihm zugeschrien: Gefangen! Verbrecher . . . Verbrecher an der Menschheit, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gekannt hatte.

Jetzt hatte seine Hand, die Hand des Freien, die Hand des Freigesprochenen, das Schloß einschnappen lassen. Es hatte ihm dasselbe zugeschrien wie das Schloß an seiner Kerkertür.

Frei? Freigesprochen?

Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Ein gräßliches Lachen brach aus seinem Mund.

Frei? Freigesprochen?

Er warf sich auf ein Ruhebett und vergrub das Gesicht in die Kissen.

Wie anders würden jetzt die Zeitungsüberschriften lauten! Und doch, für ihn blieben es die alten, die ihn im Gefängnis täglich gepeinigt hatten.

Mit aller Kraft seiner Seele kämpfte er gegen die Qualen, das Bild Juanitas vor seine Augen zwingend, sich an sie klammernd, in deren Hände er seine Seele gegeben hatte.

Er warf sich zur Seite. Seine Brust atmete freier; das Gesicht nur zeigte noch die Spuren des Kampfes.

Juanita! Er sprang auf, durchmaß mit starken Schritten das Zimmer, blieb dann mit einem Ruck stehen.

Er! . . . Rouse!

Würde er sie ihm kampflos überlassen?

Die Riesengestalt reckte sich. Die Hände ballten sich zu Fäusten, hoben sich, als stände der andere vor ihm . . .

Er! Er soll sich hüten! Und wenn ich ihn mit diesen Fäusten . . .

*

In seinem Arbeitszimmer im Astoria-Hotel in Timbuktu saß Guy Rouse. Sein Arbeitszimmer war überall da, wo er war. Die Fäden, die, sich von ihm aus spinnend, über den Erdball gingen, sie rissen nie ab, sie folgten seiner Person, wo immer er weilte. Ein paar Sekretäre, die seine Befehle vermittelten, weiter brauchte er nichts. Keine Bücher . . . keine Unterlagen . . . in seinem Kopf standen die Zahlenreihen klar und deutlich wie in den Hauptbüchern der Zentralen. Wo er war, war seine Residenz, von der er sein Reich leitete bis in die kleinsten Kontore.

Er ging langsam im Zimmer auf und ab, diktierte seinen beiden Privatsekretären gleichzeitig Orders über Orders . . .

Das Rohr der Hauspost warf ein Bündel Briefe aus. Weiter diktierend, überlief sein Auge flüchtig die neue Post.

Ein langes, chiffriertes Telegramm. Rouse kniff die Augenlider leicht zusammen, in Gedanken sich umstellend auf die Chiffrezeichen. Er brauchte den Schlüssel nicht.

Ein leichtes Räuspern eines der Sekretäre. Er diktierte weiter. Die waren es nicht anders gewöhnt, als daß er die Post las und weiter mit ihnen sprach.

Und er sprach auch jetzt weiter, zu dem einen . . . zu dem anderen, halb abgewandt, die chiffrierte Depesche vor Augen.

Er las sie. Seine Augen, wie ganz anders konnten die kühlen grauen Augen blicken, wenn sie niemand sah . . . auch die beiden Sekretäre nicht hinter ihm. Die Augen, brennend hingen sie an jedem Wort des Telegramms.

James Smith war freigesprochen. In derselben Sekunde, in der der Vorsitzende den Freispruch verkündete, hatten die Radiowellen es ihm zugetragen.

Hier war der Bericht über die ganze Verhandlung, in kurze Schlagworte zusammengedrängt, sorgfältigste Arbeit war es . . . brachte der Bericht den Gang der Verhandlung.

Das Räuspern der Sekretäre wiederholte sich häufiger denn je . . .

Die Fragen des Vorsitzenden und der Beisitzer. Guy Rouse kannte sie, wie er seine Feinde besser kannte als seine Freunde. Klippen gefährlichster Art, diese Fragen für den Angeklagten . . .

Er sah sie da in Gedanken vor sich, die Blicke auf den Angeklagten geheftet, suchend nach irgendeinem versteckten Zug der Schuld, der Schwäche.

Und dann immer wieder die Worte von James Smith. Rouses Augen lasen nur die geschriebenen Worte. Aber seine Ohren glaubten auch den Ton zu hören, mit dem sie gesprochen.

Aber es war ihm, als wäre es nicht allein die tiefe starke Stimme des Chefingenieurs . . . der helle leichte Plauderton Juanitas klang dazwischen. Sie war die Resonanz, aus der die Töne des Mannes klangen.

Juanita . . . Der Tag, an dem er sie zuletzt gesehen, sie verlassen hatte, in Rouse Castle . . . krank . . . zum Sterben krank. Immer mehr war es ihm zu Bewußtsein gekommen.

Sollte er sie verlieren? Sie, die ihm ganz unentbehrlich war?

Der Prozeß und die Aussagen des Angeklagten hatten den stärksten Beweis dafür geliefert. Juanita! Seine Gedanken gingen zurück zu dem alten Kanal, wo er sie zum erstenmal gesehen, von wo er sie mit sich genommen hatte. Eine Blume, gepflückt wie so viele andere . . .

Schon hatte er sie zur Seite werfen wollen. Gut, daß er es nicht tat. Wie hatte er sich so irren können. Ein Spielzeug hatte er zu haben geglaubt. Nein! Sie war es nicht. Sein Werkzeug war sie, ihm unentbehrlich und immer unentbehrlicher werdend, je länger er es besaß.

Und sie wußte viel von ihm. Viel, was er ihr anvertraut, viel, was ihr scharfer Verstand erraten hatte. Und sie war jung und schön Wie viele neideten ihm ihren Besitz!

Sie entbehren? Verlieren? Unmöglich!

Sie wußte zuviel, wußte auch von dieser Christie Harlessen. Sie war so ganz sein, daß er auf jeder Seite ihres Herzens, auch der verborgensten, lesen konnte.

Der Zwischenfall im Zirkus in Kapstadt . . . aus den Berichten seiner Agenten war ihm alles klargeworden. Eifersucht? Auf Christie Harlessen?

Die! Was wollte er von ihr? Was trieb ihn zu ihr hin? Gab es nicht unzählige Schönere, die ihm widerstandslos gefolgt wären? Was war es, was ihn nicht loskommen ließ von diesem Geschöpf? Die versteckten Regungen in seiner Seele . . . immer wieder hatte er sich darüber hinwegtäuschen wollen, hatte sich lustig gemacht . . .

Was war es, das sein Herz so bewegte? Dunkel, unergründlich, unerklärlich . . .

Ein Zug zum Reinen, zum Guten?

Er schloß die Augen, stand minutenlang wie im Kampf gegen etwas Unbegreifliches, Unfaßbares, das in tiefster Brust rang. Christies Bild stand vor ihm. Er sah die reinen, klaren Züge, die ihre Seele widerspiegelten.

Sie die Seine! Entsühnen mußte sie alles, alles von ihm nehmen, was auf ihm lastete.

Jetzt war sie in seiner Gewalt! Der Gedanke daran! Er hatte gejubelt, die Tat verwünscht . . . verwünscht . . . Tor, der er war? Was hatte er von einer Gefangenen? Ewig konnte er sie nicht halten. Frei? Würde sie bei ihm bleiben?

Er schöpfte tief Atem, ging zum Fenster, lehnte sich hinaus und sog kühle Abendluft ein.

Sie würde es. Sie würde es!

Wo war das Weib, das sich ihm auf immer versagt hätte? Dieses kleine, unbedeutende Geschöpf! Die erste wäre es!

Nein! Nein, er ließ sie nicht. Sie mußte die Seine werden.

Was hatte er nicht schon getan, ganz abgesehen von dieser neuen Gewalttat: Menschenraub . . .

Tejada! Tejada!

Das Wort . . . hatte er es laut gesprochen? Mit einem Ruck drehte er sich nach dem Zimmer um. Sah die beiden Sekretäre sitzen.

»Hinaus!« brüllte seine Stimme.

Die beiden fuhren erschreckt hoch, starrten ihn wie fassungslos an.

Dieser Ton von Guy Rouse? Es war gut, daß sie sein Gesicht, dem Licht abgewandt, nicht sehen konnten. Ihr Bild von Guy Rouse wäre über den Haufen geworfen . . .

Da hatte er sich wieder in der Gewalt.

»Gehen Sie jetzt. Ich werde etwas ruhen und Sie dann rufen lassen.«

Sie waren zur Tür geschritten.

»Nein, bleiben Sie!«

Sein feines Ohr hatte ein fernes Düsengedröhn vernommen.

Juanita! Er erwartete sie stündlich. Das Dröhnen kam näher.

»Bleiben Sie! Machen Sie die Briefe fertig, soweit sie diktiert sind. Ich mache einen kleinen Spaziergang.«

Und dann stand er am Flugplatz, reichte Juanita die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen.

»Juanita!« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich freue mich, daß es dir gutgeht. Du siehst so wohl aus. Du bist wieder gesund.«

Das soeben Durchlebte . . .

Vergeblich hatte er auf dem Wege zum Flughafen seinen Kopf davon frei zu machen versucht. Jetzt wich es, wich, als er Juanitas kleine Hand in seiner fühlte. Ja! Sie war sein, sein mit allen Fasern ihres Lebens. Unverlierbarer Besitz!

Das Wort flog durch sein Hirn. Er klammerte sich daran, drückte ihre Hände fester. Führte sie zum Wagen.

Und als wolle er sich ganz frei machen von den letzten Spuren der Erinnerung, beugte er sich zu ihr und sprach liebe, linde Worte. Sprach wie zu jenen Zeiten, da er sie an sich zog.

Sie hörte es. Eine leichte Röte kam auf ihre blassen Wangen. Wer in der Welt konnte so zu ihrem Herzen sprechen wie er, wie die Stimme dieses Mannes, dieses Zauberers? Wie waren ihre Gedanken auf der Fahrt? Los! Los von ihm! Und jetzt! Vergessen all das Fürchterliche, was sie in den letzten Wochen, Tagen erlebt, vergessen auch das Allerschrecklichste, das Schwerste von allem: die Begegnung im Gefängnis.

Wie hätte sie Rouse gegenüberstehen wollen?

Abwälzen die ungeheure Schuld, die sie drückte, abwälzen auf ihn, dessen Werkzeug sie doch nur gewesen.

Ihr Herz hatte, je näher der Flughafen kam, immer stürmischer geschlagen, zum Zerspringen, als sie landete. Da hatte er ihre Hand genommen, zu ihr gesprochen, und alles war weggewischt.

Sie saßen sich in seinem Salon gegenüber. Er hatte den Bericht über die Gerichtsverhandlung in seiner Hand, las, fragte.

Und sie antwortete, plauderte wie über etwas Gleichgültiges, als ob nichts ihre Seele bedrückte . . .

»Was wird er beginnen, James Smith? Wird er bei uns, bei der Gesellschaft bleiben? Wäre es möglich?«

Sie hatte kurz die Achseln gezuckt. »Warum nicht?« sprach ihr lächelnder Mund.

*

Das Rasseln der Schichtglocke hallte über Mineapolis. Hallte in den Riesenwerkstätten, in denen Heere von Arbeitern in Tag- und Nachtschichten, immer verstärkt durch Neugeworbene aus allen Teilen des Reiches, Schwarze, Mischlinge, Weiße – alle Teile der Welt lieferten das Material – tätig waren. Rasselte auch durch den Riesenschlund des Augustus-Schachtes. Die Förderschalen von Sohle zu Sohle sausten auf und nieder, die alte nach oben, die neue Schicht nach unten bringend.

Über Tage! Anderthalb Dutzend Förderschalen spien die Untertagarbeiter stoßweise aus.

Förderschale sieben! Der neue Maschinist trat in den Schaltraum. »All right!«

»All right! Die letzte Personenfahrt oben! Gibt heute viel zu tun da drüben!« Der alte Maschinist deutete auf einen Riesenstapel Kisten. »Die Sprengstoffmagazine unten werden frisch aufgefüllt.«

»Weiß! Komme von unten!«

»Von unten?« fragte der.

»Von unten! War vor Ort! Bin schon eine Woche hier und benutzte die doppelte Feierschicht, mal runterzufahren und mir die Arbeiten anzusehen.«

»Was ist da zu sehen? Bin schon seit Monaten hier und war noch nicht unten. Was die von unten mir erzählten, genügt mir längst. Dreck, Staub, Hitze, der ekelhafte Karbidgestank . . . trotz aller Bewetterung. Danke! Sagtest du nicht, du kämst aus den südafrikanischen Minen? Mußt es doch kennen, wie's unten aussieht.«

Der andere nickte. »Dort gingen wir auf Zinn, hier auf Karbid. Es ist doch was anderes.«

»Was anderes? Zinn ist besser. War auch da unten. War da vor Ort, bis mir ein Brocken den Fuß brach. Weshalb kommst du hierher?«

Der andere machte mit den Fingern die Bewegung des Geldzählens.

»Mehr Lohn! Außerdem hab' ich genug von den verdammten Weißhäuten. Fehlt nur noch die Peitsche, dann wär's da wie früher. Schwarze Hunde. Leute wie wir beide . . . Mischlinge . . . nicht viel mehr!«

Der nickte.

»Verflucht die weiße Bande! Der zerschlagene Fuß allein war's auch bei mir nicht. Dieser Hochmut, dieser gottverfluchte, der alle Andersfarbigen als Vieh behandelt. Mein Herr Vater war auch ein Weißer . . .« Er lachte bellend. »Meine Mutter schwarz, ihm ehelich angetraut. Jefferson heiß' ich . . . schwarz auf weiß steht's in meinen Papieren. Und doch! Die Farbe tat's. Meiner Mutter Blut war wohl besser gewesen. Sie stempelte mich zum Vieh. Aber!« Er hob drohend seine Rechte. »Der Kaiser! Unser Kaiser . . . er wird sie lehren, er wird's ihnen beibringen, ob sie wollen oder nicht!«

Er beugte sich nach dem anderen hin.

»Krieg!« zischte es durch seine Lippen. »Krieg! Täglich warte ich darauf, daß es losgeht. Ha! Wäre der Fuß gesund, wie gerne ginge ich mit. Du . . . du wirst mitgehen, du bist gesund. Ha, ich beneide dich darum. Warst du Soldat?«

Der andere nickte.

»Wohl gar bei denen da unten?«

Der andere nickte wieder.

»Um so besser! Freust du dich nicht auch?«

»Was fragst du? Ich werde dabeisein. Wär's nur erst soweit, daß ich zeigen kann, was . . .«

»Förderschale sieben!« Das Telefon schrie durch den engen Raum.

»Geh ran! Du wirst Arbeit kriegen. Die ganze Schicht wird kaum reichen, um die Lasten nach unten zu bringen.«

»Förderschale sieben!« schrie der andere ins Telefon.

»Sprengstoffahrt! Schale für alle anderen Lasten gesperrt!«

Der Maschinist wiederholte den Befehl, gab ihn weiter nach unten.

Er drehte sich um. Die alte Schicht war hinausgegangen. Er setzte sich auf den Schemel neben dem Schalthebel, zog eine kurze Pfeife aus der Tasche und setzte sie in Brand.

Die Pfeife! Vor Wochen auf dem Alsterdamm . . . War's da nicht dasselbe alte verräucherte Stück gewesen, das Klaus Tredrup sich in der Tür des Hamburgischen Kuriers zwischen die Zähne gesteckt hatte? Wieder einmal eine Etappe deines Lebens vorbei, hätte er jetzt sagen können, wenn er sich der Worte von damals erinnert hätte.

Klaus Tredrup . . . William Field jetzt, Minenarbeiter aus Südwestafrika, Maschinist, Lageraufseher, Bohrmeister. Alle Beschäftigungen, die der Bergbau umfaßt, er hatte sie vorgebracht, als er sich bei dem Agenten Grimmauds meldete, der mehr als woanders in Südafrika nach neuen Arbeitern suchte. Hier natürlich nicht nach Weißen, sondern nach Mischlingen. Die beste Empfehlung war es, Mischling aus Südafrika zu sein. Der Haß gegen die Weißen, bei denen war er selbstverständlich, war es mehr als bei den Schwarzen. Mehr als diese haßten die Mischlinge die Weißen.

Früher war dies anders gewesen. Bis die Weißen anfingen, immer schärfer gegen die Vermischung der Rassen zu arbeiten, bis schließlich die Produkte dieser Mischung schlechter angesehen wurden als die reinen Schwarzen.

Er zog einen kleinen Taschenspiegel hervor und besah sein Bild. Lachte . . .

»Gut gemacht, Herr Doktor im Laboratorium! Keine Theaterschminke.« Schöne gute Säure hatte der Chemiker auf Tredrups Fell gepinselt. »Dauerhaft, nicht abwaschbar, nur chemische Reinigung, Herr Tredrup, wird Ihren alten Adam wiedererstehen lassen«, hatte er grinsend gesagt, als er den letzten Pinselstrich tat. »Gebe Garantie, Sie können unbesorgt sein.«

Seit acht Tagen war Tredrup hier. Die weite Reise von Norden hierher war noch weiter geworden durch den Umweg, den er über Swakopmund hatte nehmen müssen. In den Uhlenkortschen Minen mußte – das war nicht ganz leicht – der passende Mann gefunden werden, der bereit war, seine Papiere abzugeben. Das Signalement mußte genau stimmen. Die geheime Polizei des Kaisers hatte ihre Fühler über den ganzen Kontinent ausgestreckt. Schichtarbeiter zu werden: nur zehnmal Gesiebten gelang es.

Tredrup saß, die Rechte mechanisch um den Schalterhebel geklammert, mit der Linken den Hörer am Ohr. Jede Minute konnte die Arbeit beginnen. Er kannte die umständlichen Vorsichtsmaßregeln, mit denen die Sprengstofftransporte nach unten gingen. Er wartete. Sein Ohr hörte das Rollen der Loren, die Kisten um Kisten des Sprengstoffs heranbrachten, abluden, weiterfuhren.

In der einen Schicht wird es kaum zu schaffen sein, hatte der andere gesagt. Im Geist überschlug er die Zahl und das Gewicht der Kisten. Ungeheuerlich, was da nach unten ging. Und die Zahlen türmten sich vor ihm auf, immer größer, größer werdend, zu einem Turm.

Vor drei Tagen war er im Ingenieurbüro gewesen. Er hatte warten müssen. Eine Tafel an der Wand hatte seine Neugierde erregt. Ein geologisches Profil des Schachtes in großem Maßstabe. Sein Blick ging zu den Stellen am Fuß des Schachtes. Zur Sprengkammer. Er überlegte lange, zuckte die Achseln. Zu oft hatte er schon daran gedacht.

Sein Auge lief die Profilkarte empor. Sein Hirn aufs äußerste gespannt . . . Da! Achthundert Meter unter Tage die Riesenwasserader. Es war vor seiner Zeit, als man sie beim Schachtbau anbohrte, nach langen Kämpfen überwand.

Wie magnetisiert hafteten seine Augen an der Stelle. An ihr vorüber lief eine Förderung . . . Förderung Nummer sieben. Wie ein Blitz durchzuckte es ihn. Fast wäre er zurückgetaumelt.

Hier war die Stelle, wo der Riesenbau am leichtesten verwundbar war. Seine Gedanken waren weitergegangen, setzten Glied an Glied, bis die Kette fertig war.

Achtzehn Förderschalen im Ring des Schachtes. Schale sieben, die den Transport besorgte. Sieben die Zahl . . . Glückszahl. Auf der Fahrt von Spitzbergen anfangend bis hier zum Schacht hatte er alle Möglichkeiten, wie er es tun könnte, tausendfach erwogen, die unmöglichsten Pläne gewälzt.

Was hatte er damals instinktiv gerufen: Unmöglich! Unmöglich! In immer größerer Deutlichkeit war es ihm zum Bewußtsein gekommen.

Und doch! Er hatte sein Wort verpfändet.

Ich tu's! Die Tat Klaus Tredrups! Unlösbar würden die Worte miteinander verbunden bleiben. Herostrat? Ein Name aus dunkelster Jugenderinnerung aufgestiegen.

Nein, weg damit!

Das, was ihm Uhlenkort sagte vom Kampf der Rassen, war in seiner Seele haften geblieben, sich entzündend zu einem Feuer, das weiter und weiter wuchs.

Das Telefon rasselte. »Förderschale auf! Transport beginnt!«

Kiste auf Kiste lagert in der Schale. Hinunter, herauf. Stundenlang das gleiche Spiel.

Die Maschine arbeitete unaufhörlich wie das Hirn Tredrups.

Heute!

Der Gedanke beherrschte ihn, verließ ihn nicht. Heute mußte es geschehen.

Sein Geist arbeitete fieberhaft, überschlug die Menge der Ladung, das Fassungsvermögen der Schalen, die Zahl der Kisten. Gab es keine Verzögerung, mußte er gegen Ende der Schicht fertig sein.

Die letzte Ladung! Dann oder nie!

Er arbeitete am Hebel, vermied den geringsten Zeitverlust . . . geizte mit der Sekunde.

Die Schale flog nach oben und nach unten.

Er sah nach der Uhr. Die Schicht war wie im Fluge vergangen. Zwanzig Minuten noch, dann kam die Ablösung. Das Telefon schrillte:

»Letzte Fahrt!«

Das Schrillen riß an seinen Nerven.

Jetzt oder nie galt's . . . Mit zitternden Händen griff er in seinen Handwerkskasten. Nahm da und da und da Einzelteile heraus, fügte sie aneinander, verband sie und hüllte das Ganze in einen dunklen Lederbeutel, den er sorgfältig unter seinem Rock verbarg.

*

Die Mittagssonne spiegelte sich in den klaren Fluten der Südsee. Bis in die Unendlichkeit streckte sich das leise atmende, tiefblaue Meer. Weite Wasserwüste, so weit das Auge reichte.

Da und dort verstreut Gruppen von Koralleninseln, kleinere und größere, und auf ihnen hier und da die schlanken Stämme von Kokospalmen, deren Samen die See auf das jungfräuliche Land geworfen.

Eine dieser Inseln war ganz eigenartig gestaltet! Die zackigen Riffe gleich einer Mauer von Zyklopenhänden errichtet. Hoch über alles emporragend in weitem Kreise zog sich ihr Kranz um eine Lagune, auf dem inneren Rand ein Gewirr von Kokospalmen, die höchsten Spitzen der Riffe überragend. Ein leiser Rauch kräuselte durch die breiten Fächerkronen der Palmen.

Menschen . . . Menschen? Hier auf weltentlegenem Atoll, fern von jedem Verkehr, von jeder menschlichen Siedlung? Wer konnte hier wohnen?

Insulaner? Eingeborene?

Die Insel bot kaum Lebensmöglichkeiten trotz ihrer Größe. Tausend Meter im Durchmesser mochte sie haben.

Es war die Stunde des höchsten Sonnenstandes. Die sengenden Strahlen brachten die eingeschlossene Luft in den Wänden des Atolls zum Glühen. Kein menschliches Wesen war zu sehen.

Da! Aus der dunklen Höhlung im inneren Felsenriff trat eine weibliche Gestalt. Sie schritt einer Hängematte zu, die zwischen den Stämmen zweier Palmen ausgespannt war. Ihre Rechte griff nach der Schnur, mit der die Matte an dem einen Palmenstamm befestigt war, als wolle sie den Knoten prüfen.

Nur wer direkt daneben gestanden, hätte den haarfeinen blanken Draht bemerken können, der dabei mit scharfem Stift in den saftstrotzenden Palmenstamm gedrückt wurde, zu der Gestalt weiter lief, in den Falten ihres Gewandes verschwand.

Das Taschentuch entglitt ihrer Hand, fiel zwischen zwei Wurzelrippen des Baumes zu Boden. Sie bückte sich, es aufzuheben. Ein winziger Kontakt in der Höhlung zwischen den Wurzeln.

Unter dem Taschentuch griffen ihre Finger danach. Ein kurzer Druck, dann richtete sie sich auf. Und dann legte sie sich in die Matte, streckte sich lang aus. Ihre Hände bargen sich in den Falten ihres Gewandes, sie ruhte.

Eine Stunde mochte vergangen sein. Sie warf einen Blick auf die kleine Armbanduhr.

»Mittagsstunde . . . Mitternacht in Hamburg . . .« murmelten ihre Lippen. Die Welle frei in dieser Zeit. Und als hätten die Worte ein leises Hüsteln aus ihrer Brust gelöst, fuhr ihre Rechte mit dem Taschentuch zum Munde.

»Walter! Hier Christie! Uhlenkort-Harlessen!«

Die Worte . . . Ihre Lippen flüsterten sie in das Mikrofon im Taschentuch. Immer wieder! Das leichte Gewand über ihrem Busen hob sich unter den Stößen der wogenden Brust. Immer wieder die gleichen Worte, gesendet auf der Uhlenkort-Welle in den Äther.

Dann . . . wie müde sank die Hand mit dem Taschentuch zurück. In der ganzen Welt verstreut die Uhlenkortschen Kontore . . . einmal müßte es glücken! Tagelang schon ging das Spiel, das gewagte Spiel . . .

Und dann! Wieder ging das Taschentuch zum Mund, wieder sprach sie in das Mikrofon. Vielleicht, daß heute einer den Ruf vernahm . . .

»Koralleninsel . . . Südsee . . . gefangen . . . sechstägige Fahrt vom Kanal . . . West zu Südwest.«

Wieder, immer wieder die Worte. Die Hand mit dem Taschentuch glitt zurück, ruhte auf der Brust, ging wieder zum Munde.

Wieder der Notruf! Wieder, immer wieder!

Die Sonne neigte sich nach Westen. Eine leichte Brise bewegte die breiten Palmenwipfel. Die glühende Hitze in dem Trichter über der Lagune wich langsam der Abendkühle. Sie richtete sich auf, ließ den Blick in die Runde gleiten.

Da drüben auf der anderen Seite der Lagune waren Menschen, Männer . . .

Sie sprang aus der Hängematte. Wieder glitt ihre Hand zu den Knoten, die die Matte am Stamme der Palmen hielten. Wieder entglitt ihr das Tuch, wieder beugte sie sich, es aufzuheben. Der Kontakt war frei.

Ihre Hände strichen über die Stirn, ordneten das verwirrte Haar. Die erregte Brust sog in tiefen Zügen die Kühle des Abends in die Lungen.

In der Höhlung am Riff, aus der sie gekommen, erschien ein altes Negerweib, rief zu ihr herunter. Sie nickte, schritt zu ihr empor. Am Eingang blieb sie stehen, wandte sich um.

Am Rande der Lagune sammelten sich Männer. Einer, der Führer, schrie ungeduldig zu den Klippen hinauf.

Da, dort, aus den Spalten und Höhlen kamen immer mehr herbeigeeilt. Stiegen zu der Lagune hinunter, sammelten sich um den Führer.

Eine stattliche Schar war es. Männer! Matrosen, alte, junge, gebräunt von der tropischen Sonne, dem Seewind.

Das Auge des Führers glitt zählend über sie hin.

»Vierundsechzig! All right!«

Er drehte sich zur Lagune um. Einer in seinem Rücken, ein junger, frischer Kerl, winkte gerade zu Christie hinauf.

Ein Faustschlag des Führers ließ ihn ins Wasser taumeln.

»Kühle dich ab, du Satan! Die . . .« er wandte sich mit drohendem Blick zu den übrigen, ». . . die ist tabu für jeden. Hütet euch! Ihr kennt die Order! Daß keiner ihr zu nahetritt! Der Strick wäre ihm sicher.«

Sein Blick ging zu der Höhle, wo Christies Gestalt eben verschwand.

»Reserviert, das Schätzchen! Nichts für euch!« lachte er.

Er hob die Hand in die Höhe, winkte.

Der graue Leib eines U-Bootes schob sich aus der stillen See, kam hoch und höher. Rauschend glitten die Wasser an seinen Aufbauten hinunter. Ein stattliches Ding, fünftausend Tonnen mochte es haben.

Eine aufgezogene Brücke vom Uferrand senkte sich zum Deck hinüber. Der Führer ging darüber hinweg, kam an Bord, sprach mit dem Offizier dort ein paar Worte. Dieser rief durchs Sprachrohr nach unten.

Wohl ein Dutzend Leute kam aus dem Innern des Bootes aufs Deck, trat an.

»Ihr bleibt hier!« rief der Führer. »Als Wache. Ihr anderen da hinüber, an Bord!«

Der Befehl wurde ausgeführt.

»Große Fahrt! Weit rauf zum anderen Wendekreis; wir werden lange wegbleiben. Zwei, drei Monate wird's dauern. Vielleicht noch länger. Laßt euch hier die Zeit nicht lang werden!«

»Zum Atlantik?« fragte der Offizier.

»Atlantik«, gab der mürrisch zur Antwort. »Müssen durch den Kanal. Verfluchte Fahrt! Das Stückchen mit der ›Abraham Lincoln‹ – dem Frauenzimmer da oben galt's, nichts anderem! Es hat gewirkt wie ein Tritt in einen Ameisenhaufen. Wimmelt da oben von Polizeibooten. Doppelte Fangprämien für den Atlantik ausgesetzt. Der Deubel hole die Fahrt! Riet ab, solange es ging. Mußte schließlich doch nachgeben. Einzige Hoffnung die Schlupfwinkel an der afrikanischen Küste. Wenn nicht . . .«, er flüsterte die Worte leise in das Ohr des Offiziers, »wenn wir nicht gar bald schon unter Flagge fahren. Der rote Löwe im schwarzen Feld! Ich möchte den Rest meines Seelenheils verwetten!«

Der Offizier trat erstaunt zurück.

»Für den schwarzen Kaiser?«

Der Führer nickte. »Für ihn! Der Deubel will's.« Er lachte aus vollem Halse. ». . . daß wir mit einigen guten Freunden von der US-Marine zusammen auf Fahrt gehen. Hab' so was läuten hören, vom Kapitän. Der stößt erst bei den Antillen zu uns, kommt mit dem Flugzeug von New York. Frau ist krank.« Ein häßliches Lachen begleitete die Worte. »Taugt nicht zu unserem schönen Beruf, Frau und Kinder zu haben.

Der Kaiser Augustus läßt alle Minen springen, nachdem ihm die große am Tschadsee aufgeflogen ist. Ein Teufelskerl, der das Stück fertigbrachte.«

Einer von den Leuten kam auf ihn zugeschritten, machte Meldung: »Alles fertig!«

Der Führer nickte, drückte dem Offizier die Hand.

»Gute Wacht! Paßt auf die Frau auf!« Er deutete mit dem Arm in die Richtung der Höhlenmündung. »Passierte ihr was oder entkäme sie gar, wir würden es büßen.«

Er verschwand unter Deck. Die Luken schlossen sich hermetisch. Ein Ruck ging durch den grauen Leib des U-Boots, dann sank es . . .

Wohin?

*

Es war ein freundlich ausgestatteter Raum. Die Felswände mit Teppichen verhängt. Der rauhe, zackige Boden geebnet, mit Matten überdeckt, halb vom Tageslicht, halb von der großen elektrischen Lampe erhellt . . . der Aufenthaltsort Christies.

Zwölf Tage schon weilte sie hier, achtzehn Tage, seitdem sie die Piraten von Bord der ›Abraham Lincoln‹ gerissen hatten.

Auf dem Ruhebett ihrer Schiffskabine ausgestreckt, im leichten Halbschlaf, hatte ihr Ohr den Donner der Schüsse kaum vernommen. Die Kabinentür wurde plötzlich aufgerissen . . . drei bewaffnete Matrosen und ein Offizier standen vor ihr.

»Miß Harlessen?«

Noch benommen vom Schlaf hatte sie genickt.

»Aufstehen! Mitkommen!«

Die Matrosen hatten im Nu ihre Sachen zusammengerafft, in die Koffer geworfen. Sie hatte sich gesträubt. Der Offizier hatte sie aufgehoben, einen weiten Mantel über sie geworfen, der sie fast ersticken ließ, sie nach oben getragen und über das Fallreep ins U-Boot gebracht.

Dort war sie ohnmächtig zusammengesunken. Nach ein paar Stunden war der Piratenführer zu ihr gekommen, hatte ihr in seiner Art ein paar beruhigende Worte gesagt. Ein Matrose hatte Speise und Trank vor sie hingesetzt. Und dann waren sie gefahren . . .

Sechs Tage, sechs Nächte waren sie gefahren, bis sie, an Deck gerufen, das Boot in der Lagune einer Koralleninsel sah.

Man hatte ihr die Felsenhöhle als Aufenthalt zugewiesen. Eine alte Negerin, die wohl hier gehalten wurde, um für die Matrosen zu sorgen, war ihr als Dienerin beigegeben worden.

Die harte Schule des Lebens, die Christie durchgemacht, hatte sie gestählt. Ihr klarer energischer Wille ließ sich nicht so leicht unterkriegen.

Ihre erste Frage: Warum wurdest du geraubt? Auf wessen Befehl? Menschenraub? Doch nur, um ein Lösegeld zu erpressen. Lösegeld von ihr? Wer konnte von der Angestellten der Simmons Brothers ein Lösegeld erwarten? Unter den Damen der Gesellschaft auf dem Schiff waren Millionärinnen; die Seeräuber hatten sich nicht um sie gekümmert.

Diese Antwort schied aus. Was aber war die richtige Antwort?

Stundenlang zermarterte sie ihr Hirn. Wer konnte ein Interesse daran haben, sie zu rauben?

Der betrügerische Vertreter in Valparaiso . . . Rache? Möglich, aber kaum wahrscheinlich.

Und dann immer, wenn sie vergeblich nach der Antwort gesucht, rang sich der Name Rouse von ihren Lippen.

Er, der Gewaltmensch, der jeden Widerstand brach, der sich ihm entgegensetzte, ihm allein war es zuzutrauen.

Doch auch die Antwort . . . immer wieder hatte sie sie doch verworfen. Warum tat er das? Konnte er glauben, sie mit Gewalt an sich zu fesseln? Er, der kluge, schlaue Menschenkenner? Konnte er das denken? Nein! Töricht! Solche Torheit konnte sie ihm nicht zutrauen. Die ganze Fahrt über hatten sie diese Gedanken beschäftigt . . . verfolgt.

Als sie den Fuß auf das Atoll setzte, hatte sie sich mit energischer Willensanstrengung von all den Gedanken frei gemacht. Sie halfen nichts.

Flucht! Weg von hier! Der einzige fruchtbare Gedanke.

Ihre ganze Selbstbeherrschung raffte sie zusammen. Zeigte dem Piratenführer, der sich häufig nach ihrem Befinden erkundigte, stets ein ruhiges, gelassenes Wesen. Gab sich den Anschein, als hätte sie sich mit den Geschehnissen so gut wie möglich abgefunden. Keine Klage kam über ihre Lippen. Die wenigen Wünsche, die sie vorbrachte, wurden soweit wie möglich schnell erfüllt.

Doch auch ohne das . . . der Piratenführer konnte wohl beruhigt sein. Flucht von hier, dem weltentlegenen Atoll? Unmöglich! Ausgeschlossen!

Ausgeschlossen auch eine Befreiung von außen her. Wer sollte diesen Schlupfwinkel ausfindig machen? Wissen, daß sie hier war? Jede Verbindung mit der Außenwelt von hier war abgeschlossen.

Die einzige Funkstation auf der Insel war reserviert für Fälle allerdringendster Not. Sie kam nie in Tätigkeit, damit nicht vielleicht ein schnüffelndes Polizeiboot die Station, die Insel anpeilte. Und gerade das war es, was ihr zur Rettung werden mußte.

Von Tejeda aus kannte Christie die Einrichtung einer Sendestation genau. Als sie sich von Uhlenkort zur Fahrt nach Valparaiso verabschiedete, hatte der ihr einen kleinen Sender mitgegeben, ihr die Wellenlänge der Uhlenkort-Firma anvertraut und die Welle fest eingestellt. Auf der Fahrt nach Valparaiso, im Hotel, hatte sie den Apparat ein paarmal benutzt. Nichts daran war gestört. Sie kannte die Bedienung in allen Einzelheiten.

Hier auf dem Atoll hatte sie sich eine Hängematte erbeten, diese zwischen zwei Palmen befestigt. Der saftstrotzende Palmenbaum mußte ihr als Antenne dienen. In den Mittagsstunden, wo alles sich in die kühleren Felsenhöhlen zurückzog, hatte sie eine Leitung von der kleinen Maschine, die die Insel mit Strom für alle Zwecke versorgte, bis zu jenem Palmenstamm, gut im Sand verborgen, hingeführt.

In den Mittagsstunden, in denen die Lagune menschenleer war, lag sie dort stundenlang in der Matte, und stundenlang ging ihr Hilferuf auf der Uhlenkort-Welle durch den Äther.

*


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