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9.

Gegen die Abenddämmerung des folgenden Tages standen an der Brandstätte des van Vlietenschen Waarenhauses drei ansehnliche Männer von verschiedenem Alter, in denen wir Herrn Jan van Daalen, seinen Sohn Cornelius und dessen Freund, den Schiffscapitän Jansen, wiederfinden. Ihre Blicke waren auf den mächtigen Schutthaufen gerichtet. Hier und da stand noch ein einzelnes Mauerstück, eine schwarze trauerige Ruine. Die starken Seitenwände des Gebäudes hatten der Wuth des Feuers nicht widerstehen können und waren unter ihrem Andrange zusammengestürzt. Viele Arbeiter waren beschäftigt, die zu Kohlen gebrannten, noch rauchenden Balken hinwegzuschaffen, andere gruben und suchten in dem Schutte nach Gegenständen, die vielleicht der Zufall unbeschädigt erhalten hatte. Nur dieses einzelne Waarengebäude war von den Flammen gänzlich vernichtet worden, nebst seinem kostbaren Inhalte an Gewürzen, edeln Spezereien und andern werthvollen Handelsartikeln. Das Wohnhaus stand unversehrt, ebenso waren andere, in dem Umkreise der van Vlietenschen Besitzungen befindliche Waarenbehälter von dem Brande verschont geblieben. Man schlug den Schaden hoch an, aber keinesweges so bedeutend, daß er dem dicksten Manne von Rotterdam empfindlich hätte seyn können. Aber dieser dickste Mann selbst? Was war aus ihm geworden, welch wunderbare Macht hatte ihn aus der Mitte seiner Mitbürger entrückt, ohne daß nur eine Spur von ihm geblieben wäre?

»Es ist unbegreiflich!« sagte Herr Jan, indem die nichtssagenden grauen Augen in den Schutt starrten und der Kopf mit der ungeheueren Lockenperücke sich zur Bekräftigung des Gesagten einige Augenblicke lang wackelnd hin- und herbewegte. Er deutete mit dem Porcellanknopfe seines spanischen Rohres nach dem im Hintergrunde sichtbaren Wohnhause und fuhr fort. »Dort war er noch gestern Abends spät, dort hat ihn der Domine nicht lange vor dem Ausbruche des Feuers verlassen und jetzt – wie von der Erde weggeblasen, wie nie da gewesen, wie in eine erbärmliche Null, die vor der Eins steht, aufgelös't!«

»Nassau und Oranien!« hob mit einem verdrießlichen Gesichte Cornelius, der erst vor einer Stunde auf Jansens Barke angelangt war, an. »Das ist eine wunderliche Geschichte. Vater und Tochter fort – spurlos verschwunden! Das Haus mit seinem Reichthume, mit dem großen Handelsgeschäfte verödet, verwais't. Das ist noch das tollste von allen tollen Ereignissen, die ich im Laufe weniger Tage erlebt habe.«

»Es ist fatal!« brummte Herr Jan vor sich hin. »Jetzt wäre die beste Gelegenheit, den alten Handel wegen Clötje und Cornelius richtig zu machen, denn, nachdem ihm das Waarenhaus niedergebrannt, ist Alles ausgeglichen und ich bin wenigstens ebenso dick, wie van Vlieten. Dumme Streiche! Will man mit dem Alten handeln, so ist er nicht auf dem Platze; will man nach der Tochter greifen, so faßt man die leere Luft.«

»Er war sehr krank und schwach?« forschte der Sohn weiter. »Es ist nicht zu denken, daß er ohne Unterstützung, ohne anderen Beistand sich entfernt habe.«

»Wer kann das wissen?« wandte der alte van Daalen ein. »Der Domine sagt, er habe ihn sehr elend und ermattet gefunden; der Doctor Mauritius behauptet, das sey nicht möglich, denn Mittags noch habe er eine gebratene Gans mit gutem Appetit allein verzehrt und eine Flasche Rheinwein dazu ausgestochen. Dem Tobias waren immer die Schwarzröcke ein Dorn im Auge. Ich meinerseits glaube, er hat sich in der Weinlaune nur einen Spaß mit dem Domine gemacht. Er hat ihm eine Nase gedreht mit der Mattigkeit und der Todesfurcht. Laßt uns nur das Ende erwarten! Vielleicht ist er bei der Bemühung, irgend Etwas aus dem Feuer zu retten, umgekommen und seine Gebeine werden noch unter dem Schutte gefunden.«

Indessen verfolgten die scharfen Blicke des Barkencapitäns einen Menschen, der sich taumelnd und dem Anscheine nach betrunken, zwischen dem Haufen der hier zahlreich versammelten neugierigen Bewohner von Rotterdam umhertrieb. Er war noch zu weit entfernt von ihm, er verlor sich zu oft hinter den einzelnen Gruppen der Zuschauer, als daß Jansen ihn mit Bestimmtheit hätte erkennen können. Aber eine dunkele Vermuthung fesselte seine Blicke an den Mann. Jetzt kam dieser näher, jetzt wandte er sein Angesicht, jetzt sah auch er den Capitän und war nun ängstlich bemüht, sich wieder unter der Menge zu verbergen. Jansen hatte ihn erkannt! Sein Donnerruf: »Peter Trip!« brachte ihn zum Stehen und führte ihn bald darauf, freilich in einigen Schlangenlinien, die er vergebens strebte in eine gerade Richtung zu verwandeln, vor den Capitän.

Jansen hatte ihm, während er langsam näher kam, finstere durchbohrende Blicke zugesandt, deren Bedeutung er aber, bei der schon eintretenden Dämmerung und in der Befangenheit des Rausches schwerlich erkannte.

»Wo kommst du her, Peter? Warum warst du nicht auf deinem Posten, als ich ankam?« fragte in einem rauhen, strengen Tone der Schiffsherr. Trip zögerte mit der Antwort. »Bramsegel und Backbord!« fuhr Jansen heftiger auf ihn ein und hob die gewaltige Faust. »Soll ich dir Rede machen, soll ich dich deine Schuldigkeit lehren?«

»Capitän,« antwortete mit halb lallender, halb zitternder Stimme Peter: »seyd nicht böse, verzeiht einem armen Teufel, daß er eine Fahrt auf eigene Rechnung gemacht. Aber seht – der Verdienst lohnte auch die Mühe: zehn blanke Dukaten und überdem noch freier Wachholder auf ein ganzes Jahr!«

»Was soll das heißen?« sagte Jansen erstaunt zu Cornelius. »Des Burschen Hand, in der man sonst nur das Ruder oder das Brandweinglas erblickt, ist mit Gold bedeckt, er faselt noch von andern Dingen, die meinen Argwohn erregen – Kerl!« wandte er sich drohend zu Trip zurück: »hast du schlechte Streiche getrieben, so nimm dich in Acht! Ich könnte dir den hanfenen Zwieback zu schmecken geben und, Sturm und Wetter! wenn du gar gestohlen hättest, so müßtest du baumeln ohne Gnade und Barmherzigkeit. Heraus mit der Sprache! Was hast du gethan, wo kommt das Geld her?«

»Ehrlich erworbenes Geld, ehrlich erworbener Wachholder!« erwiederte Peter, der jetzt seinen Entschluß genommen hatte, mit größerer Ruhe. »Ich habe geschworen, von der Sache nichts auszuplaudern, aber wenn Ihr sie zu wissen begehrt, so muß ich sie sagen, denn Ihr seyd mein Herr und Herrendienst geht vor Gottesdienst. Kurz und gut, ich habe einen Kranken nach Leyden gefahren in dieser Nacht! Clas Rycke war auch dabei und sein Boot mußte über den Spiegel gleiten, wie die fliegenden Fische über das Meer von Java. Der kranke junge Mensch war so zufrieden damit, daß er sich nicht rührte und regte und der Professor, der uns gedungen, lobte uns sehr und lachte immer vergnügt in sich hinein.«

»Was für ein Professor?« forschte Jansen weiter. »Wie nannte er sich?«

»Wie er sich nannte?« versetzte, seine Mütze verlegen hin und her rückend, Peter. »Genau weiß ich's nicht mehr. Hasenfuß oder Hasenkopf: eins von Beiden!«

»Hazenbrook!« fiel ungeduldig Cornelius ein.

»Wahrhaftig!« sagte im dummen Erstaunen der Matrose. »Ihr wißt's besser, als ich, und waret doch nicht dabei!«

»Hazenbrook!« wiederholte Herr Jan. »So wahr ich lebe, das ist derselbe Professor, der, als ich mit Heern van Vlieten das Letztemal am Haven spazieren ging, ihn durchaus überreden wollte, er solle sich nach seinem Tode als eine egyptische Mumie einsalzen lassen.«

»Cleliens Räuber!« rief in heftiger Bewegung Cornelius.

»Nur still, nur ruhig!« ermahnte der Capitän. »Wir werden bald Land sehen. Ihr müßt mir nur durch Euer Gerede und Gelärm den Burschen nicht verblüffen. Sprich weiter, Trip!« kehrte er sich wieder zu diesem. »Wie sah der kranke junge Mensch aus? War er zart und schmächtig?«

Peter sann ein Weilchen nach. Dann antwortete er in treuherzigem Tone:

»Wahrhaftig, Capitän, das kann ich Euch nicht so genau sagen! Die Nachtmütze saß ihm tief auf die Nase herab und der Pelz hüllte ihn bis über's Kinn ein. Der Professor lehnte sich auch immer so über ihn hin, daß man wenig von ihm sehen konnte. Aber als wir mit Tagesanbruch in Leyden hielten, kam mir die Nase spitz und roth vor und ein stachlichter Bart trat über den Pelz heraus.«

»So war es Clelia nicht!« sagte der Junker, der sich in der Hoffnung, eine Spur der Geliebten zu finden, unangenehm getäuscht sah.

»Ein junger Mensch mit einer rothen Nase und einem stachelichten Barte?« hob im Tone des Argwohns und der Erwägung Jansen auf's Neue an. »Wo habt Ihr sie denn eingenommen, Eueren jungen Menschen und Eueren Professor?«

Das war eine Frage, deren Beantwortung Peter Trip gern vermieden hätte. Sie konnte weiter führen und den Capitän mit seinen Rettungsversuchen während des Brandes, die Hazenbrook ganz richtig als Bemühungen für den eigenen Seckel bezeichnet hatte, bekannt machen. Aber er fürchtete die Strenge seines Herrn und hatte nicht den Muth ihn zu belügen.

»Ei, dort!« erwiederte er mit gedämpfter Stimme und zeigte nach dem van Vlietenschen Wohnhause. »An einer Hinterthüre. Der Professor brachte den ohnmächtigen Kranken herab. Er hatte recht seine Last mit ihm. Wir mußten versprechen, nichts zu verrathen, so ging's fort und wir schmuggelten die Passagiere glücklich an der Havenwache vorbei.«

»Während des Brandes?« fragte hastig Jansen.

»Gleich zu Anfang,« lautete die Antwort. »Es war Alles still dort. Niemand hat uns gesehen.«

»Blixen, mir geht ein Licht auf!« fuhr Herr Jan mit einemmale aus seiner gewöhnlichen Ruhe empor. »Der Kranke war kein anderer als Myn Heer van Vlieten und der verdammte Professor hat ihn entführt, um ihn auf egyptische Art einzumachen. Aber das soll ihm übel bekommen, dem Menschendieb! Ich laufe zum Bürgermeister, ich lasse mir gerichtliche Vollmacht geben, ich will sehen, ob ein dicker und angesehener Bewindhebber von Rotterdam von einem solchen egyptischen Seeräuber ungestraft aus seiner eigenen Stube gestohlen werden darf!«

Was er gehört hatte, war hinreichend seinen Zorn zu entflammen. Er drängte sich rasch durch die versammelten Neugierigen und richtete seine Schritte nach dem Hause des Bürgermeisters. In der Person des Herrn Tobias schien ihm der ganze Handelsstand von Rotterdam schwer beleidigt. Er selbst wollte noch an diesem Abende die Reise nach Leyden antreten, um dort unter gerichtlichem Beistande den alten Freund, mit dem er doch manche Schaale Thee im Prinzen-Collegium getrunken, wenn es noch möglich sey, von dem schmählichen Schicksale des »Einmachens« zu retten. Dieses war ein großer Entschluß für einen Mann, der so sehr an ein ruhiges, gemächliches Leben gewöhnt war, wie Herr van Daalen: aber welche mächtige Hebel hatten auch mit einemmale seine Seele ergriffen? Es war die Rache, die er früher noch nie gekannt, die – Hoffnung, die ihn neu belebte!

»Fort, fort!« rief auch Cornelius, als der Alte kaum den Rücken gewandt hatte. »Beim Degen des großen Marlborough, dieser Hazenbrook ist ein entsetzlicher Mensch! Er läßt die Tochter entführen, während er selbst den Vater raubt. Welche schrecklichen Absichten lauern unter der Hülle dieses Geheimnisses? Ich will sie zerreißen, zerhauen mit dem Degen, wenn es seyn muß. Komm mit, Jansen! Meine Pferde sind gesattelt. In drei Stunden sind wir in Leyden. Nassau und Oranien! Ich will den Professor und der Professor soll mich kennen lernen.«

»Meinetwegen!« versetzte Jansen. »Ich bin ein schlechter Reiter und wenn ich den Hals breche, hast du es auf dem Gewissen. Aber ich habe dir versprochen, dich nicht allein in der tollen Geschichte stecken zu lassen und mein Wort halte ich. Du,« rief er, schon im Fortgehen, nach Peter Trip hin, der sich bereits mit dem Gedanken schmeichelte, von seinem gestrengen Gebieter vergessen worden zu seyn, »du trollst dich im Augenblicke auf die Syrene und wenn du sie eher verlässest, als ich wiederkomme, so soll dir des Bootsmanns Ruderstange um den Kopf wirbeln, daß du deine Dukaten für Kopfstücke ansiehest und dir die Wachholderlust auf lange hin vergeht!«

Die beiden Freunde schritten eilig der nicht weit entlegenen Wohnung des Herrn van Daalen zu. Peter Trip schlug taumelnd den Weg nach der Gegend des Havens ein, wo die Syrene vor Anker zu liegen pflegte.


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