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3.

Der Kutter, den Capitän Jonas befehligte, hatte indessen, durch seine leichte Bauart und den besten Wind begünstigt, mit der Eile eines die Lüfte durchschneidenden Vogels, seine Fahrt durch das Hollands-Diep nach dem Kramer fortgesetzt. So sehr auch die zwei jungen Leute, die dem Professor Hazenbrook durch die Zurückführung der schönen Clelia die Aussicht auf den Besitz des Mumienkörpers von Heer Tobias van Vlieten sichern wollten, sich früher der Flüchtigkeit des lustigen Freiers von Rotterdam erfreut hatten, so lästig fiel sie ihnen jetzt, da eben sie es war, die sie immer weiter von dem Gegenstande ihres Forschens und ihres Verlangens entfernte. Sie sahen auch wenig Hoffnung vor sich, bald von ihrer unerwarteten Haft befreit zu werden. Capitän Jonas ging finster und schweigend auf dem Verdecke auf und nieder, würdigte sie keines Blickes und die Mannschaft folgte seinem Beispiele. Die schöne Juliane war auch, nachdem sie vernommen, daß die spanische Schebecke in die Luft geflogen und nach dieser Himmelfahrt, keine weitere Gefahr vorhanden sey, wieder erschienen und tanzte und sang leichtfertig am Bord umher. Dann und wann sah sie wohl nach den Gefangenen hin, aber in ihren Augen zeigte sich so viel Hohn und Schadenfreude, daß selbst La Paix, der bisher nur sich selbst Vorwürfe über seine vorschnelle Verliebtheit und die in dieser begangenen Thorheiten gemacht hatte, sich gestand, es müsse ein süßes Gefühl seyn, an dieser Sünderin Rache zu nehmen. Sie schien mit allen Personen der Mannschaft genau befreundet. Sie plauderte so vertraut mit dem Schiffsjungen und mit den Matrosen, wie mit dem Steuermann und dem Bootsführer. Alle nannten sie du und manche Freiheiten, welche sich die jungen Männer nahmen, wurden von ihr mehr muthwillig und auffordernd, als ernst und zurückweisend, abgelehnt.

»La Paix!« sagte Le Vaillant, indem er mit dem Freunde zur Seite trat und einen verächtlichen Blick auf das Mädchen warf. »Die hätte mich zu keinem dummen Streiche verleiten können! Cadédis! In dem Lande, wo die herrliche Garonne strömt, hätte sie, nach altem Gebrauche, einen gelben Kittel tragen müssen, um ein Abzeichen zu haben vor andern ehrbaren Frauen. Ich will ihr nur rathen, mir nicht zu nahe zu kommen, sie möchte sonst Dinge hören, die ihr nicht lieb wären und ich wollte ihr einen Spiegel vorhalten mit ihrem ganzen vortrefflichen Wesen und Wandel, vor dem sie zurückprallen sollte, als hätte sie einen Drachen erblickt.«

»Sey ruhig und verstelle dich!« ermahnte La Paix. »Ich habe wohl größere Ursache, sie zu hassen, als du, aber ich sehe ein, daß wir doch nur durch sie allein unsere Freiheit erlangen können. Wir dürfen es nicht noch mehr mit ihr verderben, als es schon geschehen ist. Sie ist listig und boshaft, aber sie ist auch habgierig. Gieb Acht! Sie kommt von selbst, um als eine gute Seelenverkäuferin mit uns zu handeln über unser Lösegeld. Sie sieht uns für Citronen an, die man so lange auspressen muß, als nur noch der Gewinn eines Tropfens zu erwarten ist.«

» Sandis!« fuhr der junge Gascogner fort, ohne seines Gefährten Rede zu beachten. »Der werthe Professor hat uns da in eine schöne Patsche gebracht, aus der wir uns nun selbst herausarbeiten können. Was hat der Mann auch für tolle Gedanken! Welcher Mensch, außer ihm, käme in der weiten Welt auf die wunderbare Idee, aus einem Rotterdammer Theekaufmann eine egyptische Mumie, einen Pharao und Sesostris zu machen? Morgué! Wenn ich die Geschichte einmal in meinen alten Tagen meinen Kindern und Kindeskindern erzähle, so werden sie behaupten, ich binde ihnen etwas auf oder der Professor sey wahnwitzig gewesen.«

»Ist er es denn etwa nicht?« entgegnete kaltblütig der andere. »Er ist sonst ein gescheidter und gelehrter Mann, von dem wir Mancherlei lernen können, aber er hat einen Tick und dieser Tick besteht eben in seinem unsinnigen Gelüst nach einem viertausendjährigen Bewohner der Nilufer, mit dem er sein Schooßkind, das Naturalienkabinet, putzen will. Hat es denn nicht Leute gegeben, mit denen man die anmuthigste Unterhaltung von der Welt führen konnte, die man als Wunder von Verstand anstaunte, bis zufällig die Rede auf Macedonien oder Jerusalem kam, und dann der eine ganz ernsthaft versicherte, er sey Alexander der Große und habe den Darius besiegt, oder der andere in aller Ruhe hinwarf, er, als der weise Salomo, müsse am Besten wissen, wie es beim Tempelbaue von Jerusalem hergegangen sey? Gerade ein solcher Thor ist unser Professor. Er ist belehrend, vernünftig, geistreich, bis ihm etwas aufstößt, das seine egyptische Narrheit aufrührt. Dann sind aber auch von ihr mit einemmale alle Dämme, die sein Verstand ihr entgegenstellen kann, überschwemmt, er wird fortgerissen zu den köstlichsten Tollheiten und wir – nun wir haben dann einen Gegenstand zum Lachen, wir sind seiner lästigen Aufsicht entledigt und können dann unserer Freiheit genießen – wie wir es zum Beispiel jetzt thun.«

»Eine schöne Freiheit, das!« brummte Le Vaillant. »Eingeschränkt auf das Verdeck eines kleinen Schiffes, ohne Waffen, bewacht von fünfzig Augen –«

»Du irrst!« wandte mit stoischer Ruhe La Paix ein. »Es sind neunundvierzig oder einundfünfzig, denn unser edler Capitän zählt nur eins. Ach, Le Vaillant, was mich weit mehr betrübt,« fuhr er in schwermüthigem Tone fort, »ist, daß auch wir zwei, jeder in seiner besonderen Weise, einen solchen wahnwitzigen Tick haben!«

» Corbleu!« fuhr sein Freund auf. »Ich ersuche dich, in solchen Ausdrücken von dir allein zu sprechen. Ich, Gottlob! habe mir meinen gesunden Verstand bewahrt und hoffe, daß ich dermaleinst in dem Schlosse meiner edeln Eltern, an dem die herrliche Garonne vorüberfließt, weder als Alexander der Große, noch als weiser Salomo auftreten werde.«

»In welchem schmählichen Irrthume lebst du doch, bester Freund!« sprach sehr sanft La Paix weiter. »Ist denn das nicht schon ein Tick, daß du dich für so ganz erstaunlich gescheidt hältst, und wie weit ist denn der Sprung von diesem Wahne der Gescheidtheit bis zum Wahne der Weisheit, der dich im nächsten Augenblicke in deinen eigenen Begriffen zum weisen Salomo erhebt? Und daß du mit deinen Gedanken nur immer in der Gascogne, deren Vorzüge ich übrigens nicht bestreiten will, lebst, daß du die Zwiebel von der Garonne höher schätzest, als die köstliche Ananas von Amboina, daß du gar nicht herauskommen kannst aus den Kraftwörtern, die in deiner Heimath beliebt sind, ist denn das nicht ein arger Tick? Und ich? Ach, theuerer Le Vaillant, mit mir steht es noch weit schlimmer! Ich sehe jedes hübsche Mädchen mit Blicken an, wie Hazenbrook die egyptischen Mumien. Habe ich nicht ein schauderhaftes Beispiel meines Wahnwitzes im Laufe des heutigen Tages gegeben? Hätte mir ein geringfügiges Mädchen, wie die Juliane, mein sämmtliches Geld, nebst der sonst so werthgehaltenen goldenen Kette, dem theueren Angedenken meiner Mutter, abnehmen können, wenn ich nicht von einem entsetzlichen Tick befallen wäre? Und noch einmal von dir zu sprechen, Liebster! Womit willst du deine Rauflust bei jeder unbedeutenden Gelegenheit, die Wuth, dein Blut oder das eines andern zu vergießen, dein Leben um einer Lumperei willen auf's Spiel zu setzen, anders entschuldigen, als mit dem Wahnwitze, der heimlich in deinem Innern wohnt, den aber die geringste Kleinigkeit ins Daseyn ruft? Glaube mir, Bester! Wir sind sehr zu beklagen.«

»Du magst wohl recht haben!« versetzte im Tone einer bei ihm seltenen Niedergeschlagenheit Le Vaillant, auf den die schwermüthige Stimmung, in die sich sein Freund hineingeredet, ansteckend gewirkt hatte. »Wir sind übel dran! Wir treiben wahnwitziges Zeug, ergo: sind wir wahnwitzig.«

Sie gingen schweigend und in sich gekehrt auf dem Verdecke hin und her. Ihre Blicke waren zur Erde gerichtet, in ihren Zügen lag der Ausdruck eines Kummers, der schwer auf ihrem Herzen zu lasten schien. Aller Muth war, ihrem Aeußern nach, von ihnen gewichen. Was würden ihre Mitschüler in Leyden gesagt haben, wenn sie die zwei sonst so lebensfrohen Franzosen, den kecken Le Vaillant, der mit den verwegenen Blicken die Welt erobern zu wollen schien, den milden La Paix, dessen immerwährende Freundlichkeit sprüchwörtlich geworden war, in diesem Zustande erblickt hätten?

Juliane, die sie heimlich, aber sehr aufmerksam beobachtete, holte ihre Laute hervor, ließ ein Paar Griffe durch die Saiten rauschen und sang ein munteres französisches Liedchen, das zu Freude und Frohsinn aufforderte. Die Studenten hatten das Ansehen, es nicht zu hören. Die Falten von ihrer Stirn wichen nicht, der Ausdruck tiefen Grams beharrte in ihren Mienen. Da legte Juliane das Instrument weg und näherte sich ihnen mit theilnehmender Gebehrde. Sie glaubte den Augenblick günstig, wieder eine Art von Vertraulichkeit mit ihnen anzuknüpfen, die ihr zur Ausführung ihrer still entworfenen Plane behülflich seyn sollte. Der Schwermüthige ist nicht grob, dachte sie, er giebt im schlimmsten Falle keine Antwort und darauf hin kann ich's wagen.

»Verbannt Euern Kummer, Messieurs!« sagte sie, indem sie den Studenten in den Weg trat. »Heute mir, morgen dir! sagt das Sprüchwort, und alle Dinge in der Welt sind veränderlich, wie Ihr wißt. Was habt Ihr auch groß zu klagen? Ihr seyd hier in so guter Gesellschaft, als sich nur auf irgend einem holländischen Schiffe findet, Ihr werdet anständig behandelt, als Kriegsgefangene, und Ihr dürft nur wollen, so werde ich selbst gern mich bemühen, Euch die Zeit auf eine angenehme Weise zu verkürzen. Habt Ihr noch sonst ein Begehren? Entdeckt Euch mir. Juliane ist gewiß Euere Freundin und wird Alles thun, Euere Wünsche zu befriedigen. Sprecht! Fehlt Euch etwas?«

»Eine Kleinigkeit, Mademoiselle,« versetzte, nachdem er einen langen starren Blick auf sie gerichtet hatte, in dumpfem Tone La Paix. »Wir sind wahnwitzig: weiter nichts!«

Juliane bebte zurück. Die beiden jungen Leute hatten in der That Etwas in ihrem Wesen, das den Worten desjenigen, der zu ihr gesprochen hatte, Bestätigung zu verleihen schien. Sie sah sich furchtsam um, ob auch Leute in der Nähe seyen, die ihr im Falle der Noth Beistand leisten könnten. Zu ihrem Troste stand ihr Vater nicht weit und einige Matrosen, die ihr Ruf sogleich erreichen konnte, waren in der Nähe beschäftigt.

Ihre Bestürzung wurde sogleich von La Paix bemerkt. Er trat rasch auf sie zu, ergriff stark die Hand der sich Sträubenden und hielt sie, trotz aller Versuche von ihrer Seite, sie ihm zu entziehen, fest in der seinigen.

»Ja, Mademoiselle, wir sind wahnwitzig und ich sage dieses, nicht etwa um Euch zu täuschen, sondern im vollen Ernste,« fuhr La Paix in einem noch hohleren Tone, als er vorher angenommen hatte, fort. »Es ist ein Familienfehler bei meinem Freunde und mir. Wenn unser Uebel zum Ausbruche kommt, kann uns niemand widerstehen. Menschenhände sind nicht fähig uns zu greifen, Menschenkraft vermag nicht uns zu bewältigen. Wir zertrümmern Alles, wir vernichten Alles, was sich in unserer Nähe befindet. Nichts was nied- und nagelfest, ist vor uns sicher und – ich muß das Aergste gestehen! – wir sehen in unserer Verblendung Alle, die dem weiblichen Geschlechte angehören, für Raubthiere an, die wir von der Erde vertilgen müssen und kostete es unser eigenes Leben. So ist es, unvergleichliche Juliane! Einem solchen Ausbruche geht dann immer ein Zustand der Schwermuth, der Beängstigung, einer kaum zu ertragenden Niedergeschlagenheit voran, wie ungefähr Derjenige, in dem wir uns jetzt befinden. Wir sehen dann allerlei Phantome, ganz gewöhnliche Dinge und Menschen erscheinen uns wunderbar und seltsam, ganz anders, wie sie in der Wirklichkeit sich verhalten. So kommt Ihr zum Beispiel, treffliche Mademoiselle, mir in diesem Augenblicke einigermaßen wie die heidnische Zauberin Circe vor. Es ist mir, als hättet Ihr wie jene gewaltige Dame des Alterthums die Passion, Menschen in Thiere zu verwandeln, und es fehlte Euch nichts dazu, als die Macht. Aber meine Einbildungskraft stürmt dann, ohne daß ich sie zu zügeln vermag, immer weiter. Ihr verwandelt Euch vor meinen sichtlichen Augen. Jetzt, Mademoiselle, sehe ich Euch mit einemmale ganz anders, als vorher. Bei allen Stürmen des Hollands-Diep und des Biesbosches, Ihr seyd der Drache, der das goldene Vließ bewacht, und ich bin Jason, der Held der Argo, der gekommen ist, Euch zu ermorden! Medea, die Hexe, steht mir bei, ich vergifte Euch, ich verbrenne Euch in feueriger Lohe – Beruhigt Euch, holdselige Juliane!« sprach er weiter und verwandelte den wilden schreienden Ton, durch den er sie entsetzt und fast zu dem Entschlusse, nach Hülfe zu rufen, gebracht hatte, in den Laut sanfter Schwermuth. »Seyd ohne Furcht, Allerliebenswürdigste! Dergleichen Anwandlungen sind nur vorübergehend, wie Wetterleuchten vor dem Ausbruche des Gewitters. Für heute habt Ihr nichts zu besorgen. Le Vaillant und ich, wir halten uns noch bis morgen. Es können noch einzelne Zufälle sich zeigen, aber die sind unschädlich. Ihr werdet uns in eine immer tiefer werdende Schwermuth versinken, vielleicht Ströme von Thränen vergießen sehen, eine seltsame Einbildung wird die andere jagen – das darf Euch nicht kümmern, das ist nur noch der leichte unschuldige Zeitvertreib des Wahnwitzes. Aber morgen, morgen –« setzte er, mit einem tiefen Seufzer, bedeutungsvoll hinzu, »morgen erscheint der Tag des Kampfes, der Vernichtung, des blutigen Verderbens. Dann stehe ich für nichts. Dann vermögen keine Stricke, keine Banden, keine Ketten uns zu halten!«

»Ihr wollt nur scherzen!« sagte Juliane mit einem erzwungenen Lächeln, indem sie sich fort und fort bemühete, ihre Hand aus des jungen Mannes pressender Rechten loszuwinden. »Ihr und Euer Freund habt zwar ein betrübtes Ansehen, aber keineswegs das von tollen Leuten. Der Rosoli meines Oheims spukt Euch wohl noch im Kopfe und wenn der verflogen ist, werden auch wohl die Wahnbilder aus Eurem Gehirne entweichen.«

»O daß es so wäre!« erwiederte La Paix mit gedämpfter Stimme und zum Himmel gerichteten Blicken. »Aber ich kenne uns: den schrecklichen Le Vaillant, wenn sein Unstern über ihn aufgeht, und mich, der sich selbst in den Augenblicken der Wuth verschlingen möchte. In Leyden, der herrlichen Universitätsstadt, nennt man uns nur den Löwen und den Tiger; denn man hat uns gesehen in dem furchtbaren Zustande, der die Welt zu vernichten droht, man verschloß alle Thore, man ließ Regimenter gegen uns marschiren – Alles vergebens! Die Wuth mußte sich in sich selbst verzehren. Dann waren wir wieder die besten Bursche von der Welt und tranken Brüderschaft mit den Soldaten und den Commilitonen, die wir vorher angefallen hatten wie reißende Thiere. Ihr wißt nun Alles. Ihr seyd gewarnt. Laßt jetzt ab von mir, denn ich fühle, daß meine Einbildungskraft wieder anfängt sich zu regen! Es könnten sich Gestalten zeigen, ich könnte Dinge sprechen – Ja, ja, trefflichste Juliane! Es ist besser, wir brechen jetzt ab. Erwägt Alles wohl, was ich Euch entdeckt habe. Morgen, morgen wird Blut fließen in Strömen, vielleicht das Euerige, das noch heute Euere Wangen röthet, das noch heute Euer edles Herz hebt zu gefühlvollen Schlägen für die halbe Menschheit!«

Juliane wußte noch immer nicht, ob das was sie hörte, Scherz oder Ernst sey. Dennoch ließ ihre natürliche Furchtsamkeit, die sie auch jetzt, nach ihrer sonstigen Gewohnheit, unter muthig klingenden Worten zu verstecken strebte, sie das Schlimmste erwarten.

»O ich habe ganz andere Dinge gesehen!« versetzte sie, aber nicht in jenem muthwilligen Tone, wie sie dieselbe Redensart bei dem übereilten Zweikampfe zwischen den beiden Studenten vorgebracht hatte. »Ich fürchte mich nicht. Mein Vater ist da, der Bootsmann ist ein starker Mann und von den übrigen Leuten steht einer immer für zwei.«

La Paix antwortete nichts. Mit einem großen, bedauernden Blicke betrachtete er das Mädchen von oben bis unten, schüttelte traurig den Kopf und preßte aus tiefer Brust einen so klagenden Seufzer, daß er Julianen durch Mark und Bein ging.

»Schade um das reizende Wesen!« sprach er dann, sie mit gläsernen Augen anstarrend, dumpf in sich hinein. »Heute noch so schön und morgen – Tod – Blut – Asche!«

Er wandte sich mit seinem Freunde ab und ging nach einer andern Seite. Juliane sah ihnen zitternd nach. Ein Frösteln zog durch ihre Glieder. Sie versuchte zu lächeln; sie mußte mit den Zähnen klappern und Thränen traten ihr in die Augen. Es war bereits dämmerig geworden. Die Düsterheit, die auf den Wellen und auf dem Schiffe lag, erhöhete das unheimliche Gefühl, von dem sie sich ergriffen fand, um Vieles.

»Es ist Alles Lüge, es ist Alles lächerlich!« sagte sie sich selbst. »Wie können denn zwei Menschen den vereinten Anstrengungen so vieler andern widerstehen, wenn diese sich ihnen entgegenwerfen im Ausbruche ihrer Tollheit, um sie zu bändigen und zu knebeln? Pah! ich glaube nichts von dem ganzen Geschwätz. Das ist Prahlerei, blauer Dunst!« Aber in ihrem Innern sprach eine Stimme, die den gewaltsam aufgebotenen Muth zu Schanden machte. Sie war in früheren Jahren einmal bei einer Verwandten in Friesland zu Besuch gewesen. Dort brachte es die Sitte mit sich, daß Frauen und Jungfrauen sich öfters zu Abendversammlungen zusammenfanden, in denen alte seltsame Geschichten erzählt wurden, deren Inhalt gewöhnlich die Herzen mit Schauder erfüllte, und die Gemüther zu Bangigkeit und Zagen stimmte. Dort war auch von den ehemaligen friesischen Königen erzählt worden, von gewaltigen Seehelden, die weit vom Norden herabgekommen waren und Wunder der Kraft und der Tapferkeit verrichteten. Wenn diese nun in Zorn geriethen, so waren sie in eine Wuth verfallen, deren Aeußerungen keine Gewalt, keine Uebermacht zu hemmen vermocht. Es war über sie gekommen, wie eine Krankheit. Nicht alle waren ihr unterworfen gewesen, nur einzelne, und man hatte dieses Uebel die Berserkerwuth genannt. Juliane dachte in ihrer Aufregung nicht daran, daß die zwei jungen Leute nichts weniger, als Nordlands-Reken seyen. Die Stimme aus ihrem Innern rief ihr nur immer zu: »Juliane, Juliane, dein letztes Stündlein ist nahe! Du hast dich des Lebens erfreuet, aber du wirst nun bald starr, blutig und kalt daliegen.« Sie konnte mit allem Aufgebote ihrer Besonnenheit diese Stimme nicht zum Schweigen bringen. In diesem Kampfe widriger Zweifel zog sie sich an das Steuerruder neben ihren Vater zurück und verfiel hier in ein tiefes Nachdenken. Von Zeit zu Zeit warf sie aber doch einen und den andern verstohlenen Blick auf die beiden Studenten, deren dunkele Gestalten sich in der Dämmerung schattenartig am Vordertheile des Fahrzeuges hin und her bewegten.

» Cadédis!« sagte Le Vaillant, als er sich mit seinem Freunde allein und unbelauscht sah, zu diesem. »Du treibst es zu weit. Einen kleinen Tick ließ ich mir schon gefallen, aber du machst uns ganz und gar zu Narren und ich will es loben, wenn man nicht hinterrücks über uns herfällt, um uns gebunden an einen sicheren Ort zu bringen.«

»Der Spaß war köstlich!« versetzte leise der Angeredete. »Er hat mich aus meiner trübseligen Stimmung herausgerissen, er hat mir meine Ruhe wiedergegeben. Wie die schöne Sünderin zitterte um das Bischen Leben, das sie so übel anwendet, wie sie ihre Hand so gern losgerungen hätte, aus der des Wahnwitzigen, wie ihre Seele gepeinigt und geprickelt wurde zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Grauen und dem lächerlichsten Wahne! Le Vaillant, du thust mir leid, denn bei deiner Denkart, bei deinen Gefühlen, die nur rasch und heftig, aber nicht tief und ergreifend sind, konntest du unmöglich den Genuß haben, den mir die Folterqual der listigen Gaunerin gewährte. Deine Besorgniß ist thöricht. Sie wagt nichts gegen uns, sie fürchtet den Alles vernichtenden Ausbruch unserer Wuth zu beschleunigen. Ich ahne, daß noch ganz andere Dinge sich aus meinem glücklichen Einfalle entspinnen werden. Halte dich nur immer hübsch ruhig an meiner Seite. Schlage die Arme unter, wie ich, hefte die Blicke auf den Boden, nimm einen langsamen abgemessenen Schritt an, bleibe stehen, wenn ich stehen bleibe, stöhne kläglich, wenn ich es thue, genug, folge in Allem meinem Beispiele und du wirst sehen – es ist unser Schade nicht!«

Trotz der einbrechenden Nacht schwebte der Kutter noch immer mit ausgespannten Segeln über die Wellenfläche hin. Laternen waren ausgehängt worden, die Strahlen des Mondes zitterten auf dem bewegten Wasser und ließen nach der linken Seite hin einen dunkeln Streif sehen, der das Uferland bezeichnete. Bei der milden Luft, welche Abends der frischen Kühle des Tages gefolgt war, blieben die meisten der Leute auf dem Verdecke, wo sie sich mit Segelflicken, Netzausbessern und dergleichen beschäftigten. Nur Capitän Jonas, der den Abend gern ruhig in seiner Cajüte bei der Madeiraflasche zubrachte und diejenigen der Matrosen, denen die heutige Nachtwache zufiel, hatten sich zurückgezogen. Juliane saß noch immer in Sinnen verloren an einer Stelle, wo sie durch die arbeitenden Matrosen von den Gefahr drohenden Gefangenen geschieden war. Diese beharrten in ihrer Theilnahmlosigkeit, in ihrem düstern Hinbrüten. Mit untergeschlagenen Armen wandelten sie auf und nieder, kein Wort ging über ihre Lippen, nur tiefe, lauthallende Seufzer, die selbst bis zu der fernen Juliane herüberdrangen, entquollen von Zeit zu Zeit ihrer Brust.

Es mochte gegen die zehente Abendstunde seyn, als auf des Steuermanns Geheiß, der im Auftrage seines Capitäns befehligte, nicht weit vom Lande die Anker ausgeworfen wurden. Einige Matrosen lagen schon schlafend auf den Bänken des Verdeckes, andere rüsteten sich, ebenfalls zur Ruhe zu gehen. Niemand schien sich um die Kriegsgefangenen zu kümmern.

»Kannst du schwimmen, La Paix?« raunte diesem sein Freund zu. »Was mich betrifft, so getraue ich mich wohl, diese Handvoll Wasser zu durchschneiden, wie ein Delphin, und in zehn Minuten spätestens am Lande zu seyn. Morgué! ich habe dir ganz andere Kunststücke gemacht in dieser Gattung. Die Garonne ist Zeuge meiner Thaten gewesen und man gab mir wegen meiner Schwimmfertigkeit den Namen des Fisches, wie jenem Sizilianer, der einen goldenen Becher aus dem Schlunde der Charybdis holte.«

»Ich kann nicht schwimmen!« gab La Paix trocken zur Antwort. »Es ist auch gar nicht nöthig, daß du deine Fischnatur zu besonderen Anstrengungen in diesen Gewässern aufbietest, die vielleicht nicht so freundlich seyn dürften, wie deine heimathliche Garonne. Gedulde dich nur eine ganz kurze Zeit und ich verspreche dir, man wird uns auf die höflichste Weise einladen, ein Boot zu besteigen, das uns frei und ledig an's Land bringt, die vortreffliche Juliane selbst wird sich alle Mühe geben, uns – vielleicht noch mit einiger Berücksichtigung ihres zeitlichen Vortheils – von dem lustigen Freier von Rotterdam wegzuschaffen und dann – nun dann können wir ja, wenn es uns beliebt, die Barke des Sire Jansen erwarten und unsern Plan auf die schöne Clelia verfolgen.«

Früher, als La Paix selbst erwartet hatte, ging seine Prophezeiung in Erfüllung. Das letzte Wort war kaum seinen Lippen entschwebt, so fühlte er sich an seinem Kleide gezupft. Um nicht aus seiner Rolle zu fallen, wandte er sich mit einem schweren Seufzer um. Einer der Schiffsjungen stand vor ihm, aber mit so gerader und argloser Miene, daß der Student wohl einsah, diesem ahne nichts von den entsetzlichen Dingen, welche Juliane befürchtete.

»Die Schiffsjungfer läßt Euch grüßen!« sagte vertraulich und leise der Knabe, so daß es nur die beiden Jünglinge hören konnten. »Sie hat Mitleid mit Euch und sähe es nicht gern, wenn Ihr in's Unglück geriethet. Sie will suchen, einige Matrosen zu gewinnen, die Euch heimlich, während der Capitän bei'm Weine sitzt, an's Ufer bugsiren. Aber dazu braucht sie Geld oder Geldeswerth. Sie meint, der Ring, den der Junker am Finger trägt, wäre wie dazu gemacht, die Leute zu verblenden. Er soll ihr ein Zeichen seyn, daß Ihr den Vorschlag annehmt. Gebt ihn! Im Augenblicke hat ihn die Schiffsjungfer, in einer Viertelstunde seyd Ihr am Lande!«

» Sandis! Wenn es nur daran liegt!« fuhr Le Vaillant heraus und gab ihm den Ring. »Jetzt geh, schaffe die Leute und das Boot. Ich wußte doch, daß die listige Hexe mich noch um den Ring bringen würde! Aber es geht nichts über die Freiheit und lieber frei bei einem Stücke Haferbrot und einem Glase Wasser, als gefangen bei Rehbraten und Champagnerwein.«

»Unbesonnener!« zürnte La Paix halblaut zu ihm hin. »Wir wären auch ohne dieses Opfer zum Ziele gekommen! Geh, mein Sohn,« wandte er sich dann in einem hohlen dumpfen Tone, der den Knaben wirklich stutzen machte, zu diesem: »sage deiner Jungfer, wir sendeten ihr den Ring, weil in unserem Zustande nichts Irdisches mehr einen Werth für uns hätte. Im Uebrigen möge sie thun was sie wolle, sie möge uns an Bord behalten oder ans Land bringen lassen: morgen breche der Tag der Schrecken an, die sie kenne, die keine Gewalt der Erde abzuwenden vermöge!«

Verblüfft schlich sich der Junge fort. Während Le Vaillant seinen Gefährten noch mit Vorwürfen bestürmte, daß er Julianen eine Antwort ertheilt, die sie leicht in ihren günstigen Gesinnungen schwankend machen könne, hörten sie plötzlich zu ihrer Seite ein Plätschern im Wasser. Ein Blick über den Schiffsrand belehrte sie, daß ein Boot schon losgemacht sey, daß mehrere Matrosen im Begriffe waren, leise hinabzusteigen, daß Juliane auf diese Weise ihr Wort lösen und, wie La Paix einsah, sich von den Gegenständen ihrer Furcht befreien wollte.

»Kommt mit mir!« flüsterte ihnen der Junge zu, der vom Steuerborde zurückgekehrt war. In wenigen Augenblicken saßen sie in dem Boote, die Ruderer rührten emsig die Arme, weder über ihre Lippen, noch über die der jungen Leute ging eine Silbe. Der dunkle Streif, der vor ihren Blicken lag, kam ihnen immer näher, die höher gehenden Wellen, die sich an den Faschinendämmen des Ufers brachen, erhielten das kleine Fahrzeug in heftiger schaukelnder Bewegung. Fern herüber leuchteten die Laternen des Kutters. In ängstlicher Spannung sahen die Studenten auf diesen. Bald schien es ihnen, als erblickten sie viele dunkle Gestalten, die sich in unruhigem Treiben vor den Lichtern hin und her bewegten, es war ihnen, als vernähmen sie verworrene Stimmen vom Schiffe herüber, sie glaubten ihre Flucht entdeckt, vielleicht von der treulosen Juliane selbst verrathen; dann dünkte sie es gar, der Kutter rücke von seiner Stelle, ihnen nach und seine Gestalt vergrößerte an dem Dämmerglanze des Horizonts sich zu einem furchtbaren, gigantischen Schiffsungeheuer. Aber sie erkannten leicht die Bilder des Wahns, welche die erregte Phantasie ihnen vorführte. Keine Verfolgung bedrohete sie mit neuer Gefangenschaft, kein Hinderniß trat ihnen in den Weg. Die kundigen Matrosen fanden einen Platz, welcher zum Landen geeignet war. La Paix und Le Vaillant sprangen, ohne eine Einladung hiezu abzuwarten, an's Ufer. Sie vernahmen, daß man ihnen etwas nachwarf. Es waren ihre Degen, die sie freudig aufrafften, um sich sogleich damit zu umgürten. Das Boot stieß ab. Sie standen allein an einer flachen öden Küste, in einem unbekannten Lande, ohne Freund, ohne Führer. Nirgends war ein Strauch oder ein Baum zu erblicken, kein gastliches Obdach zeigte sich, wohin sie die Augen auch richteten.

»Was nun?« sagte La Paix, indem er sich vergebens nach einem betretenen Pfade umsah. »In diesem verwünschten Sumpflande, zwischen den labyrinthisch verschlungenen Canälen ist es gefährlich, Nachts umherzuirren. Hier am Ufer in der Nähe des Kutters den Tag abzuwarten, möchte ich ebensowenig rathen –«

»Alberne Bedenklichkeiten!« rief sein Freund. »Vorwärts, immer vorwärts, das ist der Wahlspruch meines Hauses, seitdem einer meiner Ahnherrn die eisernen Reihen der Schweizer in der Schlacht bei Marignano durchbrach! Cadédis! Wir wollen dieses Land im Sturm erobern, du und ich, und wenn es von unzählichen Morästen und Canälen geschützt wäre. Vorwärts, La Paix! Unser gutes Glück wird uns führen.«

»Meinetwegen!« antwortete sein Gefährte. Ihre Leitung dem Zufalle überlassend, schritten sie rasch am Ufer hin in die von Mond- und Sternenlicht sanft erhellte Nacht.


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