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8.

Niemand verlebte indessen eine trostlosere Zeit, als der Professor Eobanus Hazenbrook. Täglich mußte er aus dem Fenster der unbequemen Wohnung, in die er sich der Wissenschaft zu Liebe einquartirt hatte, die köstlichen Gerichte vorübertragen sehen, welche der Doctor Mauritius seinem Patienten schickte. Dieser aber selbst blieb ihm unsichtbar und schien für ihn ein Gegenstand unerreichbarer Wünsche geworden zu seyn. Hoffen und Harren macht Manchen zum Narren! Dieser Spruch lag ihm immer im Kopfe und ob es ihm auch dünkte, daß er nahe daran sey, den Verstand zu verlieren, so konnte er doch nicht ablassen, nach dem verhängten Fenster sehnsüchtig hinaufzuäugeln und eine Zukunft zu ahnen, die ihm alle Entbehrungen, alle Leiden des Körpers und des Geistes reichlich vergelten würde.

Eobanus hatte das Bedürfniß oft in Gesellschaft zu seyn. Vor der Mumienangelegenheit aber mußte alles Andere zurückstehen. Er beschloß, sich in die Umstände zu schicken und nur eine Morgenstunde unter den Leuten, die sich in der Schenkstube des Hauses um diese Zeit versammelten, hinzubringen. Freilich fand er Anfangs die Unterhaltung der Matrosen und Lastträger nicht ganz nach seinem Geschmacke, als er aber erfuhr, daß Peter Trip, dessen sich der gütige Leser wohl noch als eines immerdurstigen Untergebenen des Capitän Jansen erinnert, in früheren Jahren in Alexandrien gewesen sey und von da mit einem gelehrten Reisenden eine Wanderung in das Innere Egyptens unternommen habe, rechnete er diese Stunden zu den köstlichsten seines Lebens. Er nahm nun seinen Platz immer neben Peter ein, der sehr in seiner Achtung gestiegen war, bewirthete ihn täglich und notirte, was dieser zum schuldigen Danke über die Pyramiden und ihre Katakomben berichtete, sorgfältig in sein Gedächtnißbuch. So geschah es, daß beide herzinnige Freunde wurden: der Professor aus Begeisterung für das Land, das der Nil bewässert, Peter Trip aus reiner Liebe zum Wachholder.

Am Meisten kränkte es den Professor, seinen wohlbeleibten Gegner, den Doctor Mauritius, immer mit einer Miene aus dem Hause des Herrn Tobias zurückkehren zu sehen, in der sich Vergnügen und Selbstzufriedenheit malten. Was konnte diese anders erzeugen, als das Gelingen, der glückliche Fortgang seiner entsetzlichen Cur? In den triumphirenden Blicken, in dem breiten Lächeln, das auf den vollen Wangen des Leichendoctors lag, glaubte Eobanus das Vernichtungsurtheil seiner letzten, ohnehin nur schwachen Hoffnung zu lesen. Gewiß war Herr van Vlieten schon auf dem besten Wege, ebenso corpulent, ebenso fett und nutzlos für die Kunst der leiblichen Verewigung zu werden, wie Mauritius selbst. Des Professors Phantasie, die sich freilich nur für einen Gegenstand, aber für diesen grenzenlos entflammte, malte dann in's Große. Tobias trat auf ihn zu in dem allbekannten zimmetfarbenen Ueberrocke, aber er war ihm an allen Ecken und Enden zu eng geworden. Mit großer Mühe schien der Rock über dem gerundeten Bauch zusammengeknöpft und mit einemmale sprangen mit lautem Geräusche die Knöpfe und der Rundbauch in der schwarzen Sammetweste trat weit über die zurückfahrenden Schöße des kaneelfarbigen Kleides hervor. Ansehnliche Waden strotzten unter dem Kniebande gleichsam höhnisch nach Hazenbrook hin, die Farbe der Wangen war weiß und glänzend geworden, die sonst nadelfeine Spitznase hatte sich zwischen den herausquellenden Pausbacken in ein angenehmes Stumpfnäschen verwandelt und das Stumpfnäschen rümpfte sich, als das abscheuliche Bild lebenslustige Blicke auf Eobanus warf, als der schwellende Mund sich zu einem malitiösen Lächeln verzog, und die Mißgeburt seiner Phantasie nun in jenem dicken, gedämpften Tone, der auch den Fettansatz in Brust und Hals verrieth, zu sprechen begann: »So du lange lebest auf Erden, so du vergnügt bist! Der Heer Eobanus Hazenbrook, Professor vielberühmter Lugduner Academie, wie auch Custos theatri anatomici, ist in einen tiefen Irrthum versunken, wenn er sich schmeichelt, mich einzuschlachten für seine egyptische Vorzeit. Jetzt erst fängt mir's an, recht wohl zu werden auf der lieben Welt, ich will mir Gutes thun und gedeihen, und ich hoffe unter dem Beistande des würdigen Doctor Mauritius, der die rechte Behandlungsart getroffen, meine hundert Jährchen herauszubringen. Ja, Myn Heer Professor, es ist mir selbst gar nicht bange dafür, die Nachricht von Euerem zeitlichen Hintritt noch lange vor dem meinigen zu vernehmen und zum Danke für Euere guten Absichten mit mir sinne ich schon darauf, einen Bleikeller, gleich dem in der guten Stadt Bremen erbauen zu lassen, in welchem dann Euer Balg verwahrt werden soll, bis zum Stündlein des jüngsten Gerichtes!« – So ungefähr redete Hazenbrook sich selbst im Namen des Herrn van Vlieten an. Nichts aber war dem Professor verhaßter, als jene Bleimumien, die sich in dem gedachten Keller und in einigen Kirchengewölben finden. Sie existirten weder für, noch durch die Wissenschaft. Sie äfften das Leben nach, aber nur das gegenwärtige bedeutungslose, nicht ein altvergangenes, klassisches, das geheimnißvoll durch Jahrtausende gehegt worden war und, wenn man ihm nachspürte, schon in seinen Nebendingen eine Quelle von Bereicherungen für die Wissenschaft ward. Er rief Trip, den er über die Straße gehen sah, herauf, um sich von ihm die häßlichen Bilder ausreden zu lassen. Trip kam gern und bald befand sich Hazenbrook durch seine Erzählungen wieder seelenfroh an die Ufer des Nils versetzt. Er lauschte und lächelte. Er war ganz Ohr: warum besaß er nicht das Wünschhütlein des Fortunatus, um im nächsten Augenblicke im Innern einer der wunderbaren Pyramiden von Sakhara oder Ghizeh zu sitzen und in den Grabmälern längst entschlafener Könige, als ein wissenschaftlicher Leichenwurm, herumzustöbern? –

Uebrigens befand sich Herr van Vlieten keinesweges in einem so behaglichen und gedeihlichen Zustande, wie Eobanus fürchtete. Die veränderte Lebensweise wirkte nachtheilig, statt günstig auf ihn. Die reichlichen, nahrhaften Mahlzeiten erschöpften seine Kräfte, indem sie diese für Augenblicke erhoben, denen dann wieder Stunden der tiefsten Abspannung folgten. Mauritius versicherte zwar täglich, es gehe besser, der Puls sey lebenskräftiger und frischer geworden und es unterliege keinem Zweifel, daß, wenn Herr Tobias fortfahre, Rindfleisch und Kartoffeln zu speisen, die vollständige Genesung bald erfolgen werde; allein der Patient selbst empfand eine fortschreitende Abnahme der Kräfte, Kopfschmerz und Fieber plagten ihn unaufhörlich, keine Nacht wollte ihm den ersehnten Schlaf bringen. Wenn er das dem Doctor klagte, so lachte dieser und sprach: »Habt auch Ihr den thörigten Glauben, daß der Schlaf das Zeichen einer gesunden Natur sey? Thorheit! Unsinn! der kraftlose, erschlaffte Körper unterwirft sich diesem sklavischen Zwange; der starke, genesende weiset ihn zurück. Es ist lächerlich, wenn man von einem alten Menschen behauptet, er habe siebenzig oder achtzig Jahre gelebt, da er, wenn er sich dem gewöhnlichen Mißbrauche des Schlafes hingegeben, doch nur fünfunddreißig oder vierzig Jahre gelebt, indem er die übrige Zeit verträumt und verschlafen hat. Schlaft nicht und seyd gesund, das ist besser, als wenn Ihr, wie ein Murmelthier in seine Höhle, Euch in das Federbett verkriecht, um jedesmal, wann es Nacht wird, bis zum andern Morgen einen todten Menschen vorzustellen.«

So wußte der Doctor Mauritius Alles zum Besten zu erklären und Tobias glaubte ihm gern, wenn er's auch anders fühlte. Der Doctor mußte es ja besser verstehen, als er, dafür hatte er studirt, strich zu Neujahr sein gutes Honorar ein und der Kranke dachte schon mit Grauen an die ungeheuere Rechnung, die jener für gelieferte Rindsbraten, Kapaunen, Welsche und Rheinweine aufstellen würde! Er war sehr vergnügt über die Besserung, die, nach Mauritius Aussage, von Stunde zu Stunde selbstständiger und offenkundiger wurde. Der Druck im Kopfe schmerzte ihn sehr, Hitze wechselte mit Frost, aber er lachte unter Zähneklappern und sagte seinem alten Geschäftsführer, der ihn täglich zu Abend besuchte, die Mittel des Doctors schlügen trefflich an, er fühle schon, daß er bald anfangen werde, sich wie ein Fisch im Wasser zu befinden und der Frost, der sich von Zeit zu Zeit melde, sey ein erfreuliches Vorzeichen dazu. Der alte treue Diener des Hauses sah ihn bedenklich an. Es wollte ihm vorkommen, als belebe eine ungewöhnliche Aufregung seinen wohlmögenden Patron, der nicht aufhören konnte, von den angenehmen Gefühlen des Frostes und der Hitze, von dem Nutzen der Schlaflosigkeit, von den vortrefflichen Heilkräften im Rindsbraten und in den Kartoffeln zu sprechen.

»Er liegt im Fieber, er phantasirt!« war das Resultat der Betrachtungen, die der Geschäftsführer über Herrn Tobias anstellte. »Sein Stündlein kann kommen, ehe er es selbst erwartet, und ich als ein christlicher Handlungsdiener muß dafür sorgen, daß er nicht hinfährt in seinen Sünden an den Ort der ewigen Fieberschauer, des Heulens und des Zähneklapperns. Ich will den Domine rufen. Er muß ihn vorbereiten, er muß die Seele reinigen vom sündigen Profit, den er an Caffee und Zucker, an Tabak und Indigo genommen.«

Der alte Mann schlich, während Herr van Vlieten noch im besten Zuge war, die Curmethode des Doctors Mauritius zu preisen, unbemerkt und leise zur Thüre hinaus. Der Patient bemerkte seine Abwesenheit nicht. Er sah den Schlafrock, der über einer Stuhllehne hing, für den Geschäftsführer an. Bei dem düsteren Lichte, das die sehr verdeckte Lampe verbreitete, konnte dieses um so leichter geschehen, da es in der Weise des Dieners lag, bei solchen Reden des wohlmögenden Patrons, die nicht bestimmte Fragen über Handlungsgegenstände enthielten, in ehrerbietiger Stille zu verharren. Nach einiger Zeit aber mußte Tobias verstummen. Der Reiz des Fiebers begann nachzulassen, er fühlte sich schwach, er griff nach der Weinflasche, die ihm, als ein vorzügliches Mittel die Kräfte wiederzubeleben, der Doctor vor das Bett gestellt hatte. Eben war er im Begriff, einen tüchtigen Schluck den übrigen, die diesem schon vorangegangen waren, folgen zu lassen, als die Thüre sich langsam öffnete und mit feierlichen Schritten der Domine hereintrat.

Ohne ein Wort zu sprechen, schritt er auf das Lager des Kranken los und nahm den Sessel ein, der zu dessen Füßen stand. Jetzt erst erblickte Herr Tobias die ganz schwarz gekleidete Gestalt. Er erkannte den Domine und verbarg die halb geleerte Flasche schnell unter sein Kopfkissen.

Die Nachrichten und Familienurkunden, welche uns zur Quelle unserer, will's Gott! dem Leser wohlgefälligen Erzählung dienen, enthalten keine nähere Mittheilung über die Unterredung des Domine mit Herrn van Vlieten. So viel aber ist gewiß, daß der Geistliche weit vergnügter fortging, als er gekommen war, daß er dem Geschäftsführer, der ihn draußen erwartete, die Versicherung gab, er habe den Leidenden in der allerchristlichsten Gemüthsstimmung verlassen und, daß gleich darauf die Schelle im Krankenzimmer den Hausknecht beschied, welchem Herr van Vlieten mit schwacher, aber ruhiger Stimme anempfahl, dem Doctor Mauritius fernerhin unter keinerlei Vorwand den Eintritt zu gestatten und noch in dieser Stunde das gotteslästerliche Bild des Schiwa den Flammen zu übergeben. Dann ließ er den alten Diener wieder eintreten. Er redete ihn sehr sanft, fast wehmüthig an. Er bat den hoch Erstaunten, ihm einige Capitel aus einem Erbauungsbuche vorzulesen. Nachdem dieses geschehen war, beurlaubte er ihn und fiel zum erstenmale, seit langer Zeit, in einen ruhigen, fieberlosen Schlummer.

Hazenbrook hatte das Kommen und Gehen des Domine wohl erlauert. Er ahnete die Wahrheit, es schien ihm auch ganz natürlich, daß Herr Tobias durch die unsinnige Cur des Doctor Mauritius hingeopfert werde vor der Zeit, wenn nicht etwa schlummernde Kräfte in seinem Körper zum siegreichen Widerstande erwachten, alle Angriffe der nahrhaften Speisen und geistigen Getränke zurück und in ihre entfernteste Zufluchtsstätte, in das Zellgewebe, verwiesen, damit sie dort unseliges, verabscheuungswürdiges Fett ansetzten. Das Letztere sollte nun freilich nicht erfolgen. Aber war Eobanus deshalb besser daran? Fett oder todt vor dem ausgesetzten Selbstlegate, das war für ihn die nämliche Sache: das eine wie das andere raubte ihm die hoffnungsvolle Aussicht, seinem Schooß- und Herzenskinde, dem Leydenschen Naturalienkabinet, mit einem jungen Egyptier, dem seine zwei, bis dreitausend Jährchen recht wohl anstanden, ein Geschenk zu machen.

Er lag noch spät im Fenster seiner Wohnung. Die Glockenspiele von den Thürmen kündigten eben die eilfte Stunde Abends an, als er einen letzten Seufzer zu dem dämmerigen Fenster des Herrn van Vlieten hinaufschickte und sich nun in sein Zimmer zurückziehen wollte. Da wurden seine Blicke von einer dunkeln Wolke, die gerade hinter der gegenüberliegenden Häuserreihe aufstieg, angezogen. Die Wolke breitete sich rasch aus, sie drängte sich unglückdeutend über dem Hause des reichsten Mannes von Rotterdam empor, rothe züngelnde Flammen folgten ihr in wenigen Augenblicken.

»Feuer! Feuer!« wollte der Professor schreien, aber das Wort erstarb ihm auf der Zunge. Er stand bewegungslos, stumm und starr, als schon das Getöse in den Straßen sich wild heranwälzte zu der Brandstätte, als die Melodieen der Glockenspiele in schaueriges Sturmgeläute übergegangen waren, als zahllose Menschen nach den Hintergebäuden des van Vlietenschen Hauses strömten, wo das Feuer ausgebrochen war. Die rothe Gluth am nächtlichen Himmel wirkte auf ihn, wie der Blick der Klapperschlange auf Thiere, die sie sich zum Opfer erkoren hat. Er konnte seine Augen nicht abwenden von den aufzischenden Flammen, er war nicht Herr seiner Bewegungen, seiner Sprache, er stand wie gebannt, obgleich ihm ein dunkeles Gefühl sagte: du mußt hinüber, aus diesem Brande kann dein Glück, wie der Phönix aus der Asche, erstehen, du mußt handeln und retten, du rettest dein besseres Selbst, du gewinnst der wissenschaftlichen Idee, für die du kämpfest und ringest, endlich ein Leben! –

Schiwa's Rache lag schrecklich auf den Gewölben und Speichern des Handelsherrn. Er war es, der noch im Untergange einen Triumph feierte, der im Sterben das befreundete Element, das so manches ihm einst dargebrachte Opfer verherrlichte, das nun zu seiner Vernichtung gebraucht wurde, aufgerufen hatte, seine Rache zu übernehmen. Noch einmal erschien seine alte Macht. Sie strebte in Gluthen zum Himmel und schien gegen diesen zu wüthen, daß er nicht hier die Tempel des Götzen dulde, wie in dem schöneren Hindostan. Darum also hatte man ihn gehegt und gepflegt viele Jahre hindurch im Prunkzimmer des van Vlietenschen Hauses, um seine geheiligten Glieder unter der Axt des Hausknechtes zu brechen, um sie in schnöde, unscheinbare Asche zu verwandeln, die vom Winde verwehet würde? Zündet nur! Brennt nur! In knisternden Funken flog der tückische Geist des Götzen empor in das Sparrwerk des weiten Waarenhauses, in dessen Nähe man ihm den Untergang in den Flammen bereitete, er nistete sich dort still ein und erst als die Nacht gekommen war, als der Friede sich in Sternenglanz und Himmelsdunkel zu der Erde neigte, da brach die verhaltene Wuth des Ergrimmten los und warf sich zerstörend auf die Schätze seines Vaterlandes, die hier die Gewinnsucht aufgespeichert hatte.

Des Professors Bezauberung war noch nicht gelös't. Die Gebäude, die zu dem Hause des Herrn Tobias gehörten, besaßen einen ansehnlichen Umfang, sie nahmen fast ein ganzes Stadtviertel ein. Der Brand wüthete jenseits, noch war es in der Straße, nach welcher die Vorderseite des Wohnhauses ging, still geblieben. Als aber auch hier jetzt mehrere Leute heranstürmten, die verschlossene Thüre gewaltsam erbrachen und in das Innere drangen, fühlte Hazenbrook plötzlich seine Besinnung und seine Kraft zurückkehren. In unruhiger Hast flog er die Treppe hinab, aus dem Hause, über die Straße, jenen Leuten nach. Er sah sie im Hintergrunde des Hausganges, nach den vom Scheine des Feuers erhellten Höfen verschwinden. Das war sein Weg nicht. Er stieg die wohlbekannte Treppe hinauf. Hier war es still und dunkel. Tastend suchte er nach der Thüre, die in das Krankenzimmer führte. Er fand lange die rechte nicht, die Eingänge, auf die er traf, waren verschlossen. Da blieb er stehen und lauschte mit zurückgehaltenem Odem. Das Geschrei der Löschenden, der Klang der Sturmglocke drang dumpf zu seinen Ohren, aber dazwischen auch ein matter Seufzer, ein Geräusch, wie es die Bemühungen eines Kraftlosen hervorbringen können, der sich liegend auf dem Boden fortzubewegen sucht. Jetzt flammete ein neuer Feuerstrahl empor und sandte seinen rothen Schein durch ein Fenster, das bisher in Dunkelheit verborgen gewesen. Der Gang war erhellt, wie am Tage. Hazenbrook erkannte die Umgebungen. In einem Winkel, weit von ihm ab, lag die Thüre, die er suchte. Ebenso rasch, wie der Feuerstrahl aufgeschossen war, erlosch er wieder und die alte Finsterniß trat auf's Neue ein; aber Eobanus kannte nun einmal die Richtung, die er zu nehmen hatte, ging eilig vorwärts und stieß die nur angelehnte Thüre, hinter der noch einmal jenes Aechzen erklang, mit einer hastigen Bewegung auf.

Welcher Anblick bot sich ihm hier in dem durch die Nachtlampe nur spärlich erleuchteten Gemach! Der Kranke war allein, man hatte ihn wahrscheinlich, da die in den entlegenen Gebäuden wüthende Feuersbrunst die Thätigkeit Aller erheischte, vergessen. Diese Ueberzeugung schien sich ihm selbst mit der Furcht, hier verlassen und hülflos zuletzt ein Opfer des weiter um sich greifenden Brandes zu werden, aufgedrängt zu haben. Das Geschrei in den Straßen hatte sein Ohr erreicht, es hatte ihm das Unglück verkündet, das sein Eigenthum, seine ost- und westindischen Vorräthe getroffen. Der erste Schreck wirkte wie ein Blitzstrahl auf ihn. Es war ihm, als sey er mit einer unzerreißbaren Kette an sein Lager gefesselt. Dann aber gab ihm der entsetzliche Gedanke, bei lebendigem Leibe zu verbrennen, der mächtige Drang nach Selbsterhaltung einige Kräfte zurück. Er versuchte aufzustehen, er ergriff die nächsten Kleidungsstücke, in die er sich mühesam hüllte, er warf den dicken pohlnischen Schlafpelz um sich. Jetzt versuchte er sich der Thüre zu nähern, allein dieser Anstrengung war seine Kraft nicht gewachsen. Er sank zu Boden, er bewegte sich kriechend noch ein Wenig vorwärts, dann konnte er nicht mehr, er wurde ohnmächtig und ein schwaches Aechzen war das einzige Lebenszeichen, das er noch von sich gab.

So fand ihn der Professor. Die wissenschaftlichen Absichten, welche dieser mit Tobias hatte, wichen in den ersten Augenblicken den Gefühlen der Menschlichkeit, aber ganz konnte er doch eine angenehme Empfindung darüber nicht unterdrücken, daß er Herrn van Vlietens Angesicht und Gestalt wo möglich noch hagerer und ausgedörrter wieder fand, als damals, da er ihn zum erstenmale am Haven erblickt. Er beugte sich zu ihm nieder, er rief ihn laut bei Namen. Keine Antwort! Nur ein brechender Blick heftete sich auf ihn. Er fühlte nach dem Herzen. Es schlug noch, aber sehr schwach; ebenso der Puls. Das Geschrei von Außen ertönte lärmender und näher. Die Glocken stürmten heftiger. Da ergriff ein großer Gedanke den Professor.

»Ich will ihn dem Leben wiedergeben oder er soll, dem Mauritius und sich selbst zum Trotz, doch mein seyn im Tode. Aut Cesar, aut nihil. Ueber den Rubicon führt nur Kühnheit.«

So rief er pathetisch und sein Entschluß war gefaßt. Eobanus war ein großer Mann von gewaltigem Knochenbau und besaß eine ungewöhnliche Stärke. Wie eine Feder schwang er den leichten Tobias auf seinen Arm, wie eine Geliebte drückte er ihn an seine Brust. Ein süßes Gefühl kam über ihn. Endlich hatte er ihn, nach dem er so lange vergebens geschmachtet, endlich ruhete er an seinem Herzen. Er glaubte schon die köstlichste Mumie zu halten, mit geheimnißvollen Hieroglyphen bedeckt, die Sphinx, die in Zukunft allen Besuchern seines Museums ein unauflösliches Räthsel, zu dem er nur allein den Schlüßel besaß, bieten würde. Dennoch stand der Vorsatz fest in ihm, kein Mittel der Kunst unversucht zu lassen, das Leben des Hülflosen zu erhalten. Ganz im Hintergrunde seiner Seele keimte auch wohl die Hoffnung, daß in diesem Falle Dankbarkeit thun würde, was er im entgegengesetzten von seiner Geistesgegenwart und Verwegenheit zu erwarten hatte. Aber nur unter der Hülle des tiefsten Geheimnisses konnte er einen, wie den anderen Plan ausführen, kein Mauritius, kein Freund oder Bekannter des Herrn van Vlieten durfte ihn nur ahnen.

Ohne noch über die Art der Ausführung seines kühnen Anschlages mit sich einig zu seyn, verließ Hazenbrook das Gemach. Er trug seine theuere Last sehr vorsichtig, er nahm sich in Acht, mit ihr irgendwo anzustoßen. Plötzlich war die Furcht über ihn gekommen, man könne ihn überraschen und ernstlichen Einspruch thun. Jeder Augenblick längeren Verweilens schien ihm gefährlich, er betrat eilig den dunkelen Gang. Das Dämmerlicht, das aus dem Krankenzimmer hinter ihm herleuchtete, fiel auf eine offene Thüre gerade gegenüber. Ein kühler Luftzug strömte durch diese ein. Vielleicht bot sich ihm hier ein Ausgang, abgelegen und verborgen, wo er nicht fürchten durfte, Menschen zu begegnen. In der That führte hier eine schmale Treppe abwärts, dieselbe, über welche einst Clelia und Cornelius ihre Flucht bewerkstelligt hatten. Auf gutes Glück stieg Eobanus hinab. Nur schwach und selten ließen sich noch die Seufzer des Kranken vernehmen, desto lauter tobte draußen die Menschenmenge und die Sturmglocke.

Odemlos stand er endlich am Fuße der Treppe. Seine Rechte griff untersuchend an der Thüre hin und her, die ihm hier den Weg versperrte. Sie war nur durch einen Riegel von Innen verschlossen. Leicht schob er diesen zurück. Die schwere Pforte wich und er sah sich unter freiem Himmel, in einer Nebenstraße, nahe bei einem Canal, der diese durchschnitt. Aber dieser tröstliche Anblick war es nicht allein, der sich ihm bot. Zu seinem Entsetzen bemerkte er dicht vor sich zwei dunkele Mannsgestalten, die, wie es ihm schien, eben bemüht gewesen, die Thüre, durch welche er trat, von Außen zu öffnen.

»Wer da?« rief er mit der ängstlichen Heftigkeit eines trotzigen Sünders, der sich auf der That ertappt sieht.

»Peter Trip!« war die Antwort, die ihm wie Musik klang.

»Trip – du!« entgegnete freudig Hazenbrook. »Dich führt mein guter Genius, mein Spiritus familiaris, her. Sprich! Was schaffst du, was treibst du hier?«

»Nun,« erwiederte Peter mit verlegener Stimme, »mein Camerad und ich, wir stehen hier und mein Boot liegt dicht an im Canale. Wir sind da, um zu retten, Geld und Gut, Kostbarkeiten und Geräth –«

»Ich verstehe!« unterbrach ihn, den Stand der Sache überschauend, schmunzelnd Eobanus. »Ihr wollt in Euere Säcke retten, was hier in der entfernteren Wohnung die Flamme nicht erreichen kann. Aber ich weiß Euch einen sicherern und dabei ehrlichern Verdienst. Euer Boot ist da. Getrauet Ihr Euch wohl, mich mit dem Kranken, den ich hier in meinen Armen halte – einen meiner jungen Leute, welcher bei Herrn van Vlieten Tisch und Wohnung gehabt – unbemerkt und still zu Wasser aus der Stadt fort und dann weiter nach meinem Aufenthaltsorte Leyden zu schaffen? Ich habe meine Ursachen, daß Alles verborgen und heimlich betrieben wird. Zehn Dukaten für jeden, wenn wir an Ort und Stelle sind! Was sagt Ihr dazu?«

Peter zögerte einige Augenblicke, ehe er eine Antwort gab. Dann sagte er in bedenklichem Tone:

»Ein großes Kunststück wäre es nicht, Euch unbemerkt fort zu boogsiren! Wir haben das zu Nacht hundertmal getrieben, um das Havengeld zu sparen. Aber es ist so eine Sache – geradeheraus, Euere Ladung kommt mir verdächtig vor.«

»Dummes Zeug!« versetzte mit erzwungenem Lachen Hazenbrook. Zugleich schritt er ohne Weiteres mit dem Ohnmächtigen, dem er die Nachtmütze tief in's Gesicht gezogen hatte, rasch nach dem Boote hin. Während er dieses betrat und seine Last sanft auf die Bank niederließ, rief er nach den langsam folgenden Männern zurück: »Vorwärts, Ihr Leute! Sparet Euere unnützen Bedenklichkeiten! Außer der versprochenen Belohnung erhält noch jeder freien Brandtwein auf ein ganzes Jahr.«

»Freien Brandtwein auf ein ganzes Jahr!« wiederholte Trip in seligem Staunen. »Topp! Wir sind die Eueren mit Leib und Seele, mögt Ihr nun ein Schelmenstück oder ein ehrliches Werk vorhaben! das habt Ihr zu verantworten.«

Sie sprangen in das Fahrzeug und ihre kräftigen Arme brachten es rasch aus der Nähe des van Vlietenschen Hauses. Geräuschlos zog es über die schmale Wasserfläche der Canäle, zwischen den hohen Häuserreihen hin. Bald befand er sich in einer entlegenen Gegend der Stadt, wo man nur wenig mehr von dem Feuerlärm vernahm. Der röthliche Schein am Himmel wurde schwächer. Besorgt hatte Eobanus den kraftlos ächzenden Kranken in seinen Pelz gehüllt. Er lauschte auf seine Odemzüge, er hatte die Rechte auf sein Herz gelegt. Ihm selbst gingen tausend verwirrte Gedanken im Kopfe herum. Zunächst aber stand der Vorsatz in ihm fest, so bald sie glücklich die Stadt verlassen haben und sich im Canale von Leyden befinden würden, aus dem ersten Hause ein Bett herbeizuschaffen, um die Lage des Leidenden zu verbessern. Er war noch von ängstlichen Zweifeln über das Gelingen seines Unternehmens beunruhigt. Er blickte argwöhnisch nach den beiden Ruderern. Diesen aber schien es ganz gleichgültig zu seyn, welche Ladung ihr Fahrzeug enthielt. Ihre Gedanken schwelgten schon im Vorgenusse der reizenden Zukunft, die ihnen das Versprechen Hazenbrooks eröffnet hatte.


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