Johann Dietz
Meister Johann Dietz erzählt sein Leben
Johann Dietz

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Nachwort des Herausgebers

Meister Johann Dietz hat seine Biographie nicht ganz allein für sich geschrieben. Er hatte einen lehrhaften Zweck im Auge und setzte an manche Stelle, die ihm beachtlich schien, weil sie eine Lebenserfahrung brachte, ein großes Nota bene! Vielleicht hat Dietz daran gedacht, seine Lebensgeschichte zu veröffentlichen und starb darüber weg.

Allerdings konnte das Manuskript, wie es vorliegt, damals schwerlich gedruckt werden. Denn es ist zu indiskret. Dietz hat mit viel zu großer Unbefangenheit über sich und seine lieben Mitbürger geschrieben; er hat viel zu viel Namen genannt: Advokaten, Geistliche und Herren vom Rat, und hat einzelnen eine Charakteristik mit auf den Weg gegeben, die – eben weil sie treffend war – seinerzeit verletzen mußte! Diese Namen heute zu streichen, ist nicht nötig. Generationen sind darüber hinweggegangen, wer über diese alten Hallenser Familien und über die Zustände der Stadt nähere Nachricht verlangt, findet sie bei Johann Christoph von Dreyhaupt in der »Beschreibung des Saal-Creyses« (Halle 1755) und sei auch auf Gustav Frd. Hertzbergs »Geschichte der Stadt Halle a. d. Saale« (Halle 1889–93) verwiesen.

Und wer etwa zufällig in Christian Reuters famoser Lügengeschichte, in: »Schelmuffskys wahrhaftiger, curiöser und sehr gefährlicher Reisebeschreibung zu Wasser und Lande« nachblättern sollte, wird dort einen »berühmten Feldscher« finden, »welcher auch wacker wollte gereiset sein«. – Christian Reuter ist in Kütten, das dicht bei Halle, ungefähr nördlich von der Stadt gelegen ist, im gleichen Jahre wie Meister Dietz geboren. Als Reuter seinen Roman, zu dem ihm – wie bekannt – lebende Personen Modell gestanden, in den Jahren 1696/97 erscheinen ließ, war er über Halle und Leipzig mit keinem Schritt hinausgekommen. Ich will nun nicht sagen, daß Dietz jener berühmte und wacker gereiste Feldscher im Schelmuffsky sei. Denn auch andere Barbiere sind nach Handwerksbrauch gereist. Aber ich behaupte erst recht nicht: daß Dietz der im Schelmuffsky verewigte Barbier etwa nicht sei. Denn freilich ist er ein ganz klein wenig mehr in der Welt herumgekommen, als seine meisten Zunftkollegen.

Es ist ein Wagnis, die Autobiographie des Barbiers in die gefährliche Nähe von Reuters großartiger Lügendichtung zu rücken. Aber: Reuters Roman und Dietzens Lebensbeschreibung sind beide aus der gleichen bürgerlichen Sphäre geflossen, wenn Reuter auch mehr den Ton der Kneipe festgehalten, wenn Reuter auch die Wirklichkeit hinter satirischen Zutaten, hinter grotesken Übertreibungen mit seinen faustdicken Lügen versteckte. Der Chirurgus Dietz hat sich des langen Messers, das sein gleichaltriger Landsmann meisterlich zu handhaben verstand, nicht bedient. Akten und Urkunden sind vorhanden, um wichtige Abschnitte aus dem Leben des Barbiers einer genauen Nachprüfung zu unterziehen. Im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin finden sich die Verfügungen des Geheimen Rats, was die unteren Instanzen, die Dietz sehr häufig bemühte, verordneten, wird in den Archiven von Halle und Magdeburg zu suchen sein. Mir kam es nicht darauf an, die Akten auszuschöpfen.

Der Leser, der sich für die wirtschaftlichen Fragen jener Zeit interessiert, sei schließlich noch auf mein Buch – Ernst Consentius »Alt-Berlin Anno 1740« 2. Auflage, Berlin 1911 – verwiesen; das ihn über die ökonomischen Zustände etwa im Todesjahre des Meister Dietz eingehender unterrichtet.

Die Handschrift, die ich ihrem ganzen Umfange nach zum Abdruck gebracht habe, kann nicht für die eigenhändige Niederschrift des Meister Dietz gelten, vielmehr handelt es sich um eine gleichzeitige Abschrift, der das Titelblatt fortgerissen ist. Dies Manuskript stellt einen schlechten Quartband von 173 beschriebenen Blättern dar. Der Schreiber hat manches sinnwidrig entstellt. Bei dem Zustande der Satzeinteilung, bei der mangelnden Interpungierung und bei der sehr willkürlichen Schreibung in sächsischem Dialekt würde ein diplomatischer, buchstabengetreuer Abdruck die Lesbarkeit erheblich erschwert haben. An mehr als einer Stelle ist der Sinn überhaupt nur durch Konjekturen zu erschließen. Doch möchte mit einer umständlichen Liste, wo ich in Einzelheiten von dem Originale abgewichen bin, der Mehrzahl der Leser wenig gedient sein. Wer daran ein Interesse nimmt, findet die Handschrift selbst auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin, wo sie unter der Signatur: – Nic. 229. 4° – verwahrt wird.

Das Manuskript ist aus Friedrich Nicolais Besitz an die Königliche Bibliothek zu Berlin gekommen. Der ramponierte, zerstoßene, schmutzige Band trägt noch jetzt, auf der Innenseite des Deckels, das Exlibris des einstigen Besitzers: »Friederici Nicolai et Amicorum«, und auf diesem Exlibris die alte Nicolaische Bibliotheksnummer: »M.S.3«.

Daß die äußerlich sehr unscheinbare, schlechte Handschrift bei Lessings Freunde Nicolai eine Unterkunft gefunden, hat sie aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Untergänge gerettet. Das ist ein artiger Zufall. Denn ein Freund der Literatur, die aus den Kreisen des Handwerks kommt, ist Nicolai niemals gewesen!

Ein Freund Nicolais, der dessen beträchtliche Bibliothek benutzte, wie es die liberale Bestimmung von Nicolais Bücherzeichen wünschte, hatte seinerzeit Freude an unserer Handschrift. Er schrieb sich ein paar Episoden ab und heftete seine Blätter an einen umfangreichen Folianten, der den Titel führt: »Annales Berolino Marchici 965–1740«. Auch diese Handschrift ist heute im Besitze der Königlichen Bibliothek zu Berlin: – Ms. boruss. fol. 29 –. Die letzten Seiten dieses dicken Manuskriptes bringen einen kurzen Auszug aus des Meister Johann Dietz' Lebensbeschreibung mit der treffenden Überschrift: »Zur Brandenburgischen Geschichte zu Ende des 17ten Seculi«.


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