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Dies ist kein Märchen

Wenn man ein Märchen erzählt, hört gewöhnlich jemand zu, und sofern die Erzählung etwas länger dauert, ist es selten, daß der Erzähler nicht etliche Male von seinem Zuhörer unterbrochen wird. Deshalb habe ich in diese Erzählung, die man lesen wird und die kein Märchen ist oder aber ein schlechtes Märchen, eine Persönlichkeit eingeführt, die ungefähr die Rolle des Lesers spielt; und ich beginne.

 

Und was schließen Sie daraus?

»Daß ein so interessanter Stoff unsere Köpfe hätte erregen müssen, daß er für einen Monat alle Kreise der Stadt unterhalten und hier bis zur Abgeschmacktheit hätte gedreht und gewendet werden müssen; tausend Dispute, mindestens zwanzig Broschüren und etliche hundert Verse pro und contra hätte er veranlassen müssen; und trotz aller Feinheit, trotz allen Kenntnissen, trotz allem Geist des Autors ist er mittelmäßig, höchst mittelmäßig, da sein Werk keine heftige Gärung hervorgerufen hat.«

»Aber mir scheint, wir verdanken ihm doch einen recht angenehmen Abend und die Lektüre hat …«

»... eine Litanei von allerhand Geschichtchen herbeigeführt, die von allen Seiten losgelassen wurden und nur eine von altersher bekannte Tatsache bewiesen, nämlich daß Mann und Frau zwei recht bösartige Tiere sind.«

»Aber die Epidemie hat auch Sie erfaßt und Sie haben Ihren Tribut gerade so gut entrichtet wie alle andern.«

»Wohl oder übel paßt man sich dem einmal gegebenen Ton an; wenn man sich in eine Gesellschaft begibt, richtet man gewöhnlich an der Tür sein Gesicht nach denen, die man vor sich sieht; man spielt den Spaßmacher, wenn man traurig ist, den Traurigen, wenn man sich geneigt fühlt, zu scherzen; man will alles kennen; der Schriftsteller politisiert, der Politiker treibt Metaphysik, der Metaphysiker moralisiert, der Moralist spricht über Finanz, der Finanzier über schöne Künste oder Mathematik; jeder schwatzt über Dinge, die er nicht kennt, statt zuzuhören und zu schweigen, und alle langweilen sich aus dummer Eitelkeit oder aus Höflichkeit.«

»Sie sind schlechter Laune.«

»Nicht anders als gewöhnlich.«

»Und ich glaube, ich tue gut, mein Geschichtchen für einen günstigeren Augenblick aufzusparen.«

»Das heißt, Sie wollen warten, bis ich nicht da bin.«

»Durchaus nicht.«

»Oder Sie fürchten, ich bin Ihnen gegenüber weniger nachsichtig, als ich gegenüber gleichgültigen Menschen in Gesellschaft bin.«

»Durchaus nicht.«

»Haben Sie doch die Güte, mir zu sagen, welches der Grund ist.«

»Der Grund ist, daß mein Geschichtchen auch nicht mehr beweist als die andern, die Ihnen lästig gewesen sind.«

»Oh, erzählen Sie nur ruhig!«

»Nein, nein, Sie haben genug davon!«

»Wissen Sie, daß von allen Methoden, mich in Wut zu bringen, Ihre Art mir am meisten mißfällt?«

»Und welche Art habe ich?«

»Sie lassen sich um etwas bitten, was Sie doch brennend gern tun. Nun, lieber Freund, ich bitte Sie, ich flehe Sie an, Ihr Gelüst ruhig zufriedenzustellen.«

»Mein Gelüst zufriedenzustellen!«

»Fangen Sie an, um Gotteswillen, fangen Sie an!«

»Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.«

»Das ist nicht übel.«

Jetzt hustete ich – ein wenig aus Bosheit, räusperte mich, entfaltete langsam mein Taschentuch, schnäuzte mich, öffnete meine Tabaksdose, nahm eine Prise, und hörte den Mann zwischen den Zähnen murmeln: »Wenn die Geschichte kurz ist, sind die Präliminarien lang …« Mich überkam die Lust, einen Diener zu rufen, um ihm irgendeinen Auftrag zu erteilen, aber ich tat es nicht und sagte:

»Man muß zugeben, daß es sehr gute Männer und sehr böse Frauen gibt.«

»Das sieht man alle Tage und bisweilen, ohne überhaupt sein Haus zu verlassen. Und weiter?«

»Weiter? Ich kannte eine sehr schöne Elsässerin; sie war so schön, daß alle Greise herbeiliefen und die Jünglinge wie auf Kommando stehen blieben.«

»Die habe ich auch gekannt; sie hieß Fräulein Reymer.«

»Ganz recht. Ein eben aus Nancy gekommener Mann namens Tanié verliebte sich rettungslos in sie. Er war arm; er gehörte zu den verlorenen Söhnen, die die Härte der Eltern, die eine zahlreiche Familie haben, aus dem Hause jagt und die sich in das Leben stürzen, ohne zu wissen, was sie werden sollen, wobei ihr Instinkt ihnen sagt, daß ihnen kein schlimmeres Schicksal drohen kann, als das war, dem sie entflohen sind. Tanié, der in Frau Reymer verliebt und von einer Leidenschaft erregt war, die seinen Mut anfachte und in seinen Augen all sein Tun adelte, unterzog sich ohne Widerstreben den härtesten und verachtetsten Arbeiten, um das Elend seiner Freundin zu erleichtern. Am Tage arbeitete er am Hafen, bei sinkender Dämmerung bettelte er in den Straßen.«

»Das ist sehr schön, aber das konnte nicht dauern.«

»Darum beschloß Tanié, der es müde wurde, gegen die Not anzukämpfen oder vielmehr eine entzückende Frau in Dürftigkeit zu lassen, eine Frau, die von reichen Männern umlagert wurde, die in sie drangen, sie solle diesen Bettler, diesen Tanié fortjagen …«

»Was sie nach vierzehn Tagen, spätestens nach einem Monat getan haben würde.«

»... und ihre Reichtümer annehmen, entschloß sich also, sie zu verlassen und sein Glück in der Ferne zu suchen. Er erbat und erhielt freie Überfahrt auf einem Schiff des Königs. Der Augenblick seiner Abreise ist gekommen. Er nimmt von Frau Reymer Abschied. ›Teure Freundin,‹ sagte er zu ihr, ›ich kann deine Zärtlichkeit nicht länger mißbrauchen. Ich habe meinen Entschluß gefaßt, ich gehe fort.‹ – ›Du gehst fort!‹ – ›Ja …‹ ›Und wohin gehst du?‹ … ›Nach den Inseln, du bist eines andern Schicksals würdig, und ich will dir nicht länger hinderlich sein …‹«

»Der gute Tanié!« …

»›Und was soll aus mir werden?‹«

»Diese falsche Person!«

»›Du bist von Leuten umgeben, die dir zu gefallen suchen. Ich gebe dir dein Wort zurück; ich entbinde dich von deinem Schwur. Suche dir unter deinen Bewerbern den aus, der dir der angenehmste ist; nimm ihn, ich beschwöre dich …‹«

»›Oh, Tanié, du selbst schlägst mir vor …‹«

»Ich erlasse Ihnen die Pantomime der Frau Reymer. Ich sehe sie vor mir, ich kenne sie …«

»›Wenn ich von dir gehe, bitte ich dich nur um eine Gunst: geh keine Verbindung ein, die uns auf immer trennt. Schwöre es mir, meine süße Freundin. In welchem Lande der Erde ich mich auch aufhalten mag, so muß ich schon sehr unglücklich sein, wenn ein Jahr vergeht, ohne daß ich dir deutliche Beweise meiner zärtlichen Liebe gegeben habe. Weine nicht …‹«

»Sie weinen alle, wenn sie wollen.«

»›... und kämpfe nicht gegen mein Vorhaben, das die Vorwürfe meines Herzens mir endlich eingegeben haben und das ich unbedingt ausführen muß.‹« Und damit reiste Tanié nach San Domingo ab.«

»Reiste in Frau Reymers und in seinem eigenen Interesse.«

»Was wissen Sie davon?«

»Ich weiß so gut wie Sie, daß, als Tanié ihr riet, eine Wahl zu treffen, diese Wahl bereits getroffen war.«

»Gut.«

»Fahren Sie in Ihrer Erzählung fort.«

»Tanié hatte einen guten Kopf und eine große geschäftliche Gewandtheit. Es dauerte nicht lange, da wurde er bekannt. Er trat in den obersten Rat vom Kap ein. Er zeichnete sich durch seine Kenntnisse und seine Rechtlichkeit aus. Er erstrebte kein großes Vermögen, er wollte nur auf anständige Art rasch zu Wohlstand kommen. In jedem Jahre schickte er einen Teil seines Vermögens an Frau Reymer. Nach neun oder zehn Jahren hatte er sein Ziel erreicht, – nein, länger dauerte seine Abwesenheit nicht … und konnte seiner Freundin ein kleines Portefeuille übersenden, das die Frucht seiner Tugenden und seiner Arbeit enthielt … und zum Glück für Tanié geschah dies gerade in dem Augenblick, als sie sich von dem letzten Nachfolger Taniés getrennt hatte.«

»Von dem letzten?«

»Jawohl.«

»Er hatte also mehrere Nachfolger gehabt?«

»Gewiß.«

»Weiter, weiter!«

»Aber ich kann Ihnen vielleicht nichts erzählen, was Sie nicht besser wissen als ich.«

»Einerlei, fahren Sie nur fort!«

»Frau Reymer und Tanié bewohnten eine recht schöne Wohnung in der Rue Sainte Marguerite, in meiner Nähe. Ich schätzte Tanié sehr und besuchte ihn häufig in seinem Hause, das, wenn auch nicht reich, so doch recht wohlhabend war.

»Ich kann Ihnen versichern, ohne mit der Reymer gesprochen zu haben, daß sie vor Taniés Rückkehr mehr als fünfzehntausend Livres Zinsen hatte.«

»Und sie verheimlichte Tanié ihr Vermögen?«

»Ja.«

»Und warum.«

»Weil sie geizig und habgierig war.«

»Habgierig will ich gelten lassen, aber geizig! eine Kurtisane geizig! … fünf oder sechs Jahre lang lebten die beiden Liebenden in bestem Einvernehmen.«

»Dank der außerordentlichen Schlauheit der einen und des grenzenlosen Vertrauens des andern.«

»Ja, das ist richtig, es war unmöglich, daß der Schatten eines Argwohns in eine so reine Seele wie die Taniés eindrang. Das einzige, was mir bisweilen auffiel, war der Umstand, daß Frau Reymer ihre frühere dürftige Lage bald ganz vergessen zu haben schien und von der Sucht nach Wohlleben und Reichtum gequält wurde, daß es sie demütigte, wenn eine so schöne Frau zu Fuß gehen mußte.«

»Warum fuhr sie nicht?«

»Und daß der das Laster umgebende Glanz ihren Augen seine Gemeinheit verbarg. Sie lachen? … Zu dieser Zeit faßte Herr von Maurepas den Plan, im Norden ein Handelshaus einzurichten. Wenn dies Unternehmen Erfolg haben sollte, war ein tatkräftiger und kluger Mann dazu erforderlich. Er warf seine Augen auf Tanié, dem er während seines Aufenthaltes am Kap die Führung mehrerer wichtiger Geschäfte anvertraut und der sie stets zur Zufriedenheit des Ministers erledigt hatte. Tanié war trostlos über diese Auszeichnung. Er war so glücklich, so zufrieden an der Seite seiner schönen Freundin! er liebte; er wurde geliebt oder glaubte es zu werden.«

»Sehr gut gesagt.«

»Was konnte das Gold seinem Glück hinzufügen? Nichts. Aber der Minister blieb bei seinem Vorschlag. Er mußte sich entscheiden und sich Frau Reymer anvertrauen. Ich habe den Schluß dieses bösen Auftritts mitangehört. Der arme Tanié zerfloß in Tränen. ›Was hast du denn, lieber Freund,‹ sagte ich zu ihm.

Er sagte mir schluchzend: ›Diese Frau ist schuld.‹ Frau Reymer arbeitete ruhig an einer Stickerei. – Tanié stand schnell auf und verließ das Zimmer. Ich blieb allein mit seiner Freundin, die mich über Taniés Unverstand, wie sie es nannte, nicht im Unklaren ließ. Sie übertrieb die Bescheidenheit ihrer Lage und bot bei ihrer Darstellung alle Kunst auf, mit der ein feiner Geist die Sophismen des Ehrgeizes zu beschönigen weiß. ›Um was handelt es sich? Um eine Abwesenheit von zwei oder drei Jahren höchstens.‹ – ›Das ist eine lange Zeit für einen Mann, den Sie lieben und der Sie so liebt, wie er es tut.‹ – ›Er mich lieben? Wenn er mich liebte, würde er dann auch nur einen Augenblick zögern, meinen Wunsch zu erfüllen?‹ – ›Aber gnädige Frau, warum gehen Sie nicht mit ihm?‹ – ›Ich! Ich kann doch nicht dorthin gehen; und so extravagant er auch ist, diesen Vorschlag hat er mir denn doch nicht gemacht. Zweifelt er an mir?‹ – ›Das glaube ich nicht.‹ – ›Nachdem ich zwölf Jahre lang auf ihn gewartet habe, kann er sich doch zwei oder drei Jahre auf meine Treue verlassen. Dies ist doch eine der seltenen Gelegenheiten, die sich nur einmal im Leben bieten; und ich will nicht, daß er es eines Tages bereut und mir vielleicht Vorwürfe macht, weil er sie versäumt hat.‹ – ›Tanié wird es nie bedauern, so lange er das Glück hat, Ihnen zu gefallen.‹ – ›Das ist sehr edel; aber seien Sie überzeugt: er wird sehr zufrieden sein, reich zu sein, wenn ich alt bin. Es ist ein Fehler der Frauen, nie an die Zukunft zu denken; ich begehe diesen Fehler nicht …‹

Der Minister war in Paris. Von der Rue Marguerite zu seinem Hause war nur ein Schritt. Tanié war zu ihm gegangen und hatte das Amt übernommen. Er kehrte trockenen Auges, aber schweren Herzens heim. ›Liebe Frau,‹ sagte er zu ihr, ›ich bin bei Herrn von Maurepas gewesen; er hat mein Wort. Ich gehe weg, ich gehe, und du wirst zufrieden sein.‹ – ›O teurer Freund!‹ … Frau Reymer warf ihre Arbeit beiseite, eilte auf Tanié zu, schlang die Arme um seinen Hals, überschüttete ihn mit Liebkosungen und süßen Worten. Ja, jetzt sehe ich, daß du mich lieb hast.‹ Tanié erwiderte ihr kühl: ›Du möchtest reich sein.‹«

»Sie war es schon, die Schelmin, zehnmal reicher, als sie verdiente …«

»›Und du sollst reich sein. Da du das Gold liebst, muß ich Gold für dich sammeln.‹ Das war am Dienstag, und der Minister hatte seine Abreise unwiderruflich auf Freitag festgesetzt.

Ich ging zu ihm, um mich von ihm zu verabschieden, in dem Augenblick, als er mit sich selbst kämpfte, als er sich den Armen der schönen, niederträchtigen und grausamen Reymer zu entreißen versuchte. Er befand sich in einer Geistesverwirrung, einer Verzweiflung, einem Seelenkampf, wie ich etwas Ähnliches nie gesehen habe. Es war keine Klage, es war ein einziger langer Schrei. Frau Reymer lag noch im Bett. Er hielt eine ihrer Hände und sagte immer wieder: ›Grausames Weib! Grausames Weib! Was brauchst du mehr als den Wohlstand, den du hast, und einen Freund, einen Liebhaber wie ich es bin? Ich habe ihr ein Vermögen in den glühenden Ländern Amerikas erworben, sie aber will, daß ich ihr ein größeres aus den Eiswüsten des Nordens hole. Lieber Freund, ich fühle es: diese Frau ist eine Närrin; ich fühle, ich bin wahnsinnig; aber es ist weniger schrecklich, zu sterben, als sie zu betrüben. Du willst, daß ich dich verlasse, also verlasse ich dich.‹ Er lag vor ihrem Bett auf den Knien, den Mund auf ihre Hand gepreßt und das Gesicht in der Bettdecke vergraben, die, indem sie sein Gemurmel erstickte, es nur noch trauriger und unheimlicher machte. Die Tür des Zimmers öffnete sich; er hob jählings den Kopf und sah den Postillon, der ihm meldete, daß die Pferde angespannt seien. Er stieß einen Schrei aus und drückte wieder sein Gesicht in die Decke. Nach einem Augenblick des Schweigens erhob er sich und sagte zu seiner Freundin: ›Küsse mich, Geliebte. Küsse mich noch einmal, denn du wirst mich nicht wiedersehen.‹ Seine Ahnung war nur zu wahr. Er reiste ab. Er kam in Petersburg an und wurde nach drei Tagen von einem Fieber befallen, von dem er am vierten dahingerafft wurde.«

»Das alles war mir bekannt.«

»Sie sind wohl einer der Nachfolger Taniés gewesen?«

»Ganz recht; und diese schöne Spitzbübin hat mich vollkommen ruiniert.«

»Der arme Tanié.«

»Viele Leute sagen, er sei ein Dummkopf gewesen.«

»Ich will ihn nicht verteidigen, aber ich möchte Ihnen von ganzem Herzen wünschen, daß Ihr Schicksal Sie mit einer so schönen und so arglistigen Frau zusammenführte, wie Frau Reymer es war.«

»Sie sind grausam in Ihrer Rache.«

»Und wenn es böse Frauen und gute Männer gibt, so gibt es auch gute Frauen und böse Männer, und die Geschichte, die ich jetzt erzählen will, ist ebensowenig ein Märchen wie die vorhergehende.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Herr von Hérouville …«

»Der jetzt noch lebt? Der Generalleutnant der königlichen Armeen, der die reizende Lolotte heiratete?«

»Ja, der.«

»Das ist ein feiner Mann, ein Freund der Wissenschaften.«

»Und der Gelehrten. Er hat lange an einer allgemeinen Geschichte des Krieges in allen Jahrhunderten und bei allen Völkern gearbeitet.«

»Das ist ein weites Gebiet.«

»Um seine Aufgabe durchzuführen, hatte er einige junge Leute von sehr großer Begabung zu sich berufen, unter andern Herrn von Montucla, den Verfasser der Geschichte der Mathematik.«

»Alle Wetter, hatte er viele von dieser Sorte?«

»Ja, der Held der Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, ein junger Mann namens Gardeil, stand ihm in seinem Fache nicht nach. Eine gemeinsame Vorliebe für das Studium der griechischen Sprache brachte Gardeil und mich zusammen, und die Zeit, die gegenseitigen Ratschläge, die Liebe zur Zurückgezogenheit und besonders die Möglichkeit, sich häufig zu sehen, bewirkten, daß diese flüchtige Verbindung bald zu großer Vertraulichkeit führte.«

»Sie wohnten damals in der Estrapade?«

»Und er in der Rue Sainte-Hyacinthe, und seine Freundin, Fräulein de la Chaux am Platz Saint Michel. Ich nenne sie mit ihrem wirklichen Namen, weil die Unglückliche nicht mehr ist, weil alle edlen Geister sie um ihres Lebens willen nur ehren können und weil ihr Verhalten ihr die Bewunderung, das Bedauern und die Tränen aller zuziehen muß, die die Natur mit einem kleinen Teil der Empfindungsfähigkeit ihrer Seele begnadet oder bestraft hat.«

»Aber Ihre Stimme überschlägt sich, und ich glaube, Sie weinen.«

»Ich meine ihre großen schwarzen, leuchtenden und sanften Augen noch heute vor mir zu sehen, und der Ton ihrer rührenden Stimme klingt in meinem Ohr wieder und bewegt mein Herz. Sie war ein entzückendes, ein einzigartiges Geschöpf, und nun ist sie nicht mehr! Seit zwanzig Jahren bist du nicht mehr, und mein Herz schnürt sich noch zusammen, wenn ich an dich denke.«

»Sie haben sie geliebt?«

»Nein. Die la Chaux und Gardeil waren jeder in seiner Art ein Wunder, die eine in der Zärtlichkeit des Weibes, der andere in der Undankbarkeit des Mannes. Fräulein de la Chaux stammte aus einer guten Familie. Sie verließ ihre Eltern, um sich Gardeil in die Arme zu werfen. Gardeil war arm, Fräulein de la Chaux verfügte über ein kleines Vermögen, und dies Vermögen opferte sie vollständig den Bedürfnissen und Wünschen Gardeils. Sie trauerte weder um ihr verschwendetes Vermögen, noch um ihre verlorene Ehre. Der Geliebte war ihr Ersatz für alles.«

»Gardeil war also sehr verführerisch und liebenswert.«

»Durchaus nicht. Er war ein kleiner, mürrischer, schweigsamer und satirischer Mann mit trockenem Gesicht und braunem Teint; alles in allem eine schwächliche, dürftige Gestalt; häßlich, so weit ein Mann häßlich sein kann, der ein geistvolles Gesicht hat.«

»Und dieser Mann hatte einem entzückenden Mädchen den Kopf verdreht?«

»Überrascht Sie das?«

»Durchaus.«

»Sie?«

»Mich.«

»Aber erinnern Sie sich denn nicht mehr Ihres Erlebnisses mit der Deschamps und Ihrer tiefen Verzweiflung, als dieses Geschöpf Ihnen seine Tür verschloß?«

»Lassen wir das! Fahren Sie fort!«

»Ich sagte Ihnen: ›Sie ist also sehr schön?‹ Und Sie antworteten mir traurig: ›Nein.‹ – ›Sie ist also sehr geistvoll?‹ – ›Sie ist eine Gans.‹ – ›Dann ziehen ihre Talente Sie an?‹ – ›Sie hat nur ein einziges Talent.‹ – ›Und was ist das für ein seltenes, wunderbares, anbetungswürdiges Talent?‹ – ›Sie macht mich in ihren Armen glücklicher, als ich jemals in den Armen einer andern Frau war.‹ Fräulein de la Chaux also, das feine, gefühlvolle Fräulein de la Chaux versprach sich insgeheim, instinktiv, unbewußt dasselbe Glück, das Sie kannten und das Sie zu der Äußerung trieb: ›Wenn diese unselige, niederträchtige Deschamps mich wegjagt, nehme ich eine Pistole und zerschmettere mir in ihrem Vorzimmer den Schädel.‹ Haben Sie das gesagt oder nicht?«

»Ich habe es gesagt; und noch heute weiß ich nicht, warum ich es nicht getan habe.«

»Also geben Sie zu …«

»Ich gebe alles zu, was Sie wollen.«

»Mein Freund, der Weiseste unter uns mag sich glücklich preisen, wenn ihm nie die schöne oder häßliche, geistvolle oder einfältige Frau begegnet ist, die ihn so verrückt gemacht hätte, daß er ins Irrenhaus gesperrt worden wäre. Wir wollen die Menschen von Herzen bedauern, aber mit unserm Tadel sparsam sein; wir müssen unsere vergangenen Jahre als ebenso viele Augenblicke ansehen, die wir der uns verfolgenden Bosheit entzogen haben, und wir wollen nur immer zitternd an die furchtbare Macht gewisser natürlicher Reize denken, die besonders für die glühenden Seelen und die wuchernde Phantasie unwiderstehlich sind. Der Funke, der zufällig in ein Pulverfaß fällt, vermag keine schrecklichere Wirkung hervorzubringen. Der Finger, der im Begriff steht, auf dich oder mich diesen verhängnisvollen Funken zu schleudern, ist vielleicht schon gehoben.

Herr von Hérouville, der sein Werk mit größtem Eifer fördern wollte, mutete seinen Mitarbeitern ungeheure Anstrengungen zu. Gardeils Gesundheit litt darunter. Um ihm seine Aufgabe zu erleichtern, lernte Fräulein de la Chaux Hebräisch, und während ihr Freund schlief, verbrachte sie einen Teil der Nacht damit, Fragmente hebräischer Autoren abzuschreiben und zu erläutern. Dann kam die Zeit, die griechischen Schriftsteller auszubeuten; Fräulein de la Chaux beeilte sich, sich in dieser Sprache zu vervollkommnen, in der sie schon einige Kenntnisse besaß: und während Gardeil schlief, war sie damit beschäftigt, Stellen aus Xenophon und Thucydides abzuschreiben und zu übersetzen. Der Kenntnis des Griechischen und Hebräischen fügte sie die des Italienischen und des Englischen hinzu. Sie beherrschte das Englische in dem Maße, daß sie die ersten Essais über Metaphysik von Hume ins Französische übersetzen konnte, eine Arbeit, bei der die Schwierigkeit der Sprache unendlich vermehrt wurde durch die Schwerverständlichkeit des Stoffes. Wenn das Studium ihre Kräfte erschöpft hatte, stach sie zu ihrer Erholung Noten. Wenn sie fürchtete, ihr Geliebter möchte sich langweilen, sang sie. Ich übertreibe nicht, Doktor Camus kann es bezeugen, er hat sie in ihren Kümmernissen getröstet und in ihrer Bedürftigkeit unterstützt; er hat ihr unentwegt Dienste geleistet, ist ihr in die Dachkammer gefolgt, in die ihre Armut sie verbannt hatte, und hat ihr, als sie gestorben war, die Augen zugedrückt. Aber ich vergesse eine der ersten Widerwärtigkeiten, nämlich die Verfolgung, der sie von seiten ihrer Familie ausgesetzt war, die über diese öffentliche und skandalöse Liebschaft empört war. Man griff zu Wahrheit und Lüge, um in schändlicher Weise ihre Freiheit zu beeinträchtigen. Ihre Eltern und die Pfarrer verfolgten sie von Stadtviertel zu Stadtviertel, von Haus zu Haus und nötigten sie dadurch, jahrelang einsam und in der Verborgenheit zu leben. Die Tage verbrachte sie damit, für Gardeil zu arbeiten. Abends kamen wir dann zu ihr, und sobald ihr Geliebter anwesend war, schwanden ihr Kummer und ihre Unruhe dahin.«

»Wie? Obwohl sie jung, zaghaft, gefühlvoll und von so vielen Widrigkeiten umringt war, war sie dennoch glücklich?«

»Sie war glücklich, ja! Das hatte erst ein Ende, als Gardeil undankbar war.«

»Aber es ist undenkbar, daß Undank der Lohn für so viele seltene Eigenschaften, so viele Beweise der Liebe, so viele Opfer jeder Art gewesen sein soll.«

»Sie irren, Gardeil war undankbar. Eines Tages fand Fräulein de la Chaux sich allein in der Welt, ehrlos, arm, ohne Anhalt. Aber nein, das stimmt nicht ganz, ich blieb ihr für einige Zeit. Doktor Le Camus blieb ihr für immer.«

»O die Männer, die Männer!«

»Von wem sprechen Sie?«

»Von Gardeil.«

»Sie sehen nur den Bösewicht; aber den Ehrenmann neben ihm sehen Sie nicht. An diesem Tage des Kummers und der Verzweiflung eilte sie zu mir. Es war am frühen Morgen. Sie war bleich wie der Tod. Obwohl sie ihr Schicksal erst seit dem vorhergehenden Abend kannte, bot sie doch das Bild langer Leiden. Sie weinte nicht; aber man sah, daß sie viel geweint hatte. Sie warf sich in einen Sessel, sie sprach nicht, sie konnte nicht sprechen; sie streckte die Arme nach mir aus und stieß zugleich laute Schreie aus. ›Was ist denn?‹ sagte ich zu ihr, ›ist er gestorben? …‹ ›Es ist schlimmer: er liebt mich nicht mehr, er verläßt mich …‹«

»Aber ich bitte Sie …«

»Ich sehe und höre sie noch jetzt, und meine Augen füllen sich mit Tränen. ›Er liebt Sie nicht mehr? …‹ – ›Nein.‹ – ›Er verläßt Sie?‹ – ›Ja, nach allem, was ich getan habe … Lieber Freund, mir ist der Kopf ganz wirr, haben Sie Mitleid mit mir, verlassen Sie mich nicht, … verlassen Sie mich nicht auch …‹ Während sie diese Worte sagte, ergriff sie meinen Arm und drückte ihn heftig, als stände jemand neben ihr, der sie wegreißen und fortschleppen wolle … ›Fürchten Sie nichts, liebes Fräulein.‹ – ›Ich fürchte nur mich.‹ – ›Was kann ich für Sie tun?‹ – ›Retten Sie mich vor mir selbst … Er liebt mich nicht mehr, ich langweile ihn, er ist meiner überdrüssig, er haßt mich, er verläßt mich, er verläßt mich!‹ Auf diese Worte folgte ein tiefes Schweigen, und auf dies Schweigen krampfhafte Lachanfälle, die noch tausendmal entsetzlicher waren als die Verzweiflungsschreie oder das bange Röcheln. Dann kamen Tränen, Schreie, unartikulierte Worte, gen Himmel gerichtete Blicke, zitternde Lippen, ein Strom von Schmerzen, dem ich seinen Lauf lassen mußte; und das tat ich, und ich appellierte erst an ihre Vernunft, als ich ihre Seele gebrochen und abgestumpft sah. Dann fing ich an: ›Er haßt Sie, er verläßt Sie! Und wer hat Ihnen das gesagt?‹ – ›Er selbst.‹ – ›Aber, liebes Fräulein, haben Sie doch Hoffnung und Mut. Er ist kein Ungeheuer …‹ – ›Sie kennen ihn nicht, aber Sie werden ihn kennen lernen. Er ist ein Ungeheuer, wie es kein zweites gibt, wie es nie eines gegeben hat.‹ – ›Das kann ich nicht glauben.‹ – ›Sie werden es sehen.‹ – ›Liebt er eine andere?‹ – ›Nein.‹ – ›Haben Sie ihm Anlaß zum Argwohn, zur Unzufriedenheit gegeben?‹‹ ›Nein, nein.‹ – ›Welches ist denn der Grund?‹ – ›Meine Nutzlosigkeit. Ich habe kein Vermögen mehr. Ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen. Sein Ehrgeiz; er ist immer ehrgeizig gewesen. Der Verlust meiner Gesundheit, meiner Reize; ich habe soviel gelitten und soviel gearbeitet; die Langeweile, der Überdruß.‹ – ›Man hört wohl auf, sich zu lieben, aber man kann doch befreundet bleiben.‹ – ›Ich bin ihm unerträglich geworden; meine Gegenwart bedrückt, mein Anblick stört und verletzt ihn. Wenn Sie wüßten, was er mir gesagt hat! Ja, lieber Freund, er hat mir gesagt, wenn er verdammt sei, vierundzwanzig Stunden mit mir zu verleben, so würde er sich aus dem Fenster stürzen.‹ – ›Aber diese Abneigung ist doch nicht das Werk eines Augenblicks.‹ – ›Was weiß ich? Er ist von Natur so gleichgültig, so kühl, so geringschätzig! Es ist so schwierig, auf dem Grunde solcher Seelen zu lesen, und man sträubt sich so sehr dagegen, sein Todesurteil zu lesen. Er hat meines ausgesprochen, und mit soviel Härte …‹ – ›Ich begreife das alles nicht.‹ – ›Ich möchte Sie um einen Dienst bitten, und deshalb bin ich gekommen: werden Sie meine Bitte erfüllen?‹ – ›Jede.‹ – ›So hören Sie. Er schätzt Sie; Sie wissen, wieviel er mir verdankt. Vielleicht wird er sich schämen, sich Ihnen so zu zeigen, wie er ist. Ich bin nur eine Frau, Sie sind ein Mann. Ein zartfühlender, ehrenhafter und gerechter Mann imponiert. Sie werden ihm imponieren. Geben Sie mir Ihren Arm und schlagen Sie mir nicht ab, mich zu ihm zu begleiten. Wer weiß, wie mein Schmerz und Ihre Anwesenheit auf ihn wirken? Wollen Sie mich begleiten?‹ – ›Gern.‹ – ›Also können wir gehen …‹«

»Ich fürchte sehr, daß ihr Schmerz und Ihre Gegenwart wenig ausgerichtet haben. Widerwille! Widerwille ist eine schreckliche Sache in Liebesdingen und zumal vor einer Frau! …«

»Ich ließ eine Sänfte holen, denn sie war kaum imstande zu gehen. Wir kamen zu Gardeil, an das große neue Haus, das einzige rechts in der Rue Hyacinthe, wenn man vom Platz Saint-Michel kommt. Hier machten die Träger halt und öffneten die Sänfte. Ich warte. Sie steigt nicht aus. Ich trete an den Schlag und sehe eine Frau, die am ganzen Leibe zittert, ihre Zähne klappen wie in Fieberschauern, ihre Knie schlagen aneinander. ›Einen Augenblick, lieber Freund, ich bitte Sie um Verzeihung; ich kann nicht … Was will ich hier? Ich habe Sie vergeblich in Ihrer Arbeit gestört, das tut mir leid, ich bitte Sie um Vergebung …‹ Aber ich streckte ihr den Arm hin. Sie nahm ihn und versuchte aufzustehen; sie konnte nicht. ›Noch einen Augenblick, lieber Freund,‹ sagte sie, ›ich falle Ihnen beschwerlich, Sie leiden unter meinem Zustand …‹ Endlich beruhigte sie sich etwas, und während sie ausstieg, sagte sie ganz leise: ›Ich muß hinein und ihn sehen. Vielleicht ist es mein Tod …‹ Damit durchschritten wir den Hof und standen vor der Tür der Wohnung. Wir kamen in Gardeils Zimmer. Er war in seinem Arbeitsraum, in Schlafrock und Nachtmütze. Er begrüßte mich mit einer Handbewegung und ließ sich in seiner Arbeit nicht stören. Endlich kam er auf mich zu und sagte: ›Sie müssen zugeben, lieber Freund, daß die Frauen sehr lästig sind. Ich muß Sie tausendmal um Entschuldigung bitten wegen der Extravaganzen dieser Dame.‹ Dann wandte er sich an das arme Geschöpf, das mehr tot als lebendig war. ›Mein Fräulein,‹ sagte er zu ihr, ›was wollen Sie noch von mir? Mir scheint, nach meiner kurzen und bündigen Erklärung muß alles zwischen uns aus sein. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie nicht mehr liebe, ich habe es Ihnen unter vier Augen gesagt, Sie wünschen aber augenscheinlich, daß ich es Ihnen in Gegenwart dieses Herrn wiederhole: Also gut, mein Fräulein, ich liebe Sie nicht mehr. Die Liebe ist ein Gefühl, das mein Herz für Sie nicht mehr kennt, und ich möchte, wenn das Sie trösten kann, hinzufügen: für keine Frau mehr.‹ – ›Aber sage mir doch, warum du mich nicht mehr liebst.‹ – ›Ich weiß es nicht. Ich weiß nur soviel, daß ich angefangen habe, Sie zu lieben, ohne zu wissen warum, und daß ich aufgehört habe, ebenfalls ohne zu wissen warum, und ich fühle, es ist unmöglich, daß diese Leidenschaft wiederkehrt. Es ist eine Krankheit, die ich überwunden habe und von der ich mich völlig geheilt glaube.‹ – ›Was für eine Schuld habe ich?‹ – ›Keine.‹ – ›Hast du an meinem Verhalten insgeheim irgend etwas auszusetzen?‹ – ›Nicht das geringste. Du warst die treueste, anständigste, zärtlichste Frau, die ein Mann sich nur wünschen kann.‹ – ›Habe ich irgend etwas unterlassen, was zu tun in meiner Macht gestanden hätte?‹ – ›Nein.‹ – ›Habe ich dir nicht meine Eltern geopfert.‹ – ›Allerdings!‹ – ›Mein Vermögen?‹ – ›Darüber bin ich verzweifelt.‹ – ›Meine Gesundheit?‹ – ›Mag sein.‹ – ›Meine Ehre, meinen guten Ruf, meine Ruhe?‹ – ›Alles, was du willst.‹ – ›Und ich bin dir verhaßt!‹ – ›Es ist hart zu sagen, hart zu hören, aber wenn es so ist, muß man es zugeben.‹ – ›Ich bin ihm verhaßt! … Ich fühle es, und achte mich darum nicht höher! … Verhaßt! O mein Gott! …‹ Bei diesen Worten breitete sich Totenblässe über ihr Gesicht; ihre Lippen entfärbten sich, kalte Schweißtropfen, die auf die Wangen traten, mischten sich mit den Tränen, die aus ihren Augen rannen; die Augen hätte sie geschlossen, den Kopf gegen die Lehne ihres Sessels geneigt, ihre Zähne preßten sich zusammen, alle Glieder zitterten; diesem Zittern folgte eine Ohnmacht, die mir als die Erfüllung der Hoffnung erschien, die sie vor der Tür dieses Hauses ausgesprochen hatte. Die lange Dauer dieses Zustandes erschreckte mich. Ich nahm ihr ihren Umhang ab und löste die Schnüre ihres Gewandes; ich öffnete ihre Unterkleider und spritzte ihr einige Tropfen kaltes Wasser ins Gesicht. Ihre Augen öffneten sich halb, ein dumpfes Murmeln drang aus ihrer Kehle, sie wollte sagen: Ich bin ihm verhaßt und brachte nur die letzte Silbe des Wortes heraus, dann stieß sie einen gellenden Schrei aus. Ihre Lider senkten sich, und wieder befiel sie die tiefe Ohnmacht. Gardeil, der kühl in seinem Sessel saß, den Ellbogen auf den Tisch und den Kopf in die Hand gestützt, betrachtete sie ohne Bewegung und überließ mir die Sorge um sie. Ich sagte wiederholt: ›Aber sie stirbt … man müßte …‹ er erwiderte lächelnd und achselzuckend: ›Die Frauen haben ein zähes Leben; sie sterben nicht um so einer Kleinigkeit willen; es ist nichts, es wird vorübergehen. Sie kennen die Frauen nicht; sie machen mit ihrem Körper alles, was sie wollen …‹ – ›Sie stirbt, sage ich Ihnen.‹ Tatsächlich war ihr Körper ohne Kraft und ohne Leben; er glitt von dem Sessel herab und würde zu Boden gefallen sein, wenn ich ihn nicht aufgefangen hätte. Gardeil aber war heftig aufgesprungen, und während er im Zimmer umherging, sagte er in ungeduldigem und mißgestimmtem Ton: ›Ich wäre gern von dieser widerwärtigen Szene verschont geblieben, aber ich hoffe, es ist die letzte. Was zum Teufel will diese Person? Ich habe sie geliebt; ich könnte mit dem Kopf gegen die Wand rennen, und es würde nicht mehr und nicht weniger werden. Ich liebe sie nicht mehr, nun weiß sie es, oder sie wird es nie wissen. Jetzt ist alles gesagt …‹ – ›Nein, mein Herr, es ist nicht alles gesagt. Glauben Sie wirklich, ein Ehrenmann braucht nur eine Frau ihrer ganzen Habe zu berauben und sie dann sitzen zu lassen?‹ – ›Was soll ich tun? Ich bin ebenso arm wie sie.‹ – ›Was Sie tun sollen? Sie müssen Ihr Elend mit ihrem, in das Sie sie gestürzt haben, zusammentun.‹ – ›Sie belieben zu scherzen. Dadurch würde das Elend nicht behoben, und mir würde es viel schlechter gehen.‹ – ›Würden Sie so auch mit einem Freunde verfahren, der Ihnen alles geopfert hätte?‹ – ›Mit einem Freunde? Einem Freunde? Ich habe keinen großen Glauben an Freunde, und diese Erfahrung hat mich gelehrt, auch an Leidenschaften nicht zu glauben. Es tut mir nur leid, daß ich das nicht früher gewußt habe.‹ – ›Und ist es gerecht, daß diese Unglückliche das Opfer Ihres Herzensirrtums wird?‹ – ›Wer sagt Ihnen denn, daß einen Monat, einen [?]Tag[?] später, ich nicht ebenso grausam dem Irrtum ihres Herzens geopfert worden wäre?‹ – ›Wer mir das sagt? Alles, was sie für Sie getan hat, der Zustand, in dem Sie sie sehen …‹ – ›Was sie für mich getan hat! … Alle Wetter, das ist mehr als ausgeglichen durch den Verlust meiner Zeit.‹ – ›Aber, Herr Gardeil, wie können Sie Ihre Zeit und alle die unschätzbaren Dinge miteinander vergleichen, die Sie ihr geraubt haben!‹ – ›Ich habe noch nichts geleistet, ich bin nichts, ich bin dreißig Jahre alt; jetzt ist es Zeit oder niemals, an sich selbst zu denken, und alle diese Albernheiten nach ihrem wahren Werte einzuschätzen …'

Unterdessen war das arme Mädchen etwas zu sich selbst gekommen. Bei diesen letzten Worten sagte sie mit einiger Lebhaftigkeit: ›Was hat er von dem Verlust seiner Zeit gesagt? Ich habe vier Sprachen gelernt, um ihm seine Arbeit zu erleichtern; ich habe tausend Bücher gelesen; ich habe Tag und Nacht geschrieben, übersetzt, abgeschrieben; ich habe meine Kräfte verausgabt, meine Augen überanstrengt, mein Blut überreizt; ich habe mir eine bösartige Krankheit zugezogen, von der ich vielleicht nie wieder ganz geheilt werde. Die Ursache seines Widerwillens wagt er nicht einzugestehen, aber Sie sollen sie kennen …‹ Bei diesen Worten riß sie ihr Halstuch ab und entblößte einen ihrer Arme, so daß ich die nackte Schulter sah; sie zeigte mir eine rotlaufartige Stelle und sagte: ›Hier sehen Sie den Grund seiner Veränderung, hier sehen Sie ihn; das ist die Wirkung der durchwachten Nächte. Morgens kam er mit seinen Pergamentrollen zu mir. »Herr von Hérouville ist sehr begierig, zu erfahren, was hierin steht; diese Arbeit muß bis morgen gemacht sein.« Und sie war gemacht!‹ In diesem Augenblick hörten wir Schritte sich der Tür nähern; ein Diener kam und meldete den Besuch Herrn von Hérouvilles. Gardeil erblaßte.

Ich bat Fräulein de la Chaux, ihren Anzug in Ordnung zu bringen und sich zurückzuziehen … ›Nein,‹ sagte sie, ›ich bleibe. Ich will den Schuft entlarven. Ich warte hier auf Herrn Hérouville, ich will mit ihm sprechen.‹ – ›Und was hätte das für einen Zweck?‹ – ›Gar keinen,‹ erwiderte sie, ›Sie haben recht.‹ – ›Morgen würden Sie verzweifelt darüber sein. Lassen Sie ihn allein unrecht tun. Das ist eine Rache, die Ihrer würdig ist.‹ – ›Aber ist sie seiner würdig? Sehen Sie nicht, daß dieser Mensch nicht … Lassen Sie uns gehen, lieber Freund, lassen Sie uns schnell gehen, denn ich kann nicht für das einstehen, was ich tun und was ich sagen würde …‹ Fräulein de la Chaux setzte in einem Nu ihren während dieser Szene in Unordnung geratenen Anzug wieder instand und eilte wie ein Blitz aus dem Zimmer. Ich folgte ihr und hörte, wie die Tür heftig hinter uns zugeschlagen wurde. Später habe ich erfahren, daß er dem Hauswart ihr Signalement gegeben hat.

Ich begleitete sie nach ihrer Wohnung, wo ich den Doktor Le Camus traf, der uns erwartete. Die Leidenschaft, die er für das junge Mädchen gefaßt hatte, unterschied sich wenig von ihren Gefühlen für Gardeil. Ich erzählte ihm von unserm Besuch, und in all seinem Zorn, seinem Schmerz, seiner Empörung …«

»War es doch nicht schwierig, auf seinem Gesicht zu lesen, daß Ihr Mißerfolg ihm nicht unangenehm war.«

»Allerdings.«

»Da sieht man den Mann; so ist er nun einmal.«

»Diesem Zerwürfnis folgte eine heftige Krankheit, während welcher der gute, edle, zartfühlende und zärtliche Doktor ihr eine Sorgfalt angedeihen ließ, die er für die vornehmste Dame Frankreichs nicht gehabt hätte. Er kam drei-, viermal täglich. Solange Gefahr vorhanden war, schlief er in ihrem Zimmer auf einem Feldbett. In so großem Kummer ist übrigens eine Krankheit als ein Glück anzusehen.«

»Indem sie uns zur Einkehr in uns selber zwingt, löscht sie das Andenken an die andern aus. Und außerdem bietet sie einen Vorwand, ungestört und ohne Zwang traurig sein zu können.«

»Diese sonst ganz richtige Betrachtung war auf Fräulein de la Chaux nicht anwendbar.

Während der Zeit ihrer Genesung regelten wir ihre Zeiteinteilung. Sie hatte einen guten Kopf, Phantasie, Geschmack, Kenntnisse, mehr als erforderlich war, um zur Akademie der Inschriften zugelassen zu werden. Sie hatte uns so oft metaphysische Dinge behandeln hören, daß ihr die abstraktesten Materien vertraut geworden waren, und ihr erster literarischer Versuch war die Übersetzung von Humes Essay über die menschliche Erkenntnis. Ich sah sie durch, und ich muß gestehen, daß ich außerordentlich wenig zu berichtigen fand. Diese Übersetzung wurde in Holland gedruckt und vom Publikum beifällig aufgenommen.

Mein Brief über die Taubstummen erschien fast gleichzeitig. Einige sehr feine Einwendungen, die sie machte, gaben Veranlassung zu einem Anhang, den ich ihr widmete, und dieser Anhang ist nicht das schlechteste, was ich geschrieben habe.

Fräulein de la Chaux' Heiterkeit war zum Teil wiedergekehrt. Der Doktor lud uns bisweilen zum Essen ein, und dann ging es bei Tisch nicht sehr trübselig her. Seit Gardeil sich nicht mehr sehen ließ, war Le Camus' Leidenschaft erheblich gewachsen. Eines Tages, bei Tisch, als sie beim Dessert waren, und er sich mit allem Freimut und aller Feinfühligkeit, aller Naivität eines Kindes und der ganzen Feinheit eines geistvollen Mannes darüber aussprach, sagte sie, mit einer Ehrlichkeit, die mir unendlich gefiel, die vielleicht aber andern mißfallen wird: ›Lieber Doktor, die Achtung, die ich für Sie empfinde, kann unmöglich jemals größer werden; Sie haben mich mit Liebesdiensten überschüttet, und ich müßte ein so schwarzes Herz haben wie das Ungeheuer in der Rue Hyacinthe, wenn ich nicht von der heißesten Dankbarkeit erfüllt wäre. Ihr ganzes Wesen ist mir unendlich sympathisch. Sie sprechen von Ihrer Leidenschaft mit soviel Zartgefühl und Anmut, daß es mir, glaube ich, schmerzlich sein würde, wenn Sie nicht mehr davon sprächen. Schon der Gedanke, Ihre Gesellschaft zu entbehren oder Ihrer Freundschaft beraubt zu werden, würde genügen, mich unglücklich zu machen. Sie sind ein Ehrenmann, wenn überhaupt jemand auf diesen Namen Anspruch erheben darf. Sie sind von einer unvergleichlichen Güte und Sanftheit des Charakters. Ich glaube nicht, daß ein Herz in bessere Hände kommen könnte. Ich predige dem meinen vom Morgen bis zum Abend zu Ihren Gunsten; aber was nützt alles Predigen, wenn der gute Wille fehlt. Ich komme damit nicht weiter. Unterdes leiden Sie und das schmerzt mich tief. Ich kenne niemanden, der des Glückes, das Sie ersehnen, würdiger wäre als Sie, und ich weiß nicht, was ich nicht tun würde, um Sie glücklich zu machen. Alles, ohne Ausnahme. Ja, lieber Doktor, ich würde … ich würde so weit gehen, so weit, daß ich Ihnen erlaubte, bei mir zu schlafen. Wollen Sie bei mir schlafen? Sie brauchen es nur zu sagen. Das ist alles, was ich Ihnen zu Gefallen tun kann; aber Sie wollen geliebt werden, und das kann ich nicht.‹

Der Doktor hörte ihr zu, faßte ihre Hand, küßte sie, netzte sie mit seinen Tränen, während ich nicht wußte, ob ich weinen oder lachen sollte. Fräulein de la Chaux kannte den Doktor gut, und am andern Tage sagte ich zu ihr: ›Aber liebe Freundin, wenn der Doktor Sie beim Wort genommen hätte?‹ Sie erwiderte: ›Ich hätte mein Wort gehalten, aber das konnte nicht geschehen; mein Anerbieten war nicht so, daß ein Mann seines Charakters es annehmen konnte …‹ – ›Warum nicht? Ich glaube, wenn ich an des Doktors Stelle gewesen wäre, hätte ich gehofft, daß das übrige hinterher kommen werde.‹ – ›Ja; aber wenn Sie an des Doktors Stelle gewesen wären, hätte Fräulein de la Chaux Ihnen diesen Vorschlag nicht gemacht.‹

Die Übersetzung Humes hatte ihr nicht viel Geld eingebracht. Die Holländer drucken soviel man will, wenn sie nur nichts zu bezahlen brauchen.«

»Zum Glück für uns; denn wenn sie auf den Gedanken kämen, einmal die Autoren zu bezahlen, so würden sie bald den ganzen Buchhandel zu sich hinüberziehen, auf Grund der Fesseln, die bei uns dem Geiste angelegt werden.«

»Wir rieten ihr, ein unterhaltendes Werk zu schreiben, mit welchem weniger Ehre und mehr Gewinn verbunden wäre. Sie arbeitete vier oder fünf Monate daran und brachte mir dann einen kleinen historischen Roman, betitelt: Die drei Favoritinnen. Er zeichnete sich durch Leichtigkeit des Stils, Feinheit und interessanten Inhalt aus; aber ohne daß sie sich dessen bewußt gewesen wäre, – denn Bosheit lag ihr fern, – war er mit einer Unmenge von Einzelheiten durchsetzt, die auf die Pompadour Anwendung finden konnten; und ich verhehlte ihr nicht, daß es fast unmöglich wäre, ihr Werk erscheinen zu lassen, ohne sich großen Unannehmlichkeiten auszusetzen, selbst wenn sie das Opfer brächte, diese Stellen zu mildern oder zu streichen; auch werde der Kummer, das zu verderben, was Gutes darin war, sie nicht vor einem noch größeren bewahren.

Sie sah die Richtigkeit meiner Bedenken ein und war sehr traurig darüber.

Der gute Doktor kam allen ihren Bedürfnissen zuvor, aber sie machte von seiner Gutherzigkeit mit um so größerer Zurückhaltung Gebrauch, je weniger sie sich zu der Art Dankbarkeit geneigt fühlte, die er von ihr erhoffen mochte. Übrigens war der Doktor damals nicht reich und tat auch nicht allzuviel, es zu werden. Von Zeit zu Zeit zog sie ihr Manuskript aus ihrer Mappe und sagte traurig: ›Es gibt wohl keine Möglichkeit, etwas damit anzufangen, und es muß hier liegen bleiben.‹

Ich gab ihr einen sonderbaren Rat, den nämlich, das Werk so, wie es war, ohne Milderungen, ohne Veränderungen, an die Pompadour selbst zu schicken, mit einem kurzen Schreiben, das ihr über diese Sendung Aufschluß gab. Dieser Gedanke gefiel ihr. Sie schrieb einen in jeder Beziehung reizenden Brief, der besonders durch seinen wahrhaften Ton unwiderstehlich war.

Zwei oder drei Monate verflossen, ohne daß man das geringste hörte; und sie hielt den Versuch für gescheitert, als eines Tages ein Herr mit dem Ludwigskreuz bei ihr erschien und ihr die Antwort der Marquise überbrachte. Sie lobte das Werk nach Verdienst, dankte für das Opfer, gab die Möglichkeit der Beziehungen und Deutungen zu, war keineswegs dadurch beleidigt und lud die Verfasserin ein, nach Versailles zu kommen, wo sie eine dankbare Frau finden würde, die stets bereit sei, ihr jeden Dienst zu leisten, der in ihrer Macht stehe. Als der Bote Fräulein de la Chaux verließ, legte er heimlich auf den Kamin eine Rolle mit fünfzig Louisdor.

Der Doktor und ich drangen in sie, sich das Wohlwollen der Pompadour zunutze zu machen, aber wir hatten mit einem Mädchen zu tun, dessen Bescheidenheit und Schüchternheit ihren anderen Tugenden gleichkam. Wie konnte sie sich mit ihren Lumpen dort präsentieren? Der Doktor behob diese Schwierigkeit sofort. Nach den Kleidern fand sie andere Vorwände und dann wieder andere. Die Reise nach Versailles wurde von Tag zu Tag aufgeschoben, bis es eigentlich nicht mehr angebracht erschien, sie überhaupt noch zu machen. Es war schon zu der Zeit, da wir nicht mehr darüber sprachen, als derselbe Bote wieder erschien, mit einem zweiten Brief voll der liebenswürdigsten Vorwürfe und einem abermaligen Geschenk, das dem ersten gleichkam und mit dem gleichen Zartgefühl überbracht wurde. Diese großmütige Tat der Marquise ist nicht bekannt geworden. Ich habe mit Collin, ihrem Vertrauten und dem Verteiler ihrer geheimen Wohltaten, darüber gesprochen. Er wußte nichts davon, und ich gebe mich gern dem Glauben hin, daß es nicht die einzige schöne Tat ist, die ihr Grab birgt.

So versäumte Fräulein de la Chaux zweimal die Gelegenheit, ihrem Elend zu entrinnen.

Schließlich verlegte sie ihre Wohnung an die Peripherie der Stadt und ich verlor sie ganz aus den Augen. Ich weiß nur von dem Rest ihres Lebens, daß es eine ununterbrochene Kette von Kümmernissen, von Unsicherheit und Elend gewesen ist. Ihr elterliches Haus blieb ihr hartnäckig verschlossen. Sie rief vergeblich die Vermittlung der heiligen Männer an, die sie mit so großem Eifer verfolgt hatten.«

»Das ist gewöhnlich so.«

»Der Doktor verließ sie nicht. Sie starb auf Stroh, in einer Dachkammer, während die kleine Bestie aus der Rue Hyacinthe, der einzige Liebhaber, den sie gehabt hatte, in Montpellier oder in Toulouse als Arzt wirkte, und in großem Wohlstand den wohlverdienten Ruf eines geschickten Mannes und den zu Unrecht angemaßten Ruf eines Ehrenmannes genoß.«

»Aber das ist ja auch ganz wie es sein muß. Wenn einer ein guter und anständiger Tanié ist, schickt die Vorsehung ihn zu einer Reymer; wenn jemand eine brave, gute de la Chaux ist, fällt sie einem Gardeil zu, damit alles aufs Beste eingerichtet sei.«

»Man wird vielleicht einwenden, daß es übereilt ist, nach einer einzigen Handlung das endgültige Urteil über den Charakter eines Menschen zu fällen, daß eine so große Strenge die Zahl der ehrenhaften Leute so sehr vermindern müßte, daß ihrer nicht einmal so viele auf Erden mehr sein würden, wie das christliche Evangelium Auserwählte in den Himmel zuläßt; man kann einwenden, man könne unbeständig in der Liebe sein und sich sogar auf seine geringe Gewissenhaftigkeit im Verkehr mit Frauen etwas zugute tun, ohne deshalb ehrlos und niedrig zu sein; man sei nicht imstande, eine aufglimmende Leidenschaft zu unterdrücken und eine erlöschende neu anzufachen; es gebe schon in Straßen und Häusern genug Menschen, die mit vollem Recht den Titel Schurken verdienen, ohne daß man eingebildete Verbrechen ersinnen müsse, die ihre Zahl ins Unendliche vermehren würden. Man wird mich fragen, ob ich nie ohne Grund eine Frau verraten, betrogen oder verlassen habe. Wenn ich auf diese Fragen antworten wollte, würde meine Antwort nicht ohne Gegenrede bleiben, und der Disput würde bis zum jüngsten Tage dauern. Aber Hand aufs Herz, sagen Sie mir, Sie Verteidiger der Betrüger und der Treulosen: würden Sie den Doktor in Toulouse zu Ihrem Freunde wählen? … Sie zögern? Damit ist alles gesagt, und somit bitte ich Gott, jedes Weib in seinen heiligen Schutz zu nehmen, dem Sie Ihre Huldigung darbringen möchten.«


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