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Was halten Sie davon?

Die Gebeine Voltaires und Rousseaus wurden, als die Revolution gesiegt hatte, ins Pantheon überführt, der Asche Diderots blieb diese Ehrung versagt.

Daß er an Wirkung hinter Rousseau zurückstand, ist begreiflich; gegen ihn, den Propheten, war er nur ein Schriftsteller. Aber war Voltaire mehr als Schriftsteller? Nichts in Voltaire überragt die Talente Diderots, nicht der Dichter, nicht der Philosoph, nicht der Charakter und nicht die Menschlichkeit. Man darf sogar sagen, der Philosoph Diderot habe kühnere und geschlossenere Gedanken, sein Verhältnis zu Menschen sei hilfsbereiter, herzlicher, und seinem Charakter fehlten die Schlacken oder Flecken Voltaires.

An Rousseaus elementarer Dämonie gemessen, besaß Voltaire nur die kleine eines beunruhigenden und gefürchteten Streiters – Diderot aber ist ganz undämonisch. Das mag der Grund für jene geringere Wirkung auf die Phantasie seines Jahrhunderts gewesen sein, wozu die Tatsache kam, daß manche seiner wesentlichsten Schriften zu seinen Lebzeiten nur handschriftlich umliefen und erst lange nach seinem Tod im Druck erschienen.

Anständigkeit, Sachlichkeit, Liebenswürdigkeit, Einfachheit, alles Eigenschaften, die die Beschäftigung mit Diderot so anziehend machen, sind Auswirkungen des Begriffs Menschlichkeit; und doch fand diesen das Bewußtsein der Zeit in dem Psychopathen Rousseau und dem Zyniker Voltaire verkörpert – vermutlich gerade weil er bei ihnen nicht so selbstverständlich wie bei Diderot war, sondern erst erkämpft wurde. Will man leugnen, daß Rousseau (wie später Dostojewski) ein Verbrecher, Voltaire ein zweiter Aretino hätte werden können?

Der Toleranzbegriff Voltaires war eine Sublimierung von Kräften des Bösen, hob aber, als er gefunden war, seinen Träger ins Europäische: eine große Moralität wurde geboten und riß die Geister mit. Repräsentant wird immer nur, wer seine Energie in Moralität verwandeln kann. Das gelang dem gewiß von Natur aus nicht gütigen Voltaire, und diese unerwartete Verwandlung ist seine Dämonie.

Diderot nun verwandelte sich nicht, er besaß und war mehr unermüdlicher Arbeiter im Dienst der Idee als einer, der ihr in sich zum Sieg verhelfen hätte. Voltaire überhöhte den Rationalismus, den er mit Diderot teilte; dieser durchleuchtete gleichmäßig die geistige Welt mit der Vernunft, als deren Verwalter er sich betrachtete. Es war unvermeidlich, daß Diderot bürgerlicher wirkte, wie sein Leben bescheidener verlief und nicht die Katastrophen oder Gefährdungen aufweist, die in das Leben Voltaires die heftige Spannung brachten.

 

Wir wissen heute nicht mehr, welch eine Tat die Proklamation der Vernunft, d. h. eines Prinzips war, das die bestehende Gesellschaft und ihre Kultur zwang, sich an ihm messen zu lassen – und verworfen zu werden.

Seit Montaigne hatte die Unabhängigkeit des Menschen keinen Fortschritt gemacht, wohl aber einen ungeheuren Rückschritt. Wer hätte unter den drei Ludwigen gewagt, wie Montaigne zu schreiben? Man lese den sicherlich sauberen La Bruyère, um zu erkennen, wie die Errichtung eines zentralistischen Gesellschaftssystems, des absoluten Königtums, die Souveränität des Geistes gebrochen hatte. Die Idee der Entwicklung war verschwunden, aus jeder Zeile La Bruyères spricht die Überzeugung, daß für alle Zeiten die Versailler Welt aufgerichtet stehe und, obendrein, mit der Antike identisch sei. Seit Montaigne hatte sich auch der Katholizismus reformiert und duldete keine Abweichung vom Dogma.

Wer gegen diese beiden Mächte Hof und Kirche auftrat, lief zwar nur noch ausnahmsweise Gefahr, verbrannt zu werden, aber jede andre Gefahr an Freiheit und Besitz; die der bürgerlichen Ächtung nicht zu vergessen, die in einer so geschlossenen Gesellschaft wie der des europäischen China schwer zu tragen war.

So entstand die Tapferkeit der großen Schriftsteller der Aufklärung, die Fülle ihrer Aufgaben, die Unmittelbarkeit der geistigen Existenz. Sie fühlten, was das Beneidenswerteste ist: die Berufung, den Wert, die Unentbehrlichkeit ihres Amtes. Während das Organ der Gesellschaft, der Staat, sie verbannte, ins Gefängnis warf, ihre Bücher untersagte, eroberten sie die Menschen dieser Gesellschaft und waren Macht, derart daß rings um Frankreich ihre natürlichen Feinde, die absolutistischen Könige und Kaiserinnen, ihnen Gunst und Hilfe zuwandten.

Neben Voltaire ist Diderot derjenige, von dem am stärksten jene Stimmung der Tapferkeit ausgeht, die untrennbar mit prachtvoller Arbeitsamkeit verbunden ist. Wo der geistige Mensch noch aus dem Vollen schöpfen kann, wo der Gegner mächtig, das Ziel groß ist, wo Enthusiasmus keinen Raum für die Skepsis des Literaten läßt, da darf Leben mit der Feder in der Hand Leben schlechthin heißen.

Es gehört zum Wesen dieser Schriftsteller, daß sie das biblische Alter erreichten, bis ins letzte Jahr arbeiteten und ihren Schatz nicht ängstlich hüteten; Diderot ließ sich, wie er sagte, sein Leben nicht stehlen, sondern teilte es mit, wie er die Fähigkeit besaß, ein guter Freund zu sein; seine Toleranz gegen die, die der religiösen Brücke bedurften, war bekannt; es dürfte müßig sein, problematische Züge in ihm zu suchen. Die Idee führte ihn, daher Diderot den schönen Ausspruch tun konnte, es komme nicht darauf an, ob eine Sache von ihm oder einem andren, sondern daß sie überhaupt und gut gemacht werde.

 

Bei französischen Schriftstellern braucht oder darf man gar das Dichterische nicht vom Geistigen trennen; das ist deutsche Manier, die einer ganz andren Auffassung vom Dichter entspringt. Ganz unerlaubt ist diese Scheidung gegenüber den Schriftstellern der Aufklärung. Sie sind alle ebensosehr Kritiker, wie sie Philosophen, Dramatiker, Erzähler sind.

So heftig sie gegen Dogma, Absolutismus und Klassizismus Sturm liefen, so französisch blieben sie doch; sie bereiteten den Realismus, die Kunst des aufsteigenden Bürgertums, vor; als Philosophen trieben sie kaum reine Philosophie, die Theorie des Denkens und der Erkennbarkeit interessierte sie nicht; sie führten den Kampf der Wissenschaft gegen die Theologie, Metaphysik lag ihnen fern wie alles Zeitlose. Man darf sich daher nicht durch ihre Vorliebe für angeblich asiatische oder afrikanische Rahmen, in die sie ihre Erzählungen gern stellten, beirren lassen. Banza, Hauptstadt des Kongoreiches, in dem Diderots Geschwätzige Kleinode spielen, ist Paris. Diese exotischen Kulissen waren ein Kunstgriff, um der Zensur einen Streich zu spielen und indirekt zu sagen, was direkt nicht gesagt werden konnte.

Zum andren griff man nach dem Zeitlosen, weil das Neue, die bürgerliche Realität, sich noch nicht kristallisiert hatte. Doch drang Diderot nach jenem Erstlingsroman, der 1748 erschien – Diderot lebte von 1713 bis 1784 – immer entschiedener in Theorie wie Praxis des bürgerlichen Schauspiels und des natürlichen Romans ein; 1760 erschien Die Nonne, 1762 Rameaus Neffe, 1773 Jacques der Fatalist, dessen Lebendigkeit das Alter des Schriftstellers nicht verrät, dazwischen die kleinen Erzählungen.

Der Bruch mit dem Klassizismus und seinen Heroen, die hoffähig gemacht werden mußten, um mit Königen sprechen zu können, ist bei Diderot entschiedener als bei Voltaire. Die schon in den Geschwätzigen Kleinoden auftauchenden Argumente gegen den Unrealismus der Reden und Handlungen mögen uns, die alle Stile umfassen, rationalistisch erscheinen; dahinter suche man aber als treibende Kraft das Verlangen nach einer Erweiterung der Stoffgebiete. Der Durchbruch ist vollkommen in Jacques dem Fatalisten, der Diener tritt neben den Herrn, Figaro vorwegnehmend, er hat seine eigene Philosophie, seinen eigenen Humor und den Mut zu seinen Menschlichkeiten; ebenso tritt die Wirtin, liebevoll gezeichnet, neben die adligen Damen, und wenn der Marquis des Arcis, dem »Weibliche Rache« eine Gefallene als Frau untergeschoben hat, sich überwindet und sein Weib aus freiem Willen zu seiner Gefährtin macht, verdichtet sich Aufklärung wie im Nathan des Diderot befreundeten Lessing zu gefühlsmäßiger Unmittelbarkeit.

Hermann Hettner, der Geschichtsschreiber der Literatur des achtzehnten Jahrhunderts, gibt sich als braver Mann Mühe, seine aus der deutschen Ästhetik bezogenen Scheuklappen abzulegen; aber bei dem Jugendroman Diderots, in dem die Damen einen zweiten geheimen Mund haben, der zu sprechen beginnt und erzählt, was ist, kann er nicht mit und selbst in Jacques dem Fatalisten stören ihn die Derbheiten, die lose Komposition, die angebliche Öde des Schlusses.

Goethe dagegen nennt den Roman »eine sehr köstliche und große Mahlzeit, mit großem Verstand zugerichtet«, und in der Tat, derselbe Diderot, der als Kunstkritiker der »Salons« nicht immer dem französischen Laster des Rationalismus entgeht, findet hier einen Humor, der sich zwar mit dem wahrhaft der Anschauung entspringenden Shakespeares nicht messen kann, aber von Sterne so viel gelernt hat, wie das einem Franzosen möglich ist. Gerade die lockere, ineinandergeschachtelte, nie aber unklare Komposition ist Übertragung des Humors auf die Form. Die Dämonie fehlt, aber die Menschlichkeit ist vollgültig.

Diderot hat keine Ehrenrettung nötig, höchstens eine Verteidigung gegen diejenigen, die eine Weltauffassung ohne religiöse Sentimentalitäten als materialistisch abtun. Er kam vom positiven Glauben über den Deismus, der den Schöpfer annimmt, um ihn gleichwie einen Prinzgemahl zu pensionieren, zum sensualistischen Atheismus. Aber dieser ist, da er sich im wesentlichen vom Mechanismus freihält, noch immer ein Motiv, das sich mit Religiosität verträgt. Es liegt mir fern, Diderot über sein rationalistisches Jahrhundert zu erheben, man muß ihn in ihm sehen; aber in ihm war er die reinste und klarste Erscheinung, einer der Toleranz lebte.

Otto Falke

*

 

Eines Tages sah sich ein Mann an das Gestade eines seltsamen Landes geworfen. Es war von Männern und Frauen aller Gestalten und jedes Alters bewohnt. Nachdem er seine Blicke auf die verschiedenen Dinge gerichtet hatte, die ihn erstaunten, suchte er in der ihn umgebenden Menge nach einem, der ihn über die Gesetze und Gewohnheiten unterrichten konnte, denn der Ort gefiel ihm und er wünschte sich hier niederzulassen. Er sah drei Greise mit langem Bart, die miteinander plauderten. Er redete sie an. »Würden Sie mir sagen, meine Herren,« fragte er, »wo ich bin und wem dies Land gehört? Wenn die Sitten der Einwohner der Weisheit und Ordnung entsprechen, die ich in der Bewirtschaftung Ihrer Äcker bemerke, sind Sie von dem besten und größten aller Fürsten regiert.«

»Nichts ist leichter, als Ihre Neugier zu befriedigen,« erwiderte einer der Greise dem Fremden. »Sie sind in dem Reiche des wohltätigen Geistes, der das gegenüberliegende Gestade bewohnt; Sie sind gegen Ihren Willen und auf seinen Befehl an dieses Ufer geworfen; er lebt der Idee, Menschen glücklich zu machen, und läßt in dieser Absicht die Fremden Schiffbruch erleiden. Alle, die nicht ertrinken, nimmt er unter seinen Schutz und hält sie für einige Zeit in diesem Lande fest, das Sie mit Recht bewundern. Diese Herren und ich sind seine Minister und von ihm beauftragt, seine Untertanen über seinen Willen zu unterrichten, dafür zu sorgen, daß die Gesetze innegehalten werden, die er vorschreibt, und Strafe oder Belohnung zu verheißen.«

»Aber meine Herren, warum hält er sich nicht – da dieses Land doch so schön ist – inmitten seiner Schützlinge auf, und was hat er am anderen Ufer zu tun?«

»Wir können es ihm erlassen, sich zu zeigen,« erwiderte der Greis, »weil wir von ihm selbst inspiriert sind … Aber wir müssen Ihnen die Bedingungen mitteilen, die der Geist vorschreibt, um in seinen Reichen glücklich leben zu können …«

»Bedingungen?« erwiderte der Fremde; »sagten Sie mir nicht, ich sei durch den Willen des Geistes hierhergekommen, und mein Hiersein hänge nicht von meinem Willen ab?«

»Das ist richtig,« erwiderte der Greis.

»Es ist also absurd, mir Bedingungen aufzuerlegen,« versetzte der Fremde, »da ich nicht die Freiheit habe, sie anzunehmen oder abzulehnen …«

»Sie sind nicht frei?« erwiderte der Greis; »welche Blasphemie! Beeilen Sie sich, diesen Irrtum fahren zu lassen …«

»Lassen Sie ihn reden,« fügte ganz leise sein Kamerad hinzu, »und hüten Sie sich, an die Freiheit zu glauben, denn Sie würden die große Güte des Geistes beleidigen …«

»Überdies, mein Herr,« fuhr der erste mit bescheidener und gewinnender Miene fort, »müssen Sie, bevor wir weitergehen, wissen, daß man mich Hochwürden nennt; so hat es der wohltätige Geist befohlen, der mich hier eingesetzt hat, um seine Befehle auszuführen. In der ganzen Gegend ist nur ein einziger Mensch, der über uns dreien steht; deshalb hat der herrschende Geist ihn den Diener der Diener genannt; denn der herrschende Geist ist von Rechtlichkeit und Weisheit erfüllt und irrt niemals in seinen Maßnahmen.«

Der Fremde wußte nicht, was er davon halten sollte, als er sah, wie diese nach ihrem Benehmen, ihrem Alter und der Ehrfurcht, die ihnen alle erwiesen, zu urteilen, vernünftigen Menschen kaltblütig solche Extravaganzen vorbrachten.

Während sie plauderten, hörten sie großen Lärm, untermischt mit Schmerzensrufen und Freudengeschrei. Der Fremde, der noch immer ebenso neugierig wie erstaunt war, fragte nach der Ursache. »Es kommt von Zeit zu Zeit vor,« erwiderte der dritte Greis, »daß der Geist, um die Geduld seiner Untertanen und ihr Vertrauen zu ihm auf die Probe zu stellen, verlangt, daß sie, während sie seine Güte, seine Nachsicht und seine Gerechtigkeit preisen, getötet werden. Diese Ehre ist seinen Günstlingen vorbehalten. Denn nicht alle seine Untertanen sind gleichermaßen verpflichtet, ihn für vollkommen zu halten, manche haben sich durch Schwur während ihres ersten Schlafes dazu verpflichtet.«

»Wie, Hochwürden, man schwört in Ihrem Lande im Schlafe?« rief der Fremde.

»Das ist die Regel,« erwiderte der Greis, »und Sie selber haben es auch getan, als Sie an dieses Gestade geworfen wurden.«

»Ich hätte einen Schwur geleistet?« fuhr der Fremdle fort. »Ich will sterben, wenn ich ein Wort davon weiß.«

»Sie sind trotzdem gebunden,« fuhr der Minister fort, »und nun will ich Ihnen sagen, wie diese Zeremonie vor sich gegangen ist, ohne die Sie nicht als Bürger dieser Insel angesehen werden können. Sobald man uns benachrichtigt, daß ein Fremder in unser Land gekommen ist, eilen wir, ihn zu empfangen; dann nimmt man aufs Geratewohl zwei Bürger, die stets unsere Gesetze, unsere Sitten und Gebräuche von Grund aus kennen, und läßt sie zu beiden Seiten des Fremden Aufstellung nehmen. Während er auf dem Boden liegt und schläft, fragt man ihn und teilt ihm die Bedingungen mit, die unerläßlich sind, um als Bürger der Insel zugelassen zu werden. Die beiden Bürger sprechen für ihn den Schwur aus, durch den er sich verpflichtet, sich sein ganzes Leben lang dem Glauben und den Gesetzen des Landes zu fügen.«

»Sie machen sich über mich lustig,« versetzte der Fremde zornig. »Wozu hat man mich denn angeblich verpflichtet, wollen Sie mir das bitte sagen.«

»Nun,« sagte der Greis, »unter anderem dazu, zu glauben, daß der Geist drei Köpfe hat und daß nur ein Geist diese drei Köpfe belebt; zu glauben, daß er voll Gerechtigkeit und Güte ist, denn er liebt seine Untertanen und macht sie nur zu ihrem eigenen Besten unglücklich, oder um ihrer Schuld, beziehungsweise um der Schuld anderer willen; zu glauben, daß sein Herz den Leidenschaften verschlossen ist, daß der Zorn, den er bezeigt, kein Zorn ist; daß die Freude, die er äußert, keine Freude ist, weil seine Seele sich in einem solchen Zustande der Vollkommenheit befindet, daß sie nur scheinbar erschüttert werden kann. Der Rest Ihrer Verpflichtungen ist im kurzen Abriß in den zwölf Foliobänden enthalten, die Sie hier sehen und die Sie zu Ihrem Vergnügen auswendig lernen werden; aber Sie müssen wissen, daß Sie, wenn Sie ein einziges Wort darin falsch auslegen, ohne Gnade verloren sind.«

Der Ernst, mit dem diese Absurditäten vorgebracht wurden, ließ ihn einen Augenblick glauben, diese Greise oder er selbst seien verrückt geworden; er trennte sich von ihnen, eilte durch die Stadt und bekam von verschiedenen Leuten die gleichen Belehrungen.

Die Unmöglichkeit, diese Insel zu verlassen, ließ ihn den Entschluß fassen, sich wie die anderen zu benehmen, obwohl er sich im Grunde nicht entschließen konnte, ein Wort von alledem zu glauben, was er glauben sollte. Eines Tages, als er von einer langen Wanderung ermüdet war, setzte er sich auf einen Baumstamm am Ufer des Flusses und gab sich seinen Träumereien hin. Er merkte erst, daß der Stamm ihn unmerklich an das gegenüberliegende Ufer schwemmte, als er drüben ankam.

»Oh, zum Teufel,« sagte er, »ich werde also endlich diesen sonderbaren Geist sehen,« und schickte sich an, ihn zu suchen. Nachdem er die Insel nach allen Seiten durchstreift hatte, fand er ihn endlich, oder fand ihn vielleicht auch nicht; denn ich muß gestehen, daß ich trotz meinen eifrigen Studien der Reiseschilderungen hierüber nichts Positives sagen kann. Aber wenn er ihn fand, sagte er zweifelsohne zu ihm: »Herr Geist, wenn Sie wüßten, was man am jenseitigen Ufer von Ihnen sagt, würden Sie aus vollem Herzen lachen. Es ist wirklich nicht meine Schuld, daß ich nicht ein Wort von all dem habe glauben können, was Sie angeblich für mich getan haben, und wenn ich so weit gekommen bin, sogar an Ihrer Existenz zu zweifeln; man hat mir alles in einer so lächerlichen Art erzählt, daß man wirklich gar nicht die Möglichkeit hatte, daran zu glauben.«

Der Geist wird wahrscheinlich über den Freimut des Fremden gelächelt und in majestätischem und spöttischem Ton zu ihm gesagt haben: »Es kümmert mich wenig, mein Freund, ob du und deinesgleichen an meine Existenz glaubt oder sie leugnet. Beruhige dich nur. Weder zu deinem Glück noch zu deinem Unglück hast du in diesem Lande gelebt. Wenn man sich einmal auf dem Wege befindet, den du eingeschlagen hattest, ist es eine Notwendigkeit, in dies Land zu kommen, weil der Weg nirgends anders hinführt. Diesem Zwange gehorchend hat der Flußlauf dich hierhergebracht; ich könnte dir über dies alles,« wird er hinzugefügt haben, »sehr schöne Dinge sagen; aber du kannst dir wohl denken, mein Kind, daß ich anderes zu tun habe, als einen Straßenjungen wie dich zu belehren. Richte dich hier in irgendeinem Winkel ein und laß mich in Ruh, bis deine Zeit kommt. Guten Abend.«

Der Fremde wird, während er sich zurückzog, bei sich selbst gesagt haben: »Ich wußte ja, wenn auf diesem Ufer ein Geist lebte, so mußte er gut und nachsichtig sein, und wir würden nichts miteinander zu tun haben. Jedenfalls gibt es, wenn man sich nicht selbst betrügen will, nur ein Mittel: nämlich immer aufrichtig gegen sich selbst zu sein.«

Was halten Sie davon?


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