Charles Dickens
Schwere Zeiten
Charles Dickens

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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Tag und Nacht kamen, Tag und Nacht gingen. Kein Stephen Blackpool. Wo war der Mann und warum kam er nicht zurück?

Jeden Abend kam Cili zu Rachaels Wohnung und saß mit ihr in ihrem kleinen, reinlichen Zimmer. Den ganzen Tag mühte sich Rachael an ihrer Arbeit ab, wie sich dieser Schlag Leute abmühen muß, so groß ihr Kummer auch sein mag. Die Rauchschlangen waren gleichgültig dagegen, wer verloren oder gefunden wurde, wer einen guten oder schlimmen Ausgang nahm; die melancholisch tollen Elefanten verloren, gleich den Männern der »harten Tatsachen«, nichts von ihrer gesetzten Routine, was immer auch sich ereignen mochte. Tag und Nacht kamen, Tag und Nacht gingen. Die Einförmigkeit war ununterbrochen. Selbst Stephen Blackpools Verschwinden fiel der Alltäglichkeit anheim und wurde ein ebenso eintöniges Wunder wie irgendein Maschinenstück von Coketown.

»Ich zweifle«, sagte Rachael, »ob im ganzen noch zwanzig in der ganzen Stadt übrig sind, die an dem armen, lieben Jungen noch Glauben haben.«

Sie sagte das zu Cili, als sie in ihrer Wohnung beisammensaßen, die einzig von der Lampe an der Straßenecke beleuchtet wurde. Cili war hergekommen, als es schon dunkel war, um ihre Heimkehr von der Arbeit zu erwarten; und sie hatten seitdem am Fenster gesessen, wo Rachael sie gefunden, ohne ein helleres zu verlangen, um ihr kummervolles Gespräch zu bescheinen.

»Wenn es nicht aus Barmherzigkeit so gefügt wäre, daß ich mit Euch sprechen könnte«, fuhr Rachael fort, »so gibt es Zeiten, wo ich glaube, mein Verstand würde sich nicht unverwirrt gehalten haben. Aber ich erhalte Hoffnung und Stärke durch Euch; und Ihr glaubt, daß, obgleich der Anschein sich gegen ihn erheben mag, er unschuldig befunden werden wird?«

»Ich glaube so«, antwortete Cili, »von ganzem Herzen. Ich fühle so zuversichtlich, Rachael, daß das Vertrauen, das Ihr allen Entmutigungen zum Trotze auf das Eurige setzt, nicht falsch sein kann, daß ich nicht mehr an ihm zweifle, als wenn ich ihn durch die Erfahrung so vieler Jahre kennengelernt hätte, wie Ihr.«

»Und ich, meine Teure«, sagte Rachael mit zitternder Stimme, »habe ihn während aller dieser Zeit als so treu gegen alles Edle und Gute in seiner ruhigen Weise erkannt, daß, selbst wenn nie wieder etwas von ihm gehört und ich hundert Jahre alt werden sollte, ich mit meinem letzten Atemzuge erklären könnte: Gott kennt mein Herz, ich habe niemals aufgehört, Stephen Blackpool zu trauen!«

»In unserem Hause, Rachael, glaubt alles, daß er vom Verdachte freikommen werde, früher oder später.«

»Je mehr ich erkenne, daß man mir dort glaubt, meine Teure, und je dankbarer ich es empfinde, daß Ihr von dort herkommt, um mich zu trösten, mir Gesellschaft zu leisten und bei mir gesehen zu werden, während ich selbst noch nicht von allem Verdachte frei bin, desto mehr betrübt es mich, daß ich je diese mißtrauischen Worte zu der jungen Lady sprechen konnte. Und doch –«

»Ihr setzt kein Mißtrauen mehr in sie, Rachael?«

»Jetzt, wo Ihr uns einander nähergebracht habt, nein. Aber ich kann es nicht zu jeder Zeit aus meinem Sinne verbannen –«

Ihre Stimme sank so vollständig zu einem leisen und langsamen Insichhineinreden herab, daß Cili, die dicht neben ihr saß, mit Aufmerksamkeit horchen mußte.

»Ich kann es nicht zu jeder Zeit aus meinem Sinne verbannen, irgend jemanden in Verdacht zu haben. Ich kann mir nicht denken, wer es ist, ich kann mir nicht denken, wie und warum es geschehen sein mag, aber ich hege Verdacht, daß jemand Stephen aus dem Wege geräumt hat. Ich hege Verdacht, daß irgend jemand durch seine freiwillige Zurückkunft und dadurch, daß er sich vor ihnen allen als unschuldig erweisen werde, bloßgestellt würde und, um das zu verhüten, ihn aufgehalten und aus dem Wege geräumt hat.«

»Das ist ein schrecklicher Gedanke«, sagte Cili erbleichend.

»Es ist ein schrecklicher Gedanke, anzunehmen, daß er gemordet sein könnte.«

Cili schauderte und wurde noch bleicher.

»Wenn mir das in den Sinn kommt, Liebe«, sagte Rachael, »und es kommt manchmal, obgleich ich alles tue, um es mir fern zu halten, indem ich bis zu hohen Zahlen bei meiner Arbeit zähle und immer wieder und wieder Stücke hersage, die ich konnte, als ich Kind war, – so verfalle ich in eine so wilde, heiße Unruhe, daß ich trotz meiner Ermüdung meilenweit gehen möchte. Ich muß Herr darüber werden, ehe ich schlafen gehe. Laßt mich mit Euch nach Hause gehen.«

»Er könnte vielleicht auf der Rückreise krank geworden sein«, versetzte Cili, indem sie ihr schüchtern einen abgenutzten Hoffnungsbrosamen hinwarf; »und in diesem Falle gibt es viele Orte am Wege, wo er weilen könnte.«

»Aber er ist in keinem von allen. Er ist in allen gesucht und nicht gefunden worden.«

»Wahr«, mußte Cili widerstrebend zugestehen.

»Er konnte den Weg in zwei Tagen machen. Wenn er schlecht zu Fuß war und nicht gehen konnte, so habe ich ihm in dem Brief, den er erhielt, das Geld geschickt, um zu fahren, damit er sein eigenes nicht auszugeben brauche.«

»Laßt uns hoffen, daß der morgende Tag etwas Besseres bringen werde, Rachael. Kommt an die Luft!«

Ihre freundliche Hand legte Rachaels Schal über ihr glänzend schwarzes Haar zurecht in der gewöhnlichen Weise, wie sie ihn trug, und sie gingen hinaus. Da der Abend schön war, so standen kleine Arbeitergruppen hier und da an den Straßenecken; aber für den größten Teil derselben war es Abendessenzeit, und daher waren nur wenige Leute auf den Straßen.

»Ihr seid jetzt nicht so aufgeregt, Rachael, und Eure Hand ist kühler.«

»Es geht mir besser, Liebe, wenn ich nur gehen und ein wenig frische Luft schöpfen kann. Zur Zeit, wo ich es nicht kann, werde ich schwach und verwirrt.«

»Aber Ihr dürft nicht anfangen, schwach zu werden, denn man könnte Eurer einst bedürfen, um Stephen zur Seite zu stehen. Morgen ist Sonnabend. Wenn wir morgen nichts Neues hören, so laßt uns am Sonntagmorgen einen Spaziergang aufs Land machen und Euch für eine neue Woche stärken. Wollt Ihr?«

»Ja, Liebe.«

Sie befanden sich jetzt in der Straße, wo Mr. Bounderbys Haus stand. Der Weg zu Cilis Bestimmungsort führte sie an der Tür vorüber, und sie gingen gerade darauf los. Vor kurzem war ein Eisenbahnzug in Coketown angekommen, der eine Anzahl Fahrzeuge in Bewegung gesetzt und ein beträchtliches Geräusch über die Stadt verbreitet hatte. Verschiedene Kutschen rasselten vor ihnen und hinter ihnen, als sie sich Mr. Bounderbys Wohnung näherten; und eine von den letzteren fuhr mit solcher Plötzlichkeit vor, als beabsichtige sie das Haus umzufahren, so daß sie sich unwillkürlich umsahen. Das helle Gaslicht über Mr. Bounderbys Treppe zeigte ihnen Mrs. Sparsit in dem Wagen, in einem Übermaß von Aufregung, die sich anstrengte, den Schlag zu öffnen. Mrs. Sparsit, die sie in demselben Augenblick bemerkte, rief ihnen zu, stehenzubleiben.

»Das ist ein glücklicher Zufall«, schrie Mrs. Sparsit, als sie vom Kutscher herausgelassen worden war. »Das ist ein Wink der Vorsehung! Kommt heraus, Madame«, sagte sie darauf zu jemandem drinnen, »oder wir werden Euch herausziehen müssen!«

Hierauf stieg niemand anders als das geheimnisvolle alte Weib aus. Mrs. Sparsit hielt sie unablässig am Kragen fest.

»Rührt sie nicht an, kein Mensch!« rief Mrs. Sparsit mit großer Energie. »Laßt niemand ihr nahe kommen. Sie gehört mir. Kommt herein, Madame, oder wir werden Euch hereinziehen müssen!« sagte sie darauf, ihr früheres Befehlswort wiederholend.

Der Anblick einer Matrone von klassischer Haltung, welche ein altes Weib am Schopfe gefaßt hält und sie in ein Wohnhaus schleppt, würde unter allen Umständen für alle echt englischen Pflastertreter, denen das Glück geworden, es zu sehen, eine hinreichende Versuchung gewesen sein, sich mit Gewalt einen Weg in dieses Wohnhaus zu bahnen und das Ende der Geschichte mit anzusehen. Aber wenn diese Erscheinung noch erhöht worden wäre durch das Offenkundige und doch Geheimnisvolle, das sich zur Zeit für die ganze Stadt an die Bankräuberei knüpfte, so würde es die Pflastertreter hineingezogen haben mit unwiderstehlicher Gewalt, selbst wenn zu erwarten gestanden hätte, daß die Decke über ihren Häuptern zusammenfalle. Demgemäß drängten sich die Zuschauer, welche sich zufällig vor dem Hause befanden und aus einigen fünfundzwanzig der flinksten Nachbarn bestanden, dicht hinter Cili und Rachael hinein, als diese hinter Mrs. Sparsit und ihrem Opfer eintraten, und die ganze Masse machte einen wüsten Einfall in Mr. Bounderbys Speisesaal; und ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren, stiegen die hinten stehenden Leute auf die Stühle, um besser über die vornstehenden hinwegsehen zu können.

»Ruft Mr. Bounderby herunter!« schrie Mrs. Sparsit. »Jungfer Rachael, wißt ihr, wer das ist?«

»Es ist Mrs. Pegler«, antwortete Rachael.

»Ich sollte denken, daß sie es ist!« rief Mrs. Sparsit frohlockend. »Holt Mr. Bounderby. Weg von hier, jedermann!« Hier murmelte die alte Mrs. Pegler, während sie sich verhüllte und der Beobachtung entzog, ein bittendes Wort. »Nichts davon«, rief Mrs. Sparsit laut, »ich habe Euch zwanzigmal auf dem Wege gesagt, daß ich Euch nicht lassen will, bis ich Euch ihm selbst überliefert habe.«

Jetzt erschien Mr. Bounderby, in Begleitung von Mr. Gradgrind und seinem Bengel, mit denen er droben eine Besprechung gehalten hatte. Mr. Bounderby sah mehr erstaunt als gastfreundlich aus, als er diese ungebetene Gesellschaft in seinem Speisezimmer zu Gesicht bekam.

»Wie, was ist da los!« rief er aus: »Mrs. Sparsit, Madame?«

»Sir«, erklärte die würdige Frau, »ich schätze mich glücklich, eine Person vorzuführen, die zu finden Sie großes Verlangen getragen haben. Ich wurde angefeuert von dem Wunsche, Ihrer Absicht zu Hülfe zu kommen, Sir. Mich leiteten die unvollkommenen Angaben über die Gegend, wo diese Person sich möglicherweise aufhalten könnte, wie sie von der jungen Rachael, die glücklicherweise hier ist, um die Identität zu beweisen, dargeboten wurden, und ich war so glücklich, meine Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen und besagte Person mitzubringen, ich brauche nicht hinzuzufügen, ganz gegen ihren Willen. Es ist nicht ohne einige Beschwerlichkeit gewesen, daß ich es durchgesetzt habe; aber Beschwerlichkeit in Ihrem Dienste ist mir ein Vergnügen, und Hunger, Durst und Kälte eine wirkliche Befriedigung.«

Hier hielt Mrs. Sparsit inne, denn Mr. Bounderbys Gesicht zeigte eine außergewöhnliche Mischung von allen möglichen Farben und Äußerungen des Mißvergnügens, als sich die alte Mrs. Pegler seinem Blicke entschleierte.

»Wie, was meinen Sie damit?« lautete seine höchlich unerwartete Frage, in großem Zorne. »Ich frage Sie, was Sie damit meinen, Mrs. Sparsit, Madame?«

»Sir!« rief Mrs. Sparsit, mit einer Ohnmacht ringend.

»Warum, bekümmern Sie sich nicht um Ihre eigenen Angelegenheiten, Madame?« brüllte Bounderby. »Wie erkühnen Sie sich, Ihre zudringliche Nase in meine Familienangelegenheiten zu stecken?« Diese Anspielung auf ihren bevorzugten Gesichtsteil überwältigte Mrs. Sparsit, sie fiel auf einen Stuhl nieder, als wenn sie erfroren wäre; und mit einem starren Blick auf Mr. Bounderby rieb sie langsam die Handschuhe gegeneinander, als wären sie auch erfroren.

»Mein teurer Josiah!« rief Mrs. Pegler zitternd. »Mein geliebtes Kind! Ich bin nicht zu tadeln. Es ist nicht meine Schuld, Josiah! Ich sagte dieser Lady wieder und wieder, daß ich wüßte, sie wäre im Begriff etwas zu tun, was dir nicht angenehm sein würde, aber sie wollte es so.«

»Warum ließt Ihr Euch von ihr herbringen? Konntet Ihr nicht ihr die Haube ein- oder einen Zahn ausschlagen, oder sie kratzen oder ihr etwas anderes antun?« fragte Bounderby.

»Mein einziges Kind! Sie drohte mir, daß ich, wenn ich ihr Widerstand leistete, von Schutzleuten hergebracht werden würde, und es sei besser, ruhig mitzukommen, als einen solchen Aufruhr in einem –« Mrs. Pegler blickte scheu aber stolz im Zimmer umher – »so feinen Hause, wie dieses zu erregen. Wahrlich, wahrlich, es ist nicht meine Schuld! Mein lieber, guter, stattlicher Junge! Ich habe immer ruhig und geheim gelebt, Josiah, mein Lieber. Ich habe nicht ein einziges Mal die Bedingung gebrochen. Ich habe nie gesagt, ich sei deine Mutter. Ich habe dich aus der Entfernung bewundert; und wenn ich zuweilen zur Stadt kam, in langen Zwischenräumen, um einen stolzen Blick auf dich zu tun, so habe ich es unerkannt getan, meine Seele, und bin wieder fortgegangen.«

Mr. Bounderby, seine Hände in den Taschen, ging in tödlicher Ungeduld an dem langen Speisetische auf und ab, während die Zuschauer gierig jede Silbe von Mrs. Peglers Rede verschlangen und mit jeder neuen Silbe größere Augen machten. Da Mr. Bounderby noch auf und ab ging, als Mrs. Pegler geendet hatte, so redete Mr. Gradgrind das angeschuldigte alte Weib an:

»Ich bin erstaunt, Madame«, bemerkte er streng, »daß Ihr in Euren alten Tagen noch die Stirne habt, auf Mr. Bounderby als Euren Sohn Anspruch zu machen, nachdem Ihr ihn so unnatürlich und unmenschlich behandelt habt.«

»Ich unnatürlich!« schrie die arme alte Mrs. Pegler. »Ich unmenschlich gegen mein teures Kind?«

»Teuer!« wiederholte Mr. Gradgrind. »Ja teuer durch sein selbsterworbenes Vermögen, Madame, nehme ich mir die Freiheit zu sagen. Jedoch nicht sehr teuer, als Ihr ihn in seiner Kindheit verließet und der Roheit einer versoffenen Großmutter ausliefertet.«

»Ich meinen Josiah verlassen!« rief Mrs. Pegler aus, ihre Hände zusammenschlagend, »Nun, der Herr vergebe Euch Eure gottlosen Erfindungen und Eure Sünde gegen das Andenken meiner armen Mutter, welche in meinen Armen starb, ehe Josiah geboren ward. Möget Ihr Reue deshalb finden, Sir, und leben, um zur besseren Erkenntnis zu gelangen!«

Sie war so ernsthaft und empört, daß Mr. Gradgrind, von der Möglichkeit, die in ihm aufdämmerte, betroffen, in freundlicherem Tone weiter sagte:

»Ihr leugnet also, Madame, daß Ihr Euren Sohn in einer Gosse seinem Schicksal überließt?«

»Josiah in der Gosse!« rief Mrs. Pegler aus. »Nichts von der Art, Sir. Schämt Euch vor Euch selbst! Mein liebes Kind weiß und wird es Euch wissen lassen, daß, wenn er auch von geringen Eltern herkommt, er doch von Eltern herkommt, die ihn so sehr liebten, wie es die besten nur zu tun vermöchten. Sie hielten es nie für eine harte Entbehrung, sich einen Bissen abzuzwacken, damit er gut schreiben und rechnen lernen möchte; und ich habe seine Bücher noch zu Hause, die es beweisen. Wahrhaftig, ich habe sie!« sagte Mrs. Pegler mit unwilligem Stolze. »Und mein lieber Knabe weiß und wird es Euch auch wissen lassen, Sir, daß nach seines geliebten Vaters Tode, als er acht Jahre alt war, seine Mutter sich ebenfalls ein bißchen absparen konnte, wie zu tun ihre Schuldigkeit und ihr Stolz und ihr Glück war, um ihm im Leben aufzuhelfen und Erziehung beizubringen. Und er war ein beharrlicher Junge, und ein gütiger Lehrer stand ihm zur Seite. So ging er schön seinen eigenen Weg vorwärts, bis er reich und glücklich wurde. Und ich will Euch wissen lassen, Sir – denn mein Sohn wird es nicht tun –, daß, obgleich seine Mutter nur einen kleinen Dorfladen unterhält, er sie nimmer vergaß, sondern mir eine Pension von dreißig Pfund jährlich aussetzte – mehr als ich nötig habe, denn ich lege davon auf die Seite. Er stellte nur die Bedingung, daß ich mich in stiller Zurückgezogenheit halten, nicht mit ihm großtun und ihn nicht in Verlegenheit bringen sollte. Und ich habe es nie getan, außer daß ich einmal des Jahrs nach ihm sah, ohne daß er es wußte. Und es ist recht«, sagte die arme alte Mrs. Pegler in ihrer liebevollen Verteidigung, »daß ich mich zurückhalten sollte. Ich habe gar keinen Zweifel, daß ich, wenn ich hier wäre, gar viel unpassende Dinge tun würde, und ich bin wohl zufrieden damit. Ich kann meinen Stolz auf meinen Josiah für mich behalten, und ich kann lieben um der Liebe selbst willen. Und ich schäme mich in Eure eigene Seele hinein, Sir«, sagte Mrs. Pegler am Ende, »für Eure Lügen und Verdächtigungen. Und ich stand hier nie zuvor, noch verlangte ich je hier zu stehen, da mein lieber Sohn nein sagte. Und ich würde auch jetzt nicht hier sein, wenn ich nicht hierher gebracht worden wäre. Und Pfui über Euch, o! ob der Schande, mich anzuklagen, meinem Sohne eine schlechte Mutter zu sein, während mein Sohn hier steht und es Euch so anders sagen könnte!«

Die Beistehenden, an und auf den Stühlen des Speisezimmers, erhoben ein Gemurmel der Teilnahme für Mrs. Pegler, und Mr. Gradgrind fühlte sich unschuldigerweise in eine sehr unangenehme Lage versetzt, als Mr. Bounderby, der unablässig auf und nieder gegangen, und jeden Augenblick dicker und dicker aufgeschwollen und röter und röter geworden war, plötzlich stehenblieb.

»Ich weiß nicht genau«, sagte er, »wie ich dazu komme, mit der Gegenwart der anwesenden Gesellschaft beehrt zu werden, aber ich will es unerörtert lassen. Wenn sie ganz zufriedengestellt sind, so wollen sie vielleicht so gut sein, sich zu verlieren. Oder mögen sie zufriedengestellt sein oder nicht, vielleicht wollen sie doch so gut sein, sich zu verlieren. Ich bin nicht verpflichtet, eine Vorlesung über meine Familienangelegenheiten zu halten, ich habe nicht übernommen, es zu tun, und bin nicht willens, es zu tun. Daher werden diejenigen, welche irgendwelche Auseinandersetzung über diesen Gegenstand erwarten, sich sehr getäuscht sehen, – namentlich Tom Gradgrind, und er kann dieses nicht zu früh erfahren. Was den Bankdiebstahl anbelangt, so ist hier ein Versehen gemacht, soweit es meine Mutter betrifft. Wenn hier nicht Überdienstfertigkeit stattgefunden hätte, so würde es nicht gemacht worden sein, und ich hasse Überdienstfertigkeit zu jeder Zeit, mit oder ohne Erfolg. Guten Abend!«

Obgleich Mr. Bounderby es in dieser Weise totzuschlagen suchte, indem er die Türe für den Abmarsch der Gesellschaft offenhielt, so war doch eine polternde Unsicherheit an ihm, die ihn zu gleicher Zeit sehr niedergeschlagen und über alle Maßen albern erscheinen ließ. Entlarvt als ein Mensch, der mit seiner Demut renommiert, der sein windiges Ansehen auf Lügen erbaut und in seiner Prahlerei die einfachste Wahrheit so weit von sich abgetan hatte, daß er den verächtlichen Anspruch erhob (es gibt keinen verächtlicheren), einen Stammbaum zu besitzen. Als die Leute an der Tür vorüberzogen, welche er hielt, wußte er, daß sie das Geschehene in der ganzen Stadt herumtragen und seinen Namen den vier Winden preisgeben würden. Er hätte nicht augenfälliger als ein geschorener und verlorener Aufschneider erscheinen können, und wenn er abgestutzte Ohren gehabt hätte. Selbst das unglückliche Frauenzimmer, Mrs. Sparsit, die vom Gipfel ihres Frohlockens in den Sumpf der Verzweiflung herabgestürzt war, befand sich nicht in einem so kläglichen Zustande, als jener gewichtige Mann und selbstgeschaffene Humbug, Josiah Bounderby von Coketown.

Als Rachael und Cili Mrs. Pegler, die für diese Nacht ein Bett im Hause ihres Sohnes erhalten sollte, verließen, gingen sie miteinander bis zum Tore von Stone Lodge und trennten sich hier. Mr. Gradgrind holte sie ein, ehe sie noch sehr weit gegangen waren, und sprach mit großem Interesse von Stephen Blackpool, für den seiner Meinung nach dieses wunderbare Aufhören des Verdachtes gegen Mrs. Pegler von guter Wirkung sein mußte.

Was den Bengel anbetraf, so hielt er sich während dieser ganzen Szene sowie bei allen früheren Gelegenheiten dicht hinter Bounderby. Er schien zu fühlen, daß, solange Bounderby keine Entdeckungen ohne sein Mitwissen machen konnte, er so ziemlich sicher war. Er besuchte nie seine Schwester; seitdem sie heimgekehrt war, hatte er sie nur einmal gesehen, an dem Abend, als er Bounderby auf den Fersen gefolgt war, wie schon erwähnt.

Es lagerte eine dunkle, unbestimmte Furcht auf dem Gemüte seiner Schwester, der sie nie Sprache verlieh, aber die den gottlosen und undankbaren Bengel mit einem geheimnisvollen Grauen umgab. Dieselbe dunkle Möglichkeit hatte sich auch in gleich gestaltloser Weise Cilis Geiste gerade an diesem Tage vorgestellt, als Rachael von jemandem sprach, der vielleicht durch Stephens Rückkunft hätte bloßgestellt werden können und ihn deshalb aus dem Wege geräumt habe. Luise hatte nie davon gesprochen, daß sie irgendwelchen Verdacht auf ihren Bruder in betreff des Diebstahls hege; sie und Cili hatten sich hierüber einander nicht anvertraut, ausgenommen in jenem Austausch von Blicken, als der Vater ahnungslos sein greises Haupt auf die Hand stützte; aber sie hatten sich verstanden, und sie wußten es beide.

Diese andere Befürchtung war so grauenhaft, daß sie jede von ihnen wie ein geisterhafter Schatten umschwebte; obgleich keine zu denken wagte, er sei ihr nahe, und noch weit weniger, daß er sich neben der andern befinde.

Und immer wuchs der künstliche Mut, den der Bengel gefaßt hatte. Wenn Stephen Blackpool der Dieb nicht war, laßt ihn sich doch zeigen. Warum tat er es nicht?

Eine andere Nacht. Wieder ein Tag und eine Nacht. Kein Stephen Blackpool. Wo war der Mann und warum kam er nicht zurück?



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