Charles Dickens
Schwere Zeiten
Charles Dickens

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Einunddreißigstes Kapitel.

Mit einem entsetzlichen Schnupfen, mit einer Stimme, die es nur noch zum Wispern brachte, und in ihrem stattlichen Nasengestell durch immerwährendes Niesen so erschüttert, daß eine Explosion zu drohen schien – jagte die unermüdliche Mrs. Sparsit ihrem Patron nach, bis sie ihn in der Hauptstadt fand. Hier segelte sie gravitätisch auf ihn zu in seinem Hotel in St. James Street, zündete die brennbaren Stoffe, womit sie geladen war, an und schoß los. Nachdem sie nun mit unendlicher Befriedigung ihre Mission erfüllt hatte, fiel dieses hochherzige Weib in Ohnmacht auf Mr. Bounderbys Rockkragen.

Mr. Bounderbys erste Prozedur war, Mrs. Sparsit abzuschütteln und es ihr zu überlassen, auf dem Boden so viel Stufen des Leidens zu durchlaufen, wie sie Lust hatte. Darauf nahm er seine Zuflucht zu kräftigen Wiederbelebungsmitteln, drehte ihre Daumen, rieb ihre Hände, begoß ihr Gesicht reichlich mit Wasser und steckte ihr Salz in den Mund. Als diese Aufmerksamkeiten sie wieder zu sich gebracht hatten (und sie taten das eiligst), schaffte er sie gewaltsam in einen Schnellzug, ohne ihr eine weitere Erfrischung anzubieten, und brachte sie mehr tot als lebendig nach Coketown zurück.

Als klassische Ruine betrachtet bot Mrs. Sparsit am Ende ihrer Reise ein interessantes Schauspiel. Aber in jeder anderen Beziehung war der Betrag des Schadens, den sie letzte Zeit erlitten hatte, außerordentlich und stimmte ihre Ansprüche auf Bewunderung herab. Ohne alle Rücksicht auf die klägliche Beschaffenheit ihrer Kleidung und Körperkonstitution und trotz ihres pathetischen Niesens wurde sie von Mr. Bounderby unmittelbar in eine Kutsche gepackt und nach Stone Lodge befördert.

»Nun, Tom Gradgrind«, platzte Bounderby bei später Nacht in das Zimmer seines Schwiegervaters: »hier ist eine Dame, hier – Mrs. Sparsit – Ihr kennt Mrs. Sparsit – die Euch etwas zu sagen hat, was Euch verstummen lassen wird.«

»Ihr habt meinen Brief nicht erhalten!« rief Mr. Gradgrind, von dem Auftritt überrascht.

»Euren Brief nicht erhalten, Sir!« schrie Bounderby. »Gegenwärtig ist keine Zeit für Briefe. Niemand soll Josiah Bounderby von Coketown bei der Gemütsverfassung, in der er sich jetzt befindet, von Briefen sprechen.«

»Bounderby«, sagte Mr. Gradgrind mit dem Tone milder Vorstellung. »Ich spreche von einem ganz speziellen Brief, den ich Euch wegen Luise geschrieben habe.«

»Tom Gradgrind«, erwiderte Bounderby, indem er mehrere Male mit flacher Hand heftig auf den Tisch schlug; »ich spreche von einem ganz speziellen Boten, der wegen Luise zu mir gekommen ist. Mrs. Sparsit, Ma'am, tretet vor!«

Als die unglückliche Lady hierauf versuchte, ihr Zeugnis abzulegen, ohne eine Spur von Stimme und mit schmerzlichen Gebärden ihre entzündete Kehle bekundend, verschlimmerte sich ihr Zustand so sehr und ihre Gesichtsverdrehungen wurden so arg, daß Mr. Bounderby, unfähig es länger zu ertragen, sie am Arm faßte und schüttelte.

»Wenn Ihr es nicht herausbringen könnt, Ma'am«, sagte Mr. Bounderby, »so laßt es mich herausbringen. Das ist keine Gelegenheit für eine Dame, mag sie auch noch so hohe Verbindungen haben, um gänzlich heiser zu sein und sich zu stellen, als schlinge sie Kieselsteine. Tom Gradgrind, Mrs. Sparsit befand sich zufälligerweise kürzlich in der Lage, eine Unterredung außer dem Hause zwischen Eurer Tochter und Eurem liebenswürdigen Gentleman-Freund, Mr. James Harthouse, mit anzuhören.«

»In der Tat?« sagte Mr. Gradgrind.

»Jawohl! In der Tat!« schrie Bounderby. »Und in dieser Unterredung –«

»Es ist nicht nötig, ihren Inhalt zu wiederholen, Bounderby. Ich weiß, was vorging.«

»So? Vielleicht«, sagte Bounderby und starrte verwundert auf seinen so ruhigen und gefaßten Schwiegervater, »vielleicht wißt Ihr auch, wo Eure Tochter sich im gegenwärtigen Augenblicke befindet?«

»Ohne Zweifel. Sie befindet sich hier.«

»Hier?«

»Mein lieber Bounderby, ich bitte Euch, diese lauten Ausbrüche zu mäßigen, unter allen Umständen. Luise ist hier. Sobald sie sich von der Zusammenkunft mit der Person, von der Ihr sprecht und die ich aufrichtig bedaure, bei Euch eingeführt zu haben, losmachen konnte, eilte Luise hierher, um Schutz zu suchen. Ich selbst war erst wenige Stunden zu Hause gewesen, als ich sie hier in diesem Zimmer empfing. Sie eilte mit dem Eisenbahnzuge zur Stadt, lief von der Stadt in dieses Haus während eines rasenden Unwetters – und erschien hier vor mir in einem Zustand der Verzweiflung. Wie sich von selbst versteht, ist sie seitdem hier geblieben. Laßt Euch aber inständig ersuchen, um Euret- und ihretwillen, ruhiger zu sein.«

Mr. Bounderby starrte einige Augenblicke schweigend vor sich hin, nach jeder Seite, nur nicht nach der, wo sich Mrs. Sparsit befand; und dann sich plötzlich zur Nichte Lady Scadgers wendend, sagte er zu dieser unglücklichen Frau:

»Nun, Madame! Wir würden uns glücklich schätzen, wenn Sie es passend finden sollten, uns eine kleine Entschuldigung darüber hören zu lassen, warum Sie eine expresse Reise über Land unternehmen und kein anderes Gepäck mit sich führen als ein Altweibermärchen, Madame!«

»Sir«, flüsterte Mrs. Sparsit, »meine Nerven sind gegenwärtig zu sehr angegriffen und meine Gesundheit ist gegenwärtig zu sehr zerrüttet, und zwar in Ihrem Dienst, um mir etwas anderes zu gestatten, als meine Zuflucht zu Tränen zu nehmen.«

Und so tat sie.

»Na schön, Madame«, sagte Bounderby, »ohne Ihnen eine Bemerkung machen zu wollen, die sich für eine Frau von guter Familie nicht schickt, möchte ich mir doch erlauben, darauf aufmerksam zu machen, daß es etwas anderes gibt, wozu Sie Ihre Zuflucht nehmen dürften, nämlich eine Kutsche. Und da die Kutsche, in der wir herkamen, noch vor der Tür steht, so werden Sie mir erlauben, Sie hinein zu geleiten, und dann scheren Sie sich heim in die Bank. Das beste, was Sie da tun können, wird sein, Ihre Füße in das heißeste Wasser zu stecken, das Sie aushalten können, ein Glas siedend heißen Rum mit Butter zu nehmen und dann zu Bette zu gehen.« Mit diesen Worten streckte Mr. Bounderby seine rechte Hand nach der weinenden Dame aus und eskortierte sie in das fragliche Fuhrwerk, während sie noch manche klägliche Schnupfenträne auf dem Wege vergoß. Er kehrte bald allein zurück.

»Nun, da Ihr mir mit Eurer Miene zu verstehen gegeben habt, Tom Gradgrind, daß Ihr mit mir zu sprechen wünscht«, nahm er wieder das Wort, »hier bin ich. Aber ich bin nicht in einer sehr angenehmen Stimmung, ich sage es Euch offen: denn ich finde keinen Geschmack an dieser Angelegenheit, so wie sie nun einmal liegt, und ich glaube nicht, daß ich zu jeder Zeit so pflichtschuldig und unterwürfig von Eurer Tochter behandelt worden bin, wie Josiah Bounderby von Coketown von seiner Frau behandelt werden sollte. Ihr habt Eure Meinung, ich darf es sagen, und ich habe die meinige, denk' ich. Wenn Ihr nun meint, mir heute abend etwas sagen zu wollen, das dieser klaren Bemerkung zuwider läuft, so hättet Ihr besser getan, es zu lassen.«

Hierbei muß bemerkt werden, daß Mr. Bounderby, da Mr. Gradgrind sehr sanft war, ganz besondere Mühe darauf verwandte, in allen Beziehungen hart zu erscheinen. Das war so seine liebenswürdige Natur.

»Mein teurer Bounderby«, begann Mr. Gradgrind seine Entgegnung.

»Halt, Ihr müßt mich entschuldigen, aber ich wünsche nicht zu teuer zu sein. Das ein für allemal. Wenn ich anfange, jemandem teuer zu sein, so finde ich gewöhnlich, daß es seine Absicht ist, mich über den Löffel zu barbieren. Ich spreche nicht höflich zu Euch, denn, damit Ihr es wißt, ich bin nicht höflich. Wenn Ihr Höflichkeit haben wollt, so wißt Ihr, wo sie zu suchen. Ihr habt Eure Gentleman-Freunde, und die werden Euch so viel von dem Artikel vorsetzen, wie Ihr wollt. Ich für meine Person führe ihn nicht.«

»Bounderby«, nahm Mr. Gradgrind eifrig das Wort, »wir alle sind dem Irrtum unterworfen –«

»Ich dachte, Ihr könntet nicht irren«, unterbrach ihn Bounderby.

»Vielleicht dachte ich so. Aber ich sage, wir alle sind dem Irrtum unterworfen –«

»Ich dachte, Ihr könntet nicht irren«, unterbrach ihn Bounderby.

»Vielleicht dachte ich so. Aber ich sage, wir alle sind dem Irrtum unterworfen; und ich würde erkenntlich und dankbar für Euer Zartgefühl sein, wenn Ihr mir diese Hinweise auf Harthouse ersparen wolltet. Ich werde diesen Namen im Laufe unserer Unterredung nicht nennen, als ob Ihr mit ihm vertraut gewesen und ihn ermuntert hättet. Sprecht also bitte nicht, als sei dies bei mir der Fall gewesen.«

»Sein Name ist nicht über meine Zunge gekommen!« sagte Bounderby.

»Gut, gut!« lenkte Mr. Gradgrind mit einer geduldigen, ja unterwürfigen Miene ein. Dann saß er eine kleine Weile in Nachdenken versunken. »Bounderby, ich habe Grund zu zweifeln, ob wir immer Luise ganz verstanden haben.«

»Wen meint Ihr mit dem Wir?«

»Laßt mich denn sagen: ich«, erwiderte er auf die plumpe Frage. »Ich trage Bedenken, ob ich Luise verstanden habe. Ich zweifle fast, ob ich in ihrer Erziehungsweise ganz recht gehabt.«

»Da trefft Ihr den richtigen Fleck«, nahm Bounderby das Wort. »Darin bin ich mit Euch einverstanden. Ihr habt es endlich gefunden, nicht wahr? Erziehung! Ich will Euch sagen, was Erziehung ist – Hals über Kopf zum Hause hinausgeworfen, und in allen Dingen, mit Ausnahme der Prügel, kurzgehalten werden: Das ist es, was ich Erziehung nenne.«

»Ich denke. Euer gesunder Verstand wird begreifen«, wandte Mr. Gradgrind in aller Bescheidenheit ein, »daß, was auch immer die Verdienste eines solchen Systems sein mögen, seine allgemeine Anwendung auf Mädchen doch schwierig sein dürfte.«

»Ich sehe das durchaus nicht, Sir«, erwiderte der halsstarrige Bounderby.

»Nun«, seufzte Gradgrind, »wir wollen nicht auf die Erörterung dieser Frage eingehen. Ich versichere Euch, daß ich keine Lust zu Streitigkeiten habe. Ich wünsche womöglich, das wieder gutzumachen, was versäumt ist, und ich hoffe, Ihr werdet mir mit gutem Willen beistehen, denn ich bin sehr niedergeschlagen gewesen.«

»Ich verstehe Euch noch nicht«, sagte Bounderby«, mit entschlossener Halsstarrigkeit, »und daher kann ich kein Versprechen geben.«

»Im Verlaufe weniger Stunden, mein lieber Bounderby«, fuhr Mr. Gradgrind in derselben gedrückten und persönlichen Weise fort, »glaube ich besser über Luises Charakter unterrichtet worden zu sein, als in Jahren vorher. Die Aufklärung ist mir schmerzlich aufgedrungen worden und die Entdeckung also nicht mein Verdienst. Ich glaube, es sind – Bounderby, Ihr werdet erstaunt sein, mich das sagen zu hören – ich glaube, es sind Fähigkeiten in Luise, die – die arg vernachlässigt und – und etwas verstört worden sind. Und – und ich möchte Euch meine Meinung ausdrücken, daß – daß wenn Ihr mich in dem rechtzeitigen Bemühen unterstützen wolltet, sie eine Zeitlang ihrer besseren Statur zu überlassen, und diese durch Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit zu ihrer eigenen Entfaltung zu ermuntern – so – so würde es für unser aller Glück besser sein. Luise«, sagte Mr. Gradgrind, indem er sein Gesicht mit seiner Hand bedeckte, »ist immer mein Lieblingskind gewesen.«

Der polternde Bounderby schwoll so rot an, als er diese Worte hörte, daß er einem Schlagflusse nahe zu sein schien und wahrscheinlich auch war. Obgleich er bis in die beiden Ohrspitzen karmoisinrot anlief, verschloß er doch seinen Unwillen und sagte:

»Ihr möchtet sie gern eine Zeitlang hier behalten?«

»Ich – ich hatte allerdings die Absicht, anzuraten, mein lieber Bounderby, daß Ihr Luise erlauben möchtet, zu einem Besuche hierzubleiben, wo sie dann von Cili (ich meine natürlich Cäcilie Jupe), die sie versteht und ihr Vertrauen genießt, gepflegt werden könnte.«

»Aus allem dem schließe ich, Tom Gradgrind«, sagte Bounderby, indem er mit den Händen in der Tasche aufstand, »daß Ihr der Meinung seid, es beständen zwischen Lu Bounderby und mir Unstimmigkeiten, wie man zu sagen pflegt.«

»Ich befürchte, es bestehen gegenwärtig allgemeine Unstimmigkeiten zwischen Luise und – und – und fast allen den Verhältnissen, in welche ich sie gebracht habe«, war des Vaters sorgenvolle Antwort.

»Gut, nun merkt auf, Tom Gradgrind«, sagte Bounderby mit rotem Kopf, indem er sich ihm gegenüberstellte mit weit ausgespreizten Beinen, seine Hände tiefer in den Taschen, und sein Haar einem Heufelde vergleichbar, in welchem der Wind seines Ärgers wühlte. »Ihr habt gesagt, was Ihr zu sagen habt: nun will ich dasselbe tun. Ich bin ein Coketowner Mann. Ich bin Josiah Bounderby von Coketown. Ich kenne die Bausteine dieser Stadt, und ich kenne die Werke dieser Stadt, und ich kenne die Kamine dieser Stadt, und ich kenne den Rauch dieser Stadt, und ich kenne die ›Hände‹ dieser Stadt. Ich kenne das alles sehr wohl. Das sind Wirklichkeiten. Wenn mir aber jemand von idealen Eigenschaften spricht, so sage ich ihm sofort, wer er auch sein mag, daß ich weiß, was er meint. Er meint Schildkrötensuppe und Wildbret mit einem goldenen Löffel, und in einer sechsspännigen Kutsche fahren. Das ist es, was Eure Tochter will. Da Ihr nun der Meinung seid, daß sie haben soll, was sie will, so empfehle ich Euch, es ihr zu verschaffen. Denn, Tom Gradgrind, von mir wird sie es nie erhalten.«

»Bounderby«, erwiderte Mr. Gradgrind, »nach meiner Einleitung hoffte ich, Ihr würdet einen andern Ton angenommen haben.«

»Wartet nur ein bißchen«, entgegnete Bounderby; »Ihr habt gesagt, was Ihr zu sagen habt, glaube ich. Ich ließ Euch aussprechen; hört mich auch gefälligst zu Ende. Macht nicht ebensolch einen Narren der Unredlichkeit aus Euch wie einen der Ungereimtheit, denn obgleich es mir leid tut, Tom Gradgrind auf seinen gegenwärtigen Standpunkt herabgesunken zu sehen, so sollte es mir doch doppelt leid tun, wenn er so tief fiele. Nun wohl. Ihr gebt mir zu verstehen, daß eine Unstimmigkeit der einen oder der andern Art zwischen mir und Eurer Tochter bestehe. Ich will Euch als Antwort darauf zu verstehen geben, daß ohne alle Frage eine Unstimmigkeit erster Größe hier obwaltet, und die ist in Summa, daß Eure Tochter die Verdienste ihres Gatten nicht geziemend kennt und die Ehre einer Verbindung mit ihm nicht zu würdigen versteht, wie sie es von Gott und Rechts wegen tun müßte. Das ist verständlich gesprochen, hoffe ich.«

»Bounderby«, versetzte Mr. Gradgrind mit Nachdruck, »das ist unvernünftig.«

»In der Tat?« sagte Bounderby. »Ich freue mich, Euch so sprechen zu hören. Denn wenn Tom Gradgrind mit seiner ungewöhnlichen Erleuchtung mir sagt, daß das, was ich spreche, unvernünftig sei, dann bin ich vollkommen davon überzeugt, daß es verteufelt vernünftig ist. Mit Eurer Erlaubnis fahre ich fort. Ihr kennt meine Herkunft und Ihr wißt, daß ich eine ziemliche Reihe meiner Lebensjahre keinen Schuhanzieher brauchte, weil ich keine Schuhe hatte. Jetzt, Ihr mögt das glauben oder nicht, wie es Euch gut dünkt, gibt es Ladys – geborene Ladys – aus Familien – Familien sage ich – die fast den Boden küssen möchten, auf dem ich stehe.«

Diese Worte warf er seinem Schwiegervater, wie eine Rakete, herausfordernd an den Kopf.

»Dagegen«, fuhr Bounderby fort, »ist Eure Tochter weit entfernt, eine geborene Lady zu sein, wie Ihr selbst recht gut wißt. Nicht als ob ich einen Deut auf solche Dinge gäbe. Ihr wißt sehr wohl, daß ich es nicht tue, aber es ist eine Tatsache, an der Ihr nicht« zu ändern vermögt. Warum sage ich das?«

»Nicht um mich zu schonen, fürchte ich«, bemerkte Mr. Gradgrind mit leiser Stimme.

»Hört mich zu Ende«, sagte Bounderby, »und wartet, bis Ihr wieder an die Reihe kommt. Ich sage das, weil hochgestellte Frauen mit Erstaunen das Benehmen Eurer Tochter bemerkt und ihre Gefühllosigkeit beobachtet haben. Sie haben sich gewundert, wie ich es dulden konnte, und ich wundere mich selbst und will es nicht dulden.«

»Bounderby«, erwiderte Mr. Gradgrind, »ich glaube, je weniger wir diesen Abend sprechen, desto besser wird es sein.«

»Im Gegenteil, Tom Gradgrind, je mehr wir diesen Abend sprechen, desto besser ist es. Das ist meine Ansicht. Das heißt«, fügte er einlenkend hinzu, »bis ich alles gesagt habe, was ich zu sagen wünsche, und dann ist es mir gleichgültig, wie bald wir aufhören. Ich komme zu einer Frage, welche unsere Verhandlungen abkürzen dürfte. Was meint Ihr mit dem Vorschlag, den Ihr eben gemacht habt?«

»Was ich damit meine, Bounderby?«

»Mit Eurem Besuchsvorschlage«, sagte Bounderby mit einem schroffen Zurückwerfen seines Heufeldes.

»Ich meine, daß ich hoffe, Ihr werdet Euch freundschaftlich bewegen lassen, es so einzurichten, daß Ihr Luise eine Zeit der Ruhe und des Nachdenkens hier gestattet. Das könnte zu einer allmählichen Besserung der Verhältnisse in vielen Beziehungen führen.«

»Zu einem sanften Erholungsschlummer auf Euren Ideen von der Unstimmigkeit?« fiel Bounderby ein.

»Wenn Ihr es so auffaßt.«

»Was brachte Euch auf den Gedanken?« sagte Bounderby.

»Ich habe es schon gesagt, ich fürchte, Luise ist nicht verstanden worden. Ist es zu viel verlangt, daß Ihr, Bounderby, der Ihr so viel älter seid als sie, behilflich sein solltet, sie auf den richtigen Weg zu führen? Ihr habt die Sorge für sie auf Euch genommen; auf Glück und Unglück, denn – –«

Mr. Bounderby dürfte von der Wiederholung seiner eigenen Worte zu Stephan Blackpool sehr unangenehm berührt worden sein; aber er schnitt das Zitat mit einem ärgerlichen Ruck kurz ab.

»Laßt das!« sagte er, »ich verlange nicht, hierüber belehrt zu werden. Welche Sorge ich auf mich nahm, weiß ich selbst so gut wie Ihr. Was ich auf mich nahm, geht Euch nichts an, das ist meine Sache.«

»Ich wollte nur bemerken, daß wir alle mehr oder weniger gefehlt haben, Ihr eben nicht ausgenommen, Bounderby; und daß einige Nachgiebigkeit von Eurer Seite, angesichts der übernommenen Verantwortlichkeit, nicht nur ein Akt aufrichtiger Güte, sondern vielleicht auch eine Luisen schuldige Pflicht sein dürfte.«

»Ich denke anders darüber«, polterte Bounderby heraus; »und werde diesen Handel nach meiner eigenen Ansicht zu Ende bringen. Seht, ich wünsche mich nicht hierüber mit Euch zu zanken, Tom Gradgrind. Euch die Wahrheit zu sagen, glaube ich nicht, daß es sich mit meiner Ehre verträgt, über einen solchen Gegenstand zu zanken. Was Euren Gentleman-Freund betrifft, so mag er sich zum Teufel scheren, wohin es ihm gut dünkt. Wenn er mir je in den Weg kommt, so werde ich ihm meine Meinung sagen, kommt er mir nicht in den Weg, so werde ich es nicht tun, denn es würde in diesem Falle meiner unwürdig sein. Was Eure Tochter anbetrifft, die ich zu Lu Bounderby gemacht habe, jedoch vielleicht besser bei ihrem Namen Lu Gradgrind belassen hätte, so wisset: Wenn sie nicht morgen mittag zwölf Uhr nach Hause kommt, so nehme ich an, daß sie vorzieht, fortzubleiben, und werde ihr ihre Putzsachen usw. hierher schicken; Ihr aber werdet in Zukunft für sie zu sorgen haben. Was ich den Leuten im allgemeinen in betreff der Unstimmigkeit sagen werde, die mich zur Auflösung des ehelichen Verhältnisses bewogen hat, wird folgendes sein. Ich bin Josiah Bounderby und hatte meine Erziehung; sie ist die Tochter von Tom Gradgrind und hatte ihre Erziehung: und die zwei Pferde wollten nicht zusammengehen. Ich bin, glaube ich, sehr wohl als ein ziemlich ungewöhnlicher Mann bekannt: und die Mehrzahl wird leicht genug begreifen, daß es auch eine ziemlich außergewöhnliche Frau sein müßte, die bei dem langen Laufe Spur mit mir halten könnte.«

»Laßt Euch ernstlich ersuchen, Bounderby, die Sache noch einmal zu überlegen«, stellte ihm Gradgrind vor, »ehe Ihr einen solchen Entschluß faßt.«

»Mein Entschluß ist immer gefaßt«, sagte Bounderby, indem er seinen Hut aufsetzte, »und was ich auch tue, ich tue es sofort. Es müßte mich überraschen, daß Tom Gradgrind eine solche Bemerkung an Josiah Bounderby von Coketown richtet, nachdem er soviel von ihm kennt, wie er kennt, wenn mich von Tom Gradgrind noch etwas überraschen könnte, seitdem er sich an sentimentalem Humbug beteiligt. Ich habe Euch meinen Entscheid gegeben und habe nichts mehr zu sagen. Gute Nacht!«

Hiermit ging Mr. Bounderby nach seinem Hause in der Stadt und legte sich zu Bette. Am folgenden Tage, fünf Minuten nach zwölf Uhr, gab er Befehl, Mrs. Bounderbys Sachen sorgsam zu verpacken und in die Wohnung Tom Gradgrinds zu senden, ließ seinen Landsitz zum Privatverkauf ausschreiben und setzte sich wieder auf den Junggesellenfuß.



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