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7. Mr. Wopsle als Hamlet

Einunddreissigstes Kapitel.
Ein Bühnenkünstler.

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Als wir in Dänemark anlangten, fanden wir den König und die Königin dieses Landes in zwei Lehnsesseln auf einem Anrichtetisch sitzen und ihren Hof halten. Der ganze dänische Adel war zugegen, bestehend aus einem edlen Knaben in den waschledernen Stiefeln eines gigantischen Vorfahren, einem ehrwürdigen Pair des Reichs mit einem schmutzigen Gesichte, der erst in seinen späteren Lebensjahren aus dem Volke emporgestiegen zu sein schien, und der dänischen Ritterschaft, die einen Kamm im Haar und ein Paar weiße seidene Beine und eigentlich ein weibliches Aussehen hatte. Mein begabter Mitbürger stand finster und mit verschlungenen Armen allein, und ich hätte gewünscht, daß seine Locken und seine große Stirn etwas wahrscheinlicher gewesen wären.

Es trugen sich mehre merkwürdige kleine Zwischenfälle zu, während das Stück seinen Verlauf nahm. Der verstorbene König des Landes schien nicht bloß zur Zeit seines Ablebens von einem Husten belästigt gewesen zu sein, sondern denselben auch mit ins Grab genommen und jetzt aus demselben mit zurückgebracht zu haben. Auch trug das königliche Phantom um sein Scepter geschlungen ein gespenstisches Manuscript, zu dem es gelegentlich seine Zuflucht nahm, und zwar mit einer so besorgten Miene und einem Talent, die Stelle zu verlieren, welche stark auf einen Zustand der Sterblichkeit hindeutete. Dies, glaube ich, wars, was die Galerie bewog, dem Schatten den Rath zu ertheilen, »schlag's Blatt um,« eine Empfehlung, die jener außerordentlich übel aufnahm. Zugleich war es sehr bemerkenswerth an diesem majestätischen Geiste, daß, während er stets mit einer Miene auftrat, als sei er lange fortgewesen und habe eine große Entfernung zurückgelegt, er augenscheinlich hinter einer dicht angrenzenden Wand hervorkam. Dies bewirkte, daß man ihn, anstatt mit Grausen, mit lachendem Hohn empfing. Die Königin von Dänemark, eine corpulente Dame, hatte dem Publicum zu viel Messing an sich; ein Messingreif hielt ihr Kinn und verband sich dann mit ihrem Diadem, ein zweiter umschlang ihre Hüfte und noch zwei ihre beiden Arme, so daß man ihrer offen als der »Pauke« erwähnte. Der edle Knabe in den Vorfahrenstiefeln war inconsequent, indem er in seiner Person zu gleicher Zeit, und gewissermaßen in einem Athem, einen befahrenen Matrosen, einen umherziehenden Schauspieler, einen Todtengräber, einen Geistlichen, und eine Person darstellte, die bei einem Wettfechten bei Hofe von der äußersten Wichtigkeit war, nach deren Autorität, wegen ihres geübten Auges und ihrer seinen Unterscheidungsgabe, die schwierigsten Stöße beurtheilt wurden. Dies bewirkte allmälig, daß man ihn nicht länger dulden wollte, und sogar – da er sich als Geistlicher zeigte und den Begräbnißdienst zu vollziehen sich weigerte – ihn mit allgemeiner Entrüstung (in der Gestalt von Nüssen) verfolgte. Endlich war Ophelia eine Beute so langweiligen musikalischen Wahnsinnes, daß, als sie im Verlaufe der Zeit ihren weißen Shawl abgenommen, zusammengelegt und begraben hatte, ein verdrießlicher Mann, der schon seit langer Zeit seine ungeduldige Nase an einem Eisenstabe von der ersten Reihe der Galerie gekühlt hatte, herausbrummte: »Da 's Kind jetzt zu Bette gebracht ist, wollen wir zum Abendbrot gehen!« was, um mich mild auszudrücken, nicht mit der Scene im Einklange war.

Alle diese Zwischenfälle häuften sich mit scherzhaftem Effecte auf meinem unglücklichen Mitbürger. Jedes Mal, wo dieser wankelmüthige Prinz eine Frage oder einen Zweifel auszusprechen hatte, kam ihm das Publicum zu Hülfe. Wie zum Beispiel: auf die Frage, ob es höher für den Geist, zu dulden,« brüllten Einige Ja, und Einige Nein, und Andere neigten sich beiden Ansichten zu und riethen ihm, zu »loosen«; worauf sich eine förmliche Debatte erhob. Als er fragte, »wozu solche Bursche wie er zwischen Erde und Himmel kröchen«, ermuthigte man ihn, indem man laut »Hört! Hört!« ausrief. Als er mit unordentlichem Strumpfe erschien (die Unordnung drückte sich wie gebräuchlich in einer einzigen sehr zierlichen Falte am obern Ende desselben aus, von der ich stets überzeugt gewesen bin, daß sie mit einem Platteisen hineingelegt worden), fand auf der Galerie eine Unterhaltung über die Blässe seines Beines Statt, und ob dieselbe wohl durch den Schreck hervorgebracht sei, den ihm das Gespenst verursacht.

Als er die Flöte nahm – die sehr einer kleinen schwarzen Flöte glich, die man im Orchester gespielt und ihm durch die Thür hindurch gereicht hatte – wurde er einstimmig aufgefordert, Rule Britannia zu blasen. Als er dem Schauspieler empfahl, nicht so die Luft zu sägen, sagte der verdrießliche Mann: »Und das könnt Ihr ebenfalls bleiben lassen; Ihr seid ein gut Theil schlimmer als er!« Und es betrübt mich, zu berichten, daß sich Mr. Wopsle bei jeder dieser Gelegenheiten mit schallendem Gelächter begrüßt sah.

Das Härteste hatte er jedoch auf dem Kirchhofe zu erleiden, der wie ein Urwald aussah, auf dessen einer Seite eine Art kleines geistliches Waschhaus und auf der andern ein Schlagbaum stand. Als man Mr. Wopsle in einem weiten schwarzen Mantel durch den Schlagbaum eintreten sah, erhielt der Todtengräber die freundschaftliche Warnung: »Aufgepaßt! Hier kommt der Leichenbitter!« Ich glaube, daß es in einem constitutionellen Lande allgemein bekannt ist, daß Mr. Wopsle den Schädel, nachdem er über denselben moralisirt, unmöglich wieder hätte hinlegen können, ohne sich mit einer Serviette, die er aus seiner Brusttasche zog, die Finger vom Staube zu reinigen; aber selbst dieses unschuldige und unvermeidliche Verfahren konnte nicht ohne den Commentar »Kell–ne–er!« vorübergehen. Als die Leiche zum Begräbniß anlangte, und zwar in einem leeren schwarzen Kasten, dessen Deckel abfiel, so war dies das Signal zu einem allgemeinen Jubel, welcher noch dadurch erhöht wurde, daß man mit den Trägern eine sehr unbeliebte Persönlichkeit identificirte. Dieser Jubel folgte Mr. Wopsle durch den Kampf hindurch, den er mit Laertes am Rande des Grabes und Orchesters hatte, und hörte nicht eher auf, als bis er den König vom Küchentische herabgeworfen und dann von den Fersen aufwärts zollweise gestorben war.

Wir hatten zu Anfange einige schüchterne Versuche gemacht, Mr. Wopsle zu applaudiren; doch waren dieselben zu hoffnungslos, als daß wir dabei hätten beharren können. Deshalb hatten wir still gesessen, indem wir tief für ihn fühlten, aber dessenungeachtet von einem Ohre bis zum andern lachten. Ich lachte wider Willen unausgesetzt; die ganze Geschichte war so furchtbar komisch; und dennoch hatte ich ein geheimes Gefühl, als ob in Mr. Wopsles Vortrag etwas entschieden Schönes liege – nicht um alter Bekanntschaft willen, wie ich fürchte, sondern weil der Vortrag so außerordentlich langweilig, so sehr traurig, so sehr bergauf und bergab, so vollkommen jeder Art und Weise unähnlich war, in der irgend ein Mensch unter natürlichen Verhältnissen des Lebens oder Todes, sich über irgend Etwas ausgedrückt haben würde. Als die Tragödie zu Ende war und man ihn herausgerufen und ausgepfiffen hatte, sagte ich zu Herbert: »Laß uns gleich hinausgehen, wir könnten ihm am Ende begegnen.«

Wir eilten so schnell wie möglich die Treppen hinunter, aber wir waren dennoch nicht schnell genug. An der Thür stand ein jüdisch aussehender Mann mit unnatürlich schwerfälligen Klecksen als Augenbrauen, der, als wir ihm näher kamen, meinen Blick auffing und dann, als wir an seiner Seite standen, zu mir sagte:

»Mr. Pip und Freund?«

Worauf wir uns als Solche zu erkennen gaben.

»Mr. Waldengarver«, sagte der Mann, »würde sich freuen, die Ehre zu haben.«

»Waldengarver?« erwiederte ich – als Herbert mir ins Ohr flüsterte: »Wopsle wahrscheinlich.«

»O!« sagte ich. »Jawohl. Sollen wir Ihnen folgen?«

»Ein paar Schritte, wenn ich bitten darf.« Als wir uns in einem Seitengange befanden, wandte er sich um und sagte: »Wie fanden Sie, daß er aussah? Ich habe ihn angekleidet.«

Ich weiß nicht, wie er ausgesehen hatte, ausgenommen wie ein Leichenbegängniß; dazu noch ein großer dänischer Orden, den er sich an einem blauen Bande um den Hals gehangen, wie das Zeichen einer ungewöhnlichen Feuerassecuranz, bei der er versichert war. Aber ich sagte, er habe sehr hübsch ausgesehen.

»Als er an das Grab trat,« sagte unser Führer, »zeigte er seinen Mantel prachtvoll. Aber von den Coulissen aus gesehen, schien es mir, daß er, als er im Zimmer der Königin das Gespenst erblickte, mehr Effect mit seinen Strümpfen hätte machen können.«

Ich stimmte ihm bescheiden bei, worauf wir Alle durch eine schmutzige kleine Thür in eine Art von heißer Packkiste unmittelbar dahinter stürzten. Hier entledigte sich Mr. Wopsle eben seiner dänischem Gewänder, und wir hatten, indem wir die Thür oder den Deckel der Packkiste weit geöffnet hielten, gerade Platz genug um ihm, Einer über die Schultern des Andern, zuzusehen.

»Meine Herren,« sagte Mr. Wopsle, »es macht mich stolz, Sie zu sehen. Ich hoffe, Mr. Pip, Sie werden mirs verzeihen, daß ich zu Ihnen herumschickte. Ich hatte das Glück, Sie in früheren Zeiten zu kennen, und das Drama hat bei den Edlen und Wohlhabenden stets seine Rechte geltend gemacht.«

Inzwischen versuchte Mr. Waldengarver, in furchtbarer Transpiration, sich von seinen fürstlichen Gewändern zu befreien.

»Streifen Sie die Strümpfe ab, Mr. Waldengarver,« sagte der Eigenthümer jenes Besitzthums, »oder sie werden Ihnen platzen. Und wenn sie Ihnen platzen, da platzen Ihnen fünfunddreißig Schillinge. Shakspeare besaß nie ein schöneres Paar. Bleiben Sie jetzt ruhig auf Ihrem Stuhle sitzen und überlassen Sie sie mir.«

Mit diesen Worten kniete er nieder und begann sein Opfer zu schinden, welches, da der erste Strumpf herunterfuhr, sicherlich mit seinem Stuhle hintenüber gefallen sein würde, falls überhaupt noch Platz zum Fallen da gewesen wäre.

Ich hatte mich bis daher gefürchtet, auch nur ein Wort über die Vorstellung zu sagen. Aber Mr. Waldengarver schaute uns jetzt wohlgefällig an und sagte:

»Meine Herren, wie schien es Ihnen von da aus, wo Sie saßen, zu gehen?«

Herbert sagte (mich in die Seite stoßend) hinter mir: »Prächtig!« Demnach sagte ich ebenfalls: »Prächtig!«

»Wie gefiel Ihnen meine Auffassung der Rolle, meine Herren?« sagte Mr. Waldengarver, beinahe, wenn nicht wirklich, mit Gönnermiene.

Herbert sagte (mich abermals in die Seiten stoßend und hinter mir): »Solid und monumental.« Und das wiederholte ich auch diesmal.

»Ich freue mich, Ihren Beifall zu haben, meine Herren,« sagte Mr. Waldengarver, ungeachtet daß er in diesem Augenblicke gegen die Wand gequetscht wurde und sich am Sitze des Stuhls festzuhalten hatte, mit Würde.

Mr. Waldengarver lächelte mir zu, wie wenn er sagen wollte: Ein treuer Diener – ich sehe ihm seine Thorheit nach; und sagte dann laut: »Meine Auffassung ist ein wenig zu classisch und durchdacht für sie; aber sie werden sich bilden; sie werden sich bilden.«

Herbert und ich sagten gleichzeitig: »O, ohne Zweifel werden sie sich bilden.«

»Haben Sie wohl bemerkt, meine Herren,« sagte Mr. Waldengarver, »daß in der Galerie ein Mann anwesend war, welcher den Gottesdienst, wollt ich sagen, die Vorstellung zu verhöhnen versuchte?«

Wir entgegneten niedrigerweise, wir glaubten, einen solchen Mann bemerkt zu haben. Ich fügte hinzu: »Er war ohne Zweifel betrunken.«

»O nein, Sir, durchaus nicht betrunken. Sein Herr hätte das verhütet. Sein Herr würde ihm nicht gestatten, sich zu betrinken.«

»Sie kennen also seinen Herrn?« sagte ich.

Mr. Wopsle schloß seine Augen und öffnete sie dann wieder, welche beide Ceremonien er sehr langsam vollzog. »Sie müssen, meine Herren,« sagte er, »einen unwissenden, schreienden Esel mit einem heisern Halse und einem Gesichtsausdrucke niedriger Bosheit bemerkt haben, welcher (falls man mir ein französisches Wort hingehen lassen will) die rôle des Claudius, Königs von Dänemark, hatte – ich will nicht sagen gab. Das ist sein Herr, meine Herren. So gehts in der Kunst!«

Ohne mir bestimmt bewußt zu sein, ob mir Mr. Wopsle mehr leid gethan hätte, falls ich ihn in Verzweiflung gesehen, that er mir so schon in dem Grade leid, daß ich die Gelegenheit wahrnahm, wo er sich von uns abwandte, um seine Hosenträger zu befestigen – wobei wir zur Thür hinausgedrängt wurden – um Herbert zu fragen, ob wir ihn zum Nachtessen mit nach Hause nehmen wollten? Herbert sagte, er denke, es würde von mir freundlich sein, dies zu thun; deshalb lud ich ihn ein, und er ging bis an die Augen verhüllt mit uns nach Barnards Inn, und wir thaten unser Bestes für ihn, und er saß bis zwei Uhr früh, Rückblicke auf seine Erfolge werfend und Pläne entwickelnd bei uns. Ich habe die Einzelnheiten der letzteren vergessen, doch bleibt mir eine allgemeine Erinnerung, daß er damit anfangen wollte, das Drama wieder in die Mode zu bringen, und damit enden, es gänzlich zu unterdrücken; indem nämlich sein Ableben dasselbe (das Drama) jeder fernern Aussicht und Hoffnung berauben würde.

Endlich ging ich, mich tief elend fühlend, zu Bette, dachte mit kummervollem Herzen an Estella und träumte dann auf das traurigste, daß meine Erwartungen alle annuillirt, daß ich mich mit Herberts Clara zu vermählen oder vor zwanzigtausend Menschen mit Miß Havishams Gespenste die Rolle des Hamlet zu spielen habe, ohne zwanzig Worte von derselben zu wissen.

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