Paula Dehmel
Das grüne Haus
Paula Dehmel

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Das grüne Haus

Ja, es ist ein grünes Haus, in dem ich wohne; und alle Märchen und Geschichten, die in diesem Buche stehn, sind darin geschrieben worden. Es ist nicht etwa grün angestrichen wie ein Gartenzaun oder eine Blumenbank – nein, das wäre häßlich, die Menschen verstehen noch immer nicht die Farben so gut zu mischen wie der liebe Gott – mein Haus ist anders grün, und auch nur im Sommer. Dann wachsen die Haselsträucher und die Kletterrosen so dicht an den Mauern, daß man vor lauter Grün nicht in die Fenster sehen kann, trotzdem sie ganz niedrig liegen; und wenn der Wind kommt, weht er Laub und Blütenblätter über meinen Schreibtisch; und manche kleine Raupe und manches Käferchen ist schon über meine Märchen gekrochen.

In diesem grünen Hause wohne ich mit meinen drei Kindern, der Detta, dem Peter und der kleinen Liselotte, die noch nicht in die Schule geht und ein großer Wildfang ist, so daß ich meine liebe Not mit ihr habe. Denkt nur, neulich wollte sie durchaus die Blumen von meinem neuen Sommerhut abpflücken; und weil ich ihr das nicht erlauben konnte, hat sie so mörderlich geschrien, daß ich sie mit allen Kleidern in die Badewanne setzen und die kalte Brause aufmachen mußte. Da bekam sie einen Schreck und wurde still.

Detta und Peter sind schon verständiger; wenn sie sich nicht so oft streiten würden, wäre ich ganz zufrieden mit ihnen, aber das können sie sich nicht abgewöhnen.

Unser Vater ist in die weite Welt gegangen, um das Glück zu suchen, und so sind wir allein in dem grünen Hause. Nein, doch nicht! Außer uns ist noch Dido, der Teckel da, der alle Menschen anbellt, die am Gartenzaun vorbeigehn, und die alte Guste, die Kartoffeln schält und die Stuben aufräumt, denn das tue ich nicht gern. Sonst aber bin ich eine richtige Mutter wie euere Mutti auch und kann Mittag kochen und nähen, wie sich das gehört.

Nachmittags, wenn die Kinder fertig mit arbeiten sind, gehn wir in den Wald hinaus, der dicht vor unserm grünen Hause liegt, oder an den kleinen Schilfsee. Da dürfen die Kinder spielen und in den Kahn klettern, der am Ufer angebunden ist, und so tun, als ob sie rudern; oder sie können die Enten füttern, die auf dem See schwimmen. Wenn die Sonne untergeht, freuen wir uns über die leuchtenden, goldroten Kiefernstämme und über die rosa Wolken, die am Himmel stehn.

Ist das Wetter nicht schön, bleiben wir zu Hause und machen Musik. Detta kann schon kleine Stücke auf der Geige spielen, und ich begleite sie auf dem Klavier, das klingt fein. Oder wir singen zusammen schöne Volkslieder, lustige und traurige. Die alte Guste sitzt dann auch mit dem Strickzeug dabei und hört zu, und der Dido rührt sich nicht aus dem Zimmer, auch der hört gern Musik.

An warmen Abenden, wenn die größeren Kinder draußen Zeck und Versteck spielen, setze ich mich auf die Veranda, nehme die Liselotte auf den Schoß und erzähle ihr was.

Am liebsten hört sie die Geschichte von Freund Husch. Das ist der kleine Nachtgeist, der mit seiner Glühwürmchenlaterne hin und her läuft und nachsieht, ob all seine Schnecken- und Käferkinder artig eingeschlafen sind.

Wenn der Mond in den Garten scheint, singe ich den Kindern das Lied von der Prinzessin Mirlamein vor, die im Monde sitzt und spinnt und die langen glitzernden Fäden über die Welt wirft, damit die Menschen schöne, helle Träume bekommen.

Zuletzt, wenn die Kinder schlafen und alles mäuschenstill ist, gehe ich in den Garten hinaus, wo mein lieber Nußbaum steht, mit seinen glänzenden, wohlriechenden Blättern.

Um ihn her ist eine Bank gezimmert; ich setze mich darauf, lehne den Kopf gegen den Stamm und mache die Augen zu. Wie schön das ist! Leise rauschen die Blätter, ich höre Töne, Worte, und bald werden es ganze Geschichten, die mir der Baum zuflüstert. Stundenlang kann ich so zuhören und aufmerken, was er erzählt. Manchmal wirft auch eine kleine Grille oder ein Nachtvogel ein paar Worte dazwischen, oder ein Fröschlein gibt etwas von seiner Weisheit dazu.

Das beste aber sagt mir der Nußbaum; und ich bewahre es wohl in meinem Sinn. So sitz ich an manchem Sommerabend unter seiner Krone, und wenn ich genug von seinen Märchen weiß, gehe ich zurück ins grüne Haus und setze mich an den Schreibtisch. Da steht der große, geschnitzte Lederstuhl, da liegt meine Feder und ein Päckchen weiße Blätter, da kann ich aufschreiben, was mir das Nußbäumchen erzählt hat, und ihr sollt auch etwas davon hören.


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