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Dreizehntes Kapitel

Die Nacht verstrich für Erich Moltke schlaflos und unruhig, früh hörte er Prinz Christian abreiten.

Der Oberstlieutenant beschloß, baldmöglichst zu seinem Oheim zu gehen, ihn zu warnen und ihm zu sagen, daß sie sich in größter Gefahr befänden. Er vernichtete alle bloßstellenden Papiere, die er besaß, bedauerte, nicht an des Prinzen Schreibtisch kommen zu können, und ging dann, um den Oberjägermeister zu veranlassen, daß er gleiche Vorsichtsmaßregeln für sich treffe.

Blume, den Sekretär und Abgesandten Anton Ulrichs, glaubte er nicht in Hannover anwesend, so konnte er keine Befürchtungen hegen, daß sie von der Seite in Verlegenheit gebracht würden.

Erich traf die Dienerschaft in des Oberjägermeisters Hause bestürzt und ratlos. Der treue Buchholz führte den Verwandten seines Herrn in dessen Arbeitszimmer. Hier stand er dem ängstlich Forschenden Rede und Antwort.

Der Oberjägermeister war seit gestern verschwunden. Er war mit den anderen Herren bald nach Mittag von der Jagd zurückgekehrt, war finster und einsilbig gewesen, hatte gegessen, sich umgekleidet und sich gegen fünf Uhr ins Schloß begeben. Seitdem war er nicht wieder in seinem Hause gesehen worden. Nun zögerte Buchholz und fuhr dann endlich halblaut und verlegen fort:

»Ich kenne einen von der Wache, auch einen von den Lakaien im Schlosse, spät bin ich umher geschlichen, um Kunde von meines Herrn Verbleib einzuziehen, da sagten sie mir im Vertrauen, der Herr Oberjägermeister sei auf Befehl Sr. Durchlaucht des Kurfürsten, als er das Schloß verlassen wollen, arretiert und im geschlossenen Wagen nach der Kleverthorwache abgeführt worden.«

Obgleich Erich etwas Ähnliches erwartet hatte, erschrak er nun doch heftig, seine schlimmsten Befürchtungen wurden also bestätigt. Er hatte vor dem Hereinbrechen des Unwetters warnen wollen und nun war es doch schon über den Gefährdeten gekommen.

Da er sich fest überzeugt hielt, daß, wie Prinz Christian ihm gesagt hatte, auch er diesen Nachmittag der Freiheit beraubt sein werde, hegte er keinen lebhafteren Wunsch als den, noch vorher für Ulrike zu thun, was möglich sei. Sie mußte sich über ihres Vaters Schicksal in großer Unruhe befinden und würde von ihm den Zusammenhang der Dinge schonender erfahren als von Fremden, auch konnte er vielleicht noch rücksichtlich ihrer selbst beruhigende Abreden treffen. Ungesäumt ließ er sich also bei dem Fräulein melden.

Ulrike flog in lebhafter Freude auf ihren Vetter zu: »O, ihr bringt mir Trost, mon cousin!« rief sie, ihm die Hände entgegenstreckend. »Nun ihr da seid, wird alles wieder gut werden! Ihr wißt, wo mon père ist, und warum er, ohne Nachricht zu geben, sich von uns entfernt hat.«

Erich führte das erregte Mädchen unter freundlichem Zuspruch zu einem Sitz und nahm neben ihr Platz. »Es wird mir schwer, ma très chère cousine,« sagte er bewegt, »euer Vertrauen auf meine Macht, euch Gutes zu bringen, nicht zu meritieren. Wie gern thät ich's und nähme jegliche Störung von euch, allein es entzieht sich so manche Situation meinem Einflusse.«

»Ihr beängstigt mich, Cousin Erich!«

»Wollte Gott, es wäre nicht nötig!«

»O, so sprecht, was geschehen ist, was ihr affreuses befürchtet?«

»Es wird das Beste sein, wenn ich mit voller Offenheit zu euch rede.« Und nun erzählte er ihr, wie Prinz Maximilian zur Wahrung seiner Rechte eine Verbindung gegen des Kurfürsten neues Primogeniturgesetz gegründet, ihren Vater und auch ihn selbst mit in das Komplot hineingezogen, wie er andere Höfe beschickt und sich bitter über seinen Herrn Vater beklagt habe.

»Aber wie konnte Sr. Gnaden so unkindlich handeln?« rief Ulrike bekümmert, »und wie durftet auch ihr –«

»Ich hatte nichts zu kritisieren und zu refüsieren, ich hatte zu gehorchen.«

» O mon pauvre ami!«

Erich fuhr fort zu berichten, daß nun auf ihm unbekannte Weise der Kurfürst Einblick in die Intrigue bekommen und über sie alle Einkerkerung und Untersuchung verhängt habe.

»Auch über euch, mon cousin?« rief sie erblassend.

»Man wird mich nicht verschonen,« sagte er ergeben.

»O, wie traurig, wie traurig! Mon père im prison und auch ihr, mon chère cousin! Welch ein Unglück!« Sie brach in Thränen aus und schluchzte: »Was soll aus mir werden? Dann habe ich gar keinen Schutz mehr!« Und nun begann sie abgerissen, von Seufzern und Klagen unterbrochen, halb verschämt, halb kindlich offen, ihm von den Nachstellungen zu erzählen, mit denen der Kurprinz sie neuerdings auf der Redoute geängstigt hatte.

»Ihr habt recht, Ulrike,« rief er entrüstet, »ihr dürft nicht allein hier bleiben. Unsere malheureuse Affaire kann sich in die Länge ziehen. Ihr müßt zu eurer Frau Mutter zurückkehren; diese Frage mit euch in Überlegung zu ziehen, war mein Vorsatz.«

»Ach ja,« rief sie freudig, »zurück zu meiner Mutter!«

»Stellt euch unter die Protektion der Frau Kurfürstin. Sie ist eine kluge, edle Dame, die eure schwierige Position begreifen wird. Sie leidet jetzt wie ihr, denn auch Prinz Maximilian, ihrem geliebtesten Sohne, wird der Fürst eine strenge Justiz widerfahren lassen.«

»Ich werde mich der hohen Frau zu Füßen werfen, sie anflehen, daß sie sich für meinen Vater und für euch verwendet!«

»Thut das, ich fürchte, es wird nicht viel nützen. Habt ihr sichere Begleitung nach Katelnburg? Ist eure Bonne zuverlässig?«

»Ich fürchte, sie ist es nicht.«

»So gesteht eure Not der Frau Kurfürstin. Vielleicht giebt sie euch eine konvenable Eskorte. Buchholz muß hier bleiben, ich hoffe, man bewilligt eurem Herrn Vater eigene Bedienung im Cachot.«

Sie sprachen noch eine Weile hin und her über alle Verhältnisse. Ulrike gewann unter Erichs Zureden etwas mehr Mut und Fassung und versprach ihm, den Kopf oben zu behalten, an ihre arme Mutter zu denken, deren Stütze und Trost sie sein müsse, und vorsichtig für ihre Sicherheit zu sorgen. Nun wurde es Zeit, daß sie sich trennten. Prinz Maximilian konnte eher von Braunschweig eintreffen, als man dachte, und dann sagte sich Erich, daß er gleich zur Stelle sein müsse, um zu warnen und zur Rettung zu helfen.

Wie ungewiß lag die Zukunft vor ihnen, das wurde in diesem trüben Augenblicke den Scheidenden, beiden gleich sehr, bewußt. Welche harte Strafe mochte seiner warten? Wann würde man sich wiedersehen? Diese traurigen Fragen und Gedanken bedrängten ihre Herzen mit großer Pein.

Sie standen Hand in Hand, halb abgewandt, damit sie ihren Schmerz besser dem anderen verbergen konnten.

»Ich muß gehen, liebe Ulrike,« flüsterte er, sich noch einmal zu ihr neigend. »Mit schwerer Sorge denke ich an euch. O, möchte Gott euch schützen vor aller Gefahr!«

»Schickt mir Botschaft, was mit euch geschieht.«

»Die sollt ihr haben.« Sie lehnte sich an seine Schulter: »Lebt wohl, lieber Erich. Meine Gebete sollen euch umschweben.«

Er schlang den Arm um sie und küßte sie hastig auf die Stirn, dann stürzte er fort.

Nein, er durfte diese schwere Stunde nicht benutzen, sie an sich zu fesseln, wußte er doch nicht, wie sein Los fallen mochte. Würde der Tod oder lebenslänglicher Kerker über ihn verhängt, so sollte dies holde Geschöpf nicht in sein hartes Geschick verflochten sein.

Als die Thür sich hinter ihm schloß, sank Ulrike schluchzend auf einen Stuhl. O, wie einsam und verlassen sie war! Wie sie für ihn zitterte, für ihn, ihren lieben, treuen Erich! Es gab keinen besseren Menschen auf der Welt. O, sie hätte sich mit Freuden geopfert, um ihn zu retten! Aber man würde doch nicht so ungerecht sein und ihn für den pflichtmäßigen Gehorsam gegen seinen Herrn hart bestrafen? – –

Am Nachmittage, als eben die Dämmerung des grauen, von neuen Schneewolken verschleierten Wintertages hereinbrach, fand sich, unter Führung des Generalmajors von Weihe und eines jüngeren Offiziers, eine Abteilung der Gardereiter zu Fuß beim Osnabrücker Hofe ein. Die Gardisten umzingelten das Gebäude, die beiden Offiziere traten ein und forderten von der verwirrten Dienerschaft, zum Prinzen Maximilian geführt zu werden.

Sr. Gnaden sei schon seit mehreren Tagen verreist, stotterte einer der Leute in kopfloser Angst. –

»Wohin? –«

»Nach Braunschweig.«

»Wann man ihn zurück erwarte? –«

»Diesen Nachmittag.«

»Ah,« die beiden Herren verständigten sich durch einen raschen Blick. Dann solle man sie fördersamst beim Prinzen Christian melden. – Der sei heute in aller Frühe abgeritten. – Wann er zurückkomme. – Das wisse man nicht.

»Saperlot, der hat Wind bekommen und ist echappiert,« murmelte der General vor sich hin.

»Nun, dann zum Oberstlieutenant von Moltke!«

Eilfertig sprangen zwei Diener die Treppe hinauf und öffneten das Zimmer des Adjutanten. Gefaßt kam der Gesuchte den Eintretenden entgegen.

»Ich habe von höchster Stelle den Auftrag, Oberstlieutenant von Moltke, euch den Degen abzufordern,« sagte der General von Weihe ernst. »Ihr seid laut kurfürstlichem Haftbefehl mein Gefangener.«

»Thut eure Schuldigkeit, Herr General,« erwiderte Moltke ohne Erstaunen oder Zaudern und überreichte seinen Degen dem Offizier. Dann wurde er hinunter geführt, in eine geschlossene Kutsche gehoben und ebenso wie gestern sein Oheim unter militärischer Bedeckung nach dem Kleverthorgefängnis gefahren.

Eine Gerichtsperson, die zur Hand war, versiegelte die Zimmer der beiden Prinzen und des Adjutanten. Dieser hatte schon vorher seinen Diener beauftragt, gegen Abend in das Haus des Oberjägermeisters zu gehen und dort dem Fräulein Kunde von ihm zu bringen. Jetzt fand er noch eben einen unbewachten Augenblick, dem Burschen zuzuflüstern, er solle alles berichten, was er sehe.

Vor zwei Tagen war der Sekretär Blume mit der Post von Braunschweig in Hannover angekommen. Er erzählte, daß er zum Karneval für seinen Herzog und dessen Gefolge Wohnungen bestellen wolle und stieg bei seinem Bruder, einem hannoverschen Angestellten, ab. Zur selben Zeit, in der man den Osnabrücker Hof heimsuchte, traf ein Kammersekretär mit vier handfesten Leuten bei Blume ein, sagte dem Verblüfften Arrest an, bemächtigte sich seines Koffers und ließ ihn vorläufig unter Bewachung in seiner Wohnung verbleiben. – –

Es dunkelte stark und feiner Schnee begann herabzurieseln, als ein in ein großes Tuch verhülltes Weib mit einem Korbe am Arme bei der Wache des Aegidienthors eintraf und bat, man solle ihr die kleine Ausgangspforte im Thore öffnen, die beim Dunkelwerden geschlossen ward, sie müsse noch nach ihrem Garten hinaus und sich zu morgen eine Mahlzeit braunen Kohl holen. Es war dies nichts Ungewöhnliches, murrend, sie möge sich sputen und nicht zu spät um Einlaß klopfen, schloß ihr ein alter, grämlicher Stadtsoldat das Thor auf und ließ sie hinaus.

Unbekümmert um das Wetter, strebte das Weib die Straße hinunter.

Der Mond kämpfte sich durch die grauen Ballen der Wolken und sandte sein mattes Licht herab, es hörte auf zu schneien und der hastig gehenden Frau wurde es unter dem großen Kopftuche warm. Sie schob es etwas zurück und Minette Potthofs hübsches Gesicht blickte mit dem Ausdruck ängstlicher Spannung um sich.

Sie hatte durch den schlauen Just noch einmal vorsichtig Kunde im Osnabrücker Hof einziehen lassen und so in Erfahrung gebracht, was dort vor kurzer Zeit geschehen war. Zugleich hatte der Bruder nach dem Wege geforscht, den Prinz Maximilian voraussichtlich bei seiner Heimkehr wählen würde. Es stand Minette fest, daß sie den Unglücklichen warnen müsse, seinen Kopf nicht arglos in die Schlinge zu stecken. So war sie, gleich nachdem sie des Bruders Bericht gehört, davon gegangen. Und jetzt meinte sie bei sich, daß kein Weg ihr für den Geliebten zu weit oder zu beschwerlich sein werde. Sie wollte und mußte ihn treffen. Freilich fürchtete sie sich sehr, im Dunkeln durch den großen Wald zu gehen, den sie bald erreichen mußte. Auch lag an dieser Straße die alte Landwehr der Stadt, der Pferdeturm, es gab hier an dem Schlagbaume eine Besatzung von Stadtsoldaten, und sie wußte nicht, ob die sie ohne Ansprache oder Hänselei ziehen lassen würden. Allein so groß auch, je weiter sie kam, ihre Angst aufwuchs, diese war immer noch gering gegen ihre Sorge um den Prinzen und ihr Verlangen, ihm zu helfen.

Das ungewohnte Laufen an dem dämmerigen, stillen Winterabend, das ihr Blut in Wallung brachte und ihrem Auge gar keine Zerstreuung bot, war so recht gemacht, ihr innen Bilder und Gedanken hervorzuzaubern. Sie durchlebte noch einmal das Liebesglück, das ihr Maximilian gegeben, und die diesjährige bittere Täuschung, sie sah ihn bei der Schlittenfahrt, gleichgültig für sie, an ihrem Hause vorüber gleiten, sie sah sein strahlendes Gesicht deutlich vor sich, sie fühlte alles Weh, das er ihr angethan, aber ihr Mitleid für sich selbst war in diesem Augenblicke ohne Haß gegen ihn, denn über all jenem Empfinden stand die Pein, daß ihre Rachsucht übers Ziel geschossen hatte, daß er nicht nur durch sie – wie sie es begehrt – verletzt und gestraft, sondern vernichtet werden würde. Und was war sie, daß sie es wagen konnte, dies edle, hohe Haupt zu Fall zu bringen? Sie, zu schlecht, ihrem hölzernen Valentin noch zu gefallen! Sie sah den biederen Altgesellen, wie er stumm seinen Lohn eingesteckt, sein Bündel aufgenommen und, ohne ein gutes Wort an sie zu richten, davon gegangen war. Die Leute im Hause meinten, sie habe ihm gesagt, daß sie ihn nicht möge, und deshalb gehe er, und wie gern hätte sie ihm jetzt ihr Jawort gegeben! Aber er hatte ja recht, ihr den Rücken zu wenden.

Hastiger schritt sie aus. Wie mußte jedermann, wie mußte sie selbst sich verachten, wenn es ihr nicht gelang, den Prinzen zu retten!

Da fernes Pferdegetrappel, es kam ihr entgegen, von weit her schallte es durch die Stille der Nacht. War er's? – Sollten es fremde Reiter sein, so durften sie diese nicht sehen; die einsame junge Frau abends auf der Landstraße, fern der Stadt, war jeder Unbill ausgesetzt.

Der Atem versagte ihr vor Spannung, vor Eile und Eifer, nein, sie konnte nicht weiter, hier die große Linde am Wege, die gab ihr Schutz und Versteck. Minette lehnte sich an den Stamm, klammerte sich fest, um nicht hinzusinken, und suchte brennenden Auges die Dämmerung zu durchdringen und die beiden, einer hinter dem anderen her, langsam Heranreitenden zu erkennen.

Prinz Maximilian kehrte, nur von Gimpe begleitet, aus Braunschweig zurück. Der winterliche Ritt, die Anerkennung seiner Beschwerden und Wünsche von Seiten des Herzogs Anton Ulrich und eine Menge neuer Eindrücke hatten ihm gut gethan.

Indem er sich jetzt der Heimat wieder näherte, kehrten die letzten Erlebnisse von seiner Reise mit erneuter Frische in seine Erinnerung zurück.

Maximilian war am Morgen nach der Maskerade in Moltkes Hause gewesen, um sich nach Ulrikens Befinden zu erkundigen und sie wo möglich zu sehen, der Vater war ausgegangen und das Fräulein hatte sich mit Unwohlsein entschuldigen lassen und trotz seiner Bitte den Besuch nicht angenommen. Verstimmt hatte der Prinz das Haus des Oberjägermeisters verlassen.

Was nun? fragte er sich. Da kam ihm der Gedanke, sich gegen seine kluge und gütige Mutter auszusprechen. Die Kurfürstin wohnte noch immer in Herrenhausen und wollte bis zur Karnevalszeit draußen bleiben. Der Prinz warf sich in seinen Wagen und fuhr hinaus.

Er wurde wie immer liebevoll empfangen. Das Mutterherz konnte nicht anders, als sich an dem ritterlichen Sohne erfreuen: er durfte sich zu ihr setzen und mit ihr plaudern, sie bewies ihm wie immer viel Teilnahme für alle seine Sorgen.

In der neulichen Unterredung mit beiden Eltern war sie ja schon von seiner Liebe für eine Unebenbürtige in Kenntnis gesetzt worden, also wurde es ihm leicht, auf denselben Gegenstand zurückzukommen und Ulrike von Moltkes Namen zu nennen. Wenn Sophie auch, ihrer ganzen Lebensauffassung nach, ebensowenig wie ihr Gemahl eine unstandesgemäße Heirat ihrer Söhne billigen mochte, so sprach sie doch nicht ohne Wohlwollen von dem sanften, unschuldigen Mädchen, das, wie sie nun hörte, ihren beiden Söhnen eine Leidenschaft eingeflößt hatte.

Maximilian schilderte der teilnahmsvollen Hörerin die Intrigue des Kurprinzen gegen seine arme Ulrike und bat die Mutter, sich mit einer Ermahnung an Georg ins Mittel zu legen und das tugendhafte Mädchen zu schützen. Vom Kurfürsten war nicht viel zu hoffen, er bevorzugte seinen Ältesten auf jede Weise und ließ den allerdings schon reifen Mann seinen Neigungen ungehindert folgen.

Das feinere Gefühl der Mutter mußte sich gegen das Treiben Georgs wenden, es war nicht anders möglich. Die Kurfürstin versprach nachsinnen zu wollen, wie hier zu helfen und wie der Kurprinz auf den Weg der Pflicht zurückzuführen sei.

Mit diesem Trost hatte Maximilian, allerdings erleichtert durch die Aussprache, aber doch innerlich grollend, Herrenhausen verlassen. Er fühlte sich noch so erregt, daß ruhiges Ausharren ihm unmöglich wurde. In dieser Stimmung beschloß er nach Braunschweig zu reiten, seine Lage mit Anton Ulrich zu überlegen und in der Zustimmung des Lehnsvetters Beruhigung zu suchen.

Maximilian hoffte, nun zurückkehrend, seinen Adjutanten mit erfreulichen Nachrichten aus Kopenhagen vorzufinden, Christian würde endlich seine Abschrift vollendet haben und so konnten alle Pläne gefördert werden.

In diese Gedanken nicht unangenehm vertieft, ritt Maximilian auf die Stadt zu. Fernes Pferdegetrappel kam ihm entgegen, es mußten ziemlich viele Berittene sein, eine ungewöhnliche, auffällige Thatsache; was mochte das bedeuten?

Der Prinz lauschte hinaus und suchte mit seinen im Felde geschärften Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Während er so mit Anspannung seiner Sinne die Ferne durchforschte, beachtete er nicht, daß sich ihm plötzlich eine Gestalt entgegenwarf, und bemüht, sein erschrecktes, hochaufsteigendes Pferd zu beruhigen, hörte er den gellenden Schrei einer Weiberstimme und den Ruf: »Torügge – torügge, de Garde-Keerels komet!«

Der Prinz glaubte bei dem matten Lichte das Gesicht zu erkennen, und erstaunt entfuhr ihm die Frage: »Minette – sie – was will sie?«

Keine Antwort, die warnende Stimme verstummte in einem Wehelaut, die Gestalt taumelte zur Seite und der Prinz sah sich von einem Zuge heransprengender Gardereiter umringt. Das kam so plötzlich über ihn und war so seltsam, daß er, als er den General von Weihe erkannte, erstaunt rief: »Was will er von mir, General?«

»Bedaure, Ew. Gnaden – bin mit einer unangenehmen Ordre betraut,« erwiderte der Offizier höflich grüßend und oftmals stockend: »Mein allergnädigster Herr – Sr. hochfürstliche Durchlaucht – beliebten zu befehlen, daß ich Sr. Gnaden Prinz Maximilian arretieren solle.«

»Mich? – arretieren – mein Vater?« stammelte der Prinz.

»Zu dienen, Ew. Durchlaucht. Geruhen Ew. Gnaden dies zu regardieren.« Der zunächst haltende Reiter zog eine Laterne unter dem Mantel hervor, bei deren Licht Maximilian den Verhaftsbefehl, ausgestellt von seines Vaters eigner Hand, lesen konnte.

»Verrat«, knirschte der Prinz unverständlich vor sich hin, dann zog er nach kurzem Zögern seinen Degen aus dem Bandelier und reichte die Waffe dem General hinüber: »Thue er seine Schuldigkeit, Monsieur de Weihe, ich will ihn nicht empechieren.«

Während die Reiter umwandten, um den Prinzen an des Generals Seite voran reiten zu lassen, sagte Maximilian: »Mein valet de chambre, der mir folgt, wird sans toute frei sein, General?«

»Geruhen Ew. Durchlaucht über dero Subjekt nach Belieben zu verfügen.«

»Gimpe!«

»Gnädigster Prinz!«

»Kümmere er sich um die Weibsperson, die uns eben in den Weg sprang. Ich fürchte, mein Pferd hat sie an den Kopf geschlagen, sie muß da irgendwo zur Seite im Schnee liegen.«

»Soll geschehen, Ew. Durchlaucht,« antwortete Gimpe mit halbem Aufschluchzen; auch er hatte Minette Potthof erkannt und war von allem, was sich eben vor seinen Augen begeben hatte, ganz verstört.

Während nun die Gardereiter mit ihrem hohen Gefangenen der Stadt zutrabten, sprang der Kammerdiener vom Pferde, schlang den Zügel um seinen Arm und neigte sich zu der regungslosen Gestalt hinab, die neben der Straße lag.

Gimpe versuchte sie aufzuheben, er sah dunkle Flecken auf ihrer Stirn, die sich warm und klebrig anfühlten; o das arme, hübsche Weiblein war verletzt! Wie ihn das dauerte, wie schade das um sie war! Er griff in den Schnee und rieb ihr die Stirn mit der in seiner Hand schmelzenden Masse, rief sie mit freundlichen Worten und schüttelte den schlaffen Körper. Endlich fühlte er, daß sie sich rege.

»Liebwerteste Potthofin, was ist ihr arriviert? Komme sie zu sich, Herzallerliebste; so, helfe sie sich nur etwas nach, wir bringen sie schon wieder auf die Beine.« Schwerfällig hob sie sich, von ihm kräftig unterstützt, empor.

»Heft se – em snappet?« stotterte sie mühsam und noch nicht recht bei sich.

»Ach sie hat ja gethan, was sie man konnte, nun sei sie nur ruhig, Charmanteste. Wird Sr. Durchlaucht sehr freuen, daß höchstsein unbändiger Gaul Sie nicht totgeschlagen hat.«

»Ach, hätt er's doch dahen.«

»Na, na, nicht gleich lebensmüde. Sie ist viel zu jung und viel zu angenehm zum sterben. Hat sie sich ein büschen verpustet, nehme ich sie vor mich auf den Sattel, stoppe sie mit unter meinen Mantel und dann reiten wir ganz komode nach Hause.«

Es ward Minetten schwer, Gimpes tröstlichen Worten zuzuhören. Nach und nach brachte er es aber doch dahin, daß sie that, was er wollte, war es doch auch das Beste, um sie aus der unerfreulichen Lage zu befreien, in der sie sich befanden.


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