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Neuntes Kapitel

Die Kurfürstin Sophie ging am anderen Morgen unruhig und erwartungsvoll in ihrem Zimmer auf und ab. Wie mochte diese Begegnung zwischen Vater und Sohn ausfallen? Was konnte Maximilian nun begehren? Und würde Ernst August gewillt sein, auf besondere Wünsche des Sohnes einzugehen?

Der Kurfürst trat herein, er war befriedigt von dem gestrigen Feste und in der besten Laune. Sophie trachtete ihn darin zu erhalten, sie hegte keinen lebhafteren Wunsch als den, daß ein beide Teile befriedigendes Übereinkommen zwischen Vater und Sohn getroffen werden möge. Sie wußte, daß die anderen jüngeren Prinzen mit allem, was Maximilian wollte, zufrieden sein würden. Und so konnte es dann endlich eine volle, erfreuliche Aussöhnung geben. Hatte sie auch nach dem ersten schroffen Zusammenstoß vermittelt, so fühlte sie doch, daß die beiden Feindseligen noch weit davon entfernt waren, miteinander übereinzustimmen.

Endlich kam Maximilian, er schien bewegt, die Farbe wechselte auf seinem schönen Gesichte, und er küßte beiden Eltern mit besonderer Inbrunst die Hand. Ernst August runzelte die Stirn bei dieser warmen Huldigung des Sohnes, er argwöhnte ein Komplot von Mutter und Sohn gegen sich und seine unumstößlichen Absichten und faßte sich innerlich zur Vorsicht und zum Widerstande zusammen.

Nachdem der Prinz einige anerkennende Worte über den Verlauf des gestrigen Nachmittags gesprochen hatte, ein Lob, das dem Kurfürsten absichtlich und gemacht erschien, kam Maximilian auf seine Wünsche und Vorschläge.

»Ich bin gewillt,« sagte er offen und ehrlich, »meines Herrn Vaters Akte über die Primogenitur zu unterzeichnen, so Ew. Gnaden mir in anderer Weise entgegenkommen und ein sort nach meinem Herzen schaffen wollen.«

»Bedingungen, Herr Sohn? Au fond brauche ich eure Einwilligung und Unterschrift für meinen souveränen Willen gar nicht, aber laßt hören, welche Prätensionen euer Hirn jetzo ausgeheckt hat.«

»In gutem Vertrauen zu meines gnädigen Herrn Vaters Großmut wollte ich um eine feste Dotation, eine angemessene Abfindung, einen Grundbesitz bitten, auf dem sich's standesgemäß mit Weib und Kind leben läßt.«

»Seh einer, mehr nicht? Und wo ist denn die Prinzessin, die dero Ruhesitz mit beziehen möchte?«

Der spöttische Ton Ernst Augusts reizte den Sohn, seinem Vater gerade ins Auge blickend, sagte er mit großer Bestimmtheit: »Ich werbe um ein Fräulein vom Adel und begehre eine Mariage mit ihr.«

»Sieht euch ähnlich; phantastisch, egoistisch und sans egards. Gut, mon fils, daß ich noch ein Wort darein zu reden habe. So hört: wir werden niemals in eine Mesalliance einwilligen!«

»Die Verbindung mit einem tugendsamen, wohlerzogenen Frauenzimmer, einem edelgeborenen Hoffräulein kann man keine Mesalliance nennen! – Sie ist –«

»Verschone mich mit Namen, ich mag nichts hören von solchen Privataffairen. Jegliches legitimierte pêle-mêle fürstlichen Blutes mit dem untergeordneten Subjekte kommt mir vor, als ob man Dreck in den Pfeffer mischt. Zettele eine amour mit deiner Schönen an, geht so weit ihr wollt, aber denke nicht an das Skandalum einer Ehe.«

»Mein Vater!« rief Maximilian gereizt aufspringend, »wie dürft ihr meine Absicht also benennen! Hat nicht der Herr Pfalzgraf und Kurfürst Karl Ludwig, meiner Frau Mutter leiblicher Bruder, das Hoffräulein Susanne von Degenfeld geheiratet? Und ist dero eigener Herr Bruder, mein hochwerter oncle, der Herzog von Celle und Lüneburg, nicht mit Eleonore d'Olbreuse vermählt?«

»Nichts destoweniger infam schlechte Beispiele,« sagte der Vater ingrimmig.

Nun äußerte sich auch die Kurfürstin. Sie war von einem lebhaften Standesbewußtsein erfüllt und eben durch den Sohn an wunden Punkten berührt worden.

»Ihr wendet verkehrte Mittel an, Maximilian,« sagte sie herbe. »Um deinen Herrn Vater gnädig zu stimmen, konntest du nicht ungeschickter sein.«

»Oh!« rief der Prinz heftig, »es lassen sich in der Geschichte unseres Hauses noch mehrere unebenbürtige Heiraten aufnennen, die niemals für skandalös gegolten haben. Früher, als man noch so generös war, die nachgeborenen Prinzen nicht hungrig, zu dem Zwecke, totgeschossen zu werden, hinauszujagen, als Franz von Celle mit dem Amte Gifhorn abgefunden wurde, freite sein älterer Bruder, Otto, Meta von Campen und erhielt Harburg als Dotation. Und später vermählte sich August, der Bruder meines Großvaters, zur linken Hand mit der schönen Amtmannstochter Ilse Schmiedichen und wurde Vater der Herren von Lüneburg. Mich dünkt das weniger choquant als die heutige Maitressenwirtschaft.«

Diese unüberlegten Worte wirkten gleich Schlägen auf das Elternpaar. Sophie, an den Schatten in ihrer Ehe erinnert, wandte sich mit Thränen in den Augen zum Fenster, und der Kurfürst fuhr zornig empor. Er ballte die Faust und schrie den Sohn an:

»Will er eine neue Ordnung in die Welt bringen? – Will er mir den Handschuh hinwerfen? – Er rabiater Heißsporn, er trutziger Gesell, er Randalierer! Nichts, gar nichts hat er von meiner Gnade zu erwarten. – Seh er zu, wie er mit dem Kopfe durch die Wand rennt! – Seh er zu, wer ihm Ämter und Domänen giebt, von mir hat er nicht einen Schuh breit Landes zu pretendieren!« Damit drehte der Gereizte dem Sohne den Rücken und stampfte mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

Auch Maximilians Blut kochte, er verneigte sich, gleichviel ob er gesehen und beachtet wurde oder nicht, nach beiden Seiten und verließ den Empfangssalon seiner Mutter, nichts fühlend, als daß er beleidigt, mißhandelt, mit gerechten Forderungen abgewiesen sei.

»Nun muß ich ihn zwingen, mit mir zu paktieren, nun muß er von anderen Seiten erfahren, wie man seine Willkür, seine Härte gegen uns jüngere Prinzen an den befreundeten Höfen verdammt, wie Fremde sich unserer Sache wärmer annehmen, als es der eigene Vater im Sinne hat.«

Im Vorzimmer kam ihm sein Bruder, der Kurprinz, entgegen. Mit kühlem Kopfnicken erwiderte er Maximilians zerstreuten Gruß.

»Muttersöhnchen,« sagte Georg trockensten Tons, »habt ihr euch wieder einmal hätscheln lassen und im Glanze eitler Mutterliebe gesonnt?«

»Ihr steht mir allewege breit im Lichte, Kurprinz, so daß kein Sonnenstrahl auf mich fällt!« rief Maximilian unwirsch und lief an dem Gehaßten vorüber. Er eilte, fortwährend Rachepläne in seinem Kopfe wälzend, nach Hause.

Auf seinem Zimmer angekommen, stürzte er hin und her wie ein Löwe im Käfig. Seine heftige, ungeduldige Natur ward auf eine harte Probe gestellt. Er wollte es nicht ertragen, bei Seite geschoben, für nichts geachtet und mit seinen innigsten Wünschen abgewiesen zu werden. Er fühlte deutlich, Georg war nicht besser als er und für den war alles, für ihn nichts; eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Mit freundlichen Gesinnungen, in mildester Form hatte er seinen Vater gebeten, aber nur Hohn und schroffe Ablehnung erfahren. Das mußte jeden erbittern, das war nicht zum Ertragen!

Wohlan, wenn man sich ihm denn feindlich gegenüber stellte, wollte er die Position, in die man ihn drängte, einnehmen, wollte sich verteidigen, wie ein Getretener sich wehren und in die Ferse stechen, die man ihm auf die Brust setzte.

Mit einem raschen Entschluß warf er sich an den Schreibtisch, rückte Feder und Papier zurecht und begann einen Beschwerdebrief an König Wilhelm III. von England abzufassen. Bis jetzt hatte er den Mahnungen Erich Moltkes nachgegeben und England, von dem seine Eltern ein besonderes Glück für ihr Haus erwarteten, aus dem Spiele gelassen. Der gerechte, hochsinnige Charakter Wilhelms war bekannt, von ihm war eine machtvolle und günstige Vermittlung zu erwarten, wenn es Maximilian gelang, den König für sich zu gewinnen.

Des Prinzen Hand zuckte und bebte noch vor Erregung, während sie über das Papier flog, und er fühlte bald selbst, daß er sich einer zu entschiedenen Sprache, zu schroffer Wendungen bei seiner Anklage bediene. So begann er denn zu mildern und zu feilen und glaubte endlich, den richtigen Ton getroffen zu haben.

Als er eben, erschöpft von der Aufregung und Anstrengung, seine Schrift zum dritten Male überlas und befriedigt niederlegte, kam trällernd sein Bruder Christian ins Zimmer.

Maximilian hatte, wie alle seine bisherigen Schritte, auch diesen im Namen der jüngeren Prinzen des Hauses Hannover gethan und es lag ihm nun daran, Christians Einwilligung und Unterschrift zu erlangen. Der kindliche Ernst konnte füglich aus dem Spiele bleiben, Christian aber nicht. Ebenfalls hatte Maximilian den braunschweigigen Vetter, Herzog Anton Ulrich, und die beiden Moltkes als Verbündete genannt und dadurch den Eindruck hervorzurufen gestrebt, als seien mehrere einflußreiche Leute von der ungerechten Behandlung durchdrungen, die der Kurfürst seinen jüngeren Söhnen angedeihen lasse.

»Ah, Christian,« empfing er den Bruder, »ihr kommt mir à propos. Es giebt in unserer hochwichtigen Sache wieder etwas zu konsentieren.«

»Noch immer keine anderen Gedanken, teuerstes Maxel?«

»Ist denn unsere zukünftige Stellung nicht das Allerwichtigste für uns? Möchtest du lebenslang ohne Heimat und Position im Felde liegen und wenig mehr sein als jeder andere Landsknecht? Regt sich dagegen nicht dein fürstliches Blut und schreit nach seinem Rechte?«

»Na, schreien hab ich's noch nicht hören, aber wenn etwas mehr für uns abfiele, würde mir's behagen.«

»Wurmt dich's nicht, so der Kurprinz sich in die Brust wirft und auf uns herabsieht?«

»Ja, unserm erhabenen Herrn Schorfe spielte ich mit großem Pläsir einen Tort.«

»Nichts wird ihn mehr chagrinieren, als wenn uns eine Zuwendung aus dem Nichts erhebt.«

Der Jüngere legte mit listigem Augenzwinkern den Finger an die Nase und meinte: »Möcht 'en kleines Herzogskrönchen drum geben, wenn ich dem breitspurigen Monsieur eins anwischen, so einen recht ausgewachsenen Schabernack anthun könnte!«

Während dann Christian sich rekelte, las der Ältere mit vieler Wärme seine Schrift vor.

Als nun Maximilian, glühend vor Eifer, mit stammenden Augen und zitternden Händen das Papier sinken ließ, sprang Christian auf und rief: »Sapperment, du thust es ihm energisch zu wissen, wie übel man uns mitspielt! Ja, das ist gut, mit dem Geschreibsel bin ich wohl zufrieden.« Er nahm dann selbst das Papier in die Hand und nickte schmunzelnd: »Aber so kann's noch nicht abgehen, du hast gräulich geschmiert.«

Maximilian wußte, daß seine Schrift viele Schleifen und Haken habe und nicht sehr leserlich sei, daß der Bruder dagegen eine gerade, klare Hand schreibe, er empfand wenig Neigung, die Arbeit zu kopieren, seinen getreuen Oberstlieutenant Moltke hatte er wieder nach Dänemark geschickt, Fremden konnte man dies wichtige Aktenstück nicht anvertrauen, so bat er Christian, eine saubere Abschrift anzufertigen, die sie dann miteinander unterschreiben und alsbald, durch einen sicheren Boten, nach England schicken wollten.

Der unruhige, junge Prinz war nicht leicht zu dem Dienste einzufangen, den der ältere begehrte, endlich aber, als Maximilian mit Nachdruck darauf bestand, sagte er zu, wünschte aber, daß man ihn nicht treibe. Nachdem Maximilian noch große Vorsicht und Verschwiegenheit empfohlen hatte, trennten sich die Brüder.

Am andern Tage wollte die Stadt das freudige Ereignis der Belehnung ihres Herzogs mit der Kurwürde durch eine Redoute auf dem Rathause, zu der auch der Hof sein Erscheinen zugesagt hatte, festlich begehen.

Ulrike, noch ergriffen von den peinlichen Empfindungen, die sie auf der gestrigen Schlittenpartie beunruhigt hatten, bat ihren Vater, vom Rathause zurückbleiben zu dürfen. Nach vielen Schwierigkeiten, da der Oberjägermeister sie so viel wie möglich mit Prinz Maximilian zusammen zu führen wünschte, gestattete Moltke endlich, daß Ulrike sich unpaß melde und zu Hause bleibe, fügte aber, als er diese Erlaubnis aussprach, hinzu, er habe sie nicht von Katelnburg herüber gebracht, damit sie wie eine Nonne lebe, und öfter werde er ihren Launen nicht nachgeben.

Maximilian wollte eine auf Ulrike bezügliche Bitte an den Oberjägermeister richten und ging deshalb gegen Abend zu Moltke. Seit er seinen Vertrauten öfter zu geheimen Beratungen besuchte, pflegte er sich des Thorweges und der Hintertreppe zu bedienen und wurde so vielleicht nur von Buchholz gesehen, der frei bei seinem Herrn ein- und ausging.

Der Prinz hatte geschwankt, ob er Moltke den Mißerfolg bei seinen Eltern anvertrauen solle. Er war aber zu dem Entschluß gekommen, daß er es nicht thun wolle, hoffte er doch noch immer auf eine günstige Wendung. Weshalb sich selbst bei dem Vater seiner Geliebten das Spiel verderben? Über seinen Brief nach England wollte er sprechen, wußte er doch, daß dieser Schritt durchaus nach dem Sinne des Oberjägermeisters sein werde, dem keine Maßregel in der Angelegenheit, die sie betrieben, kräftig genug war, und dann wollte er von Ulrike hören und seinen Wunsch aussprechen, übermorgen mit ihr zusammen zu sein.

Er war entschlossen, heute nicht auf die städtische Redoute zu gehen; er mochte seinen Eltern nicht entgegentreten und mußte daher auf den Anblick der Geliebten gleichfalls verzichten. Allein, je ferner ihm die Möglichkeit, sie zu besitzen, gerückt wurde, je mehr Schwierigkeiten sich aufhäuften, je wertvoller erschien sie ihm und je mehr festigte sich sein Entschluß, alle Hindernisse zu besiegen und sie, einer Welt zum Trotze, doch noch in Ehren sein zu nennen.

Moltke empfing den, welchen er im Stillen »seinen Prinzen« nannte, mit ehrerbietiger Vertraulichkeit und hörte alles, was Maximilian ihm mitteilte, voll Interesse und Billigung an.

»Ich gratuliere, daß Durchlaucht den Schritt, den ich immer empfohlen, gethan und sich an König Wilhelm gewandt haben. Der hohe Herr hegt ein verwandtschaftliches Wohlwollen für dero Frau Mutter, wird von der Frau Kurfürstin gewiß ein gutes Wort zu Gunsten der Ansprüche Ew. Gnaden zu hören bekommen und kann hier am Hofe ein großes Gewicht in die Wage legen.«

Beide Männer ergingen sich in den schönsten Hoffnungen, bei denen, als dunkler Hintergrund, der Haß gegen den Kurprinzen durchblickte.

Als der Oberjägermeister auf des Prinzen Frage berichtete, Ulrike werde heute nicht mit auf der Rathausredoute sein, verklärten sich Maximilians Züge.

Eifrig hob er an: »Übermorgen findet, für beliebige Teilnehmer, eine Maskerade im Ballhofsaale statt, der Hof ist nicht da, aber eine Anzahl dazu gehöriger Personen, Damen sowohl wie Herren, geht, wie er wissen wird, en masque bis zur Stunde des Demaskierens dorthin. Gewähre er mir, als Zeichen seines Vertrauens, das Recht, sein liebes Fräulein Ulrike dorthin zu führen.«

Moltke zögerte mit der Antwort: »Prinz – ist das convenable?«

»Ich stehe ihm gut für alle Konsequenzen. Mich verlangt danach, einmal der Liebsten alleiniger Cavalier zu sein und mit ihr, die ich für meine Braut ansehe, zu gehen, wohin ich will. Meine redliche Absicht mit seiner Tochter mag ihm die Garantie geben, daß ich sie auf das höchste ehren werde!«

Diese mit großer Wärme gesprochenen Worte beschwichtigten des Vaters Bedenken und gewannen seine Einwilligung. »Geruhen Ew. Gnaden mit mir zu kommen und dero Anliegen höchstselbst anzubringen.« Er führte den erfreut Folgenden über Treppchen und Galerien in das vordere Zimmer, wo Ulrike mit Jeannette Lenoir am Kamin saß und spann.

Beide Mädchen fuhren überrascht empor als die Herren eintraten. Der Prinz führte Ulrike mit artigen Worten zu einem Sitz, nahm neben ihr Platz und trug seine Bitte vor, während der Vater, das Paar betrachtend, vor ihnen stehen blieb. Die Französin hatte sich unbeachtet in eine Fensternische zurückgezogen.

Ulrike, von peinlicher Befangenheit gebannt, vermochte eine Weile keine zusammenhängende Antwort hervorzubringen. Sie hörte auch nicht, was Maximilian, als er ihre Verlegenheit sah, noch zu Gunsten seines Plans anführte.

Er, der Hohe, hier in ihrer bescheidenen Häuslichkeit! Sie wußte ja, daß ihr Vater ihm geneigt sei, aber wie weit ging diese Protektion? Wollte er begünstigen, was sie fürchtete? Stand sie ganz allein, auf nichts gestützt als auf die Erinnerung an ihre Mutter und an Erich? Würde sie allen diesen Versuchungen widerstehen können, wie sie doch mußte? Eine glühende Hitze und Angst überlief sie, sie schlug das feucht schimmernde Auge flehend zu Maximilian empor und stammelte:

»O, ich möchte Ew. Durchlaucht ergebenst danken – möchte lieber nicht gehen – so Ew. Gnaden mir gestatten wollten, daß ich –«

»Ich habe consentiert, Ulrike, und befehle ihr keine Widerworte zu haben,« sagte der Vater streng; aufbrausend fuhr er fort: »Du gebärdest dich wie eine Landpomeranze, eine Gans, die du bist. Es ist gegen die Etikette und absolut nicht convenable, durchlauchtigsten Wünschen zu widersprechen.« Maximilian runzelte die Stirn; der Mann war ihm zu derb gegen sein holdes Kind.

Ulrike wagte kein Wort mehr, sie zitterte vor ihres Vaters Zorn und ergab sich in das, was ja auch ihr junges Herz erfreute, was ihr schmeichelte, wogegen sie aber glaubte, sich nach Kräften wehren zu müssen.

Als die Herren nach der Verabredung, daß der Prinz sie übermorgen um sechs Uhr abends in seinem Wagen abholen sollte, gegangen waren, hüpfte Mademoiselle Jeannette, entzückt in die Hände schlagend, aus ihrem Winkel hervor und begann mit der noch betäubt Dasitzenden eine Beratung über ihr Kostüm.

»Ach, ich habe ja die herrliche Tracht einer Griechin von meinem guten Vetter Erich,« sagte Ulrike, »nur schade, daß er mich nicht darin sehen kann!«

Jeannette eilte hinaus und kam mit den Kleidern der Moreatin zurück, die sie aufs neue bewunderte und zur Probe ihrer jungen Herrin anlegte.

» Magnifique, pompeus, excellent!« rief die Französin. »Wir brauchen nun nichts mehr als eine Maske und die delicioseste Figur ist fertig.«

Bald darauf ging sie aus unter dem Vorgeben, die fehlende Maske besorgen zu wollen. Sie wandte sich aber dem Schlosse zu und verschwand in einem Seitenthürchen desselben. – –

Der Kurprinz Georg trat in sein Ankleidekabinet, in dem ein prächtiger Maskenanzug bereit lag, und schellte seinem Kammerdiener. Der hohe Herr befand sich in übler Laune; Jean Baptiste, der Beziehungen im Moltkeschen Hause angeknüpft, hatte ihm vor einer Stunde die unwillkommene Nachricht überbracht, daß Fräulein Ulrike heute auf der Redoute im Rathause nicht sein werde.

Prinz Georg konnte kaum umhin, auf dem Feste, das die Stadt dem Kurfürsten gab, zu erscheinen, aber es langweilte ihn. Da der augenblickliche Mittelpunkt seines Interesses dort fehlen würde, fand er es nicht der Mühe wert, sich in die Gesellschaft zu begeben. Das Entgegenkommen der Generalin von Weik hatte allen Reiz für ihn verloren; aber wenn er auch unter irgend einem Vorwande zu Hause blieb, was hatte er hier? Überdruß auf allen Seiten, er brauchte etwas neues, eine frische Würze für sein Leben.

Doch was half's, es war schon spät geworden, endlich mußte er den Entschluß fassen, sich ankleiden zu lassen.

Jean Baptiste, ein geschmeidiger Franzose, trat ein: » Avec permission, hoch fürstliche Durchlaucht« –

»Halt er sich nicht mit Salbadern auf!« fuhr ihn der Prinz an.

Der Kammerdiener begann seinem Herrn den Rock auszuziehen und sprach dann halblaut bescheiden: »Wollten Ew. Gnaden geruhen – zu hören belieben – une bonne nouvelle – Mademoiselle Jeannette von drüben –«

»Ah, das Subjekt, das Frauenzimmer bei Moltke?« Der Prinz war jetzt ganz Ohr.

Geläufig plappernd, berichtete Monsieur Baptiste, daß Fräulein Ulrike übermorgen Abend, unter Begleitung des Prinzen Maximilian, in dem leicht kenntlichen Kostüm einer Griechin das Maskenfest im Ballhofsaale besuchen werde.

»Eh – eh – mit Max – das wäre« – stieß Georg in kaum beherrschender Erregung hervor. »Er soll, er darf nicht! – Mir zum Tort – aber er soll – er soll nicht!« Und der Kurprinz stampfte mit dem Fuße auf, entriß sich den Händen des ihn gewandt Bedienenden und rannte wild hin und her. Endlich blieb er vor seinem Kammerdiener stehen und sagte, ihn geröteten Gesichts mit rollenden Augen anstarrend: »Hör er, Baptiste, so er mir das Fräulein – die schöne Ulrike schafft – überliefert, daß ich sie mit mir aufs Jagdschloß – nach Linsburg nehmen kann – hundert Dukaten soll er haben, wenn sie mein ist!«

Der Kammerdiener verneigte sich eifrig, er wand sich vor Vergnügen: »Gnädigster Herr sind sehr generös, meinen allerunterthänigsten Dank, werde alles riskieren, vor keiner Aventure zurückschrecken, werde sans doute reussiren

»Was denkt er denn – hat er schon einen Plan – was will er?« stieß Georg ungeduldig hervor.

»Vor allem müßte ich das Terrain recognoscieren. Einen gewandten Begleiter mitnehmen. Vielleicht Ew. Durchlaucht Küchenchef, Monsieur Claude, ein feiner Kopf, bien a droite. Vielleicht würde auch ihm ein kleines donceur –«

»Ja, ja, nur weiter, wenns glückt –«

» Eh bien, wir blicken hinter die Coulissen, wir untersuchen die Örtlichkeit, der Ballhofsaal hat mehrere Eingänge, Schlupfen, Cabinette. Noch einige alerte Subjekte aus Ew. Gnaden Haushalt müßten im Saale verteilt werden. Es käme nur darauf an, das Fräulein von seinem Cavalier zu separieren. Vielleicht ein falscher Feuerlärm, eine Panik –«

»Ah! er ist ein schlauer Kerl! Aber geh er nicht zu weit!«

»Ganz zu Ew. Durchlaucht Befehl. Vor einer unscheinbaren Thür des Etablissements müßte ein Wagen, – in den man – Mademoiselle hineinhöbe, troublé, perplexe wie sie sein würde. Durchlaucht kämen nach, anfänglich escortierte ich – aber ganz wie Ew. Gnaden befehlen.«

»Sie würde schreien, bitten, sich exaltieren.«

»Ein kleines Tuch vor den Mund, ich würde das mit aller Delicatesse besorgen, und später auf einsamer Landstraße –«

»Ja, einmal draußen, könnte sie schreien, so viel sie wollte.«

Dieser hingeworfene Plan beschäftigte den Kurprinzen auf das Angenehmste. »Man müßte nur allen Eklat vermeiden,« meinte er. Wenn die Sache ohne viel Aufheben glückte, erfüllten sich seine lebhaftesten Wünsche. Er hatte das schöne Geschöpf, nach dem ihm verlangte, in seinem Besitz und einmal sein, würde sie jeden Platz annehmen müssen, den er ihr geben wollte, er ärgerte den Oberjägermeister, den er nicht leiden konnte, und was noch mehr war, er traf den Bruder, der sich gegen ihn aufzulehnen wagte, wie er deutlich fühlte, ins Herz und verdrängte Maximilian endgültig aus der halbgewonnenen Position.

Auf diesem Punkte seiner Gedankenkette angekommen, lachte der Prinz vor sich hin und rieb sich vergnügt die Hände. Nun befand er sich in viel besserer Stimmung und wollte, in Erwartung des Kommenden, die Rathausredoute getrost über sich ergehen lassen.

Das bevorstehende Fest im Ballhofsaale versetzte niemanden in größere Aufregung als Frau Mullberg. Eine ihrer Haupterntezeiten nahte heran und mußte geschickt ausgenutzt werden. Es galt die besten Maskeradenkostüme in den beiden Hinterzimmern so zu ordnen, daß sie in langen Reihen, jedoch leicht übersichtlich, da hingen.

Tante Mullberg hatte Minette gebeten, ihr zu helfen, die junge Frau war geschickt in solchen Dingen und seit ihren Kinderjahren mit diesen Arbeiten vertraut. Bald ließ sich hier noch etwas vorteilhafter zusammenstellen, bald da, und wenn die Alte diese Dinge mit ihrer Nichte Hilfe ausrichten konnte, gewannen sie allemal ein besseres Ansehen.

Minette that es gern, sie fand von jeher viel Vergnügen an dem bunten Flitterstaat.

Sie hatte dem Prinzen Christian erlaubt, noch den Abend vor der Maskerade zu einem Stelldichein in das bekannte Hinterzimmer zu kommen, in dem nun schon alle Garderobe hing, das paßte nicht sonderlich, aber es schadete auch nichts; gefiel es ihm schlecht, so konnte er ja um so rascher wieder gehen. Freilich wollte sie gern einiges Nähere über Maximilian hören. Nachdem sie in Erfahrung gebracht hatte, wer das schöne Fräulein gewesen sei, mit dem er bei der neulichen Schlittenpartie vorübergefahren und so zärtlich gewesen war, wollte sie wissen, ob sie in diesem zarten Kinde ihre Nebenbuhlerin sehen müsse. Ja, es war doch gut, daß Christian kam, der, verhindert durch viele Hofgesellschaften, sie lange nicht besucht hatte. Immer wußte sie auch noch nicht, woran eigentlich Maximilian jetzt hing. Eine Frau sollte es nach Christian's Worten nicht sein, aber was denn? Es war immer noch ihr höchster Wunsch dies heraus zu bekommen, denn hier, das fühlte sie instinktiv, mußte die Möglichkeit liegen, sich an ihm zu rächen. Ihm die Schmerzen heimzuzahlen, die sie seiner Untreue wegen litt. – –

Gegen Mittag an diesem geschäftigen Tage traten zwei Männer in den Mullbergschen Trödelladen, die den Besitzern, als zum Hofstaate des Kurprinzen gehörig, bekannt waren.

Der Alte nahm auch diese Kunden gelassen auf. Die »Spinne« jedoch, einen guten Fang witternd, schoß aus ihrer Ecke hervor und begrüßte die Ankömmlinge mit vielen sonderbaren Knixen und einem großen Redeschwall.

»Komme mit allem Fleiß gesprungen, gnädige Herren, Ihnen ergebenst zu dienen. Wollet nur sagen, was es sein soll. Schöne neue Türken, Armenier, Indier, Griechen, Spanier, Gärtner oder Schornsteinfeger gefällig? Hierzu Zamerlücken und Saloppen von feinem Zeug – ach un ik hef noch vel mehr, aber man mut nich alle siene fienen Lieder utsingen.« –

Der jüngere der beiden Leute lachte laut auf über die eifrige Alte mit ihrer Hakennase, den runden Augen und wippenden Mützenstrichen; es war der leichtsinnige Monsieur Claude, der Küchenchef, ein Freund und Landsmann Jean Baptiste's. Dieser blieb ernsthafter, er winkte der Frau zur Seite zu treten, sagte ihr, daß sie später einige Dominos brauchen würden, vorläufig aber durch ein anderes Anliegen hergeführt würden.

Er drückte ihr ein Geldstück in die Hand, das sie vergnügt grinsend und knixend zu sich steckte, und versprach ihr noch einmal ein gleiches Douceur, wenn sie ihn und seinen Freund mit allen Aus- und Eingängen, allen Zimmern und Winkeln am Ballhofsaale bekannt machen wolle, es gelte einen Scherz auszuführen und man wünsche zu dem Zwecke, die Örtlichkeit genau zu kennen.

»Möcht euch deß gerne dienen, ihr feinen Monsieurs,« sagte die Frau zögernd, »aber der Wirt vom Saale schließt bis zum Abend seine Thür nach unserem Gange zu, und ich kann den Herren nur das schlechte Haus zeigen, das unser ist.«

Die Beiden fragten nach einem hinteren oder seitlichen Ausgange, und da Frau Mullberg erwiderte, daß man den über einen Nachbarhof auf die Knochenhauerstraße habe, waren sie vorläufig zufrieden und verließen mit der Frau, die sie führte, den Laden von der Rückseite, schritten den Gang entlang und kamen auf dem kleinen Flur an, an dem die beiden Zimmer mit den zu verleihenden Maskeradenanzügen und die Außenthür lagen. Ohne sich weiter zu äußern, hatten sie alles angesehen. In diesem Augenblicke ertönte eine rufende Stimme vom Laden her:

»Mullbergsche! Vele Kundschaft, komme Se flink!« Die Alte stürzte davon.

»Famos, daß wir die Hexe los sind!«

»Eine superbe Spelunke!«

»Das wahre Terrain für eine Intrigue.«

Die beiden Verbündeten lachten sich an. Sie gingen an die verschlossene Thür, die zu dem Saale führte, diese lag am Ende eines kleinen Ganges, an dessen beiden Seiten sich die Zimmer für die Garderobe befanden. Sie sahen in die eine und andere Thür und betraten dann dasjenige, in dem die Frauenkleider in Reihen hingen.

»Es wird sicherer sein, hier zu deliberieren.«

» Eh bien, laßt uns den Anschlag hier an Ort und Stelle fixieren.«

»Ja, besser als auf dem offenen Flur.«

»Alles so favorable wie möglich.«

»Den Saal braucht man gar nicht zu sehen, dies genügt.«

»Wir separieren die schöne Griechin vom Prinzen, drängen sie hier hinein, führen sie durch die Hinterthür hinaus, schreit sie, haben wir eine Kapote zur Hand. Auf der Straße hält der Wagen, ich springe mit hinein, vorwärts über Stock und Block, so führe ich sie dem Kurprinzen zu.«

»Werden wir sie leicht erkennen, Griechinnen mag es mehrere im Saale geben?«

»Das Kostüm ist echt, ihr Kousin, der Oberstlieutenant, hat es aus Morea mitgebracht.«

Dies sagend, schritten sie hinaus, untersuchten noch die in den Hof führende Thür und kehrten in den Laden zurück, wo sie bei der Besitzerin sechs gleiche blaue Überwürfe mit Kaputzen, die Frau Mullberg Zamerlücken nannte, für morgen Abend mieteten und sich einpacken ließen, sie geboten dabei der Frau, wenn sie keine Unannehmlichkeiten haben und hohe Kundschaft verlieren wolle, über dies Geschäft zu schweigen, was die Alte mit der Versicherung, daß sie immer über ihre verliehenen Anzüge reinen Mund halten müsse, gern versprach.

Als die beiden kurprinzlichen Diener das Garderobezimmer verlassen und ihre Schritte sich im Gange verloren hatten, tauchte Frau Minette aus der Reihe bunter Gewänder auf und lachte vor sich hin. Eben hatte sie ein buntes Mieder angepaßt und sich daher nicht sehen lassen wollen, als sie Männerstimmen gehört.

Sie hatte es Prinz Christian abgeschlagen, mit ihm in den Saal zu gehen, sie gab nichts um das Vergnügen an seiner Seite, und Tante Mullberg war glücklich, wenn sie ihr an dem geschäftereichen Abende half, und nun dachte er eine Dame zu führen, die der Kurprinz ihm durch seinen Kammerdiener abspenstig machen lassen wollte. Was das für eine lustige Intrigue war, mit dieser Kunde konnte sie ihren »abtrünnigen Krischan« ordentlich necken.

Als sie wieder vorn in den Trödelladen kam, mochte die Tante sich's nicht versagen, ihr die währenddem abgeschlossenen Geschäfte aufzuzählen, und da wurde auch der sechs blauen Zamerlücken gedacht, die vom »Hofe des Kurprinzen« für höhere Gebühren, als sie gewöhnlich einbrachten, gemietet worden waren.

Ah, dachte Minette, die Sache wird großartig, zu Sechsen wollen sie das Frauenzimmer entführen, dem Herrn Kurprinzen muß viel daran liegen.

Am Abend, zu der verabredeten Stunde, erschien Prinz Christian an der versteckten Hinterthür und wurde von seiner kleinen Freundin eingelassen. Aber noch immer gestattete sie keine zärtlichere Begrüßung als einen Händedruck. Versuchte er es auch jedesmal, sie an sich zu ziehen, sie wußte sich ihm immer zu entwinden.

Er lachte hell auf, als er in das Zimmer trat, der Raum war durch die Garderobe beschränkt. In der Ecke stand die dreiarmige Lampe auf einem Tische – ein paar ungleiche und wackelige Armstühle waren herbeigerückt.

»Sind hier wohl in den Trödelladen geraten?« fragte der Prinz und sah sich neugierig um.

»Halten zu Gnaden, Durchlaucht,« knixte Minette, »wenn's nicht paßt, so –« eine bezeichnende Handbewegung wies auf die Thür.

»Immer kurz angebunden, Racker, der sie ist!« Er sank in einen der Armstühle und schmunzelte sie an. Sie hatte einen der bunten Maskeradenanzüge angelegt und sah allerliebst aus.

»Sie will mich wohl ganz närrisch machen, daß sie sich so herausflieht?«

»So Durchlaucht mit einer neuen Schönen auf die Maskerade zu gehen belieben, muß ich mich wohl dagegen anstrengen.«

»Ich, charmantes Potthöflein?« Christian sah bei dieser Frage etwas dumm aus.

»Wie unschuldig Ew. prinzliche Excellenz thun!«

»Ich weiß nicht, was sie will,« brummte er.

»Und es ist sogar eine Dame,« höhnte sie, »die dero Herr Kurprinz entführen lassen möchte, und die einen hohen Herrn Oberstlieutenant zum Vetter hat, der ihr Griechenkleider von der Reise mitbringt.«

Christians kleine lustige Augen funkelten, was war dies für eine seltsame Geschichte, ganz aus der Luft gegriffen konnte sie nicht sein. Er mußte klar sehen, mußte den Zusammenhang ergründen. Aber Vorsicht, keine Mutmaßungen, damit konnte er sich bei dieser kleinen Hexe mehr schaden als nützen: »Sie spricht ja in Rätseln, mein hübsches Minettelein, will sie mir nicht anvertrauen, was sie eigentlich meint? Ich kann aus ihrem kuriosen Schnickschnack nicht klug werden.«

»Dat glöf ek wohl!« lachte sie, wie es ihr manchmal gefiel, in Plattdeutsch übergehend. »Ist 'ne große Wichtigkeit, kann sie keinem für umsonst geben.«

»Ah – und was will sie dafür von mir, was soll ich ihr geben, wenn sie das, was sie weiß, mir nach der Schnur erzählt?«

»Allens hät sienen Preis.« Sie war ernsthaft geworden, als sie dies sagte, stand auf, trat dicht zu ihm heran, stützte die eine Hand auf den Tisch und blickte ihm, hell von der Lampe beschienen, gerade ins Gesicht: »Ich will wissen,« sprach sie halblaut, »was das ist, wovon ihr neulich sagtet, daß es Prinz Maximilian im Kopfe stecke.«

»Dem Prinzen – meinem Bruder? Was geht der Sie noch an?« rief Christian in einer Anwandlung von Eifersucht.

»Er geht mich nichts mehr an, aber ich will von ihm Bescheid wissen. Und wollen mir's Ew. Gnaden nicht wahrhaftig sagen, so schweige ich auch. Ein Geheimnis gegen das andere. En ehrlicher Tausch is kein Schelmstück.«

Er besann sich. Die kleine Person verstand ja doch nichts vom Primogenitur-Gesetze und ihren Protesten, also, was konnte es schaden, wenn sie davon hörte? Er war zu ehrlich, als daß es ihm eingefallen wäre, ihr eine Unwahrheit aufzubinden. Zugleich hatte sich seiner eine brennende Neugier bemächtigt, mehr von der angedeuteten Entführung zu hören, die Bruder Georg beabsichtigte. Nach einigen Ausflüchten und Bitten, bei denen sie fest auf ihrem Willen bestand, entschloß er sich, ihr zu willfahren.

»Wird ihr wenig Spaß machen, Potthofin, ist nichts für Weiber, aber wenn sie 's denn nicht anders thut, meinetwegen. Sie muß aber reinen Mund halten, um Gotteswillen nicht plappern, sonst geht die Karre schief, und wir sitzen alle im Dreck.«

Er begann nun andeutungsweise von dem Unrechte zu sprechen, das den jüngeren Prinzen angethan werde. Wie sie schon alles dagegen versucht hätten, wie die Mutter auf ihrer Seite stehe, der Herr Vater aber nicht zu bewegen sei, seinen Willen zu ändern.

»Dadurch ist nun Maximilian ganz rabiat geworden und denkt an nichts anderes mehr. Er hat noch eben eine Klageschrift an König Wilhelm von England aufgesetzt, die ich, der ich schöne Buchstaben malen kann, ihm abschreiben soll.«

Minette hatte still lauschend, mit niedergeschlagenen Augen dagesessen, man konnte sie für teilnahmslos halten, aber sie schlug nur die Augen nieder, um das gespannte Funkeln derselben zu verbergen. O, hier einzugreifen, Maximilians Hoffnungen vernichten, das war etwas, wonach sie lechzte, wofür sie alles, was sie besaß, gegeben haben würde!

Vorsichtig lauernd, aber kindlichen Ton's sagte sie: »Dürft ich man einmal so 'en merkwürdiges Papier sehen, würde mir unmenschlichen Spaß machen?«

»Sie könnte Maximilians Krähenfüße gar nicht lesen.«

»Vielleicht doch.«

»Wenn ich's ihr zeige,« meinte er in der Brusttasche fingernd, »will sie mir dann auch alles gleich erzählen, was sie von der Geschichte mit der schönen Griechin weiß?«

»Ganz genau!« Sie blickte ihn mit ehrlicher Miene an.

»Na, dann will ich ihr die Schrift 'mal zeigen.« Er holte eine kleine lederne Mappe aus einer inneren Brusttasche hervor und schnallte den Riemen, der sie zusammenhielt, vorsichtig los. »Sehe sie hier, Potthofin, dies ist das, was Maximilian geschrieben hat, meine Abschrift, die gleich fertig ist, habe ich zu Hause.«

Hastig griff Minette nach dem Papiere, wie lange hatte sie seine Schriftzüge nicht gesehen, über denen, da sie anfänglich für ihr ungeübtes Auge fast unleserlich waren, sie oft lange gebrütet hatte, wenn Gimpe ihr im vorigen Jahre ein Brieflein überbrachte. Jetzt las sie selbst diese, in zitternder Erregung geschriebenen Buchstaben schon besser und erkannte bald, vielleicht klarer als der leichtsinnige Christian, wie sehr man den einst Geliebten mit dieser Schrift – wenn sie in des gestrengen Kurfürsten Hände kommen sollte – blosstellen und schädigen könne. Bei diesem Gedanken stieg der Wunsch, das Papier zu besitzen, glühend in ihr auf.

»Ja, is gewiß wat Schönes, aber lesen kann ich et nich,« sagte sie scheinbar gleichgültig und hielt den Bogen nachlässig in der Hand. »Nu will ich aber dem gnädigen Herrn auch Wort halten.« Und sie fing an, genau und lebhaft ihr Abenteuer von diesem Morgen zu erzählen. Wie sie beim Eintreten der beiden Diener des Kurprinzen, die sie vom Ansehen kenne, eben mit einer Anprobe beschäftigt, hier hinter die Kleider geschlüpft sei und jedes Wort der Unterhaltung gehört und als etwas Sonderbares sich wohl gemerkt habe. Dann seien die Beiden zur Tante Mullberg gegangen, hätten sich sechs blaue Zamerlücken geborgt und unter dem Verlangen, sie solle schweigen, hoch bezahlt. »Und nu' nehmen Ew. Gnaden sich man in acht,« schloß sie, »daß die sechs Blauen Ew. Durchlaucht nicht dero schöne Griechin abjagen, die Kurprinzlichen haben's bös im Sinne.«

In der höchsten Spannung hatte Christian zugehört und, während er sich das Gehörte zurechtlegte, mechanisch die kleine lederne Tasche zugeschnallt und verwahrt.

Jetzt, als Minette schwieg, streckte er die Hand nach Maximilians Konzept über den Tisch aus, die junge Frau konnte nicht umhin, das Papier, welches sie mit heißem Auge verfolgte, herzugeben. Er schob es zerstreut in die breite äußere Rocktasche, was Minette mit aufleuchtender Hoffnung wahrnahm. Während sie noch von Jean Baptiste und Monsieur Claude plauderte und sich dabei ihre Gürteltasche zurecht rückte, dachte er nach und lachte ein paarmal kurz auf.

Er sah ganz klar in der Geschichte. Maximilian wollte die hübsche Moltke in dem Anzuge der Moreatin, den er ja genau kannte, zur Maskerade führen, und Georg, der, wie jedermann wahrgenommen, dem Fräulein auch nachstellte, wollte sie im Gewühl der Maskerade von ihrem Kavalier trennen und für sich entführen lassen. Eine Verwegenheit, die er Georg, der glaubte sich alles erlauben zu dürfen, wohl zutraute. Mit ganzer Seele stand er auf Seiten Maximilians gegen den Kurprinzen, ihm ahnte auch schon, was er thun, wie er eingreifen wollte. Mochte sein Maxbruder nur getrost kommen. Die Wonne, Georg anzuführen, nach der er immer Verlangen getragen, konnte er sich nicht entgehen lassen.

Ganz erfüllt von diesem Gedanken, erhob sich Christian, um sich zu verabschieden.

»Wollen Ew. Gnaden schon fort?« fragte Minette und kam, als sei sie in zärtlicher Sorge um des Prinzen frühes Scheiden, um den Tisch dicht zu Christian heran, lehnte sich zutraulicher an ihn als je zuvor und flüsterte: »Vergeßt mich nicht über eurer schönen Griechin.«

Christian legte den Arm um sie, froh, es endlich, ohne daß er Widerstand fand, zu dürfen: »Ist sie eifersüchtig, meine Kleine? Das ist ein gutes Zeichen!« Er streichelte ihren krausen Scheitel, ihre weichen, runden Wangen, und da sie still hielt und sich dichter an ihn schmiegte, wagte er es zum erstenmale sie zu küssen.

Sie widerstrebte auch dabei nicht, sondern erwiderte seine Küsse und flüsterte: »Bleibt mir gut, Prinz, vergeßt mich nicht über einer anderen.«

»Wie sollte ich wohl, mein Minettelein: ich muß ihr wieder und wieder zu wissen thun, daß ich sie liebe. Und so sie süß und zahm ist, noch zehnmal mehr als sonst.« Alle diese Worte wurden mit freundlich aufgenommenen Zärtlichkeiten begleitet, so daß der junge Gesell ganz berauscht ward von den lange erstrebten und nun endlich genossenen Gunstbezeigungen.

Endlich aber entzog sie sich ihm und meinte, es werde Zeit sich zu trennen, die Mullberg's wollten sich niederlegen, morgen komme ein schwerer Tag für die Alten, und sie dürfe auch nicht all zu spät in ihr Haus zurückkehren.

Er fand sich, froh, endlich so weit mit ihr gekommen zu sein, in ihren Willen, und von ihm umschlungen, ging sie mit ihm an die Hofthür, wo er nach einem zärtlichen Abschiede davon schritt.

Kaum hatte die Thür sich hinter ihm geschlossen, so lachte Minette kurz und triumphierend auf und griff in ihre Tasche, in der ein Papier knisterte.

Nun kehrte sie in das Zimmer zurück, setzte sich zur Lampe an den Tisch und zog Maximilians Schrift hervor, die das Kätzchen, während sie ihren arglosen Liebhaber mit dem linken Arme umfangen, mit der Rechten aus seiner in ihre Tasche hatte gleiten lassen.

Das Erstrebte war gelungen, die Möglichkeit der Rache lag in ihrer Hand. Allein, sie wollte nichts überstürzen, in den nächsten Tagen war sie durch die Maskerade und das Wegräumen der Sachen, wobei sie der Tante ihre Hilfe versprochen hatte, gebunden, es mochte auch am klügsten sein, daß sie erst in Ruhe überlegte, wie sie ihren Streich führen wollte.

Natürlich würde Christian seinen Verlust bemerken und bei ihr nachfragen, sie wußte dann von nichts, und sollte er gar Argwohn äußern, so konnte das ja die beste Gelegenheit geben, mit ihm zu brechen, denn nun wollte sie nichts mehr von ihm wissen. Nun konnte er gern fortbleiben.

Während sie also überlegte, wechselte sie ihre Kleider, barg die kostbare Schrift vorn im Mieder, nahm die Lampe und schritt den Gang hinunter nach dem Trödelladen.

Christian, erfüllt von einer Flut neuer beglückender Empfindungen und lustiger Pläne, bog sofort auf der Knochenhauerstraße links um die Ecke und ging in der Ballhofstraße hinauf, hier trat er in Mullbergs Geschäft und fragte nach blauen Zamerlücken.

»Sind upstund wie Zucker, Ew. Gnaden,« sagte die eifrig herbeischießende Alte, »hab en Stücker acht gehabt, dachte, die wird 'en nich' alle los, und nu' sind ihrer sechse weg, und die zwei sind die letzten.«

»Ist mir eben recht,« meinte der Kunde, er kaufte sogar die Überwürfe und nahm sie selbst mit fort.

Bald nachdem Christian gegangen war, trat Minette von der Rückseite herein. Eine breite Gestalt hob sich aus dämmerigem Winkel ihr entgegen. Es war ihr Altgesell Valentin, der sie erwartete.

»Nichts für ungut, Meisterin,« sagte er. »Da sie erzählt hatte, sie wolle hier helfen, meinte ich, es wäre besser, wenn ich sie durch die Nacht geleiten thäte.« Und zu ihr geneigt, fügte er leise und ingrimmig hinzu: »War just einer da, der auch wohl ums Geleit kam. Was braucht sonst ein Prinz selber Zamerlücken zu kaufen?«

Minette konnte nicht ganz ihre Verwirrung verbergen. »Was er für Motten in seinem Dösekop fliegen läßt,« sagte sie unwirsch und langte nach ihrem Regenlaken; einsilbig gingen sie miteinander nach Hause.


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