Alphonse Daudet
Briefe aus meiner Mühle
Alphonse Daudet

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In Milianah.

Reisenotizen.

. . . . Es will regnen: der Himmel ist grau, der Rücken des Berges Zaccar hüllt sich in Nebel. Ein trauriger Sonntag . . . . In meinem kleinen Gasthofszimmer, dessen offnes Fenster nach dem Araberviertel herausgeht, versuche ich mich durch Rauchen von Cigaretten zu zerstreuen . . . . Man hat mir die ganze Bibliothek des Hotels zur Verfügung gestellt; neben einer sehr ausführlichen Abhandlung über das Steuerwesen und einigen Romanen von Paul de Kock entdecke ich einen einzelnen Band von Montaigne . . . . Ich schlage das Buch auf das Geratewohl auf und treffe den bewundernswerten Brief über den Tod des Boëthius, den ich mit Interesse noch einmal lese . . . . Nun aber bin ich träumerischer und düsterer als je gestimmt . . . . Schon fallen einige Regentropfen. Jeder Tropfen, der auf das Fensterbrett herabfällt, gräbt einen großen Stern in den Staub, der sich seit der Regenperiode des vorigen Jahres dort angehäuft hat . . . . Das Buch entgleitet meiner Hand und minutenlang haftet mein Blick an diesem melancholischen Sterne . . . .

Es schlägt zwei Uhr auf dem Uhrturme der Stadt – einem alten »Marabout«, dessen schlanke, weiße Mauern ich von hier aus erblicke . . . Armer Teufel von Marabout! Wer hätte ihm wohl vor dreißig Jahren gesagt, daß er eines Tags in seinem Innern ein großes städtisches Uhrwerk beherbergen und daß er jeden Sonntag, Schlag zwei Uhr, den Kirchen von Milianah das Zeichen geben werde, den Nachmittagsgottesdienst einzuläuten . . . . Bim, bam! Da fangen sie an zu läuten! . . . Das wird ziemlich lange dauern . . . Dieses Zimmer ist entschieden traurig. Die großen Spinnen des Morgens, die man als philosophische Gedanken bezeichnet, haben in allen Ecken ihre Netze gesponnen . . . Gehen wir hinaus! . . .

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Ich komme auf den großen Platz. Die Musik des dritten Linienregiments, die sich vor einem bißchen Regen nicht fürchtet, hat sich soeben um ihren Dirigenten geschart. An einem Fenster der Kommandantur erscheint der General, von seinen Fräuleins umgeben; auf dem Platze spaziert der Unterpräfekt, Arm in Arm mit dem Friedensrichter hin und her. Ein halbes Dutzend kleiner, halb nackter Araber spielen unter entsetzlichem Geschrei in einem Winkel mit Kugeln. Dort unten sucht ein alter, zerlumpter Jude einen Sonnenstrahl, den er gestern dort verlassen hatte und den er sich wundert heute nicht wieder zu finden . . . . »Eins, zwei, drei!« Die Musik stimmt eine alte Masurka von Talexy an, die die Drehorgeln letzten Winter unter meinen Fenstern spielten. Diese Masurka langweilte mich damals, heute rührte sie mich bis zu Thränen.

Ach, wie sind sie glücklich, diese Musikanten vom dritten Regiment! Das Auge auf die Sechzehntel-Noten gerichtet, trunken vom Rhythmus und von dem Spektakel, denken sie nur daran, den Takt zu zählen. Ihre Seele, ihre ganze Seele haftet an dem viereckigen Blatt Papier, kaum so groß wie die Hand, die am Ende des Instruments zwei Messingklappen in abwechselnde Bewegung setzt. »Eins, zwei, drei!« Darin liegt für diese braven Leute alles; nie haben die Nationalmelodien, die sie spielen, ihr Heimweh erregt . . . . Ach, ich gehöre nicht zur Musik, aber diese Musik macht einen schmerzlichen Eindruck auf mich und ich entferne mich . . . .

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Wo könnte ich wohl diesen trüben Sonntagsnachmittag verleben? Nun, der Laden Sid'Omars ist offen . . . Treten wir also bei Sid'Omar ein.

Obwohl Sid'Omar einen Laden hat, ist er doch kein Krämer. Er ist ein Prinz von Geblüt, der Sohn eines ehemaligen Deys von Algier, der von den Janitscharen stranguliert wurde . . . . Bei dem Tode seines Vaters flüchtete Sid'Omar mit seiner Mutter, die er anbetete, nach Milianah und lebte hier einige Jahre als großer Herr unter seinen Windhunden, seinen Falken, seinen Pferden und seinen Frauen in prächtigen kühlen Palästen, umgeben von Orangengärten und Springbrunnen. Da kamen die Franzosen. Sid'Omar, anfangs unser Feind und Abd-el-Kaders Verbündeter, veruneinigte sich schließlich mit dem Emir und unterwarf sich. Um sich zu rächen überfiel der Emir in Sid'Omars Abwesenheit Milianah, plünderte seine Paläste, schlug die Orangengärten nieder, entführte seine Pferde und seine Frauen und ließ seine Mutter unter dem Deckel einer großen Kiste ersticken . . . Der Zorn Sid'Omars war fürchterlich: sofort stellte er sich in den Dienst Frankreichs und dieses hatte, so lange der Krieg mit dem Emir dauerte, keinen besseren und wilderen Soldaten, als ihn. Nach beendigtem Kriege kehrte Sid'Omar nach Milianah zurück, aber noch heute, wenn man in seiner Gegenwart von Abd-el-Kader spricht, wird er blaß und seine Augen fangen an zu glühen.

Sid'Omar ist sechzig Jahr alt. Trotz des Alters und der Pockennarben ist sein Gesicht schön geblieben: große Augenbrauen, sanft blickende Augen, ein reizendes Lächeln, eine fürstliche Miene. Durch den Krieg zu Grunde gerichtet, ist ihm von seinem ehemaligen Reichtum nichts geblieben, als ein Meierhof in der Ebene des Chélif und ein Haus in Milianah, wo er in bürgerlicher Einfachheit mit seinen drei, unter seinen Augen erzogenen Söhnen lebt. Die eingeborenen Häuptlinge erzeigen ihm große Ehrerbietung. Sobald ein Streit unter ihnen entsteht, nimmt man ihn willig zum Schiedsrichter und fast immer gilt seine Entscheidung als Gesetz. Er geht wenig aus; jeden Nachmittag findet man ihn in einem Laden, der an sein Haus anstößt und sich nach der Straße öffnet. Das Mobiliar darin ist nicht reich: weißgetünchte Wände, eine kreisförmige Holzbank, einige Kissen, lange Pfeifen, zwei Kohlenbecken . . . . Hier giebt Sid'Omar Audienz, hier fällt er seine Urteile. Ein Salomo im Laden.

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Heute zum Sonntag, ist der Besuch zahlreich. Ein Dutzend Häuptlinge kauern in ihren Burnussen rings um den Laden herum. Jeder von ihnen hat neben sich eine große Pfeife und eine kleine Tasse Kaffee in einem feinen Tassenhalter von Filigran. Ich trete ein, niemand rührt sich . . . Von seinem Platze aus schickt mir Sid'Omar sein gewinnendstes Lächeln entgegen und ladet mich mit einer Handbewegung ein, neben ihm auf einem großen Kissen von gelber Seide Platz zu nehmen; dann legt er den Finger auf die Lippen und fordert mich dadurch auf zuzuhören.

Der Fall ist folgender: – der Caïd der Beni-Zougzougs war mit einem Juden von Milianah wegen eines Stückes Land in Streit geraten. Die Parteien hatten sich dahin geeinigt, die Sache dem Sid'Omar zu unterbreiten und sich seinem Richterspruch zu unterwerfen. Der heutige Tag war zur Verhandlung anberaumt, alle Zeugen geladen. Plötzlich kommt da mein Jude, der anderen Sinnes geworden ist, allein, ohne Zeugen, um zu erklären, daß er die Sache lieber dem französischen Friedensrichter, als Sid'Omar zur Entscheidung vorzulegen gesonnen sei . . . . Das war der Stand der Angelegenheit bei meiner Ankunft.

Der Jude, alt, mit erdfahlem Barte, kastanienbraunem Gewande, blauen Strümpfen, Sammetkappe – hebt die Nase gen Himmel, rollt die flehenden Augen, küßt Sid'Omars Pantoffeln, neigt den Kopf, kniet nieder, faltet die Hände . . . ich verstehe das Arabische nicht, aber aus den Pantomimen des Juden, aus dem stets wiederkehrenden Worte: »Zouge de paix, zouge de paix,«Korrumpiert aus juge de paix, d. i. Friedensrichter. errate ich die ganze schöne Rede:

»Wir haben kein Mißtrauen gegen Sid'Omar; Sid'Omar ist weise, Sid'Omar ist gerecht; aber trotzdem glauben wir, daß der zouge de paix geeigneter ist, über unsere Sache zu entscheiden.«

Die Zuhörer, entrüstet, bleiben gleichwohl unbeweglich wie Araber: sie sind ja Araber . . . . Auf sein Kissen gestreckt, das Auge feucht, die Bernsteinspitze zwischen den Lippen, hört Sid'Omar lächelnd zu – die personifizierte Ironie. Plötzlich, mitten in seiner schönsten Redewendung wird der Jude durch ein kräftiges caramba! unterbrochen, das seinen Redefluß augenblicklich zum Stillstand bringt. Zugleich verläßt ein spanischer Ansiedler, welcher als Zeuge für den Caïd gekommen ist, seinen Platz, tritt an Ischariot heran und schüttet über sein Haupt einen ganzen Korb voll Verwünschungen aus von allen Sprachen, von allen Farben – unter anderen auch ein französisches Wort, zu grob um hier wiederholt zu werden . . . . Der Sohn Sid'Omars, der Französisch versteht, errötet, ein solches Wort in Gegenwart seines Vaters anzuhören und verläßt den Laden. – Dieser Zug arabischer Erziehung ist jedenfalls beachtenswert. – Die Zuhörer sind immer noch unbeweglich, Sid'Omar lächelnd. Der Jude hat sich erhoben und sucht rückwärts die Thür zu gewinnen, zitternd vor Furcht, aber beständig sein ewiges zouge de paix, zouge de paix hervorstoßend . . . . Er verläßt den Laden. Der Spanier stürzt wütend hinter ihm drein, erreicht ihn auf der Straße und klitsch, klatsch! schlägt ihn zweimal gerade ins Angesicht . . . . Ischariot fällt auf die Kniee, die Arme gekreuzt . . . Der Spanier, ein wenig beschämt, kehrt in den Laden zurück . . . . Sobald er hinein ist, erhebt sich der Jude und läßt einen tückischen Blick über die buntscheckige Menge gleiten, die ihn umgiebt. Es giebt da Leute von jeder Hautfarbe – Malteser, Mahoneser, Neger, Araber – alle eins in dem Hasse gegen die Juden und voll Freude, einen von ihnen mißhandelt zu sehen . . . . Ischariot zögert einen Augenblick, dann faßt er einen Araber am Saume seines Burnus:

»Du hast's gesehen, Achmed, du hast's gesehen . . . du warst da . . . Der Christ hat mich geschlagen . . . du wirst es bezeugen . . . ja . . . ja . . . du wirst es bezeugen.«

Achmed macht seinen Burnus los und stößt den Juden zurück . . . Er weiß nichts, er hat nichts gesehen: gerade in dem Augenblicke hatte er den Kopf weggewendet . . . .

»Aber du, Kaddour, du hast's gesehen . . . du hast gesehen, daß der Christ mich schlug . . .« ruft der unglückliche Ischariot einem dicken Neger zu, der eben im Begriff ist, eine Feige aus der Berberei zu verspeisen.

Der Neger spuckt zum Zeichen der Verachtung aus und entfernt sich, er hat nichts gesehen . . . . Ebensowenig hat der kleine Malteser etwas gesehen, dessen kohlschwarze Augen boshaft unter seiner Mütze hervorleuchten; auch sie hat nichts gesehen, die Mahonese mit dem braunroten Teint, die lachend davonläuft, ihren Korb mit Granatäpfeln auf dem Kopfe . . .

Der Jude mag schreien, bitten, sich zerarbeiten – er findet keinen Zeugen! Niemand hat etwas gesehen . . . . Zum Glück kommen in diesem Augenblicke zwei seiner Glaubensgenossen durch die Straße, demütig die Mauern entlang schleichend. Der Jude redet sie an:

»Schnell, schnell, meine Brüder! Schnell zum Geschäftsagenten! Schnell zum zouge de paix! . . . Ihr habt's gesehen . . . ihr habt gesehen, daß man mich armen alten Mann geschlagen hat.«

Ob sie es gesehen haben! . . . Ich glaube es wohl.

. . . . Große Aufregung in Sid'Omars Laden . . . . Der Kaffeeschenk füllt die Tassen, zündet die Pfeifen wieder an. Man plaudert, man lacht. Es ist ja so belustigend, einen Juden prügeln zu sehen! . . . Mitten im lärmenden Jubel und Tabaksqualm gehe ich leise nach der Thür; ich habe Lust, ein wenig im Lager Israels herumzustreifen, um zu erfahren, wie die Glaubensgenossen Ischariots den Schimpf aufgenommen haben, den man ihrem Bruder angethan hat . . .

»Komm diesen Abend mit mir speisen, Moussiou,« ruft mir der gute Sid'Omar nach.

Ich nehme an, ich danke und draußen bin ich.

Im Judenquartier ist alle Welt auf den Beinen. Die Sache macht schon großen Lärm. Die Läden stehen leer. Sticker, Schneider, Sattler – ganz Israel ist auf der Straße . . . . Die Männer – in Sammetmützen und blauen Leinenstrümpfen – laut gestikulierend in Gruppen . . . . Die Frauen, blaß, aufgedunsen, steif wie Götzenbilder von Holz in ihren flachen Kleidern mit goldenem Bruststück, das Gesicht durch schwarze Bänder eingerahmt, gehen schnatternd von einer Gruppe zur andern. In dem Augenblicke, wo ich ankomme, geht eine große Bewegung durch die Menge. Man eilt, man stürzt durcheinander . . . . Gestützt auf seine Zeugen geht der Jude – der Held dieses Abenteuers – durch zwei Reihen von Sammetkappen hindurch, unter einem wahren Regen von Ermahnungen:

»Räche dich, Bruder, räche uns, räche das jüdische Volk! Fürchte dich nicht: du hast das Gesetz für dich.«

Ein abscheulicher Zwerg, nach Pech und altem Leder riechend, nähert sich mir mit kläglicher Miene und schweren Seufzern:

»Du siehst!« sagte er zu mir. »Wir armen Juden! wie man uns behandelt! Es ist ein Greis! Sieh, sie haben ihn beinahe tot geschlagen!«

In der That sieht der arme Ischariot mehr tot, als lebend aus. Er geht an mir vorüber – das Auge erloschen, das Gesicht eingefallen . . . er geht nicht, er schleppt sich nur mühsam fort . . . . Eine starke Entschädigung ist allein imstande ihn zu heilen. Man führt ihn auch nicht zum Arzte, man führt ihn zu dem Geschäftsagenten.

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Es giebt viele Geschäftsagenten in Algerien, fast so viele als Heuschrecken. Das Geschäft ist gut, wie es scheint. Auf alle Fälle hat es den Vorzug, daß man dasselbe jederzeit ergreifen kann, ohne Examen, ohne Kaution, ohne Probezeit. Wie man in Paris ein Litterat wird, so wird man in Algerien ein Geschäftsagent. Es genügt dazu, ein wenig französisch, spanisch, arabisch zu wissen, stets ein Gesetzbuch zur Hand zu haben und vor allen Dingen, das nötige Temperament zu besitzen.

Die Funktionen des Agenten sind sehr verschieden: abwechselnd Anwalt, Sachwalter, Mäkler, Sachverständiger, Dolmetscher (Übersetzer), Buchhalter, Kommissionär, öffentlicher Schreiber, ist er der Meister Jaques der Kolonie, nur besaß Harpagon einen einzigen Meister Jaques, während die Kolonie deren mehr hat, als sie braucht. In Milianah allein zählt man sie schon nach Dutzenden. Um die Bureaukosten zu ersparen, empfangen diese Herren ihre Klienten gewöhnlich im Kaffeehause des großen Platzes und erteilen ihre Konsultationen – geben sie solche wirklich? – bei einem Gläschen Absinth.

Nach dem Kaffeehause des großen Platzes ist es denn auch, nach welchem der würdige Ischariot, die zwei Zeugen zur Seite, sich auf den Weg macht.

Wir wollen ihnen nicht folgen.

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Beim Verlassen des Judenviertels gehe ich am Hause des arabischen Bureaus vorüber. Mit seinem Schieferdache und der französischen Fahne, die darüber weht, könnte man dasselbe für eine Dorfmairie halten. Ich kenne den Dolmetscher; treten wir ein, um eine Cigarette mit ihm zu rauchen. Von Cigarette zu Cigarette, so werde ich es ja wohl fertig bringen, diesen trübseligen Sonntag ohne Sonne tot zu schlagen!

Der Hof vor dem Bureau ist mit Arabern in Lumpen angefüllt. Wohl ihrer fünfzig hocken hier längs der Mauer in ihren Burnussen. Dieses beduinische Vorzimmer, obwohl es in freier Luft liegt, duftet stark nach Menschenleder. Gehen wir rasch hindurch . . . . Im Bureau finde ich den Dolmetscher in lebhafter Verhandlung mit zwei großen Schreihälsen, die nur mit langen, schmierigen Decken bekleidet waren und mit wütenden Gebärden, ich weiß nicht welche Geschichte von einem gestohlenen Steigbügelriemen erzählten. Ich setze mich in einem Winkel auf eine Matte und sehe zu . . . . Eine hübsche Kleidung, diese Dolmetscheruniform; und wie der Dolmetscher von Milianah sie zu tragen weiß! Sie scheinen wie füreinander geschaffen! Die Uniform ist himmelblau mit schwarzer Einfassung und glänzenden Goldknöpfen. Der Dolmetscher ist blond, rosig, ganz lockig; ein hübscher blauer Husar voll Humor und Phantasie, ein wenig schwatzhaft – er spricht so viele Sprachen! – ein wenig Zweifler – er hat Renan gekannt in der orientalischen Schule – großer Freund des Sports, gleich heimisch im arabischen Bivouac, wie auf den Soireen des Unterpräfekten, besserer Masurkatänzer, und in der Zubereitung des Kuskus erfahrener, als irgend jemand. Um alles mit einem Worte zu sagen: ein Pariser; das ist mein Mann und wundert euch nicht, daß die Damen für ihn schwärmten . . . Als Dandy hat er einen einzigen Rivalen, den Sergeant des arabischen Bureaus. Dieser – mit seiner Tunika aus feinem Tuche und seinen Gamaschen mit Perlmutterknöpfen – wird von der ganzen Garnison beneidet und bringt sie fast zur Verzweiflung. Zum arabischen Bureau kommandiert, ist er vom gewöhnlichen Dienste dispensiert und zeigt sich beständig in den Straßen in weißen Handschuhen, frisch frisiert, mit großen Registern unter dem Arme. Man bewundert und fürchtet ihn. Er ist eine Autorität.

Entschieden, diese Geschichte von dem gestohlenen Steigbügelriemen droht sehr lang zu werden. Guten Abend! Ich will nicht auf das Ende warten.

Im Fortgehen fand ich den ganzen Vorraum in Bewegung. Die Menge drängte sich um eine hohe, blasse, stolze Gestalt, die in einen schwarzen Burnus gehüllt war. Dieser Mann hatte sich vor acht Tagen im Zaccargebirge mit einem Panther herumgeschlagen. Der Panther war tot, hatte aber dem Manne die Hälfte des einen Armes abgerissen. Abends und morgens kommt er auf das arabische Bureau, um sich verbinden zu lassen, und jedesmal hält man ihn im Hofe fest, um ihn noch einmal seine Geschichte erzählen zu hören. Er spricht langsam, mit schöner, gutturaler Stimme. Von Zeit zu Zeit schlägt er den Burnus zurück und zeigt, gegen die Brust gebunden, seinen linken, mit blutigem Linnen umwickelten Arm.

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Kaum bin ich auf der Straße, so bricht ein heftiges Gewitter los. Regen, Donner, Blitze, Scirocco . . . Schnell, suchen wir ein Obdach! Ich laufe auf gut Glück in eine Thür hinein und gerade mitten in ein Nest von Zigeunern, die unter den Bogen eines maurischen Hofes lagert. Dieser Hof stößt an die Moschee von Milianah; er ist der gewöhnliche Zufluchtsort des mohammedanischen Auswurfs und führt den Namen »Hof der Armen«.

Große, magere Windhunde, ganz mit Ungeziefer bedeckt, von bösartigem Aussehen streifen um mich herum. Mit dem Rücken gegen einen Pfeiler der Galerie gelehnt versuche ich gute Miene zum bösen Spiele zu machen und betrachte, ohne mit jemand zu reden, die Regentropfen, die von den farbigen Fliesen des Hofes abprallen. Die Zigeuner liegen in Haufen am Boden. Nahe bei mir singt eine junge, ziemlich schöne Frau, Hals und Beine nackt, dicke eiserne Ringe um Handgelenk und Knöchel, ein sonderbares Lied von drei melancholischen Tönen mit näselnder Stimme. Während des Gesangs stillt sie ein kleines nacktes Kind, dessen Haut wie rote Bronze aussieht, und mit dem freien Arme stößt sie Gerste in einem steinernen Mörser. Zuweilen überflutet der Regen, vom Sturme gepeitscht, die Beine der Mutter und den Körper des Kindes. Die Zigeunerin hat keine Acht darauf und fährt trotz des Sturms und Regens fort zu singen, das Kind zu tränken und die Gerste zu stoßen.

Das Gewitter läßt nach. Ich benutze eine Pause, beeile mich diesen Hof der Wunder zu verlassen und nehme meine Richtung nach Sid'Omars Diner; es ist Zeit . . . Indem ich den großen Platz überschreite, begegne ich noch einmal meinem alten Juden. Er stütze sich auf seinen Geschäftsagenten; seine Zeugen gehen lustig hinter ihm her; eine Bande kleiner häßlicher Judenjungen macht Freudensprünge um sie her . . . . Alle Gesichter strahlen. Der Agent nimmt die Sache auf sich. Er wird bei dem Gerichte zweitausend Franken Schadenersatz beantragen.

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Bei Sid'Omar ein prächtiges Diner. – Der Speisesaal geht auf einen eleganten maurischen Hof hinaus, wo zwei oder drei Springbrunnen plätschern . . . . Ein treffliches türkisches Mahl, das ich dem Baron Brisse empfehlen möchte. Unter andern Gerichten bemerke ich besonders Huhn mit Mandeln, Kuskus mit Vanille, Schildkröte à la viande – ein wenig schwer, aber mit köstlichem Haut goût – und Honigbiskuits, die man »Bissen des Kadi« nennt . . . . Als Wein, nichts als Champagner. Trotz des muhammedanischen Gesetzes trinkt Sid'Omar ein wenig davon – wenn nämlich die Diener den Rücken gewendet haben . . . . Nach dem Diner begeben wir uns in das Zimmer unseres Gastgebers, wo man uns Eingemachtes, Pfeifen und Kaffee vorsetzt. Das Möblement dieses Zimmers ist außerordentlich einfach: ein Diwan, einige Matten; im Hintergrunde ein großes, sehr hohes Bett, auf welchem kleine rote, mit Gold gestickte Kissen herumliegen . . . . An der Wand hängt ein altes türkisches Gemälde, welches die Thaten eines gewissen Admirals Hamadi darstellt. Es scheint, daß man in der Türkei zu jedem Gemälde nur eine Farbe verwendet: dieses Gemälde ist der grünen Farbe gewidmet. Meer, Himmel, Schiffe, Admiral Hamadi selbst, alles ist grün, und was für ein Grün! . . . .

Nach arabischer Sitte zieht man sich zeitig zurück. Nach genommenem Kaffee, nach gerauchter Pfeife wünsche ich meinem Wirte gute Nacht und überlasse ihn seinen Frauen.

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Wo soll ich meinen Abend verbringen? Zum schlafen gehen ist es zu früh; die Trompeten der Spahis haben noch nicht den Zapfenstreich geblasen. Außerdem tanzen die kleinen Goldkissen Sid'Omars um mich herum so phantastische Farandolen, daß ich doch nicht schlafen würde . . . Da bin ich am Theater, gehen wir ein wenig hinein.

Das Theater von Milianah ist ein altes Fouragemagazin, das man, so gut es eben gehen wollte, in einen Theatersaal umgewandelt hat. Große Zuglampen, die man in den Zwischenakten mit Öl füllt, thun die Dienste der Kronleuchter. Das Parterre muß stehen, das Orchester sitzt auf Bänken. Die Galerien sind stolz, weil sie Strohstühle haben . . . Rings um den Saal läuft ein langer, dunkler Gang, ohne Parkett, ohne Dielen, ohne Fliesen. Man könnte sich auf der Straße glauben, nichts fehlt daran . . . Zu meiner großen Überraschung sind die Schauspieler gar nicht übel, ich spreche von den Männern; sie haben Leben, Feuer . . . . Fast alle sind Dilettanten, Soldaten vom dritten; das Regiment ist stolz darauf und kommt jeden Abend, um ihnen zu applaudieren.

Was die Frauen anlangt! . . . das ist noch und wird stets jenes ewige weibliche Personal der kleinen Provinzialtheater sein, anspruchsvoll, übertrieben und falsch . . . Doch giebt es unter diesen Damen zwei, die mich interessieren, zwei Jüdinnen von Milianah, sehr junge Mädchen, die zum erstenmal antreten . . . . Die Eltern sind im Saale und scheinen entzückt. Sie haben die Überzeugung, daß ihre Töchter bei diesem Geschäftchen da viele Tausende von harten Thalern gewinnen werden. Die Legende von der Jüdin Rachel, der Millionärin und Komödiantin ist bereits unter den Juden des Orients verbreitet.

Nichts komischer und rührender, als diese beiden kleinen Jüdinnen auf den Brettern. Schüchtern halten sie sich in einem Winkel der Bühne, gepudert, geschminkt, dekolletiert und ganz steif. Sie frieren und schämen sich. Von Zeit zu Zeit kauderwelschen sie eine Phrase, ohne sie zu verstehen und während sie sprechen, blicken ihre großen hebräischen Augen ausdruckslos in den Saal.

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Ich verlasse das Theater. Mitten aus dem Dunkel, das mich umgiebt, höre ich in einem Winkel des Platzes heftiges Schreien . . . Ohne Zweifel einige Malteser, die eben im Zuge sind, sich einander mit Messerstichen verständlich zu machen

Ich kehre langsam, die Wälle entlang, nach dem Hotel zurück. Herrliche Gerüche von Orangen und Thymian steigen von der Ebene herauf. Die Luft ist weich, der Himmel fast rein . . . Da unten, am Ende des Wegs erhebt sich gespenstisch eine Mauer, die Trümmer irgend eines alten Tempels. Diese Mauer ist heilig: alle Tage kommen die arabischen Frauen, um daran Votivgeschenke aufzuhängen, Fragmente von Haïks und von Foutas, lange Flechten braunroter Haare, durch Silberfäden zusammengebunden, Stücken von Burnussen . . . . Alles das flattert in dem lauwarmen Hauche der Nacht, beleuchtet von dem schwachen Strahle des jungen Mondes.


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