Alphonse Daudet
Künstler-Ehen
Alphonse Daudet

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Das Handgreifliche.

Kanzlei
des Rechtsanwalts Petitbry.

An Frau Nina de B . . . bei ihrer Tante    
in Moulins.          

Gnädige Frau!

Auf Wunsch Ihres Fräulein Tante bin ich der fraglichen Angelegenheit näher getreten und unterwarf alle Ihre Klagen und Beschwerden der sorgfältigsten Prüfung. Aber, wenn ich auf Ehre und Gewissen gefragt werde, muß ich sagen, daß die Frucht noch nicht reif ist, oder, um mich verständlicher auszudrücken, die Sache ist noch nicht so weit gediehen, daß man den Antrag auf Trennung stellen kann. Vergessen Sie gefälligst nicht, daß unser französisches Gesetz sehr bestimmt lautet, und daß es sich auf Muthmaßungen, Ansichten u. s. w. nicht einlassen kann. Es kennt nur eines – die That, die offenbare, brutale That, und diese fehlt uns leider immer noch. Glauben Sie mir sicherlich, daß ich empört war, als ich dem Mitgetheilten entnahm, wie viel Schweres Sie in dem ersten Jahre Ihrer Ehe durchzumachen hatten. Sie haben die Freude, eine berühmte Persönlichkeit geheirathet zu haben, theuer bezahlt! Oh, ich kenne diese Männer, die, sobald sie erst bekannt sind und man ihnen den Hof macht, ihren an's Ungeheuerliche grenzenden Egoismus bloßlegen. Ach, gnädige Frau, wieviel unglückliche Frauen habe ich seit Beginn meiner Carrière gesehen, die in derselben Lage waren, in welcher Sie sich jetzt befinden. Diese Künstler, die nicht für sich, sondern nur für die Öffentlichkeit leben, bringen in ihre Häuslichkeit nichts mit, als die Blasirtheit oder den Ärger über einen Mißerfolg. Ein regelloses Leben 65 ohne festes Ziel, hirnverbrannte Ideen, die mit allen gesellschaftlichen Regeln in Widerspruch stehen, Hintansetzung der eigenen Familie und der Freuden, die sie gewährt, Suchen nach Anregung im Kneipendunst und Tabaksqualm, von allem Übrigen ganz zu schweigen – das sind die Faktoren, aus denen sich die entsetzlichen sogenannten Künstlernaturen zusammensetzen, und von einer solchen wünscht Sie Ihr Fräulein Tante nun zu trennen. Aber ich muß wiederholen: obgleich ich ihre innere Unruhe wohl nachfühlen und mir auch denken kann, wie sehr sie jetzt Gewissensbisse empfindet, zu einer solchen Ehe ihre Zustimmung gegeben zu haben, so sehe ich doch die Angelegenheit noch nicht bis zu dem für Sie wünschenswerthen Punkte gediehen.

Ich habe jedoch immerhin schon ein kleines Memorandum gemacht und darin die von Ihnen vorgebrachten und am meisten gravirenden Einzelheiten übersichtlich geordnet. Im Großen und Ganzen ist die Aufstellung folgende:

  1. Grobheiten des Gatten gegen die Familie der Gattin. Verweigert, unsere Tante aus Moulins bei sich aufzunehmen, die uns erzogen hat und uns innigst zugethan ist. Gab ihr Beinamen, wie Tata Bobosse und Fee Carabosse, weil der Rücken des verehrungswürdigen Fräuleins ein wenig gewölbt ist. Erlaubte sich schnöde Bemerkungen und Spottverse über den Geiz der Dame und zeichnete häufig eine Karrikatur als ihr Bild.
  2. Ungeselligkeit. Verweigert, die Freunde der Gattin bei sich zu empfangen, Besuche zu machen, Karten zu senden, Einladungen zu erwidern u. s. w.
  3. Verschwendungssucht. Verleiht Geld, das er doch niemals wiederbekommt, an alles mögliche Gelichter. Hat fortwährend offenes Haus; macht die Wohnung zum Absteigequartier für jedermann. Unterschreibt unaufhörlich bei Subscriptionen für Errichtung von Denkmälern, für 66 Aufstellung von Monumenten, für den Vertrieb von Schriften armer Collegen. Gründet eine Zeitschrift für Kunst und Literatur!!!!
  4. Grobheiten gegen die Gattin. Nannte sie einmal, als er von ihr sprach, ganz laut »Gluckhenne!«
  5. Unverträglichkeit und Heftigkeit. Wird manchmal maßlos wüthend. Zürnt unter ganz nichtigem Vorwande. Zerbricht Geschirr und Möbel. Macht Skandal und gebraucht dabei unangemessene Ausdrücke.

Sie sehen, meine Gnädigste, das alles giebt schon eine ganz respektable Summe von Beschwerdegründen, aber es genügt noch immer nicht. Die Hauptsache fehlt uns noch – das Handgreifliche. Wenn wir eine Handgreiflichkeit hätten, wenn er nur ein einziges Mal vor Zeugen ein Bischen handgreiflich würde, das wäre ganz ausgezeichnet. Aber da Sie nun fünfzig Meilen von Ihrem Gatten entfernt sind, dürfen wir gar nicht darauf rechnen, daß sich irgend etwas Derartiges ereignet. Ich sage »darauf rechnen,« denn wie die Sachen nun einmal liegen, wäre eine Brutalität seitens dieses Mannes das Beste, was Sie sich überhaupt wünschen können.

Ich erwarte Ihre weiteren Aufträge, gnädige Frau, und habe die Ehre zu zeichnen

Ihr ganz ergebener
Petitbry.        

P. S. Brutalität vor Zeugen, wohlverstanden!


Herrn Petitbry zu Paris.

Mein Herr!

Aus einem so niedrigen Standpunkt befinden wir uns also noch! Das sind also die Gesetze, das haben sie aus der ehemals berühmten französischen Ritterlichkeit gemacht! Wozu oft ein leises, kleines Mißverständnis genügt, zwei 67 Herzen zu trennen, dazu bedürfen die Gerichte erst der brutalen That. Früher finden sie keinen Grund zur Trennung! Ist das nicht unwürdig, ungerecht, barbarisch, himmelschreiend? Ich soll daran denken, daß meine arme kleine Nichte, blos um wieder ihre Freiheit zu erlangen, ihren Nacken dem Streiche darbieten soll, daß sie das Ungeheuer sogar erst noch zur Wuth reizen muß. Aber es thut nichts, wir sind fest entschlossen. Sie brauchen eine Handgreiflichkeit – Sie sollen sie haben! Morgen kehrt Nina nach Paris zurück. Wie wird die Unglückliche dort aufgenommen werden? Wie wird es ihr ergehen? Ich kann nur mit Schaudern daran denken. Ach, wie schon bei dem Gedanken meine Hand zittert! Vor meinen Augen wird es dunkel. Ach, mein Herr! Ach, Herr Rechtsanwalt!

Nina's tiefunglückliche Tante.


Kanzlei
des Rechtsanwalts und Notars
Marestang.

Herrn Henri de B . . ., Schriftsteller, zu Paris.    

Ruhe, Ruhe, nur Ruhe! Ich verbiete dir, nach Moulins zu gehen und deine Flüchtlinge zu verfolgen. Es ist viel klüger und auch viel verläßlicher, wenn du den weiteren Verlauf an deinem Kamin in aller Gemüthsruhe abwartest. Summa Summarum – was hat's denn so Großes gegeben? Du hast der lächerlichen und boshaften alten Jungfer den Aufenthalt in deinem Hause verweigert und deine Frau ist nun zu ihr gereist, um sie wieder zu versöhnen. Da bleibt dir nichts übrig, als abzuwarten. Eine Frau, die noch so jung verheirathet ist, wie die deinige, ist ihrer Familie noch sehr zugethan. Du hast ihre Sinnesart gar zu schnell ändern wollen. Bedenke 68 doch, daß sie von dieser Tante erzogen wurde, daß sie außer ihr fast gar keine Verwandten hat. Du wirst einwenden: Sie hat vor allen Dingen ihren Gatten. Unter uns gesagt, mein lieber Junge, die Gatten sind auch nicht eben die liebenswürdigsten Menschen und besonders nicht von stets gleicher Liebenswürdigkeit. Ich kenne z. B. einen, der, trotzdem er ein herzensguter Kerl ist, manchmal sehr nervös wird und der dann sehr heftig werden kann! Ich weiß wohl, daß seine Arbeit, seine schriftstellerische Thätigkeit, zum größten Theile Schuld daran ist. Das Vöglein ist eben erschreckt worden und da flatterte es in sein altes Bauer zurück. Sei ohne Sorge, es wird nicht lange dauern. Ich müßte mich sehr irren, wenn deine Gattin, die doch eigentlich noch eine neugebackene Pariserin ist, sich nicht sehr bald in ihrer alten Umgebung langweilt. Dann wird sie sich nicht mehr über die Heftigkeit und das rechthaberische Wesen ihres Gatten beklagen. Also harre ruhig aus.


Dein alter Freund
Marestang.    


Herrn Marestang, Rechtsanwalt und Notar,    
zu Paris.          

Zugleich mit deinem so vernünftigen und freundschaftlichen Brief bekam ich aus Moulins ein Telegramm mit der Anzeige von Nina's Rückkehr. Ach, welch' guter Prophet bist du doch! Sie kommt heute Abend hier an; denke dir – ganz allein, gerade so, wie sie fortgegangen ist. Und das geschieht ohne das mindeste Dazuthun meinerseits. Ich will ihr das Leben jetzt aber auch so angenehm machen, daß sie nie wieder Lust empfinden soll, mich zu verlassen. In den acht Tagen meines Strohwitwerthums hatte ich ja genug Zeit darüber nachzudenken, wie ich ihr meine Liebe und meine innigste Zuneigung am besten 69 beweise. Wir stimmen übrigens auch nur in einem einzigen Punkte nicht überein: Ich will diese entsetzliche Tata Bobosse nun einmal nicht bei mir sehen, diesen Blaustrumpf vom Jahre 1820, der mir seine Nichte doch nur einzig und allein in der Hoffnung gegeben hat, daß mein bischen Berühmtheit ihr nützlich sein könnte. Denke dir blos, mein lieber Marestang: seit unserer Verheirathung sucht diese boshafte alte Jungfer sich zwischen meine Frau und mich einzudrängen; in alle unsere Vergnügungen, unsere Feste, in unsere Besuche der Theater und der Ausstellungen, in Gesellschaften und beim Landaufenthalt – mit einem Worte, überall und immer mischt sie sich mit ihrem verdammten Buckel ein. Da kann es mir doch wahrhaftig niemand verargen, wenn ich ihr bei passender Gelegenheit deutlich zu verstehen gab, daß ihre Rückkehr in die gute Stadt Moulins äußerst wünschenswerth sei. Weißt du, mein Lieber, darüber darf man nicht im Unklaren sein, daß solche alte Jungfern, die das Leben nicht kennen und außerdem von Hause aus mißtrauisch sind, in jeder Ehe nur Unheil anstiften. Die unsrige hat nun den hübschen Kopf meiner Frau mit einer ungeheuren Menge falscher, veralteter und abgeschmackter Ideen angefüllt; sie zog in ihr eine an das Rococozeitalter gemahnende Sentimentalität groß. Für sie war ich ein »Dichter«, d. h. ein »Dichter«, wie man ihn auf alten Gemälden und Bildwerken zu sehen bekommt, den Lorbeer auf dem Haupt, die Lyra im Arm. Von solchem Mann hatte sie immer ihrer Nichte vorgeschwatzt, solches Bild hatte sie in ihr erweckt, und nun denke dir, wie sehr meine arme Nina ernüchtert sein muß. Da gestehe ich denn gern, daß ich dem armen Kind wohl zuweilen Unrecht gethan habe. Du hast ganz Recht, wenn du sagst, ich sei gewaltsam vorgestürmt und habe sie dadurch von mir gescheucht. Die einseitige Erziehung, die sie im Kloster genossen, die sentimentalen Schrullen, die ihr die Tante in den Kopf gesetzt, das hätte 70 ich alles bedenken und langsam an die Umwandlung gehen sollen. Ich hätte der Blume aus der Provinz Zeit geben sollen, hier heimisch zu werden. Aber es ist ja alles noch gut zu machen, wenn sie zurückkommt, und sie kommt zurück, mein lieber Freund! Heute Abend werde ich sie am Bahnhof erwarten, und dann werden wir Arm in Arm in unser Heim zurückkehren, versöhnt und glücklich!

Henri de B . . .


Nina de B . . . an ihre Tante in Moulins.

Er hat mich am Bahnhof erwartet und empfing mich lächelnd und mit ausgebreiteten Armen, gerade, als wenn ich von einer gewöhnlichen Reise heimkehrte. Du kannst dir denken, daß ich die eisigste Miene aufsetzte. Sofort nach meiner Rückkehr schloß ich mich in mein Zimmer ein und dinirte daselbst auch allein, große Müdigkeit vorschützend. Darauf drehte ich den Schlüssel zweimal um. Schließlich kam er und wünschte mir durch's Schlüsselloch eine gute Nacht; dann entfernte er sich, und zwar, zu meiner größten Überraschung, ohne einen Laut des Mißfallens oder der Verwunderung. Heute früh besuchte ich nun Herrn Petitbry, der mir ausführliche Verhaltungsmaßregeln in Bezug auf Ort, Stunde, Zeugen u. s. w. gegeben hat. Ach, meine theuere Tante, wenn du wüßtest wie sehr sich meine Angst steigert, je näher der entscheidende Moment kommt. Er kann in seinem Zorn entsetzlich sein. Selbst wenn er zuthunlich ist, wie z. B. gestern Abend, kann man in seinen Augen doch den verhaltenen Grimm lesen. Aber in der Erinnerung an dich, meine Theuere, werde ich fest und stark sein. Übrigens ist es ja, wie mir Herr Petitbry sagte, nur ein einziger Moment, der für mich unangenehm sein wird. Dann vereinigen wir uns wieder zu unserm früheren ruhigen und glücklichen Leben.

Nina de B . . . 71


Dieselbe an dieselbe.

Theuere Tante!

Ich schreibe dir von meinem Bette aus; die Erregung über den ganz unverhofften Ausgang der Sache hat mich auf's Lager geworfen. Wer konnte auch ahnen, daß Alles eine solche Wendung nehmen würde? Alle Vorbereitungen waren getroffen; ich hatte Martha und ihre Schwester gebeten, um ein Uhr zu mir zu kommen und für die große Scene den Zeitpunkt bestimmt, zu dem wir nach dem Frühstück vom Tische aufstehen, da dann die Dienstboten das Geschirr und die Bestecke in den neben seinem Arbeitszimmer befindlichen Speisesaal tragen müssen. Mit dem frühen Morgen begann ich meine Wirksamkeit. Eine Stunde lang spielte ich Tonleitern und entsetzlich langweilige Etuden für's Piano, dann die »Klosterglocken« und Rosellen's »Träumereien«, Alles Sachen, die er verabscheut. Aber nichts konnte ihn von seiner Arbeit abbringen, nichts störte ihn in seiner Ruhe. Beim Frühstück – dieselbe Geduld. Das Frühstück war natürlich fast ungenießbar; ich hatte theils Überbleibsel auftragen lassen, theils gezuckerte Speisen, die er nicht leiden kann. Und wenn du nun gar meine Toilette gesehen hättest! Ich trug ein häßliches altes Kleid, das schon vor fünf Jahren unmodern gewesen, und war schaudervoll häßlich frisirt. Ich suchte auf seiner Stirn die Anzeichen des heraufziehenden Ungewitters, zwischen den Augenbrauen bildet sich nämlich eine Falte, sobald ihm das geringste Unangenehme widerfährt. Aber nichts, nichts Derartiges zeigte sich. Man hätte glauben mögen daß mein Mann während meiner Abwesenheit vertauscht worden sei. Das Einzige war, daß er zu mir in vollster Ruhe sagte: »Du hast wohl deine Frisur verändert?«

Ich antwortete kaum, denn ich wollte nichts übereilen und mich zurückhalten, bis die Zeugen anwesend wären. Es ist übrigens drollig, mir bangte doch vor der Scene, die ich mit allen Kräften herbeizuführen mich bemühte. Ich 72 gab also auf alle seine Fragen nur sehr trockene und kurz hingeworfene Antworten; endlich erhob er sich und ging in sein Zimmer. Ich folgte ihm zitternd. Schon hatten sich meine Freunde, wie ich deutlich gehört hatte, im kleinen Salon aufgestellt und Pierre kam und ging fortwährend, da er die Silbersachen und die Gläser forträumte. Der Moment war gekommen. Ich mußte ihn zum heftigen Zornesausbruch reizen, und nachdem ich seit dem frühen Morgen darauf hingearbeitet hatte, konnte es mir ja eigentlich auch nicht schwer fallen.

Ich trat also in sein Zimmer und mag dabei wohl sehr blaß ausgesehen haben, wußte ich doch, daß ich mich in den Käfig des Löwen begab. Einmal stieg sogar der Gedanke in mir auf: Wenn er dich nun todtschlägt! Aber so schlimme Absichten schien er nicht zu hegen; er lag auf dem Sopha und rauchte eine Cigarre.

»Störe ich dich etwa?« fragte ich so ironisch wie möglich.

»Nein! Du siehst ja, daß ich nicht arbeite,« entgegnete er ruhig.

Ich, sehr boshaft: »Ach – du arbeitest wohl eigentlich niemals?«

Er, immer sehr artig: »Da irrst du dich doch, meine Liebe. Im Gegentheil, ich arbeite sogar sehr viel. Aber unsere Beschäftigung ist ja nun einmal eine solche, bei der man arbeiten kann, ohne, so zu sagen, das Werkzeug in der Hand zu haben.

Ich: »Und was thust du denn eigentlich in diesem Augenblick? Ah, ich weiß ja – Dein Stück in Versen. Seit zwei Jahren immer dieselbe Geschichte. Weißt du was, du kannst von Glück sagen, daß deine Frau dir ein Vermögen zugebracht hat. Nun kannst du doch so recht nach deinem Geschmack faullenzen.«

Ich glaubte, nun müsse er loswettern. Aber im Gegentheil – er ergriff ruhig und fast zärtlich mein Hände und 73 sagte: »Fängst du denn genau so an, wie du früher aufgehört hast? Wollen wir denn aufs neue ein Leben voll Streit und Uneinigkeit beginnen? Wenn das der Fall ist, weshalb bist du dann erst zu mir zurückgekehrt?«

Ich gestehe, daß ich mich durch den traurigen Ton, in dem er diese Worte sprach, ergriffen und bewegt fühlte; aber ich dachte an dich, arme Tante, an dein Exil, an das Unrecht, das er dir zugefügt, und das gab mir meinen ganzen Muth wieder. Ich gab mir die denkbarste Mühe, um ihn zu erbittern und zu kränken. Kaum weiß ich noch, was ich alles sagte, daß ich schon ganz verzweifelt sei, einen Schriftsteller geheirathet zu haben; daß in Moulins jedermann mein herbes Geschick beklagt; daß ich alle meine Freundinnen verheirathet gesehen hätte mit Beamten, mit ernsten, verständigen und gut situirten Männern, während ich – ja, wenn er wenigstens etwas verdiente. Aber nein, mein Herr Gemahl arbeitet ja des Ruhmes wegen! Und was ist das für ein Ruhm – du lieber Himmel! In Moulins kennt ihn kein Mensch und in Paris zischt man seine Stücke aus; seine Bücher werden von niemand gekauft u. s. w. u. s. w. Mir wirbelte der Kopf von all dem boshaften und gehässigen Zeug, das ich da vorbrachte. Er antwortete nicht, sondern sah mich nur immer, wie in stiller Wuth, an. Dieses Schweigen brachte mich natürlich nur noch mehr in Harnisch. Ich war so erregt, daß mir meine eigene Stimme befremdend klang. Ich war immer lauter geworden; die letzten Worte, ich weiß nicht mehr, welche ungerechte und dumme Bemerkung ich in sie kleidete, schrie ich so laut, daß es mir selbst in den Ohren gellte. Jetzt glaubte ich, daß Herr Petitbry die ersehnte Handgreiflichkeit verzeichnen könnte. Henri stand auf, er sah ganz bleich aus; zwischen den fest zusammengepreßten Zähnen murmelte er: »Madame!« Dann machte er zwei Schritte auf mich zu –

Da war aber auch sein Zorn wieder verflogen. Seine 74 Züge glätteten sich und er sah mich an mit einem so mitleidigen, so unverschämt ruhigen Blick, daß ich mich nicht mehr zurückhalten konnte. Meine Geduld war erschöpft. Ich erhob die Hand und – paff! da hatte ich ihm die schönste Ohrfeige applicirt, die ich überhaupt noch in meinem Leben gegeben. Auf das Geräusch hin öffnete sich die Thüre und meine Zeugen traten ernst und feierlich ein. »Mein Herr, das ist eine Schmach – »Ja, das kommt mir auch so vor,« entgegnete der gute Junge und zeigte dabei seine roth angelaufene Backe.

Du kannst dir denken, wie verlegen ich nun wurde. Glücklicherweise hatte ich noch die Besinnung, schnell in Ohnmacht zu fallen und später einen Weinkrampf zu bekommen, und so kam ich über das Schlimmste fort. Jetzt ist Henri bei mir im Zimmer. Er wacht, wenn ich schlummere; er ist überhaupt so gut und so zärtlich besorgt um mich. Da habe ich mich also gehörig verrannt. Was soll ich nun thun? Ich fürchte, Herr Petitbry dürfte mit der Wendung, die ich der Sache gegeben, nicht ganz zufrieden sein.

Nina de B . . . 75

 


 


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