Alphonse Daudet
Künstler-Ehen
Alphonse Daudet

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Ein Mißverständnis.

Ansicht der Frau.   Ansicht des Mannes.

Was hat er denn eigentlich nur? Was will er von mir? Ich verstehe es nicht. Ich habe doch alles, was in meinen Kräften stand, gethan, um ihn glücklich zu machen. Du lieber Himmel! Ich sage ja nicht, daß ich nicht lieber an Stelle eines Dichters einen Notar, einen Rechtsanwalt oder irgend jemand in günstiger Lebensstellung und mit regelmäßiger Beschäftigung geheirathet hätte – aber, ganz ehrlich gestanden, so wie er nun einmal war, gefiel er mir. Manchmal kam er mir ein bischen huschig und leichtsinnig vor, immer aber war er artig, zuvorkommend und liebenswürdig. Er hatte auch etwas eigenes Vermögen und ich dachte mir, daß, wenn wir erst verheirathet sein würden, ihn seine Dichtkunst nicht verhindern würde sich zur Erlangung einer Stellung umzuthun, die mit einem festen Einkommen verbunden ist.

Damals schien ich ihm auch in jeder Hinsicht zu gefallen und zu genügen. Wenn er zu uns kam, d. h. zu meiner Tante und mir, um mich auf dem Lande zu besuchen, dann fand er gar nicht genug Worte zur Bewunderung der Ordnung und des Geschmacks, mit denen unsere kleine Häuslichkeit eingerichtet war. »Das ist ja ganz reizend,« sagte er immer. Dann lachte er und legte mir die Namen aus seinen Gedichten bei und aus allen Romanen, die er gelesen. Das schmeichelte mir nun, wie ich gestehen muß. Ich hätte ihn mir wohl gern etwas ernsthafter und gesetzter gewünscht, aber diese Verschiedenheit in unseren Naturen würde sich wohl leicht ausgleichen 52 lassen, wenn wir erst in Paris sind und unser eigenes Heim besitzen – so rechnete ich.

Lieber Gott, wie habe ich mich verrechnet! Ich hatte immer von einem hübschen, freundlichen und gemüthlichen Heim geträumt, und nun mußte ich mich in einer Wohnung sehen, die mit alten, unnützen, längst aus der Mode gekommenen Möbeln vollgepfropft war. Das Holz hatte unter dem Staube gelitten, die Polster waren so alt, so ausgeblaßt und so fadenscheinig! Wohin ich auch blickte, bot sich mir derselbe Anblick. Aber eine ganz reizende Standuhr, die ich von der Tante als Geschenk erhalten hatte, ließ er auf den Boden stellen, und die prächtig eingerahmten mir von meinen Pensionsfreundinnen gestifteten Bilder bekamen keinen bessern Platz. Er meinte, sie seien abscheulich; ja, wenn er mir nur einen Grund anzugeben vermöchte, weßhalb sie es sind. Wie sah es in seinem Arbeitszimmer aus! Da hingen Gardinen, die schon ganz schwarz von Cigarrenrauch waren; da standen Statuetten, die ich mich schämte, anzusehen; da waren zerbrochene Krüge, die absolut zu nichts zu gebrauchen waren; Leuchter voll Grünspan; Vasen, in die man nichts stellen durfte; zerbrochene Tassen u. s. w.

Statt meines hübschen Pianinos aus Polysanderholz ließ er mir einen alten häßlichen Kasten aufstellen, von dem schon längst jede Spur von Glanz und Politur gewichen war, und an dem überhaupt nur noch die Hälfte der Tasten einen Ton hervorbrachten, der noch dazu so dünn und so ängstlich klang! Ja, ja – damals sagte ich mir schon: »In solchem Künstler steckt doch eigentlich ein gut Theil von einem Narren. Er liebt den unnützen Kram und blickt mit Geringschätzung auf alles, was einem praktischen Zwecke dient.«

Wenn seine Freunde zu ihm kamen, alle die Leute, denen sein Haus offen stand – was bekam ich da zu sehen! 54 Leute mit langen Haaren und großen Bärten; sie waren schlecht frisirt, nachlässig gekleidet, genirten sich nicht in meiner Gegenwart zu rauchen und brachten lauter Ansichten vor, die den meinigen geradezu entgegengesetzt waren. Welche Phrasen, welche Redensarten führten diese Leute im Munde! Da war nichts Einfaches, nichts Natürliches. Selbst die gewöhnlichsten Höflichkeitsformen ließen sie außer Acht; man konnte sie zwanzigmal hintereinander zum Diner einladen, ohne daß sie auch nur daran dächten, sich zu revanchiren. Selbst am Neujahrstage sandte mir Keiner seine Karte, geschweige, wie es doch einmal üblich, eine Bonbonnière. Einige von den Herren waren verheirathet und führten also auch ihre Frauen bei uns ein. Diese Damen nun mußte man sehen – es war einzig. Tagtäglich gingen sie in den auffallendsten Toiletten, wie ich sie, Gott sei Dank, niemals tragen würde. Wie geschmacklos, jeder Form und Mode Hohn sprechend, waren die Kleider angefertigt. Wie waren sie bemüht alles zu zeigen, was sie hatten – ihr Geschmeide, ihre Schleppkleider und mehr als das noch ihre Talente und Fähigkeiten. Einige von ihnen sangen, und zwar mit den Bewegungen und dem Ausdruck von Bühnensängerinnen; andere spielten auf dem Klavier gerade wie es die Professoren am Conservatorium thun; alle aber sprachen über alles Mögliche, ganz nach Mannesart. Nun frage ich jeden Menschen: Gehört sich das wohl? Haben wohlerzogene Damen nach ihrer Verheirathung überhaupt an irgend etwas anderes zu denken, als an ihre Häuslichkeit? Das suchte ich auch meinem Manne begreiflich zu machen, der ungehalten zu sein schien, weil ich die Musik so gänzlich vernachlässigte. Die Musik! Das ist ja ganz gut für ein junges Mädchen. Aber, ich sage es frei heraus, ich würde mich selbst höchst lächerlich finden, wenn ich mich an jedem Tage ans Klavier setzen wollte. 56

Oh, ich weiß es ganz gut – sein großer Ärger über mich rührt davon her, daß ich ihn von dieser für ihn nur allzu gefährlichen Gesellschaft loszumachen versuchte. »Du wirst uns noch alle meine Freunde abwendig machen,« rief er mir oft in vorwurfsvollem Tone zu. Allerdings, das war meine Absicht, und das leugne ich auch gar nicht. In dieser Umgebung wäre mein Mann mit der Zeit vollständig reif fürs Tollhaus geworden. Manchmal ging er, wenn sich seine Freunde endlich entfernt hatten, noch stundenlang im Zimmer auf und nieder und murmelte und sprach fortwährend halblaut vor sich hin. Dann dichtete er nämlich! War das noch nicht seltsam und beunruhigend genug? Wollten sie ihn mir ganz verrückt machen?

Was habe ich schon von seinen Launen, seinen plötzlichen Einfällen erdulden müssen! Manchmal stürmte er z. B. morgens in mein Zimmer: »Schnell, schnell – deinen Hut und Mantel! Wir reisen aufs Land!« Und dann mußte man alles stehen und liegen lassen, dann ließ man die Wirthschaft – Wirthschaft sein, dann wurde ein Wagen genommen, die Eisenbahn benutzt – dann wurde mit einem Worte das Geld mit vollen Händen hinausgeworfen. Und ich gebe mir doch so viele Mühe, haushälterisch zu leben und zu sparen. Mit fünfzehntausend Francs Rente kann man in Paris keine weiten Sprünge machen und man hat doch auch die Verpflichtung den Kindern das Vermögen zu erhalten. Anfänglich lachte er über meine Besorgnisse und versuchte, auch mich lachen zu machen – dann aber, als er einsah, daß ich ganz ernsthaft bei meiner Ansicht von der Sache verharrte, verwünschte er meine Einfachheit und meinen Sinn für Häuslichkeit. Du lieber Himmel, beging ich denn wirklich einen Fehler, wenn ich auf den Besuch der Theater und Concerte verzichtete und aller jener Soireen, bei denen er 58 zuversichtlich seine alten Bekannten wiedersehen müßte – die Nichtsthuer, die Müßiggänger, die Tagediebe.

Einmal glaubte ich wirklich, ich hätte ein Mittel gefunden, ihn ganz vernünftig zu machen. Ich hatte ihn glücklich von seinen sogenannten Freunden und Genossen befreit und suchte nun um uns einen Kreis von netten, vernünftigen, wohlhabenden und gesetzten Männern zu bilden, die ihm gute Verbindungen hätten schaffen können. Aber nein – der gnädige Herr langweilte sich. Er langweilte sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Nun gab ich kleine Gesellschaften, arrangirte einen Thee- oder Whistabend – da gab er eine Figur ab, da war er in einer Laune – das mußte man sehen!

Waren wir dann allein – dieselbe Geschichte; und dabei ließ ich es ihm doch an Aufmerksamkeit wahrhaftig nicht fehlen. Ich sagte z. B.: »Lies mir doch ein bischen von dem vor, was du gemacht hast.« Und nun las er eine Menge Verse und langathmige Tiraden. Ich verstand gar nicht, was er da eigentlich sagen wollte, aber ich that doch so, als ob mich die Sache äußerst interessirte und wie wir so im Sprechen sind, mache ich auch eine ganz harmlose Bemerkung, mit der ich ihn blos ein Bischen necken wollte. Er hatte nämlich ein ganzes Jahr lang Tag und Nacht gearbeitet und schließlich nur ein kleines Bändchen Gedichte fertig gebracht, von dem die erste Auflage nur mit Mühe und Noth verkauft worden war. Ich begann also: »Na – nun siehst du wohl ein –« und wollte ihn dahin bringen, sich einem andern Gebiet der schriftstellerischen Thätigkeit zuzuwenden, auf dem er Tüchtiges leisten und auch tüchtig verdienen könnte. Da wurde er aber so zornig, wie ich ihn noch nie gesehen hatte; und dann machte der Zorn einer tiefen Niedergeschlagenheit Platz, so daß ich mich, als Ursache derselben, recht unglücklich fühlte. Ich fragte also meine Freundinnen, 60 was ich nun thun sollte, und diese sagten mir: »Du siehst wohl selbst ein, meine Liebe, daß die Langeweile die Schuld an allem trägt; was ihn und dich plagt, ist die schlechte Laune eines unbeschäftigten Menschen. Wenn er etwas mehr zu thun hätte, würde er nicht so mißgestimmt sein.«

Nun ließ es mir keine Ruhe mehr; ich bot alles auf, um ihm eine feste Anstellung zu verschaffen. Ich setzte Himmel und Erde in Bewegung; ich machte Gott weiß wieviel Besuche bei den Frauen von General-Secretären und Abtheilungschefs, drang bis ins Arbeitszimmer des Ministers – alles natürlich, ohne meinem Manne das Mindeste von meinem Vorhaben zu verrathen. Seine freudige Überraschung hatte ich mir als Belohnung für meine Mühen ausgedacht. Ich sagte zu mir: »Nun dieses Mal werde ich es doch zu seiner Zufriedenheit gemacht haben!« Endlich, endlich nahte der große Tag, an dem ihm in fünffach versiegeltem Umschlag seine Ernennung zugesandt wurde. Halbnärrisch vor Freude legte ich den Brief auf meines Gatten Arbeitstisch, brachte doch dieses Decret alles mit sich: eine Stellung mit Gehalt, die innere Ruhe, neue Lust zur Arbeit und innere Befriedigung.

Ja, was sagte er zu mir? Er sagte: »Das werde ich dir nie verzeihen können!« In tausend Fetzen zerriß er den Brief des Ministers; dann lief er hinaus und warf die Thüre hinter sich zu.

Oh, diese Künstler! Diese armen, bedauernswerthen Geschöpfe, die das Leben doch so ganz verkehrt auffassen! Was soll man nun mit solchem Menschen anfangen? Ich wollte mit ihm sprechen, ihm gut zureden. Es nützt ja aber nichts. Man hatte mir früher ja schon so oft gesagt: »Er ist zu närrisch!« Ach Gott, wie soll ich es denn überhaupt anfangen, ihm zuzureden? Wir sprechen ja gar 62 nicht dieselbe Sprache; er würde mein Flehen nicht verstehen, ebensowenig wie ich ihn verstehe.

Jetzt sind wir beide glücklich auf dem Standpunkt angelangt, uns gegenseitig voreinander in Acht zu nehmen. In seinen Augen lese ich den Widerwillen, den er gegen mich empfindet – ich aber, ich liebe ihn dabei.

Das ist doch recht peinlich!

Ich hatte alles bedacht, ich hatte alles in Erwägung gezogen. Ich wollte nun einmal keine Pariserin zur Frau nehmen, weil mir die Pariserinnen ein Grauen einflößen. Ich wollte keine reiche Frau haben, weil ich mir mit einer solchen nur eine ungezählte Menge Plackereien und Bedürfnisse ins Haus bringen würde. Ich fürchtete auch eine Gattin mit allzu viel Familienanhang – es hat das eine Kette von Liebenswürdigkeiten und Gunstbezeugungen im Gefolge, die Einen vollständig machtlos machen, die Einen erdrücken und zu Boden strecken können.

Meine Gattin war gerade so, wie ich sie mir immer gewünscht. Ich sagte mir nämlich: Sie wird dir alles verdanken müssen! Welche Freude, welche Genugthuung, dieses naive Gemüth heranzubilden, es zu allem Schönen und Edlen zu erziehen, in diese reine Seele etwas von meinem Leben, von meinem Denken und Fühlen einzuhauchen – dieser Natur Leben zu verleihen.

Denn sie erschien mir in der That wie ein schönes Bildwerk, mit ihren großen, ernsten, ruhig blickenden Augen; ihrem regelmäßigen griechischen Profil; mit ihren Zügen, über die der holde Reiz der Jugend ausgegossen zu sein schien; mit dem zarten Hauch auf dem Antlitz und mit dem herrlichen Haar. Wie hübsch war ihre Aussprache mit dem leisen Klang von Provinzialdialect – wenn ich die Augen schloß, glaubte ich mich in die Umgebung meiner Kindheit zurückversetzt; ihre Stimme erschien 53 mir wie ein Echo aus einer längstvergangenen, stillen und friedlichen Zeit. Und jetzt sagen zu müssen, daß mir dieser Dialect mit der Zeit unausstehlich wurde! – Damals aber war ich, wie gesagt, in einem schönen Wahn befangen. Ich liebte, ich war glücklich und redete mir zu, immer noch glücklicher werden zu können. Voll Arbeitslust und Frische hatte ich bald nach meiner Hochzeit eine neue Dichtung zu schreiben begonnen und am Abend las ich ihr immer die Verse vor, die ich im Laufe des Tages geschrieben hatte. Ich wünschte, daß sie nach und nach sich ganz in meine Lebensweise und auch in meine Beschäftigung hineinlebte. Die ersten paar Male sagte sie: »Das ist ganz nett«, und mir gefiel dieser Ausspruch als der Ausdruck einer unbeeinflußten, harmlosen Denkart. Ich hoffte immer noch, sie würde mich mit der Zeit voll und ganz verstehen lernen.

Die Unglückselige! Wie täuschte ich mich in ihr! Was habe ich alles hinunterschlucken müssen, was ertrug ich! Nachdem ich meine Verse vorgelesen, versuchte ich, ihr den Sinn derselben zu erklären. Wie sehr begehrte ich danach, in ihren schönen Augen den Schimmer des Verständnisses aufleuchten zu sehen, wie oft glaubte ich, daß er nun, einem Lichtstrahle gleich, aufzucken müsse. Ich gab ihren Gedanken die Richtung, ich ging über alles Nebensächliche hinweg und blieb bloß bei dem, was ich für besonders gelungen hielt – ich wünschte eben – ach, wie sehr – aus ihr mein wirkliches und wahrhaftes Weib zu machen, das Weib eines Schriftstellers. Aber es sollte nicht sein. Sie verstand mich nicht. Soviel ich ihr auch aus den Werken unserer großen Dichter vorlas, so oft ich ihr auch klar zu machen suchte, wie sie jetzt die mächtigsten, tiefsten Töne der Erregung, jetzt die zartesten Saiten anschlugen – es war alles vergeblich! Die Verse der herrlichsten Liebesgedichte brachten sie nicht aus ihrer gleichmäßigen, 55 ruhigen, frostigen Stimmung. Ich erinnere mich, daß wir einmal gemeinschaftlich die »Octobernacht« lasen; sie unterbrach mich plötzlich, um mich, wie sie sagte, etwas äußerst Ernstes und Wichtiges zu fragen. Ich versuchte nun ihr klarzumachen, daß es auf der ganzen weiten Gotteswelt überhaupt nichts Ernsteres und Wichtigeres gäbe, als die Poesie; daß sie das All umfasse und dem Leben überhaupt erst Glanz, Licht und Werth verleihe. Oh, da spielte ein halb verächtliches, halb ungläubiges Lächeln um ihren schönen Mund. Es war gerade, als hätte ein Kind oder ein Narr so zu ihr gesprochen.

Was habe ich es mir für Mühen, für Überredungsversuche kosten lassen, um sie umzustimmen. Ich mußte mich schließlich damit begnügen, an ihre Vernunft, an ihren gesunden Menschenverstand zu appelliren – sie sind es ja immer, auf die sich kühle und phantasielose Gemüther berufen.

Die Dichtkunst war übrigens nicht das Einzige, für das sie kein Interesse und Verständnis bezeigte. Ich hatte vor unserer Verheirathung geglaubt, daß sie außerordentlich musikalisch sei. Die Musikstücke, die sie spielte und die sie mit ihrem Lehrer eingeübt hatte, trug sie mit vielem Verständnis vor. Aber kaum war sie verheirathet, als sie auch ihr Pianino schloß und auf das Spielen verzichtete. Kann man sich etwas denken, was mehr verstimmt, als wenn man sehen muß, wie eine junge Frau ganz offenbar alles das vernachlässigt, was sie als junges Mädchen scheinbar mit vielem Vergnügen geübt? Das Wort ist gesprochen, die Rolle ist zu Ende gespielt – nun kann der Comödiant ja das lästige Costüm und die Maske ablegen. Die ganze Liebenswürdigkeit, die Zuvorkommenheit, das Herauskehren der mannigfachen Talente und Fertigkeiten – es war alles nur im Hinblick auf die Verheirathung, auf die gute Versorgung gemünzt. Bei ihr 57 trat der Wechsel in der Gesinnung mit einer verblüffenden Schnelligkeit ein. Ich hatte anfänglich immer gehofft, daß sich der Geschmack und die Freude am Schönen, die ich ihr doch nun einmal nicht verleihen konnte, bei ihr in dem prächtigen, bewundernswerthen Paris ganz von selbst einstellen würden, da sich ihr daselbst auf Schritt und Tritt das Geschmackvolle und Gediegene zeigte, sich ihr fast aufdrängte. Was soll man aber mit einer Frau anfangen, die kein Buch aufschlagen, kein Gemälde ansehen kann, ohne sich dabei höchlichst zu langweilen; ja, die gar nichts hören und sehen will, die sich gegen alle Eindrücke verschließt? Ich hatte die größte Mühe, sie von einer Umwandlung meiner ganzen Lebensweise nach ihren Regeln weiser Sparsamkeit abzubringen. Sie war ökonomisch, so unendlich ökonomisch! Eine Frau nach Proudhon'schen Prinzipien – nichts mehr und nichts weniger. Ich würde ja ganz gut mit weniger auskommen, viele Künstler und Schriftsteller müssen es ja; aber mir behagte diese Rolle der erzwungenen Bescheidenheit ganz und gar nicht.

Nach und nach, so ganz allmählich und ohne daß man es eigentlich merkte, entfremdete sie alle meine Freunde unserem Hause. Vor ihr hatten nämlich wir alle zusammen uns nicht den geringsten Zwang auferlegt. Wir sprachen wie vordem über unsere künstlerischen Absichten und Pläne, wir gaben unsere närrischen Einfälle zum Besten, der eine zog die Aussprüche des andern ins Lächerliche, wir amüsirten uns – sie aber saß dabei, verstand uns nicht und zeigte überhaupt einen auffallenden Mangel an Verständnis für Ironie und Satire. Alles, was sie sah und hörte, mußte sie nun naturgemäß verwirren und verlegen machen. Gewöhnlich saß sie in einer Ecke des Salons und beobachtete ohne ein Wort zu äußern unser Treiben; da hat sie denn sicherlich auch den Plan gefaßt, 59 sich auf jeden Fall dieser Störenfriede zu entledigen. Wenn ich persönlich meine Bekannten also auch aufs Freundlichste empfing, so war es doch immer, als wenn unangenehme Zugluft vorhanden sei, die einem auf verblümte Manier andeutet, die Thür sei bereits offen und es sei allgemach Zeit, sich zu empfehlen.

Meine Freunde waren, wie gesagt, mit der Zeit glücklich hinausgedrängt und nun sollten sie durch die meiner Gattin ersetzt werden. Ich wurde in langweilige Gesellschaften geschleppt, zu Leuten, die ohne Sinn und Verständnis für die Kunst sind, die keinen Respect vor der Poesie haben – weil sie nichts einbringt. Ja, natürlich – einige »Dichter« wurden aufgenommen; es waren die Verfasser der Tagesliteratur, die Stückefabrikanten und die Schreiber von Dutzendromanen. »Hochachtung vor Denen! Die verdienen eine Menge Geld!«

»Geld verdienen!« Das war das ein und alles dieser schauderhaft prosaischen Menschen, und meine Frau bereitete mir den Schmerz, in diese Melodie einzustimmen. Neben ihren provinzmäßigen Gewohnheiten, ihren kleinlichen und beschränkten Anschauungen war sie also auch noch vom Geizteufel besessen.

Fünfzehntausend Francs jährliche Rente! Man sollte doch meinen, daß man damit auskommen kann und nicht für den kommenden Tag zu sorgen braucht. Aber nein! Immer und immer wieder mußte ich ihre Klagelieder anhören, mußte hören, wie sie von Sparen, von Einschränken, von anderer Lebensweise und von gutdotirten Anstellungen sprach. Über derartigen Unterhaltungen verging mir naturgemäß die Lust und der Muth zur Arbeit. Dann kam sie wohl zuweilen an meinen Schreibtisch und blätterte mit unverhohlener Verachtung in meinen angefangenen Manuscripten. 61

»So – so,« sagte sie dann immer; »das also ist deine Thätigkeit.« Und dann rechnete sie mir auf Minute und Secunde nach, wieviel Zeit ich für die »unbedeutende Schreiberei« vergeudet hätte. Ja, allerdings – wenn ich auf sie hörte und es nach ihrem Kopfe ginge, dann würde ich mich bald genug um den schwer erkämpften Ruhm, ein wirklicher Dichter zu sein, gebracht haben; dann würde auch ich mich verflacht haben durch rasche und zahlreiche, aber auch seichte und werthlose Production.

Wenn ich nun bedenke, daß ich dieser Frau anfänglich mein ganzes Fühlen und Denken gewidmet, daß ich nur an sie im Schlafen wie im Wachen gedacht, wenn ich bedenke, daß sie mir alle Pein und alles Herzeleid nur anthut, weil ich ihr nicht genug Geld verdiene, und daß sie nun so denkt, so lange wir schon verheirathet sind, dann schäme ich mich wahrhaftig, um ihret- und meinetwillen.

Ich verdiene ihr nicht genug. Das läßt sie mich beständig fühlen. Das lese ich in ihrem vorwurfsvollen Blick, das erkenne ich an der Bewunderung der albernsten Schreibereien anderer Autoren, das habe ich endlich als die Ursache ihres letzten Streiches annehmen müssen, da sie mir hinterrücks einen Posten im Bureau des Ministeriums verschaffte.

Ich habe ihn natürlich nicht angenommen. Unbehaglich und öde ist es in mir und um mich; soweit hat sie es mit ihren ewigen Anspielungen und Überredungsversuchen gebracht. Jetzt kann sie stundenlang zu mir sprechen, ohne mir auch nur das leiseste Lächeln zu entlocken; meine Gedanken sind gar nicht mehr bei ihr und ich fürchte, sie werden auch niemals wieder zu ihr zurückkehren.

Das ist eine recht angenehme Lage! Wir sind 63 verheirathet, wir sind dazu verdammt mit einander zu leben und kehren uns doch in unserm eigenen Hause beständig den Rücken. Dabei sind wir aber zu ermattet, zu verdrossen, als daß einer einen entscheidenden Schritt gegen den andern machte. Und das soll nun während unseres ganzen Lebens so bleiben!

Es ist schauderhaft! 64

 


 


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