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Aus dem Nachwort zur ersten Ausgabe

Zum sechshundertsten Male seit Dantes Tode wurde das Jahresrad umgeschwungen von jener Liebe, die den Sonnenball und all die andern Sterne durch des Weltenraums Unendlichkeit schwingen und rollen läßt. Dante hat zehn stummen christlichen Jahrhunderten eine Stimme gegeben (sagt Carlyle), und wie er als erster christlicher Dichter von überragender Bedeutung am Anfangspunkte des italienischen Schrifttums steht, so bildet er auch dessen Mittelpunkt, um den sich von jeher die Untersuchungen der besten Köpfe bewegten. Dante zählt neben Homer und Sophokles, Shakespeare und Cervantes, Goethe und Schiller zu den großen Sonnen, die dem Himmel der Weltdichtung unverlöschlichen Glanz verleihen. Dantes Erdundhimmelslied, das die wunderbarste Blüte des zeitgenössischen Minnesanges bildet, aber durch die griechische Philosophie und christliche Mystik vertieft und veredelt wird, richtet einen Grenzstein auf zwischen der Weltanschauung und Liebesdichtung des Mittelalters, sie in erhabener Vollendung abschließend, und dem neubeginnenden Zeitraum des dichterischen Erlebens, wo das Gemüt in seinem ihm eigentümlichen Reichtum und in all seinen geheimnisvollen Tiefen entdeckt und zur kunstvollsten Ausdrucksfähigkeit gesteigert wird. Das siebenhundertste Gedächtnisjahr Dantes fällt für Deutschland in eine Zeit, die es uns besonders geboten erscheinen läßt, diesem Verkünder strenger Gerechtigkeitsliebe, diesem eindringlichen Prediger sittlichen Ernstes dankbar zu huldigen; wenn sich auch die dichterische Offenbarung seines großen Geistes an alle Bildungsvölker wendet. Dante kann uns nicht nur als Dichter ein Sinnbild sein. Der Mann, der gleich uns die trübste Zeit seines Vaterlandes durchlebte, der trotz Armut, Schmach und Verbannung an der erhebenden Hoffnung auf einen Retter und Wiederhersteller festhielt: er darf uns auch als Persönlichkeit ein leuchtendes Vorbild sein und muß als Mensch gefeiert werden. Sein ewiges Gedicht, seine heilige Pilgerfahrt durch die drei Welten, sollte dem gebildeten Deutschen von heute neben dem Faust und der Bibel ein Trost- und Stärkungsbuch sein!

Als ich im Jahre 1907 meine erste Übertragung der Komödie im gleichen Verlage erscheinen ließ, war ich mir trotz dem Erfolge, den dieser Erstlingsversuch fand, im innersten klar, daß mir in Zukunft noch viel zu tun übrigbliebe. Daß ich durch unermüdliche Arbeit am Gegenstande und unverminderte Liebe für den Dichter den erworbenen Erfolg rechtfertigen und befestigen müßte. Und so hab ich denn in den seither verflossenen sechzehn Jahren (im April 1905 begann ich erstmalig Dante nachzu dichten) die Komödie nicht weniger als zehnmal teils umgearbeitet, teils niedergeschrieben, einschließlich der im Herderschen Verlage zu Freiburg im Breisgau jetzt erscheinenden dritten und vierten Auflage der wortwörtlichen Übersetzung. Inzwischen erschien die siebente und achte, von der nurdeutschen die neunte und zehnte Auflage und von der Leipziger Ausgabe (Hesse & Becker Verlag) das sechzigste Tausend. Die letzte zehnte Niederschrift des großen Liedes ist nun diese hier vorliegende gründliche Um- und Durcharbeitung der Leipziger veränderten Ausgabe von 1909. Ich weiß, daß sie sich im Gegensatz zu fast allen andern durchgereimten Übertragungen der erdenklichsten Treue befleißigt – also keine Nachdichtung mehr ist – und ich hoffe, daß sich meine Nachschöpfung trotz dieser Worttreue genügenden Wohllaut bewahrt habe, um das Lesen genußreich zu machen. Denn bei meinen selbstgestellten Forderungen standen Wohllaut und Treue neben Reimreinheit und Klarheit obenan; und ich glaube, all diese Bedingungen nach bestem Vermögen erfüllt zu haben. Über die Reinheit der Reime will ich nur kurz bemerken, daß ich sie für einen Anspruch halte, den man an einen heutigen Dichter zu machen vollauf berechtigt ist. Mögen andere Übersetzer zur Entschuldigung ihrer mangelhaften Reime Goethe (Ein reiner Reim wird wohl begehrt) oder Heine (Leise zieht durch mein Gemüt) ins Feld führen: die Trauben sind nur sauer, weil sie ihnen zu hoch hängen. Ich vermeide sogar gleichklingende Reimworte mit verschiedener Bedeutung wie: Meer und mehr, Hallen und hallen, Wogen und bewogen, finden und empfinden und ähnliche. Aber auf die Reime, die nur für das Auge unrein sind, erstreckt sich mein Eifer nicht. Ich gebrauche also, wenn es nicht zu vermeiden ist, Reime wie: Gefälle und Stelle – Hände und Spende – Kränken und Denken und ähnliche. Denn diese Reime beleidigen nicht das Ohr, wie es zum Beispiel folgende tun, deren Gebrauch selbst heutige Schriftsteller noch allzuwenig verschmähen: Glühen und ziehen – leihen und freuen – klären, wehren und stören – Höhe, Nähe und stehe – messen und gössen. Noch schlimmer sind allerdings Zusammenkoppelungen wie: steigen und weichen – kannte und Lande – wissen und wiesen – lassen und lasen – währte, werde und hörte und andere, die sich namentlich bei sächsischen Übersetzern finden. Auch die geschmacklosen Wortverstümmelungen (Apokopen) wie: Händ, Füß, Tanz, Straß, andr, bei'r (statt: bei der) u. a. wird man bei mir nicht finden; höchstens die gäng und gäbegewordenen Wendungen: Lieb und Lust oder Erd und Himmel. Ebenso nenne ich Beatrice niemals Beatrix. Auch hab ich die italienischen Namen nach Möglichkeit unverkürzt und unverdeutscht gegeben. Mag man mich nach dem Gesagten noch immerhin einen Puristen schelten: wegen allzugroßer Sauberkeit getadelt zu werden, läßt sich schon ertragen. Nicht minderstreng halte ichs mit der Klarheit des Ausdrucks. Unter einer klaren Übersetzung versteh ich eine solche, die schlechterdings keiner Fußnoten bedarf, daß in ihnen der Verdeutscher erst auseinandersetzen müßte, was er eigentlich hat sagen wollen und sollen, wobei oft genug die Schuld an der Unklarheit dem armen Dante in die Schuhe geschoben wird. Leider haben es viele, nicht nur ältere, Übersetzer nötig gehabt, ihr gequältes oder altertümelndes Versdeutsch dem Leser nochmals in Prosa verständlich zu machen. So etwas gehört nicht in die Anmerkungen, die nur für Dante dasein sollen, nicht für den sichselbst erklärenden oder verbessernden Übersetzer. Wohlverstanden! ich habe nur die sprachlichen Schwierigkeiten im Sinn und rede einer sogenannten kommentatorischen Übersetzung keineswegs das Wort. Das heißt, ich lasse dem Urbild seine sachlichen Dunkelheiten und suche diese nicht etwa durch eigene Gedanken oder durch eingeschobene Worte aufzuhellen, die bei Dante nicht vorhanden sind. Das wäre ein Verstoß gegen die Treue. Und davon freizubleiben, hab ich mich nach Kräften bestrebt. – Zur Erleichterung der Verständlichkeit gehört auch ein durchdachtes Interpungieren. Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob ich einen Satz durch Beistreiche (Kommata) oder Gedankenstriche abhebe, oder gar in Klammern einschließe. Ebenso verlangt es Überlegung, ob nach einem Frage- oder Ausrufzeichen mit großem oder kleinem Buchstaben fortgefahren werde, oder ob manchmal ein Doppelpunkt statt eines Punktstriches zu setzen sei. Oft sind solche Zeichen sinnabschließend, oft sinnfortführend; zurück oder nach vorwärts weisend. Innerhalb eines Satzes zweimal den Punktstrich (Semikolon) anzuwenden, wäre im Deutschen natürlich ein grober Fehler; im Italienischen ist der punktstrich häufig nur ein verstärktes Komma. – Mit gesperrten Worten, Ausrufzeichen und Gedankenstrichen bin ich sparsam gewesen. Die letzten dienen meist zur Trennung zweier aneinanderschließender direkter Reden oder zur Verdeutlichung langer Zwischensätze. – Meine Vorliebe für zusammengezogene Wörter wird mir vielleicht eine schnellurteilende Kritik ankreiden. Die Gründe für diesen Gebrauch zu erörtern, würde mich hier zuweitführen. Ich halte es auch für überflüssig, da ihn jeder sprachmusikalische Leser von Fall zu Fall als bedeutungsvoll oder notwendig empfinden wird, trotzdem er ab und zu anderer Ansicht sein mag und darf. Es ist ja nur das äußere, das Wortbild, was zuerst befremdet. Später wird man finden, daß diese Verbindungen kräftig, sinnvoll, lebendig und anschauungsfördernd wirken. Zudem habe ich sie schon seit 1910 in meinen deutsch-italienischen Danteausgaben, unangefochten von Kritik und Lesewelt, angewendet, und kann feststellen, daß ich seither hierin (ebenso wie im Vermeiden der überflüssigen Apostrophe) manchen Nachfolger gefunden. Gab doch übrigens Dante selbst den vielsilbigen Wörtern vor den nur mehrsilbigen den Vorzug. (Über die Volkssprache, Teil 2, Kapitel 7 am Ende.) Doch zurück zu meiner vorliegenden Umarbeitung! – Ein Vergleich wird bezeugen, daß nur ganz wenige Terzinen ihr altes Gesicht behielten. Denn ich wandte, getreu meinem Vorbild (und wie auch in der Freiburger in Schlegelterzinen abgefaßten wörtlicheren Verdeutschung) in dieser durchgereimten Terzinenfassung nur weibliche (zweisilbige) Reimausgänge an, versi piani, und ließ die männlichen (einsilbigen oder versi tronchi) nur dort stehen, wo sie auch Dante, zumteil der Klangwirkung halber, stehen hat. Ebenso bildete ich die Reime mit Überschlagssilben nach, die versi sdrùccioli: . sowie den seltsamen durch Wortunterbrechung entstandenen Reim: Paradies 24, 10–17 (was ich hier nur erwähne, damit ihn der Leser nicht mir in Rechnung stellt) und endlich die sogenannten reichen Reime, die, ich, wenn absichtslos gebraucht, arme nenne. Daß ich absichtsvoll gebrauchte reiche Reime achte, zeigt meine Wortspielreimverdeutschung des Dantischen Detto d'amore, die nicht weniger als 480 solcher Reime in ebensoviel Verszeilen aufweist ( Rime equivoche). Man vergleiche dazu »Dantes gesamte lyrischen Gedichte« zweisprachig und nur-deutsch, einschließlich des » Fiore« und der unechten Gedichte (im ganzen 435 Stücke). C. F. Müller Verlag, Karlsruhe, dritte und vierte Auflage 1927/28. (M. 5.– und M. 8.–.) – Die durch Verlängerung der Endsilben entstehenden zweisilbigen dilettantischen Bildungen (geliebet, geschmücket statt geliebt, geschmückt) verschmähe ich. Man wird solche Verlängerungen bei mir höchstens zur Vermeidung von Härten finden (schließest, genössest statt schließst, genossst usw.) und sonst nur ein paarmal da, wo es den biblischen Ton treffen soll oder aus einem andern gewichtigen Grunde.

Männliche Reime finden sich also nur in der Hölle 4,56 ff., 20,74 ff., 22,143 ff., 28,32 ff., 31,143 ff. und 32,26 ff. Im Läuterungsberg 4,68ff., 7,8ff., 12,41 ff., 23,74 ff., 26,140 (in der Urschrift provenzalisch) und 33,8 ff. Endlich im Paradies 7,1 und 3 (in der Urschrift lateinisch-hebräisch) und 25,98 ff. Bemerkt sei, daß sich bei mir in diesen Versen mit männlichen Reimausgängen niemals (wie so oft bei neueren Übersetzern) zehn Einsilber finden, die dem Stil etwas unerträglich klapperndes und Gehacktes geben. Hüpfende Reimausgänge stehen in der Hölle 13,1 ff., 23,32 ff., 24,62 ff. und 28,80 ff., im Läuterungsberg 27,140 ff. und im Paradies 26,125 ff. und 28,125ff. Reiche Reime hat Dante im Läuterungsberg 20,65 ff. und im Paradies 30,95ff., 31,125 ff. und 22, z 4 ff. Hierhergehören auch die Reime auf Christus im Paradies 12,71 ff., 14,104 ff. und 19,104 ff., da der fromme Dichter es nicht für schicklich hielt, auf diesen heiligen Namen zu reimen. An den ersten beiden dieser erwähnten Christus-Stellen hab ich die Verse durch Einschiebung eines davortretenden Binnenreimes klangvoller gemacht. Die reichen Reimanklänge in der Hölle 7,56 ff., im Paradies 29,2 ff. und anderwärts, hab ich aus naheliegenden Gründen nicht nachgeahmt. Dagegen findet der Leser auch bei mir die gleichen Reime in den Versen wiederholt, mit denen Vergil den Zorn des Charon und des Minos zurückweist in der Hölle 3,94 bis 96 und 5,22 bis 24; sowie ebendort 14,46 und 25,13 bei dem Hinweis auf Kapaneus. Es ist dies eine Feinheit Dantes, die fast alle Übersetzer übersehen haben. Ebenso lassen die wenigsten den so bemerkenswerten Anaphern ihr Recht widerfahren, eine Unterlassung, die bei jenen Übersetzern, die sich des Reimes enthalten, umso belastender ins Gewicht fällt. Derartige Wiederholungen gleicher Worte, meistens am Zeilenanfang, findet man nun, um nur einige Beispiele anzuführen, in der Hölle 2,121 ff. (Warum), 5,100 ff. (Liebe), 18,22 ff. (neu) und besonders beachtenswert im Läuterungsberg 6,106b bis 116 (sechsmal Komm), 12,25 ff. (Sah), 37 ff. (O), 49 ff. (Sehn ließ er) und in den Versen 61 bis 63 mit der Wiederholung von Sah, (O) und Sehn ließ er. Sodann im Läuterungsberg 25,100 bis 104 (fünfmal »daher«) und endlich im Paradies 1,115 ff. (Der), 7,135 bis 137 (Geschaffen), 11,67 und 70 (Umsonst), 14,49 ff. (Wachstum), 15,100 ff. (siebenmal Nicht), 16,16 ff. (Ihr), 19,115 ff. (Dort wird man sehn), 124 ff. (Man sieht), 20,40 ff. (Jetzt weiß er), 26,37 ff (Entzündet) und 30,39 ff. (Licht, Liebe, Entzücken) und öfter. Man vergleiche hierzu im Läuterungsberg 6,129 ff. (Dein Volk), 20,80 bis 94 (viermal Seh ich, sowie den viermaligen Anklang auf neu), 33,142 (den dreimaligen auf jung) und im Paradies 13,1 ff. (Denke und Gedachte »), 15,130 ff. (Mit solchem), 16,100 bis 123 (achtmal Schon), ferner 20,97 bis 99, ebenda 108 und zog und wohl noch öfter. Da Dante auch ziemlich oft, bewußt und unbewußt, den Stabreim benutzt, hab ich diese Tonmalerei gleichfalls nach Möglichkeit wiederzugeben versucht, ebenso die ab und zu auftauchenden Binnenreime, die meistens gleichzeitig schwierige Wortspiele bilden, wie zum Beispiel in der Hölle 1,36; 4,147; 5,56; 6,42; 13,25, 67, 68; 14,92, 93; 26,65, 66; 30,136, 137. Im Läuterungsberg 13,109, 110; 20,1, 2; 27,91, 132; 31,136; 33,118, 119, 143, 144, und im Paradiese 3,56, 57; 5,139; 23,21 und wohl noch häufiger. Im Übrigen hab ich mir nur eine Abweichung vom Gebrauch der weiblichen Reime erlaubt, erlauben müssen. Es handelt sich um die Stelle im Paradies 15,29ff., wo Dante schreibt:

»O sanguis meus, o superinfusa
Gratia Dei, sicut tibi, cui
Bis unquam coeli ianua reclusa.«

Da es auf das lateinische cui keine deutschen Reime giebt, wenigstens keine, die hierherpassen, so hab ich nach dem Beispiel Gildemeisters die beiden letzten Verszeilen so umstellen müssen, daß auf gereimt werden konnte. (Siehe Seite 374.)

Hierdurch ist also in der Reimart die einzige Abweichung vom Urbilde nötig geworden. Diese Stelle muß aber lateinisch belassen werden – noch mit größerem Rechte als die sonstigen, gleichsam als Zitat angeführten lateinischen Worte und Verse – weil eben Dante seinen Ahnherrn Cacciaguida lateinisch reden läßt. Für meine des Lateinischen nichtkundigen Leser setze ich die deutsche Fassung obiger Stelle mit den Anschlußversen in weiblichen Reimen hierher:

»O du mein Blut, o daß sich dir ergossen
Die Gnade Gottes hat, und dir die Pforten
Des Himmels zweimal werden aufgeschlossen.«

So jenes Licht; drob ich bei seinen Worten
Den Blick zu ihm und dann zur Herrin führte.
Und mich erfaßte Staunen hier wie dorten.

Ich habe der vorliegenden Ausgabe der Komödie keinerlei Erklärungen oder Anmerkungen beigegeben, da ich wünsche, daß der Leser sich hier einmal mit Dante ganz allein unterhalten, daß sein Gedicht rein künstlerisch genossen werden soll ohne jede belastende wissenschaftliche Erklärung. Ich möchte die herrliche Dichtung ganz für sich sprechen lassen, sie in völliger Klarheit geben, nicht um- und überspannen von den grauen Spinnweben gelehrter und übergelehrter Auslegungen oder Erörterungen, ob und warum es z. B. Crotona oder Catona heißt, was aleppe oder rafel amai bedeutet, ob Dante Muskatellerwein meint und was dergleichen Vermutungen oder Spitzfindigkeiten mehr sind, die nur vom Genuß des Lesens ablenken und die stimmungsvolle Beschäftigung mit dem größten Liebesgedichte der Weltliteratur beeinträchtigen. Denn (wie ich bereits früher sagte) nicht einseitig-wissenschaftliche, mit tiefsinnigen Kommentaren beschwerte Betrachtung, sondern freie künstlerischgenießende Würdigung führt am besten und schnellsten zu Dante, von seinem Leben das wenige zu wissen, was davon bekannt ist, genügt zunächst. In den allerseltensten Fällen braucht man von den Personen und Vorgängen mehr zu erfahren, als Dante selbst darüber sagt. Im übrigen findet der wißbegierige Leser überall nähere Aufklärung, wenn ihm meine Angaben nicht genügen sollten, die ich über Dantes Leben, sowie über Land und Leute, über Geschehnisse und Tatsachen in meiner früheren Leipziger Ausgabe gemacht habe, wer sich aber mit diesen Fragen gründlich beschäftigen will, tu es jedenfalls nicht bei dem Lesen der Komödie, sondern vorher oder nachher.

Es sei mir erlaubt, über meine Nachschöpfung noch jene Bemerkungen zu wiederholen, die ich bereits bei meiner deutsch-italienischen Ausgabe gemacht, die aber auch hier durchaus nicht unerwähnt bleiben dürfen. Ich huldige nämlich der Überzeugung, daß der deutsche Blankvers nach Möglichkeit dem italienischen Elfsilber (dem Hendekasyllabus) angeähnelt werden muß. Und ich schlage zur Erreichung dieses Zieles zwei Wege ein. Erstens schreibe ich, um gleichzeitig die Härten beim Zusammenstoße zweier Mitlauter zu vermeiden, regelmäßig: heilige, ewige, siebente, Bräutigam, Könige, unsere, einige usw. ohne Auslassungszeichen (Häkchen, Apostrophe, die der Leser überhaupt niemals in meinen Schriften antreffen wird) und ich will diese Worte dennoch nur als zweisilbige angesehen und gelesen wissen. Mit nur einigermaßen gutem Willen wird der nachfühlende Leser oder Vortragende sehr bald lernen, die Betonung zu verschleifen und über die scheinbar-überflüssige Silbe ohne Anstoß hinwegzugleiten. Selbst da, wo italienische Eigen- oder Ortsnamen auftreten, die sich dem Taktschritt des Verses ohnehin schwer anpassen. Es sind also Fabrizio, Macario, Damiano, Sardinien, Sizilien und ähnliche stets dreisilbig zu lesen. – Zweitens wende ich häufig die Tonverschiebung an (die Akzentinversion: statt ), die dem Antlitz des Verses eine erhöhte Bildwirkung verleiht. Es entstehen dadurch z. B. folgende Taktschritte:

Drauf ging er, und mein Fuß folgte dem seinen (Hölle 1,136);
Liebe hat uns vereint ins Grab gesendet (Hölle 5,106), und:
Thebens Ruhm, dann Achills hab ich verkündet (Läuterungsberg 21,92).
Oder auch mit einer überzähligen Senkung:
wie Augen sich im Sinklang senken und heben (Paradies 20.147),
und endlich sogar mit deren zwei:
Kleinen Rubinen glichen alle, und ließen (Paradies 19,4).

Auch über diese Art von Tonverschiebungen läßt sich mit geringer Übung mühelos hinweglesen. Ja, ein feinhöriger Leser wird bald herausfinden, daß durch diese beiden, nach Art eines goldenen Schnittes wirkenden, Kunstmittel das auf die Dauer einschläfernde Geschaukel des fünffüßigen Jambus eine höchst angenehme Unterbrechung und Abwechslung erfährt. Leidenschaftliche Stellen zumal gewinnen durch diese Lockerung des metrischen Zügels ganz bedeutend, wenn sich auch Professorenweisheit dagegen ausspricht und – man denke! – die mehr als vierzehntausend Verse enthaltende Komödie in die starre Kruste überwundener Regeln eingekapselt wissen will! Das große Gedicht würde dadurch versteinern und seine Musik verlieren, statt lebendig und feuerflüssig zu bleiben. Denn im letzten Grunde kommt es doch nur darauf an, daß jede Verszeile fünf Hebungen enthält: ihre Anordnung ist von nebensächlicher Bedeutung. Beispiele, die für die Richtigkeit meiner Überzeugung sprechen, finden sich auf jeder Seite.

Im übrigen verweise ich den Leser, der meine Ansichten über Verdeutschungen näher kennenlernen möchte, auf die Seiten 98 bis 103 in der Einleitung zu meiner Leipziger Ausgabe, deren vierzigstes Tausend jetzt im gleichen Verlage erschienen ist und die ebenso wie die vorliegende Sonderausgabe ein Scherflein bedeuten soll, dargebracht auf dem Altar der Liebe und Verehrung für den großen Dichter zu seinem sechshundertjährigen Todesgedächtnis.

Mögen denn diese beiden Leipziger Ausgaben im Verein mit der gleichzeitig neuerscheinenden Freiburger Ausgabe ihr bescheidenes Teil dazu beitragen, dem Dichter des Erdundhimmelsliedes – das ganz unrichtigerweise noch immer Komödie genannt wird – neue und zahlreiche Freunde für solange Jahre hinaus zu erwerben, daß die Weltallsliebe nicht erst wieder vierundvierzigmal das Sonnenjahresrad umzuschwingen braucht, ehe man sich Dantes an seinem siebenhundertsten Geburtstage aufs neue erinnert.

Großtabarz im Thüringerwalde, am 21. Februar 1921.

Richard Zoozmann.

 

Zur neuen Auflage

Genau sieben Jahre sind verflossen, ehe eine neue Auflage dieser Jubiläumsausgabe nötig wurde. Diese lange Spanne verschuldet wohl hauptsächlich die Unrast der heutigen Zeit, die wenig Sammlung findet, sich in ein erhabenes Kunstwerk ruhevoll und genießend zu versenken. Es wird aber einst der Tag kommen, wo man, des Radio überdrüssig, in Feierstunden des Geistes zur Lesung von guten Büchern zurückkehrt, in der neuerwachten Erkenntnis, daß Bücher doch die besten Freunde, die unterhaltsamsten Gesellschafter und die billigsten Lehrmeister sind und bleiben.

Eine Übersetzung ist nach Goethe eine Arbeit, die eigentlich nie fertig wird. Und so zeigt auch diese neue Auflage abermals auf vielen Seiten zahlreiche Verbesserungen. Für den Leser, der im Vergleichen und im Einblick in eine Dichterwerkstatt Reiz findet, gebe ich einige Hinweise: Hölle 19,109 ff.; 20,64; 22,79. Läuterungsberg 6,16 ff., 100 ff.; 12,25 bis 62; 21,46 ff.; 30,34 ff. Paradies 4,56 ff.; 6,39 bis 84; 8,85 bis 93; 11,28 bis 36; 20,10 ff., 28 ff., 73ff.; 24,31 bis 39 und mehr dergleichen. – Im übrigen weiß ich recht gut, daß die freieste Übersetzung unter Umständen die treueste sein kann! Und daß sogenannte kritische Übersetzungen (was schon Goethe in Dichtung und Wahrheit, Buch 11, betonte), also Übersetzungen, die mit dem Original wetteifern, eigentlich nur zur Unterhaltung der Gelehrten untereinander dienen. Wer das sucht, greife zu meiner Freiburger Ausgabe. Freilich ist der Goethische Ausspruch mit Unterschied zu nehmen. Er bezieht sich nämlich auf Bibel-, nicht auf Dante-Übersetzungen. Denn bei jenen kommt es darauf an, daß sie »durch Schlichtheit am besten auf die Menge wirken.« Aber beim Dante ist es wohl anders. Und das wußte Goethe auch!

Die sonstigen Änderungen bestehen nur in Beseitigung von kleinen Härten und Unebenheiten oder in Änderung alter geographischer Namen in neue. Daß ich dies letzte besonders erwähne, geschieht aus dem Grunde, weil mir ein badischer Kritikus, der auch Dantenachdichter ist, eine solche stehengebliebene veraltete Bezeichnung als Verdeutschungsfehler ankreidet, und zwar in einer Weise, die deutlich zeigt, daß es ihm dabei gar nicht um seine Liebe zur Dantesache zu tun ist, sondern nur darum, einen ehrlich und eifrig Mitstrebenden herabzusetzen, ihm gehörig (lies: ungehörig) eins auszuwischen (Lit. Bl. f. germ. u. röm. Phil., 1922 Spalte 194). Wenn ich diesem Herrn in gleicher Münze dienen wollte, könnte ich ihm sagen, daß er seine »inferiore Dichterei« (wie sie schon Kohler vor Jahren – 1902 – nannte) hätte beiseitelassen und nur seinen Kommentar veröffentlichen sollen, wie es Scartazzini getan, der auch auf den Ehrgeiz verzichtete, ein Dichter sein zu wollen, und sich mit dem Ruhm eines guten Kommentators begnügte, wenn Gelehrte zu »dichten« anfangen, kommt eben selten etwas Gescheites heraus! Der Herr wirft mir nun in gehässiger Weise vor, daß bei mir nicht einmal ein Fluß seines Namens sicher sei und ich den Thiascio in Paradies 11,43 in einen Chiasso verwandelt habe. Dies ist geradezu eine Unehrlichkeit zu nennen, eine böswillige Taschenspielerei. Denn er als Danteforscher weiß ganz genau, daß sich die Schreibung Chiasso (auch Chiaso und Chiasi) bei Philalethes, Kannegießer, Bertrand, Bartsch, Gusek, Hoffinger, Gildemeister, Francke, Sitner, Hörwarter-Enk und anderen, sowie selbst bei älteren italienischen Erklärern vorfindet. – Sein gutes Recht ist es freilich, wenn er außerdem meine Ansicht über allzuausgedehnte Kommentare bespöttelt; und hätte dies der Herr Krittler wenigstens mit Witz getan, so hätte ich selbst darüber herzlich mitgelacht. Wenn er dann aber behauptet, daß die Abfassung eines Kommentars für die späteren deutsch-italienischen Herder-Ausgaben einer andern Kraft übertragen wurde, weil ich selbst darin wenig Glück gehabt hätte, so diene ihm zur Nachricht, daß dies nur geschah, weil der Verlag einen Kommentar vom katholischen Standpunkt aus geschrieben haben wollte, wozu ich als Protestant mich nicht bereiterklären mochte. Obwohl ich von mir sagen kann: »Ich fühle, Goethisch denkend und Dantisch, Zugleich katholisch und protestantisch!« –

Nachdem dieser Kritiker, dem an einem Werk nur das zu gefallen scheint, was ihm nicht gefällt, dann glücklich noch drei verunglückte und zwei unklare Verszeilen aufgestöbert und mir vorgeworfen hat (man denke! von mehr als vierzehntausend Versen fünf! – in seiner Verdeutschung kann ich ihm mühelos fünfhundert nachweisen – auf Wunsch noch mehr), macht er am Schlusse seiner Besprechung die liebenswürdige Bemerkung, daß der Wert meiner Danteübertragung in einem Mißverhältnis zu ihrem großen Erfolge stünde, was »gebieterisch eine Richtigstellung« fordere. Wer oder was ihm das gebietet, sagt er nicht: vermutlich der Neid, der ja in diesem Falle menschlich-verzeihlich ist. Sicherlich beruhigt und beglückt den gestrengen Herrn Kritikus da die erhebende Erkenntnis, daß sich der innere Wert seiner eigenen Leistung mit ihrem äußeren Erfolge freilich in überraschendster Weise deckt. Denn von seiner Höllenverdeutschung hat sich seit siebenunddreißig Jahren bis heute noch immer nicht die geringste Notwendigkeit eines Neudruckes ergeben: was in anbetracht der Vorzüglichkeit seines Kommentars, wie ich neidlos anerkenne, lebhaft zu bedauern ist. Man kann eben ein spürsamer und knaupliger Kritiker, ja ein tüchtiger Dante forscher sein und doch ein erfolgloser Dante übersetzer. »Laß Neider neiden, Hasser hassen: Was Gott mir gönnt, muß man mir lassen.« Meine jetzt in mehr als hunderttausend Exemplaren verbreiteten Dantebücher sind wohl immerhin von einer gewissen Bedeutung für die Dantesache in Deutschland gewesen und haben dem Dichter ohne Zweifel zahlreiche Freunde zugeführt. Ich sage dies ohne Eitelkeit; aber Zahlen entscheiden. Dies ist mir Trost und Lohn! Denn trotz oder grade wegen dieser, und einer zweiten gehässigen Anpöbelung in der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft (Jahrg. 2, Heft 4, 1924), wozu er noch einen italienischen Helfershelfer mit einer absprechenden Kritik vom Jahre 1913 (!) herbeischleppt (olle Kamellen darbietet, wie unser mecklenburgischer Klassiker sagt, oder nach Juvenal »Crambe repetita« auftischt), wobei es nicht einmal feststeht, ob dieser italienische Gewährsmann überhaupt das Deutsche beherrscht und von der deutschen Dichtkunst mehr versteht, als mancher gelehrte Kritiker – (Dante wird mir diesen langen Schachtelsatz, da er solche selber liebt, gewiß verzeihen!) – also grade seit, trotz oder wegen dieser doppelten Anrempelung hat der Verkauf meiner verschiedenen Dantebücher wieder mächtig angezogen, wie die Verleger zu sagen pflegen. (Siehe die Fußnote S. 462.) Und das ist doch das »Allerwichtigste« (?). To be or not to be! – Es ist mir schließlich lieber, man spricht schlecht von meinen Arbeiten, als gar nicht; denn es scheint eine schlechte Kritik von Büchern die Kauflust ebenso zu erhöhen wie das Herunterreißen eines Dramas das Theater füllt. Also, bitte, gestrenger Herr Minos, peitschen Sie mit Ihrem kritischen Schweif, sooft Sie wollen, Ihre dürren Hüften und reißen Sie mich auch in Zukunft ruhig herunter. Meinen Übersetzungen schadet es nicht, und die Ihre wird dadurch nicht um ein Haar besser, trotzdem »Sie sich Tag für Tag von morgens bis abends mit Dante abmühen mögen« (auch wieder Kohler, der es ja wohl wissen muß), weil dies Ihre einzige Lebensaufgabe zu sein scheint, während andere Schreiber noch auf andern Gebieten etwas zu leisten sich bemühen. – Und dann noch eins! »Als beste Kritik hat mirs noch immer gegolten, Wenn besser auch macht der Tadler, was er gescholten.« Das wird nun wohl dem Herrn aus Schwetzingen – sollte das mit schwätzen zusammenhängen? – schwerlich gelingen; aber wenn doch, so soll ihm meine aufrichtigste Anerkennung nebst einem freundnachbarlichen Gruße nicht fehlen, was ihn von einem »so allseitig anerkannten und mit Recht gerühmten Danteübersetzer« gewiß höchlich erfreuen wird, wenn er anders etwas Sinn für Humor hat. Schließlich noch die Bemerkung, daß ich über solche Anspritzungen denke wie Dante, Hölle 31,79, also in keiner Weise mehr Sr. Arroganz antworten werde, und wenn er mich sogar bezichtigen sollte, nicht goldene Reime geschmiedet, sondern silberne Löffel gestohlen zu haben. – Denn im Andichten ist dieser Herr freilich viel stärker als im Dichten! Gute Freunde zu haben, ist im allgemeinen keine große Kunst – aber man muß doch schon ein gewisses Verdienst haben, um sich eines so beißlustigen Feindes rühmen zu können.

Sollte ich in berechtigter Abwehr unberechtigter Angriffe hie und da etwas scharf geworden sein, so entschuldige mich das Sprichwort: Wie es in den Wald hineinschallt, ebenso schallt es wieder hinaus.

Und so mag denn auch die vorliegende, mit sechzehn Bildern von Doré geschmückte Neuausgabe, unbekümmert um aufgeblasenen Gelehrtendünkel und niedrige Nörgelsucht, die sichern Schwingen entfalten und ihren Flug in die Weite nehmen, erfüllt von der Liebe zum Dichter und getragen von der Gunst der Leser.

Herrenalb im Schwarzwalde, am 4. Januar 1928.

R. Z.


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