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Elfter Gesang

    O Vater unser in den Himmeln droben,
Nicht eingeschränkt, von Liebe nur gehalten,
Die größer zu den Erstlingswerken oben,

    Geheiligt sei dein Name; und dein Schalten
Gelobt von jeglichem Geschöpf hienieden
Mit Dank für deines Odems holdes Walten!

    Es komme zu uns deines Reiches Frieden,
Weil wir aus eigener Kraft ihn nicht erringen.
Kommt er nicht selbst, wird er uns nie beschieden.

    Wie deine Engel beim Hosianna-Singen
Den eigenen Willen dir aufopfernd weihen,
So mag die Menschheit auch den ihren bringen.

    Dein täglich Manna woll uns heut verleihen,
Da ohne dies trotz nimmermüdem Streben
Wir irrgehn in des Lebens Wüsteneien.

    Vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben
All unsern Schuldigern, und sieh in Gnaden
Nicht an, was wir durch Schuld verdient im Leben.

    Und unsere Kraft, die der Versuchung Pfaden
So leicht verfällt, erlös von sündigen Trieben,
Daß uns der alte Feind nicht bringe Schaden.

    Die letzte Bitte, Vater, den wir lieben,
Sie dienet uns nichtmehr zur Wegesspeise,
Sie gilt für die, die jenseits uns verblieben.«

    So gingen, sich und uns heilsame Reise
Erbittend, jene Schatten unter Bürden,
Wie man sie wohl im Traum fühlt solcherweise,

    Rastlos im Kreise dieser ersten Hürden,
Wobei sie Angst und Müh verschieden litten,
Daß sie vom Erdenqualm gereinigt würden. –

     Wenn drüben die so liebreich für uns bitten,
Was können hüben für sie tun und sagen,
Die guten Willens sind und frommer Sitten?

    Vom Erdenwust, den sie noch ansichtragen,
Helfet sie säubern, daß sie würdig seien,
Zum Sternenkreis den Fittich aufzuschlagen. –

    »O soll euch bald Gerechtigkeit befreien
Und Mitleid, daß ihr regen könnt die Schwingen,
Die euerm Wunsch Befriedigung verleihen,

    Zeigt uns den nächsten Steig, emporzudringen.
Und giebt es ihrer mehr, sagt, wo der eine,
Der mindest-steil uns kann nach oben bringen.

    Denn mein Gefährte hier trägt Fleisch und Beine
Noch her von Adam, was ihn so beschwerte,
Daß schwach er steigt, wie stark sein Wollen scheine.«

    Die Antwort, deren Klang nun den belehrte,
Der mir voran die Führung übernommen,
Ließ mich erkennen nicht, wer sie bescherte.

    Doch ward gesagt: »Wollt mit uns rechtshinkommen
Den Sims entlang, so wird ein Aufstieg ragen,
Wie ihn schon leicht manch Lebender erklommen.

    Und müßt ich nicht den wuchtigen Felsblock tragen,
Der mir ins Joch den stolzen Nacken spannte,
Daß ich die Blicke muß zubodenschlagen,

    Würd ich den, der noch lebt und sich nicht nannte,
Betrachten, ob nicht meine Last zum Grame
Ihn rühre und ob ich vordem ihn kannte.

    Ich war Lateiner, großen Tuskers Same;
Wilhelm Aldobrandesco einst mich zeugte.
Nicht weiß ich, ob euch jemals klang sein Name.

    Der Ahnen Ruhm, das Blut, das ungebeugte,
Ließ jeden stolz mich höhnen, und vermessen
Mißachten die Allmutter, die uns säugte,

     Bis besser mich der Tod belehrte dessen,
Wie dies in Campagnatico die Kinder
Erzählen und Siena nicht vergessen.

    Umberto bin ich, und es riß nicht minder
Jedweden, der sich meines Namens freute,
Mit mir hinab mein Stolz, mein allzeit-blinder.

    Drum ward ich dieser Tragelast zur Beute
Und büße hier, bis Gott mich freispricht wieder,
Bei Toten, was ich lebend nicht bereute.«

    Gesenkter Stirn bog ich mich lauschend nieder.
Und einer drauf, nicht der da sprach soeben,
Verrenkte unter seiner Last die Glieder,

    Um auf michhin mühsam den Blick zu heben.
Da kannt er mich und rief mich an, der ihren
Rundgang gebückt-verfolgend schritt daneben.

    »Oh,« rief ich, » du bists, Oderis, der zieren
Agubbio wird, zieren die Kunst wie keiner,
Die in Paris man nennt illuminieren?« –

    »Bruder,« sprach er, »die Blätter lachen feiner,
Die ausgemalt von Franco Bolognesen.
Der Ruhm ist ganz nun sein, und hin ist meiner.

    So selbstlos wär ich lebend nicht gewesen,
Dies zu gestehn, weil ich vor Ruhmsucht brannte,
Als wär nur mein Werk trefflich und erlesen.

    Und dieser Stolz ists, der hierher mich sandte.
Und hier nicht einmal dürft ich jetzt schon schreiten,
Wenn ich als Sünder nicht zu Gott mich wandte.

    O eitler Ruhm der Menschenfähigkeiten!
Wie bald doch muß dein Wipfelgrün verfahlen,
Wenn dir nicht folgen kunstverarmtere Zeiten.

    Einst wähnte Cimabue wohl im Malen
Das Feld zu halten: heut hört man nur sagen
Von Giotto, der ihn wußt zu überstrahlen.

     So konnt ein Guido auch den andern schlagen
An Sprachruhm... und vielleicht? ist schon geboren,
Der den wie jenen wird vom Neste jagen.

    Der Weltruhm weht wie Wind vorbei den Ohren,
Dem schon, wenn er sich hier- und dorthinwendet,
Der Name mit der Richtung geht verloren.

    Was bleibt dir mehr vom Ruhm – ob du geendet
Als Hochbetagter, ob dein Mund verbleiche
Als lallend Kindlein, dem man Spielzeug spendet –

    Nach tausend Jahren? kürzer im Vergleiche
Zur Ewigkeit, als einer Wimper Zucken
Zum trägsten Sphärenlauf im Sternenreiche!

    Der dort vor mir hinschleicht in trägem Rucken,
Hat ganz Toskana einst erfüllt. Und zage
Nur raunt von ihm heut Siena, das nicht mucken

    Gedurft, als Herr er, und die Niederlage
Florenzias Wut erlitt, die einst als Garbe
So üppig stand, als niedrig heutzutage.

    Bei euch ist Nachruhm wie des Grases Farbe:
Es kommt und geht und jene läßts erblassen,
Die es erweckt aus rauher Erdennarbe.«

    Und ich: »Dein Wahrwort lehrt mich Demut fassen
Und senken die geblähte Hochmutsfahne.
Doch wer ist der, den du mich sehen lassen?« –

    »Salvani,« sprach er, »ists, der Provenzane.
Und weil er ganz Siena einzufangen
Gedacht, sieht er sich hier mit seinem Wahne.

    Nun geht er ruhlos, wie er stets gegangen,
Seitdem er starb. Solch Zoll wird hier erhoben
Von jedem, der zu hoch einst wollte langen.«

    Und ich: »Wenn doch ein Geist, der aufgeschoben
Die Reue hat bis in die letzten Stunden,
Und drunten harrt und nicht gelangt nach oben,

     (Falls ihn Gebete früher nicht entbunden)
Bis nochmals seine Lebenszeit vergangen:
Wie hat denn dieser Eintritt hier gefunden?« –

    »Als er gelebt in höchsten Ruhmes Prangen,«
Sprach jener, »hat er willig sich begeben
Auf Sienas Markt, frei, ohne schamhaft Bangen.

    Und dort – den Freund der Marter zu entheben
Im Kerker Karls – hat er derart verfahren,
Daß jeder Puls dabei ihm mußte beben.

    Mehr sag ich nicht und weiß, die Worte waren
Dir dunkel. Doch der Nachbarschaft Beginnen
Wird bald dir die Bedeutung offenbaren.

    Dies Werk nahm jene Schranken ihm vonhinnen.«


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