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C. Die Gliederung

Der Erwerbung guter Sachkenntnis muß die zweite Stufe folgen: die Gliederung. Sie wird bestimmt durch den Zweck der Rede: Was soll mein Vortrag erreichen? Gieb Dir selbst ganz klar und fest Antwort auf diese Frage. Alles, schlechthin alles, was nun an Arbeit folgt, steht unter diesem Zeichen.

Bist Du ein Baumeister, so mußt Du zunächst wissen, was Du bauen willst: ein Geschäftshaus, ein Luxushaus, eine Heimstätte. Dann erst kannst Du an das Entwerfen des Bauplans gehen. Allerdings kannst Du auch dann noch schwere Fehler machen, etwa zu wenig Fenster vorsehen, oder die Anlage der Treppen verfehlen, oder die Zimmer zu klein oder zu groß anlegen. Fehler bei solcher Gliederung können auch durch die feinste Ausführung im einzelnen später nicht gut gemacht werden. – Noch näher liegt für den Vertreter der »seelenbezwingenden« Redekunst das Bild des Feldherrn. Er muß sich zunächst klar machen, was in dieser Stunde von ihm geplant ist: ein Gefecht oder eine Entscheidungsschlacht, ein Erkundungsritt oder ein Generalsturm. Darnach gilt es, die einzelnen Glieder des Heeres zu ordnen. – Mit Recht sagt Herder (im 45. theologischen Briefe): »Alle Fehler verzeihe ich gern, nur die Fehler der Disposition nicht.« Auch für die Redekunst gilt das Wort aus den Heineschen Schöpfungsliedern:

»Das Schaffen selbst ist eitel Bewegung;
Das stümpert sich leicht zu jeder Frist –
Allein der Plan, die Überlegung:
Das zeigt erst, wer ein Meister ist.«

Das Ziel Deiner Rede mußt Du in einem ganz kurzen klaren Zwecksatz Dir selbst darstellen. Danach bestimmst Du das Thema.

Seine Formulierung ist nicht gleichgültig. Sie soll die Aufmerksamkeit wecken, Schwankende zum Besuch Deines Vortrags ermuntern. Nimm nicht ein zu allgemeines und deshalb blasses Thema. Oft wird es sich empfehlen, die Frageform zu wählen. Besser z. B. als »Der Neuaufbau Deutschlands« wirkt »Wie ist ein Neuaufbau Deutschlands möglich?«

Ist der Vortrag wesentlich für Angehörige eines bestimmten Berufs bestimmt, muß das Thema ihm angepaßt sein, z. B. »Welche Aufgaben hat die Schule auf dem Gebiet der staatsbürgerlichen Erziehung?« oder »Welches ist der gefährlichste Feind des Arbeiterstandes?«

Alle Glieder der Rede müssen dem einen Zwecke dienen. Tun sie das nicht, so schaden sie einander; ja, je stärker und schöner die einzelnen Gedanken an sich sind, desto größere Gegner sind sie Deiner Rede, wenn Du diese eben als das betrachtest, was sie sein soll: als ein Mittel, ganz bestimmte Erkenntnis, ganz bestimmten Willen zu wecken! Sie zerstreuen, statt zu sammeln. Ohne die Einheit, die der stete Hinblick auf den Zwecksatz gibt, wird die inhaltreichste Rede ein Haufen zufällig zusammengekramter Gedanken, aber nicht ein Heer, das kämpfen und siegen kann.

Alles Stoffsammeln, aber auch, was oft noch schwerer ist, alles Stoffausscheiden, muß bestimmt werden ausschließlich vom Zwecksatz. Jeder Redner hat Liebhabereien, Gedanken, auf die er besonders stolz ist, namentlich solche, von denen er sich einbildet, daß sie vor ihm niemand dargelegt hat – daran mag er sich allein oder im Kreise von Fachgenossen ergötzen, in der Versammlung hat nur die Versammlung und der Zweck der Rede ihr Recht.

Unter Umständen mußt Du dabei selbst scheinbar berechtigten Tadel ertragen. Als Karl Lueger Wien dem herrschenden Manchesterliberalismus entrissen hatte, lud er mich einmal zu einem Vortrag im großen Rathaussaal. Als wir vor dem Vortrag zusammensaßen, fragte der vielerfahrene Redner: »Was gedenken Sie heut Abend zu sagen?« »Ich habe die Bodenreformgedanken vorsichtig aufgebaut und aus großen Kirchenvätern und dem christlich-deutschen Mittelalter Beweisstellen und Anschauungsstoff vorbereitet, so daß ich hoffe, die Führer Ihrer Partei zu gewinnen.« Da sagte Lueger: »Nein, Sie müssen einen rücksichtslosen modernen Vortrag halten in den radikalsten Formen. Ich bin der einzige Redner nach Ihnen. Ich muß meinen Vortrag beginnen können mit den Worten: Ganz so schlimm wie Damaschke sind wir nicht, aber ... Sie verstehen, ich muß die Hausbesitzer in der Partei mitbekommen für die Beschlüsse des Wald- und Wiesengürtels und meiner anderen Pläne.« Ich erhob Einspruch: »Muß es nicht taktlos erscheinen, wenn ich das erste Mal in Wien solchen Ton anschlage?« Da sagte Lueger sehr ernst: »Welches ist das Ziel des heutigen Abends? Daß ein paar tausend Menschen sagen, Damaschke ist ein taktvoller Redner, oder daß wir durch diesen Abend Beschlüsse erleichtern, die blassen Wiener Frauen und Kindern ein wenig frische Luft und Grün und Gesundheit bringen?« Und der Abend verlief, wie er gewünscht hatte. –

Auf dem Gebiet der Gliederung gilt es zuerst, den Stoff scharf zu begrenzen. Wenn je, dann zeigt sich hier in der Beschränkung der Meister.

 

Dauert ein volkstümlicher Vortrag länger als eine Stunde, so ist er mangelhaft aufgebaut. Man frage sich selbst, ob man geneigt oder auch nur befähigt ist, länger als eine Stunde ununterbrochen Gedanken prüfend zu verfolgen. Es gibt Ausnahmen, doch nur seltene, und in der Regel wird ein Vortrag von ¾ Stunden wirkungsvoller sein als einer, der den Zeitraum einer Stunde übersteigt.

»Der Rede Kürze ist ihre Würze.« Auf neun Klagen darüber, daß ein Vortrag zu lang gewesen sei, kommt kaum eine über zu große Kürze. Und es ist jedenfalls für einen Redner vorteilhafter, daß man mit dem Wunsche von ihm scheidet, mehr von ihm zu hören, als daß er ein Gefühl des Überdrusses hinterläßt.

Der alte Horaz schon preist als einen Segen der Ordnung die Kunst der Beschränkung: »Und unter manchem Vorteil, der durch Ordnung gewonnen wird, ist sicher keiner von den kleinsten: daß man immer wisse, was zu sagen ist, doch vieles, was sich auch noch sagen ließe, jetzt zurückbehalte!«

Friedrich Wilhelm I. war ein frommer Mann, der fleißig in die Kirche ging und gern wollte, daß auch sein Volk sie fleißig besuche – deshalb gab er die aus dem Leben geschöpfte Verfügung: Jeder Prediger, dessen Predigt länger als eine Stunde dauert, muß 2 Taler Strafe zahlen!

Die scheinbar einfache Forderung, den Stoff scharf zu begrenzen, setzt ein starkes Maß von Selbstzucht voraus. Man hat auf einem Gebiet gearbeitet. Man hat sich Wissen angeeignet und dessen Wichtigkeit in steigendem Maße erkannt. Man möchte doch auch zeigen, wieviel man weiß – und nun soll man sich beschränken, auch auf die Gefahr hin, daß der eine oder andere Zuhörer denken könnte, man wisse nicht mehr, als man gerade in diesem einen Vortrage ausführt!

Wie viele sind der Versuchung erlegen, haben zu lange geredet und damit ihre ganze Arbeit zur Unfruchtbarkeit verdammt.

Nach werbenden, kämpfenden Vorträgen hat man ja auch immer noch Gelegenheit, auf Anfragen und Einwürfe zu antworten, oder im Schlußwort einzelne Gedanken, die nach Stunde und Ort wichtig erscheinen, ergänzend auszuführen. Übrigens kann man in einer Stunde recht viel reden, etwa 16-20 Druckseiten im Format dieses Buches: wahrlich Geistesnahrung genug für einen Vortrag.

Was soll man nun für diese eine Stunde auswählen?

 

Darüber entscheidet die große Kunst aller erziehlichen Tätigkeit, zu der ja auch die Rhetorik gerechnet werden darf: das Individualisieren.

Man muß sich den Kreis von Menschen vorstellen, auf den die Rede wirken soll. Vor geschulten Nationalökonomen unsere Wahrheit zu verteidigen, erfordert eine andere Stoffauswahl als vor Fabrikarbeitern. Wo eine Schulung im abstrakten Denken und ein reichliches Maß von Fachwissen vorauszusetzen ist, wird die theoretische Stellung der Bodenreform zu den anderen großen Systemen der Nationalökonomie in den Mittelpunkt zu stellen sein. In einem anderen Fall wird es sich darum handeln, durch Beispiele aus dem Anschauungskreise der modernen Industriearbeiter die Bedeutung der Grundrente für die gesamte Lebenshaltung zu gewinnen. Vor Landwirten wird das Problem der Hypothekarverschuldung und der ländlichen Allmende usw. ausführlicher zu behandeln sein als in der Mieterversammlung der Großstadt, in der wohl die Wohnungsfrage und die Frage der Familiengärten besonderer Aufmerksamkeit sicher ist. In industriellen Kreisen wird die Organisierung der Rohstoffgewinnung, die Bergwerksfrage, die Frage der industriellen Verwertung der Wasserkräfte zu betonen sein usw.

Dabei ist eine Gefahr zu meiden. Man darf nicht glauben, fachwissenschaftlich reden zu sollen. Man darf das – vielleicht – einmal tun, wenn man demselben Berufe wie der Hörerkreis angehört. Sonst soll man sich davor hüten, da die Hörer doch bald erkennen, daß man auf ihrem Berufsgebiete ein Laie ist. Dazu kommt, daß die Hörer von einem Nichtfachmann gar keinen fachwissenschaftlichen Vortrag erwarten oder auch nur wünschen.

Ein anderer Mißgriff wäre es, aus dem Bodenreformkreis ausschließlich solche Gedankenreihen zu bringen, die dem Fachinteresse der Hörer besonders nahe liegen. Auf ihnen muß das Hauptgewicht liegen; aber irgendwie muß noch ein anderer großer Gesichtspunkt herausgearbeitet werden, damit die Zuhörer empfinden: hier handelt es sich um ein umfassendes Problem, das weit über den Kreis eines Berufes hinaus entscheidende Bedeutung hat.

Eine besondere Art des Individualisierens verlangt das Reden auf Bundestagen. Solche Vorträge hat man in der Regel besonders gut vorbereitet. Und doch muß man unter Umständen die sittliche Kraft haben, auf den Vortrag der Rede, an die man soviel Arbeit gesetzt hat, zum Teil zu verzichten. Oft wird die Zeiteinteilung solcher Tagungen durchbrochen, so daß für Rede und Aussprache nur noch eine viel kürzer begrenzte Zeit zur Verfügung blieb, als vorgesehen war. Hier soll ein Redner auf die völlige Wiedergabe seines schön ausgearbeiteten Vortrages verzichten, indem er etwa erklärt: »Ich möchte aus meinem Vortrag in dieser Stunde nur den Teil vortragen, den ich am liebsten als Grundlage unserer Aussprache sehen möchte.« – Ich habe viele Bundestage mitgemacht und nur selten solche Selbstüberwindung erlebt! Aber manchesmal habe ich mir ausgemalt, wieviel Dank persönlicher und sachlicher Art ein Redner dadurch erringen könnte, der nun durch den Vortrag seiner ganzen Rede Freudigkeit und Zeit nimmt.

 

Ein besonderer Takt gehört dazu, in einer fremden Gemeinde über Gemeindepolitik zu sprechen. Zwei Irrwege sind zu meiden. Der eine: Man kümmert sich gar nicht um die konkreten Verhältnisse und wählt dann vielleicht die Fragen der Familiengärten und des Heimstättenrechts – während diese Fragen bereits eine gewisse Lösung gefunden haben. Dagegen unterläßt man, über die Ausgestaltung der Grundwertsteuer oder über die Zusammenhänge zwischen Schularbeit und Wohnungsnot zu sprechen, für welche Fragen besonderes Interesse vorhanden wäre. Man muß sich vorher möglichst unterrichten über die Aufgaben, die in dieser Gemeinde gerade jetzt der Lösung harren.

Der andere Irrweg: Die Mißstände, die einem mitgeteilt worden sind, nun als Mißstände dieser Gemeinde hinzustellen und zu ihrer Bekämpfung aufzufordern!

Es ist leicht möglich, daß man in der Darstellung der örtlichen Verhältnisse einen Irrtum begeht. Ein solcher aber würde, auch wenn er an sich noch so geringfügig wäre, die Wirkung des ganzen Vortrags gefährden. Der einfache Mann sagt sich z. B.: Wenn der Redner nicht einmal weiß, daß hier in unserem Orte an der Friedrichstraße mehr leere Baustellen liegen als an der Ludwigstraße – wenn er also dort, wo ich nachprüfen kann, unzuverlässig ist, dann glaube ich ihm auch dort nicht, wo ich nicht nachprüfen kann! – Bewußt oder unbewußt wird es ferner von jedem als eine Taktlosigkeit empfunden, wenn ein Redner, der nur vorübergehend in einer Gemeinde ist, ihren Bürgern Vorschriften für ihre unmittelbare Betätigung machen will.

Ganz anders ist die Wirkung, wenn man einen Mißstand, den jeder von den Zuhörern aus eigener Erfahrung kennt, hinstellt etwa als Beispiel, wie in manchen Gemeinden sich die Verhältnisse entwickeln können, wenn nicht bodenreformerische Gedanken mächtig sind. Stellt man so vorhandene Mißstände als angenommene Möglichkeiten hin, wird der Zuhörer unwillkürlich auch zu den Lehren eines Redners Zutrauen schöpfen, deren einzelne Folgerungen er durch Anschauung und Vergleich als zutreffend empfindet.

Komme ich zu einem Vortrag in einen kleineren Ort, suche ich mir im Gasthof nicht die großen Zeitungen, sondern möglichst die Ortszeitungen und lese dort die Nachrichten aus dem Ort und der Umgebung und, nicht zu vergessen, die Anzeigen. Man weiß dann, was die Hörer erlebt haben, was sie treiben, was sie geistig aufgenommen haben. Der Vortrag wird wurzelechter oder kann es wenigstens werden.

 

Was sollen wir tun, wenn uns ein Thema gestellt wird, wie »die Bodenreform als die Antwort auf die soziale Frage« oder »das Problem der deutschen Bodenreform« oder ein ähnliches umfassendes Thema? Jedenfalls darf man nicht den Versuch machen, etwa die ganze Frage zu erschöpfen. Wieviel fleißige Arbeit bleibt infolge solcher Versuche nicht nur völlig wirkungslos, sondern wirkt geradezu schädlich!

In einer Organisation, in der alles auf Freiwilligkeit beruht, ist es manchmal schwer, gegen guten Willen, Eifer und Fleiß Einwendungen zu erheben. Und deshalb möchte ich an dieser Stelle unsere Freunde bitten, ihre Vorträge von diesem Gesichtspunkt aus zu prüfen: Haben sie nicht zu vielerlei zu bieten versucht?

Man bedenke, daß für die meisten Menschen sogar die nationalökonomische Ausdrucksweise etwas Ungewohntes ist. Mit Worten wie Überproduktion, Unterkonsumtion, Grundrente, Grundwert- und Zuwachssteuer, Erbbaurecht, Wiederkaufs- und Ankaufsrecht, Bauordnung, Bebauungsplan, Amortisationshypothek, Entschuldung, Reichsheimstätte usw. verbinden nur wenige einen klaren Begriff. Will man aber den Inhalt aller dieser Worte auseinandersetzen, so wird der ganze Vortrag nichts als eine Sammlung von verstandesmäßigen Erklärungen, die natürlich keine erwärmende Kraft haben können. Erklärt man jene Ausdrücke dagegen nicht, so bleibt der Vortrag in großen Teilen unverständlich und nährt in dem Zuhörer das alte Vorurteil, daß Volkswirtschaft etwas Langweiliges, Unverständliches sei, das nur Fachleute interessieren könne.

Wer einen Vortrag erschöpfend gestalten will, wird zwar sein Thema nicht erschöpfen, wohl aber ganz gewiß seine Zuhörer. »Alles sagen zu wollen, ist das Geheimnis, langweilig zu werden!« sagt Voltaire. Und langweilig sein ist die größte Sünde jedes Vortrags.

Ist einem ein umfassendes Thema gestellt, so nimmt man es natürlich ruhig an, wenn man Wert auf die Gelegenheit legt, vor der einladenden Organisation seine Gedanken zu entwickeln. Die Rede selbst aber baut man auf, indem man in der Einleitung kurz auf die Größe und Vielseitigkeit des Themas hinweist, dann je nach der Eigenart des Hörerkreises einen Punkt herausgreift, dem man etwa drei Viertel der zur Verfügung stehenden Zeit widmet. Hat man daran anschaulich das Wesen unseres Strebens gezeigt, kann man ruhig noch andere Seiten des Programms kurz anführen, es wird doch ein einheitlicher Eindruck bleiben, der den Willen weckt, sich mit dieser Frage näher zu beschäftigen. Das aber ist die höchste Wirkung, die von einem Vortrag erwartet werden kann.

Damit erfüllt man auch alle sittliche Pflicht, die man bei der Annahme eines Vortrages trotz seines unmöglichen Themas übernimmt. Denn es gibt Gesetze, die nur deshalb nicht stets besonders ausgesprochen werden, weil sie sich von selbst verstehen, und dazu gehört auch dieser Vorbehalt: ein Vortrag von einer Stunde kann niemals ein wichtiges Gebiet erschöpfen, sondern nur Anregungen geben und den Weg weisen, auf dem man in selbsttätiger Arbeit weiter in ein Gebiet eindringen kann.

Und diesen selbstverständlichen Vorbehalt möchte hiermit auch diese kleine Schrift in Anspruch nehmen, die natürlich auch auf ihrem eng begrenzten Raum nichts weiter als solche Anregungen zu bieten vermag.

 

Ob man die einzelnen Teile der Gliederung ankündigt oder nicht, wird vom Einzelfall abhängig sein. Viele Prediger halten daran fest, die Teile, die sie behandeln wollen, anzukündigen. Und das hat gewiß seinen Wert. Quintilian empfiehlt es, weil die Glieder der Rede, die der Hörer kenne, ihm »wie die Meilensteine dem Wanderer viel von der Mühsal des Weges abnehmen, da er immer weiß, wieviel ihm noch bevorsteht.« Von den Rednern unserer Zeit stehen Naumann und Traub auf gleichem Boden.

Naumann: »Was ein Redner unter allen Umständen besitzen muß, ehe er den Mund auftut, ist die Stoffeinteilung. Alles andere kann während des Redens zufließen, die einteilende Logik aber muß vorher gearbeitet haben. Die alte Kanzelgewohnheit, Thema und Teile anzukündigen, riecht etwas nach Schulstube, hat aber auch für nichtreligiöse Reden sachlich vieles für sich. Sie ist ein heilsamer Zwang zur Ordnung.« Traub: »Die Hauptsache ist, daß das Publikum merkt, der Mann hat sich vorbereitet. Man muß immer wissen: das Publikum will geführt sein.«

Da, wo die Hauptaufgabe des Vortrags rein belehrend sein soll, wird in der Tat oft eine Ankündigung der Disposition am Platze sein, wie ich ja auch von vornherein die fünf Stufen der Rhetorik, die wir zusammen ersteigen wollen, genannt habe.

Aber in allen kämpfenden, werbenden Vorträgen vermeide ich diese Ankündigung in der Regel. Hier hat der Augenblick sein Recht, und man will nicht durch die immer wiederholte Disposition daran erinnert werden, daß der Redner seine Ausführungen sorgsam vorbereitet hat, d. h. daß es Gedanken und Worte von gestern oder vorgestern sind, die in dieser brennenden Stunde vorgesetzt werden.

Es ist eine alte Streitfrage, in der schon die Meinungen von Cicero und Quintilian auseinandergingen, wie man die Glieder eines Vortrags anordne, ob man die wirkungsvollsten Gründe an den Anfang oder an den Schluß stellen solle. Cicero war der Anschauung, man solle namentlich bei den Gerichtsreden mit den besten Gründen beginnen. Wenn der Hörer sofort einen guten Eindruck erhalte, so werde er willig dem Gedankengange des Redners folgen. Quintilian dagegen rät, sein Bestes erst am Ende auszusprechen, weil der Schlußeindruck über die Gesamtstimmung entscheide.

Zweifellos sind Anfang und Ende die wichtigsten Glieder jeder Rede. Wenn ich nicht Zeit finde, die Einzelheiten einer Rede vorher festzulegen, so bemühe ich mich doch stets, und sei es auf dem Weg ins Vortragslokal oder, im schlimmsten Fall, auf dem Gang zur Rednertribüne, Anfang und Schluß der Rede möglichst bestimmt vorher zu formulieren. Ein ungeeigneter Anfang kann den ganzen Abend verderben. »Wenn man das erste Knopfloch verfehlt«, mahnt Goethe, »kommt man mit dem ganzen Zuknöpfen nicht zustande. Der Anfang muß gut sein.«

Häufig beginnen Redner, namentlich in der freien Aussprache, mit der Bitte um Entschuldigung, daß sie es wagen, überhaupt die Aufmerksamkeit der Hörer in Anspruch zu nehmen. Ein solcher Anfang ist immer ein Fehler. Ist die Rede sachdienlich, so bedarf es keiner Bitte um Entschuldigung. Ist sie aber wertlos, hilft solche Einleitung auch nicht.

Jeder Redner schadet sich, der von vornherein den Hörern zeigt, daß er überzeugt ist, mehr zu wissen als sie. Wähle nicht Formen wie: »Ich will zu Ihnen über diese oder jene Frage sprechen«, sondern: »Wir wollen miteinander diese Frage betrachten«, und dann gehe aus von den Anschauungen und Erfahrungen des Kreises, vor dem Du sprichst: »Niemand hört Dir gläubig zu, wenn Du beginnst: ich bin klüger als Du. Drum wenn Du andere willst belehren, mußt Du Dich erst zu ihnen bekehren« (Rückert). –

Zu vermeiden ist, im Anfang schon begeistert von einer Sache zu sprechen. Wie sollen die Zuhörer dieses Gefühl teilen, ehe sie die Sache selbst kennen? In der Regel ist es die Aufgabe der Einleitung, in den Zuhörern, in denen vielleicht Vorurteile und Mißtrauen lebendig sind, das Bewußtsein zu wecken, daß es sich um eine wichtige Sache handele, deren ernste Prüfung auch ihnen Gewissenspflicht sei. Auch die Einleitung zu diesem Büchlein geht ja von dem gleichen Gedanken aus, indem sie zu zeigen sucht, welche Macht die Beredsamkeit einst war, und wie sie durch die Entwicklung unserer Zeit auch für uns wieder immer größere Bedeutung erlangt, und dem, der ihrer Herr wird, Einfluß und Macht verleiht. Aus solchen Gedanken heraus wird dann ein aufmerksameres Studium der folgenden Blätter erwartet, als ihnen ohne solche Erkenntnis wohl zuteil würde.

Gefährlich ist es, in den Anfang eine Höhenlage des Tons und der Gefühle zu legen, die einen ganzen Vortrag hindurch nicht in gleichem Maße zu erhalten ist. Bei ganz kurzen Ansprachen, wie bei Grundsteinlegungen und Fahnenweihen, mag ein solcher Versuch durchführbar sein. Bei jeder längeren Rede kann ein zu hoher Einsatz die ganze Ausführung gefährden. Ein in den Schriften über Rhetorik mehrfach erwähntes Beispiel eines falschen Anfanges bietet die Leichenrede des berühmten Kanzelredners Massillon. Ihn hatte Ludwig XIV. nach einer Predigt mit einem feinen Wort geehrt: »Ich habe viele Redner in meiner Kapelle gehört, mit denen ich sehr zufrieden war. Als ich Sie aber gehört habe, wurde ich mit mir selber unzufrieden!« Nun stand Massillon am Sarge Ludwigs XIV. und begann mit den Worten: »Gott allein ist groß!« Alles, was nach solchem Anfang überhaupt noch gesagt werden konnte, mußte eine Umschreibung oder Wiederholung dieses Gedankens sein und deshalb abschwächend wirken. Hätte der Redner mit einer Schilderung des Glanzes und der Größe des Königs, der nun in diesem Sarge der Verwesung harren müsse, begonnen, so hätte jener Satz als Zusammenfassung der Todeswahrheit ein gewaltiger Schluß werden können; aber so mußte »dieser Anfang die Rede töten«.

Der Anfang muß die Hörer willig machen zu folgen. Am 16. Dezember 1917 sprach ich im großen Hauptquartier. Der Vortrag wurde 8 Uhr 40 Minuten abends angesetzt. Hindenburg, Ludendorff, Krafft von Delmensingen, der in derselben Nacht wieder zum italienischen Heer abreisen mußte, und die anderen Herren waren augenscheinlich durch wichtigste Arbeiten ermüdet. Welche Einleitung konnte sie willig machen zu folgen? Da nahm ich als Einleitung einen kurzen Hinweis: Die Bodenreform sei von Tirpitz in Kiautschou durchgeführt mit dem bekannten Erfolg: eine »Musterstätte deutscher Kulturarbeit«, eine Verteidigung, die »Pflichterfüllung bis zum Äußersten« zeigte. Ich wies auf Beispiel und Gegenbeispiel der afrikanischen Kolonien hin: Südwestafrika und Kamerun waren großen Landgesellschaften ausgeliefert; in Ostafrika verhinderte Hermann von Wißmann, ein Mitglied des Bundes Deutscher Bodenreformer, ihre Herrschaft. Die Stadt Tanga, die erste Stadt auf afrikanischem Boden, die sich unserm Bunde anschloß, trieb im großen Maße Heimstättenbildung auch für die Eingeborenen. Erfolg: Treue auch in der Not – der Sieg bei Tanga. Mit dieser Einleitung erreichte ich, daß die Mitglieder des Generalstabs die Bodenreform nicht als blutleere Theorie ansahen und auch die vaterländische Bedeutung der Heimstättenbildung erkannten. Und als ich schloß: die Bodenreform der Kampf für das deutsche Kind, für die deutsche Zukunft! da entsprangen jener Stunde die bekannten Briefe von Hindenburg, Ludendorff, Delmensingen usw., die seitdem zur Kulturgeschichte dieser Tage gehören. –

Ein guter Redeanfang ist der halbe Sieg des Abends; aber an Wichtigkeit ihm zum mindesten gleich steht der Schluß.

Wieviel fleißige, gedankenreiche Reden verhallen wirkungslos, wenn der Redner »nicht zu Ende kommen kann«. Der Hörer, der willig gefolgt ist, glaubt nach dem Aufbau und dem Tonfall der Rede, nun den Schluß erwarten zu dürfen. Er ist befriedigt. Da wirkt es wie eine Enttäuschung, wenn der Redner wider Erwarten fortfährt – in den meisten Fällen nur, um bereits Gesagtes mit anderen Worten zu wiederholen. Es gibt Redner, die drei, viermal solche Schlußabteilungen bringen. Sie gleichen dem Manne, der nach dem Abschied immer noch einmal zurückkehrt und damit auch gute Freunde ermüden, jedenfalls aber nicht das Gefühl der Ruhe und Sicherheit erwecken wird. Wie oft verderben die letzten fünf Minuten, was die vorhergehende Stunde aufgebaut hatte. Das Ende der Rede muß ganz bestimmt, klar, fest sein. Hier ist jedes überflüssige Wort vom Übel. Die Aufgabe des Schlusses ist es, nach einer kurzen Zusammenfassung der Vortragsgedanken nun den Willen des Hörers aufzurufen für die erkannte Wahrheit. Darf man die Seele des Hörers mit einer Festung vergleichen, so sind alle Ausführungen der Rede gleichsam Laufgräben, die heranführen sollen, Geschützfeuer, das Bresche legen soll. Der Schluß aber ist der Generalsturm, der nun deine Fahne in der Seele des Hörers siegreich aufpflanzen soll. Eine Rede, die nicht Willen weckt, Entschlüsse zeitigt, dem Streben eine bestimmte Richtung gibt, gehört nicht in das Gebiet der Beredsamkeit. Beredsamkeit bleibt stets die Kunst zu bereden, d. h. in einer Weise zu reden, die den Willen anderer bestimmend beeinflußt. –

Hat man aus der Fülle des Stoffes so viel gewählt, daß der Vortrag höchstens eine Stunde in Anspruch nimmt; hat man Aufgabe und Ziel der Rede klar gefaßt und danach die einzelnen Teile – zumal Einleitung und Schluß – scharf gegliedert, dann gilt es, die dritte Stufe zu ersteigen, auf der es sich um die Wahl des Ausdrucks handelt.


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