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II. Von der Anwendung der Redekunst

A. Fleiß und Begabung

Wo ist die Werkstatt, drin die sichere Waffe,
Das Wort, zum Pfeil, zum Schwert, zum Helm und Schild
Geschaffen wird? Nicht wenig liegt daran,
Zu Schutz und Trutz es tüchtig zu besitzen.
Es recht zu schmieden, ist die große Kunst,
Ist unsrer Zeit fast einziges Bestreben;
Denn nicht mehr auf des Degens Spitze nur –
Auch auf der Lippen Schneide ruht die Welt.

(Gustav Schwab.)

Wie meistert man das lebendige Wort? Auch hier haben die Götter vor jeden Erfolg den Schweiß gesetzt. Ohne feste und zähe Arbeit ist auf diesem Gebiete so wenig etwas zu leisten wie in irgendeiner anderen Kunst oder Fertigkeit. Schon die Weisheit, die vor Jahrtausenden in den Sprüchen Salomonis gesammelt wurde, kommt zu dem Urteil: »Siehest du einen schnell zu reden – da ist an einem Narren mehr Hoffnung, denn an ihm.«

Gerade die begabtesten und erfolgreichsten Redner aller Zeiten sind auch stets die Fleißigsten und Treuesten in der Arbeit gewesen. Demosthenes sprach, gleich Perikles, fast niemals öffentlich ohne sorgfältigste Vorbereitung. Als einer der zungenfertigen Redner, die in Athen ja nicht selten waren, ihn deshalb durch die spöttische Bemerkung verächtlich zu machen suchte, seine Reden »röchen nach der Lampe«, wandelte Demosthenes diesen Tadel in Lob, indem er offen zugab, daß er viele Stunden einsamer Arbeit daransetze, ehe er mit seiner Rede vor das Volk trete, daß er das aber tue gerade aus Achtung vor dem Volke, dem man nur etwas bieten dürfe, was gewissenhaft durchgearbeitet sei; wer aber auf seine Rede nicht ernsten Fleiß verwende, beweise damit seinen Hochmut den Bürgern gegenüber und suche den Beifall mehr zu erschleichen, als zu verdienen!

Cicero erzählt, daß er sich von früher Jugend an täglich »einem Athleten gleich im Gebrauch der Waffen der Redekunst unermüdlich geübt habe«. Er erinnert daran, daß ein so glänzend begabter Redner wie Hortensius lediglich aus Nachlässigkeit von der schon errungenen Stufe rednerischer Kunst herabgesunken sei. – Einst war es Cicero unmöglich, sich auf eine wichtige Rede genügend vorzubereiten. Da meldete ihm ein Sklave die Verschiebung der Gerichtssitzung um einen Tag. Cicero war so erfreut, Zeit zu einer sorgfältigeren Vorbereitung zu gewinnen, daß er dem Sklaven sofort die Freiheit schenkte.

Aus unserer Zeit mögen zwei Redner zeugen, ein geistlicher und ein weltlicher. Als eindrucksvollster evangelischer Kanzelredner des Kaiserlichen Deutschland gilt Ernst von Dryander. Er erzählt in seinen » Erinnerungen aus meinem Leben« aus seiner Pfarrzeit in Bonn:

»Der Historiker Prof. von Noorden fragte mich einmal, wieviel Zeit – aber wirkliche Arbeitszeit! – ich zur Ausarbeitung einer Predigt brauche und antwortete auf meine Gegenfrage, wieviel man nach seiner Meinung brauchen müsse: 12 Stunden! Er war befriedigt, daß ich noch mehr nötig hatte!« »Jedenfalls, das kann ich mit gutem Gewissen behaupten, habe ich mir niemals die Predigtarbeit leicht gemacht, und nie ohne sorgfältigste schriftliche Aufzeichnung geredet. Ja, meist wurde ein erster Entwurf so ausführlich, daß ich die Predigt als zweimal geschrieben hätte bezeichnen können.«

Von Karl Trimborn, dem berühmten Zentrumsführer, erzählt sein langjähriger Kampfgenosse, der Leiter der »Kölnischen Volkszeitung« H. Cardauns« in seinem »Zeit- und Lebensbild« (1922):

»Die gespannteste Aufmerksamkeit konnte er wecken, sachliches Interesse, Begeisterung, Rührung. Sein Publikum konnte Tränen weinen und Tränen lachen. Langweilig wurde er nie.« ... »Für wichtige Versammlungen war ihm das Reden nicht leicht und durchaus kein Vergnügen, wenigstens nicht, ehe er den ersten Satz hinter sich hatte, auch nicht, als er seinen ursprünglich recht störenden Sprachfehler durch stete Übung überwunden hatte. Dieser Beherrscher des Ausdrucks litt an Kanonenfieber und bereitete sich vor mit ängstlicher Sorgfalt. Oft gibt er in den Briefen an seine Frau der Sorge und Mühe Ausdruck, die ihm eine rednerische Verpflichtung bereite, bittet sie gar um ihr Gebet, daß es gut gehen möge.«

Für alle Redner, geistliche und weltliche, gilt die Mahnung, die einst Klaus Harms, der überaus begabte evangelische Kanzelredner erlebte. Er hatte in fröhlicher Gesellschaft einmal versäumt, sich auf die Predigt vorzubereiten. Halb verlegen, halb spöttisch trösteten die Freunde: »Der heilige Geist wird sich Dir schon auf der Kanzel vernehmlich machen.« Der Gottesdienst ging ohne Störung vonstatten. Zufrieden, daß alles »glatt« abgelaufen war, fragte einer der Freunde: »Nun, hast Du die Stimme des heiligen Geistes auf der Kanzel gehört?« »Jawohl, sogar sehr deutlich.« Erstaunt fragte der Freund: »Was hat sie Dir denn gesagt?« Da antwortete Klaus Harms sehr ernst: »Als ich auf der Kanzel stand, da hörte ich sie zu mir sagen: »Siehe, da sind Menschen, denen Dein Wort etwas sein könnte, und die etwas anderes von Dir verlangen können als die glatten Worte, die Du ihnen heut doch höchstens geben kannst. Schäme Dich, Klaus Harms, und laß Dir solche Gewissenlosigkeit nicht wieder zuschulden kommen.« –

Es ist auf dem Gebiet der Rhetorik wie überall im Leben: Die schönste natürliche Begabung zerflattert ohne Wirkung und Segen, wenn sich ihr nicht Fleiß und Zucht gesellen.

 

Gewiß, auch für den Redner gilt, was Hebbel für den Schriftsteller sagt: »Was einer werden kann, das ist er schon!« Gewiß, er ist es, wie Halm, Blüte und Frucht bereits im Samenkorn ist; aber es kommt doch sehr darauf an, ob man das Samenkorn zertreten läßt oder vertrocknen, oder ob es durch treue Pflege zu glücklicher Entfaltung gelangen kann.

Ein Meister des Wortes, wie Herder mahnt:

»Wie die Musik eine Tonleiter hat, auf der die Stimme auf- und absteigend üben muß, so hat die Rede ein weites Reich von Gegenständen, Gesinnungen, Leidenschaften, Empfindungen, Zuständen der Seele usw., deren Ausdruck sie zu schaffen und auf die mächtigste, angenehmste weise darzustellen hat. Daß sie dieses zu tun vermöge, dazu gehört Übung; denn auch in der Kunst, seine Sprache zu gebrauchen, fällt der Meister so wenig vom Himmel, als in der Tonkunst.«

Und der größte unter Deutschlands Künstlern Goethe urteilt: »Mit der Kunst ist es, wie mit allem: nur die Fähigkeit dazu wird uns angeboren, sie will gelernt und sorgfältig geübt sein.« Und an anderer Stelle:

»Die Kunst bleibt Kunst! Wer sie nicht durchgedacht, Der darf sich keinen Künstler nennen; Hier hilft das Tappen nichts; eh' man was Gutes macht, Muß man es erst recht sicher kennen.«

Gewiß hat der vielseitige Meister auch die Grenzen des Fleißes gekannt: »Nur ein Teil der Kunst kann gelehrt werden, während der Künstler sie ganz braucht.«

Kein ehrlich Strebender aber wird den Teil der Kunst, der lehrbar ist, gering schätzen oder gar auf ihn verzichten wollen. Selbst die wenigen wirklich gottbegnadeten Künstler, die etwas wahrhaft Großes auch ohne besondere theoretische Ausbildung zu schaffen vermöchten, werden in jedem Falle Gewinn davon haben, wenn sie die erkennbaren Gesetze ihrer Kunst durchdenken.

 

Das System der Rhetorik der alten Hellenen und Römer und auch des christlichen Mittelalters kannte fünf Stufen. Wenn man auch die Anordnung heute wohl leicht anders gestalten könnte, so hat es doch seinen Reiz, dieselben Stufen aufzusteigen, auf denen seit mehr als zweitausend Jahren unzählige Menschenkinder aller Art – zagend und zögernd oder selbstsicher stürmend – auf die Höhe der rhetorischen Kunst zu gelangen strebten.

Nehmen also auch wir diese klassische Einteilung an, ohne natürlich dabei die Aufgaben unserer Zeit künstlich in alte Formeln zwängen zu wollen. Danach handelt es sich bei der Rhetorik um:

  1. den Stoff,
  2. seine Gliederung,
  3. seinen Ausdruck,
  4. das Aneignen,
  5. den Vortrag.

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