Felix Dahn
Herzog Ernst von Schwaben
Felix Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Buch.

1.

Sonder Hemmnis und Schädigung gelangte das »Botenschiff« mit der stattlichen Schar von deutschen Rittern und Geistlichen auf dem nächsten damals üblichen Seewege von Italien aus – von Brindisi über Athen – nach Byzanz.

Kaiser Constantinus nahm sie mit Glanz und Ehren auf und schien auch auf alle Wünsche und Vorschläge des Königs bereitwillig einzugehen, so daß Ernst voll befriedigt lobende Berichte nach Hause schrieb. Werner aber schüttelte den schwarzen Krauskopf: »ich trau' nicht ganz,« meinte er, als die Freunde eines Abends allein bei den Bechern in dem marmorgetäfelten Trinkgemach des ihnen zur Wohnung angewiesenen prachtvollen »Xenodochion« des Kaiserpalastes saßen. »Es müßten nicht Byzantiner sein, dächten sie, wie sie sprechen. Nur von einer Art Menschen hier glaub' ich, daß sie uns wirklich recht aufrichtig gewogen sind: das sind die Mädchen. Wenn wir durch die Straßen reiten, – beim ersten Klappern der Hufe, beim fernen Klirren unserer Waffen schon werden die dunkeln Köpflein in den weißen Schleiern sichtbar an den Fenstern – schmal, wie bei uns zu Hause Pfeilscharten, nur zum Heraus-, nicht zum Hineinschauen. Und – wie billig! – fällt dir der Hauptanteil dieser warmen Blicke zu, ›Der schöne Barbar‹, ›der Apoll des Abendlandes‹ heißt du.« – »Schwätzer! Woher weißt du . . .?« – »Nun,« lachte Werner, »ein Teil an der Liebesbeute fällt auch wohl mir zu. Und ich gehe nicht wie du unbarmherzig kühl wie mit geschlossenen Augen an all dem heißen Weibervolk vorüber: – ich sehe mir alle scharf an und, sind sie hübsch, bin ich nicht grausam. Ich pirsche freilich nicht auf Kaisertöchter: – unter deren Zofen blüht manch willig Kind. Und die haben mir bestätigt, was ich längst zu entdecken geglaubt: du hast dir eine gewonnen – ohne es zu wollen, ja zu merken! – die ist nicht nur das vornehmste, auch das schönste Mädchen in Byzanz.«

Ernst errötete über und über: er sprang auf von dem Sitz, so ungestüm, daß die Becher auf dem Zechtisch klirrten. »Theodora!« rief er. »Doch nicht sie?« – »Doch! Die Kaisertochter selbst. Sie hat sich mir verraten: – das heißt nur durch meine Augen – meinen Ohren durch ihre Milchschwester Praredis, die ihr Schlafgemach teilt und ihre geheimsten Dinge zuerst in Traumreden, später auch in gar wachen Worten erfuhr.«

»Freund! Scherze nicht: Spiele nicht! Wie groß, wie heilig mir das – du ahnst es nicht,« – »Längst ahnt' ich es. Und nun weiß ich's. Endlich, endlich – ich warte seit Jahren! – hat Frau Minne auch dies spröde Herz gewonnen. Wie freut mich das! Aber gut, daß ihr Vater, Herr Constantinus, der Basileus, der Romäer, nicht vorhin, als du den Schenktisch halb umwarfst, zugegen war. Gar rasch würde er den schönen Barbaren in seine barbarische Heimat zurückbefördern.«

»Und du meinst, du behauptest im Ernst, die Herrliche sei mir . . .?« – »Gut, gewogen und geneigt. Sie hat's oft genug geseufzt,« – »O dann, dann ist alles gut, alles leicht. Dann tret' ich kühn vor den Basileus hin und . . .« – »Das laß bleiben, Freund. Nie gibt er dir sein Kind.« – »Warum nicht? Ich bin ein Fürst des deutschen Reichs.« – »Eben deshalb! Ein Barbar. Und zwar nicht ein ganzer, aber ein halber Ketzer: Schismatiker schelten sie uns: kennst du den Hochmut dieser Romäer nicht? Dieser Strohkaiser verachtet uns von Herzens Grund trotz seiner glatten Schmeichelworte. Sei auf der Hut, trotz oder gerade wegen seiner Freundlichkeiten. Und verrate beileibe nicht dies Geheimnis deines Herzens. Sonst kriegst du die schöne Schwarzlockige nie mehr zu sehen.«

»Ach selten genug erblühte mir dies Glück. Aber morgen, bei den Tierkämpfen, in der alten Arena, wird sie nicht fehlen, an der Seite ihres Vaters auf den Kaisersitzen: – gerad ihr gegenüber liegen die Ehrenplätze der Gäste: da kann ich mich lang an ihrem Anblick werden,« – »Nun, Freund, das ist ein Genuß – für meinen Geschmack! – gar zu sehr von weitem! Laß Praredis und mich nur dafür sorgen, daß es nicht bei dieser Anbetung – stumm und von fern – bleibt.« – »Wage nicht zu Kühnes, Werner. Verletze nicht die Zarte, die Kaisertochter.« – »Bah, ist ein Mädel wie ein andres auch, hat auch Blut, junges Blut in den Adern. Wird ihren Herzliebsten auch je näher je lieber haben. Laß uns nur machen. Wir bringen euch schon zusammen.« – »Aber rasch muß das sein.« – »So gefällst du mir. Keine Liebe sonder Ungeduld: Frau Minne mag nicht warten.«

»Ich fürchte von Tag zu Tag, daß sich unsre Verhandlungen, die Verabschiedung unsrer Gesandtschaft erledigen: wir sind ja fast mit allen Dingen fertig: – der Basileus hat in alles gewilligt: er will uns dreißig Galeeren zu Hilfe schicken, greift uns der Doge von Venedig in Ravenna an. Wie soll ich den Abschied von ihr ertragen? Wende ich dem goldnen Haus den Rücken, seh' ich sie ja nie im Leben wieder!« – »Ausgenommen,« lachte Werner, den Becher neu füllend und langsam schlürfend – »ausgenommen, sie wendet ihm auch den Rücken.« – »Wie? Was meinst du?« – »Was ich sage! Sie geht mit dir!« – »Werner, wie ungeheuerlich!« – »Nun sie wäre nicht das erste Mädel, das den Vater verläßt, dem Manne zu folgen, nach Gott Vaters eignem Willen und Wort. Tu' Bescheid! Heil der Allsiegerin Frau Minne.«

 

II

Noch aus den Zeiten des ersten Constantin stammte die Arena im Südosten der ausgedehnten Stadt. Der mächtige Bau hatte gar wechselnde Tage gesehn: ein Flügel war schon seit Jahrhunderten zu einer Basilika umgebaut, ein anderer zur Reitschule für die kaiserlichen Prinzen verwandt worden. Allein der Mittelbau in seiner amphitheatralischen Gestaltung war seiner ursprünglichen Bestimmung erhalten geblieben, für die allein er taugte: nur daß an Stelle der verbotenen Gladiatoren wilde Tiere untereinander kämpften.

Heute waren die vierundzwanzig über der Arena und übereinander emporsteigenden Sitzreihen – aus thrakischem Marmor – dicht besetzt von den Männern und Frauen des zahlreichen Hofstaats, von den ersten Beamten und den Anführern der starken Besatzung, sowie von vielen Hunderten der vornehmsten Männer und Frauen der Stadt, die der Basileus als seine Gäste geladen hatte.

Die Strahlen der heißen Sommersonne auszuschließen, überspannte ein seidener Baldachin, scharlachfarbig und silbergestreift, oben den ganzen kreisförmigen Raum: ein feiner, kaum fühlbarer Regen träufelte von Zeit zu Zeit daraus herab: Wasser mit Wohlgerüchen aus dem fernen Indien. Die Steinsitze der vornehmsten Reihen waren mit Purpurteppichen belegt. Palmbäume in kunstvollen Bronzekübeln und immergrüne Sträucher jeder Art standen an den Aufgängen der Stufen.

Längst waren die Sitzreihen gefüllt: da gaben Zimbel- und Pauken-Schläger ein Zeichen und es nahte in zahlreichen prunkvoll vergoldeten Sänften, von schwarzen Äthiopen und gelbbraunen Berbern getragen, der Basileus, seine Tochter und seine beiden Neffen Theopompos und Theopompulos; dann folgten, zu Pferd, die deutschen Ritter und, ebenfalls in Sänften getragen, die geistlichen Glieder ihrer Gesandtschaft. Ceremonienmeister und Hofbeamte in goldstarrenden Gewanden gar vielfach abgestuften Ranges nahmen die Eintreffenden in Empfang und geleiteten sie unter vielfachen Verbeugungen an ihre Plätze.

»Gott und der heilige Werner – wenn es letzteren gibt: geholfen hat er mir noch nie!« flüsterte der unheilige Werner – »vor allem aber du verzeih' mir's: dein Schwiegervater wider Willen kommt mir greulich vor. So aufgeputzt hat er sich noch nie: wie eine Puppe von Rauschgold und Pappe: – kann sich gar nicht rühren. Und das Gesicht! Ist ja ganz verkleistert von Schminke.« – »Schau' doch sie an! Wie reizend in ihrem duftig weißen Gewand! Und – wahrlich – dieser Blick, dieser Gruß galt mir. Sie lächelt. Wie sie errötet.« – »Ja, aber ihre beiden Vettern, die Theopömpe, erbleichen vor Wut: auch sie haben den Gruß bemerkt. Die möchten dir gern ans Leben.« – »Laß sie doch kommen!« – »Ja, die kommen nicht von vorn. Was soll's?« fragte er unwirsch einen Protospatharius, der sich vor ihm bis zur Erde verneigte und ihm zu folgen winkte, während ein anderer den Herzog mit sich hinwegführte. »Ach so, ich darf nicht neben den Fürsten, muß ferner sitzen in diesem Reich der ordentlichsten Ordnung,« – »Ja, Euer Großmächtigkeit sitzt in der zweiten Reihe von unten,« erklärte der Höfling: »die kaiserlichen, senatorischen und fürstlichen Herrlichkeiten in der ersten Reihe, dem Podium.«

Während Werner und Ernst ihren Führern folgten, flüsterten die beiden Prinzen einander zu: »Hat der Basileus eingewilligt?« – »Still! Kein Mensch darf ahnen, daß er . . . es muß ein Versehen bleiben vor dem König der Barbaren,« – »Nun wollen wir sehn, wie es steht mit dem Mut dieser Eisenfresser. Ich freue mich auf seinen Schreck.« – »Ich mehr auf sein Blut. Theodora, die Betörte, soll es fließen sehn.« – »Also sollen die Wachen ihn nicht schützen?« – »Zu spät kommen sollen sie. Wie sein Geleiter ihn ›aus Versehen‹ falsch führt. Komm rasch neben den Oheim.«

Nachdem nun auch die Kaiserplätze besetzt waren, zeigte sich hier nur noch ein Platz leer: da schob der Ceremonienmeister unten in der Arena eine schmale, in die Seitenwände eingelassene Pforte öffnend und nach eilfertigem Verschwinden sogleich schließend, den deutschen Herzog herein auf den sandbestreuten Boden der Arena. Erstaunt sah der sich um. Gleichzeitig winkte der Basileus oben mit einem seidnen Tuch: ein Trompetenstoß – das Gitter eines der Käfige, der »carceres«, der Kampftiere – ging in die Höhe und ein riesiger Löwe setzte im gewaltigen Bogensprung aus der Öffnung mitten in die Arena gerade gegenüber dem Herzog.

Ein mächtiges Gebrüll erhob das Untier, wie es ringsum die zahllosen Menschen ersah, aber durch das Gebrüll hindurch schrillte der Angstschrei einer Mädchenstimme: Ernst vernahm und erkannte sie. Doch ihm blieb nicht Zeit zur Freude darüber; der Löwe hatte den einzigen Feind, der ihm erreichbar gegenüberstand, scharf erkannt: die Zuschauer da oben nicht mehr beachtend, faßte er nur den ins Auge, der, das zum Stoß gezückte Schwert in der Hand, ihm allein gegenüberstand: die große Katze duckte zum Sprung, die Flanken mit dem Schweife peitschend: die gelben Augen blinzelten zuerst ein wenig unter dem steten Blick des Menschenauges: aber nun hob er sich langsam zu dem totbringenden, durch die bloße Wucht des Ansprungs überwältigenden Satz: da sauste ihm gegenüber ein Schatte durch die Luft und neben Ernst stand, in gewaltigem Schwung über zwei Sitzreihen wie herabgeflogen, Werner, den langen Mantel in der Linken, das nackte Schwert in der Rechten.

Der Löwe fuhr zusammen, erschreckt durch den Lärm des plötzlichen Aufsprungs: er hemmte den Sprung, wandte das Haupt, den Rachen weit aufreißend, gegen den neuen Feind. Der warf ihm den Mantel über den Kopf: »Jetzt rasch, Ernst!« schrie er. Und der sprang hinzu und, bevor das Tier die Hülle abgestreift hatte, bohrte er ihm mit sicherem Stoß das Schwert durch den offenen Rachen und zwischen den Augen heraus: die gute Klinge brach zerknirscht in dem furchtbaren Gebiß: aber das Untier stöhnte auf, – das war kein Brüllen mehr – brach zusammen, reckte sich und verendete.

Wilder Schreck, Entsetzen entleerte die vollen Sitze: der Basileus, die Prinzen flohen: Ernst sah die Geliebte sinken: ihre Frauen trugen sie hinaus. Werner aber hob die gepanzerte Rechte gegen die Flüchtenden und rief: »Das war Griechen- und war deutsche Treue.«

 

III

Kaum waren die Deutschen in ihrem Gastquartier angelangt, als Abgesandte des Basileus erschienen, die dessen tiefes Bedauern des Versehens aussprachen: der nachlässige Palastbeamte sei bereits mit Verbannung – nach Asien – bestraft: reiche Geschenke sollten . . . Ernst wies sie zurück und behielt seinem König die Forderung von Genugtuung vor.

Am Abend des gleichen Tages kam Werner eilfertig und erhitzt aus der Stadt zurück, wohin er bald nach der Heimkehr um Mittag verschwunden war und freudig rief er dem Freunde zu: »Glück hast du, Ernst. Das muß man sagen. Der dir bestimmte Löwe frißt dich nicht und führt deine Wünsche rasch zum Ziel. Die schöne Kaisertochter hat der Anblick deiner Todesgefahr über alle Bedenken und Schranken fortgetragen: sie weiß erst jetzt ganz, – ganz genau! – wie sie dich liebt. Was die Mordpläne der Ihrigen an dir verschuldet, – sie will es dir gut machen tausendfach. Praxedis hatte von Theodoras und deiner Liebe heute soviel zu reden, daß für ihre und meine fast zu wenig übrig blieb. Kurz, die Schöne erwartet dich, sobald der Mond über der Hagia Sophia steht, im Platanenrund des Frauengartens: eine Gondel holt dich von hier – eine Strickleiter hängt dort bereit an der Mauerecke.«

Märchenhaft schön ist die Mondnacht des frühen Sommers an des Bosporus leis anrauschenden Wogen. Geräuschlos glitt das schmale Schifflein von Ost nach West, von den »Orient-Türmen« des Palastes auf die hoch ragenden Mauern der Kaisergärten im Westen zu: dunkel schwarze Schatten warfen die uralten Bäume, Cypressen, Steineichen und Platanen, über die Zinnen herüber auf die mondbeglänzte Flut: beflissen suchte diese schützenden Schatten das rasche Ruderboot. Nun war die Mauerecke erreicht: auf der vor dem Mondlicht geborgenen Seite stieß der Kiel leise knirschend auf den Sand: der Ferge, ein Eunuch des Frauenpalastes, wies wortlos auf die überbuschte Mauerzinne: Ernst sprang auf den hohen Schiffschnabel und erhaschte von da die schwanke Strickleiter, die von oben fast bis an den Kahn reichte. Behend hob er sich daran von Stufe zu Stufe: nun war er oben, nun konnte er beide Füße auf die breite Wallkrone setzen.

Der weite, parkähnliche Garten, reich an Baumriesen, lag fast ganz in dem Schatten der breit ausladenden Zweige: üppigen, fast betäubenden Duft hauchten die Tausende von Nachtviolen und andern nur nach Sonnenuntergang sich öffnenden Blumenkelche auf den Beeten ringsum in die weiche, warme Luft: tiefes Schweigen waltete hier: nur das leise Rinnen einer fernen Quelle war vernehmbar. Lauschend, spähend beugte sich der Jüngling herab. Fast erschrak er, als plötzlich dicht unter ihm eine Nachtigall ihr heißes, langgezogenes Lied anhob: alsbald antworteten eine zweite, wetteifernd eine dritte, vierte: der ganze Hain schien erfüllt von diesen Liebe atmenden Tönen.

Da warf der höher steigende Mond einen langen Lichtstreifen durch die Platanenwipfel auf den schmalen Eingang einer Felsengrotte gerade ihm gegenüber: er sah eine dunkle Gestalt sich dort regen: sofort sprang er herab: unhörbar eilte er über den hohen weichen Rasen auf die Grotte zu: die Gestalt wich zaghaft zurück, aber schon hatte er sie erreicht, schon mit beiden Armen umschlossen.

»Herzog Ernst,« hauchte sie, erschauernd. Dann aber warf sie sich plötzlich an seine Brust, mit beiden Armen seinen Nacken umschlingend: »Geliebter, heiß geliebter Mann! O weil du nur lebst! Nun ist alles gut, was auch werden mag.«

Er schlug ihren dunklen Schleier zurück, und bedeckte ihre Stirn, ihre Augen, ihre Lippen mit den heißen Küssen unentweihter Jugend. – – »Halt ein! Halt ein!« – »O, Geliebte, laß uns das Glück des Augenblickes schlürfen, für mich ein Wunder des Himmels. Wie konnt' ich träumen . . .!«

Sie küßte ihn auf den Mund: »Du träumst nicht, du lebst sie, diese Stunde. Sieh, ich liebte dich, seit ich dich zuerst erschaute. Die Männer um mich her – die Kaisertochter wäre begehrt und viel umworben, auch wenn sie häßlich wäre – und das bin ich doch nicht? Bitte, sag's, daß ich schön bin: – Alle haben's und nur du hast's mir noch nicht gesagt.« – »Zauberschön!« – »Danke! Nur für dich will ich schön sein. – Aber Ekel flößten sie mir ein, all diese Prinzen, Fürsten und Archonten in ihren lang nachschleppenden Gewanden – wie eure Frauen, hör' ich, sie tragen –. O diese schlaffen Gesichter, diese marklosen Puppen, wie meine beiden Vettern! Da tratest du in den Kaiserpalast, in Eisen bis ans Kinn, ohne Schmuck als deine Waffen und deine schlichte Kraft, – und zu verschweben vor dir schienen alle wie Schatten: wie kommt das?« – »Weiß nicht, lieb Kind. Bin halt ein Schwab'.« – »Ein Schwab'? Was ist das?« – »Ein Schwab'? Nun, das ist einer, der sich nicht fürchtet.« – »Das sah ich! Auch nicht vor dem Löwen! Und das war doch furchtbar! Sieh, das hat mich vollends zu dir hingezwungen, du Herrlicher! Dein will ich sein. Dein bin ich und keines andern werd' ich.«

Und mit weit geöffneten Armen warf sie sich wieder an seine Brust. – Und die Blumen dufteten stärker, der Quell rieselte lauter, die Nachtigallen schlugen heißer: so schien es den Glücklichen beiden –: sie schwiegen.

 

IV.

Mitternacht war vorüber als Ernst zurückkehrte: »Du strahlst, du leuchtest vor Glück,« rief Werner ihm entgegen.

»Ja, Freund! Ich bin der Seligste der Menschen! Sie liebt mich, die Herrliche. Wie liebt sie mich! So, daß sie wirklich, – sie, die Kaisertochter! – mit mir fliehen will: denn ihres Vaters Einwilligung sei ganz undenkbar. Heute noch mußte sie mich sprechen und alles genau bereden: denn morgen – nein, es ist schon heute! – wird sie zu den zehntägigen Gebetübungen in das Kloster der heiligen Helena drüben in Asien abgeholt. Aber am elften Tage kehrt sie zurück und in der Nacht darauf – schon ist alles auf das genaueste beredet – fliehen wir: – du und Praxedis allein begleiten uns – auf Theodoras raschem Segelboot. O Freund, wie bin ich selig!« Und er umarmte ihn. »Dir dank' ich das Leben und – viel mehr: – diese Stunden und die Hoffnung höchsten Glücks für das ganze Leben!«


Am zweiten Tage darauf brachte ihm ein Eilschiff aus Rom einen Boten des Königs mit einem Brief in Geheimschrift: der war gar kurz: er lautete: wie er Werner vorlas: »Ich befehle, daß du angesichts dieser Zeilen sofort ohne den mindesten Aufschub – hörst du? – augenblicklich Byzanz verlassest und nach Hause eilst. Das Wohl des Reichs verlangt's. Jede Stunde Säumnis ist Verderben.«

Ernst schrie auf, ließ die Charta fallen und sank um. Werner richtete ihn empor: »Nun,« rief er, ihn rüttelnd, »und darüber stürzest du, wie ein pfeilgetroffener Adler? Was ist's denn weiter? Es wird nicht so eilen. Das Reich kann warten. Warten, bis Theodora zurück ist: – dann bringen wir auch sie dem Reiche mit. Das ganze Reich ist nicht so viel wert wie das Glück zweier junger Herzen! Darauf hin wirst du doch nicht die Schöne verlassen, aufgeben fürs Leben? Du bleibst eben doch und trotzest dem Befehl.« – »Nein. Ich muß gehorchen: – ich hab's geschworen. Ich gehe! Fahr wohl, Liebe und Lebensglück! Fahr wohl, Theodora!«


Unerschütterbar hielt der Herzog fest an dem Beschluß, zu gehorchen: aber von Stund an war der Frohmut aus seinem Leben, war der freudige Glanz aus seinen Augen gewichen: der treue Werner gab es bald auf, ihn trösten, ihn erheitern zu wollen. Es gab keine Möglichkeit, der in der Ferne Verschwundenen zu erklären, weshalb der Leben entscheidende Plan nicht ausgeführt werden konnte. Wohl hatte Werner dem Eunuchen ein Brieflein an Praxedis zugesteckt, das lautete: »Wir müssen zurück: die Ehre gebeut: doch kehren wir wieder, sobald wir können: wir nehmen nicht Abschied.« Aber die Freunde erkannten, wie unsicher und wie wenig das war für die Frauen, die, zurückgekehrt, sich verlassen finden, für aufgegeben halten mußten. Das Freundespaar war noch an jenem Tag auf dem römischen Eilschiff abgesegelt: die übrigen Gesandten sollten erst nach Abwicklung der letzten Geschäfte nachkommen.

Stundenlang saß der Jüngling nun während der ganzen Fahrt auf dem Deck, und starrte schweigend in die blauen Wogen, nur manchmal leis aufseufzend: »Theodora!«

Endlich in Brindisi angelangt, verfiel er in ein heftiges Fieber, das den ungeduldig zu dem König – vielmehr nun dem Kaiser – nach Deutschland Eilenden auf das Lager warf. So sandte er Werner voraus, dem Herrscher seine Ankunft in Italien zu melden: sobald er reisen könne, werde er über die Alpen zu Konrad eilen, der, wie verlautete, in den sächsischen Pfalzen weile und dort ein Heer – wieder einmal zur Abwehr slavischer Raubhorden – sammle.

Erst nach einigen Wochen vermochte der Herzog zu Pferd zu steigen: so rasch er konnte, hastete er nun, von wenigen Reisigen begleitet, durch die Halbinsel gerade aus von Süd nach Nord.

Schon hatte er die Veroneser Klause erreicht: düster war's in der Enge: Gewitterwolken hingen schwül herein: laut, Atem hemmend, brauste in ihrem Felsenbett die Etsch; in finstren Schmerz verloren ritt Ernst den steilen, schmalen Pfad bergan: da hörte er rasenden Hufschlag sich entgegeneilen: bald kam der Reiter in Sicht: Werner war's: er rief von dem schäumenden Renner herab: »Halt, halt, Ernst! Nicht weiter! Auf dem Brenner wirst du gefangen!« – »Von wem?« – »Vom Kaiser.« – »Vom Kaiser? Warum?« – »Weil wohl auch er einsieht, das kannst du nicht ertragen.« – »Was?« – »Du weißt noch nichts? Deine Mutter hat einen Knaben geboren: Heinrich ist er getauft. Den hat der Herr Kaiser in der Wiege zu seinem Nachfolger im Reiche wählen lassen . . .« – »Ah! Das ist . . . –« – »Und zum König von Burgund. Jetzt Ernst, bist du kein Feigling, jetzt das Schwert heraus! Ich kann nicht mehr! Ich mußte dich – warnen, retten. Wende das Roß und flieh nach Haus, nach Schwaben!«

 


 


 << zurück weiter >>