Felix Dahn
Herzog Ernst von Schwaben
Felix Dahn

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Zweites Buch.

I.

Am folgenden Tag bewegte sich der Krönungszug von dem Westtor von Mainz durch die Domstraße nach der Kathedrale durch dicht gestaute Volksmengen. Der Reichsherold und eine Reihe von Drommetenbläsern eröffneten ihn: zwanzig glänzend gerüstete ostfränkische Ritter, des ehemaligen Herzogs vornehmste Vasallen, folgten zu Pferd, dahinter schritten der König und die ersten geistlichen und weltlichen Großen, den Schluß bildeten die übrigen Priester, von den Laien getrennt, endlich diese Laien in dichten Haufen zu Roß und zu Fuß. So neugierig, so erregt drängten auf beiden Seiten die Mainzer, Männer und Weiber, und die Mengen der Zugewanderten gegen den Zug heran, daß die Reisigen auf beiden Seiten der Straße Mühe hatten, mit den quergehaltenen Speerschäften diese immer wieder heranflutenden Wogen zurückzuhalten: das Volk wollte seinen neuen Herrscher sehen, mit den Augen prüfen.

»Wahrlich, bei Sankt Bonifacius,« rief ein weißhaariger Handwerker der Schmiedezunft, sich dicht herandrängend, »ich habe sie alle gesehen hier am Rhein bei ihrem ersten Königsgang: den frommen Herrn Heinrich, den dritten Otto, den Welschling, den zweiten, den roten Otto, und als Knabe auch schon den Otto, den sie den Großen nennen: aber nur dieser, der ganz Große, ist zu vergleichen Herrn Konrad, unsrem neuen Herrn, so gütevoll und doch so hocherhaben sieht er.«

»Ja,« rief neben ihm ein fast ebenso alter, »wahr sprichst du, Wilfried. Man muß ihm vertrauen, auf ihn hoffen, schaut man in diese klaren festen Augen. Ich wag's, steht auch der arge Erzbischof dabei.« Und mit raschem Ruck schob er sich an einem Speerträger vorbei, sprang auf die Mitte der Straße hinter den Rittern und warf sich vor dem langsam einherschreitenden König auf die Kniee.

»Hinweg, frecher Bauer!« rief Aribo, der zur Rechten des Herrschers ging. »He, Speerleute, greift ihn!« – »Laßt! Laßt das Volk zu seinem König. Was willst du, Alter? Sprich!« – »Mein Recht! Meiner Väter Erbe! Meinen kleinen Rebgarten.« – »Wer hält ihn dir vor?« – »Der da, lieber Herr König. Der böse Bischof. Er sagt, der Weinberg gehöre dem Stift des heiligen Bonifacius. Es ist aber nicht wahr. Der Bischof riß ihn an sich mit Gewalt. Ich habe sechs ehrliche Eidhelfer. Ich lud den Bischof vor das Grafengericht: er kam nicht, er nicht noch sein Vogt: er habe selbst, ließ er sagen, die Gerichtsbarkeit in der Stadt: wohl: aber nur bis an die Mauer: mein Gütlein liegt doch draußen vor der Mauer. Herr König, schafft mir Gericht und Recht.« – »Herr Erzbischof,« sprach Konrad, die Stirne runzelnd, »was habt Ihr hierzu zu sagen?« – »Bauerntrotz! Ich kann den Acker gut brauchen, dort die Mauerkapelle zu erweitern. Ich bot ihm Geld . . .« – »Das Erbe meiner Väter ist mir nicht feil,« rief der Alte. – »Laßt doch, Herr König, diesen alten Narren. Kommt! In den Dom! Dort harret die Kaiserin mit den Reichsinsignien, mit der Krone: laßt sie mich . . .« – »Bei Gott dem Herrn, Ihr sollt mich nicht krönen, bevor der Mann sein Recht gefunden! Sofort gebt ihm sein Feld zurück.« – »Ja denn, in des . . . in Gottes Namen. Eile, Gozelo, gib dem Öconomus den Befehl. Nimm den Trotzkopf mit!« Der wollte des Königs Mantelsaum küssen: als das verwehrt ward, sprang er auf und rief gen Himmel: »Vergelt's ihm, Herr Gott, vergelt's dem gerechten Herrn!« und er verschwand unter dem umherwogenden Volk.

Feierlich, wie begrüßend läuteten die Glocken des Doms, als Herr Konrad nun, hoch aufgerichtet, die Marmorstufen hinanstieg.

 

II.

Der zornige Abgang des Wormsers ließ den König und gar viele um ihn besorgen, der Hitzkopf werde, trotz Vertrages und Eides, gestützt auf seine Westfranken und die Lothringer, zu den Waffen greifen. Nur Aribo meinte lächelnd, »er wird sich hüten.« Gründe gab er nicht an. Aber er behielt recht: alles blieb ruhig und Konrad konnte ungestört alsbald seinen Königsritt antreten, das heißt allmählich durch alle Landschaften des Reichs ziehen, die Huldigung der Herzoge, Bischöfe und Markgrafen, die nicht zu Kamba erschienen waren, entgegennehmen, Landtage mit ihnen abhalten, wichtige Angelegenheiten der einzelnen Gebiete beraten und entscheiden.

Es fiel auf, daß der Herrscher sich dabei nicht von Aribo begleiten ließ, der als ebenso begabt wie begierig für die Leitung der Staatsgeschäfte allbekannt war.

An seine Stelle trat an die Seite und im Rat des Königs der milde Bischof Burchard, dessen Güte ebenso volkskundig war wie die Herrschsucht des Mainzers. Er war erst nach der Wahl und der Krönung an dem Hof eingetroffen, zurückgekehrt aus Alamannien, wo er in der ersten Zeit nach dem plötzlichen Tode des Herzogs der Witwe und dem jungen Erben in Ordnung der auf sie eindrängenden Geschäfte geholfen hatte. »Warum kommt der Sohn nicht, das Lehen des Vaters zu muten?« fragte Konrad ihn gleich bei der ersten Begrüßung in Mainz. – »Wunde von Eberzahn, Ihr wißt das, kundiger Weidmann, heilt langsam: wie von Hirschgeweih.« – »Wohl!

›Eberzahn und Hirschgestange, –
Solche Wunden heilen lange.‹

Er soll nicht eher reisen, bis er sicher kann. Aber um ›Indult‹ muß er bitten, versäumt er die sechswöchige Frist: darauf muß ich bestehen: sonst verwirkt er das Lehen.« – »O Herr König! Der Sohn des prächtigsten Vaters! Das werdet Ihr nicht . . .« – »Gewiß werd' ich's tun. In den letzten Zeiten haben die Söhne der Herzoge sich gern um diese Pflicht herumgedrückt: sie haben getan, als ob sie, ohne Verstattung des Königs, von Rechts wegen diese großen Lehen – diese Herzogtümer! – erbten wie der Bauernsohn den Acker des Vaters. Das aber darf nicht aufkommen, nie. Ich werde bald ein Wörtlein reden mit diesen Herzogen. Viel eher würde ich die kleinen Lehen – das heißt, die ritterlichen Vasallen der Herzoge – als erbberechtigt anerkennen, um so . . . Doch das gehört noch der Zukunft an: schweigt davon, viel treuer Burchard: – ich spreche später mit Euch darüber: vielleicht zuerst in Italien.« – »Wohl. Aber hütet Euch in der Behandlung des jungen Herzogs . . .« – »Herzogs?« fuhr der König auf. »Er ist's noch nicht! Nur durch mich wird er's.« – Besorgt unterdrückte der Bischof einen Seufzer: er gedachte mancher Reden des Jünglings und wie der noch ganz andre Forderungen stellen werde als die des Herzogtums Schwaben, das er als selbstverständlich ihm gehörig ansah. Unwillig brach Konrad das Schweigen. »Und diesen jungen Brausekopf schonen, besonders glimpflich anfassen? Den gerade nicht! Er soll Zucht, die Zucht der Reichsgewalt lernen. Ihr kennt ihn ja gut. Wie ist er?« – »Ein herrlicher Jüngling! Tapfer, edelherzig, nichts Unreines und kein Falsch an ihm. Nur . . .« – »Aha! Also doch ein Nur . . .« – »Ein wenig trotzig, hitzig und ehrgeizig.« – »Seine Ehre such' er im Dienst des Reichs: – darin will ich ihm weidlich helfen! Aber den Trotz treib' ich ihm aus. Wie ist seine Mutter? Ihre Schönheit preisen lang' schon die fahrenden Sänger.« – »Sie verdient höheres Lob als des Leibes. Aber was den Jüngling anlangt: – ich hätte einen Wunsch für ihn.« – »Schon jetzt? Ich kenne ihn ja noch nicht. Hat er Euch als Fürsprech angerufen?« – »O nein! Ganz im Gegenteil. Er würde mich heftig schelten, wüßte er, was ich ihm an Schmerz bereiten will.« – »Nun, was ist's?« – »Er hat einen heißgeliebten Freund, den auch ein prächtiger Kern adelt. Aber er hat alle Fehler – ich will sagen: alle gefährlichen Tugenden Ernsts . . .« – »Gefährliche Tugend ist gut,« lachte der König. – »In gesteigertem Maß. Es ist nicht gut, daß der Herzogsohn immer nur den – und den allein! – zur Seite hat.« – »Da ist doch leicht geholfen. Die Mutter soll ihm diesen Verkehr verbieten.« – Der Bischof zuckte die Achseln: »Ernst würde ihr nicht gehorchen.« – »So, so?« Konrad furchte die Stirn. »Trotz auch gegen die Mutter? Ei, mir mißhagt alles, was ich von Eurem gepriesenen Liebling höre. So werd' ich ihm die Trennung befehlen. Laß sehen, ob er auch seinem König trotzt. Das sollte ihm schlecht bekommen.«

Erschrocken hob Burchard wie bittend die Hände. »Ah, was hab' ich da angerichtet. Nicht so, bitte, nicht so, Herr König.« – »Ihr scheint wirklich zu fürchten, er trotzt auch mir?« – Der Bischof vermied eine Antwort: »Nicht diesen Weg! Ihr habt der erledigten Ämter oder der zu besorgenden Aufträge so viele. Schickt den Grafen – er ist kühn, sehr kühn und scharfen Geistes! – schickt ihn mit einem Auftrag nach Rom, nach Byzanz. Werner wird alles gut . . .« – »Werner heißt er? Wer ist sein Vater?« – Burchard stockte: er ward rot im Gesicht. »Ja, das ist der Jammer. Er . . . er hat keinen Vater.«

Da fuhr der König auf: »Was? Ein Bastard, ein ehrloser, der nächste Freund des künftigen Schwabenherzogs? Am Ende gar der Kecke, der damals in Wirzburg . . .? Und die Mutter leidet das? Nun, zum Glück bin ich sein Lehnsherr! – Aber nun genug von Bastard und Trotzkopf. Hört Wichtigeres. Ich habe Euch gebeten, mich auf dem Rundritt durch das Reich – morgen tret' ich ihn an – zu begleiten, nicht mit dem Leibe nur, mit Eurer Weisheit, Eurer Kenntnis von Menschen und Dingen, mit Eurer Güte zumal, denn die ist just nicht meine höchste Tugend.« – »Güte ist oft Schwäche. Ich kenn' Euch lang': Ihr seid gütig, wo's nur Euch angeht, aber wo's den Staat betrifft, klug, jedoch streng.« – »Sagt nur: ›Hart‹. Und gerade das sollt Ihr bewirken, daß meine gerechte Strenge nicht ungerechte Härte werde.« – »Ihr ehrt mich hoch, Herr Konrad. Aber verstattet eine Frage.« – »Ich errate sie. Fragt.« – »Warum wählt Ihr zu Eurem Ratgeber nicht . . .?« – »Den Mainzer? Aus vielen Gründen. Ein paar davon sollt Ihr schon jetzt vernehmen. Andre, fürcht' ich, werdet Ihr selbst an ihm erleben. Euer Amtsbruder hat sich eifrig um meine Wahl bemüht, aber wahrlich nicht um des Reichs, auch nicht um meinetwillen, nur, weil er sich den neuen König blindlings zu Dank verpflichten wollte.«

Burchard wollte den Amtsgenossen in Schutz nehmen: aber er war zu ehrlich: vor dem scharfen Blick Konrads schlug er die Augen nieder und unterdrückte den begonnenen Einspruch.

»Nun dank' ich ihm ja auch – aber nicht gar sehr, weil ich den Zweck seines Eifers kenne. Und am wenigsten dank' ich ihm so, wie er es will: das heißt durch allerlei Verzichte des Reichs auf Rechte gegenüber seiner und der allgemeinen Kirche. Nicht meine Rechte sind's, Rechte des Staats. Diese Scheidung zu machen, haben sie immer noch nicht gelernt, die guten Deutschen, auch die Klügsten nicht: in Deutschland kann man's auch nicht lernen: ich habs gelernt in Welschland, in Pavia, in Bologna, wo ich – nicht ohne Vorteil – unter Kaiser Heinrich als dessen Markgraf über Römer und Lombarden gewaltet, mit deren Prudentes und Consules gelebt habe. Mir ist, demnächst muß ich den burgundischen Herrschern diesen Unterschied mit Schwertstreichen in die Köpfe schlagen. Also: was der Machtgierige ohne Schaden des Reichs von mir begehrt, soll er – nach Möglichkeiten – erhalten, hat schon reichlich erhalten. Aber auf Kosten des Reichs oder wider das Recht – nichts, gar nichts. Und empört hat mich, wie er – noch war ich gar nicht gewählt – sich im voraus die Herrschaft in meinem künftigen Rat sichern wollte: hat er doch die wackersten unter euch Bischöfen, den treuen Pilgrim von Köln, den trefflichen Gerbod von Hildesheim als meine geheimen Feinde, als böse Ränkeschmiede bei mir verleumdet. Und noch einen, den Ihr auch kennt!«

Der König hatte sich in Eifer gesprochen: nun sagte der Bischof beschwichtigend: »Seht, Herr Konrad, Bruder Aribos ›gefährliche Tugend‹ ist seine Schlauheit.« – Da lachte Herr Konrad und sprach: »Nun, wir wollen dafür sorgen, daß sie nur ihm gefährlich wird, nicht dem Reich. Macht Euch reisefertig auf morgen. Mir ist, mit Euch reise ich wie jung Tobias unter himmlischem Geleit! Mög' unsere Fahrt dem Reiche frommen!« – »Dazu sag' ich Amen!«

 

III.

Und sichtbarlich schien in der Tat der Segen des Himmels über diesem Königsritt zu schweben: überall, in jeder Stadt, in jeder Landschaft gelang, was Konrad zum Wohle des Reichs anstrebte. Der Umritt ging von Mainz zunächst über Ingelheim, Köln, Aachen, Lüttich, Nimwegen; das waren die Gegenden, in denen die abgünstigen Großen, zumal die lothringischen Herzoge, den Sitz ihrer Macht hatten: kühn suchte gerade diese der König zuerst auf: wie der Nebel vor der Sonne, verschwand jede Neigung zum Widerstehen vor der gebietenden und zugleich gewinnenden Gestalt des Herrschers. Vom Rhein wandte sich der Zug nach Nordosten, nach Sachsen: in Dortmund, in Minden, in Paderborn, in Hörde, Halberstadt, Quedlinburg, Magdeburg, Merseburg scharten sich um ihn die sächsischen Großen, geführt von ihrem Herzog Bernhard, huldigten, trugen allerlei Streitfälle untereinander und mit den zahlreichen Klöstern vor und dankten dann gar eifrig für die gerechten und weisen Entscheidungen. Zu einem gleichen Siegeszug des Rechts gestaltete sich die Fahrt durch Thüringen, Hessen, Nordfranken nach Alamannien, wo bei Bischof Brun zu Augsburg längerer Aufenthalt genommen ward.

Nach zwei hier verbrachten Tagen sprach der König zu seinem Vertrauten Burchard, als dieser am Morgen des dritten in das Schreibgemach trat: »Nun? Ist das Indultgesuch deines Lieblings noch immer nicht eingetroffen? Sein Herr und König steht auf schwäbischem Boden. In zwei Tagen ist die Frist abgelaufen! Beim Heil des Reichs: ich gebe das Herzogtum einem andern: zu Beispiel meinem tapfern und getreuen Pfalzgrafen Mangold, dem Nellenburger, der mir herzlich ergeben. Wo steckt der ungebärdige Herzogssohn?« – »Draußen in deinem Vorsaal, Herr König. Er bittet um Gehör.« – »Nun, das ist sein Glück. Laß ihn herein. Ist nicht auch Graf Mangold hier?« – »Jawohl: er wartet auch.« – »Ich will erst den Knaben allein sprechen.«

Alsbald trat, von Burchard geführt, Ernst über die Schwelle: festen Schrittes, hoch aufgerichtet: nur so tief als nötig beugte er – einen Augenblick – das Haupt, nicht ein Haarbreit tiefer. Der König musterte ihn scharf mit wenig freundlichen Blicken. Unwillkürlich aber, ja gegen seinen Willen gewann ihm das schöne Antlitz, die edle Gestalt, Wohlgefallen ab. Er wartete auf eine Ansprache des Jünglings: aber dieser schwieg. Da herrschte er ihn an: »Warum kommt Ihr so spät zur Meldung? Wollt Ihr vielleicht das Lehen des Vaters nicht?« – »Meine Ehre erheischt, daß ich es fordere.« – So? Eure Ehre? Und meine Pflicht – die schwerer wiegt als Eure Ehre – erheischt, daß ich die Lehen des Reichs nur den Würdigsten verleihe. Warum erst jetzt?« – »Ich lag wund. Sobald ich erfuhr, daß Ihr den Boden meines Herzogtums . . . –« – »Ist Schwaben schon Euer?« fuhr Konrad auf. – Aber ohne sich zu berichtigen schloß der Jüngling: »Betreten, eilte ich Euch – wider des Arztes Verbot – entgegen, Euch zu huldigen als meinem König.«

Mit ruhigerem Blick und Tone sprach der Herrscher nun: »Und Eure Frau Mutter: die Herzoginwitwe?« – »Sie wird hier erscheinen, Euch einzuladen nach unserem alten Herzogsschloß in Ulm.« – »Ihr wollt sagen: in die dortige Königspfalz. Ich werde mir das überlegen. Mit Eurer Mutter werd' ich auch besprechen, unter welchen Bedingungen ich Euch belehnen will mit Schwaben.«

»Mit Vergunst, Herr König, es handelt sich nicht bloß um Schwaben.« – »Schweig noch!« mahnte der Bischof besorgt. – »Was wollt Ihr noch?« fuhr Konrad auf. »Vielleicht Bayern, Sachsen und Franken.« – »Nein! Aber Burgund.« – »Burgund? Seid Ihr bei Sinnen?« – »Ganz, Herr König.« – »Mit welchem Recht? Noch lebt König Rudolf, noch sein Neffe, Herr Odo von Champagne.« – »Ich fordere auch nur die Anerkennung meines Erbrechts jetzt schon und die Eventualbelehnung für den Fall von Rudolfs Tod.« – »Ihr blickt weit voraus! Das muß man sagen! Und hoch hinauf.« – »Ja, aber in das Licht der Wahrheit und des Rechts. Meine Mutter ist eine Schwestertochter König Rudolfs wie jener Odo ein Schwestersohn, also Spindelmagen beide: der Mannesstamm erlischt mit Rudolfs Tod. Ich habe jedenfalls das gleiche Recht wie jener Odo und über den Besitz soll rasch das Schwert entscheiden.«

Zornig brauste ihn der König an: »Niemals! Zwei große Herzogtümer in einer Hand? Und zwar in was für einer!« – »Herr König!« – »Nun ja! Hat sie sich schon bewährt? Hitzig ist sie und hastig zugreifend: nur das weiß ich bisher von ihr. Und flugs zum Krieg entschlossen! Ich brauche und will Frieden im Reich.« – »Und ich will mein Recht!« – »Das scheint höchst zweifelhaft. Ich werd' es untersuchen. Aber keinesfalls Schwaben und Burgund. Ich werde . . . Horch! Was ist das? Streit, Lärm im Vorsaal. Waffenklirren in meiner Pfalz?«

Er eilte an die Tür und riß sie auf, Burchard und Ernst folgten ihm. Im Vorsaal standen zwei Ritter: der eine deckte sich mit dem Schild gegen die hitzigen Schwertschläge des andern, der wütend auf ihn ein Hieb. – »Mangold!« rief Konrad. »Du verteidigst dich nur, ich seh's. Aber wer ist der Schwertfechter?« – »Werner, halt ein,« rief Ernst. – »Steck das Schwert ein!« mahnte der Bischof. – Werner wandte sich, erschaute den König und senkte das Schwert, ohne doch es zu bergen. Er brachte vor Wut kein Wort über die Lippen.

»Ah,« rief Konrad, »das ist gewiß Herr Werner von Kiburg! Pfalzgraf, sprich! Was hat's gegeben?« – »Der Kecke trat ein und wollte sofort zu Euch, Herr König, vor mir – der ich lang harre – und ungemeldet. Ich vertrat ihm den Weg. Sofort zog er und hieb auf mich ein. Ich brauchte nur den Schild.« – »Ich seh's: übel ist der verhaun. Bischof, nimm dem Frevler die freche Klinge ab und führ' ihn in Haft. Bruch des Pfalzfriedens! Darauf steht Verlust der Hand, die das Schwert gezückt und Ehrlosigkeit: – aber die trifft ihn nicht, den ehrlosen Bastard.«

Da schrie Werner auf wie ein weidwundes Wild: wütend machte er einen Schritt gegen den König: aber Ernst löste ihm das Schwert aus der Hand, der Bischof legte ihm die Rechte auf die Schulter und sprach: »Werner, du bist mein Gefangner.«

 

IV.

In den nächsten Tagen sollte zu Augsburg ein Hoftag gehalten und von diesem auch das Urteil über Werner gefunden werden auf erhobene Anklage des Königs: denn dieser galt als der durch den Bruch seines Pfalzfriedens Verletzte. Vergeblich legte der gute Bischof Fürbitte für den Hitzkopf ein, der in seinem Zornausbruch gar nicht gewußt habe, wo er sich befinde, was er tue.

»So soll er beides lernen. Und übrigens: – Ihr wolltet ihn ja gern von dem andern Trotzkopf getrennt wissen: besser als ein kurzer Auftrag bewirkt das ein solches Urteil: und für immer. – Laßt jetzt diesen kleinen Zwischenfall. Großes – Wichtiges für das Reich – verdrängt alles andre in meinen Gedanken, meinen Sorgen. Dieser Ernst, der Sohn der Witwe Gisela, hat sie mir dringend vor Augen gezwungen.« – »Ich ahne, die Sorge heißt: Burgund.« – »Erraten! Das Verlangen des machtgierigen Knaben nach zwei Herzogreichen erfüll' ich nie. Auch die Wahl kann ich ihm nicht lassen: Schwaben mag er haben wie sein Vater: es regiert und schützt sich selbst. Aber Burgund? Der üble Nachbar in Paris, der König Robert, der schlaue Kapetinger, läßt nicht ab, offen oder heimlich danach zu tasten. In Burgund muß ich selbst walten. Auch hat ja Frau Gisela ein gewisses Recht auf das Land: sie, nicht, solang sie lebt, der kecke Sohn.« – »Sie könnte ihm aber das Recht abtreten.« – »Das verbiet' ich als oberster Lehnsherr. Ich, das heißt das Reich, müßte ihr Recht auf Burgund erwerben. Schafft mir doch die Verträge herbei, die weiland Kaiser Heinrich mit König Rudolf von Burgund geschlossen: über das burgundische Basel zunächst, dann über ganz Burgund.«

»Hier im Augsburg bei Bischof Brun, der sie vermittelt hat, liegen sie im Pfalzarchiv. Allein diese Verträge – Euch werden sie nicht nützen, Wohl hat der alte König Herrn Heinrich in Person allerlei Rechte – ich weiß im Augenblick nicht, wie weit sie gehen sollten – auf Burgund abgetreten: aber offenbar eben nur Herrn Heinrich, seinem Neffen; und nur für den Fall, den man als selbstverständlich ansah, daß der junge Neffe den alten Oheim überlebe und beerbe. Nun aber starb Herr Heinrich und noch lebt König Rudolf. So werden denn bei seinem Tode seine Nichte und sein Neffe, der unruhige, händelsüchtige Herr Odo, sich als Erben geltend machen.« »Hm,« meinte der König, »mit dem wollte ja der Knabe mit seinen schwäbischen Kräften rasch fertig werden: ich, mit der Macht des Reichs, doch wohl noch rascher. Aber freilich, die andere Erbin. Ich habe geschworen im Dom zu Mainz, die Witwen gegen andre zu beschützen. Soll ich selbst gleich die erste, die mich für ihr Recht anruft, die Witwe eines trefflichen Herzogs, berauben? Das geht nicht an. Aber doch muß Burgund irgendwie ans Reich. Schaffe mir alsbald – heute noch – die Verträge. Wer kommt da? Graf Mangold! Willkommen, Vielgetreuer. Geduldet Euch nur. Ihr sollt volle Genugtuung haben für den mörderischen Anfall, die Beleidigung.« – »Nicht deswegen komme ich, mein König. Was ein Bankert tut, kann mich nicht beleidigen. Ich melde die Ankunft wichtiger Gäste am Hof. Zuerst kam – vom Rheine her – der Erzbischof von Mainz.«

Konrad furchte die Brauen. »Hab' ihn nicht gerufen. Was will er schon wieder?« – »Vermutlich mich ablösen in Eurem Rat,« lächelte Herr Burchard gutmütig, – »Nie mehr! – Und wer kam noch?« – »Soeben das allerwunderschönste Weib, das meine Augen je geschaut: Frau Gisela, die Herzoginwitwe von Schwaben. Ich stand vor ihr – geblendet. Ihr werdet staunen, Herr.« – »Bin nicht neugierig. Wird eben ein Blendwerk sein. Aber mich blendet kein Weib mehr. Ich bin fertig mit dem treulosen Geschlecht – seit lange. Nicht wahr, Freund Burchard, mein Beichtvater?« Ein unterdrückter Seufzer schloß die Frage.

 

V.

Bald darauf ward dem König die Bitte der Herzogin um Gehör gemeldet. Er befahl, sie sofort in den Empfangsaal einzuführen, wo er auf dem Thronsitz Platz nahm; Bischof Burchard begleitete sie. Die hohe, stolze Gestalt war nach der Sitte der Zeit ganz in Weiß – die Tracht der Trauer – gekleidet: der weiche Stoff des eng anliegenden, weit nachwallenden Gewandes zeigte deutlich den herrlichen Wuchs und hob sich scharf ab von dem langen tiefschwarzen Witwenschleier, der, auf dem Wirbel befestigt, die Züge dicht verbarg. An des Bischofs Seite schritt sie langsam durch den großen Saal auf die Stufen des Thrones zu: sie verbeugte sich: die Bewegung verband edle Hoheit mit edler Anmut: der König rührte sich nicht: er duldete, daß sie sich vor der untersten Stufe auf die Kniee niederließ. Nun schlug sie den Schleier zurück . . . da sprang er auf, – mit einem lauten Ruf des Staunens: schon stand er vor ihr, ergriff ihre beiden Hände und hob die Knieende rasch empor, sprachlos in ihr Antlitz starrend. »Frau Herzogin,« rief er endlich, »Wie konntet Ihr knieen! Vor einem Mann! Ihr?«

Sie errötete über und über und senkte ein wenig das Haupt: aber zugleich flog ein lieblich Lächeln, ein siegfrohes, um ihre Lippen: es war die Freude des Weibes an dem abermaligen Siege des ersten Anblicks ihrer Schönheit: noch gegenüber jedem Mann hatte sie ihn erlebt. Mit einem schalkhaften Ausdruck, der ihr reizend ließ, sprach sie in wohllautender Stimme demütig: »Wohl ziemt es zu knieen – einer Bettlerin.«

»Ihr? Bitten?« Er konnte das Auge nicht von ihrem Anblick losreißen. Endlich faßte er gar ritterlich ihre Rechte und führte sie zu der weichen Rundbank, die sich rings an den Wänden des Saales hinzog: er drückte sie sanft auf die Polster und stand ehrerbietig ihr gegenüber. Langsam, mit besorgten Mienen trat Bischof Burchard näher heran.

»Sagt an, wunderbare Frau, welches ist Eure Bitte, besser Euer Wunsch? Alles ist gewährt, was es auch sei« – da erschaute er den ernst mahnenden, warnenden Blick des Bischofs – »das heißt,« fügte er nun rasch, mit schamvollen Wangen, bei – »wenn's nicht zum Schaden des Reichs, natürlich.«

Abermals lächelte sie mit jener bestrickenden Anmut: »O nein, Herr König, 's ist zum Wohl des Reichs. Gleich bei der Ankunft berichtete mir mein Sohn . . .« – Konrad fuhr auf: »Ah! Ah! Euer Sohn? Ja doch, ja! Der stattliche Jüngling ist Euer Sohn! Wie . . . wie ist das nur möglich. Ein Wunder!« – »Doch nicht gerade,« erläuterte der Bischof: »vierzehn Jahre zählte das Kind, als ich es traute mit Freund Ernst.«

Bei diesem Namen schien ein Schatten durch den Saal zu fliegen: wenigstens über des Königs Gesicht zog es dunkel dahin: ein Schweigen entstand. Burchard brach's, eh es peinlich ward. »Wahr sprach die edle Frau: sie vertraute mir ihre Bitte an: die Erfüllung ist zum Heil des Reichs.«

Konrad schien im Augenblick nicht an das Reich und dessen Heil zu denken: er mußte sich sichtlich von ganz anderen Vorstellungen losreißen, »Ja so! die Bitte!« rief er.

»Mein hoher Herr und König,« hauchte die süße Stimme, »ich flehe Euch an: begnadigt den tollen Buben, den Werner.« – »Ah, das ist's,« erwiderte der König langsam, kopfnickend. – »Ja, das ist's,« sprach Burchard. »Und Ihr habt Euch schon gebunden, Herr, durch Euer – verzeiht – etwas vorschnell Wort.« – »Ja,« sprach der Herrscher, »das . . . das war unbedacht.« Er grollte sich selbst. »Ich tu's nie wieder.« – »Wird gut sein, Herr! Was hätte die schöne Frau nicht alles erbitten mögen . . . für ihren Sohn: zum Beispiel« – hier flüsterte er in sein Ohr – »zum Beispiel: Burgund.«

Der König drückte die Lippen aufeinander: dann sprach er: »Recht hast du, Treuer! Dank für die Warnung. Es geschieht mir nicht nochmal.«

Bei dieser Wendung des Gesprächs erschrak die Bittstellerin: »Um Gott, Herr König. Hab' ich Euch beleidigt?« – »Ihr? O nein. Aber ich vergaß einen Augenblick die Königspflicht.« – »Nein,« sprach der Bischof, »diesmal hat Gott jeden Schaden verhütet. Denn wahrlich: es ist zum Heil des Reichs, bleibt sie erhalten, jene tapfre Rechte, die schon manchen stolzen Schlag gegen Ungarn und Böhmaken geschlagen hat, im schwäbischen Aufgebot, im Vorstreit für das Reich.«

»So sei es,« sprach Herr Konrad rasch und froh: »der Tollkopf mag mit dem Schreck davonkommen. Aber, Bischof: fortab keine Gnade mehr für den Rückfall.« – »Dank, tausend Dank, mein Herr und König! Ihr seid so gut und gnädig als Ihr stark und herrlich seid.« Bewundernd ruhten die hellbraunen Augen der Frau auf der stolzen Mannesgestalt. »Ach, aber wie könnte ich Euch danken?«

Da flammte heiße Glut auf in den Blicken des Königs: er konnte wieder die Augen nicht von diesem Antlitz lösen: so brennend war der Blick, so gar nicht mißzuverstehen von einem Weibe, daß Gisela über und über errötete und die langen seidnen Wimpern senkte.

»Wie Ihr mir danken könntet . . .?« Er trat rasch einen Schritt näher. Aber leise schob sich der Bischof zwischen beide, ergriff nach einem warnenden Blick auf Konrad die Hand Giselas, und führte sie zur Türe: »Die Geschäfte sind nun wohl zu Ende. Verstattet, daß ich Euch in Eure Kemenate geleite.« Sie folgte willig: aber an der Schwelle wandte sie das Haupt und warf dem eifrig nachschreitenden König einen Blick zu, der sagte viel, ja alles. Heiß durchrieselt blickte er ihr nach.

 

VI.

Noch im Laufe des gleichen Tages erlangte auch Aribo das nachgesuchte Gehör. Auf die Frage des Königs, was ihn herführe, antwortete der Erzbischof: »Der Wunsch, wieder einmal das Herscher-Antlitz zu schauen, das sich mir wie eine scheidende Sonne entzogen hat, seit den Tagen von Mainz, seit die Krone Euer Haupt schmückte, die . . .« – »Ich Euch verdanke Erzkanzler. Nicht nötig, mich des zu mahnen; ich vergesse das nicht. Aber schwerlich hat Euch dieses Sehnen zu mir geführt: Ihr wünscht etwas für Euch.«

»Diesmal doch nicht! Nicht einmal für die heilige Kirche. Ich komme, zu warnen. Ich erhielt zuverlässig Kunde, daß zwei Eurer Feinde sich insgeheim verbündet haben und gegen Euch rüsten: der rote Konrad, der den Tag von Kamda nicht vergessen hat, und Odo von Champagne, der den Anfall von Burgund nicht erwarten kann.« – »Da kann er lange warten,« lachte Konrad grimmig. – »Aber er will nicht! Der Bote hat ihm dies Reich versprochen, sobald er mit seiner Waffenhilfe Euch von dem Throne verdrängt. Ich eilte herbei, Euch zu warnen. Kommt zuvor.«

»Dank! Ihr kommt zur rechten Zeit. Die Dinge von Burgund drängen in diesen Tagen zur Entscheidung – und zwar hier. Die eine Erbin, Frau Gisela, ist hier eingetroffen. Und auch ihr Sohn, der sie bei lebendigem Leibe beerben will.« – »So hat sie sich entschlossen ihre Witwentrauer gar bald abzuschließen? Denn man trauert nicht bei Hofe,« lachte der Bischof.

Unwillig fuhr Herr Konrad auf: »Kein Wort wider sie!« rief er in ungewohnter Heftigkeit. »Sie mußte wohl kommen, wann der König Schwabenland betritt.«

Aribo ließ ganz kurz die klugen Augen auf den erregten, erhitzten Zügen des Königs ruhen. Dann sprach er beschwichtigend: »Ich bin der letzte, wider diese Frau zu sprechen, die Schönste, die Gottes Sonne je beschienen . . .« Konrad schwieg, aber er nickte kurz Zustimmung. »Das sieht jedes Auge. Ich aber, – seit vielen Jahren kenn' ich sie genau! – sehe auch in ihre edle Seele, ihren klugen Geist.«

»Freut mich, das von Euch zu hören. Gefällt mir besser als Bischof Burchards gar eingeschränktes Lob, der Wankelmut an ihr zu tadeln fand und allzuwarme Freude an weltlichen Dingen.« – »Ei, die Vielschöne ist doch keine Nonne. Wäre schade drum!« fügte er listig bei. – »Das mein' ich auch. Ihr seid ihr Freund, ich seh's. So sollt Ihr morgen – als Vertreter ihrer Rechte – teilnehmen an der Beratung über Burgund: ich muß heute noch die Verträge mit König Rudolf genau prüfen: morgen bin ich damit fertig.«


Mit Mühe hatte Ernst, nachdem er selbst den Freund aus der Haft in Freiheit geführt, ihn bewogen, dem König und der Fürsprecherin seinen Dank sagen zu lassen! »Ich mag ihnen nichts zu danken haben, ihm nicht und ihr nicht. Nein, auch deiner schönen Mutter nicht! Sie ist allzuschön. Will sagen, sie weiß es zu klar und denkt immerfort daran. Wer weiß, was wir noch mit dieser Schönheit erleben. Sie ist zu jung für eine Witwe.« – »Aber Werner! Ihr Gelübde! In die Hand des sterbenden Vaters abgelegt.«

»Nun, lassen wir's. – Weißt du, was ich möchte? Diesen tugendsamen Pfalzgrafen, der mir den Zutritt zum Herrscher verwehrte, –« – »Er war in vollem Recht.« – »Vor mein Schwert fordern, anderswohin als in der Pfalz, wo sich der Feigling . . .« – »Graf Mangold ist nicht feig. Die Böhmen wissen's.« – »Nicht mit dem Schild des Pfalzfriedens decken mag. Aber ich will den König nicht aufs neue reizen, indem ich ihm seinen Liebling erschlage.« – »Laß das bleiben, bitte.« – »Wenigstens bis er deine Mutung um Schwaben und Burgund gewährt hat.« – »Eingereicht ist sie schon: morgen fällt die Entscheidung. Der treue Burchard mahnte dringend, nur Schwaben zu verlangen, auf Burgund zu verzichten, das sei hoffnungslos. Ich schwanke.«

»Tod und Teufel,« rief Werner mit dem Fuße stampfend, daß der Estrich des Kerkerganges dröhnte, »du darfst nicht schwanken. Schmach dem Ritter, der nicht sein Recht verficht. Hast du nur erst Schwaben – treu stehen alle Alamannen-Helme zu dem Sohn ihres geliebten Herzogs, alsdann selbst ihrem Herzog! – magst du um Burgund mit den Waffen werben.« – »Still! Wecke mir nicht wieder Gedanken, die ich mit Mühe in Schlummer gewiegt.«

 

VII.

Am andern Morgen berief der König die Herzogin, deren Sohn mit Gefolge, Aribo und Burchard, sowie den Bischof Bruno von Augsburg in den Empfangssaal, wo er auf dem Throne Platz nahm, während der Herzogin, ihren Frauen und den Bischöfen Sitze auf den reich behangenen Wandbänken bereitet waren: die andern Geistlichen und die Laien standen in dichten Reihen. Die Herzogin strahlte in stolzer Schönheit, der König weidete die Augen daran. Endlich begann er: »Vieledle Frau, Ihr und Euer Sohn und die andern hierher von mir Berufenen wissen, wozu ich euch versammelt habe: teils sollt ihr meine Beschlüsse vernehmen, teils sie mit mir vorbereiten. Ich halte hier zwei Urkunden, Eingaben des jugendlichen Ernst, des Sohnes des hochverdienten Schwabenherzogs und seiner Witwe. In der einen stellt er die Bitte, ihm das Herzogtum Schwaben zu verleihen. Da er hier in gehöriger, nicht blinder Mutung das Recht der Krone ausdrücklich anerkennt, solche Verleihung in Gnaden zu gewähren oder – ohne Angabe von Gründen – zu verweigern« – da lief ein leises Murren durch die Reihen der alamannischen Vasallen. Werner trat mürrisch einen Schritt vor – »also keinerlei eignes Recht etwa wie auf ein Erbgut« – »in Anspruch nimmt, habe ich mich entschlossen, diese Bitte in Huld und Gnade zu gewähren. Morgen schon wird er dem König Hulde tun und den Eid der Lehnstreue schwören, ich aber werde ihm vor dem Lehnshof des Reiches die grüne Herzogfahne Alamanniens überreichen: er soll sie und das Herzogtum behalten, solang er seinem König die beschworne Treue hält.«

Ernst verneigte sich dankend. Konrad legte die eine Urkunde zur Seite und erhob die andre.

»Weiter aber hat der künftige Schwabenherzog verlangt, ich solle ihn auch als Herzog des bisherigen Königreichs Burgund verkünden. Aber das kann nicht geschehen.«

Da fuhr Ernst empor, daß seine Waffen erklirrten, seine Mutter hob warnend die Hand gegen Werner, der die Schwertscheide zur Erde stieß: die schwäbischen Ritter grollten dumpf.

Aber der König fuhr fort: »Erstens lebt noch der greise König von Burgund. Nun hat der Jüngling zwar nur für dessen Todesfall die Vorausbelehnung verlangt. Aber dem stehen entgegen die Rechte andrer: Odos von Champagne, des Neffen König Rudolfs, und Frau Giselas, dieses Königs Nichte. Zwar erklärt in dieser Urkunde die edle Frau, sie sei bereit, ihr Erbrecht an ihren Sohn abzutreten: das aber verbiet' ich im Namen des Reichs.«

Da brach die Unzufriedenheit gar mancher Hörer in lauten Widerspruch aus.

»Schweigt, ihr Getreuen!« rief Ernst. »Herr König, gebt Ihr mir Urlaub zu reden?« – »Redet.« – »Kraft welches Rechts wollt Ihr dies Verbot erlassen?«

Unmutig erwiderte der König: »Ich könnte sagen, kraft des Rechts des Oberlehnsherrn über alle Lehen im Reich. Oder kraft des Rechts und der Pflicht des Königs, allüberall das Wohl des Reichs zu wahren. Aber vernehmt ein stärkeres Recht: Herr Odo und Frau Gisela haben gar kein Recht mehr an Burgund – daher kann diese keins abtreten: denn der Erbe von Burgund . . .« – »Seid Ihr's vielleicht?« entgegnete Werner hitzig. – »Nein, vorlaute Zunge, der Erbe von Burgund ist das Deutsche Reich.« – »Was? Wie? Das Reich?« scholl's durch die Reihen. – »Das Reich ist kein Mensch. Es kann nicht erben!« rief Ernst. – »So? Erbt nicht ein Kloster aus Testament und aus Vertrag?« – »Ja, aber . . .« – »Kein aber, junger Ernst.« Der König legte nun die zweite Urkunde fort und holte eine dritte aus einer neben ihm stehenden weit geöffneten Ecktruhe. »Seht hier den Vertrag, den Kaiser Heinrich geschlossen mit König Rudolf am 2. Hornung vor drei Jahren. Was steht hier geschrieben? ›Fünftens aber setzt König Rudolf zu seinem Folger im Reiche Burgund ein den Kaiser Heinrich . . . –‹« – »Seid Ihr das?« rief Werner.

Heiß zuckte die Flamme des Zorns über König Konrads meist so ruhige Züge, aber er faßte sich und sprach gelassen: »Euer Kerker liegt ganz nah.« Dann fuhr er fort: »den Kaiser Heinrich und jeden seiner Nachfolger im Reich. Das will sagen: das Reich selbst, vertreten durch seinen jeweiligen König.«

»Das, das ist nie Recht gewesen unter den Deutschen,« sprach Ernst verwirrt nach kurzem Schweigen.

»Doch! Die guten Deutschen haben's nur nicht so ausgedrückt. Ich frage die weisen, gelehrten Herrn der Kirche: ist etwa der Papst und die Kirche, ist etwa der Bischof und das Bistum, ist der Abt und das Kloster dasselbe?« – »Nicht doch,« sprachen die drei Bischöfe mit einer Stimme.

»Das wäre Frevel,« rief Bischof Bruno, »den sündhaften, sterblichen Menschen für eins zu halten mit der heiligen Anstalt. Und wirklich, – ich hab' es bisher nur nicht so gedacht! – aber wirklich gilt das gleiche vom König und vom Reich. Der König stirbt wie der Papst: die heilige Kirche und das Reich – es heißt auch heilig – sterben nicht.« – Die Geistlichen alle riefen oder nickten Beifall.

»Gut, daß die Wahrheit dämmert in den deutschen Köpfen,« sprach der König erfreut. – »Ich widerspreche dieser neuen Lehre,« rief Ernst.

»So hört weiter. Bischof Bruno: wer hat dem Burgunderkönig den Vergeltpreis bezahlt für seine Abtretung. Kaiser Heinrich?« – »Nein doch,« antwortete der Gefragte. »Hab' ich doch selber den Vertrag verfaßt: Lest nach, Herr König, ich meine: es muß Kapitel VII sein.«

Konrad las wieder: »Den Vergelt aber für diesen Vertrag – nämlich für alle die nutzbaren Hoheitsrechte in Burgund, – ›300 000 Schillinge goldner Münze, hat das Reich dem König von Burgund entrichtet‹. Wer also, jung Ernst, hat das Recht auf Burgund erworben?«

Aber der gab nicht nach: »Ich leugne, daß jener greise König zum Nachteil seiner Blutserben, seiner gesetzlichen Erben über die Erbschaft verfügen konnte. Ich schelte den Vertrag null und nichtig. Hier werf' ich meinen Ritterhandschuh hin und grüße kampflich jeden, der jenes Pergament verficht.«

»O mein Sohn!« rief Gisela in Tränen ausbrechend und mit beiden Händen auf den Herrscher weisend: »du willst das Schwert erheben gegen diesen – diesen – Mann?«

Spöttisch fiel da Werner ein: »Ihr weint ohne Grund, vielschöne Witwe des edelsten Mannes: denn Ihr weint nicht um den Sohn, wie man etwa meinen sollte. Ihr weint um den Herrn König: – der aber schlägt sich nur mit Königen. Er hat jedoch viel tausend Vasallen, die für ihn kämpfen müssen und einem dieser würde wohl zuletzt auch Euer tapfrer Sohn Ernst erliegen. Spart die Tränen für den Sohn. Die letzten, die ich sah, vergosset Ihr dort am Waldessaume – für den Gemahl.« Gisela barg das Haupt im Schleier.

Heiß zornig sprang der König auf: aber Aribo trat dicht vor ihn hin, neigte sich und bat um Redegunst. Dann hob er an: »Euer kluger scharfer Geist, Herr Konrad, ging nicht umsonst in Welschland in die Schule: die Lehre, die Ihr dort gelernt, haben schon Eure Vorfahren im Reiche, die großen Kaiser Theodosius und Justinian, gelehrt und ebenso schon lang die Canones der heiligen Kirche. Gleichwohl rate ich dringend, sich darauf nicht zu berufen, in Deutschland – anders in Italien, wohin Ihr wohl bald aufbrecht, Euch die Kaiserkrone zu holen in Rom.« Wohlgefällig nickte der König.

»Unter den Deutschen nicht! Ihr saht, wie die hier versammelten Laien sämtlich die Köpfe schüttelten, Ihr hörtet vielleicht auch ihr Murren: wohlan, glaubt mir, alle Laien im Reich, vorab die Fürsten, würden es nicht beim Kopfschütteln und Murren bewenden lassen: sie würden Euch nicht Heerfolge leisten in einem Krieg gegen Herrn Odo aus solchem Rechtsgrund. Es ist doch höchst zweifelhaft, ob König Rudolf das Recht von Neffe und Nichte durch jenen Vertrag einfach über den Haufen stoßen konnte. Unser Volk hält streng fest am Erbrecht der Sippe. Das Volk kennt – darin hat jung Ernst recht – nur Menschen als Erben. So müßte – und dabei warf er bedeutsame Blicke erst auf Gisela, dann auf den Herrscher und hielt kurz inne – »ein menschlich Band Euch, Herr König – nicht das Gespenst des Reichs! – mit der Erbschaft – besser mit einem der Erbberechtigten – verknüpfen. Ja, zum Beispiel« – er tat, als komme ihm der (lang gefaßte) Gedanke jetzt erst plötzlich – »ja, wenn Herzog Ernst von Schwaben noch lebte, der, als der Gemahl der Erbin Gisela, hätte sonder Zweifel an deren Statt, als deren Vertreter und Eheherr, das Recht auf . . .«

Er konnte nicht vollenden. Denn Konrad, dessen bewegte Züge des Priesters Worte immer heftiger erregt hatten, sprang ungestüm von seinem Thron empor und mit glutflammendem Antlitz rief er: »Wohlan, so erhebe ich Frau Gisela hier zu meiner Gemahlin.«

Da brach ein Sturm der Leidenschaften aus in dem Saal: Erstaunen, Bestürzung, vereinzelter Beifall, aber viel mehr lauter Unwille machten sich Luft: die Witwe sank halb ohnmächtig in die Arme ihrer Frauen.

Am lautesten übertönte den Lärm der andern ein Schrei wilden Zorns: – Ernsts Stimme, doch seltsam entstellt – und eine grelle schrille Lache: – Werner stieß sie aus.

Konrad aber stieg von den Stufen und eilte raschen Schrittes mitten durch den Saal auf Gisela zu, ergriff heftig ihre Rechte und zog sie in die Höhe: »Verzeiht, vieledle Frau, das Ungestüm dieses Wortes: aber der Drang des Augenblicks hat mir rascher den Entschluß gereift, den ich – nein, der mich ergriffen hatte bei Eurem ersten Anblick. Ich will mich nicht berufen auf das alte Recht unsrer Herrscher, über die Hand der Jungfrauen und der Witwen – zumal der Fürstinnen – frei zu verfügen. Fern sei gegenüber einem Wesen wie Ihr jener barbarische, tyrannische Gebrauch. Nein, wie Ritter zu Edelfrau, besser wie liebender Mann zu geliebtem Weib sprech' ich zu Euch: Gisela, könnt Ihr mein tief, mein heiß Gefühl nicht erwidern? Seht, ich biete Euch als Brautschatz die deutsche Königs- bald die römische Kaiser-Krone. Und mich, diesen ganzen Menschen. Und endlich bedenkt: unsre Verbindung ist ein Segen für das Reich – das mir immerdar das Höchste war und bleiben wird –: unsre Ehe endet friedlich den Streit um Burgund, – verhütet viel Blutvergießen. Redet! O sagt ja.« Aber die Frau fand keine Worte: mit tief traurigem Ausdruck, mit schmerzlichstem Bedauern schüttelte sie leise das Haupt. »Ihr schweigt. Ihr sagt mir Nein?« Er wich einen Schritt zurück.

Da trat Ernst vor und grimmig, fast drohend sprach er: »Meine Mutter sagt Nein: – hei, es scheint ihr recht schwer zu werden, zu verzichten auf die Ehre der Krone und auf die Freuden des neuen Ehebetts! – sie sagt Nein, weil sie muß. Gott sei's geklagt, offenbar nur weil sie muß.« – »Und warum muß sie?« fragte Konrad mit feindseligem Blick. – »Weil sie meinem sterbenden Vater geschworen hat, ihm treu zu bleiben, mir allein zu leben, nie wieder sich zu vermählen. Ist's nicht so, Freund Burchard, Herr Erzbischof, Ihr standet dabei, beide: – euer Zeugnis ruf' ich an! Ist's nicht so?«

Erwartungsvoll trat Konrad auf die beiden Bischöfe zu mit fragenden Blicken. »Also ist's,« sprach Burchard feierlich, »ich hab's gehört. Und, Frau Gisela: Gott hat's gehört im Himmel, von wo Euer Gatte auf Euch herniederschaut in dieser Stunde.«

Tiefes, allgemeines Schweigen folgte diesen Worten: auch Konrad schwieg, er senkte tief das Haupt: nur ein leises Wimmern war hörbar. Gisela rang die Hände, »Erzbischof Aribo?« fragte endlich schmerzbewegt der König. Da schritt dieser von den Bankstufen herab und trat hoch aufgerichtet erhobnen Hauptes in die Mitte des Saales neben den König: »Ja, so war es, Herr König.«

Der stieß ein dumpfes Stöhnen aus und wollte mit einem letzten Blick auf die Geliebte den Saal verlassen. Aber Aribo legte ihm die Rechte auf die Schulter und sprach: »Halt, Herr Konrad. Verweilet noch. Verzweifelt nicht. Ich kenn' Euch gut: Euch treibt nicht weniger als die Minne zu dieser vielschönen Frau Eure erste und höchste Liebe: das Wohl des Reichs. Wohlan: soll zweier wackrer Herzen Glück, ja das Heil des Reichs gehemmt sein durch einen – ich hab's mit angesehen! – nicht frei geleisteten, durch einen halb abgezwungenen Eid?«

»Wie? Was?« schrie Ernst auf. – »Pfaff, du lügst!« sprach Werner mit geballter, drohender Faust. – »Herr Amtsbruder,« mahnte Burchard tief entrüstet, »Wie könnt Ihr . . .?« – »Beruhigt Euch, frommer Bruder. Ich hab's gesehen, wie er die Hand der Widerstrebenden ergriff und emporzog.« – »Das war doch nicht zwingende Gewalt.« – »Nein, nicht vis compulsiva, domine confrater. Aber doch Bedrängnis. Und übrigens ein Bischof sollte wissen, – wem von Christus dem Herrn gegeben ist die Macht zu lösen wie zu binden, wie auf Erden so im Himmel: Sankt Petrus und allen seinen Nachfolgern, den Bischöfen. Kraft dieser Gewalt, zu lösen, löse ich Frau Gisela auf Erden von ihrem Eid und löse sie im Himmel von jedem Recht, das die Seele des Verstorbenen dort geltend machen könnte.«

Während der gewaltigen Bewegung im Saale, die alle ergriff, – Laien und Geistliche verließen ihre Sitze und drängten sich gegen König und Erzbischof – bahnte sich jener rasch den Weg durch das Gedränge zu Gisela, faßte ihre beiden Hände und zog sie sanft gegen seine Brust, »Gisela, geliebtes Weib, Herrliche! Sprich, nun frei vor Gott und Menschen, willst du, zu unsrer beider Seligkeit und zu des Reiches Heil, – willst du die Meine werden?« – Da hob sie beide Arme, sie lösend, hoch in die Höhe, und senkte sie auf seine beiden Schultern, an seine Brust fliegend. »Ja, ich bin dein.«

Ein markdurchdringender Schrei – ein dumpfer rasselnder Fall – Ernst lag ohnmächtig auf dem Estrich. Werner kniete neben ihm nieder und hob drohend die gepanzerte Faust gegen das Paar: »dieser Weheschrei wird gerächt,« knirschte er.

 


 


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