Felix Dahn
Herzog Ernst von Schwaben
Felix Dahn

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Drittes Buch.

I.

Sobald Gisela sich in stiller Kemenate aus den Armen des Bräutigams gelöst hatte, beschied sie ihren Sohn zu sich: aber Ernst, Werner und alle schwäbischen Ritter hatten die Stadt verlassen: tief betroffen ließ die Mutter das den König wissen: der lachte: »Eilt es ihm nicht, Herzog zu werden – ich kann's abwarten. Und die Herzogfahne hier in der Pfalz auch.«

Aber seine Bräutigamsungeduld konnte nicht warten: er drängte auf schleunige Vermählung. Aribo, der jetzt gewaltig viel zu gelten schien, hob bereitwillig das kirchliche Gebot der Einhaltung des Trauerjahres auf, der König selbst das weltliche und auf den nächsten Sonntag schon war die Hochzeit anberaumt, die auf Befehl des Herrschers mit aller königlichen Pracht gefeiert werden sollte. So viele Gäste als irgend in der kurzen Zwischenzeit geladen werden mochten, wurden entboten. Aber die Boten, die Ernst auf allen seinen Lieblingsburgen suchten, kehrten unverrichteter Dinge zurück: er war nirgends im Lande zu finden oder zu erkunden.

An dem Abend vor jenem Sonntag wandelte das Brautpaar allein in den Anlagen des parkähnlichen Gartens, der sich im Westen an die alte Königspfalz schloß. Die Sonne des schönen Herbsttages ergoß vor dem Versinken in leichtes Gewölk noch ihre rotgoldnen Schimmer in reicher Fülle durch die schon blätterarmen Zweige der Linden und Buchen, milde wohltuende Wärme verbreitend: zwar der Gesang der andern Vögel war längst verstummt: aber der metallische Abendruf der Schwarzdrossel schmetterte melodisch durch die Büsche. Konrad hatte den Arm um die Geliebte geschlungen: jetzt hielt er an in dem langsamen Gang und brach das Schweigen, das beide lange stillbeglückt eingehalten.

»Meine Gisela,« begann er, »in allem und jedem hast du dich bewährt, was diese wenigen, aber so inhaltreichen, vielbewegten Tage brachten: in allen Stücken erkannt' ich deinen zarten, feinen Sinn, wie er edlem Weibe innewohnen muß: sonst ist sie bei aller Schöne des Leibes ein widriges Geschöpf. Auch das ist gar fein und vornehm, daß du niemals mit der leisesten Frage, auch nicht mit einem Wort gestreift hast, was dich doch gewiß im geheimsten Herzen lebhaft bewegen muß, die Frage . . .«

»Welche Frage, Konrad? Ich habe keine an dich zu stellen. Liegt doch dein ganzes, edles, treuverlässiges Wesen so klar und offen und durchsichtig vor aller Augen wie der Spiegel des Bodensees im hellsten Sonnenlicht. Wer sehen kann, der sieht dich, nicht wie du scheinst, nein, wie du bist.« – »Aber doch nicht, wie ich war, wie ich, was ich nun bin, geworden. Mein vergangenes Leben – vor dir, vor der Liebe, die mich zu dir zwang beim ersten Anblick – begehrst du nicht, davon zu wissen?« – »Mir genügt, was ich weiß. Wie du, früh verwaist, eine harte Jugend zu durchkämpfen hattest: der Großvater, der mächtige Herzog von Kärnten, ja die eigene Mutter, Frau Adelheid, setzten dich zurück hinter deine Oheime, des Vaters Brüder: karg maßen sie dir das Erbteil zu: hätte nicht der gute Burchard sich dein angenommen, schwer hättest du gedarbt: durch Kämpfe und Kriegstaten mußtest du das erst erringen, was schon deiner Geburt gebührte. Alles, was du bist und hast, dankst du dir selbst allein, auch das Höchste, die Königskrone und das Kleinste, Wertloseste: dieses Weib, das dich so aus der Maßen lieben muß.« Da drückte er sie an die Brust und küßte ihr Stirn, Augen und Mund.

»Ja lieben, wie ich nie geahnt, daß ein Herz lieben kann. Du weißt ja, dreizehn Jahre zählte ich, als der Vater mich verlobte, vierzehn, als ich dem so viel älteren Manne folgte. Ich war nicht gefragt worden: aber auch wenn gefragt, hätte ich nichts anderes getan, als dem Wunsche des Vaters folgen. Fern sei's, an dem Andenken des besten Mannes auch nur mit einem Worte zu mäkeln: er war die Güte selbst gegen mich junges Ding: Dank, Verehrung, ja Ehrfurcht wie für einen Vater hab' ich tief empfunden, werd ich ihm wahren immerdar: – aber Liebe, Weibesliebe zum Manne – erst du, Gewaltiger, hast sie mich gelehrt. Viele haben mich gescholten – ich weiß es wohl! – putzsüchtig, eitel, inhaltsleer, ich war's vielleicht! aber heil mir, nun hab' ich meinen Inhalt.«

Bewegt schloß er sie in die Arme, Dann sprach er ernst: »Wahrlich, wie eines Kindes erste Beichte ist dieser Blick auf dein Leben, Nun aber drängt es mich, dir zu beichten: du fragst nicht: so sprech' ich ungefragt. Nicht so kindlich rein verlief mein Leben: ich habe lange vor deinem Anblick die Minne gekannt, ihre Süße voll genossen und auch ihr bitter giftig Weh geleert – bis zur Neige, nah bis zum Sterben und Verzweifeln.« Und er preßte die Rechte auf die Augen, daß es schmerzte.

Sanft zog sie allmählich die geballte Faust herab: »Viellieber, laß doch! Verscheuche den Gedanken, tut dir's weh: ich verlange nicht, davon zu wissen. Wie sollte auch ein Held, – ein Mann wie du so schön, so stark, so viel klüger und herrlicher als alle, – wie solltest du zu voller Mannesreife gediehen sein, ohne viel geliebt zu werden und zu lieben.«

Er drückte ihre Hand: »Dank! Du machst mir's leicht; 's ist bald erzählt, was eine Welt von Schmerzen birgt. Es war nur ein Weib, nur einmal. Sie war frei geboren, aber geringen Standes. Sie war gar schön: – nicht wie du, stolz, üppig, beherrschend: nein, eine kleine, zarte, weiße Blüte!« Er seufzte tief auf und strich mit der Hand über die Stirn. – »Du Armer! Und sie starb dir!« – »O nein!« rief er in wild ausbrechendem Weh: »Besser wäre ihr – und mir! – gewesen, entriß sie der Tod. Nein, nicht gestorben, treulos ist sie geworden.« – »Treulos dir? Dich verlassen? Unmöglich!« – »Was ist falschem Herzen unmöglich? Du mußt alles wissen, nicht bloß ihre Schuld: – auch die meine. Geheim mußte unsre Liebe bleiben: meine Sippe durfte von der Hirtentochter nichts wissen. Die Meinen wollten mich durchaus mit einer andern vermählen, einer entfernten Verwandten unseres Hauses.« – »Gewiß mit der gefeierten Erdmuthe von Mespelbrunn, deren Schönheit man noch heute rühmt?«

Konrad nickte: »Mit Recht; aber den Meinen lag vor allem an ihren reichen Gütern im Spessart, welche die unsern trefflich würden abgerundet haben. Und die stolze Schönheit schien nicht abgeneigt: ich aber wollte nicht.« – »Was ist doch aus ihr geworden? Ich meine . . . –«

»Äbtissin des von ihr gestifteten Klosters Reuenpforten, fern, am Meeresstrand bei Bremen. Und gar mächtig schaltet und waltet sie dort: die königliche Äbtissin nennt man sie. – Ich zog die Minne des Hirtenkindes vor, die heimliche. Aber zuletzt,« er stockte – »mußte es an den Tag. Sie hatte mir alles, alles gegeben: ach ich wähnte auch die Seele – wie den jungen Leib. Sie genas in der Stille ihres Schäferhofes eines Kindes. Nun mußte und wollte ich sie als mein Eheweib heimführen. Ich hatte alles vorbereitet. In zwei Nächten wollte ich sie und das Kind holen: ein Priester war gewonnen, uns heimlich zu trauen: dem Zorn meiner Sippe, der Enterbung hätte ich getrotzt. Da erhielt ich durch einen Boten einen aufgefangenen Brief Mildtrudens an . . . an . . .«

»An wen? Aber laß lieber ab!« – »Nein: es muß heraus! An den – ungenannten Vater ihres Kindes.« – »Oh Armer!« Sie ergriff seine beiden Hände. Aber er riß sich los: »Sie verhöhnte mich in dem Brief, der ich das Kind für mein Fleisch und Blut halte und sie beteuerte, auch als mein Weib werde sie niemals von ihrem Herzgeliebten lassen.« – »Die Unselige!«

»O nein! Nicht sie, ich war unselig. Denn mir entging die Rache an ihr und – zumal! – an ihm! Der Bote war spurlos verschwunden, sobald er den Brief dem Burgtorwart abgegeben hatte. Ich jagte auf meinem schnellsten Roß noch in derselben Viertelstunde in die Nacht hinaus, stundenweit, an ihres Ohms Gehöft: ich fand nur den Alten. Der erzählte, – voll glaubhaft war seine Angst! – am Tage vorher habe Mildtrud erklärt, sie müsse das Kind aus dem Haus in das Freie, in das Sonnenlicht, tragen, in der Richtung auf das nahe Gehölz. Der Oheim zimmerte an dem Zaun der Hofstätte, von wo er sie deutlich sah. Plötzlich sprengten aus dem Tannicht zwei Reiter auf sie zu, der eine hob sie, der andre den Säugling zu sich auf das Pferd und so schnell sie gekommen, verschwanden sie wieder in den dichten Wald. Als der Alte dessen Saum erreichte, sah er nichts mehr von den Reitern und der, – wie er meinte! – Geraubten. Vergeblich schrie er ihren Namen: in weiter Ferne schon tönte der Hufschlag. Ratlos, hilflos harrte er in dem Hause: mich konnte er nicht angehn: er kannte weder meinen – rechten – Namen, noch meinen Aufenthalt. Ich suchte nun den ganzen Wald ab; nichts fand ich, kaum mehr die Hufspuren, die jenseit des Gehölzes auf der harten Landstraße erloschen. Ich wartete nun noch mehrere Tage . . .«

»Welch' treue Liebe!« – »Nein, welch' treuer Haß. Erschlagen hätt' ich die Dirne, den Buhlen und die Brut. Denn nicht an Gewalt ist zu denken: nach Verabredung lief sie dem Entführer entgegen, der Ehe mit mir zu entrinnen. Und – ich hab's geeidet! – ich erschlage sie alle drei, find' ich sie jemals aus.«

Zitternd vor Zorn hielt er inne. – »Vergiß das Liebster! O vergiß!« – »Niemals! Nicht die verratene Liebe und nie den Eid der Rache!«

 

II.

Glänzend ward am folgenden Tage die Vermählung gefeiert. Aber der König versäumte auch in den Tagen der Hochzeitfeier nicht die Sorge um das Reich. Das Verschwinden des jungen Ernst und seiner Schwaben ließ nur Unheil drohende Auslegung zu; dem Pfalzgrafen Mangold ward der Auftrag, die Suche nach den Flüchtlingen neu aufzunehmen und Bericht von allem Ermittelten zu überbringen: – lang blieb er aus.

Aus Italien, zumal aus Pavia, kamen bedenkliche Nachrichten über die Stimmung der Bevölkerung: drohend schienen von überall her Wetterwolken aufzusteigen. Aber König Konrad blieb ruhig, klar und fest. »Immer eins nach dem andern,« so beschwichtete er seine besorgte Königin, »und zwar immer das Nächste zunächst. Ich kann weder mich noch mein Heer vierteilen nach den Himmelsgegenden. Zuerst muß wieder der Pfalzrat hier in Ordnung gebracht sein: – er ist durch unsre rasche Heirat ein wenig zerrüttet worden, – bevor ich an die Marken eile. Ich habe Burchard, dann Aribo hierher beschieden: – nein, bitte, bleibe: ich habe dich in diesen Tagen als meine klügste wie treuste Kanzlerin erprobt. Ah, Burchard, Vielgetreuer: – wie umwölk! ist deine klare Stirn.«

»Kein Wunder, Herr König. Ihr wißt, ich bin nicht einverstanden mit dem Wichtigsten, was hier geschehn: der Entbindung von dem Eid, der Verletzung des Trauerjahrs . . . Ich bitt' um Entlassung von dem Hof, um Entbindung von meiner Stellung als Euer – wie soll ich sagen? – Reiseratgeber ohne Amt.«

»Recht hast du, Vater Burchard, wie in – fast – allem. Nur meine Minne, mein Eheglück solltest du nicht so scharf verwerfen; hab' ich doch nicht nur Gisela, Burgund hab' ich genommen.« – »Ja,« lächelte die Königin, »ohne diese Aussteuer hätte er mich schwerlich genommen.« – »Trotz Herrn Aribos Künsten,« sprach der König ernst. – »Wie?« staunte Burchard. »Ich meinte, der sei jetzt . . . –« – »Allmächtig bei mir? Doch nicht. Er wünscht es, er wähnt es vielleicht: aber er irrt sich. Dank? Gewiß: aber nicht auf Kosten des Reichs, Allzugefährlich wird seine stete, stillschweigende Dankbegehr und sein Wahn, mich, Hof und Reich zu beherrschen. Fort mit ihm aus meiner Nähe! Dort kommt er. Willkommen, Herr Erzbischof. Ich weiß, Ihr wartet schon lang auf Belohnung für Dienste, die Ihr dem Reich geleistet: das Reich soll sie belohnen. Doch nicht auf Kosten der Gerechtigkeit. So muß ich Euch denn leider verkünden: nicht kann Euch werden, was Ihr so lang und heiß erstrebt, was Ihr von mir – über meine Befugnisse hinaus – erbeten: das Recht über Kloster Gandersheim und dessen Güter: einstimmig haben im Konzil zu Grona die mit Prüfung jener Rechte beauftragten Bischöfe Gandersheim Euerm Widersacher, Gerbod von Hildesheim, zuerkannt.« Aribo erbleichte vor Zorn. »Aber hört weiter! In den heißen Köpfen der Welschen siedet's wieder mal zum Überlaufen: bevor ich komme, mit dem Schwert zu dämpfen, bedarf es einer klugen Beschwörung dieser brausenden Kräfte, die List mit Arglist überwindet. Dazu seid Ihr der rechte Mann. Macht Euch reisefertig sofort, eilt nach Pavia, entwirrt die dort gesponnenen Ränke und erwartet meine Ankunft – als Reichserzkanzler von Italien.«

Sprachlos vor Überraschung stand Aribo: endlich brachte er hervor: »Und – und die Geschäfte hier? – am Hof? – in Deutschland?« – »Die führ' ich fortan selbst.« – »Allein?« – »Nein, Freund Burchard wird mir helfen: als Reichserzkanzler für Germanien. Ihr seid entlassen. – ›Entlassen aus Deutschland für – immerdar,‹« wiederholte er zu Burchard.

Auf der Schwelle kreuzte jener sich mit dem hastig eintretenden Pfalzgrafen Mangold: »Herr König,« rief der, »nun werft das Hochzeitgewand ab und legt die Brünne an. Ein ganzer Haufe übler Boten ist gestern abend und heute früh eingetroffen von allen Winden her: das Abendland brennt rings und alle diese Flammen züngeln gegen uns, gegen das Reich. Aber das Schlimmste ist: aus dem Reiche selbst steigt die Lohe auf wider dich: Euer Sohn, Frau Königin, – Herzog von Schwaben und Burgund nennt er sich in seinen Kampfrufen – hat sich gegen dich empört und seine Schwaben zu einem großen Heerhaufen um sich geschart: er zieht an den Rhein, sich mit Konrad von Worms zu vereinen.«

 

III.

Wirklich hatte Ernst alle Vasallen des Herzogtums Schwaben und alle Freunde seines Vaters durch eilende Boten zu den Waffen gerufen, sein gutes Recht auf Schwaben und Burgund zu verfechten. Auf Betreiben Werners war eine Rechtsverwahrung gegen die eidbrüchige Wiedervermählung der Mutter beigefügt. Als Sammelort hatte er in seinen Heerbriefen den großen Reichswald von Hagenau bei Straßburg bezeichnet: dorthin trachtete er von Augsburg aus mit aller Eile, sich dort am Rhein mit dem ebenfalls empörten Konrad zu vereinen, der die Gültigkeit der Wahl zu Kamba bestritt: man durfte hoffen, durch eine Waffenmacht in jenen Gegenden auch die unzufriedenen Herzoge von Ober- und von Nieder-Lothringen mit zum Aufstand fortzureißen.

Und in der Tat erschien alles günstig zu verlaufen: in hellen Haufen waren die Waffengenossen des geliebten alten Herzogs dessen Sohn zugeströmt, diesem zu seinem Recht zu verhelfen wider den »Franken«, der in Alamannien wenig bekannt, dem Lande wie dem Stamme fremd war. Das größte Verdienst um die Bildung eines Heeres, den hitzigsten Eifer hierbei entfaltete der unermüdliche Werner, der auch den widerstrebenden Ernst zum Entschluß fortgerissen hatte, während dieser Anwandlungen von Reue nicht immer abzuwehren vermochte.

So saß er in finstern Gedanken an einem trüben Spätherbstabend allein in seinem Zelt: Werner war ausgeritten, aus den nächsten Dörfern Futter für die vielen Rosse zu beschaffen; der Regen, zumal der naßkalte Nebel drang von allen Seiten durch die triefende Leinwand: das matte Licht der Ölampel, die in der Mitte herunterhing, drohte zu erlöschen: erschauernd saß der junge Empörer an dem aus Brettern roh zusammengezimmerten Tisch, auf dem unberührt ein Becher Weines stand; er stützte den Kopf auf die Hand und starrte dumpf brütend vor sich hin. Da störte ihn aus solchem Sinnen die Wache auf: sie meldete einen Boten.

»Von wem?« – »Vom Herrn König . . . von Herrn Konrad,« verbesserte der Mann rasch. »Seine Begleiter harren bei der Vorwache des Lagers.« – »Laß ihn eintreten.«

Alsbald trat ein Gewaffneter ein; aber statt des Helmes trug er einen breitrandigen Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte; ein brauner Reitermantel verhüllte die Gestalt. »Wer . . . wer seid Ihr?« fragte Ernst, sich erhebend und näher tretend.

Statt der Antwort nahm der Bote den Hut ab und warf ihn auf den Tisch. »Herr Konrad!« rief Ernst bestürzt. – »Ja, ich komme als mein eigner Bote. Was wir beiden zu verhandeln haben, ist keinem dritten und keinem Briefe zu vertrauen.«

Ernst wies auf den zweiten Stuhl im Zelt, der König setzte sich: in unbewußter Ehrerbietung blieb der Jüngling stehen.

»Ich komme aus Straßburg, wo ich soeben mit meinem – gar kleinen! – Heer eingetroffen, Euch allerlei Nachrichten zu bringen, die Euch hochwillkommen sein müssen,« – »Und die bringt Ihr? Mir?« – Aber ohne hierauf zu antworten, fuhr Konrad fort: »Wahrlich, gut gewählt ist der Augenblick für eine Erhebung wider das Reich. So gut – nicht Euer Scharfsinn konnte ihn so klug wählen: Ihr wußtet gar nicht, konntet nicht ahnen all' die Dinge, die das Reich zur Zeit von allen Seiten bedrohen. Ich komme, sie Euch treulich aufzudecken.«

Der Jüngling wußte sich vor Staunen nicht zu fassen: zweifelnd sah er auf den Feind, der also sprach. Der aber hob aufs neue an: »Ihr zählt – abgesehen von Euren Schwaben – nur auf die nicht eben starke Hilfe des Wormsers und Ihr müßt erwarten, daß ich Euch die ganze geeinte Macht des Reichs, den Heerbann aller andern Stämme entgegenführe. Dem ist nicht so. Ich brachte nach Straßburg nur meine Ostfranken. Nicht die Bayern: denn Graf Welf, in Bayern und Rätien reich begütert, hat sich gegen mich erhoben, sobald er von Eurem Vorhaben erfuhr: ich mußte die treugebliebenen Bayern gegen die jenem Zugefallenen schicken. Nicht die Hessen: ich sandte sie den beiden lothringischen Herzogen entgegen. Nicht die Thüringe, Sachsen und Friesen: denn – freut Euch, Sohn des treuesten deutschen Herzogs! – all' unsre alten Feinde im Osten und im Norden sind verbündet über das Reich hergefallen: König Kanut, der mächtig über Dänemark, mächtiger über England waltet, – nicht mit Unrecht nennen ihn die Seinen den Großen! – hat ein Heer von Dänemark aus bis Schleswig vorgeschoben: hart wird die Feste bestürmt: seine englische Flotte von dreißig Segeln ist die Elbe zu Berg gefahren und sperrt Hamburg von der See ab. Boleslav, der sich den König der Polen nennt, hat seine ungezählten wilden Raubreiter auf uns losgelassen; sie haben die Elbe überschritten und Wenden, Abodriten und Liutizen zu den Waffen mit fortgerissen. All diese Feinde abzuwehren, hab' ich nur die Thüringe, Sachsen und Friesen. Und im Westen hat der König von Westfrancien in Paris Odo von Champagne tausend Reiter zugesagt zum Angriff auf den Elsaß. Aber mehr noch! Der schwerste Schlag hat das Reich betroffen – er traf seine Ehre! – im Süden: in Pavia.«

Da fuhr Ernst jäh empor: »Was ist mit Pavia? Mein Vater hat's sieghaft verteidigt – es war seine letzte Heldentat – gegen die zehnfache Übermacht wütiger Lombarden! Noch stehn hundert seiner Ritter in dem altehrwürdigen Palast.« – »Sie standen. Jetzt liegen sie begraben unter dem Mauerschutt der verbrannten Kaiserpfalz: die Pavesen haben sich wieder erhoben, endlich den Palast gestürmt, alles Leben darin gemordet . . .« – »Ah, des Vaters Vasallen!« – »Das deutsche Banner durch den Kot ihrer Straßen geschleift und verbrannt . . .« – »Rache, Herr Konrad! Rächt die deutsche Ehre!«

»Wie kann ich das? Mit welchen Streitkräften? Nicht einen Mann von den Meinen kann ich entbehren diesseit der Alpen. Noch nie seit den Tagen des ersten Heinrich war das Reich so schwer, so von allen Seiten bedroht. Ich kam, Euch all das offen zu legen: Ihr seht, Ihr seid des Sieges fast gewiß: auf so vielen Schlachtfeldern zugleich werde ich nicht siegen, auf einem werd' ich wohl schließlich fallen auf meinen Schild: und Ihr mögt dann herrschen über den armen Rest, den Euch all Eure Verbündeten von Deutschland und von Welschland übrig lassen werden.«

»Nein! Nein!« rief Ernst mit der Hand abwehrend.

»Nein? Damit ist nichts gesagt. Wählt: die Stunde der Entscheidung kam für Euch, wie für das Reich. Wählet, wollt Ihr mit Polacken und Böhmaken, mit Dänen, Franzosen und Welschen im Bunde die deutsche Macht zersplittern und zerschlagen – ich fürchte, Ihr könnt's vollbringen! – oder wollt Ihr Eurem König helfen, das Vaterland verteidigen, wollt Ihr, des edelsten Herzogs Sohn, das Blut Eurer Schwaben und des Reiches Ehre rächen in Pavia? Wollt Ihr das, so vertrau' ich Eurer Hand die Sturmfahne des Reichs, daß Ihr sie traget im Vorstritt unsres Heers nach dem alten stolzen Schwabenrecht. Wollt Ihr das, Herzog von Alamannien?« – »Ja, ja, ich will, ich will,« rief der Jüngling und sank vor dem noch eben Befehdeten auf die Knie. »Verzeiht mir, mein König und mein Herr! Ich war ein Tor. Aber ich mach' es gut in Welschland mit diesem Schwert. Verzeiht mir!«

Da sprang Herr Konrad auf und zog ihn an die Brust – »Dir ist verziehen von Herzen, mein Sohn. Ich kann verzeihn: – noch ist kein Blut geflossen zwischen uns. Ich eile nach Straßburg zu den Meinen und verkünde: morgen brechen die Schwaben unter ihrem Herzog auf, über den Bergen die Fahne des Reichs wieder aufzupflanzen in Pavia.«

 

IV.

Nicht leicht ward es Ernst, am andern Morgen Werner nach dessen Eintreffen im Lager für den plötzlichen Entschluß zu gewinnen: »Er hat dich überrumpelt, der schlaue Franke. Gib acht: du wirst's bereuen! Was gab er dir für deine – Unterwerfung? Alamannien? Bah, nur dein Recht! Was sprach er von Burgund? Nichts? Hei, da haben wir's. Nie kriegst du das. Aber jetzt ist's geschehen: – war ich zugegen, geschah's wahrscheinlich nicht! Ich hätte seinen Zorn seine kühle Klugheit durchbrechen lassen: – aber, da es nun geschehen, wollen wir in Welschland dreinschlagen nach alter Schwabenart. Wartet, ihr Welschen: der Grimm, der mir gegen den Franken im Arme steckt, – ihr sollt ihn verspüren.«

War so in dem feindseligsten der Unterführer der Widerstand – von der Not gezwungen – gebrochen, so gelang es desto leichter, den großen Haufen umzustimmen, der jetzt vor allem verlangt war, die erschlagenen Stammgenossen, oft nahe Gesippen, in Welschland zu rächen. Und nun, durch die Versöhnung von König und Herzog – am folgenden Tag ward Ernst, nachdem er den Vasalleneid geleistet, feierlich vor den beiden vereinten Heerhaufen mit Alamannien belehnt, – ward wie durch einen Zauberschlag die ganze üble Lage des Reichs gewendet: – wie etwa im Hochgebirge die Sonne plötzlich sieghaft durch die Wolken bricht und alles Nebelgewölk zu Tale drückt und aufsaugt.

An Konrad von Worms schickten die beiden einen gemeinschaftlichen Boten: Ernst zeigte ihm seine Unterwerfung an und forderte ihn zu dem Gleichen auf unter Verbürgung für die Begnadigung durch den König, die dieser verhieß: der Wormser beeilte sich, seine Scharen zu entlassen und um Verzeihung zu bitten.

Als die beiden Lothringer dies vernahmen, stellten sie sofort ihre Rüstungen ein: sie hatten sich noch nicht offen ins Feld gewagt: so mochte der König ihre Vorbereitungen als ihm nicht bekannt behandeln.

Ohne Bundesgenossen loszuschlagen, konnte Odo von Champagne nicht wagen: um so weniger, als er mit König Robert zu Paris in Streit geraten war über die ihm zu hoch dünkende Besoldung der zu stellenden Reiter: es kam zu offenem Kampf zwischen beiden, in dem die Franzosen zwei Festen eroberten: so konnte Konrad das burgundische Basel, das Odo besetzt hatte, durch Herzog Ernst in raschem Handstreich wieder zurückgewinnen.

Schon vorher war es dem reuigen Eifer des Stiefsohnes gelungen, den trotzigen Welfen, dem die treugebliebenen Bayern am Lech hart zusetzten, von der Hoffnungslosigkeit weiteren Widerstands zu überzeugen: er unterwarf sich und kam mit Verlust einiger Lehen davon.

Die doppelte Gefährdung von Schleswig und von Hamburg durch König Kanut gelang es durch Gesandtschaften und Verhandlungen, abzuwenden, die Erzbischof Unwan von Bremen, beiden Herrschern nahe befreundet, geschickt zu glücklichem Ende führte, – sogar ein Freundschaftsbündnis zwischen beiden brachte der kluge Vermittler zu stande.

Da nun gleichzeitig König Boleslav plötzlich starb und Bruderkriege unter seinen Söhnen die Macht der Polen lähmten – ihre Raubreiter wurden von den hadernden Brüdern eilig nach Haus' gerufen, – blieben nur jene Slaven noch im Felde, die wieder einmal die nächsten Marken des Reichs mit Plünderung und Brand heimzusuchen begonnen hatten: der König mit Pfalzgraf Mangold führte die nunmehr frei verfügbaren Sachsen und Thüringe eilig gegen sie heran, zerstreute ihre Banden und zwang die aus dem Reiche gescheuchten Häuptlinge zur Unterwerfung mit Geiselstellung.

So war in Bälde jede Gefahr für das Reich im Westen, Norden und Osten beseitigt und der König konnte nun aus allen Stämmen starke Aufgebote versammeln, die im Süden jenseit der Berge noch hell aufflackernden Flammen des Aufruhrs zu löschen und die Brandstifter zu bestrafen.

Mit solchem Eifer betrieb der König die Rüstungen, daß er schon Ende Februar aufzubrechen vermochte. Augsburg war der – wie schon wiederholt für Römerzüge gewählte – Sammelort: hier fanden sich zumal die geistlichen Fürsten, die Bischöfe von Köln, von Hildesheim, von Utrecht, von Toul, wie die Vasallen der Stammes-Herzoge in großer Zahl ein. Die Vertretung des Herrschers nördlich der Alpen war dem treuen Burchard unter Mithilfe Bruns von Augsburg übertragen. Gleich bei dem Niedersteigen von dem Brenner und zahlreicher noch in Verona, dem ersten Ort längeren Verweilens, strömten lombardische Vasallen in Menge zu den Fahnen des Königs.

In Mailand erstattete Aribo ausführlichen Bericht über die Lage in den verschiedenen Landschaften der Halbinsel; es ergab sich, daß der kluge und geschmeidige Staatsmann gar manche Verwicklung mit seiner Hand entwirrt hatte: aber immerhin blieben noch festere Knoten, die nur das deutsche Schwert durchhauen konnte.

Richtig erkannte Konrads Scharfblick, daß vor dem römischen Kaiser gar viele Riegel fallen würden, die dem bloßen König von Germanien noch trotzten: er beschloß daher wohlweislich, nicht Kraft und Zeit zu verlieren durch gewaltsame Brechung des Widerstandes der zahlreichen großen Städte und kleinen Burgen in dem kastellreichen Lande zwischen Po und Tiber, – er eilte vorwärts nach Rom, woher die Kaiserkrone lockend leuchtete: auch mit der Belagerung und Bestrafung von Pavia hielt er sich – für jetzt – nicht auf: er begnügte sich mit der Beobachtung der trotzigen Stadt durch eine kleinere Schar: er selbst drängte mit der Vollkraft des Heeres vorwärts nach Süden. Aribos Erbieten, ihn dahin zu begleiten, lehnte er höflich, aber entschieden ab. »Allzuviel Verdienste schon um mich,« sprach er, »habt Ihr. Erdrückend würde mir die Dankesschuld. Ihr möchtet mir wohl am liebsten, wie den Königsreif, die Kaiserkrone aufsetzen? Gönnt dem heiligen Vater auch ein Stücklein.«

 

V.

Auf dem Wege von Mailand nach Rom bog er nur ein wenig nach Osten – über Mantua – nach Ravenna aus, wohin ihn der Hilfeschrei des Erzbischofs Heribert dringend rief: der deutsche Mann ward hart bedrängt von der leidenschaftlich deutsch-feindlichen Bürgerschaft. Zwar schien das bloße Erscheinen des Königs mit Heeresmacht vor den Mauern der Stadt diese wilden Wogen niederzulegen. Allein dieser Schein trog.

Um Reibungen mit den Ravennaten zu vermeiden, verschonte Konrad die Stadt mit der Einlagerung größerer Massen: vielmehr brachte er das Heer draußen vor den Toren in Zelten unter: zumal auf dem weiten Blachfeld im Osten der Stadt vor dem Tor Sankt Peter – heute Porta Alberoni: – die warmen italischen Sommernächte verstatteten das und nur eine kleine erlesene Schar führte er mit in die Stadt, wo er Wohnung nahm neben dem alten Königshaus des großen Theoderich, von dem damals noch gar sehr viel mehr erhalten war als die heute allein noch stehende eine Mauer. Ganz nahe jenem Palast, in dem Atrium der Basilika Sankt Apollinaris, ward das Reichspanier – Sankt Michael den Drachentöter darstellend, – geborgen: Ernst war gewährt worden, daß Schwaben die Bedeckung bilden durften; sie lagerten in ihren Waffen auf den Vorstufen der Kirche; Graf Werner war ihr Führer.

Zwei Tage verbrachte der Herrscher meist damit, Gericht zu halten in Streitsachen zwischen dem Erzbischof und der städtischen Curia, dem Senat der Bürgerschaft: die Urteile fielen meist gegen diese aus. Das reizte die Ravennaten, von je ein ungebärdig Völklein.

Am Abend des dritten Tages lud Ernst den Freund ein, mit ihm das Mahl im Palatium des Königs zu teilen. Aber Werner schüttelte den Kopf, »Nein! Ich hab' eine feine Nase. Ich wittre Blut in der Luft. Ich traue ihnen nicht, diesen unsern Wirten wider Willen. Sie blicken Dolchstöße. Sogar die Weiber, die mir sonst meist gewogen sind in den Städtlein der Welschen. Ich bleib' bei dem Fetzen bemalten Tuches da, das mir anvertraut ward. Wenig schert mich Sankt Michael, ja das Reich und sein Panier: – dem Bastard gönnen sie wenig Recht und Ehre. Aber der Franke soll nicht sagen, die Schwaben haben schlecht gewacht. Schick' nur einen Krug von eurem Wein herüber: – der Erzbischof wird ja sorgen, daß er nicht vergiftet ist. Nach Sonnenaufgang auf Wiedersehn.«

Aber die Freunde sollten sich noch bei andrem Licht wiederschauen. Mitternacht war lange vorüber: da öffneten sich geräuschlos die Tore eines weiten und tiefen Palasthofes nahe dem Königshaus – in der heutigen strada della porta Sisi: – gleichzeitig die Pforte des großen Pinien- und Cypressen-Haines auf der andern Seite der Straße, die zum Kloster der Benediktiner gehörte: und schweigend, mit sorgfältiger Meidung jedes Klirrens einer Waffe, ergossen sich dichte Haufen von Gewaffneten von Osten und von Westen in die Mitte der Straße: zwei Führer, beides riesige Gestalten, trafen zusammen bei der Kreuzung einer Quergasse.

»Los!« flüsterte der eine, »mir zuckt das Schwert in der Faust.« – »Noch nicht! Noch einen Augenblick. Erst muß das Feuerzeichen auf dem Peterstor emporflammen. Da sieh! Da lodert's auf! Jetzt ist das Tor geschlossen, von den Unsrigen geschlossen. Ausgesperrt ist das ganze Heer der Deutschen. Nicht dreihundert Helme haben sie in der Stadt. Horch, schon dröhnen die Sturmglocken von allen Campanilen. Jetzt drauf und nieder die Barbaren!«

Und nun war die bis dahin in tiefem, finstrem Schweigen brütende Stadt mit einem Schlag in eine lodernde, gellende, brüllende Hölle verwandelt. Aus jedem Hause brachen Fackeln, Speere, Schwerte, Keulen schwingende Männer und auch Weiber – gelösten Haares – zahlreich hervor: andre Frauen erschienen in den nun plötzlich hell erleuchteten Loggien, Brände schwingend und aus großen Eimern voll siedenden Pechs, Öls und heißen Wassers schöpfend, es auf die Überfallenen zu schütten, falls diese sich auf die Straßen wagen sollten, sich zu dem rettenden Tore durchzuschlagen. Aber das schien schon nicht mehr möglich: die beiden Gebäude, in denen der größte Teil der Deutschen in der Stadt lagerte – der Königspalast und die Basilika – wurden von so ungeheurer Übermacht bestürmt, daß die Angegriffenen, im Schlaf überrascht, nur mit äußerster Mühe sich innerhalb der starken Tore verteidigen, an einen Ausfall nicht denken konnten. Und wehe den etwa hundert Leuten, die einzeln in verschiedenen Palästen und Häusern einquartiert lagen! Sie wurden größtenteils im Schlaf oder im Augenblick des Erwachens in ihren Betten ermordet, bevor sie eine Waffe ergreifen konnten: hier waren es die Weiber und halbwüchsige Knaben, die mit Dolchen und Würgestricken diese ungefährliche Henkerarbeit verrichteten: auch nicht einer dieser Vereinzelten gelangte lebend auf die Straße: ihre blutigen Leichen wurden mit wieherndem Geheul von den Balkonen und Altanen auf das Pflaster herabgeschleudert.

Aber auch den beiden Haufen im Palast und in der Basilika schien das Verderben genaht. Das trockene Gebälk des alten Königshauses – mehr als ein halb Jahrtausend, seit den Tagen von Witichis und Mataswintha, hatte es nicht mehr Waffenlärm gehört – fing sofort Feuer unter den massenhaft darauf geworfenen Fackeln. Der Qualm des Brandes drohte die Verteidiger, hinter dem festen Eichentor in der Halle zusammengedrängt, zu ersticken: der Rauch zwang sie, sich in rascher Folge abzulösen: durch die wenigen Fenster hinaus schossen sie Pfeile und Wurfspeere: aber die meisten der Angreifer standen schon im toten Winkel dieser Geschosse. Und die alten Loggien oben, aus der Zeit Theoderichs, von denen aus man die Stufen vor dem Tor hätte bestreichen mögen, waren längst zugemauert. So schien es nur eine Frage kurzer Zeit, bis daß die allerdings sehr starken Tore dem wütenden Ansturm weichen und die tausend Angreifer einlassen würden.

Den König, von den Sturmglocken wachgerufen, hatte Ernst wecken wollen: er fand ihn schon wach: nur den Mantel hatte jener übergeworfen, wie er aus dem Bette sprang, und das Schwert aus der Scheide gerissen: Helm, Brünne, Schild zu fassen blieb ihm nicht Zeit: er war neben Ernst der vorderste an dem Tore, das unter den Axthieben der Angreifer stöhnte.

»Laßt das Spänesplittern, ihr Zwerglein,« gellte die Stimme des riesigen Anführers – Bulluccio il Toro hieß er – »laßt mich heran!« Und auf die oberste Stufe springend, schmetterte er aus aller Kraft das Schlachtbeil gegen das Schloß des Tores: krachend, klaffend sprangen beide Flügel auseinander und unter dem wölfischen Siegesgeheul der Welschen sprang er den Seinen voran hinein in die Halle.

Der erste, auf den er traf, war der helm- und schildlose König, dessen Schwert den Axthieb nicht hätte abwehren können: aber Ernst fing den Streich mit seinem Schild: wohl schlug der den Erzschild durch, drang in den Arm und warf durch seine Wucht den Beschirmer aufs Knie: aber einstweilen fand der König Zeit, dem Riesen die Klinge in den Hals zu bohren: der schrie heiser auf und fiel. Allein des Führers Fall entscharte diesmal nicht, wie sonst wohl oft, die Welschen: allzu erdrückend sahen sie ihre mehr als zehnfache Übermacht, zu verzweifelt die Lage der wenigen in der Halle eingekeilten Deutschen. Mit gellendem Rachegeschrei drängten sie vorwärts, schon durch den bloßen Anprall die wenigen zu erdrücken. Fuß um Fuß wichen die Deutschen zurück: mit bitterem Schmerz sah da der König seine Trautesten stürzen: den jugendlichen Mundschenk Goswin von Roßfeld mit durchhauenem Helm, den tapfern Truchseß Gerbold vom Stein mit einem Dolchstich unter dem unterlaufenen Schwertarm, den liedfrohen Gisilbrecht von Saarburg, einen Pfeil in der Kehle. Näher und näher drang der Ansturm des Verderbens.

»Den Heiligen Dank, Sohn Ernst, daß deine Mutter nicht hier!« – »Aber das Reich ist hier! Was wird aus ihm, wenn Ihr . . .? Horch! Was ist das?«

Von der Straße her durch die offene Tür drang ganz andres Geschrei als der Siegeslärm der Welschen: Angstgeschrei, der Lärm der Flucht: die eben noch so hitzigen Angreifer sahen um, nach der Straße hinaus: einen Augenblick wirbelten sie noch durcheinander – dann ergossen sie sich, von wildem Entsetzen gejagt, hinaus aus der Halle, die Stufen herunter, und links und rechts die Straße hinab. In dem Tor des Palastes aber stand, das Reichspanier in der Faust, Werner: kaum kenntlich vor Ruß und schwarzem Rauchqualm, den Helm zerschroten auf dem blutigen schwarzen Gelock: schwer stützte er sich auf das arg zerschartete Schwert: »Rasch,« schrie er mit heiserer Stimme, »rasch, Herr König, heraus aus dieser Mausefalle. Hier sind wir doch alle zuletzt verloren.«

»Werner von Kiburg: Ihr? Wo kommt Ihr her?« – »Ei, nicht vom Himmel. Ich schlug die Mordbuben ab, die mich überfielen, den längsten Lümmel tot und – wohl wußte ich, sah ich Euch hier schwer bedrängt! – aber nicht Euch zog ich zunächst zur Hilfe – weiß ich doch,« lachte er, »mehr gilt das Reich als der König.« – »Da sprecht Ihr wahr!« – »So ließ ich Euch – und Ernst! – in Not! Ich hätt' Euch doch nicht retten, nur mit Euch sterben können. Nein! – Sowie ich frei war, eilte ich mit den Meinen an das Tor Sankt Peters, – blutig war der Weg, die Hälfte meiner Schwaben liegt darauf! vertrieb die Welschen, die es besetzt hielten, riß es auf und ließ herein – unser Heer, das vergeblich daran gepocht hatte. Hörst du sie? Da kommen sie. Hörst du ihre Hörner! Sieh, unsere Schwaben, – wie allzeit! – voran, dann die Bayern. Und, geführt von Mangold, diese – verfluchten – Franken. Ich mag sie nicht! Aber fechten können sie! Gebt mir Wein! Ich kann nicht mehr. Ernst, da nimm den Reichsfetzen. Viele Pfeile fuhren durch. Ich schützt' ihn nicht für das Reich – für meine Ehre. Wein – Wein.« Und rasselnd in seinen Waffen fiel er nieder auf das blutüberströmte Antlitz.

 

VI.

Ein furchtbares Strafgericht vollstreckte in den letzten Stunden der Nacht das siegreich eingedrungene deutsche Heer an den Ravennaten: wer in Waffen auf den Straßen getroffen ward, fand nicht Schonung: haufenweise wurden sie in die Kanäle des Po getrieben, welche die Stadt, ähnlich wie heute die Lagunen in Venedig, durchzogen. Bei Sonnenaufgang gebot der König den Waffen der Seinen Einhalt: zwölf Herolde ritten drommetend durch die Straßen, Friede gebietend. Aber zugleich luden sie die sämtlichen Senatoren und die Beamten der Stadt, dann die Patrizier und die Befehlshaber der Stadtwehr – so viele noch lebten – auf die vierte Stunde (um 10 Uhr) in den Palast.

Der Erzbischof hatte die Gnade des Königs für die Stadt nicht ohne Erfolg angerufen; der setzte ein Gericht aus Deutschen und aus ravennatischen Geistlichen nieder, das die Anstifter ermitteln und nur sie bestrafen sollte: diese waren fast alle im Kampfe gefallen. Die übrigen »Honoratiores« der Stadt wurden begnadigt, nachdem sie barfuß, in härenem Büßergewand, ein nacktes Schwert an einem Strick um den Hals, sich vor dem Throne Konrads in der noch rauchenden Palasthalle auf die Kniee geworfen hatten. Der reichen Stadt ward eine hohe Strafsumme auferlegt: das war zeitüblich: aber ungewöhnlich war, daß das Geld vor allem unter die in dem Überfall Verwundeten, Verstümmelten verteilt ward; einem schlichten Krieger war der rechte Fuß und ein Teil des Beines abgehauen worden; der König suchte ihn auf an seinem Lager und ließ ihm den blutigen Reiterstiefel ganz mit ravennatischen Denaren füllen. Das und Ähnliches gewann ihm gar viel Liebe im Heer.

Und das Strafgericht, das Ravenna getroffen, erschreckte weithin über Italien die andern Städte und Kastelle, die bisher noch Widerstand geleistet hatten: auch das trotzige Pavia öffnete die Tore und leistete die auferlegte Buße.

Der König aber verließ nach wenigen Tagen die blutgetränkte Stätte und zog mit dem Heere weiter auf Rom auf der alten vielgebrauchten Römerstraße über Perusia. Erst hier ward Aufenthalt von ein paar Tagen genommen, die Königin, die langsam aus Deutschland dem Heere gefolgt war, neben dem Gemahl zur Kaiserin gekrönt zu werden, zu erwarten sowie Gesandte aus Venedig und aus Byzanz, deren baldiges Eintreffen vorgemeldet war.

Das Verhältnis des Königs zu seinem Stiefsohn war in diesen Tagen nach der gemeinsamen Gefahr zu Ravenna so günstig wie nie zuvor. Konrad wußte, er danke ihm das Leben. Und auch gegenüber Werner, wider den er gleichwohl immer noch die alte Abneigung trug – die herzlich erwidert ward – verkannte er nicht die Dankespflicht; er hatte seinen eignen Arzt an das Lager des Wunden geschickt, der freilich der »Kopfnuß« lachte und sich gar rasch erholte: die goldne »Dankeskette« wollte er zurückschicken: das verhinderte Ernst: da zerhackte er sie eigenhändig und schenkte die Stücke den Witwen und Waisen von Ravenna.

Am zweiten Tag in Perusia ward Ernst am frühen Morgen schon in das Palatium zu dem König entboten, zu dessen engerm Rat. Auf Fragen wußte der Sendling nur zu sagen, es scheine sich um gar wichtige Beschlüsse zu handeln. Die vertrautesten, angesehensten Männer seien geladen. Erfreut sprach jener beim Abschied zu Werner: »Du siehst, du tust ihm Unrecht mit deinem immer wachen Mißtrauen. Er ehrt mich hoch, mich, den Jüngling, beruft er mit seinen Weisesten, Erprobtesten.« – »Pah,« meinte Werner. »Er hat alle Ursach, dir zu danken. Laß dich nur nicht berücken durch glatte Worte. Darin ist er Meister. Im Zweifel sage Nein zu allem, was er wünscht und vorschlägt: so wirst du am besten fahren.«

Es war schon Abend als der Herzog in das gemeinschaftliche Quartier – einem alten Turm am umbrischen Tor – zurückkehrte. Er war hoch erregt: seine Wangen glühten, seine Augen blitzten. Geistig mehr als leiblich erschöpft, warf er sich auf einen Stuhl, er fand nicht gleich Worte. Werner schob ihm einen Becher Weines hin. »Da! Trink und erhol' dich, Mensch! Was hat er dir angetan? Was hast du erlebt?« – Ernst wies den Becher mit der Hand zurück: »Das Größte, was mir je widerfuhr – gewaltige Dinge! Es ist doch was Hohes um Reich und Staat, wie dieser Mann sie denkt. Bei Gott, er ist ein geborner König!« – »Ei, so stark hat er dich diesmal berückt, der schlaue Franke?« – »Schilt ihn nicht! Dir fehlt das Maß für seine Gedanken.« – »Das wäre! Ich laß mich nur nicht leicht blenden. Erzähle. Wie war's! Wen trafst du bei ihm?«

»Niemand. Er empfing mich allein. Und gütevoll hob er an: ›Ernst, den ich so gern Sohn nennen möchte, wenn du es nur ließest: – heute, in dieser Stunde, will ich dich ehren durch mein höchstes Vertrauen. Kleinere Dinge hab' ich mit den anderen beraten: – das Größte sage ich nur dir. Dir mitteilen will ich die wichtigsten Gedanken, die tiefsten und geheimsten Pläne über das Reich und seine Zukunft, über seine Gefahren. Teile meine Sorgen, erfahre meine Vorhaben, prüfe sie und, billigst du sie, hilf mir wacker sie vollführen: – du, der jüngste zwar unter den Fürsten, aber mir doch der nächste: – du solltest das wenigstens sein! Allzuviel bisher haben dich – für einen der Größten im Reiche! – immer nur eigne Begehren erfüllt. Hörst du das? Lerne größer denken: – denk' an das Ganze, dem wir alle zu dienen haben‹.« – »Kann er leicht sagen: Er – der über dies Ganze herrscht. Schrankenlos herrschen möchte! Aber das soll er nie!«

»Du wirst gleich hören, daß er mir – mir! – diese Herrschaft über das Reich sichern will.« – »Wie? Das wäre! Aber ich glaub's nicht!« – »Du sollst es nicht glauben, mit Händen sollst du's greifen: ›Vernimm‹ begann er, ›einen Plan, der mir wie kein andrer Gedanke die Seele bewegt und am Herzen liegt: – du bist der erste, dem ich ihn vertraue – (schweige daher auch du, Freund: die Sache liegt noch im weiten Felde). – Du mußt einsehen wie alle Verständigen: das unselige Wahlkönigtum ist der schwerste Schade, die furchtbarste Gefahr für das Reich. Fast jedesmal nach dem Tod eines Herrschers drohte bei streitiger Wahl der Kampf um die Krone: so zuletzt – du weißt es gut! – noch bei meiner Wahl. Wohlan denn: hilf mir dem ein Ende bereiten: machen wir die Krone erblich in unserem Hause‹.«

»Eia,« rief Werner und sprang von seinem Sitz auf: »ich wünsche Glück, künftiger Herr König von Germanien, Lombardien und Burgund und römischer Kaiser. Das ist wirklich – und zum erstenmal! – was Gutes, das er für dich tut, wenn es sein Ernst ist.« – »Ich kann nicht zweifeln. Denn er fuhr fort: ›Zu des Reiches und zu deinem Vorteil. Hilf mir also, den Reichstag dafür gewinnen: – das heißt, die kleinen Vasallen, die Aftervasallen der Krone, die unmittelbaren Lehnsträger der großen Herzoge. Denn diese selbst – außer dir also den Bayern, den Kärntner, die Lothringer, den Wormser, den Thüring, den Sachsen dafür zu gewinnen – unmöglich scheint es: sind es doch gerade diese, welche an der Wahl festhalten, weil jeder selbst auf die Krone hofft. Wir müssen also die Kleinen auf dem Reichstag für uns gewinnen‹.« – »Hm,« meinte der Freund bedächtig. »Siehst du wieder den Schlaukopf? Aber das muß erst überlegt werden, eh du ja sagst. Es scheint mir eine auch für dich gefährliche Seite zu haben. Denn wodurch will er sie gewinnen?« – »Das hat er – trotz meiner wiederholten Fragen – noch für sich behalten.« – »Hei, merkst du was? Er traut dir doch nicht ganz. Immerhin ›erblich in unsrem Hause, in unsrem?‹: so hat er gesagt? Gewiß so?« – »Nicht anders.« – »Nun, dann werden sich unsre alten Träume für dich erfüllen: denn er hat nicht einen männlichen Verwandten. Nochmals: Heil dir und deinen drei künftigen Kronen.«

»Höre nur weiter. ›Ich will,‹ sprach er, – ›ich muß – dich fortab tiefer in die Geschäfte des Reichs, in das Getriebe der Staatskunst eindringen lassen. Ich habe einen ehrenreichen, aber schwierigen – und gerade deshalb ehrenreichen – Auftrag für dich. Gestern hab' ich Gesandte des Kaisers zu Byzanz, der Venetianer, auch der Ungarn empfangen, je getrennt – geheim – ihre Briefe entgegengenommen: da drüben im Südosten gärt es: da braut etwas: gegen uns? Das gilt es, erkunden und ist es, wie ich fürchte, verhüten, niederschlagen mit rascher Gewalt. Und dich, Ernst, dich hab' ich ausersehn zu diesem hochwichtigen Amt: du sollst mir an der Spitze einer glänzenden Gesandtschaft an den Kaiserhof nach Byzanz‹.« – »Hei, all unsre alten Wünsche und Träume werden wahr. Byzanz, der Orient, die Welt der Abenteuer! Freut euch, meine Augen!« – »›Hoch ehrt mich dein schönes Vertrauen. König Konrad‹, rief ich gerührt und ergriff seine Hand. Er drückte sie fest und sprach: ›Ja, ich vertraue dir ganz. Gelobe mir, bei diesem Auftrag und in allen Stücken fortab, meinem Gebot unbedingt und ungesäumt zu gehorchen – um des Reiches willen –. Wirst du?‹ – ›Ich schwör' es,‹ rief ich, ›bei dem Seelenheil meines Vaters.‹ – ›Gut. Ich danke dir. Aber,‹ fuhr er geradezu väterlich besorgt fort, ›sei vorsichtig, mein lieber Sohn. Die Leute dort in Byzanz – die Griechen oder Romäer, wie sie sich gern nennen – gelten als die Schlauesten, Verschlagensten, Falschesten aller Menschen: ich höre, daß sie gleichzeitig wie mit uns insgeheim mit Venedig, Ungarn, Polen in Verhandlungen stehen, um etwa mit diesen im Bunde über uns herzufallen, unsere Küsten in Venetien mit ihren Schiffen heimzusuchen. Du siehst, wie ganz ich dir, deiner Klugheit, deinem Eifer vertraue: du hast es, hoff' ich, nun gelernt: das Höchste ist das Reich, nicht jeder Fürst und jeder Stamm sich selbst. Kehrst du zurück nach glücklichem Gelingen, soll dir der Dank des Königs und auch der Mutter nicht entgehn. Morgen trifft sie ein. Nimm guten Abschied von ihr: lange, gar zu lange schon – seit sie mein ward! – hast du dich ihrem Herzen fern gehalten: – du hast sie gemieden: – empfange sie morgen am Tore und sprich mit ihr, sprich gut mit ihr‹.«

»Wie gerne will ich das.«


Am andern Tag geleitete Ernst die Königin vom Tore weg in die Frauengemächer des Palatiums. Dort entließ sie sofort ihre Frauen und zog den Sohn zärtlich an die Brust. Er ließ es geschehen: fast gegen seinen Willen rührte ihn solche Wärme. Tränen traten ihr in die Augen, als sie über seine Wange strich. »Tränen, Mutter? Warum?« – »Freudentränen sind's. Freude füllt mein Herz. Der König schrieb mir, wie so voll zufrieden er mit dir sei, wie ihr euch – endlich! – gefunden habt. Er meint es gut mit dir, glaube mir. Er will dein Glück. Versprich mir, daß du nunmehr deine Freundschaft ihm, deine Liebe mir wahren wirst – was . . . was immer auch die Zukunft bringen möge.« – »Die Zukunft? Bringen? Was meinst du, Mutter?« – »Nichts! Noch nichts! Leb wohl, mein Sohn. Geh! Schicke mir rasch meine Frauen aus dem Vorsaal.«

Als diese eintraten, sank ihnen die schöne Frau bleich, halb ohnmächtig in die Arme.

 


 


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