Felix Dahn
Felicitas
Felix Dahn

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Zwanzigstes Kapitel.

Als am andern Morgen die Sommersonne prachtvoll aufstieg über Juvavum und die Goldamsel ihr flötend Tagelied begann, sprang jung Liuthari empor: – ein genesener Mann: und ein reiferer. Die Wunde im Arm schmerzte nicht mehr und seine Phantasie, die unvergleichlich stürmischer als sein Herz erregt gewesen, war beschwichtet. Nicht mehr unzufrieden mit sich selbst, freudig, gefaßt schritt er, nachdem er in dem Gartenbrunnen das Antlitz gekühlt, sorgfältig die verbundene Armstelle unter dem weißen Mantel verbergend, die Stufen des Vorsaals hinauf. Hier empfing ihn Haduwalt, gähnend beide Arme gen Himmel reckend, mit den Worten: »Aber du hast lang geschlafen! Und ich – ich glaube, ich habe die ganze Nacht kein Auge zugethan.« »Aber vielleicht die Ohren!« lachte Liuthari. »Wo ist die Hausfrau? ich habe Hunger.« »Hier bin ich!« rief Felicitas. »Gleich bring' ich frisch gelegte Eier und Milch und Honig. Philemon melkt schon die Kuh auf der Wiese hinter dem Hause. »Denkt nur,« sprach sie, nun aus dem Vorhang tretend und jedem der beiden Gäste eine Hand reichend, »in aller Frühe, sobald die Thore wieder geöffnet waren, kam der alte Sklave aus der Stadt auf dem Wiesenweg zurück und weckte mich, an die Hinterthüre pochend. Ich hatte so fest geschlafen.« »Und wohl süß geträumt?« lächelte Liuthari. »Ja: wie immer, wenn ich träume: von Fulvius. Philemon hat zwar den Herrn nicht gefunden: aber ich bin doch guten Mutes: die Toten und die Verwundeten alle hat der fromme Johannes zusammenbringen lassen: jene vor, diese in der Kirche: Philemon hat sie genau gemustert: Dank dem Himmelsgott, den Heiligen und den guten Genien: mein Fulvius ist nicht darunter.« Und sie setzte sich zu den Gästen.

Philemon brachte die schäumende, warme Milch im bauchigen Kruge: er warf verwunderte Blicke auf die beiden Germanen, welche die Herrin ihm als Schützer, nicht als Feinde, bezeichnet hatte und ging wieder in das Hinterhaus. Felicitas folgte ihm, das Kind, das erwacht schien, zu holen.

»Sage 'mal, grimmer Lehr- und Waffenmeister,« hub jetzt Liuthari an, »willst du in deinen alten Tagen noch weibliches Geschneider lernen? Und die Künste des Garns? Was hast du denn da an deinem Gürtel für einen Knäuel nachschleifen?« Ganz betroffen sah der alte Hüne auf seinen Bauch hinab und auf den langen, langen Faden, der sich, mäandernd, um seinen ungeschlachten Fuß gewickelt hatte.

»Das? Oh, das ist nur etwas zwischen der Hausfrau und mir, sie hat mich so lieb gewonnen – viel lieber als dich! – und damit ich ihr nicht entliefe, hat sie mich festgebunden an ihrem Lager.« – »Du wolltest mich ja bei meiner Mutter verklagen –!« – »Ja, wenn ich nicht gewacht hätte, wer weiß . . . –!«

»Nun werde aber ich dich bei deiner Hausfrau Grimmtrud, der gestrengen, beschuldigen, daß du dich an das Lager junger Schönen binden laßt.« Der Jüngling bückte sich, riß den Knäuel ab und steckte ihn in sein Wams. »Den Faden verwahr' ich,« fuhr er ernst fort, »als Andenken an eine Stunde, da Haduwalt schlief, der Faden lose zu Boden lag, Liuthari aber wachte – für drei.«

Da trat Felicitas, das Kind auf dem Arme, wieder ein. »Der Tag steigt,« seufzte sie, »und mit ihm steigt doch meine Angst. Mein Fulvius, wo magst du sein?« »Hier bin ich,« rief eine fröhliche helle Stimme und durch den Außenvorhang flog der Ersehnte herein. Mit einem seligen Schrei sprang Felicitas auf: er schloß zärtlich Mutter und Kind in die Arme.

Liuthari erhob sich: er sah ohne Schmerz auf die beiden und offnen, frohen Blickes auf den heimgekehrten Gatten. Staunend trat dieser einen Schritt zurück, den schönen Jüngling mit den Augen messend: heißer Schreck durchzuckte ihn einen Augenblick: aber die Furcht schwand, flüchtig wie ein Wolkenschatte, da er in seines Weibes ruhiges, glückverklärtes Antlitz sah.

»Wie es mir ergangen, Geliebte? Vorgestern in den Schuldturm gesperrt, – gestern früh durch Severus befreit – mit zum Kampfe geführt, – mit geschlagen, mit geflohen, mit verfolgt, in den Fluß gefallen, – fortgerissen, halb betäubt endlich ans Ufer gelangt – von andern Reitern gefangen, in die Stadt geführt und heute morgen – gerettet durch ein Wunder des Herrn oder des heiligen Petrus: ich weiß es nicht.« – »Ein Wunder? O Dank der Gnade des Himmelsgottes. Er hörte mein Gebet! Aber welch' Wunder?« – »Johannes, der nimmer in Sorge für die Seinen ermattet, bat den Herzog der Barbaren schon gestern Abend, er möge alle kriegsgefangenen Bürger von Juvavum freigeben. Der Gewaltige erwiderte, gern wolle er ledig lassen die auf seinen Teil an der Beute Fallenden. Aber seinen Kriegern könne er die ihnen gehörigen Gefangenen nicht nehmen, nur etwa abkaufen – ganz anderes Recht gilt doch bei Germanen als bei uns! – und er habe nicht Lust, dazu seinen Hort auszuschöpfen. So wurden denn schon in der Nacht manche von uns frei: ein viel größerer Teil aber blieb, wie ich, verknechtet. Da erschien bei Morgengrauen Johannes abermals auf dem Kapitol, wo der Herzog seinen Sitz aufgeschlagen und – kaufte uns alle frei! Du staunst: du fragst, woher der Mann, dem nichts zu eigen als Rock und Stab, so viel des Geldes nahm? Ja, das ist eben das Wunder! Als er, betrübt über der Gefangenen Los, in seine Basilika zurückkehrte, fand er in einer alten Gruft unter dem Kirchenboden einen Sack voller Goldstücke und zumal ein Beutelchen mit Edelsteinen, reich genügend, uns alle loszukaufen. Woher aber dieser Schatz kam? Niemand weiß es. Der Engel des Herrn hat offenbar des Johannes Gebet erhört und die Schätze gebracht. Ganz Juvavum staunt das Wunder an. Und ich gelobe dir, du Fromme, fortab will auch ich gläubiger als bisher auf des Johannes Worte hören. Aber dir, Geliebte! welche Schrecken drohten dir!« »Doch hat mich nichts betroffen, dank dem Himmel, dank diesen unsern Gästen und vielleicht,« fügte sie lächelnd bei, »dank deinem Spruch in der Eingangsplatte: er hielt das Unheil ab.«

»So weißt du, wer sie überschreiten wollte?« – »Wie sollte ich? Ich habe das Haus nicht verlassen.« – »Dann ahnst du nicht, wie wahr du sprachest! Höre und atme auf: als ich soeben, von der Stadt her fliegend, mich dem Hügel nähere, find' ich an dem Meilenstein drei Rosse angebunden und darunter – ich kenne ihn allzugut, – den Rappen des Tribuns! Voll Schreck spring' ich an unser Thor: da liegen, – o höchst grauenvoll! – erschlagen zwei Mauren und – gerade über der Schwelle, auf dem Rücken, hingestreckt, der furchtbare Tribun mit zerschmettertem Schädel! Sein Gesicht war halb verdeckt von der Inschriftplatte, und tief in seinem Schädel stak, abgesprengt, das Eckstück des Steins! Den Niebezwungenen hat dieser Stein gefällt. Aber wessen Arm hat ihn geschleudert?«

Da zog der alte Habuwalt, der bei der ersten Erwähnung des Kampfes, ahnungsvoll, in seines jungen Herrn abgewandtes Gesicht geschaut hatte, den weißen Mantel von dessen Schulter, wies auf das blutige Band und sprach: »Dieser Arm! – Und ich –! o Liuthari, mein Liebling, – ich lag derweil und schlief.« »Ziemlich fest,« lächelte dieser und fuhr zu dem Hausherrn gewendet fort: »Ja: ich habe ihn erschlagen, jenen sehr tapfern Mann. Er wollte hier eindringen und . . . –« »Felicitas rauben!« rief der Gatte, die nun furchtbar Erschrockene an sich schließend. »O Herr, wie können wir dir danken!« schloß er.

Felicitas aber versagte das Wort: sie richtete nur einen in Thränen schwimmenden Blick auf ihren Retter: so schön war sie auch in der Nacht nicht gewesen. »Dank!« lachte Liuthari, »ich focht für mein Leben! Aber horch! Wer kommt da?« Schritte von Gewaffneten ertönten im Garten und herein trat, begleitet von fünf Gefolgen, Garibrand der Herzog.

»Ein gut Stück Arbeit habt ihr beiden aufgehäuft da draußen, vor dem Eingang. Der Tribun, den wir überall gesucht, er fiel – gewiß von deiner Hand. Find' ich dich endlich, junger Held? Willkommene Kunde bring' ich dir. Ein Bote deines Vaters sucht dich. Gefallen ist die Römerburg am Regenfluß: mein Vetter, Herzog Agilolf, und dein Vater haben die Verlobung abgeschlossen: Agilolf lädt dich in seine Halle: dein harrt Adalagardis, das schönste Fürstenkind Germaniens.« »Heil dir, mein Königssohn, das ist dein Lohn für diese Nacht,« rief Haduwalt. »Verlobung? Ich sah sie nie!« meinte Liuthari zögernd. »Verlobung – nun – wenn ihr euch gefallt!« sprach der Herzog. »Er wird ihr schon gefallen,« lachte Haduwalt, dem Errötenden auf die Schulter klopfend. »Und ich hoffe – jetzt erst recht,« flüsterte er heimlich in sein Ohr, »sie: die Schöne, die du lieben darfst! – auch dir.« »Wähle nun,« fuhr der Herzog fort, »was von der Beute du verlangst. Euch Alamannen – dir vor allem – danken wir den Sieg.« »Ich folge dir,« sprach Liuthari, mit raschem Entschluß sich erhebend. »Hilf mir, alter Freund!« Der Waffenmeister half ihm die Brünne schnallen: der Jüngling hob den stolz geschweiften Römerhelm mit den ragenden Reiherfedern auf das schöne Haupt. – Prachtvoll, von edlem Hochgefühl das freudige Antlitz verklärt, stand der Königsjüngling da. »O nun ist alles gut,« jubelte Fulvius. »Erschlagen liegt der Tribun: tot ist, von unbekannter, wohl seiner Sklaven, Hand ermordet, Zeno der Wucherer: so sagte mir Johannes. Kein Kaiser sitzt mehr zu Ravenna: so versicherte uns schon gestern Morgen dieser junge Held. Jetzt bin ich aller Schulden an den Fiskus frei.«

»Dieses nun zwar weniger,« lachte Liuthari. »Hier, jener mächtige Herzog, ist an des Kaisers Statt getreten: – sein Schuldner bist du nun.« Da griff Fulvius ängstlich hinter das rechte Ohr und sah verzagt zu dem Gewaltigen hinauf. »Bange nicht!« fuhr Liuthari fort. »Ich erbitte, als ein Stück meines Beuteteils, hier diese Villa, Herzog Garibrand, und was dazu gehört an Land. Und frei von jeder Schuld.« »Es sei, wie du gesagt,« antwortete der Bajuvare. »Und euch beiden, Fulvius und Felicitas, schenk' ich dies freie Eigen vor diesen sieben freien Männern als Zeugen. Ihr Eid soll euch helfen, bestreitet euch jemand Recht und Gewere.« – »Dank, Herr, Dank.« »Du bist doch Fulvius, der Steinmetz?« fiel der Herzog ein. »Der Priester Johannes hat mir dich als treu und brav empfohlen: bewährst du dich, will ich dich zum Verwalter setzen über meine Hufen vor diesem Thor.«

Da trat Felicitas, nach kurzem Flüstern mit ihrem Gatten, das Kind auf dem Arm, vor Liuthari hin, errötete leicht und sprach: »Herr, wer so viel giebt wie du, – der muß noch mehr geben. Unser Söhnlein hier darbt noch des Namens. Nächsten Sonntag sollte ich ihn Johannes an das Taufbecken tragen in die Basilika. Wie soll der Knabe heißen?« »Felix Fulvius,« sprach der Königssohn, gerührt die Hand auf das winzige Köpflein legend, »und: – Liuthari: damit doch mein Name manchmal noch an euer Ohr schlage. Aber, wer einen Namen, – der giebt auch ein Geschenk: so will's Germanenbrauch. Hier, junge Hausfrau, nimm diesen Ring. Ich streifte ihn vor Jahren einem Patricius vom Finger, den ich im Kampf erschlug. In Augusta Vindelicorum sagten die Händler, er sei so viel wert, wie ihre halbe Stadt. Das ist ein Schatzstück für den Fall der Not! – Und nun lebt beide wohl.«

»Halt!« rief da Haduwalt, – »so nimmt man nicht Abschied –: Abschied fürs Leben. Du fragtest, Steinmetz, wie du dem Helden danken kannst? Laß dein junges Weib ihm einen Kuß geben: – glaub' mir: – er hat's verdient –: er ist ein wackrer Bub!« – Fulvius führte die Errötende ihm zu. Liuthari drückte einen Kuß auf die weiße Stirn und rief: »Leb wohl, du Holde, auf immerdar!« – Und schon war er hinaus: der Vorhang rauschte hinter ihm. Die übrigen Germanen folgten: vor dem Garteneingang stiegen alle auf die mitgeführten und die römischen Rosse und eilig sprengten sie zurück nach dem vindelicischen Thor. –

Das erste, was Fulvius that, nachdem er mit Philemon die drei Toten zur Seite geschafft, war, daß er den Stein mit der Inschrift sorgfältig wieder in den Estrich des Eingangs fügte: die abgesprengte Ecke ließ er unersetzt: »Sie soll uns,« sagte er, »als ein Wahrzeichen mahnen immerdar, wie wirkungsreich der Spruch gewesen ist.«


Und der Spruch, – er hat sich bewährt der Gatten ganzes Leben lang. Kein Unheil drang über diese Schwelle, so lange beide hier wohnten. Blühende Söhne und Töchter wuchsen noch hinter Felix Fulvius Liuthari heran. Niemals befiel sie, Eltern und Kinder, Krankheit, ob böse Seuchen in Juvavum wüteten und in den Villen des Vorlands. Der Ivarus trat gar oft aus, seine Wogen und das Verderben über Menschen, Tiere, Häuser, Saaten schüttend: vor diesem Thore, vor dem Mercuriushügel machte er jedesmal Halt. Ein Bergrutsch verschüttete die Nachbargärten links und rechts: ein mächtig Felsstück prallte dabei bis auf den Spruchstein: – und zerbrach hier harmlos in tausend Splitter. –

Fulvius aber ward »Villicus« aller herzoglichen Güter um Juvavum und stand wegen Einsicht und Treue hoch in Gunst bei Herzog Garibrand. Als er und seine Felicitas ganz alte Leute geworden, wohl achtzig Jahre, aber frisch und rüstig, saßen sie eines Juniabends Hand in Hand im Garten: sie hatten sich eine Bank zimmern lassen dicht hinter dem Garteneingang, so daß ihre Füße auf dem Spruchsteine ruhten.

Da saßen sie und dachten vergangener Zeiten. Sanft sang die Goldamsel im nahen Buchwald. Aber allmählich verstummte sie. Denn es war schwül geworden, ein Gewitter zog auf. Es blitzte heftig und donnerte. Die Kinder wollten ihre greisen Eltern in das Haus führen.

Aber da Felix Fulvius Liuthari, vor den andern, sie erreichte, fand er beide tot. Ein Blitzstrahl hatte beide getötet. Sie hielten sich noch Hand in Hand und lächelten: als wollten sie sagen: »Dieser Tod, der also kam, war kein Unheil, sondern ein Heil.«

 


 


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