Felix Dahn
Felicitas
Felix Dahn

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Viertes Kapitel.

Crispus wollte umkehren, in das Haus zurück. »Was willst du thun?« fragte Fulvius. »Felicitas fragen, ob denn keine Abschrift, keine Zeugen der Freilassung . . .« – aber der junge Gatte hemmte ihn. »Nein, nein! Sie darf nichts davon ahnen! Das arme, zarte, hilflose, so glückliche Kind! Es würde sie zerknicken! dieser scheußliche Anschlag.« – »Wie willst du verhüten, daß sie ihn erfahre, wenn er ausgeführt wird, schon morgen? Denn ich zweifle nicht: es ist alles richtig, was der Wucherer sagt von der Steuerschuld und von seinem Kauf des Gutes. Das ist auch noch nicht das Schlimmste! Du kannst flüchten, wie so viele Tausende von Steuerschuldnern, auf die Berge, in die Wälder, zu den Barbaren meinetwegen. Laß ihm hier den Haufen Steine!« – »Das Haus meiner Eltern! die Räume, wo wir so glücklich waren!« – »Ihr könnt auch anderwärts glücklich sein, wann ihr wieder beisammen seid. Aber Felicitas mit dem Säugling, – sie kann noch deine Flucht nicht teilen –: sie muß bleiben, bei mir bleiben können. Und das, hoffe ich, ist zu erreichen; denn die Freilassung ist mir unzweifelhaft: die Alten haben sie nicht erlogen. Nur den Beweis also gilt es! Den Beweis!«

»Der Freibrief ist verbrannt, das ist richtig. Verbrannt mit den wenigen Schmucksachen und Spargeldern der Alten. Oft haben sie es uns erzählt: sie hatten alle ihre wertvollste Habe in einem kleinen Schrein von Cedernholz, im Ehegemach, unter den Lagerkissen. Als damals in der Nacht der Aufruhr der verzweifelten Steuerschuldner und der Bacauden, der bäuerlichen Lasttiere der großen Grundherrn, ausbrach, eilten die Alten mit dem Kind erschrocken auf die Straße, den Grund des furchtbaren Lärmes zu erforschen: sie liefen vorwärts an die Ecke des Vulkanus-Marktes. Sofort wälzte sich von rückwärts ein anderer Haufe von fechtenden Bauern und Soldaten in ihre Straße, sperrte ihnen den Rückweg. Die hölzernen Vorratshäuser der kleinen hier lebenden Höker gingen in Flammen auf. Als sie am folgenden Tage zurückkehren konnten in ihr Haus, war dasselbe fast völlig ausgebrannt; unter den halb verkohlten Kissen des Ehebettes fanden sie ein paar Goldstücke, geschmolzen, die Eisenbeschläge des Cedernkistchens noch glühend, ringsum aber verbrannte Asche –: vom Holz des Kästleins und von seinem Inhalt.« – »Abschrift war nicht vorhanden?« – »In ihrem Elternhause gewiß nicht. Das haben wir völlig ausgeräumt, bevor wir's verkauften nach der Alten Tode.« – »In den Akten der Kurie?« – »Die Freilassung war geschehen durch Freibrief, nicht durch Testament. Nur das Testament wäre etwa dort hinterlegt worden. Aber Krates ward vom Tod überrascht, bevor er das geplante Testament errichtet hatte.« – »Zeugen?« – »Gab es nicht! Ich sage dir ja: die Freilassung geschah nur durch Brief.« – »So fehlt es an jedem Beweis! Es ist furchtbar.« – »Es ist zum Verzweifeln!« – »Aber welcher Leichtsinn auch! Jahrelang dahin leben, ohne . . .« – »Jahrelang? Noch nicht ein Jahr nenne ich sie mein. Vorher war es der Eltern Sorge. Aber auch diese guten alten, hier fremden Leute: – was konnten sie thun? Den toten Herrn konnten sie nicht auferwecken, die Freilassung zu wiederholen.« – »Hatten nicht andere Leute den Freibrief gelesen?« – »Möglich! Aber diese könnten doch nur bezeugen, daß sie ihn gelesen, nicht, daß er echt war.« – »Ich sehe keinen Ausweg – als Flucht, rasche Flucht.«

»Rasche Flucht ist mit dem Säugling, mit der noch kaum hergestellten jungen Mutter unmöglich. Und fliehen! – es ist nicht meine Art. Lieber Widerstand mit Gewalt!« – »Du und ich und der lahme Philemon Gewalt gegen die Soldlanzen des Tribuns? Denn der steckt dahinter.« – »Ich glaube: ja! Ich sah seine heißen Blicke an ihr hangen, an ihrem Nacken, an – – ich erdroßle ihn.« – »Du bist ein Mann des Todes, bevor du die Hand gegen ihn erhoben.« – »Es ist dunkle, hoffnungslose Nacht um uns her. Ach, wo Rat finden, wo einen Strahl der Hoffnung, des Lichtes?« »In der Kirche«, sprach da sanft, aber bestimmt, eine liebliche Stimme. Felicitas schlang den Arm um des Geliebten Hals. »Du!« – »Du hier!«

»Ja. Da du nicht wieder kamst, suchte ich dich: – das ist doch immer so zwischen uns! Der Sohn schläft, ich legte ihn in mein Bett. Da fand ich euch beide so vertieft in Gespräch, daß ihr meine Schritte auf dem weichen Gartensand gar nicht vernahmt.« »Was hast du gehört?« rief Fulvius voller Schrecken. Aber das strahlend heitere Antlitz, die glatte Stirn, das selige Lächeln seines jungen Weibes beruhigten sofort seinen fürchtenden Zweifel. »Ich hörte nur, daß ihr in dunkler Nacht Licht sucht. Dabei fiel mir sofort, wie stets, das Wort: ›Kirche‹, der Name ›Johannes‹ ein.«

Fulvius war schon beruhigt, fast froh! Weil sie nur nichts gehört hatte von dem lauernden Unheil! Er strich mit der Hand zärtlich über ihren schön gewölbten Kopf und sprach: »Du bist doch sonst keine von den Gebetabrutscherinnen, denen die Frömmigkeit – oder die Heuchelei – durch die auf den Altarstufen abgeschabten, durchstoßenen Kniestücke des Gewandes guckt.« »Ach nein, ich bin leider gar nicht fromm genug. Aber es hilft mir nichts, auch wenn ich öfter zum Sündenbekenntnis gehe. Johannes lächelt immer, wann ich zu Ende bin und sagt: Du hast nur eine Sünde: die heißt – Fulvius. Aber wenn ich von Nacht und Licht höre, muß ich stets an die Kirche denken und an Johannes. – Es ist ein Erlebnis aus der frühesten Kinderzeit,« sprach sie langsam, nachsinnend.

»Welches Erlebnis?« forschte Crispus, aufmerksam werdend.

»Ich hatte wegen einer Augenkrankheit lange, lange Wochen eine Binde tragen, im Dunkeln sitzen müssen: ich weiß nicht wie lange – ich war kaum sechs Jahre. Da hört ich die Stimme von Krates, dem Patronus, der, der Heilkunst kundig, mich selbst behandelt hatte. ›Nehmt sie nur mit heut' Abend in die Basilika,‹ sprach er: ›ihren Augen wird es nicht mehr schaden. Und sie muß dabei sein, so will es das Gesetz.‹«

»Was sagst du? Wobei zugegen sein?« fragten beide Männer in atemloser Spannung. »Das weiß ich nicht. Ihr vergeßt, –: ich war ein Kind. Aber das steht noch klar vor mir: abends nahmen mich Vater und Mutter in ihre Mitte, jedes faßte eine meiner Hände: und auch der Patronus war dabei: und sie führten mich mit verbundenen Augen – denn der rauhe Abendwind des Spätherbstes könne mir schaden, meinte der Patron, – nach der nahen Basilika. Hier nahm man mir die Binde ab und« –

»Nun und?« – »Was sahst du? was geschah?«

»Zum erstenmal seit Monden sog ich schmerzlos wieder Licht, glänzendes, aber mildes Licht in meine Augen. Vor dem Altar, den viele Wachskerzen erhellten, stand Johannes in glänzend weißen Gewänden: der Patronus schob uns alle drei auf die unterste Altarstufe und sprach dann eine Menge Wörter, die ich nicht verstand: der Priester segnete uns: die Eltern weinten – aber ich merkte, es war vor Rührung, nicht vor Schmerz – und küßten des Patronus Kniee; man legte mir wieder die Binde über die Augen und aus dem Licht der Kirche ging es wieder in das Dunkel. Seither ist mir Licht und Kirche und Johannes eins. Fragt nur Johannes, wenn ihr Rates darbt.«

Felicitas konnte nicht ganz verstehen, was nun mit ihr geschah. Ihr Gatte küßte ihr glühend Stirne und Augen, ihr Oheim zerdrückte ihr fast die Hand. »Zurück! geh' ins Haus,« rief endlich ihr Mann. »Wir müssen gleich fort in die Kirche – du hast recht –: wie immer. Du – du hast uns allen den besten, den rettenden Rat gezeigt.« Und er führte sie eifrig, mit einem letzten Kuß, zurück in den Garten.

»Kein Zweifel,« rief Crispus, da Fulvius wieder erschien, –: »sie sind nicht nur durch Freibrief, zur größeren Sicherheit sind sie auch nochmals, in der Kirche, freigelassen, vor dem Priester, nach aller Form Rechtens. Und das ahnungslose Kind hat es uns aufgedeckt in der höchsten Not!«

»Und der Priester . . .« – »War Johannes selbst!« – »Er lebt noch – Dank den Heiligen! Er kann es bezeugen.« – »Und er soll es: noch vor Nacht! Vor Zeugen, vor der Kurie soll er's beurkunden! Auf in die Kirche!« – »Zu Johannes!« Und beide Männer eilten, so rasch sie die Füße trugen, auf der Legionenstraße gegen die Stadt zu, nach der Porta Vindelica. – –

Einstweilen ging Felicitas in das Haus zurück, langsam, oft Halt machend, dem Geliebten immer wieder nachblickend, so lange sie seine Gestalt noch auf der hohen Straße sich abheben sah vom Horizont.

»Was sie nur haben mögen?« sprach sie leise, das schöne Haupt einmal hin- und herneigend. »Nun, sie sind ja gut: die Heiligen sind mit ihnen. – Die Sonne ist nun ganz gesunken gen Vindelicien hin. Aber aus dem Bergwald flötet noch der süße Vogel seinen Abendsang: wie friedlich! wie still! Ich will an das Bett des Kleinen. Dort warte ich am ruhigsten: Fulvius kommt vor Nacht zurück. Denn er liebt uns, – ja er liebt uns sehr, mein Söhnchen!« – Damit trat sie in das Haus.

 


 


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