Felix Dahn
Felicitas
Felix Dahn

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Sechzehntes Kapitel.

Bald nachdem der Sklavenaufstand in der geschilderten Weise gedämpft war, wanderten durch das vindelicische Thor hinaus auf der großen Legionenstraße in der Richtung des Mercuriushügels zwei Germanen.

»Siehe, schon steigen über dem verlöschenden Abenddämmer empor die Sterne,« sprach der eine, und, den Speer auf der Schulter wagrecht tragend, hob er beide Hände zum Himmel empor. »Ich grüße euch, ihr Wächter von Asgardh, ihr allschauenden Augen. Sendet mir bald das Glück! – ich ahne, ihr wißt,« fügte er, seinem Begleiter unhörbar, bei – »welch' Glück mein Herz verlangt. Es schmerzt dies Herz: ich glaube, weil es leer ist.«

Dann faßte er wieder des Speeres Schaft und schritt voran, die Augen wie suchend und sehnend in die duftverschleierte Ferne gerichtet: der weiße Mantel flog im Winde. Er war sehr schön, der junge Königssohn: und seinen edeln ernsten Zügen gab dies verträumte Sinnen herzgewinnenden Reiz.

»Wenn mir die Sterne was Liebes zeigen wollen,« brummte, das Wolfsfell zurückschlagend, sein Begleiter, »sollen sie mir bald eine Weinschenke zeigen. Ich habe noch lange, lange nicht, was ich brauche. Mich schmerzt die Gurgel: weil sie leer ist, glaub' ich. Vestralp und die Seinigen, die haben's gut getroffen! Ein Paar Kreuzgläubige sind bei seiner Schar: die hat nun der Kreuz-Paltar, wohl zum Lohn ihres Glaubens, in seinen Tempel geführt: da oder dicht daneben haben sie eine ganze Sintflut von Wein gefunden und gezecht wie in Donars Halle. Ich aber habe nur ein paar Tropfen geschluckt in einem verlassenen Hause, wo just das Mahl aufgetragen ward, als die Bajuvaren in die Stadt drangen. – Höre, ihr Herzog hat ganz recht: es ist übertrieben streng, wie du deinen Eid auslegst.« – »Kann man einen Eid, eine Pflicht, zu streng deuten, Alter? Du selbst hast mich das besser gelehrt.« – »Nun ja! Wenn du auch deinem Vater schwören mußtest, nie eine Nacht in einer römischen Stadt zu schlafen, Fanggruben für Edelwild, mit Netzen umgarnt, nennt sie der König, – Juvavum ist, wie Garibrand richtig sagte, nun eine Stadt der Bajuvaren.« – »Nur König Liutbert selbst könnte mir verstatten, den Eid so zu deuten. Aber tröste dich: du sollst noch Wein trinken, so viel du willst.« – »Wo?« – »Nun: in dem Hause, wo wir einsprechen werden.« – »In welchem aber?« – »Meinetwegen in dem allernächsten, deinen Durst zu stillen. Siehe, dort, rechts von der Straße, liegt ein Hügel, und darauf ein Haus: man sieht noch die weißen Götterbilder auf dem Dach aus den Gebüschen blinken.« – »Aber da drüben, links von der Straße, liegt auch eines: das scheint größer, stattlicher, mehr verheißend.« – »Mir gilt's gleich.« – »So wählen wir das größere, das zur Linken.« – »Aber siehe: da schoß ein Stern vom Himmel! Und gerade über dem Dache des Hauses zur Rechten, auf dem Hügel, fiel er nieder! Das ist ein Wink der Götter! Ich folge gern den Sternen! Wir gehen ins Haus zur Rechten.« Damit sprang er von der Legionenstraße hinab auf den Fußsteig, der zu des Steinmetz Hause führte.

»Auch bei der Beuteteilung kommen wir nun vielleicht zu kurz, wegen deiner thörichten Eidstrenge,« brummte der Alte, ihm nachsteigend.

»Nein,« rief Liuthari, »Herzog Garibrand läßt mich morgen früh dazu entbieten. So versprach er, als er Abschied von uns nahm im vindelicischen Thor. Übrigens die Hauptgewinne dieses Sieges sind für uns nicht ein paar Goldgeschirre oder Streifen Landes, sondern daß wir fortan im Aufgang statt der Römer nun die treuen Bajuvaren als sichere Marknachbarn erhalten. Diesen aber ward es schon lange allzu enge am Danubius, seit die Ostgoten unter den Amalungenkönigen so gewaltig um sich griffen. So wichen sie aus nach Mitternacht und nach Niedergang. Agilolf, ein anderer ihrer Herzoge, Garibrand versippt, zog, sowie dieser sich gegen Juvavum aufmachte, durch den Bojer-Wald gegen Regina Castra, das stärkste Römerbollwerk, da, wo der Danubius zu höchst gen Norden steigt. Ob er es wohl schon gewonnen hat?«

»Die Siegesbotschaft wird sich kaum mehr lang erwarten lassen. Und mit dieser Botschaft kommt wohl auch ein Bescheid, der dich nah' angeht, Liuthari.« Der Jüngling errötete und senkte schweigend das Haupt. »Herzog Agilolfs Tochter, Adalagardis, ist die schönste Jungfrau, die ich je gesehen,« fuhr der Alte eifrig fort. »Ihr Vater und König Liutbert beraten schon lang, aus euch ein Paar zu machen. Der stolze Bajuvare will aber, scheint es, dem Königshaus sich nur verschwägern, kann er's mit ebenbürt'gem Glanz. Drum schickte er mich von meiner Werbefahrt nach Hause mit den Worten: ›Aus der eroberten Römerburg sende ich Bescheid.‹ Und ich meine: es wird Zeit für dich, mein Bub! Du stehst in der Vollblust deiner Jugend: und du hast Blut, nicht Wasser, in deinen Adern.« »Ich meine oft – Feuer loht darin,« – sagte der Schöne leise, wie verschämt. »Meinst du, ich hab' es nicht gesehen, mit welchen Augen du in dem eroberten Juvavum jedes Römermädchen beschaut, das zu dir aufsah? Gar manche, mein' ich, hätte sich nicht gar arg gesträubt in deinen Armen.« – »Wie, Alter, Gewalt! Gewalt gegen ein Weib?« – »Ei, bei Berahta und Holda! es braucht nicht viel Gewalt. Und eine Zeit lang wehren sie sich alle, auch lang verlobte Bräute. Aber diese schwarzhaarigen, gelbhäutigen, magern Katzen sind nichts für meinen Königssohn: sie würden die ganze Zucht verderben. Doch, Adalagardis! Heil dir und uns wird sie dein Weib. Die Schildjungfrauen Wodans denk' ich so! Kaum eines Fingers Breite kürzer gewachsen als du, von lichtem Haar bis auf die Knöchel, wie von goldenem Königsmantel, umwallt, die Arme rund, voll und weiß wie Alpenschnee, freudig blitzende Augen, hell wie die Frühlingshimmel, und hochwogend die herrlich gewölbten, die stolz aufragenden Brüste. Bei Fulla, der Kraft- und Schöne-Strotzenden! Das ist die richtige Königsfrau der Alamannen! Was rittest du nicht längst und freitest sie?«

»Du vergißt: nie hab' ich sie gesehen. Ihr Vater sprach: ›Ich lade dich erst, wann ich Hof halte zu Regina Castra.‹ Doch mag wohl sie das Glück sein, das ungewisse und doch heiß ersehnte, die Sälde, die ich suche. – Halt! Wir sind am Ziel. Dies ist der Eingang. Aber was ist das? Ungastlich scheint dies Haus. Verrammelt, mit lauter Steinplatten, ist der Eingang.« »Ha, nun,« lachte der Alte. »Es ist ihnen nicht zu verargen, den Hausleuten, sperren sie nach Kräften solche Gäste aus, wie Haduwalt und seinen Durst. Aber die lassen sich beide nicht so leicht aufhalten! Nicht Haduwalt, Hadumars Sohn: und noch weniger sein Durst. Nieder mit den Steinen!« Und schon hatte er mit starker Hand eine der aufeinander getürmten Marmorplatten gefaßt, sie nach innen zu werfen. »Halt,« rief da Liuthari, »schau –! auf der allerobersten Platte der Verrammelung ist etwas eingeritzt: vielleicht der Name des Hauses? Ich denke, ich kann es gerade noch lesen.« »Ich könnte es nicht lesen,« lachte der Alte, »und stünde die Sonne im Hochmittag. Was sagen die Runen?« Und Liuthari las: langsam, mühsam, Buchstabe um Buchstabe entziffernd:

»Hic – habitat – felicitas –
Nihil – intret – mali.«

Betroffen, regungslos schwieg der Jüngling eine Weile. Sein Herz klopfte: das Blut stieg ihm siedend in die Schläfe. »Wie seltsam!« sprach er dann vor sich hin, »hier wohnt das Glück? – das Glück, welches ich suche? und der schießende Stern –: lenkte er deshalb hierher meinen Schritt?« »Nun, bei dem wundernden Wodan,« sprach Haduwalt, – »hat dich der Runenspruch verzaubert?«

»Ei wohl: zum Zweck segnenden, schützenden Zaubers mag er wohl eingeritzt worden sein.« Da faßte der Alte hastig den Königssohn bei der Schulter und wollte ihn zurückziehen. »Dann laß uns weichen!« flüsterte er ängstlich. »Lieber dring' ich durch zwei Reihen Römer, als durch einen Zauberspruch hindurch! Siehe: schon scheinst du festgebannt vor dem Eingang: was ist der Sinn der Rune?« – »Wie soll ich dir's deuten, Alter? Nun, etwa so:

›Wunschgott hier wohnen und Sälde selbander:
Niemals nahet, widrige Wichte!‹

Diese Frau Sälde will ich sehen – die hier hauset!« Und rasch entschlossen stieß Liuthari die mittlere Platte, mit Schild und Knie nachhelfend, nach innen, so daß der ganze Aufbau der Steine laut krachend in den Garten stürzte. Der Jüngling trat nun rasch über die Schwelle: »Das ist kein Spruch, der abschreckt: er ladet und lockt herein: hier wohnt das Glück, hier wohnt die Sälde. Der Wunschgott selber leitet mich hierher. Und wir dürfen nah'n: denn wir sind doch wahrlich nicht widrige Wichte.« »Wer weiß, ob wir dem Wirt des Hauses nicht solche dünken,« meinte der Alte, bedachtsam, den langen Speer geschultert, seinem jungen Freunde folgend, der ungestüm, wie von einem Gott dahingerissen, gerade auf die innere Thür des Hauses zuschritt, hinter welcher – nur ein dunkelgelber Vorhang, der im Winde schwankte, schloß sie – ein matter Schimmer roten Lichtes heranzuwinken schien.

Trotz aller Eile bemerkte Liuthari doch, wie ein Rosenbusch, vom haltenden Stabe gelöst, hilflos in den Sandweg hing. Sorgsam bog er die Zweige zurück, »Schade, würden sie zertreten.«

 


 


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