Theodor Däubler
Das Nordlicht (Genfer Ausgabe)
Theodor Däubler

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Ich habe »Sahara« in den Hauptteilen vom Herbst 1904 bis zum Frühjahr 1906 niedergeschrieben. Spätere Ergänzungen, die sich namentlich in den Schlußteilen finden, erstreckten sich bis in den Anfang des Jahres 1910.

Th. D.              

 

Ansang

        Eingeklemmt von alterstarrter Erdenkruste,
Sträubt sich sonnenwonnig noch ein Erdenkern.
Ihr hört ihn oft; des Drachen Wutgepruste
Sagt und warnt: Ein Erdbeben ist nimmer fern!

Sehnsucht nach der Sonne, Heilung für den Himmel
Nagt als flackernde Gefahr am Starrsinnsrand;
Geist der Liebe wirft sich auf den Hilfeschimmel,
Bringt der Nacht entflammten Tanz vom Schwerterkranz.

Langsam wird der Drache wieder zahmer,
Bis auch bald sein Bad aus Glut und Tunke ruht;
Seines Umrucks Schatten schweift durch ihn – Umahmer,
Und der Kotklops wimmelt drum von Aufruhrbrut.

Erde, deines Drachen festes Fluggehäuse,
Einmal bricht der Glutwurm aus dem Krustenrund!
Dann ersäufen Inselschwärme schnell wie Mäuse:
Später krümmt ein Lurch sich auf vom Wassergrund.

 

Hoch im Norden starrt der Erdball stiller, flacher;
Sein Erfrieden nähert uns dem Sonnenziel.
Laute Menschen, bunten Welttags Machtentfacher,
Kräuseln, icherruhend, fahles Flammenspiel.

Erdenpanzer, dort gewuchteter und dicker,
Um die Pole tiefenfeinstes Feuersieb,
Oben flieht der Mensch sich selbst als Glutgesicker
Fremdhafter Geburt in eignem Sehnsuchtstrieb!

Nordlicht, unsers Brudertumes Glücksverheißung,
Goldne Feuerblume, Samenüberschwang,
Duft der Erde, die im Sonnesein Zerreißung,
Da ein Dunkel sich ins Wonnenwogen schlang, 10
Sei Erwahrheitung auf Warnungswanderreisen
Der Ergeisterten auf stillgewiesnem Pfad!
Bleib uns, kaltes Licht mit stummen Liederweisen:
Zeichen über uns, das aus dem Herzen naht!

 

Nordschein schlichtete im Wunschland der Hebräer
Urerernstet – hell vor Mosis Angesicht;
Kein Gewitterer erkundete dich näher
Als der Vormund Israels im Weltgericht:
Jetzt erwachsamen dich nachts Hyperboreer,
Wenn dein Runenkranz sich durch das Dunkel flicht!
Mensch, du bist ein Blutbusch, sieh dich selber!
Unsre Adern purpurt Blut: der Geist gilbt gelber.

Stilles Nordlicht, du verhüllst Gerichtsposaunen,
Denn du bist die Inbrunst des Vollzugsgebets.
Bring uns Zweifel an den Zweifeln: wir erstaunen
Durch ein Wunder! Zeuge und bezeug es stets!
Sei uns: Runen in Erblitztheit! Dumpfes Raunen
Ahnt das Wort im Herzen, doch der Blick verstehts.
Irdisch sichtbar hohe Sonnengunstergreifung,
Blühe aus der Seelen trauter Glüherreifung!

Grüßend und vom Himmel kündend sollst du leuchten!
Heute starren Wesen in dein Wunderlicht,
Doch wo Völker sich einander wild verscheuchten,
Warst du schon ihrer Entgrimmung Zuversicht:
Hände, sanft gefaltet, kann uns Nordschein deuchten:
Schlicht erfaßt die Sonne unser Glutgedicht!
Beide beten: Händen, die sich nimmer trennen,
Mag ein Sonnenkind sich erdhaft zubekennen.

Lichtgewordner, freier Flug der Daseintürme,
Heildurchwobne Sehnsucht, frommer Eichentrotz, 11
Holdes Goldzelt über wimmerndem Gewürme,
Fieber, feste Hoffnung im erloschnen Klotz,
Nord- und Südlicht! Himmelsruhe im Gestürme,
Lächeln eines Gotts, Ermuntrung kühnen Spotts,
Glüh noch du, o du Erlösungsglut: du Wunder!
Diese Welt wird Asche; hier das Fleisch bleibt Zunder.

Welteneinklang wellt erfüllten Flammensamen,
Der sich als die Erdenrose allwärts schwingt;
Wandlungsglücklich aber tauscht den Wandernamen
Unsre Glutenblume, die aus Völkern dringt.
Lilien flimmern lieblich: Halleluja! Amen.
Tulpen funkeln: Ehrfurcht vor der Zucht erklingt!
Milde Stimmen rufen sich die Freudenkunde,
Schlicht zu Selbstverzicht gewillt, im Feuerbunde!

Unsre starkgefühlten Wünsche übergeben
Erdensehnsucht an den vielgestirnten Raum:
Sternenstrahlen weben uns verschiedne Leben,
Und wir danken ihnen schlummernd durch den Traum;
Denn Gesichte, die uns unsichtbar umschweben,
Sind auch Same! Unsers Sternes Saum aus Schaum.
Später, irgendwo und -wann gefußt, ersteht er.
Äther? Jüngste Mutterwelt, ich bin der Täter!

Immer tiefre Sprudelglut wird uns durchfließen,
Denn in steilen Menschen wird die Liebe frei!
Freunde, kommt, ihr sollt das Feuer: Glück genießen,
Sichtbar, leise strömt die Freude schon herbei!
Wo sich Menschensinne schöpfungzu ergießen,
Faßt uns noch das Wort als der Geburtschaft Schrei!
Weltenminne, deiner Krone Überbauten
Sind aus Gold, das wir in keuschen Herzen schauten.

Heilig, leise kann sich Stirnungsglut verändern:
Alles wird der Erde flammendes Gedicht! 12

Ja! Es flackern auch aus holden Tropenländern
Seelen sanft in Falten noch vom Fabellicht.
Nordkelch, blühend trägst du in gekrausten Rändern
Blut Verwundeter vors Hoffnungshochgericht.
Du verheißt Enthüllungen der Seelenlese,
Daß in Sternerfüllungen der Mensch genese.

 

Schnee und Eis wird einst das Land bedecken!
Übersprenkelt nur von blassem Glast,
Müssen Trümmer früher Felsenrecken
Stumm versinken unter sachter Last.

Keine Steinlawinen sollen rollen,
Nirgends Wünsche Wollenswolken blähn:
Eine Blüte nur, doch ganz aus Pollen,
Mag dem Erdenrund entwehn.

Doppelkronen wandernder Planeten,
Sagt, wann schachtelt ihr die Erde ein?
Langsam könnt ihr flimmernd zu euch treten,
Um dereinst ein Glutgewand zu sein.

Menschen, euer endliches Zersterben
Gleißt im Glastungsquastenbaldachin:
Wißt, wenn Flammenfirne sich verfärben,
Ist der Erde Schöpfungskraft verspien.

Ihr entflammtes Antlitz mag sich neigen,
Fügt ihr Formen sich dem Wunsch nach Rast:
Keine Wesen sonnen sich im Reigen,
Alle Waldeswonnen sind erblaßt.

Starkkristallnem Kirchhof wird sie gleichen!
Spuk, der nackt sein kaltes Grab beschaut, 13
Muß sie rauh als blauer Hauch umschleichen
Und erstaunen, daß er mitvergraut.

Zwischen Schnee und Eis auf glatten Kieseln
Wird ein stilles, erdenblasses Licht
Auf und ab, wie ein Erinnern, rieseln,
Denn sich selbst erhält dann der Verzicht!

Doch in jenen fernen Sonnepochen
Hat ein flügges Lichtgeschlecht
Tief des Todes Macht und Nacht zerbrochen
Und empfindet wieder urgerecht

Vor dem Sterbetag dann kein Entsetzen,
Das uns heute schon beim Namen packt:
Fang drum an, in Tafeln einzuätzen,
Wie aus Leibern sich der Geist entsackt!

Flatterndes Gesammeltsein entflamme!
Altes Asiertum durchsamt den Raum.
Mondnacht golde tief: geminnte Amme,
Muttertum blutblumt im Urlichtbaum. 14

 


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