Theodor Däubler
Das Nordlicht (Genfer Ausgabe)
Theodor Däubler

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Venedig

        Mir war es einst, als hätte mich der Felsenaar zum Licht getragen,
Da hob mich Zeus, im Flügeltal, zum Unermeßlichgroßen,
Ein Fordern war mein Wonneflug, dem Mannesblick ein Jagen;
Ich wollte fort, bloß fort, und nirgends dort an Ziele stoßen.

Mir ist es oft, als ob ein Gott die keusche Jünglingsseele küre.
Einst sah mein Herz, noch jung und frei, um sich die Welt entweichen,
Und Zeus war froh, daß sein Geschöpf nicht Furcht und Höhenbangen spüre,
Ich wollte nichts – und wollte doch das Unerfaßbarste erreichen!

Wohl könnte sich die Weiblichkeit dem Schwane sanft ergeben,
Den schlanken Hals, voll Lustgewalt, um ihre Glieder schmiegen,
Ihr ganzes Sein, beim Gotteskuß, im größten Glück erbeben,
Doch nein, ach nein: mir scheint im Weib die holde Urfurcht doch zu siegen!

O Sonne, wirf uns übers Meer die blendendlichte Lebensbrücke,
Die allen folgt, die weit von dir zerstreut, durch Meere steuern:
Wohl scheint mir so, o Sonnenschein, daß jede Regung dich entzücke,
Denn Küsse sprühn, wo Gondeln ziehn, im Kranz von Lebensfeuern.

Durch Wellen schlängelt sichs nun her, mein Weltband hellen Sonnenlichtes!
Als Schwanenhals erscheint es mir, am Gondelkiel und Buge, 78
Der jedes Boot, das schwankt, umkost; und sieh, aus Goldspiralen flicht es
Ein Sonnennetz, und dieses folgt, leicht wogend, auch dem Gondelzuge.

Das Ruder schöpft sich Flimmergold aus morgenblassen Spiegelfluten:
Die Inseln rings umspinnen sich mit wunderhellen Sonneweben,
Und dichter, sieh: wie Gondeln mich, hold wippend, rings umsputen.
O Rührigkeit, bald wird uns auch dein Glücksgespinst umgeben.

So manches Segel, gelb und rot, umschwebt mich, wie Venedig
Nun freundlich mirs, als frohen Gruß, aus eigner Buntheit sendet.
O Herrin, bleibe mir, dem Schönheitspilger, hold und gnädig,
Mein Blick ist noch so scheu: von deinem Spiegelmeer geblendet!

 

        Venedig, deine Marmorsäulenwälder
Durchstreif ich tausendmal und gerne,
Sie sind die bleichen, steinernen Vermelder
Versunknen Seins in Meer und Nebelferne.

Arkadien bist du unsrer Welt geworden:
Zu Menschenlust von Menschen aufgerichtet,
Schufst du Oriente frei in Welschlands Norden,
Und Hellas' Geist hat über dir gedichtet.

Doch ist Arkadien nicht für dich gefallen?
Oft ward das Leben in besiegten Ländern 79
Scharf von Venedigs wilden Löwenkrallen
Zerzaust, denn so gefiel es Machtverschwendern.

Die Forste breiter Berge, die verkarsten,
Verschwanden bald im Schlamm, wo sie verschimmeln,
Die Eichen, die einst Abhangfelsen barsten,
Versteinern, wo jetzt Kellerasseln wimmeln.

Arkadien hat sich freundlich ausgebreitet;
Einst rauschten Bäche durch Illyriens Schluchten
Zu Leuten, die sich sanft ein Glück bereitet:
Venedigs Flotten lagen in den Buchten!

Erwürger brachten sie: roh und verwegen.
Erpresser, die des Landes Kraft entwalkten.
Zwar heulten ihnen Stürme rasch entgegen,
Der Tiefenadern Felsquelle verkalkten,

Doch blieb der Leu auf seinen braunen Matten!
Dann bargen sich die Krumen unter Steinen,
Und Wolken werfen jetzt violette Schatten
Auf Friedhöfe von Urwäldern und Hainen.

 

        O Frühjahrsfrüh, hoch oben auf Arkadiens Bergen,
Erscheine mir in deiner blassen Glut,
Du sollst mir keine Zauberkraft verbergen,
Die noch behutsam in den Keimen ruht.

Das Licht erstrahlt aus großer Morgenferne.
Die Sonnennähe, die uns bald umkrallt,
Entreißt sich erst der Ewigkeit der Sterne,
Wenn sich ein Sonnentag nach oben ballt!

O Welten-Ei, mit deiner Sonnenmitte,
Dich sehen wir als einen Strahlendom, 80
Und drinnen regt, mit leichtem Engelsschritte,
Das Leben sich, in stillem Feuerstrom.

Schon bannt das Licht die künftigen Gestalten
Mit Glutenmacht auf harten, nackten Stein,
Und merzt sie grell in steile Felsenspalten
Als Lebensbilder, Formgespenster, ein.

Auf Trümmern seh ich Lichtgedanken thronen,
Wo mancher sich mit Wucht am Felsen hält:
Drum wurzeln, dauern Wesen für Äonen,
Da nie durch Sturm ein Gluturteil zerfällt!

Die Bäume spenden sich, mit vollen Zweigen,
Was jeder hat, an Lust, an Lebensduft,
Wir Menschen aber suchen, was uns tief zu eigen
Und doch getrennt ist durch die Sonnenkluft!

Die Macht des Lichtes, die uns weit versprengte,
Wie's uns ein großes Taggebot befiehlt,
Ließ Treugefühle, wo sich Brunst verschränkte,
Als Band zurück, das sich durch Glut erhielt.

Die Wesen, die den Wurzeln sich entringen,
Durchklingt ihr Halt, durch stille Eigenglut,
Doch schweift der Sinn zu sonderbaren Dingen,
Denn tausendfach regt sich verwandtes Blut.

Der Mensch kann die Versuchung von sich streifen.
Er weiß, daß eine Reife in ihm ruht:
Erwacht sie, wird er deutbar sich begreifen:
Die Wahrheit glimmt in keuscher Weibeshut.

Nur eine Seele kann die Blüte tragen!
Oft knospt sie lang, bevor sie rasch erwacht:
Ein Augenblick wird einem Auge sagen,
Was Sonnenkinder unter sich vollbracht! 81

Ach, welche Kluft mag mich vom Weibe trennen,
Von jenem Kind aus gleichem Wesensbaum;
Gestalten kanns die Seele, ja erkennen,
Dem Leibe eilt sie lang voraus im Traum.

Bevor der Sonnenfesttag aufgegangen,
Erblaut mein Schicksal, das ihm blaß entsteigt,
Mit Seelenarmen möcht ich darnach langen,
Ich ahne, was sich fern entgegenneigt.

Ja, bloß ein Wesen ist für mich erschaffen!
Einst führt die Sehnsucht uns zum gleichen Ort.
Für Sonnenkinder darf kein Abgrund klaffen:
Sie merkt mich: ich erkenn sie durch ein Wort.

 

        Die Welt kann sich durch Liebe nur erhellen,
Da treu ein Stern des andern Leben hegt,
Dem Weltlichtherz entschwellen Schwesterwellen:
Ein Lebenslicht, das Liebe trägt und wägt.

So malt die Sonne bunte Frühlingsranken
Auf Fels und Schlucht, Entwürfe voll von Kraft.
Ihr Mittag bringt des Lebens Vollgedanken,
Aus denen sie die Tatgeburten schafft.

Gedanken, die durch starre Felsen dringen,
Erschöpfen jedes Sein aus Stein und Licht,
Denn bloß der Sonne Wuchtentwürfe zwingen
Aus Not zu leben! Was der Tat entspricht.

Ein Taggeschöpf muß sich zur Sonne kehren,
Der Mensch zumal, denn wir sind glaubensbang!
Mein Seelenlicht, dir hehl ich kein Begehren:
Gib mir ein Weib, mein, rein und seelenschlank. 82

In deiner Schönheit, Weib, bringst du die Schäume
Der Seelenflut dem Schöpferkusse dar,
Aus deiner Schlankheit sprudeln weiße Träume,
Und Jugendgold verklärt dich wunderbar.

 

        Mir ist es oft, als sehnten sich die Blumenwiesen,
In heitrem Lenzesschmuck, nach einem Fernenflug,
Als wähnten wir, als hofften sie, die Winde bliesen
Sie munter fort, als traumhaft bunten Flatterzug.

Nun plötzlich seh ich, wie sich viele regen:
Befreite schon und trägt sie gar ein Lenzgeruch?
Narzissenfelder können ihren Flug erwägen –
Den Liebenden gelingt der erste Fluchtversuch!

Nein, weiße Tauben sind das, die mich deutlich täuschen:
Doch weiß ich, daß ich Blütensehnsucht wahr empfand!
Nun lausche ich der Vögel wirren Fluggeräuschen,
Die erst im Steilgesang ihr Jubeltum erkannt!

Ich selber bin ein Wunsch nach Liebe und Entfaltung,
Der mühsam erst aus Irrgespinsten bricht:
Mein Weib, wann gibt mein Geist dir Wahrgestaltung,
Wo bist du, Kind, das wieder kindlich zu mir spricht?

Ich habs im Sinn, daß tausend weiße Himmelswiesen
In uns sich suchen, weil sie gleicher Duft beseelt,
Sie wollen sich aus Liebe ferneher erkiesen,
Und keusches Glück hält sie einst sommertreu vermählt.

Ja, keusch ist unsre Flur, die liebend sich befruchtet,
Denn Reinheit weht ihr Mittagsmeer, ein Schneegefild,
Dir gilt mein Lied, o Gischtsee, die im Felsland buchtet
Und tiefverschluchtet Brunst und Ruhesehnsucht stillt. 83

 

        Mir ist es oft, wenn ich die Augen schließe,
Als ob die Welt der eignen Phantasie
In einem Strom von mattem Golde fließe
Und traumhaft durch die wache Seele zieh!

Das ist das Blut, das die Erinnrungsbilder
Gar traumbeschwingt aus dem Gemüte hebt.
Es ist ein andres Leben, zarter, milder,
Das aus den Seelengrüften bleich entschwebt.

Die Lichtgestalten haben ausgerungen!
Mit dem Geschicke scheinen sie versöhnt:
Durch meinen Wesenswunsch, beim Flug verschlungen,
Sind sie der Eigentümlichkeit entwöhnt!

Jetzt seh ich herbstlich goldne Wälderhallen.
Um Bilder sind die Äste schön verzweigt.
Dort, wo die welken Blätter langsam fallen,
Verstrahlt ein Tag, der Altgestalten zeigt.

Schon tropft das Lebensblut von Bäumen nieder.
Im Wind zerstiebt das gelbgewordne Laub.
Im Walde hallts von Windnachtsschritten wider:
Am Weg verliert der Herbst den halben Raub.

Sind auch die Blätter bald im Wald verflogen,
Bleibt in den Seelen lang noch ihre Spur.
Das Sonnenrot, das Bäume eingesogen,
Trinkt erst im gelben Herbst die gute Flur.

Die Sommerfreude jauchzt in Vogelliedern,
Als Waldesecho noch, am goldnen Meer:
Die Menschen werden still, und sie erwidern
Die Waldestrauer: bang, verträumt und schwer. 84

Wo arme Leute dürre Zweige sammeln,
Da lieben sie und sehn sie erst den Wald,
Wenn sie des Waldes Schaudermärchen stammeln,
Wird er Gespenstern tief zum Aufenthalt.

Du glaubst an einen Hauch der Menschenseele,
Wenn du den letzten Atemzug erlauscht,
Du glaubst, daß die Natur von sich erzähle,
Wenn sacht ein Wind im Wald zum Abschied rauscht.

Dann ist es mir, als schlichen Sterbewesen
Durch Träume sich in meine Seele ein:
Verschwistert kann ich sie zusammenlesen
Und berge sie! Fern im Erinnrungsschrein.

Die goldnen Ströme flammen auf wie Hallen!
Ein Strahlendom schließt seine Wölbung zu:
Gedanken, die sich stolz in Hoheit ballen,
Entfalten wunderreichste, freie Ruh. 85

 

        Versteinerte Eichen am Grund der Lagune
Beginnen dem Sumpfe mit Wucht zu entwuchern:
Nun wächst schon die trutzige Dünenkommune,
Und Kunden erblühen von Nordlandbesuchern!

Schon können sich rumpfige Gruppen erreichen.
Es schließen sich Tore. Es öffnen sich Brücken.
Jetzt wollen sich wiedererstandene Leichen
Die bleiche, verfeinerte Marmorhand drücken.

Die Seele der alten, versunkenen Wälder
Beginnt sich auf einmal verklärt zu beleben:
Arkadien erwacht! Junge Lichtrauschvermelder
Belauschen die Fluten im Dunkel von Reben.

Schon grünt und so blüht unser keusches Venedig!
Erfrischt und verjüngt durch die Reinheit des Meeres,
Gelingt es der Seebraut, des Blutbuhlen ledig,
Ein Freistaat zu sein und ein Herz des Verkehres.

Rialto, die Pulsadern deiner Entfaltung,
Kanäle und Ströme, die ferneher fließen,
Gewähren den Träumen der Pfahlwelt Gestaltung,
Da ringsum verkalkte Gespenstalgen sprießen!

Bald tragen die Fluten vom Osten her Rosse,
Porphyre und Stoffe zum Strand des Piave.
Rabbiner lustwandeln auf grünendem Flosse,
In goldenen Kirchen ertönt hold das Ave!

Die Götter Arkadiens sind wieder erstanden.
Im Schatten von Pappeln schlürft Pan kühle Muscheln:
Sirenen, die schüchtern auf Stranddünen landen,
Beginnen sich Märchen der See zuzutuscheln. 86

Nun tutet Neptun, bis zum Bauche erhoben,
Und weckt die Tritone, die halb erstickt, schnarchen,
Die Fichtentitanen und Brackwasserkloben
Entrecken Holzkronen und Kranzwartenarchen.

Mit glühendem Sonnenstift zeichnet sich Klio
Die Turmtaten auf, die zum Goldhimmel zucken,
Da flattern die Wespengespenster der Io
Zum Schriftforscher-Rio, wo Glastadler spuken.

Die heldischen Zinnen, mit reinen Erdstimmen,
Erklimmen mit Lebensgischtschwingen den Himmel:
Ein Atemgold kann in der Tiefe erglimmen
Und rings überbündelt es Menschengewimmel.

Venedig, du selbst bist die klaffende Auster,
In der Aphrodite die Schönheit bekräftigt,
Venedig, es rahmt dich ein zephirgekrauster
Gischtschleier, der lebhafte Nymphen beschäftigt.

Jetzt weben die Wellen sich Lichtflitterflore!
Die Schleier der Keuschheit entschweben dem Meere:
Venedig, eröffne der Venus die Tore,
Doch stelle dich stolz gegen Lilith zur Wehre. 87

 

        O Farbenstadt Venedig, dir zu Füßen
Verstreut und legt ein grüner Strom Juwelen:
Das Meer will jedes Dogenhaus begrüßen,
Hier dürfen nirgends Flutgeflechte fehlen.

Auf himmelblauem Dunkelglutengrunde
Verbrämt und strickt das Meer vor manchem Schlosse
Prunkteppiche, und seiner Tiefe Funde
Umschwärmen leuchtend jede Seekarosse.

Erflimmert sind des Meeres Sonnenstoffe!
Vor Marmortreppen webt es Züngelspitzen:
Und droht verfinsternd steil das Gotischschroffe,
So hilft es sich mit Silberwirbelwitzen.

Die reinsten Flammen sind Türkisen, Rauten,
Doch hebt das Meer oft ganze Perlenspiegel:
Narzissen schwemmt es vor die Schimmerbauten
Und rote Nelken vor Verwittrungsziegel.

Ein wahrer Prachtdamast ruht vor den Stufen
Der Muttergotteskirche »la Salute«:
Das Meer hat alten Prunk emporgerufen:
In diesen Teppich glüht es Grundtribute.

Die Kirchenkuppel blickt mit mildem Auge
Zur Spenderin der Reinheit auf, zur Sonne:
Da scheint es fast, als labe sich und sauge
Ein Tempelwunsch am stillen Milchtagsbronne.

Venedig, die Empfindungsinseln stiller Stunden
In deinen Fluten geb ich dir in Liedern wieder!
Venedig, bunte Fernen sind in dir verbunden,
Verschwundne Numen öffnen hier die Schlummerlider. 88

 

        Venedig, dankbar bringen dir die Götter Gaben,
Geschenke, wie sie keine andre Stadt empfangen:
Du bist wie Aphrodite, der du gleichst, erhaben!
Du hast erwachend stets ein trautes Brautverlangen.

Bevor dein Bräutigam, das Meer, dich darf gewahren,
Beschaust du dich im Venusspiegel durch die Schleier,
Die nächtlich sich auf deinen goldnen Sonnenhaaren
Ersilbern lassen: ein Geschenk von deinem Freier!

Der Venus Tauben, kaum vom Traume aufgeflogen,
Umgurren deine buntgefüllten Wandellauben,
Und Taubenschatten, Schaumgeburten goldner Wogen,
Besetzen Zinnen, Kirchenkuppeln aller Glauben.

Es blauen dunkle Fluten um die grünen Augen,
Die glanzlos in den Ebbestunden fast erblinden:
Und Sumpfalgen, die Ströme aus den Furchen laugen,
Beginnen rostigrot rings Tanzkränze zu winden.

Das Licht auf der Lagune ist der Pfau der Hera,
Den Zeus' Gemahlin für Venedigs Freundschaft spendet!
Denn hier lebt noch der Mensch in seiner Sonnenära,
In der Minerva Helm und Lanze frei verwendet!

Fürwahr, die Götter Hellas' leben in Venedig!
Auf der Lagune glitzern Hermes' Flügelschuhe,
Das Volk ist findig, eitel, heiter und ruhmredig,
Wohl fand Merkur in ihm seiner Bewegtheit Ruhe. 89

 

        Der Dogenpalast, den Phantome bewohnen,
Behorcht Domgebote, die Rom streng erwogen:
Und alle die blutlosen Staatsabstraktionen
Beleben die Rhythmen der rollenden Wogen.

Der Volkswille wird eine Weltblütenlese!
Hier kreuzen sich Sitten verschiedener Länder.
Venedig, die Stadt jeder Brauchexegese,
Verkleidet das Fremde in eigne Gewänder.

Die Säulen, die prachtvoll den Staatspalast tragen,
Verzieren verschiedene Blattkapitäle;
Du siehst den Akantus aus Zwergstämmen schlagen,
Auf nordischem Schaft grünt die griechische Seele.

Der Mythos der Parsen, der Kult der Hebräer,
Verästelt sich mit dem Ardennengeblätter,
Urkomische Gnome, homerische Seher,
Vertragen sich trefflich als Völkerbaumvetter.

In heidnischer Einfalt erblüht eine Säule!
Ein Mädchen erwacht und gefällt einem Manne,
Bald liebt sich das Paar unterm Bettdeckenknäule,
Und dann legt die Amme ein Kind in die Wanne.

Die Eckpfeiler dieses grotesken Palastes
Bezeichnen die Menschenerkenntnis der Sünde!
Zuerst das Geheimnis, die Eva erfaßt es,
Ihr Adam empfindet der Traurigkeit Gründe.

Am anderen Pfeiler liegt Noah im Rausche:
Wohl hat ihn der Saft der Vergebung umdunkelt,
Damit nicht der Alte die Wahrheit verplausche,
Hat Wut aus dem Blick eines Engels gefunkelt. 90

Das richtige Urteil, – wie hier zu Gerichte,
Spricht Salomon weise, am dritten der Pfeiler:
Den vierten sieht niemand, im innersten Lichte
Der Kirche erstrahlt er als Weltleidenheiler.

 

        Im Erdgeschoß tragen die Ganzunbekannten,
Die Massen des Volkes, die Last des Palastes:
Im Stockwerk darüber, die friedlichverwandten
Geschlechter des großen San-Marco-Morastes.

Auf schlankerem Schafte erblühn hier Gebilde
Verschiedener Stile zu Tragkapitälen:
Der tragische Widder, das Willkürlichwilde
Im Edelblut wittert auf Eichenlaubpfählen.

Ihr furchtbaren Rümpfe und Staatspalastpfeiler,
Ihr scheint mir ein Wuchtgebild wuchernder Wälder
Versteinender Eichen, die schlanker und steiler
Zum Freilichte klimmen, und seid – Leidvermelder!

Ihr schnurrig verkrusteten Trumpfkapitäle,
Ihr Eidechsen, Schnecken, Schmarotzer und Räude
Aus Marmor und Moos, ihr seid Meergrundjuwele:
Gebilde des Gischtes und Schäume der Freude!

Die Volkskraft am Meere enthüllt und entwindet
Dem wandernden Wasser sein algengeschmücktes
Geschäftshaus: Venedig! Die Einsicht erfindet
Das Stützengerüst – das Gemüt überblickt es! 91

 

Die Markuskirche

        So flammt denn auf, ihr goldnen Hallen!
Erwache meiner Seele Gold:
Gewaltig mag die Blutflut wallen,
Erstehe, was zum Tag gewollt!

O Sonnentempel, golddurchflossen,
Umwölbe deinen Pilgersohn,
Du nahtest mir mit Sonnenrossen
Und hältst mich nun in holder Fron.

Im tiefsten Bann magst du mich halten,
Wann immer ich dich ahnen kann:
Denn rufen mich die Huldgestalten,
So holt mich Helios' Viergespann!

Ein Fremdling bin ich. Losgerissen,
Befreit vom Boden, der mich schuf!
»Du wirst den Hohn der Dinge wissen!«
So stöhnt in mir ein Sonnenruf.

Nun flammt denn auf, ihr Abendhallen,
O Herbstwelt, wölbe dich empor!
Du Goldschaum sollst dich aufwärtsballen:
Auf Wolken wohnt der Sonnentor.

Ich werde hier mein Herz ergründen.
In diesem Tempel ruh ich aus.
Das Gold in steilen Seelenschlünden
Verkündet hier ein Gotteshaus.

Die Sterne hab ich lang bewundert:
Nicht Wahrheit, Milde gab ihr Blick.
Was ist im Menschen ein Jahrhundert?
Aus Ewigkeit strahlt das Geschick, 92

Die Nacht hab ich mit Gold umzogen!
Die Sterne deckt ein Feuerflor,
Mein Herz erglüht den Nordlichtbogen,
Er brückt sich fort: vor Gott empor!

Ihr hohen Tore aus dem Osten,
Du überstülptes Wunderhorn,
Du Sonnendom mit goldnen Pfosten,
Versprühst Byzanz: sein reifstes Korn.

Du hältst in dir, als voller Same,
Die Wüstenträume eingekerbt:
Daß Asiens Glaube nicht erlahme,
Hat dich Venedig übererbt.

Es ruhen Heilige, Propheten
In manchem goldnen Tempelsarg:
Sie warten demutstumm und beten,
Denn ihr Gemüt ist hoffnungsstark.

Aus Menschennähe hoben Christen
Die Märtyrer in Sternenglanz,
Den Himmel, den wir sonst vermißten,
Verbildlichte und wahrt Byzanz.

Venedig, deine Ferngestalten
Bringt unsre Wesenheit ans Licht,
Die spätgebornen Christen halten
Sich sanft an Jesus Erdgesicht.

Man holt in goldnen Prozessionen
Des Tempels Sonnenschatz hervor.
Die Engel sollen menschlich wohnen,
Schon öffnet sich das Mittagstor. 93

Ein Psalm erklingt! Und Davids Name
Bleibt, stark genannt, ein Hoffnungsborn!
Fürwahr! San Marco ist ein Same,
So goldig wie das volle Korn.

Ein Gold ist der Kometenpollen,
Die Liebe auch, die Gott erfreut,
Der Nordschein, über toten Schollen,
Der Lichtsame, aufs Meer gestreut!

 

        Auf dem Markusplatze in Venedig finden
Seit Jahrhunderten sich stets die gleichen Gruppen,
Denn der Tod wird schwer Geartung überwinden:
Aus den Bengeln müssen Eltern sich entpuppen.

Die Gewänder und sein Erbteil nimmt ein jeder,
Wie das Schicksal sie ihm taub und träge bietet,
Des Verzinkers Sprößling greift vielleicht zum Leder,
Und ein Bäckersohn entsteht, der Holz vernietet.

Die Belebungsfülle aber bleibt die gleiche:
Trotz gefällter Hochmenschen dieselben Leute!
Kein Verjüngungsstrom bricht durch die Daseinsdeiche,
Nach Jahrtausenden ist es genau wie heute.

Die Verblichenen, so scheint es mir, beseelen
Ihre Nachkommen im Jenseits restlos weiter!
Die Langeweile muß sie unaussetzlich quälen:
Zeigt sich nirgends ein Gewohnheitsüberschreiter?

Nur die Helden konnte Christi Tod befreien!
Die Gottähnlichkeit ist hier so karg bemessen,
Daß zehntausend Fromme nur zugleich gedeihen,
Der Halbmensch aber wird sich selbst vergessen! 94

Die Vergeßlichkeit ist unser Trost auf Erden!
Doch wenn Hirne Dinge zeitlos übersehen,
Wehe uns! Da wir uns ewig hören werden
Und verstehen, daß wir uns um Nabel drehen.

Täglich strömen Leute aus den finstern Gassen
Von Venedig auf den Platz, um Scherz zu treiben:
Jeder kann das Laster aller andern hassen,
Um dem selbstverständlicheignen treu zu bleiben.

Täglich macht der Pöbel seine alten Witze!
Da er einschrumpft, hält er sie beinah für neuer:
Selten nur durchzischen ihn Begeistrungsblitze,
Und aus Übermut legt er dann Freudenfeuer.

Stilgebärden und die Sprache, die uns bleiben,
Sind die Lichtgeschenke, die wir uns gerettet,
Doch die Menschheit seh ich krampfhaft abwärtstreiben,
Ihre Wucht und Furchtbarkeit hat sie verwettet.

Durch Verschiedenheit kann sich die Welt erkennen,
Und als Gegensatz darf Ähnliches bestehen,
Doch von Fleischgewohnheiten soll man sich trennen,
Sonst wird die Menschheit bald ermattet untergehen.

Liebesstürme kennen nur die Kinderlosen:
Zum Vergnügen wird der Mensch zumeist empfangen,
Seine Seele kriegt im Elternalltag Hosen,
Häubchen werden von Verwandten angefangen.

Spießbürger, ihr seid fürwahr nicht umzubringen!
Fremde kommen her, die Freiheit zu genießen:
Kann die Lust ein junges Sein beschwingen?
Nur ein Abenteurer mehr wird ihr ersprießen! 95

Nein und doch, das Liebesfeuer gärt in allen:
Aus dem Erdenkerne will es sich befreien.
Klarer kann es wählen. Mag der Leib verfallen!
Wahlgeschlechter wird der Geist zusammenreihen.

Denn die Liebe für das liebende Gewissen
Ist die Lichtinsel für treibende Gefährten:
Hinter Finsternissen, vielen Hindernissen,
Seh ich Fernen, wo sich Lichtwesen bewährten!

Pöbel, stärker als dein Trachten sind die Plagen,
Die das Feuer anstachelt, wenn du verwüstest:
Gemeiner Wurm, du mußt zur Sonne ragen,
Wär es nur, wenn du im Tod dein Nichts verbüßtest!

Eigenmächtigwilde, zynische Projekte
Schmiedet jedermann, – wie oft – und muß doch lieben!
Ach, wie häufig man das Heidentum erweckte,
Lieber Gott, und wir sind Christen doch geblieben!

Ja, ein Brand geht durch die Menschheit, eine Flamme,
Die uns rastlos auffordert, dem Licht zu leben:
Lodre Glut, in unserm guten Arierstamme,
Würde du der Wesen, die auf Erden kleben!

Pöbel, nein! Ich kann dich wahrhaft gar nicht hassen,
Weiß ich doch, daß Zukunftsgluten alle leiten.
Ja, das Was und das Warum, wer mag es fassen;
Doch genug, wir alle kennen Sehnsuchtsweiten!

Stundenlang kann ich am Markusplatz lustwandeln:
Albernheiten hör ich hier am Tag verhandeln,
Abends trachtet man mit Mädchen anzubandeln,
Garstiger Pöbel, kannst du gar nicht dich verwandeln? 96

Einmal nur im Leben wird der Mensch zum Dichter,
Wenn sich Schwärmerei seines Gemüts bemächtigt:
Opfermütig für die Braut, aufrichtig, lichter,
Wird der Mann, der liebend seine Lust berechtigt.

Mag er da des Eigentumes Wahrheit ahnen,
Das in fremder Obhut einzig darf bestehen?
Ja, der Same, dem wir hohe Pfade bahnen,
Soll ins Weib, dem er gehört, keusch übergehen.

Würden wir mit Würde den Geschlechtstrieb lenken,
Gäb es weder Diebe noch verdungne Knechte:
Unsre Sucht, Besitzgesetze einzurenken,
Ist der Alp – und die Erinnrung echter Rechte.

Armes Volk! Ein jeder dünkt sich frei vom Ganzen,
Glaubt, er sei ein Mann, ein Weib, rein wie Ideen,
(Die im Sprachgebrauch sich einfach fortverpflanzen)
Weißt du denn, wie Dinge ganz in Dingen stehen?

Die Geschlechtlichkeit, das Tiefste, will bestehen!
Menschenzwitter triffst du deshalb selten.
Wesen doch, die mehr Geschlechter in sich ehen,
Gibt es, da die Ursprungsketten sonst zerschellten!

Markusplatz, du mußt vom Jenseits Macht empfangen!
Ehen sind in aller Welt auf dir entstanden.
Wieviel Wesensreihen haben hier einst angefangen?
Täglich flichst du Blickblitze zu Liebesbanden.

Zufall sagt man: kann es einen Zufall geben?
Da der Markusplatz besteht, mag man dran glauben!
Ist es nicht viel einfacher, daß Parzen weben,
Und daß wir die Frucht vom Schicksalsbaume klauben? 97

Heiter bin ich jetzt gestimmt, die Saat geht weiter.
Heil San Marco dir, du stiftest ferne Ehen,
Du beglückst das Volk und deine Glanzbestreiter:
Ja, ein Stern scheint sich um diesen Fleck zu drehen!

Sonnenschiffe, die am Markusstrande landen,
Lassen hier die Lichtladung im Menschen steigen;
Selbst der Markusturm, den Sturm und Brunst umbranden,
Scheint bedeutsam sich nach Osten vorzuneigen.

 

Die Markuskirche

        Was ich denke und empfinde,
Herz im Herzen, ist es wahr?
Schwebt die Seele nicht gelinde
Vor den eignen Wunschaltar?

Götter kann ich jubelnd krönen,
Doch mein Glück bleibt lange aus:
Kann mich nicht hineingewöhnen
In das fremde Weltenhaus!

Goldne Traumfäden verflechten
Freuden in mein Nachtgespinst:
Wenn sie Dauerglauben brächten,
Wüßte ich, du bist und minnst!

Alles, alles nur Phantome!
Selbst die Lust eine Idee?
Hoch empor im goldnen Dome
Bäumt sich, träumt das Heil ins Weh.

Jedes Schicksal trüg ich gerne,
Auch die Sehnsucht, die mich plagt,
Käm ein Wink nur aus der Ferne,
Wäre Wahrheit nicht versagt! 98

Nach dem Tode sinkt der Parze
Nie der Faden aus der Hand!
Nein, sie zieht ihn durch das schwarze
Erdgewebe umgewandt.

Sie verspinnt ihn immer weiter,
Bricht ihn, kreuzt ihn, wie's gelingt:
Seh ich dann die Flammenleiter,
Die mich vor den Richter bringt?

Klotho, laß dem Seelenfaden
Des Geschickes Selbstentschluß!
Stütz mich, kühn mit Sturm beladen:
Nur die Freiheit ist Genuß!

Hier im Tempel will ich träumen,
Der sich herbstlich aufgebaut,
Unter Heiligen auf Bäumen,
Die im Laub hervorgegraut!

Eigenwillig, ihr Erbauer,
Habt ihr diesen Wald gekrönt,
Doch des Herbstes Gold und Schauer
Haben tief und mitgetönt.

Unsre Träume haben Grenzen!
Unsre Wünsche, ach, sind kahl:
Wenn die Werke sich beglänzen,
Traf sie ein Verhängnisstrahl!

Bloß gehorchen soll man – schaffen?
Kunst, wachs in den Sturm hinein!
Schiffer, die nur Gold erraffen,
Bringen dir den guten Stein. 99

Träume stehen auf, Propheten
Wandeln tief im Eigenlicht;
Wenn dann Geister in euch beten,
Künstler, schöpft ihr voll Verzicht!

Und ihr hört ein Eichenrauschen:
Mancher Geist war einst ein Baum.
Keusch! Du sollst das Lied erlauschen:
Wir sind Inhalt: faß den Saum!

Lachesis, laß meinen Faden
Nie aus deiner Liebeshand,
Halte ihn auf allen Pfaden
An die andern angespannt.

Liebe will ich traut empfangen!
Tausend Wesen hab ich gern:
Ja, der ganzen Menschheit Bangen
Trübt in mir den Freudenstern.

In das Wirrnetz der Moiren,
Greife plötzlich, Atropos!
Muß ich einst das Licht verlieren,
Tue rasch, was Gott beschloß!

Wo ist Seligkeit im Leben?
Liebe, Wahrheit, die ich will,
Scheinen bis um mich zu schweben:
Immer stumm und nimmer still.

Wo ich mich um Nordschein quäle,
Huschen Irrlichter vorbei,
Flammen, die ich rastlos zähle,
Mehren, kreuzen ihre Reih. 100

Spürend – fühl ich bloß die Leine:
Unsrer Parzen goldne Schnur!
Im verborgnen Seelenschreine
Rührt mich ihrer Waltung Spur.

Glaub ich an den tiefsten Schimmer,
An die eigne Wolkungskraft?
O, ich bin ein Mir-Entklimmer,
Der gehorsam borgt – dann schafft.

Durch die Numen spukt das Ende,
Das auch Sterne treffen muß,
Doch es drängen meine Hände
Ab von mir den Atemschluß!

Denn aus einem Machtgeschlechte
Ging ich stolz und kühn hervor:
Götter schuf es sich als Knechte,
König wurde oft ein Tor.

Meines Volkes Stil und Stempel
Sei geheiligt: nennt ihn Gott!
Fatalisten schänden Tempel,
Nicht der Jakobiner Spott.

Ich gehöre zu den Tauben,
Die kein Ruf zur Furcht berührt:
An die Freiheit will ich glauben,
An die Glut, die Güte schürt.

Wagt euch vor, verdutzte Leute!
Glaubt ihr unter Gott zu sein?
Was ihr fühltet – denkt ihr heute!
Völker, die so tun, gedeihn. 101

Muß es deshalb Gott auch geben?
Schuf er mich von seinem Thron,
Ward ich durch mein ganzes Streben
Element der Negation!

 

        O Flut, du bist im Nu davongeflogen:
Nun reift ein Nachmittag auf dem Moraste.
Von Purpurfurchen ist der Sumpf durchzogen,
Die Segel schlaffen fast von ihrem Maste.

In Trägheit eingemuschelte Gestade
Umstarrt die See, gleich einem Prachtachate:
Die Türme glühn in einem Abendbade,
Nun ists, als ob ein Lichtgott Zinnen nahte:

Der Wind, der rote Barken froh geschaukelt,
Erlaubt den Booten jetzt am Strand zu schlafen:
Die Masten sind von Goldträumen umgaukelt,
Erblaßtes Wasser ebbt um jeden Hafen.

Ganz ockergelb, wie aus dem Lehm gezogen,
Bedecken Segel, Netze, die sich sonnen,
Den trocknen Strand in einem großen Bogen:
Matrosen schlummern unter morschen Tonnen.

Ich sehe Goldranken die Luft durchrauschen
Und Heiterkeiten freundlich zu uns schwirren!
Den seltnen Zauber will ich still belauschen:
Doch horch – und hin! Du glaubst dich bald zu irren.

Ein Windhauch trägt mir viel zu viel vom Äther,
Vom roten Dunste in die müden Augen:
Ich schließe sie, bis Abendfarben später,
Gemildert, für die Traumgesichter taugen. 102

Das Meer beflimmern immer Brisenschilder.
So kann der Blick den Glanz nicht mehr ertragen.
Die hohe Sonne aber leuchtet milder:
Die Seele wird sie um ihr Rätseln fragen.

O Sonne, deine Froheit kann ich doch ermessen!
Die Fernen suche ich in meiner Tiefe.
Der Gott im Schlummer und im Wachvergessen
Erscheint mir klar. Uns wird, als ob er riefe!

 

        Nun lodern die Türme, nun lohen die Masten,
Und Menschen sind ringsum von Flitter umzittert.
Um gotische Eckgiebel hängen sich Quasten:
Das Meer scheint mit Quecksilberdraht übergittert.

Die Säulen umschleichen schon gelbliche Reben,
Und rote Reflexe, wie herbstliche Blätter,
Beginnen Balkone am Strand zu bekleben;
Der Abend ist da: des Dionysos Retter!

Venedig, du hast Hellas' Götter empfangen!
Sie brachten dir himmlische, liebe Geschenke:
Nun rötest du selber Dionysos' Wangen,
Die Lüfte durchgaukeln sich rot Bacchus' Schwänke.

So wachsen die wispelnden Schatten allmählich:
Kein wucherndes Efeugespenst aber tötet
Die goldenen Dolden, die hoch schon – unzählig
Der Abend auf Marmor noch immer keck rötet.

Die ruhigen Ranken umklammern die Bauten,
In griechischer Schlankheit, mit Gängen und Lauben:
So ist es, als ob Flimmerflechten vergrauten,
Dafür aber strotzen und reifen nun Trauben. 103

Figuren um Dächer und goldne Terrassen
Erscheinen wie Geister, die bleich herabschauen!
Nun mag sie der Abend in Anmut umfassen:
O Statuen, wer hat euch in Bernstein gehauen?

So scheint sich das Meer an die Ufer zu lehnen.
Der Abend wird schwerer. Die Stadt imposanter.
Man könnte Dionysos über uns wähnen!
Die ganze Lagune liegt da wie ein Panther.

 

        Sonne! Sonne! Holde Sonne,
Geberin von Lust und Leid,
Eine große Lichtkolonne
Ist zu Streit für dich bereit!

Ringen wir nach deinem Lichte,
Sind wir schon von Glut durchloht,
Und mit jedem Lichtverzichte
Droht und folgt uns schon der Tod.

Licht, du kannst uns Richtung geben!
Leben ist ein Sonnenkampf,
Selbst die Erdengötter schweben
Selten frei im Abenddampf.

O, den Leib, alle Gestaltung
Untergraut und fällt der Tod,
Doch des Menschen Hocherhaltung
Übertönt das Abendrot;

Große Formen, die sich sonnen,
Stürzt das steile Mittagslicht:
Froh in Wolken eingesponnen,
Überlebt uns ein Gesicht. 104

Sonne, du verdammst zum Tode,
Und du bist auch die Geburt,
Denn in jeder Sonnenode
Glüht ihr, die ihr heimwärts fuhrt!

Dionys, du bist erhoben!
Sonnentrunken steigst du auf:
Alle Lichtgewordnen loben
Deiner Sendung holden Lauf.

 

                      Die Strahlen der Sonne sind blutige Speere,
Im Kampfe mit Wolken und Finsternisgraun.
Die Ruhe versinkt in dem dunkelnden Meere:
Ich kann kaum hinab in den Grababgrund schaun.

Vergangene Blüten erglühen nun wieder.
Die Lenze Italiens erwachen voll Pracht.
Die Lilien Illyriens eröffnen die Lider:
In marmorner Reinheit als Engel gedacht.

Jetzt denk ich an dich, Jacobello del Fiore,
Der alle Narzissen der Inseln vereint:
Auch du sahst die Jungfrau im goldenen Flore
Der Gluten der Tiefen, der abends erscheint!

Murano, du Eiland verwunderter Kinder,
Auf dir knospen Blumen mit Heiligenschein:
Medusenerschauer, als Bechererfinder,
Lustwandeln in deinem lichtinnigen Hain.

Es bluten die Ziegel der alten Paläste,
Im Augenblick da uns die Sonne entläßt:
Der Abend verglimmt, und es glüht jede Feste
Des Gürtels, in den sich Venedig gepreßt. 105

Dann folgen die Farben der sanften Geschlechter,
Denn Fliederlicht sprüht über zartes Gestein:
Giorgione und lebhafte Traumrechtsverfechter
Vermochten der Sonne Verlobte zu weihn.

Jetzt schmückt sich der Himmel mit Wolken und Wappen,
Schon flattert ein Kreuzzug im Westen empor.
Da sind sie! Die Habichte, Warten und Knappen,
Die Gottfried zum irdischen Gottkrieg erkor.

Auch meine Standarte mag aufgerollt fegen:
Die Einfälle faßt meine Seele im Lauf:
Ich will ihre Reime nicht suchen und wägen,
Was Rhythmen mir zuwerfen, fange ich auf!

 

        Venedig, bunt ergießt sich deine Ernte
Aus Blumenseelen in die frohe Welt,
Denn jeder Duft, der sich von dir entfernte,
Trug Samen in der Zukunft Blütenfeld.

Die Nelken deiner Vorwelt sind erstanden.
Ihr Zauber hat Carpaccios Traum durchwebt.
In Basaitis blühenden Girlanden
Sind Mohnblumen, Zyanen traut belebt.

Mansueti hat ein holdes Sonnenmotto:
Das Veilchen blüht in seiner keuschen Hand;
Die großen Glocken des Lorenzo Lotto
Umträumen oft ein goldnes Sommerland.

Bellinis: du Giovanni, du Gentile,
Ich pflücke Astern oft in eurem Traum!
Die Distel flicht sich dicht zum dürren Stile,
Doch über euch grünt fromm ein Lorbeerbaum! 106

O Tintoretto, lauter goldne Trauben,
Ein braunes Erntefeld hast du erschaut,
Des Herbstes Wolkengold und Kupferlauben
Sind abendhold in dir emporgegraut.

Venedig, ganz Arkadien ist erstanden!
Dein Veronese flüstert für den Lenz.
Die Träumer, die an deinem Strande landen,
Erstaunt Venedigs Weltmagnifizenz.

 

        Der Zauber, den hörbar die Nacht aufgerufen,
Beginnt sich als Wunder am Meere zu regen:
Im Schatten verblauen die marmornen Stufen
Der stillen Paläste an wogenden Wegen.

Der goldene Samen des schaffenden Tages
Ist traumhaft auf schlafendem Meer aufgegangen.
Schon flackert und glastet ein langes und vages
Geringel von Aalen und glitzernden Schlangen.

Beim Gondeln begegnen wir Zitterpolypen,
Dann Austern und kostbaren Muscheln der Tiefe,
Die, alt wie Gespenster, zum Wellenkamm wippen:
Dir deucht, daß die See von Getier übertriefe.

Auch mir will die Seele im Leibe entquellen!
Die Wünsche entsprudeln, gleich Gischtschmetterlingen,
Den innigsten Wellen, die Freuden erhellen:
Ich will, ach, ich will mich in Lichthöhen schwingen.

Ihr Perlen und Spangen am Grund meiner Seele,
O laßt Lebensfunken den Blicken entsprühen,
Und dann sehnlichähnliche Tränenjuwele
Im nämlichsten Wesen voll Schwermut erglühen! 107

Ihr Tage vergraut! Nächte dunkelt vorüber,
Bis endlich die Sonne mein Glück mag bescheinen!
Das Herz geht mir über! Mein Einblick wird trüber:
Oft möchte ich schluchzen und Felsen wundweinen.

Wann wird mir ein Mund mein Geheimniswort sagen,
Mein Weib, o mein Weib, wirst du je mich verstehen?
Dein Mund muß die Glut meiner Lippen ertragen,
Mein Schmerz wird zu dir als mein Glück überwehen.

Die Münder verbrüdern Millionen von Blüten,
Drum muß jedes Wort, das sie sagen, befruchten,
Ein Mund lispelt Liebe und läßt Stürme wüten,
Die fern in den Seelen sich fruchtbar verschluchten.

 

        Auf des Tages Abendschleppe
Streut der Mond sein Lichtgeschmeid,
Über ferner Alpentreppe
Funkelt noch das Purpurkleid.

Und ein Ruhestundenschleier
Glitzert lichtgeflockt am Meer,
Schwangespenster, Silberreiher
Wimmeln, schwimmen hin und her.

Wie in einem Irisbecken
Ruht der goldne Honigmond,
Zarte Wolkenhände strecken
Ihn empor, wo Sirius thront.

Viele ersterglimmte Lichter
Nicken wieder schläfrig ein,
Denn des Mondes Flor wird dichter:
Alles, alles funkelt rein. 108

Da vor unserm Gondelbuge
Rauscht ein weißer Fabelschwan!
Rüstet er sich gar zum Fluge?
Immer huscht er um den Kahn.

Kaum hält unser Fährmann inne,
Taucht das Tier ins Meer hinab,
Und in bleicher Silberrinne
Biegst du um ein Marmorkap.

In den heimlichen Kanälen
Ist der Schwan dann wieder da,
Dichtumloht von Mondjuwelen
Lenkt und leuchtet er beinah.

Seine weißen Flimmerglieder
Sind viel zarter als ein Traum,
Rings verliert er sein Gefieder,
Oder ist es Gischt und Schaum?

 

        Steile Türme hoher Bauten
Steigen übersteil empor,
Ausweichrufe – horch! – verlauten!
Finster bleiben Tür und Tor.

Oft kann sich der Mond verstecken:
Hinter irgend einem Haus
Will er sich dann vorwärtsrecken –
Plötzlich aber bleibt er aus!

Dunkel folgt der schnellen Helle.
Wolken treiben hoch – und her:
Schneeschein deckt die Riowelle;
Fern im Monde droht das Meer. 109

Stürmen wird es! Wind und Regen
Singen bald ihr Schauerlied,
Und auf stillen Silberwegen
Lausch ich traumhaft, was geschieht.

O, es drängt mich lautes Grausen
Schauerreich zum Dünenmeer:
Wellen, die die Winde krausen,
Reitet jetzt ein Hexenheer.

 

        Ein Stier mit seinem Silberhorn
Trägt die Nacht aus Nebelfugen:
Durch Wolkenritzen wildverworrn
Siehst du kaum die Sterne lugen.

In schwüle Dünste eingehüllt,
Schwärmen düstre Mondlichtseelen,
Der Wölfe Troß, der oben brüllt,
Kläfft den Wind aus Silberkehlen.

Die Tiere, blind und ungezähmt,
Bleiben rudelweise stocken,
Die Hexen humpeln halbgelähmt,
Viele wollen plötzlich bocken.

Am Hexenbuckel huckepack,
Mit weitausgespreizten Beinen,
Hockt oft ein Zwerg als plumper Sack,
Gnomen reiten her auf Schweinen.

Was hackt sich dort die Flügel aus?
Ach, da sausen Mondlichteulen!
Sie wirbeln wild im blauen Braus,
Oben muß die Bora heulen. 110

Der Wind verrammelt rasch die Tür
Großer, voller Wolkenberge,
Im Innern aber wühlt dafür
Eine Schar geringer Zwerge.

Ein Schneegebirg, ein Slawenschloß
Scheint der wilde Sturm zu tragen;
Den Ritt auf tollem Nebelroß
Will ein dünner Lichtprinz wagen.

Schon sprengt er vor, er wagt den Sprung!
Hin zur Burg der Silbersäle:
Es wohnt da drin, in großem Prunk,
Eine bleiche Fabelseele.

Wie traumversponnen sitzt sie dort,
Spinnt an ihrem Silberrocken,
Die Spindel webt in einem fort
Und verstreut die Mondlichtflocken.

Ich bange lange dort hinein.
Schön sind diese Wolkenhallen,
Bis Nebel um den Sonnenschrein
Stummer Mondnachtmärchen wallen!

Vom Lido hörst du, Prall auf Prall,
Wogenbogen toll zersplittern,
Daß Gischt und Schaum beim Wellenfall
Silberblitze grell durchzittern.

Es scheint hier manches Marmorhaus
Blendendweiß und schroff gezimmert!
Besonders wenns der Wogenbraus
Silberblank und kalt umschimmert. 111

Wer hat den Bau aus Griechenland
Hergefloßt in gleichem Strome,
Was wogte ihn von Hand zu Hand
Und verklärte ihn zum Dome?

Jetzt scheint mir, daß ein Silberwurm
(Dort im Meer, ein großer Drache)
Im Mondlichtpanzer nun den Turm
Des Sankt Georg still bewache!

Auch steigt ein dichter Silberrauch
Aus dem weichen Wogenpfühle
Und schnellt sich rasch als Lebenshauch
In die nächtlichscharfe Kühle.

Einst gab so einer Schaumgestalt
(Kaum erwacht im Mondlichtfrieden)
Der Griechengeist den Formgehalt,
Denn das sind Okeaniden!

Hoch oben, von der Nacht verscheucht,
Fliehen Mondlichtsilberfalter,
Ein Hexenschwarm, der weiterkeucht,
Schleppt sich fort, trotz Sturm und Alter.

Die kühnste Wetterhexe wirft
Blicke aus der Nebelkappe,
Und sie schärft sie, da sie vorwärts schlürft,
Daß sie besser weitertappe.

Am Meeresstrande aber wohnt
Manche Nymphe schmuck und schnippe:
In Silberspiegel wirft der Mond
Frische Jugendkraft der Sippe. 112

Es schleppt sich nun ein Rittertroß
Schwer heran auf Zottelkleppern:
Gar müde sind schon Mann und Roß,
Wenn sie sich zusammenläppern.

Bis übers Knie sinkt jeder ein!
Schlüpfrig schimmern ihre Dünen,
Doch traben sie im Mondenschein
Als verwegne Nebelhünen.

Sie reiten mühsam bis zum Meer:
Ohne alle Sturmnachtrufe!
Und sie verlieren ringsumher
Auf den Dünen Silberhufe.

Die Lappen schlottern schon vom Leib
Dieser müden Nebelscharen:
Im Meere grinst ein Hexenweib
Mit verwirrten Mondlichthaaren.

Im Dunst erstickte fast der Wind,
Und es rieselt schon der Regen,
Durch Wolken guckt der Mond geschwind,
Da sich Schleier um ihn legen.

Doch wie der Dunst sich kaum verzieht,
So entsteht ein Mondlichtleben,
Denn wo er sich in Tümpeln sieht,
Bleiben bleiche Krabben kleben.

Sie sind des Mondes Wirbelbild!
Sinds im krausen Wellenspiegel,
Dem krumm und grad Getier entquillt:
Und am Ufer liegen Igel. 113

Fern im Schlamme siehst du noch
Reiter unterm Roß sich wälzen:
Die meisten stürzten in ein Loch,
Sieben schleppen sich auf Stelzen.

Ein Panzerschiff im Hafen scheint
Fast ein Walfisch aus dem Norden!
Ein Unhold, der den Tag verneint:
Stets bereit, das Volk zu morden.

Venedig, bist du endlich frei?
Eine Alpkraft will mich würgen!
Die Panzerfaust, so schwer wie Blei,
Muß den Druck auf dich verbürgen! 114

 


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