Theodor Däubler
Das Nordlicht (Genfer Ausgabe)
Theodor Däubler

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Die Hymne der Höhe

        Wildwabbernde Fackeln, die qualmend verglühen,
Beginnen die Bahre des Tags zu entzünden;
Hier gibts im Gebirge kein reifes Verblühen:
Verbluten, Verrauchen soll Frieden verkünden!

Nun regt sich in Schluchten ein traumhaftes Leben!
Schon fangen Gespenster, aus flammenden Qualen,
Sich an in die funkelnde Luft einzuweben:
Und Glastfalter siehst du ihr Dasein verstrahlen.

Der Hauch und die Seele von farbigen Schäumen
Wird raubhaft von Nebeln zum Meere getragen,
Nun scheint, was da blühte, die Wolken zu säumen:
Und träumt so von südlichen, glücklichen Tagen.

Fürwahr, heiter rüstet sich jetzt eine Flotte!
Schon winden sich Segler aus purpurnen Hallen,
Denn meistens beschützte der Dom einer Grotte
Ihr Trümmertum: prahlhaft durch Aderkorallen.

Doch reckt sich im Tal schon der Riese des Dunkels
Und hebt mit den Schultern die glühenden Lasten
Des langsam verschwirrenden Tagesgefunkels:
Dort tief in den Schluchten scheint Dämmer zu rasten.

Noch einmal zersprengen die Sonnenscheinlanzen
Den Mantel, die Mauern von Schattentitanen;
Auf Gipfeln gewittern Davonkrauchungspflanzen:
Granithart der Alpen basaltalte Ahnen!

Jetzt brennen die Höhen. Vom Abwink die Zeichen
Beginnen auf gipfelnden Zinken zu rauchen!
Die Blutschatten trachten ihr Tal zu erreichen:
Das volle Jahr droht heut bei Nacht zu verhauchen! 68

Ich sehe die Stunde der Ruhe entschweben!
Mir scheinen Gebirge sich grau zu bekränzen,
Den Mond wie ein mildes Gedicht zu beleben,
Bis Wölkchen in windstiller Andacht erglänzen.

Nie trübt seine Nachtfahrt ein Zittern und Rauschen:
Nun wollen sein silberndes Gipfelerblicken
Die Hoheliedwolken der Sohle belauschen.
Blick: oben! Da scheinen die Sterne zu nicken.

Ihr Gletscher, wir werden am Abend erstarren,
Die Felsen diamanthart die Sterne verstehen:
Kalt stimmt dann die Sprache zu Stier, Sirius, Karren,
Den Klarkristall wird wildes Sterben umweben.

Doch sprudeln die Bäche zum Jubel ins Leben,
Und selten vergrübeln sich Fluten in Seen,
Der Mond aber liebts wohl, das heimlichste Weben,
Der Dinge Erdeutung im Geist zu erspähen.

*
Schon stürmt dort das Wasser, wie zaumlose Pferde,
Mit wirbelnden Mähnen, die Felsen hinunter,
Das Leben behagt dieser brünstigen Herde,
Sie wittert es schon, und das macht sie so munter.

Zu Adern Italiens geweitet, entschwellen
Die Gießbäche brausend dem Throngletscherreiche;
Auch meine Gefühle sind Hochgebirgsquellen
Und stürzen sich südzu ins breite Geschleiche.

So fasse mich Leben! Verwalten und Spenden
Ist ewig das Wirken von Menschen und Welten, 69
Wir selber vollenden mit eigenen Händen
Das Ur-Ich, an dem wir schon zeitlos zerschellten!

Ihr Flammen der Liebe, ihr Lebensgestirne,
Erfunkelt euch dauernd das gleiche Bestehen:
Und auch die Ideen in meinem Gehirne
Verwirklichen eifrig mein geistiges Lehen.

Sie scheinen mir Blüten im himmlischen Haine!
Oft pflückt sie der Schöpfer mit goldenen Stielen!
Das Dunkel vernarbt aber rasch jene Scheine:
Die Seufzer ums Leben der Schnuppen, die fielen!

Gestirne behaupten durch rhythmische Schnelle
Ihr Lebensgefunkel erleuchteter Sprache.
Verklärt hohen Blutes erlösende Welle
Im Stern, durch Erkenntnis, die einsamste Brache?

Die eisstarren Berge sind Steine auf Leichen,
Die Kohlen im Untergrund Särge, die modern,
Doch werden die Toten dereinst den Bereichen
Der unholden Nacht, urbegeistert, entlodern!

Sie pferchten das Gold in das tiefste Gebirge:
Die Habsucht erspäht noch die Schätze des Geizes!
Dann gilts, daß die eine den andern erwürge:
Und stets siegt das Gold und die Schmach seines Reizes.

Doch Gold ist der Schein eines wirklichen Lichtes
Und sagt uns: »Ihr sollt eure Reichtümer heben!
Der Erde entschwellt Gold, die Seelen durchbricht es:
Erreicht eures Sternes frohsinniges Leben!«

Ihr toten Gesellen, wie soll ich euch packen?
Ich will euch erwecken, ihr werdet mir dienen! 70
Gespenster, ich hab euch, wohl wird euer Nacken
Dereinst noch vom lastlosen Tag überschienen.

Ihr felsfinstern Sphinxe, auch ihr tragt im Kerne
Den geistigen Tag ohne Schluß und Beginnen;
Ich wittre sein Dämmern in innigster Ferne:
Nun heißt es, mit Bergen verbunden, gewinnen!

Ihr stummen Kolosse, ihr sprecht mit den Gipfeln
Bestimmt eine Sprache zerbröckelnder Zacken!
Doch seht, in den Zungen, Gebärden und Wipfeln
Belebt sich, erhebt sich, ein gratsteiler Nacken.

Ihr Sterne erhebt mich, ihr Sterne entzückt mich:
Ich bin außer mir, doch in mir wurzeln Gluten!
Und drum, o ihr Sterne, zerpflückt mich, entrückt mich,
Ich fühle so gerne mein Urlichtvermuten.

Das Tallied des Werdens erklingt in der Seele,
Schon glimmts zu den Gipfeln, noch regt es sich leise:
Jetzt faßt mich die Erde, erfüllt meine Kehle,
Und weither durchschauert uns – still! – ihre Weise.

Jetzt packt sie mich ganz, dann streift sie mich sachter,
Wohl sucht sich in Rhythmen die Zeit zu vollenden;
Ich bin ja ein Dichter, ein Zustandsverachter
Und kann, was vergeht, zu den Ursprüngen wenden!

Auch ist meine Seele an Freiheit gebunden.
Sie kann sie nicht fliehn und ergreift sie als Bilder,
Sie lebt und besteht auf unendlichen Runden,
Und Nordlichterscheinungen sind ihre Schilder. 71

Im Mond die Gebirge umfrösteln jetzt Winde,
Doch wärmere Hauche verhüllen und betten
Sich tiefer in hangende Wolkengewinde,
Und Sturzbäche rauschen wie silberne Ketten.

Jetzt prangen die Gletscher in Monddiademen!
Jetzt können sich Spitzen mit Perlenschmuck krönen,
Die Stirnriesen werden Gespenstschleier nehmen:
Und seltsam – du hörst keinen Schreckruf erdröhnen!

Hier träumen die Adler, dort schlafen die Geier,
Und Mondeulen rüsten sich brünstig zum Fluge,
Schon brüten die Weibchen dir sichtbare Eier,
Und Raubgier erwühlt sich im hellgrauen Zuge.

Jetzt frierts in den Lüften. Die starrblauen Schatten
Beginnen die Nacht in die Täler zu bannen:
Der Mond übergleißt die verglasenden Matten,
Der Reifvogel kann blank den Grat überspannen.

Die Sterne jedoch überglimmen die Schleier
Der frostigen Mondnacht, und regsam verkünden
Sie, züngelnd und sprühend, als Glücksprophezeier,
Das Bündnis von allen erhabenen Gründen.

Die Treue des Kernes der Erde zu Sternen
Kann leise im irdischen Wurf sich bekunden,
Wir sollen die Winke des Werdens erlernen
Und strahlend der wechselnden Übel gesunden.

Dir birgt alles Dauernde Urlichtsekunden.
Oft werden wir schwindelhaft einwärts gerissen,
Dann zeigt sich im Geist unsre Welt überwunden:
Und weit in mir selber erglimmt das Gewissen! 72

So treibt unsre Erde die innerste Stille,
Ihr rollendes Wesen im Mann zu ergänzen,
Drum ist es bestimmt, daß der menschliche Wille
Bedeutung erfunkle, um tief zu erglänzen!

Doch schürt auch der Erdkern den Aufbruch zur Eile!
Nie zwingt ihn dein Klammern von harten Basalten:
Beseligter Gluten fast sonnige Teile
Zersprengen, zerbröckeln Erstarrungsgewalten.

Den Norden umschließen die festesten Rippen,
Die Schwere vom Weltwams bezwingen bloß Reifen,
So kommt der Planet immer wieder ins Kippen,
Und was hier beginnt, das gelangt nie zum Reifen!

So wandern die Pole! Sie bringen Entgleisung!
Dem Glutinnern kann sich die Kruste nicht fügen,
Die Rundform veränderter Achsenumkreisung
Des Wutkerns Ellipsenbrunst nimmer genügen.

Der Ruhbruch der Erde zerstörte die Speicher,
Um Kinder des Lichtes am Land zu bewirten,
Sie schützte, versteckte sie sorgsam! noch reicher:
Auf Inseln, die silbernde Meere umgürten.

Jetzt rüttelt die Wallung der Lava an Fesseln:
Ihr Aufruhr im Glutdarm durchschaudert uns mächtig!
Was helfen Vulkane mit Speichern und Kesseln,
Die Lava zersprengt sie, – die Erde ist trächtig! –

Die Schlünde der Gelbwelt zerglutet Gepruste,
Amerikas Sternbauch zerkrampft unsern Frieden:
Die innerste Urglut vernichtet die Kruste,
Die selbst sich die Rundsucht zur Kugel beschieden. 73

Der Lavaball krampft uns magnetische Pole,
Er will sich stark gegen die Erdachse sträuben:
Er schenkt uns die Nordkrone, trachtet zum Wohle
Des Lebens, des Lichttages Zwang zu betäuben.

Der Mond doch erwartet den Bruder noch immer!
Er läßt oft die Erde aus Sehnsucht erbeben,
Doch sprengt ihre Wucht nicht den Mutterschlundglimmer,
Sie kann bloß die Nordkranz-Erdeuter beleben.

O Mond, dir zu trauen ist dreist und gefährlich!
Du trügst uns vielleicht in den freundlichsten Nächten:
Du steinbleiches Bild, ist dein Wohlwollen ehrlich?
Du bist uns ein Flugalp von fluchflüchtgen Mächten!

Dein Lichtflimmerschleier ist milchig und traurig:
O, will er dereinst alles Leben bedecken?
Die Seelen und Mütter durchwühlst du oft schaurig,
Soll alles, sich wieder gebärend, verrecken?

Fast schwach ist im Innern der Lavaglut Toben!
Das Glastmeer umklammern granitharte Wände.
Die Achse wird sorglich, ganz langsam verschoben:
Schon zeitigt das Leben sich Dauerbestände.

Auch streut ja der Nordschein aus goldenem Horne
Glutblüten und Küsse auf Gletscher und Meere,
Setzt flimmernde Schlangen in sprudelnde Borne
Und leuchtet in deiner lebendigsten Lehre!

Jetzt scheinen Gebirgssphinxe Götter voll Güte!
Sie tragen Erglastung in eiskalten Falten,
Mir wirds, als ob Gott alles Leben behüte:
Es kann sich nur felsenumschlungen erhalten! 74

Der Mond muß, ein Unhold in Ohnmacht, erbleichen.
Die Aare umkreisen wie Schöpfergedanken
Die Nordlichtgebirge. Den Tälern entweichen
Tief Nebel wie Weihrauch, der Gottheit zu danken.

Vom Herrgott erfleht unsre Erde den Frieden!
Mit eigenen Flammen errankt sie ihr Leben:
Dafür wird der Menschheit Vollendung beschieden,
Denn uns ist gegeben, wonach wir noch streben.

 

        Durch die stolzen Sonnensorgen,
Silbert oft zufriedne Stille:
Geist erwacht im Seelenmorgen,
Über dir sein Sternungswille.

Sonne, holder Mondesbote,
Lebensrad, du tollst mir fort!
Wo das Goldgebot erlohte,
Folgt ihm hoch das Opferwort.

Sterben, süßes Schmerzzerflimmern,
Schmeichelliebe blickt zu dir.
Ich verspür dein Seidenschimmern,
Streichle dich: mein weißes Tier!

Tat aus mir, du bist lebendig:
Tiefste Sicherheit, mein Tod,
Deine Welt wird silberwändig!
O, der Mond! Noch blaß in Not. 75

 


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