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Die Deutschamerikaner im politischen Leben der Vereinigten Staaten.

Friedrich August Mühlenberg, Vorsitzender im Abgeordnetenhause des Bundeskongresses 1789-1791 und 1793-1795

Es besteht vielfach die Ansicht, als hätten die in der Union lebenden Deutschen es nicht verstanden, in politischer Hinsicht in gleichem Grade wie auf anderen Gebieten sich Geltung zu verschaffen. In der Tat entsprach ihre Vertretung im Bundeskongreß niemals ihrer Zahl und Macht. Auch sehen wir sie verhältnismäßig selten höhere politische Ämter bekleiden, obwohl die Deutschen ihrer allgemeinen Bildung nach dazu eher berufen wären, als manche andere fremdgeborenen Elemente, die sich stets einen großen Teil der öffentlichen Ämter, besonders in den Städten, zu sichern wissen.

Die Erklärung für die verhältnismäßig geringe Beteiligung des Deutschamerikanertums an politischen Ämtern ist in mannigfachen Umständen begründet. Zunächst ist zu beachten, daß von den in den Vereinigten Staaten einwandernden Deutschen nur wenige der englischen Sprache mächtig sind. Diese so zu erlernen, daß sie imstande wären, in dieser fremden Zunge parlamentarische Kämpfe auszufechten, gelingt nur einzelnen, wogegen dem Irländer dies sprachliche Hindernis nicht im Wege steht. Auch ist zu beachten, daß die in die Vereinigten Staaten einwandernden Deutschen von vornherein nicht in der Absicht kommen, um am politischen Leben teilzunehmen. Sie kommen zunächst, um sich eine bessere Existenz, als ihnen im alten Vaterland zu erringen möglich war, zu suchen. Bei ihrer Ankunft meist nicht mit großen Geldmitteln versehen, sind sie genötigt, ihr Auskommen in sichern Berufen zu suchen. Sind sie hierin erfolgreich, so entschließen sie sich begreiflicherweise selten dazu, die eroberte Stellung aufzugeben und fragliche Erfolge auf dem schwankenden Boden der Politik zu suchen, auf dem ihnen obendrein in den Amerikanern und Irländern so gewichtige Nebenbuhler gegenüberstehen. Berücksichtigt man, daß auch das Deutsche Reich nur wenige berufsmäßige Politiker besitzt, so kann die geringe Zahl deutschamerikanischer Politiker kaum überraschen, wenn man die obigen Gründe in Erwägung zieht. Dazu kommt, daß bis heute in Amerika die berufsmäßigen Politiker, manche verdiente Männer ausgenommen, durchaus nicht die Achtung genießen, die in Europa den Parlamentariern, den Vertretern des Volks, entgegengebracht wird. Man hat in Amerika soviel von gewerbsmäßigen Beute- und Maschinenpolitikern erlebt und erlitten, daß auch das bessere Amerikanertum lange Zeit allen Geschmack an der Politik verlor, und dieselbe, natürlich zu noch größerem Schaden für die Allgemeinheit, den zweifelhaftesten Persönlichkeiten überließ. Diese Abneigung gegen die Politik ist auch bei den Deutschamerikanern in hohem Grade vorhanden; die Mehrzahl folgt den Schleichwegen der Politiker ohne Interesse oder voll Widerwillen. Es mag hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, daß das Deutschamerikanertum nur in außergewöhnlichen Fällen sich zu einem einmütigen Handeln bewegen läßt; zudem kommt, daß es sich über ein Gebiet verteilt, welches an Ausdehnung Deutschland siebzehnmal übertrifft und in 48 Staaten und mehrere Territorien zerfällt, die für sich wiederum ihre besonderen Interessen und gesetzgebenden Körperschaften besitzen. Da die in diesem ungeheuren Gebiet unter den verschiedenartigsten Bedingungen lebenden Deutschen auch nicht wie die auf die Wiederaufrichtung Irlands hoffenden und durch den Katholizismus zusammengehaltenen Irländer durch Sonderinteressen oder ein gemeinsames religiöses Band aneinandergekittet sind, sondern in ihren politischen und religiösen Ansichten weit auseinandergehen, so ist auch an die Verwirklichung einer deutschen Partei, welche alle in den Vereinigten Staaten lebenden Deutschen umfasse, nicht zu denken. So wenig ein solcher Traum, der in den Köpfen einiger schwärmerischer Achtundvierziger entstand, in Deutschland verwirklicht werden könnte, so wenig würde er sich hier herbeiführen lassen. Zumal er von der großen Masse der Deutschamerikaner nicht gehegt und von den einsichtsvolleren Deutschen nicht befürwortet wird. Versuche zu seiner Verwirklichung würden ohne praktische Folgen bleiben.

In dieser Erkenntnis haben die mit den amerikanischen Verhältnissen vertrauten Deutschamerikaner den Plan einer besonderen deutschamerikanischen Partei nie unterstützt Sie wollen keinen Staat im Staate bilden, sondern sich nur als amerikanische Bürger deutscher Abstammung betrachtet wissen. Als solche schließen sie sich je nach ihrer Überzeugung einer der bestehenden großen Parteien an oder bleiben unabhängig, um derjenigen Partei zum Siege zu verhelfen, die für die Durchführung berechtigter Wünsche die beste Aussicht darbietet.

Fälle, wo große Massen des Deutschamerikanertums eine solche unabhängige Stellung einnahmen und durch ihre Unterstützung einer bestimmten Partei den Sieg verschafften, waren beispielsweise die Präsidentenwahlen der Jahre 1860, 1892 und 1896. In dem erstgenannten Jahre stimmte fast das gesamte Deutschamerikanertum für Lincoln als den Gegner der Sklaverei; 1892 unterstützte es Cleveland als den Vertreter des Freihandels, während es in der Präsidentenwahl des Jahres 1896 fast einstimmig für Gutgeld und ehrliche Finanzwirtschaft eintrat.

Daß Lincoln seine Erwählung den Deutschen des Westens verdankte, hat er oft genug selbst zugestanden. Bis in die Mitte der fünfziger Jahre hinein hatten die Deutschamerikaner meist demokratisch gestimmt. Dann trat aber, durch die machtvollen Reden von Karl Schurz, des in Cincinnati wohnhaften Juristen Johann Bernhard Stallo und anderer deutscher Männer bewirkt, ein sichtlicher Umschwung ein. Im Jahre 1860 schieden die Deutschen bereits massenhaft aus der demokratischen Partei aus und gingen zu den Republikanern über. Durch sie wurden die Staaten Indiana, Illinois, Iowa, Michigan, Minnesota, Wisconsin und Ohio mit insgesamt 66 Elektoralstimmen für Lincoln gesichert.

Die Bedeutung des deutschen Votums in der Sklavenfrage ist auch von vielen großdenkenden Amerikanern stets anerkannt worden. So sprach Charles Sumner am 25. Februar 1862 im Senat der Vereinigten Staaten folgende Worte: »Unsere deutschen Mitbürger sind in dem langen Kampfe mit der Sklaverei nicht nur ernst und treu gewesen, sondern haben die große Frage stets in ihrer wahren Natur und Bedeutung gesehen. Ohne sie würde unsere Sache bei der letzten Präsidentenwahl nicht gesiegt haben.«

Und Andrew White äußerte sich folgendermaßen: »Die Reden, die die deutschen Männer vor Ausbruch des Bürgerkriegs über die großen, unser Land bewegenden Fragen hielten, waren voll hoher Gesichtspunkte, voll neuer mächtiger Ideen, von denen wir alle lernten. Sie behandelten die politischen und sozialverderblichen Einflüsse der Sklaverei auf das Land, seine Institutionen, die Sklavenhalter und die weiße Bevölkerung. Und ihre Argumente trugen sie mit einem Feuereifer der Überzeugung und einer Beredsamkeit vor, die alle Anhänger der Union mit fortriß und für die Gestaltung des Kriegs und seinen Ausgang von größter Bedeutung war.«

Cleveland wurde im Jahre 1881 durch die Stimmen der Deutschen von Buffalo zum Bürgermeister jener Stadt und im folgenden Jahre durch die Stimmen der Deutschen des Staates zum Gouverneur von New York erwählt. Und deutsche Bürger des ganzen Landes scharten sich um Clevelands Banner in den drei Nationalwahlen, in welchen er als Präsidentschaftskandidat der demokratischen Partei figurierte. Seinen großen Triumph im Jahre 1892, wo er die Elektoralstimmen der republikanischen Staaten Illinois und Wisconsin, teilweise auch von Michigan gewann, verdankte er gleichfalls der Unterstützung seitens der Deutschen.

Zu den Verdiensten der Deutschen gehört es auch, die Reformierung der amerikanischen Städteverwaltung angebahnt, am nachdrücklichsten für die Tilgung veralteter Gesetze und am kräftigsten für die Erhaltung und Erweiterung der persönlichen Freiheit gekämpft zu haben. Sie taten dies durch Gründung zahlreicher, in fast allen größeren Städten bestehenden Reformvereine, wie z. B. die » Independent Citizens Union of Maryland«, deren Programm unter anderem folgende Erklärung enthält: »Sie bezweckt zum allgemeinen Besten die Überwachung aller öffentlichen Angelegenheiten sowie die Sicherung einer ehrlichen, wirksamen und sparsamen Verwaltung in Stadt und Staat. Sie will die Befähigung und den Charakter aller Bewerber um ein Amt feststellen, und nach ihrer Erwählung einen Rekord über ihre amtliche Tätigkeit anfertigen. Sie will ferner die Grundsätze einer repräsentativen Regierung sichern und die bürgerlichen und politischen Rechte ihrer Mitglieder schützen. Endlich auch die Aufhebung veralteter und schädlicher Gesetze bewirken und die Wohlfahrt des Volks durch alle ehrenhaften und gesetzlichen Mittel fördern.«

In vielen Städten war es solchen deutschen Reformvereinigungen beschieden, bei kritischen Wahlgängen die Entscheidung zugunsten solcher Parteien und Personen herbeizuführen, deren Grundsätze und Charakter eine Besserung der vorhandenen Zustände verbürgten.

Wie sehr die amerikanischen Politiker mit dem deutschen Votum rechnen, zeigt die Tatsache, daß keine der beiden großen Parteien in einen Wahlkampf eintritt, ohne vorher sich über die Stimmung und die Wünsche der Deutschen genau vergewissert und denselben bei der Abfassung der Prinzipienerklärung Rechnung getragen zu haben.

*

An hochbegabten Deutschen, die im politischen Leben Amerikas eine angesehene Rolle spielten, hat es keineswegs gefehlt. Einem Deutschamerikaner, Friedrich August Mühlenberg, einem Sohn des berühmten Geistlichen Heinrich Melchior Mühlenberg, fiel die hohe Ehre anheim, im Jahre 1789 in der ersten Tagung des Bundeskongresses zum Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses erwählt zu werden. Er bekleidete diese wichtige Stelle von 1789 bis 1791 sowie von 1793 bis 1795. Als Vertreter des Staates Pennsylvanien gehörte er ferner dem ersten, zweiten, dritten und vierten Bundeskongreß an.

Sein Bruder, der berühmte General Peter Mühlenberg, war Abgeordneter Pennsylvaniens im ersten, zweiten und sechsten Kongreß. 1806 wurde er Bundessenator.

Als Senatoren fungierten ferner die Deutschen Jakob Schüremann (1799 bis 1801), Michael Leib (1804 bis 1806) und Karl Schurz (1869 bis 1875).

Von den zahlreichen deutschgeborenen Abgeordneten gehören Gustav Schleicher, Georg Bär, Friedrich Conrad, Adam Seybert, David Rütschi, Michael Hahn, Lorenz Brentano, Anton Eickhoff, Leopold Maaß, Nikolaus Müller, Robert H. Foerderer, Peter V. Deuster, Richard Günther und Richard Barthold zu denjenigen, die durch wiederholte Wahl ausgezeichnet und weithin bekannt wurden.

Der bedeutende Einfluß, den die Deutschamerikaner in Pennsylvanien zeitweise ausübten, läßt sich am besten aus der Tatsache erkennen, daß sie mit nur einer Unterbrechung jenem Staate während des Zeitraums von 1808 bis 1839 sämtliche Gouverneure lieferten. Diese waren Simon Schnyder, welcher die drei Termine von 1808 bis 1817 ausfüllte; Joseph Heister oder Hiester (1820 bis 1823); Johann Andreas Schulze (1823 bis 1829); Georg Wolf (1829 bis 1835) und Joseph Ritner (1835 bis 1839). Ihnen gesellten sich später noch die Deutschamerikaner Francis Schunk (1845 bis 1848); William Bigler (1852 bis 1855); John F. Hartranft (1873 bis 1879); John A. Beaver (1887 bis 1891) und Samuel W. Pennypacker (Pannebäcker) (1903 bis 1906) hinzu.

Von Gouverneuren deutscher Abstammung wurden ferner Johann Brouck in New York, Adam Treutlen in Georgia, A. B. Fleming in Westvirginia, Franz Hoffmann und Johann Altgeld in Illinois, Michael Hahn in Louisiana, Johann Anton Quitmann in Mississippi, Eduard Salomon in Wisconsin und Wilhelm Meyers in Colorado weiteren Kreisen bekannt.

Außer den Genannten nahmen viele andere Deutschgeborene und Abkömmlinge solcher am politischen Leben der Vereinigten Staaten in hervorragender Weise teil. Beispielsweise Wilhelm Wirt, der als Generalanwalt im Kabinett des Präsidenten Monroe saß, und diese Stellung zwölf Jahre lang, bis zum Schluß des Amtstermins des Präsidenten Quincy Adams, bekleidete. Ferner Gustav Körner, Vizegouverneur des Staates Illinois und Gesandter in Spanien; Richter Johann Bernhard Stallo, Gesandter in Italien; John Wannamaker, Generalpostmeister unter der Administration des Präsidenten Harrison. Generalpostmeister im Kabinett des Präsidenten Roosevelt war der in Boston geborene Georg von Lengerke-Meyer, dessen Vorfahren aus Norddeutschland stammen. Er hatte im diplomatischen Dienst als Botschafter in Rom und St. Petersburg bereits Verwendung gefunden. Er bewährte sich in allen Stellen so, daß Präsident Taft bei der Bildung seines Kabinetts ihn übernahm und zum Marineminister ernannte. Taft berief noch zwei andere Amerikaner deutscher Abkunft in sein Kabinett. Dem ebenfalls im öffentlichen Dienst durchaus erfahrenen Richard Achilles Ballinger übertrug er das Ministerium des Innern, und dem aus Texas stammenden Charles Nagel das bisher von dem Israeliten Oskar Straus innegehabte Ministerium für Handel und Gewerbe.

Bei einer Würdigung des Einflusses der Deutschamerikaner auf das politische Leben Amerikas dürfen wir auch zweier deutscher Künstler nicht vergessen, die durch ihre politischen Karikaturen und Kartons die öffentliche Meinung jahrelang mächtig beeinflußten. Diese beiden waren die Zeichner Thomas Nast und Joseph Keppler. Der erste traktierte seinerzeit die für die Korruption der New Yorker Stadtverwaltung verantwortliche Tammany-Gesellschaft mit fürchterlichen Geißelhieben und trug dadurch ungeheuer zur Beseitigung des Tammanyhäuptlings Tweed und seiner Helfershelfer bei. Während des Bürgerkriegs war Nast als Zeichner für »Harpers Weekly« tätig. Seine Bilder und Karikaturen wurden im Norden vom Volke geradezu verschlungen. Im Süden hingegen gehörte Nast zu den am meisten gehaßten und gefürchteten »Yankees«. Nast starb als Generalkonsul der Vereinigten Staaten in Ecuador.

Keppler begründete die politisch-satirische Wochenschrift »Puck« und veröffentlichte in dieser ungemein eindrucksvolle Bilder, von denen viele an nachhaltiger Wirkung manche Wahlrede weit übertrafen.

Keinem von allen bisher genannten Deutschen war aber im politischen Leben Amerikas eine so bedeutende Rolle beschieden, wie dem Rheinländer Karl Schurz, dem es dank seiner hervorragenden Fähigkeiten und seltenen Charaktereigenschaften gelang, nicht bloß die höchsten, einem nicht in Amerika geborenen Mann in der Regierung der Vereinigten Staaten zugängigen Stellungen, sondern auch einen großen Einfluß auf das amerikanische Volk zu gewinnen.

Karl Schurz.

Karl Schurz wurde am 2. März 1829 in Liblar bei Köln geboren, unweit jener Stelle, wo die Ufer des grüngoldigen Rheins ihre höchsten Reize entfalten und sich zum sagenumwobenen, von Ruinen und Burgen gekrönten Siebengebirge erheben.

Wessen Wiege in solcher Umgebung stand, kann kaum etwas anderes sein und werden als ein Idealist. Und ein Idealist war Schurz sein Leben lang. Der sonnig milde Charakter der Heimat übertrug sich auf sein Gemüt, das neben unendlicher Milde und Güte den heiteren Frohsinn, den nie verzagenden Optimismus des Rheinländers zeigte.

Neben diesen anmutenden Eigenschaften verlieh die gütige Natur ihm manche andere wertvolle Gaben: einen scharfen, durchdringenden Verstand und einen Blick von seltener Klarheit, die ihn alle Verhältnisse rasch erfassen ließen. Dazu ein feines Gefühl für die Schönheiten der Schrift und Sprache und – last but not least – eine wahrhaft glänzende Rednergabe. Was er in späteren Jahren über den großen Virginier Henry Clay schrieb, derselbe habe das echte rednerische Temperament, jene Macht nervöser Erregung besessen, wo der Redner andern wie ein höheres Wesen erscheint und seine Gedanken, seine Leidenschaften und seinen Willen in den Geist und Sinn des Zuhörers hinüberfließen läßt, das galt auch von Schurz. Seine unvergleichliche Logik, das Feuer seiner Begeisterung, seine mit einem bestrickenden Wohlklang der Stimme verbundene glänzende Ausdrucksweise übten auf alle Hörer eine so faszinierende Wirkung, daß sie wie verzaubert an seinen Lippen hingen.

Aber nicht bloß die Umgebung, sondern auch die Verhältnisse modellieren den Menschen. Während seiner Studienzeit auf der Universität Bonn zu den Schülern des Kunstgelehrten und Idealisten Gottfried Kinkel gehörend, lernte er die entwürdigende Lage des unter dem Druck rückschrittlicher Regierungen seufzenden deutschen Volkes erkennen. Als in den vierziger Jahren die auf den Sturz dieser Regierungen abzielenden Aufstände im Rheinland losbrachen, nahmen Kinkel wie Schurz an denselben teil. Nach dem Mißlingen der geplanten Erstürmung des Zeughauses in Siegburg wandten beide sich nach Baden. Hier zählten sie zu denjenigen, welche nach dem Abzug des geschlagenen Revolutionsheeres die Festung Rastatt verteidigten, aber am 23. Juli 1848 vor einer ungeheuren Übermacht die Waffen strecken mußten.

Schurz war einer der wenigen, denen es glückte, sich durch die Flucht langjähriger Gefangenschaft zu entziehen. Seinem zu zwanzigjähriger Zuchthausstrafe verurteilten Lehrer Kinkel verhalf er im November 1850 durch eine kühne Tat zur Freiheit. Beide wandten sich nach England, von wo Schurz später, dem großen Strom der politischen Flüchtlinge folgend, sich im September 1852 nach Amerika einschiffte.

Als er hier eintraf, fand er die Vereinigten Staaten in schlimmer Gärung. Norden und Süden standen betreffs der Sklavenfrage einander schroff gegenüber. Alle Anzeichen ließen erkennen, daß diese alte Streitfrage nunmehr zur endlichen Entscheidung dränge. Auf welcher Seite Schurz stehen werde, konnte keinem Zweifel unterliegen. Schon im Jahre 1858 trat er als englischer Redner auf. Seine erste große Rede »The Irrepressible Conflict« wurde überall verbreitet. Noch größeren Erfolg hatte seine berühmte, im Jahre 1860 gehaltene Rede »The Doom of Slavery«. Dieselbe fand im ganzen Lande mächtigen Widerhall. Besonders deshalb, weil Schurz in der Sklavenfrage Gesichtspunkte aufstellte, welche neu und weit mächtiger wirkten, als die bisher ins Feld geführten rein rechtlichen und menschlichen Argumente. Schurz beleuchtete nämlich auch die politisch und sozial verderblichen Einflüsse, welche die Duldung der Sklaverei auf das Land, seine Einrichtungen und Bevölkerung ausüben müsse und tat dies in so überzeugender Weise und mit solcher Beredsamkeit, daß seine Ansprachen an Wirksamkeit staatsmännischen Taten gleichkamen.

Es war in jenen erregten Zeiten, wo das Geschick ihn mit Abraham Lincoln zusammenführte. Beide an großen Eigenschaften gleichen Männer erkannten den gegenseitigen Wert. Es bedurfte keines Schachers, um Schurz zu bestimmen, von nun an mit der vollen Begeisterung eines an den Triumph der allgemeinen Menschenrechte glaubenden deutschen Akademikers für die Nomination und Wahl Lincolns zum Präsidenten einzutreten.

Schurz tat dies als einer der Gründer der jungen republikanischen Partei. Als einer der hervorragendsten Wortführer derselben bewirkte er im Verein mit Stallo und anderen hervorragenden Deutschen des Westens einen so gewaltigen Umschwung in der Stellung der im Westen wohnenden Deutschen, daß dieselben bei der Präsidentenwahl des Jahres 1860 massenhaft aus der demokratischen Partei ausschieden und zu den Republikanern übergingen. Dadurch wurden die Staaten Ohio, Indiana, Illinois, Michigan, Wisconsin, Iowa und Minnesota für Lincoln gesichert.

In dankbarer Anerkennung dieser Unterstützung und aus persönlicher Wertschätzung ernannte Lincoln nach seinem Amtsantritt Schurz zum Gesandten in Spanien, ein außergewöhnliches Zeichen des Vertrauens, da gerade auf diesem Posten ein kluger und taktvoller Mann stehen mußte, der es vermochte, die Spanier in dem zu erwartenden Krieg zwischen Norden und Süden zum Aufrechterhalten der Neutralität zu bestimmen.

Sobald Schurz dieses Erfolgs gewiß war, kehrte er schleunigst nach Amerika zurück, um zur Befreiung der Sklaven auch mit dem Schwert beizutragen. Als Führer größerer Heerkörper nahm er an den Schlachten am Bull Run, bei Chancellorsville, Gettysburg und am Lookout Mountain teil. Er bewies dabei Umsicht und Tapferkeit in solchem Maß, daß er in Anerkennung seiner Verdienste zum Generalmajor ernannt wurde.

Nachdem der Bürgerkrieg vorüber, erhielt Schurz vom Präsidenten Johnson den Auftrag, die Zustände des Südens zu studieren und ein Gutachten abzugeben, welche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Union dienen könnten. Norden und Süden waren durch den Krieg einander völlig entfremdet. Die radikalen Elemente der republikanischen Partei, ergrimmt über die Ermordung des Präsidenten Lincoln und die furchtbaren, durch den Krieg verursachten Opfer, wollten an dem Süden exemplarische Vergeltung üben und ihn unfähig machen, im inneren politischen Leben der Union je wieder eine Rolle zu spielen. Ihrem Betreiben war es zuzuschreiben, daß die weißen Südländer aller politischen und bürgerlichen Rechte entkleidet wurden, die sie vor dem Kriege genossen hatten. Darüber waren die stolzen Südländer, die vormals zu den Führern und Ratgebern des Volkes gezählt hatten, mit tiefster Bitterkeit erfüllt. Aber mehr noch durch den Umstand, daß man die freigewordenen Neger sämtliche Rechte genießen ließ, die man den weißen Bürgern verwehrte.

Was unter solchen Verhältnissen der beste Kurs gewesen wäre, der im Süden hätte eingeschlagen werden sollen, dürfte vielleicht stets eine offene Frage bleiben. Schurz erkannte die logischen Resultate des Krieges in jeder Hinsicht an. Er empfahl die Einführung und den Schutz der freien Arbeit an Stelle der Sklavenarbeit. Aber er wollte auch die früheren Herren der Sklaven ebenso als Menschen behandelt wissen wie die Freigewordenen. Er befürwortete deshalb die Aufhebung der politischen Entrechtung der weißen Südländer, drang mit dieser Empfehlung aber nicht durch.

Während der nächsten Jahre war Schurz Redakteur verschiedener großer Zeitungen. 1869 erfolgte seine Entsendung in den Bundessenat als Vertreter des Staates Missouri.

Der Senat war der Boden, auf dem Schurz seine glänzenden Eigenschaften voll entfalten konnte. Er zeigte sich nicht nur als Meister der Rede, sondern auch der Debatte. Von ihm sagte die »New York Evening Post« am 14. Mai 1906: »Er war nicht nur der wirkungsvollste Redner der republikanischen Partei, sondern der größte Redner, der während unserer Generation im Kongreß erschienen ist. Ungleich vielen seiner ausgezeichneten Herren Kollegen bediente er sich niemals flacher, bombastischer Redensarten, noch jener ausgetretenen Kunstgriffe, mit welchen Demagogen seit undenklichen Zeiten die Ohren des Pöbels zu kitzeln suchen. Wie von ihm treffend gesagt worden ist, sprach er immer als ein vernünftig denkender Mann zu vernünftigen Männern; stets war er über den Gegenstand seiner Rede vorzüglich unterrichtet, und die Folge war. daß er stets etwas vorbrachte, was der ernsten Beachtung auch jener Personen wert war, die sich in ihren Ansichten von ihm unterschieden.«

Karl Schurz offenbarte sich schon damals als eine der eigenartigsten Persönlichkeiten unter den amerikanischen Staatsmännern: als Idealisten edelsten Schlages, der, von tiefem Glauben an die hohe Kulturmission der Vereinigten Staaten durchdrungen, sich selbst die höchsten Ziele steckte und dieselben zu erreichen strebte. »Man mag mir vorwerfen«, so äußerte er sich einst, »daß meine Anschauungen phantastisch sind; daß die Geschicke, denen dieses Land entgegengeht, weniger hehrer Art sind; daß das amerikanische Volk nicht so groß ist, wie ich glaube, oder wie es meiner Ansicht nach sein sollte. Ich antworte darauf, daß die Ideale den Sternen am Himmelszelt gleichen. Niemand wird je imstande sein, sie mit seinen Händen zu berühren. Aber der Mensch, der wie der Seemann auf der weiten Wüste des Weltmeeres sie zu seinen Führern nimmt, wird, wenn er ihnen nur getreulich folgt, sein Ziel sicher erreichen.«

Um jene Zeit saß der während des Bürgerkriegs zu großem Ruhm gelangte General Grant als Präsident im Weißen Hause. Unter seiner Verwaltung nahmen Korruption und Ämterschacher so überhand, daß Schurz, angeekelt durch diese Zustände, sich von den radikalen Republikanern abwandte und eine neue Partei, die der liberalen Republikaner gründen half. Dieselbe setzte der Grantschen Administration heftigen Widerstand entgegen und stellte, als eine neue Präsidentenwahl nötig wurde, Horace Greeley auf, der aber im Wahlkampf unterlag.

Größeren Erfolg hatte Schurz bei der Präsidentenwahl des Jahres 1876. Er unterstützte dabei den Republikaner Rutherford B. Hayes, weil er diesen in der entbrennenden Währungsfrage für den zuverlässigsten der aufgestellten Kandidaten hielt. Nach der Einführung Hayes in sein Amt erreichte Schurz den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Er wurde als Minister des Innern in das Kabinett berufen und bekleidete diesen verantwortungsvollen Posten bis zum Jahre 1881.

Während dieser Periode bahnte Schurz manche wichtige Neuerungen an, deren Bedeutung erst in späteren Jahren erkannt und gewürdigt wurden. So trat er aufs nachdrücklichste der beispiellosen Wälderverwüstung entgegen und mahnte zum Schutz der Forsten. Wenn dafür die der Zerstörung des Waldreichtums schuldigen Spekulanten ihn höhnisch den »Amerikanischen Oberförster« tauften, so ahnten sie nicht, daß dieser Spottname eines Tages einem Ehrentitel gleichkommen würde.

Es gelang Schurz nur schwer, das amerikanische Volk von der Bedeutung der Wälder und der Notwendigkeit ihres Schutzes zu überzeugen. Noch weniger war es reif für die Anschauung, daß Ehrlichkeit und gesunder Menschenverstand auch für die Forstverwaltung notwendig seien. Den Umschwung in der Volksstimmung herbeigeführt zu haben, gehört zu den großen Verdiensten, die Karl Schurz sich um dieses Land erworben hat.

Energisch befürwortete Schurz auch die bessere Behandlung der schrecklich mißbrauchten Indianer. Er sorgte nicht bloß für die Abschaffung grober Mißbräuche in der Indianerverwaltung, sondern auch für die Einhaltung der mit den Stämmen geschlossenen Verträge, ferner für die Errichtung geeigneter Schulen, in denen diese »Mündel der Nation« zu zivilisiertem Leben herangezogen werden könnten. Die berühmte Indianerschule zu Carlisle, Pa., wurde unter seiner Verwaltung gegründet.

Schurz nahm ferner Gelegenheit, die von ihm seit Jahren befürwortete Verbesserung des Zivildienstes praktisch zu betätigen. Seitdem unter Präsident Andrew Jackson der Grundsatz »Dem Sieger gehört die Beute« in die Politik eingeführt worden war, hatte die Beutewirtschaft in erschreckender Weise um sich gegriffen. Sie drohte das ganze amerikanische Staatswesen zu vergiften. Die schwersten Schäden dieses Systems bestanden darin, daß an Stelle der von Vaterlandsliebe und Selbstlosigkeit getragenen Helden der amerikanischen Revolution selbstsüchtige, grundsatzlose und käufliche Berufspolitiker traten, von denen die frechsten sich zu »Bossen«, das heißt Parteipäpsten aufwarfen, die alle Macht an sich rissen und ihre Anhänger für die geleisteten Parteidienste mit öffentlichen Ämtern belohnten, ohne nach Befähigung oder Ehrlichkeit zu fragen. Es galt der Grundsatz »Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand«. Diesen Verstand benutzten die Beutepolitiker aber nur dazu, um das Volk zu plündern, während sie den öffentlichen Dienst in unzulänglichster Weise verrichteten.

Nicht zum wenigsten waren es die Deutschamerikaner, die, von ihrer Heimat her an ein tüchtiges und ehrliches Beamtentum gewöhnt, auf den immer notwendiger werdenden Kampf gegen das Beutesystem hindrängten. Als er endlich aufgenommen wurde, waren sie es, die ihn in der nachdrücklichsten Weise führen halfen. Ihr Vorkämpfer war Schurz, der energisch für die Umgestaltung des Zivildienstes eintrat und mit seinen amerikanischen Gesinnungsgenossen befürwortete, daß der bürgerliche Dienst von der Politik vollständig getrennt werden und daß Tüchtigkeit und Unbescholtenheit die Vorbedingungen sein sollten, um ein öffentliches Amt zu erhalten. Viele Jahre hindurch blieb der Kampf vergeblich, denn die Beutepolitiker besaßen ungeheure Macht und verstanden es trefflich, allerhand Gründe für ihr eigenes System ins Feld zu führen. Sie gaben vor, daß die Zivildienstreformer die Einführung europäischer, monarchischer Zustände beabsichtigten, welche eine zünftige Bureaukratie voll Überhebung hervorrufen müßten, deren Glieder durch langes Verbleiben in den Stellungen einseitig würden und nicht im Einklang stünden mit der jeweiligen, durch die Wahlen bekundeten politischen Richtung sowie den Vertretern dieser Richtung in den obersten Ämtern, denen es doch bei ihrer Verantwortlichkeit überlassen bleiben müßte, ihre Untergebenen selbst auszusuchen. Erst zu Anfang der achtziger Jahre, nachdem die Betrügereien, Unterschlagungen und andere durch öffentliche Beamte hervorgerufene Skandale allzuhäufig wurden, konnten die Zivildienstreformer sich der ersten sichtbaren Erfolge rühmen. Seit jener Zeit hat ihre Sache so bedeutende Fortschritte gemacht, daß nunmehr alle Bundesbeamte mit Ausnahme derer, die vom Präsidenten zu ernennen und vom Senat zu bestätigen sind, dem Zivildienstgesetz unterstehen.

Carl Schurz

Auch im Verwaltungsdienst vieler Staaten, Gemeinde- und Stadtverwaltungen fand die Zivildienstreform Eingang. Überall erkannte man die ungeheuren Vorteile der Bewegung, durch deren Anbahnung und Ausbreitung Schurz sich Verdienste erwarb, die ihm einen glänzenden Namen in der Geschichte der Vereinigten Staaten sichern. Wie eng Schurz mit der Bewegung verbunden war, ergibt sich daraus, daß er viele Jahre lang den Vorsitz im Zivildienstbund führte.

Nach Ablauf der Hayesschen Administration widmete Schurz sich aufs neue der journalistischen Tätigkeit. Er unterbrach dieselbe wieder, als die Präsidentschaftskampagne des Jahres 1884 heranrückte.

Es war damals, wo Schurz eine ungeheures Aufsehen erregende Schwenkung unternahm. Er, bisher Republikaner, unterstützte die Wahl des demokratischen Reformgouverneurs von New York, Grover Cleveland, gegen den Republikaner Blaine. Zu diesem Schritt ließ Schurz sich durch den persönlichen Wert des einen und den Minderwert des anderen Kandidaten bestimmen.

Obwohl er die Notwendigkeit der Organisation zum Zweck der erfolgreichen Durchführung bestimmter Ziele stets anerkannte, verpflichtete er sich nie dazu, einer bestimmten Partei anzugehören und mit derselben durch Dick und Dünn zu marschieren. Die Losung »My party, right or wrong« (»Meine Partei, ob recht, ob unrecht!«) stieß ihn ab. Er betrachtete die Parteien nicht als Selbstzweck, sondern nur als Mittel zum Zweck. Deshalb focht er, je nachdem die Umstände es forderten, bald auf Seiten der Republikaner, bald auf Seiten der Demokraten oder unabhängiger Vereinigungen.

Dies Verhalten wurde ihm von vielen zum Vorwurf gemacht. Schurz ließ sich aber dadurch nicht beirren, sondern fuhr fort, in allen das Land angehenden Fragen seinen eignen Grundsätzen und seiner Überzeugung getreu zu bleiben und zu handeln. Es kann deshalb diejenigen, welche mit der Finanzgeschichte der Vereinigten Staaten vertraut sind, nicht überraschen, daß Schurz im Jahre 1896 als Unabhängiger für die Wahl McKinleys eintrat. Die Gründe dafür waren folgende: Unter der Regierung Clevelands machten die westlichen Silberminenbesitzer ungeheure Anstrengungen, den Kongreß zur Annahme von Gesetzen zu bestimmen, durch welche die sogenannte Silberfreiprägung wieder aufgenommen werden sollte, wonach es jedermann gestattet wäre, seine etwaigen Vorräte an Rohsilber in Münzen der Vereinigten Staaten umprägen zu lassen. Beim niedrigen Stand des Silberpreises hätte die Annahme eines solchen Gesetzes für die über kolossale Vorräte an Rohsilber verfügenden Silberleute ungeheuren Gewinn bedeutet; das Land hingegen würde unter dem Zwang, den Wert seiner Münzen aufrechtzuerhalten, entsetzliche Verluste erlitten haben, wenn es nicht gar dem finanziellen Zusammenbruch zugetrieben worden wäre. Als Cleveland dem Verlangen der Silberleute sich entgegenstemmte, kam es nicht bloß zu einer tiefen Spaltung unter den Demokraten, sondern auch zu einem förmlichen Bruch zwischen dem Präsidenten und dem die Freiprägung fordernden Flügel seiner eigenen Partei. Die Silberdemokraten stellten darauf im Verein mit anderen unsicheren Elementen des Westens William Bryan als Präsidentschaftskandidaten auf, wogegen die Republikaner McKinley zu ihrem Bannerträger erkoren. Dieser fand, als Cleveland eine Wiederwahl ablehnte, die Unterstützung aller für ehrliche Finanzwirtschaft eintretenden Demokraten und Unabhängigen.

Mit dem gleichen Ernst, mit dem Schurz zur Lösung der Sklavenfrage beigetragen hatte, beteiligte er sich nun an der Bekämpfung der schwindelhaften Finanzpolitiker, die mittels der Silberfreiprägung sich auf Kosten des amerikanischen Volkes bereichern wollten. Seine während dieses Streites gehaltenen Reden verfehlten nicht, durch ihre Logik und überzeugende Gründlichkeit auf das ganze Amerikanertum tiefsten Eindruck zu machen.

Mit gleichem Eifer stritt Schurz gegen die als eine Folge des spanischamerikanischen Krieges zu betrachtende Expansionspolitik. Trunken von den in jenem Krieg errungenen glorreichen Siegen, befürwortete ein großer Teil des amerikanischen Volkes die Annexion der den Spaniern entrissenen Philippinen, Cubas und Porto Ricos. Darin erblickte Schurz eine schwere Gefährdung jener Grundsätze, auf denen die Republik der Vereinigten Staaten beruht. Wenn das amerikanische Volk, so argumentierte er, zu einer Eroberungspolitik übergehe und seine Herrschaft gewaltsam über Völkerschaften verhänge, welche derselben abgeneigt seien und auf eigenen Füßen stehen wollten, so verfalle es dem Imperialismus und gebe sowohl seine Grundsätze, wie auch seine hohe Mission, zu der es vor allen Nationen berufen sei, preis.

Die dem Lande daraus drohenden Gefahren erschienen Schurz so groß, daß er sich entschloß, in den Wahlkämpfen der Jahre 1899 und 1904 die Demokraten Bryan und Parker gegen die Republikaner McKinley und Roosevelt zu unterstützen.

Gewiß sind diejenigen im Unrecht, welche Schurz wegen seines häufigen Parteiwechsels der Unkonsequenz bezichten wollen. Er kehrte einer Partei nur dann den Rücken, wenn diese inkonsequent wurde und jene Grundsätze verließ, um derentwillen er sich ihr angeschlossen hatte. Er selbst blieb stets seiner Überzeugung treu, daß das Wohl des Landes und die Erhaltung der Union über alles gehe.

Mit vollem Recht wurde an seiner Bahre ausgesprochen, daß er den wahren Geist des amerikanischen Ideals tiefer, inniger erfaßt habe und ein reinerer, ausgeprägterer Amerikaner gewesen sei, als die meisten seiner amerikanischen Mitbürger. Sein ganzes Leben war eine fortgesetzte Betätigung der großen Lehre, ein gewissenhafter, von echtem Patriotismus erfüllter Bürger zu sein.

Und diese Lehre ist nicht ohne Eindruck geblieben. Nach vielen Tausenden zählen diejenigen, welche durch das von Schurz gebotene Beispiel dazu begeistert wurden, gleichfalls ihren Grundsätzen und Idealen treu zu bleiben und einzutreten für alles, was sie für recht hielten.

Den gewaltigsten Einfluß übte der seltene Mann naturgemäß auf seine in den Vereinigten Staaten lebenden Landsleute. Vielen galt er als nachahmenswertes Vorbild. Ein erhabeneres hätten sie schwerlich finden können. Denn wie Schurz im politischen Leben aus den Reihen seiner Mitmenschen hoch emporragte, so lag auch sein bürgerliches Leben vor aller Augen, makellos und rein wie lauteres Gold.

Nie hat man gewagt, ihn der Bestechlichkeit oder einer Unwahrheit zu beschuldigen. Jeder wußte, daß strengste Gewissenhaftigkeit und Wahrheitsliebe seinen Ehrenschild bildeten, an dem alle Pfeile seiner Gegner wirkungslos abprallen mußten.

Obwohl Schurz nicht versäumt hatte, sich alle besseren Eigenschaften des Anglo-Amerikanertums anzueignen, so wurden deutsche Sitten, deutsche Sprache und deutsche Ehre von keinem im Ausland lebenden Deutschen heiliger gehalten als von ihm: Er betonte beständig, daß der deutsche Einwandrer sich amerikanisieren solle. Aber der für das neue Vaterland ersprießlichste Amerikanisierungsprozeß bestehe für den Deutschen darin, das beste des amerikanischen Wesens anzunehmen und das beste des deutschen Charakters zu bewahren. Nur so könne er zu der Kultur des großen amerikanischen Sammelvolkes seinen pflichtmäßigen Beitrag liefern. Von dieser Überzeugung ausgehend, richtete Schurz bei unzähligen Gelegenheiten an seine hier eingewanderten Landsleute die Mahnung, ihre Ideale und freien Lebensanschauungen, ihren Frohsinn, ihre Liebe zu Musik, Kunst und Wissenschaft, vor allem auch ihre herrliche Muttersprache zu bewahren und dieselben als kostbare Besitztümer auf Kinder und Kindeskinder zu vererben.

Aber nicht bloß durch solche Mahnungen leistete Schurz dem Deutschtum Amerikas große Dienste. Er hob auch das Ansehen der Deutschen in diesem Lande mächtig, indem er sein Leben in echt deutscher, idealer Weise dem Dienst der Freiheit, des Fortschritts, der Humanität und Weltkultur weihte.

Noch in den letzten Tagen seines Daseins beteiligte er sich an einem Aufruf zu einer Massenversammlung der deutschamerikanischen Bevölkerung von New York, welche dem Verlangen nach einem Schiedsgerichtsvertrag zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland Ausdruck verlieh.

So war Schurz an allen großen Fragen und Bewegungen beteiligt, die während der letzten fünfzig Jahre dem amerikanischen Volke zur Entscheidung vorlagen. Die Ratschläge, die er dabei erteilte, ließen stets erkennen, daß er hoch über der Masse der amerikanischen Staatsmänner stand, daß er zu der kleinen Gruppe Auserwählter gehöre, zu denen noch die späte Nachwelt voll Dankbarkeit emporblicken wird.

Aber auch die Besten unserer Zeit zögerten nicht, ihm schon zu Lebzeiten die verdiente Anerkennung zu zollen. Als am 2. März 1899 die Elite der amerikanischen Bevölkerung der Stadt New York sich zur Feier seines 70. Geburtstages zu einem glänzenden Festmahl versammelte, da widmete Expräsident Grover Cleveland dem Jubilar folgende herrliche Worte: »Seine Laufbahn und sein Leben erteilen uns Lehren, welche nicht zu oft und stark genug betont werden können. Sie illustrieren die Größe selbstlosen öffentlichen Dienstes und den Edelmut einer furchtlosen Befürwortung von Dingen, welche recht und gerecht sind. Es würde eine traurige Zeit für unser Land kommen, wenn unser Volk, im Lichte eines solchen Beispiels, sich weigern sollte, die beste Staatskunst in unerschütterlichem Festhalten an der Überzeugung, im Sturm sowohl als im Sonnenschein, zu erkennen. Ich glaube, daß die Zukunft und das Fortbestehen unserer freien Einrichtungen auf der Pflege der Eigenschaften beruhen, welche den Mann auszeichnen, welcher heute geehrt wird.«

Und am 21. November 1906, als die Besten der Nation in der Carnegiehalle der Stadt New York zu einer Schurz-Gedächtnisfeier versammelt waren, zollte Cleveland dem verewigten deutschamerikanischen Staatsmann einen zweiten glänzenden Tribut, indem er unter anderem sagte: »Diejenigen unter uns, welche sich rühmen, angestammte Amerikaner zu sein, sollten nicht vergessen, daß er (Schurz), der auf solche Weise eine Besserung der politischen Ideen und Gepflogenheiten unserer Nation schuf, von ausländischer Herkunft war. Und laßt uns ferner mit bewundernder Würdigung gedenken, daß, während er niemals ein liebreiches Andenken an sein Vaterland erblassen ließ, er zu gleicher Zeit unvergängliche Lorbeeren in seinem neuen Bürgertum erwarb und dem Patriotismus seiner Natur durch aufopfernde Ergebenheit und Treue gegenüber seiner amerikanischen Zugehörigkeit hellen Glanz verlieh. Wenn sein edles Beispiel und seine Verdienste einen naheliegenden Kontrast bieten, so sollten sie ganz besonders zu besserer Pflichterfüllung und zu größerer politischer Fürsorge diejenigen anreizen, welche auf Grund ihres Geburtsrechts einen bevorzugten Platz in unserem Bürgertum beanspruchen. Und wir alle sollten uns zu Herzen nehmen die große und eindrucksvolle Lehre, welche jedem Amerikaner durch das Leben und die Laufbahn von Carl Schurz eingeprägt wird. Es ist die Lehre vom moralischen Mut, vom einsichtsvollen und gewissenhaften Patriotismus, vom unabhängigen politischen Denken, von der selbstlosen politischen Affiliation und von der beständigen politischen Wachsamkeit.«

Ein anderer Amerikaner, Herbert N. Casson faßte hingegen sein Urteil über Schurz in folgende Worte zusammen: »Sowohl als Soldat, wie als Staatsmann, politischer Reformer und Schriftsteller genießt Schurz internationalen Ruf. Niemals war ein Mann unabhängiger als er und doch so mit allen Fasern mit dem Volk seiner Zeit so eng verbunden. Sein Leben war so vielseitig wie ein Diamant und ebenso voll von Licht.«

Am 14. Mai des Jahres 1906 fand die irdische Laufbahn dieses bedeutendsten Mannes, den Deutschland den Vereinigten Staaten bisher geliefert hat, ihren Abschluß.

Karl Schurz ist tot! Aber sein Andenken, seine Lehren und sein Vermächtnis werden leben, solange es in den Vereinigten Staaten Bürger deutscher Herkunft, solange es für die Ehre und Wohlfahrt ihres Landes eintretende Amerikaner und solange es eine amerikanische Geschichte geben wird.

Das Deutsche Haus in Indianapolis, Indiana, der Sitz des Turnlehrerseminars des Nordamerikanischen Turnerbundes.


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