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Zweites Kapitel.

Den ganzen Tag reiste ich auf langsame, gemächliche Art weiter. Ich hatte den Wagen ganz für mich allein und betrachtete, am Fenster sitzend, mit aufmerksamem Auge die indischen Landschaftsbilder: die mit Lehmmauern umgebenen Dörfer, die weiten Ebenen, die Vieh- und Schafherden, die seltsamen Vögel, die breiten, halb ausgetrockneten Flüsse und die hübschen kleinen Eisenbahnstationen, auf denen sich eine bunte Menge drängte.

Voll banger Zweifel dachte ich an Walter. Ich sah so einfach und ländlich aus. Ob ihm mein Anblick wohl eine große Enttäuschung bereiten würde? Er hatte sich weit mehr zu seinem Vorteil verändert als ich. Wohl war ich groß und schlank, mein Haar hübsch und meine Gesichtsfarbe anerkanntermaßen weiß und rosig. Mrs. Blasson hatte mich sogar gefragt, ob sie echt sei, und als ich eine solche Frage empört zurückwies, hatte sie gesagt: »Wenn Sie nicht sofort ins Gebirge gehen, wird Ihre glänzende Farbe keine sechs Monate standhalten.« Ich erhob mich und betrachtete prüfend mein Gesicht im Spiegel des Eisenbahnwagens. Blaß war es allerdings, und meine Augen sahen unnatürlich groß und verängstigt aus.

Ich befand mich aber auch tatsächlich in Angst, ach, in unaussprechlicher Angst! In weniger als einer halben Stunde sollten Walter und ich einander gegenüberstehen: ich hatte genau den Fahrplan studiert. Als dann die letzte Station vor Bareda hinter mir lag, fühlte ich, wie ich vor Bangigkeit förmlich zitterte. Ich hatte mein Haar mit größter Sorgfalt aufgesteckt, einen hübschen Hut aus dem Koffer herausgeholt und den Staub von meinem Kleide gebürstet. Aber als der Zug über Schienenstränge und Straßenübergänge rasselte und allmählich langsamer fuhr, schlug mein Herz zum Zerspringen. So erregt, so namenlos unglücklich und verlassen fühlte ich mich, daß ich am liebsten unter den Sitz gekrochen wäre.

Dann fuhren wir unter heftigem Stoßen und Rütteln in eine große Station ein, und ich setzte mich, mein Handgepäck sorgfältig zusammengelegt neben mir, wieder auf meinen Platz. Ich warf einen flüchtigen Blick hinaus, entdeckte aber niemand, der auch nur entfernt Walter ähnlich gesehen hatte. Was bedeutete das? Ob er wohl ernstlich krank war?

Fast erstarrt vor Schmerz und Aufregung wartete ich, wie es mir vorkam, eine Ewigkeit. Endlich öffnete sich leise die Türe, und ein in prächtige, scharlachrote und blaue Gewänder gehüllter Indier schaute herein und fragte mit einer tiefen Verbeugung; »Miß Sahib, für Hassall Mem Sahib?«

Bejahend nickte ich. Er winkte mir, mich zu erheben, und als ich seiner Aufforderung folgte, reichte er mir einen Brief herein. Also auch jetzt wieder nur ein schriftlicher Empfang! Hastig riß ich das Schreiben auf, während der Indier mein Handgepäck an sich nahm. Auf einem winzigen Briefbögchen stand geschrieben:

»Liebe Miß Ferrars!

Bitte, nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich nicht an die Bahn komme. Ich habe für diesen Nachmittag eine Zusammenkunft verabredet, die ich nicht aufschieben kann. Der Diener wird alles für Sie besorgen; er ist meine rechte Hand.

Ihre ergebene
E. Hassall.«

Es blieb mir also nichts andres übrig, als mich und mein Besitztum der Obhut von Mrs. Hassalls »rechter Hand« anzuvertrauen. In wunderbar kurzer Zeit hatte er mein Gepäck beisammen, und nun rasselten wir in einem indischen, von zwei Ponies gezogenen Fuhrwerk, das er Gharri nannte, davon, dem Endziel meiner Reise entgegen.

Wir fuhren durch einen großen, von breiten, weißen Straßen durchquerten Park – wenigstens schien es mir ein Park zu sein – aus dem hier und da ein mit Stroh gedecktes Haus hinter einer Veranda hervorschaute. Nichts ließ eine Stadt oder auch nur einen Marktflecken vermuten, und doch war dies hier die große Garnisonstadt Bareda. Es deuchte mir eine Ewigkeit, bis wir endlich in ein Gittertor einbogen, eine Rampe hinauffuhren und vor dem Portal eines langen, niedrigen Hauses, welches das charakteristische Bild eines indischen Wohnhauses bot, hielten. Die Veranda war mit Matten belegt und mit Stühlen, Windschirmen sowie einer Menge Palmen behaglich ausgestattet und durch hübsche bunte Lampen erleuchtet.

Diensteifrig kam ein bärtiger Diener die Stufen heruntergeeilt und verbeugte sich tief vor mir, während eine kleine, magere, aber kräftig aussehende Indierin mit seltsamen Ohren- und Nasenringen mich in gebrochenem Englisch begrüßte, meine Reisetasche in die Hand nahm und mich in den Bungalow geleitete. Zuerst kamen wir auf einen Vorplatz, dann in ein hohes, luftiges Speisezimmer, wo der Tisch bereits überreich mit Blumen und Silberzeug gedeckt stand, und schließlich in eine Schlafstube, die ebenfalls mit den schönsten Matten ausgelegt war, aber außer einigen Möbeln aus Rohrgeflecht nur noch ein kleines, mit einem Moskitonetz umgebenes Bett enthielt.

»Mem Sahib zum Klub gegangen, Miß Sahib,« sagte meine Zofe erklärend und gleichsam entschuldigend, indem sie meine Tasche niedersetzte: »Aber bald, sehr bald zurückkommen.«

Dann ging sie hinaus und erteilte in gellendem Hindostanisch einen Befehl, worauf sofort mein ganzes Gepäck hereingebracht wurde. Währenddessen legte ich meinen Hut ab und händigte der Zofe meine Schlüssel ein. Mir war jämmerlich trostlos zu Mute in diesem großen, fremden Hause unter dieser Schar schweigender Dienerschaft. Allein ich kämpfte meine schwermütige Stimmung tapfer nieder und begann auszupacken und mich umzukleiden.

»Burra Khana – großes Abendessen – heute,« verkündigte die Ajah, als sie mit sichtlichem Respekt mein bestes weißes Gesellschaftskleid auseinanderfaltete und auf eine Chaiselongue aus Bambusrohr niederlegte.

Sie hieß Dulia, wie sie sagte, und erwies sich als außerordentlich geschickt und gewandt. Sie bürstete mir das Haar, schüttelte den Staub aus meinem Reisekleid, und dank ihrer flinken Hilfe war ich in etwa einer Stunde nicht nur vollständig umgekleidet, sondern auch meine Sachen hatten – wenigstens diejenigen, die ich für den kurzen Aufenthalt bedurfte – ihren passenden Platz in den Schränken und Kommoden des Nebenzimmers gefunden.

Da nun nichts mehr zu tun war, entließ ich die Ajah mit einigen freundlichen Worten und setzte mich dann auf die Chaiselongue, auf meine eigene Gesellschaft angewiesen. Das Herz war mir schwer und mein Geist von bangen Zweifeln erfüllt. Empfängt man so einen Gast, der allein über den Ozean gekommen war, um zu heiraten? Oder war ich hochmütig und empfindlich und hatte meine Erwartungen zu hoch gespannt? Vielleicht herrschten in Indien andre Sitten ... Oder hatte ich am Ende zu rasch einbewilligt, war ich zu leicht zu gewinnen gewesen ... Vielleicht, vielleicht ...?

Ich fühlte plötzlich, daß ich dem Weinen nahe war. Wie furchtbar! Nein jetzt, angesichts des größten Ereignisses meines Lebens, mußte ich meine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen. Ohne Rücksicht auf mein bestes Kleid kniete ich neben einem Stuhle nieder und versuchte, ein kurzes Gebet zu stammeln. Das Gesicht in die Hände vergraben, betete ich, daß Walter so sein möchte, wie ich ihn mir wünschte, und daß er auch von mir nicht enttäuscht sein möge, daß wir glücklich zusammen würden und daß ich unter all diesen Fremden stets das Rechte tun, und ...

Das leise Geräusch von Vorhängen, die zurückgeschoben wurden, und von Schritten, die sich rasch näherten, unterbrach mich. Zusammenfahrend hob ich den Kopf und schaute auf.

Eine vornehm gekleidete Dame mit dunklem Haar stand vor mir und lächelte!

Mit einem peinlichen Gefühl sprang ich auf und befand mich meiner unbekannten Wirtin gegenüber.

»Ach, meine liebe Miß Ferrars,« begann sie sofort redselig, »seien Sie mir herzlich willkommen! Ich war bei einem Wettspiel und bedaure lebhaft, wenn ich Sie so lange allein gelassen habe. Sie sind aber doch hoffentlich nicht im Begriff, zu Bette zu gehen?« fügte sie hinzu, wobei es in ihren dunkeln Augen schalkhaft aufblitzte.

»O nein,« stammelte ich, »ich betete.«

»Tun Sie das immer tagsüber?«

»Nein, allein ich komme jetzt von der Reise, und ...«

»Ach, Sie liebes, gutes Mädchen!« unterbrach sie mich. »Hoffentlich haben Sie es sich hier inzwischen behaglich gemacht.«

Sie setzte sich in einen bequemen Rohrsessel und sah mich mit ihren durchdringenden Augen scharf prüfend an, während ich noch immer verlegen mitten im Zimmer stand.

Nachdem ich endlich meine Fassung wiedergefunden, fragte ich: »Wie geht es Walter? Und wann werde ich ihn sehen?«

»Er war ziemlich elend, wenn auch nicht bedenklich krank: ein Fieberanfall, von dem er sich noch nicht ganz erholt hat. Deshalb konnte er unmöglich die Reise nach Bombay unternehmen; morgen abend kommt er aber sicher, vielleicht schon früher. Ich bin überzeugt, daß Ihr Anblick ihn sofort ganz herstellen wird.«

Hatte Mrs. Hassall mich zum besten, oder sprach sie im Ernst? Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, da sie eben ihren eleganten, zu ihrem hübschen rosa Musselinkleid passenden Hut abnahm.

»Haben Sie eine gute Überfahrt gehabt? Und nette Gesellschaft?«

»O ja, ich danke.«

»Sie sind ein tapferes Mädchen! Sechstausend Meilen weit allein herzureisen, um Walter zu heiraten! So weit hätte mein Mut niemals gereicht.«

»Ich glaube auch, daß ich etwas Ungewöhnliches unternommen habe.« Und nun setzte ich mich ebenfalls.

»Durchaus nicht. Das tun viele Mädchen, wenn ihr Bräutigam sie nicht holen kann. Wie geht es Tante Gussie?«

»Sie war recht wohl, als ich sie zuletzt sah.«

»Sie sind nämlich ihr ganz besonderer Liebling, und, soviel ich weiß, hat sie die ganze Sache angezettelt. Sie ist wirklich eine bewundernswerte Frau. Am nächsten Samstag um zwei Uhr wird also die Trauung stattfinden. Sobald die ›Smyrna‹ gemeldet wurde, schickte ich die Einladungen ab. Sie und Watty haben somit noch genügend Zeit, sich gegenseitig kennenzulernen.«

»Eine Woche ist nicht lang,« warf ich schüchtern ein.

»Eine Woche genügt vollständig,« entgegnete sie nachdrücklich. »Manche Mädchen sind schon eine Stunde nach ihrer Landung in Bombay getraut worden. Stirbt jemand hier, so wird er noch am selben Tage begraben: bei uns in Indien macht man in derartigen Sachen kurzen Prozeß. Ein wahres Kleinod von einer Ajah habe ich auch schon für Sie gedungen.«

»Sehr liebenswürdig von Ihnen!« murmelte ich mit schwacher Stimme.

»Ich beabsichtige, Ihre Hochzeit zu einem glänzenden Fest zu gestalten. Die Geselligkeit ist gegenwärtig ein wenig flau, und eine Hochzeit bringt immer Leben und Heiterkeit mit sich.«

»Ach, und ich hatte so sehr auf eine stille Hochzeit gehofft!«

»Dann war Ihre Hoffnung eben eitel, meine Liebe.« Ein breites Lächeln ließ fast alle ihre Zähne zum Vorschein kommen. »Ich habe nämlich ein wahrhaft entzückendes Kleid, das ich nur zweimal in Simla getragen habe und das hier noch niemand kennt. Ich habe vor, ein Gartenfest zu geben,« plauderte sie weiter; »ich gebe nämlich während der Saison alljährlich eines. Taschenspieler und Schlangenbeschwörer sollen ihre Künste zeigen und die Jägerkapelle wird spielen. Zweihundert Einladungen sind ergangen; die Leute müssen endlich einmal wieder aus dem Schlafe geweckt werden.«

»Das geht doch alles gewiß auch ohne Watty und mich,« rief ich mit einer Kühnheit, die mich selbst überraschte. »Bitte, lassen Sie uns ruhig zur Kirche gehen und gleich darauf abreisen.«

»Warum denn?« fragte sie scharf.

»Warum sollen wir lediglich zur Unterhaltung der Gesellschaft ein großes Hochzeitsfest feiern?«

»Einfach deshalb, weil alles schon vorbereitet ist. Den meisten Mädchen macht doch auch eine glänzende Hochzeit Spaß. Aber ich merke schon, Sie sind ganz anders, als ich Sie mir gedacht habe.« Ein eigentümlicher, verlegener Ausdruck zeigte sich dabei in ihren unbarmherzig blickenden Augen.

»Wirklich? Wie glaubten Sie denn, daß ich sei?«

»Nun, mehr ein Landpomeränzchen oder schüchterner, zimperlicher Backfisch.«

»Ein zimperlicher Backfisch würde aber doch wohl schlecht auf eine Teepflanzung passen. Im Grunde genommen bin ich aber doch ein recht schüchternes Mädchen.«

»Diesen Eindruck machen Sie gar nicht. Ich sehe, daß Sie Ihre eigenen Ansichten haben und Ihren Kopf nicht nur hoch tragen, sondern gelegentlich auch durchsetzen können. Auch verstehen Sie es, sich hübsch zu kleiden. Dies ist wirklich ein reizendes weißes Kleid. Die Spitzenärmel und die lange Schleppe gefallen mir besonders gut. Einige Herren kommen heute auch zum Abendessen, und nachher wollen wir alle auf den Klubball gehen.«

»Aber ich brauche Sie doch hoffentlich nicht zu begleiten?« warf ich ängstlich ein.

»Wenn Ihnen nichts daran liegt, nein. Mir scheint überhaupt, daß Sie sich vorläufig noch ein wenig unbehaglich unter uns fühlen, aber Sie gewöhnen sich gewiß bald an unsre lustige Art zu leben,« antwortete sie nachsichtig.

Ich aber wußte genau, daß ich mich niemals an sie und ihre grausamen Augen und ihre harten Züge gewöhnen würde.

»Sie sagten, daß Walter vielleicht kommen werde?«

»Ach ja, richtig. Er gehört zu den unbequemen Leuten, die kommen, wenn man sie am wenigsten erwartet, und niemals da sind, wenn man sie braucht ... Natürlich sagte ich das nur im Scherz. Er wohnt nämlich nicht hier, weil wir keinen Platz haben. Sein Vetter Maxwell hat ihn bei sich aufgenommen ... Sie haben doch, von Max gehört?«

»Nein, wer ist das?«

»Aber ich bitte Sie, er ist ja der Stolz unsrer Familie. Sie haben nichts von Maxwell Thorold gehört? Ein unheimlich gescheiter Mensch, sage ich Ihnen, der noch einmal zu den höchsten Ehrenstellen aufsteigen wird. Dabei ein kleiner Adonis und ein hartgesottener Junggeselle.«

»Wirklich?« antwortete ich gleichgültig.

»Er ist auch sonst ein lieber Mensch und Watty gegenüber immer sehr freigebig. So hat er zum Beispiel Leinwand, Gläser, Lampen und Porzellan in Ihre junge Haushaltung gestiftet. Ich selbst habe alles ausgewählt.«

Diese triumphierende Ankündigung erregte in hohem Grade meinen Zorn, und sofort erfaßte mich ein heftiges Vorurteil gegen diesen gepriesenen jungen Mann, der uns mit Lampen und Porzellan versorgt hatte.

»Maxwell wäre eine glänzende Partie für jedes Mädchen,« rühmte Mrs. Hassall weiter. »Es ist nur schade, daß er selbst das nicht einsehen will.«

»Den jungen Mädchen wird es wohl ebenso gehen.« Ich war ärgerlich über die Lobpreisungen dieses Mr. Thorold und die schwache Anerkennung meines Mr. Thorold.

Die Antwort war aber nur ein schallendes, höhnisches Gelächter.

»Mrs. Hassall, würden Sie es sehr übel nehmen, wenn ich heute abend nicht zu Tische käme? Sie haben ja Gesellschaft genug und gehen nachher auf den Ball. Ich wäre Ihnen herzlich dankbar, wenn Sie mir eine Kleinigkeit hierher auf dieses Zimmer bringen ließen.«

»Nicht zum Essen kommen? Wie, dieses reizende Kleid sollten Sie zu Ehren meines leeren Gastzimmers angezogen haben? Und dabei brennen alle darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen! Es kommen nur zwei Damen und vier Herren, und daß eine Braut stets den Ehrenplatz einnimmt, das wissen Sie ja doch!«

Ich fühlte euren kalten Schauer über meinen Rücken laufen. Sechs fremde Personen, die alle darauf brannten, meine Bekanntschaft zu machen!

»Mrs. Hassall dürfen Sie mich aber nicht nennen, sondern Tizzie, eine Abkürzung von Elisabeth; ich werde ja in wenigen Tagen Ihre Cousine sein. Doch nun will ich gehen und rasch ein Teekleid überwerfen; das Staatsgewand werde ich erst nach Tisch anlegen. Um eines aber bitte ich Sie: tun Sie mir nur um alles in der Welt nicht den Schabernack an, sich auszukleiden und zu Bett zu gehen.«

Dabei drohte sie mir scherzend mit der geballten Faust, und im nächsten Augenblick sah ich das hübsche rosa Kleid hinter dem Vorhang verschwinden.

*

Nach etwa zwanzig Minuten kehrte Mrs. Hassall zurück, um mich zu holen. Wogen von gelbem Seidenstoff umrauschten sie. Ihre Absicht, ein Teekleid anzuziehen, hatte sie augenscheinlich aufgegeben, und das prachtvolle, offenbar von einer europäischen Kleiderkünstlerin angefertigte Staatsgewand kleidete ihre schmächtige Erscheinung vortrefflich. Den Hals umschloß eine Perlenschnur, ein Brillant funkelte im dunkeln Haar, und die kleinen Augen blitzten vor selbstgefälliger Zufriedenheit.

»Nun kommen Sie rasch« – sie streckte mir ihren mageren, mit Goldreifen geschmückten Arm entgegen – »es ist fast acht Uhr, und mein Mann ist ein unruhiger Geist, der mich von einem Ort zum andern hetzt und doch stets behauptet, ich käme zu allem zu spät.«

So plaudernd führte sie mich in den Salon, wo sich, zu meiner großen Erleichterung, außer einem untersetzten Herrn im Gesellschaftsanzug mit tief ausgeschnittener Weste noch niemand befand. Freundlich kam er auf mich zu und reichte mir die Hand.

»Mein Mann, Oberst Hassall.«

»Sehr erfreut, Sie in unserm Hause begrüßen zu dürfen.« Und mit einem bedeutungsvollen Lächeln fügte er hinzu: »Es tut mir nur leid, daß Ihr Besuch von so kurzer Dauer sein wird.«

»Mein lieber Horace,« unterbrach ihn seine Gattin, »willst du so freundlich sein und nachsehen, ob Ahmed auch den richtigen Bordeaux in Bereitschaft hat? Du erinnerst dich doch des Mißverständnisses, das neulich passiert ist ... Sie aber bitte ich, sich zu setzen und zu tun, als gehörten Sie mit zur Familie. Kommen Sie hierher aufs Sofa und sagen Sie mir, wie Ihnen mein Salon gefällt.«

Ich schaute mich um. Es war ein ungewöhnlich großer Raum, von dem drei breite Glastüren auf die Veranda führten. In einer Nische stand ein Flügel, im Kamin gegenüber brannte, der kühlen Jahreszeit entsprechend, ein Holzfeuer. Der Boden war mit Matten bedeckt, auf denen verschiedene kostbare persische Teppiche lagen. Vorhänge und Möbelstoffe waren hellrosa, die Möbel selbst aus weißem Holz. Dazwischen standen in geschmackvoller Anordnung eine Menge großer Palmen, auch an Gemälden, Photographieen und reizenden Nippsachen war kein Mangel, und über dem ganzen lag der milde Schimmer rosig beschatteter Lampen.

»Es ist wohl der hübscheste Raum, den ich jemals gesehen habe,« bemerkte ich endlich aus voller Überzeugung.

»Ich freue mich, daß er Ihnen gefällt. Er gilt aber auch als Muster für ganz Bareda und hat mich viel Arbeit und Kopfzerbrechen gekostet. Da wir indes fünf Jahre hier festsitzen, so lohnte die ganze Einrichtung sich wenigstens der Mühe ... Ah, da sind sie wohl schon!« rief sie, als sich das Rollen von Wagen vernehmen ließ, die die Rampe herauffuhren.

Bald darauf erschienen die Gäste. Zuerst Mrs. Metcalfe, eine kleine, lebhafte, elegant gekleidete Frau, mit einem Stumpfnäschen und hübschen Augen, begleitet von ihrem Gatten, dem Obersten, einem breitschultrigen Herrn, dem man den Militär wohl ansah. Ihnen folgte Miß Flasham, eine auffallend hübsche Blondine in schwarzem, silbergesticktem Kleide, ferner Hauptmann Mallard, ein heiterer, noch junger Offizier mit großer Nase und klugen blauen Augen. Er war zu meinem Tischnachbar bestimmt und ließ es sich, als wir uns Arm in Arm ins Speisezimmer begaben, sofort angelegen sein, mich aufs liebenswürdigste zu unterhalten.

Ich konnte nicht umhin, den geschmackvoll mit Blumen und Silberzeug geschmückten Tisch, sowie die lautlos waltenden schneeweiß gekleideten Diener zu bewundern, von denen für jeden Gast einer bestimmt war und die sich untereinander an Dienstfertigkeit überboten.

»Sie kommen doch heute abend mit auf den Ball, Miß Ferrars?« fragte mein Tischnachbar.

»Ich habe nicht die Absicht.«

»Finden Sie es nicht auch abscheulich von ihr, daß sie das Aschenbrödel spielen will?« fiel Mrs. Hassall mit ihrer gellenden Stimme dazwischen. »Mein Ruf als Wirtin wird dadurch für immer vernichtet.«

»O, der kann durch nichts angefochten werden,« entgegnete mein Nachbar höflich.

»Übrigens muß ich Ihnen sagen, meine Liebe,« rief sie über den Tisch herüber mir zu, »daß wenn Sie erst mal nach Rutnagherry übergesiedelt sind, es vorbei ist mit Bällen und ähnlichen Vergnügen! Das dürfen Sie mir glauben!«

»O, das schadet nichts, mir liegt nicht viel am Tanzen,« versicherte ich keck.

»Dann kommen Sie doch wenigstens zum Zusehen; das ist doch immerhin etwas.«

»Ich möchte aber wirklich lieber zu Hause bleiben, wenn Sie es erlauben,« entgegnete ich hartnäckig.

»Nun denn, so tun Sie, was Sie wollen. Übrigens passen Sie in Ihrer Abneigung gegen das Tanzen vortrefflich zu Watty, denn als Tänzer ist er wirklich schrecklich,« fuhr sie fort, sich nun der ganzen Gesellschaft zuwendend. »Als habe er einen Kartoffelsack im Arm, so unbarmherzig zerrt er seine Tänzerin herum.«

Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Mein Nachbar aber schien Mitleid mit mir zu haben; denn er lenkte das Gespräch sofort in andre Bahnen, indem er mich nach den neuesten englischen Büchern fragte. Allein auch hierüber vermochte ich armes Landkind keine rechte Auskunft zu geben, und schon begann Tizzie wieder mit ihren spöttischen Bemerkungen, als ihre Aufmerksamkeit zum Glück durch eine schmeichelhafte Bemerkung Mrs. Metcalfes über ein eben aufgetragenes neues Gericht abgelenkt wurde, worauf sich zwischen den beiden ein lebhaftes Gespräch über Haushaltung und Dienstboten entspann.

»Hier in Indien,« sagte Tizzie, »haben wir Hausfrauen es freilich weit besser als in Europa. Will man ein Essen oder sonst ein Fest geben, so läßt man seinen Hausmeister kommen, teilt ihm das Vorhaben mit und sagt mit einer gebieterischen Handbewegung: ›Bundobast kurru!‹ Damit ist alles abgetan.«

»Was bedeuten diese rätselhaften Worte?« fragte ich meinen Nachbar.

»Einfach: Triff deine Vorbereitungen, und sie werden aufs pünktlichste getroffen, Sie dürfen mir's glauben. Die Hauptsache ist, daß man sich einen gewandten und zuverlässigen Hausverwalter zu verschaffen weiß, dann ist man geborgen. Ich bin nämlich,« fügte er, seine Stimme dämpfend hinzu, »ebenfalls im Begriff, mich zu verheiraten, und erlaube mir, Ihnen diesen guten Rat zu geben.«

»Ich nehme ihn auch dankbar an, obwohl wir auf unsrer Plantage wohl kaum Gelegenheit zu viel geselligem Verkehr haben werden.«

»Eine Plantage!« wiederholte er verwundert. »Sie sehen eher aus, als seien Sie für die große Welt geschaffen.«

»Kommt Ihre Braut ebenfalls von England?« wagte ich zu fragen.

»Nein, sie wohnt in Kalkutta, wo ihr Vater Beamter beim Finanzministerium ist. Voriges Jahr lernten wir uns in Simla kennen. Leider bin ich niemals mit Ihrem Mr. Thorold zusammengetroffen, dagegen kenne ich seinen Vetter im Zivilstaatsdienst recht gut. Er ist ein vorzüglicher Polospieler und ein bildhübscher Mensch; dabei außerordentlich tüchtig in seinem Beruf.«

Da mußte ich also schon wieder eine Lobpreisung jenes andern Thorold mit anhören, den ich, wie ich deutlich fühlte, allmählich geradezu zu hassen begann.

»Einen andern Thorold lernte ich auch einmal hoch oben in Tirhut oberflächlich kennen,« fuhr Hauptmann Mallard fort, »der aber einen recht schlechten, heruntergekommenen Eindruck machte. Natürlich kein Verwandter?«

»Nein, hoffentlich nicht.«

»Sind Sie musikalisch? Lieben Sie die Musik?« wandte sich mein Nachbar nach kurzer Pause wieder an mich.

»Ja, Musik liebe ich über alles.«

»So geht es auch mir,« erwiderte er mit unerwarteter Wärme, worauf sich ein äußerst lebhaftes Gespräch zwischen uns über diesen Gegenstand entspann.

Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben. Kaum waren wir Damen dann im Salon angelangt, so kam Miß Flasham mit freundlichem Lächeln auf mich zu.

»Sie haben sicher schon erfahren, daß ich eine Ihrer Brautjungfern sein werde ... ich, die ich noch nie ein Wort mit Ihnen gesprochen habe! Das kommt Ihnen gewiß seltsam vor?«

»Nicht mehr als alles andre auch: denn mir erscheint vorläufig noch alles seltsam hier.«

»Sie wissen natürlich, wie die Hochzeitsfeier vor sich gehen soll?«

»Nein, es war noch keine Zeit, mir das Nähere mitzuteilen.«

»Wirklich? Mrs. Hassall versteht sich nämlich vorzüglich auf die Veranstaltung solcher Feste; niemals fehlt es ihr an neuen Ideen. Am Samstag um halb drei Uhr soll also die Trauung stattfinden ... Wie drollig, daß ich, eine Fremde, Sie mit den Einzelheiten Ihrer eigenen Hochzeit bekannt machen soll! Unmittelbar an die Trauung schließt sich nach der üblichen Gratulationscour das Gartenfest an. Um fünf Uhr werden Sie abreisen. Von Dola aber haben Sie doch gewiß gehört?«

»Nein, ist das etwas zu essen?«

»Du liebe Zeit, nein!« Sie lachte laut auf. »Dola ist der Name eines indischen Palastes, den sein Besitzer an junge Ehepaare während ihrer Flitterwochen vermietet. Fast sämtliche junge Paare unsres Bezirks verbringen dort ihre Flitterwochen ... Mr. Maxwell Thorold ist der erste Brautführer.«

»Warum denn gerade Mr. Thorold?« fragte ich ärgerlich.

»Weil er eine der bedeutendsten Persönlichkeiten unsrer Stadt und der Vetter Ihres Bräutigams ist.«

»Ja, ja, ich habe schon zur Genüge von ihm gehört,« versetzte ich abwehrend. »Tizzie hat mir vor Tisch von ihm erzählt.«

»In ihren Augen gibt es nämlich seinesgleichen nicht mehr auf der Welt. Und er ist auch in der Tat sehr nett, obgleich ich in meiner Begeisterung nicht so weit gehe wie Mrs. Hassall, die behauptet, er habe ein goldenes Herz und einen eisernen Willen.«

»Wie lächerlich! Und hat er am Ende auch einen silbernen Kopf und eine stählerne Hand, oder ist er nur ein ehernes Götzenbild mit tönernen Füßen?« spottete ich bitter.

»Noch nicht ein einziges silbernes Härchen hat er unter seinen rabenschwarzen Locken, und was seine Füße anbelangt, so sind die auf dem besten Wege, Karriere zu machen. Wem das Glück beschieden ist, Mrs. Thorold zu werden, die wird wohl eines Tages als Gattin eines Vizegouverneurs erwachen.«

»Ach, verzeihen Sie, wenn ich störe,« unterbrach uns Tizzies laute Stimme, »allein ich weiß, daß Sie Klavier spielen, Pamela. Deutlich hörte ich Sie bei Tisch mit Hauptmann Mallard über Grieg und Bendel debattieren. Kommen Sie, bitte, und spielen Sie etwas, was Ihnen gerade einfällt. Die Hauptsache ist, daß die Herren dadurch hereingelockt werden, denn ich kann es nicht ausstehen, wenn sie so lange zusammensitzen und rauchen. Die Zeit vergeht, wir müssen uns ohnehin bald auf den Weg machen.«

Widerstandslos folgte ich ihr zu dem prachtvollen Bechsteinflügel, streifte meine Armbänder ab und begann, wie verlangt, zu spielen – um die Herren herbeizulocken! Nervöse Ängstlichkeit beim Spielen war mir von jeher fremd. Sobald meine Finger die Tasten berührten, war jede Erregung verschwunden; auch hatte ich in München häufig bei Schülerkonzerten vor einem kritischen Publikum gespielt. Nach einem kurzen Vorspiel ging ich in das Vogelmotiv aus Siegfried über, dann folgte ein norwegisches Lied und endlich Bendels Sonntagmorgen. Ich fühlte mich meiner Umgebung entrückt und vertraute dem Klavier, wie einem lieben Freunde, meine Enttäuschung, meine Sorgen und Befürchtungen an. Endlich hielt ich inne und sah über die Schulter zurück. Die Herren waren richtig dem Rufe gefolgt, und auch die Damen hatten sich von ihren Sitzen erhoben. Eine lange, schmeichelhafte Stille folgte, und dann brach der Beifall los, ach, nur viel zu viel.

»Ich hatte keine Ahnung, daß Sie so vollendet spielen!« rief Tizzie. »Welcher Jammer, daß diese Kunst, die hier so nützlich wäre, auf einer Teepflanzung begraben werden soll!«

Hauptmann Mallard, Miß Flasham und die übrigen überschütteten mich nun ebenfalls mit bewundernden Bemerkungen und Dankesworten und suchten mich noch einmal zu überreden, sie auf den Ball zu begleiten.

»Ach ja, kommen Sie doch mit,« bat Miß Flasham. »Es ist ja zu traurig für Sie, allein hier zu bleiben.«

»Wer weiß, ob sie lange allein sein wird!« fiel Tizzie mit vielsagendem Lachen ein. »Hier sind übrigens schon die Wagen. Eilen wir uns, sonst kommen wir zu spät. Ich habe den ersten Tanz vergeben, und der Ball beginnt pünktlich um neun Uhr.«

Während die Gäste eilig das Haus verließen, kam Tizzie in ihrem langen Abendmantel noch einmal zu mir zurückgelaufen und sagte: »Nun also, gute Nacht, meine Liebe. Ich lasse das Haus unter Ihrem Schutze. Bleiben Sie nicht zu lange auf, wenn Sie müde sind, denn ich glaube nicht, daß er diesen Abend noch kommen wird.«

Eine kurze Pause folgte, dann fügte sie, mir den Arm tätschelnd, hinzu: »Sie sind wirklich ganz anders, als ich Sie mir vorgestellt habe!«

Damit huschte sie eilig davon.


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