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Vierzehntes Kapitel.

Rudolf Raven hatte sich neben seinem Baubüro einige hübsche, elegante Zimmer als Wohnung eingerichtet. Er saß an seinem Schreibtisch, als Werner bei ihm eintrat. Erfreut sprang er auf und begrüßte den Freund mit warmer Herzlichkeit.

»Gottlob, daß du endlich da bist, mein lieber Werner! Wahrlich, du bist von uns mit Sehnsucht erwartet worden. Nun sag mir, wie geht es deiner Frau, wir haben sie einige Tage nicht gesehen. Wie fandest du sie?«

Werner sah ihm mit einem seltsamen Blick in die Augen.

»Ich fand sie gar nicht, Rudolf. Sanna ist fort.«

Rudolf fuhr erschrocken auf.

»Fort! Was soll das heißen?«

»Sie ist abgereist nach Berlin, gestern abend wahrscheinlich, – für immer fort aus meinem Hause.«

»Unsinn – das ist ja Unsinn,« fuhr Rudolf auf.

Werner atmete gepreßt

»Leider nicht. Aber ehe wir weiter darüber sprechen, muß ich dir eine Frage vorlegen und beschwöre dich bei unserer alten Freundschaft, sie mir ehrlich zu beantworten.«

»Darum hast du mich noch nie besonders bitten müssen. Aber jetzt setze dich erst einmal nieder und trinke einen Schluck Wein, du siehst aus, als sei dir der Schrecken in die Glieder gefahren. Und ich wittere allerlei Unheil, dazu braucht man wahrlich nicht erst Käthes sechsten Sinn. So – nun trink!«

Er hatte Werner in einen Sessel gedrückt und ihm ein Glas Wein eingeschenkt. Während es Werner hastig leerte, setzte er sich ihm gegenüber.

»So, – nun kannst du fragen, mein lieber Kerl.«

Werner strich sich über die Stirn.

»Tante Phines Geschwätz hat dir und anderen also verraten, daß zwischen Sanna und mir nur eine Scheinehe bestand. Ich schicke das meiner Frage voraus, um dir zu beweisen, daß ich im Grunde kein Anrecht auf sie habe. Nun sage mir ehrlich: Hat zwischen dir und Sanna eine Neigung bestanden, die sie zur Flucht aus meinem Hause – vor mir – bewegen konnte?«

Rudolf richtete sich hoch auf.

»Wie kommst du zu dieser Frage? Hat dir die edle Fürstin Seraphine dies beigebracht?«

»Ja, sie machte mir eine Andeutung, daß zwischen euch eine Neigung nicht ausgeschlossen sei.«

Rudolf lachte grimmig.

»Dacht ich's doch – meine Ahnung hat mich also nicht getäuscht! Das war nicht sehr schlau, edler Seraph! Mein lieber Werner, ich wette, die liebe Dame wird bitter enttäuscht sein, daß ich dir deine Frage mit einem entschiedenen und ehrlichen Nein beantworten muß.«

Werner atmete auf. Ihm war plötzlich zumute, als sei noch nicht alle Hoffnung für ihn verloren.

»Ich danke dir. Aber was meinst du mit deinen Andeutungen in bezug auf Tante Phine?«

Wieder lachte Rudolf zornig auf.

»O, sie hat es nicht an liebevoller Beihilfe fehlen lassen. Sie hätte jedenfalls eine solche Neigung mit Freuden begrüßt.«

»Wie meinst du das?« fragte Werner wieder gespannt und erregt.

Rudolf erzählte ihm nun in gedrängter Kürze von Seraphines Vorgehen und von ihrer Spioniererei.

Werner ballte die Hände.

»Was hat sie nur damit bezweckt?« fragte er verstört.

Rudolf legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Mein lieber Werner, du bist den Tücken dieser Frau gegenüber das reine Wickelkind, nimm mir das nicht übel. Bedenke doch, wie sie sich bei dir im Hause festgesetzt und sich zur Herrscherin aufgeschwungen hat. Sie wollte sich von diesem erhabenen Platz nicht verdrängen lassen durch deine Frau. Erst suchte sie dieselbe zur Sklavin zu machen, und da ihr dies nicht gelang, glaubte sie wohl, eure Scheinehe durch ihr niedliches Mittelchen zu lösen. Sie wollte deine Frau einfach mir in die Arme treiben. Jeder andere wäre ihr natürlich auch recht gewesen, aber bei mir glaubte sie vielleicht leichteres Spiel zu haben. Ich durchschaute sehr bald ihre niederen Absichten und schwieg nur dazu, um deiner Frau die Unbefangenheit nicht zu rauben. Auf eine Lösung eurer Ehe hat Seraphine sicher gerechnet, das ist uns längst klar geworden. Aber nun sage mir erst – was ist geschehen, weshalb ist deine Frau aus deinem Hause fort? Ich denke, nach allem habe ich ein Recht auf dein Vertrauen?«

»Du sollst alles wissen,« antwortete Werner bedrückt, und dann erzählte er Rudolf, wie es gekommen war, daß Sanna seine Frau geworden war und daß er sie allein gelassen hatte. Er berichtete ihm, wie er Sanna erst nur als ein liebes, reizendes Kind betrachtet hatte und wie dann langsam die Liebe für sie in seinem Herzen erwacht und fester und fester mit seinem Sinn verwachsen war. Nichts verbarg er dem Freunde mehr, der teilnahmsvoll lauschte. Er erzählte ihm, wie Sannas Liebreiz sein Herz hatte genesen lassen von der unglücklichen Neigung zu Käthe, und wie er nun froh gewesen sei, daß Rudolfs Brief ihn früher aus der Selbstverbannung zurückgerufen hatte. Und wie er dann voll Sehnsucht heimgekehrt sei und nur noch Sannas Brief gefunden habe.

Er zog diesen Brief aus der Tasche und reichte ihn Rudolf.

»Nun lies selbst, was sie mir schreibt,« schloß er seinen Bericht.

Rudolf las, und ein ernster Ausdruck trat auf sein hübsches, sonst so lustiges Gesicht.

Dann stand er auf und legte seine Hände auf Werners Schultern.

»Lieber Kerl – ich glaube nicht alles, was in diesem Briefe steht. Frau Sannas Wahrheitsliebe in Ehren, aber manchmal werden die Frauen durch die Verhältnisse zur Lüge gezwungen. Ich wette noch immer, da steckt eine Teufelei von Seraphine dahinter. Weißt du was, wir gehen jetzt zu Käthe – die soll uns einmal auf die Sprünge helfen. Frauen wissen immer mehr voneinander als wir von ihnen. Und Käthe hat deine Frau herzlich lieb.«

»Ich wollte dich schon darum bitten, mich zu deiner Schwester zu begleiten. Vielleicht ist sie so gütig, Sanna in Berlin aufzusuchen. Ich sorge mich unsagbar um sie.«

»Gut – gehen wir zu ihr. Ich wollte zwar eben in eigener Sache einen wichtigen Gang antreten. Da ist seit gestern ein kleiner Doktor summa cum laude hier im Lande, ein süßer Trotzkopf mit braunen Zöpfen und blauen Augen. Den Edelfalken wollt ich mir zähmen. Aber er fliegt mir nicht gleich fort. Nein, frage nichts und rede nichts, später hörst du alles. Jetzt gilt es erst deine Sache, die ist dringender. Ich wollte dir nur durch meine Andeutung den untrüglichen Beweis geben, daß deine kleine Frau mir nur wie eine Schwester lieb ist. Und nun komm zu Käthe. Wenn die dir helfen kann, tut sie es herzlich gern, sie fühlt sich immer noch bedrückt dir gegenüber. Und mir ist, als würde sie alles in Ordnung bringen, ich will nur nicht vorgreifen. Da, trink noch einen Schluck, daß du wieder Farbe ins Gesicht bekommst.«

Er nötigte Werner noch ein Glas Wein auf, und dann gingen sie schnell davon.

* * *

Käthe Verhagen saß zu Hause und blätterte mit halber Aufmerksamkeit in neuen Büchern und Zeitschriften. Eben hatte Doktor Lotte Hansen sie verlassen, die gestern aus Zürich zurückgekehrt war.

Käthe hatte sich die größte Mühe geben müssen, diesen hübschen, braunzopfigen und blauäugigen Doctor summa cum laude nicht ein wenig in bezug auf seine Herzensbeschaffenheit auszuforschen.

Schließlich konnte sie es aber nicht unterlassen, ein ganz klein wenig ihre Fühler auszustrecken. Sie sagte mit der harmlosesten Miene:

»Wenn du noch ein Weilchen bleibst, wirst du auch gleich meinen Bruder begrüßen können, ich erwarte ihn jeden Augenblick.«

Mit innigem Vergnügen hatte sie bemerkt, wie Lotte rot geworden war. Im Gegensatz zu diesem Zeichen innerer Erregung hatte sie kühl erwidert:

»Ich muß sogleich wieder aufbrechen, Käthe. Deinen Bruder sehe ich ja früh genug ein andermal.«

Und schnell war sie entflohen.

Käthe hatte spitzbübisch hinter ihr hergelacht.

»Jetzt glaube ich fast selbst, daß die Ohrfeige ein Liebesbeweis war,« dachte sie vergnügt.

Sie hatte sich dann zerstreut zu ihren Zeitungen gesetzt, und ehe sie noch ihre Gedanken ganz von Lotte Hansen und Rudolf lösen konnte, wurde ihr dieser und Werner Rutland gemeldet.

Erfreut sprang sie auf und eilte den Herren entgegen. Herzlich faßte sie Werners beide Hände.

»Willkommen daheim, lieber Freund, und gottlob, daß du da bist! Warum hast du Sanna nicht mitgebracht?«

Werner küßte ihr die Hand – und sein Herz blieb ruhig. Käthe Verhagen war ihm wieder die Freundin geworden, seine Liebe gehörte jetzt Sanna.

Rudolf berichtete nun an Werners Stelle, was geschehen war.

Käthe hörte mit ernstem Gesicht zu, und ihre Stirn zog sich nachdenklich zusammen. Als Rudolf mit seinem Bericht zu Ende war, fuhr Werner fort:

»Nun bin ich zu dir gekommen, Käthe, um dich herzlich zu bitten, nach Berlin zu reisen und dich Sannas anzunehmen. Rudolf will dich, wenn es nötig ist, begleiten. Du kannst dir denken, daß ich keine ruhige Minute habe, bis ich weiß, daß Sanna nicht schutzlos dem Leben gegenübersteht. Mich selbst will sie ja leider nicht sehen. Für mich steht aber jeder andere Gedanke hinter der Sorge um ihr Wohl zurück.«

Käthe sah ihn forschend an.

»Darf ich Sannas Brief einmal lesen?« fragte sie statt aller Antwort.

Werner reichte ihr denselben, und sie las ihn langsam durch. Dann beugte sie sich vor und blickte lächelnd in sein blasses, zuckendes Gesicht.

»Werner, darf ich eine peinliche Frage tun, ohne von dir als aufdringlich oder neugierig zurückgewiesen zu werden?«

Er nickte bejahend. »Bitte, frage!«

»Also sage mir ehrlich: Liebst du deine Frau, ich meine so, wie ein Mann seine Frau lieben soll?«

Werners Stirn rötete sich, aber er wandte den Blick nicht von den ehrlichen, warmen Frauenaugen.

Mit einem tiefen Aufatmen sagte er fest:

»Ja, ich liebe Sanna. Alles, was früher in mir war, ist untergegangen in diesem Gefühl. Aber was hilft mir das? Sanna liebt mich nicht und ist vor mir geflohen. Ich habe kein Glück bei den Frauen. Mag Tante Phine auch wirklich dazu beigetragen haben, daß sie mein Haus verließ, daß sie es getan, beweist, daß sie mich nicht liebt, und eine Ehe mit mir fürchtet.«

Käthe erhob sich und trat mit feuchtschimmernden Augen auf ihn zu.

»Lieber Werner, ich bedaure, daß ich nicht nach Berlin reisen kann – oder will, du selbst mußt Sanna aufsuchen.«

Werner hatte sich gleichfalls erhoben.

»Du vergißt, daß sie mich nicht sehen will.«

Käthe schüttelte den Kopf.

»Nein, das vergesse ich keinesfalls, im Gegenteil, ich prägte es mir recht fest ein. Aber ich las noch viel mehr aus diesem Brief heraus, und ich rate dir dringend: Reise sofort nach Berlin, suche Sanna auf, sage ihr, daß du sie liebst und ohne sie niemals glücklich werden kannst – alles andere findet sich von selbst.«

Werner fuhr sich über die Stirn.

»Kann ich denn das? Sie ist ja vor mir geflohen.«

Da lachte Käthe herzlich, und in ihren Augen schimmerte die Freude.

»O über euch kurzsichtige Männer! Daß ihr doch nie lernt, uns Frauen richtig zu beurteilen! Sanna ist nicht vor dir geflohen – sondern vor sich selbst – weil sie dich liebt und sich von dir nicht wiedergeliebt glaubt.«

Werner zuckte zusammen. »Wie willst du das begründen?« fragte er in atemloser Hast.

»Begründen? Muß man euch immer mit Gründen kommen? Ich weiß, daß Sanna dich liebt, weiß es von ihr selbst.«

»Von Sanna selbst?« fragten die beiden Herren zugleich.

Käthe nickte strahlend.

»Jawohl, eines Tages hat sie sich verraten mir gegenüber. Es ist nun zwar sehr unrecht, ihr Geheimnis preiszugeben. Aber euch Männern muß man ja mit Beweisen kommen. Für mich wäre dieses Bekenntnis gar nicht nötig gewesen, ich hätte auch ohnedies gewußt, daß Sanna dich liebt. Denn vor einem Mann, der uns gleichgültig ist, laufen wir Frauen nicht davon. Sanna hätte dann ruhig deine Heimkehr abgewartet und hätte dir gesagt: Laß uns auseinandergehen, wir lieben uns nicht. Daß sie so sinnlos flieht, dich nicht sehen will und sich schämt, deine Frau geworden zu sein, beweist, daß sie dich liebt und sich ungeliebt glaubt. Eile zu ihr und überzeuge sie von deiner Liebe, dann wird sie überraschend schnell bereit sein, dir wieder ins Haus zu folgen und dir das Glück zu bringen.«

Werner küßte Käthe mit Inbrunst beide Hände. In seinen Augen lag ein frohes Hoffen.

»Wenn du recht hättest, Käthe!« sagte er heiser vor Erregung.

»Verlaß dich nur auf Käthes Worte, Werner. Etwas Ähnliches hätte ich dir auch geraten. Aber Käthe kann das besser. Sie führt überzeugende Gründe ins Treffen und hat die einfachste Lösung gefunden. Also komm, mein Lieber, du gehst zum Bahnhof, und ich habe glücklicherweise noch Zeit, meinen Edelfalken zu zähmen,« sagte Rudolf Raven froh gelaunt.

»Du, Rudolf – er war eben erst bei mir – dein Edelfalk!« rief Käthe lachend.

»Wie lange ist er fort?«

»Zehn Minuten, bevor ihr kamt. Und weißt du, jetzt glaube ich auch an den Liebesbeweis.«

Rudolf nickte lachend, aber in seinen Augen brannte die Ungeduld.

»Und ich erst recht. Auf Wiedersehen, Käthe! Komm, Werner, wir gehen noch ein Stück zusammen.«

Die Herren verabschiedeten sich von Käthe.

»Nun geht eurem Glück entgegen, ihr beiden – und vergeßt nicht, daß ich voll Ungeduld auf die Nachricht warte, daß ihr es gefunden habt,« sagte sie herzlich.

* * *

Lotte Hansen war von Käthe Verhagen sofort nach Hause zurückgekehrt, obwohl sie erst noch einige Besuche hatte machen wollen.

Ihre Eltern waren nicht daheim. Die junge Dame legte zerstreut Hut und Handschuhe ab und strich sich das Haar glatt. Nachdem sie noch eine Weile unschlüssig in ihrem Zimmer an diesem und jenem Gegenstand geordnet hatte, griff sie nach einem dicken Buch und setzte sich damit in das Wohnzimmer ihrer Eltern. Das Buch war ein medizinisches Werk, und Doktor Lotte Hansen suchte sich hinein zu vertiefen. Aber sie konnte heute ihre Gedanken gar nicht darauf richten. Es war sonderbar. Seit sie ihre Prüfung hinter sich hatte, war eine gewisse geistige Müdigkeit über sie gekommen.

»Ich bin des trockenen Tones satt, scheint mir,« sagte sie plötzlich leise vor sich hin und stützte den Kopf in die Hand.

So saß sie noch, als das Mädchen ihr meldete, daß der Herr Baumeister Raven seine Aufwartung machen wolle.

Helles Rot flog über Lottes Gesicht.

»Haben Sie dem Herrn Baumeister nicht gesagt, daß meine Eltern nicht zu Hause sind?« fragte sie abweisend.

»Doch, aber der Herr Baumeister wünschte ausdrücklich Fräulein Doktor Hansen zu sprechen.«

»So führen Sie ihn in das Gesellschaftszimmer,« bestimmte Lotte kühl.

Als das Mädchen gegangen war, richtete sich Lotte hastig auf und trat vor einen Spiegel. Aber kaum hatte sie einen Blick hineingeworfen, wandte sie sich, ärgerlich über sich selbst, ab und ging mit großen festen Schritten hinüber. Dabei warf sie aber doch noch einen Blick auf ihre schönen, tadellos gepflegten Hände und strich glättend über das knappe, gutsitzende Tuchkleid, das sich den schönen Linien ihrer jugendkräftigen Gestalt gefällig anschmiegte. So trat sie, das junge Haupt mit den reichen braunen Flechten stolz erhoben, vor Rudolf Raven hin.

Er ging ihr schnell einige Schritte entgegen und umfaßte mit einem strahlenden Blick die anmutige Erscheinung.

»Fräulein Doktor – ich gestatte mir, Ihnen meinen Glückwunsch persönlich zu überbringen.«

Lotte sah ihn sehr kühl an und lud ihn zum Sitzen ein.

»Bemühen Sie sich nicht, Herr Baumeister, ich weiß zur Genüge, wie Sie über Frauenstudium denken. Sie nehmen es ja doch nicht ernst.«

»Bitte sehr, ernster als ich kann es kein Mensch nehmen.«

»Dann haben sich Ihre Ansichten sehr geändert.«

»Vielleicht, Fräulein Doktor. Und wenn man seine Ansichten ändert, muß man auch den Mut haben, dies einzugestehen.«

Lotte lächelte spöttisch.

»Da wäre ich begierig.«

»Ich trete den Beweis sofort an, mein sehr verehrtes Fräulein Doktor. Wie Sie mich hier sehen, bin ich gekommen, um mich als erster Kranker in Ihre Behandlung zu geben. Ich hoffe, es ist mir noch niemand zuvorgekommen.«

»Mir scheint, Sie belieben zu scherzen, und das vertrage ich in meinem Beruf nicht. Sie sehen nicht aus, als ob Sie ärztlicher Hilfe bedürften.«

Rudolf seufzte kläglich mit einem wehleidigen Gesicht.

»Das täuscht, Fräulein Doktor. Leider bin ich von einem quälenden Leiden befallen – schon lange.«

»Dann hätten Sie längst einen anderen Arzt fragen sollen.«

Er seufzte wieder und sah sie mit bittenden Blicken an, denen sie auszuweichen suchte.

»Mir kann schwerlich ein anderer Arzt helfen. Ich habe nun einmal nur Vertrauen zu Ihnen und habe deshalb gewartet, bis Sie zurückgekommen sind – sehr sehnsüchtig gewartet. Und nun bin ich hier und bitte Sie inständig, befreien Sie mich von meinem Leiden.«

Ihr Gesicht rötete sich unwillig.

Sie erhob sich, aber zu gleicher Zeit sprang Rudolf auf.

»Um Gottes willen, Fräulein Doktor, wollen Sie mich grausam meinem Schicksal überlassen? Ist das Ihre Menschenfreundlichkeit, für die Sie früher jedes Opfer bringen wollten?«

»Es wird meiner Menschenfreundlichkeit keinen Abbruch tun, wenn ich einen unfeinen Scherz zurückweise,« sagte sie scharf.

Rudolf trat dicht zu ihr heran und blickte ihr mit einem zwingenden, flehenden Blick in die Augen.

»Fühlen Sie doch wenigstens einmal meinen Puls – ich glaube, ich habe 120 Schläge in der Minute. Das ist doch ein beängstigendes Zeichen, nicht wahr? So schlecht geht es mir nun schon, seit ich eines Abends – ein Jahr ist es wohl her – eine Ohrfeige bekam – nein – bleiben Sie doch, ich flehe Sie an. Die Ohrfeige bekam ich verdientermaßen – und von einer lieben, sehr lieben Hand. Aber furchtbar schlecht ist sie mir bekommen. Seit jener Zeit ist meine Herztätigkeit ganz aus der Ordnung. Und wozu sind Sie nun Doktor summa cum laude geworden, wenn Sie mir nicht für mein Leiden eine Linderung geben können. Fräulein Doktor – Doktor Lotte – fühlen Sie doch nur ein einziges Mal meinen Herzschlag – ich glaube, dann bin ich schon halb gesund.«

Er faßte schnell nach ihrer Hand und preßte sie fest auf sein Herz.

Lotte wurde blutrot und wollte sich freimachen.

»Lassen Sie das!« rief sie heftig, aber in ihrem Gesicht zuckte es unruhig.

»Nein, ich lasse diese liebe, kleine Hand nicht los – nie mehr. Jetzt hört es auf mit der Quälerei, das halte ich nicht mehr aus. Mädel, liebes, trotziges, süßer, kleiner Doktor, ich habe dich ja so lieb, so unsinnig lieb. Und dir springt ja auch trotz aller Abwehr die Liebe aus den Augen. Ergib dich doch, du Unband. Soll ich wie ein verliebter Primaner zu deinen Füßen liegen und um Verzeihung winseln! Das willst du doch nicht. So ein Waschlappen könnte doch meinem Edelfalken nicht gefallen. Mädel, ich bin dir ja so von Herzen gut. Eigentlich habe ich die Ohrfeige ganz unschuldig gekriegt – ja wohl. Hast mich erst mit deinen Augen um den Verstand gebracht. Kein Mensch kann es mir verdenken, daß ich dich küßte, so lieb warst du anzuschauen. Und ich muß es auch jetzt wieder tun, deine roten Lippen sind mildernde Umstände. Diesmal halte ich dir aber die raschen Hände.«

Damit zog er sie so fest an sich, daß sie sich nicht rühren konnte, und küßte sie nun wieder und wieder.

Erst fühlte er noch ihren Widerstand, aber dann ergab sie sich in ihr Schicksal und ließ den Sturm seiner Zärtlichkeit willenlos über sich dahinbrausen. Als er endlich fühlte, daß ihre widerstrebenden Lippen seine Küsse wiedergaben, löste er die Arme.

»So,« sagte er tiefaufatmend, »nun ist mir schon viel wohler. Du bist ein prächtiger Arzt, meine Lotte. Dieselbe Arznei, täglich, nein, stündlich angewandt, wird mich von jeder Krankheit heilen.«

Lotte trat von ihm fort, und sich die gelockerten Flechten feststeckend, sagte sie zwischen Lachen und Weinen schwankend:

»So ein kecker Mensch wie du ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.«

Nun umschlang er sie von neuem.

»Nimm das sofort zurück!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Dann muß ich dich bestrafen.«

»Wag's nur!«

»Mit Vergnügen!«

Und er küßte sie wieder und wieder und fragte nach jedem Kuß:

»Willst du abbitten?«

Sie schüttelte jedesmal den Kopf.

Da sah er sie listig an.

»Gelt – du kannst auch nicht genug bekommen – von meinen Küssen?«

Da nahm sie seinen Kopf zwischen ihre Hände und sah ihn an. Und die Blicke senkten sich tief ineinander.

»Du – du Räuberhauptmann,« sagte sie leise, mit halberstickter Stimme.

Er hob sie jubelnd empor.

»Mein bist du – mein bleibst du – ein Räuberhauptmann gibt seine Beute nicht mehr los.«

Sie lachten sich an.

»Und was soll nun mit meiner Doktorwürde werden – du Unmensch?« fragte sie seufzend.

»O – ich bestelle dich sofort zu meinem Hausarzt. Du wirst so viel an mir zu heilen haben, daß du gar keine anderen Kranken brauchst.«

Lotte schüttelte den Kopf und blickte ihn ernst an.

»Nein du – da streike ich – ich will doch verwerten, was ich gelernt habe.«

Er streichelte ihre Hände.

»Ich habe ja nichts dagegen, Doktor Lotte, für die Zeit, da ich dich nicht für mich nötig habe, darfst du dich auch anderen Menschen widmen. Aber versprich mir feierlich – erst komme ich – und dann erst deine Kranken.«

»Bedingungen habe nur ich zu stellen, du Tyrann.«

»Bewahre – du verkennst die Sachlage. Also versprich – erst ich – dann die anderen noch lange nicht.«

Sie lachte.

»Ich verspreche gar nichts.«

Da nahm er sie wieder in die Arme und sah sie mit heißen Augen an.

»Lotte!«

Sie sah zu ihm auf.

»Dummer Rudolf – dummer Rudolf – ich lasse mich doch so gern von dir beherrschen.«

»Bravo, süßer, kleiner Doktor!«

Sie deutete lächelnd mit dem Finger auf seine Wange.

»War es die?« fragte sie zärtlich.

Er hielt mit einem tiefen Seufzer die geschlagene Wange hin.

»Du findest deine Spuren wohl heute noch darauf?« neckte er.

Sie küßte ihm die Wange und legte dann leise die ihre daran. »So – nun ist es gutgemacht.«

»Nein – dazu gehört jahrelange, sehr zärtliche Behandlung.«

Sie zog ihn am Ohr. »Frechdachs!«

In dieser Weise neckte sich das Brautpaar, bis Lottes Eltern nach Hause kamen. –

Eine halbe Stunde später rief Rudolf seine Schwester durch den Fernsprecher an. Lotte stand neben ihm. Als sich Käthe meldete, sagte er: »Du, Käthe, siehst du mir nichts an?«

Käthe lachte.

»O ja – du siehst riesig verlobt aus. Ich wünsche dir Glück!«

»Woher weißt du denn, daß es etwas zu beglückwünschen gibt?«

»Mein sechster Sinn, du weißt ja. Jetzt ruf mir einmal schnell die Lotte an den Fernsprecher!«

»Ist schon da!« antwortete nun Lotte.

»Du Duckmäuserin,« schalt Käthe. »Na warte nur, in einer Viertelstunde bin ich mit Fritz bei euch. Ich muß dir den Kopf waschen, und euch beide ganz nebenbei vor Freude ein bißchen totdrücken.«

»Das verbitten wir uns – das Leben ist zu schön,« rief Rudolf nun wieder.

»Schere dich fort, ich will noch mit Lotte sprechen!«

»Nun also – ich bin wieder da,« sagte Lotte lachend.

»Schön. Sei doch so gut und gib Rudolf in meinem Namen einen Nasenstüber.«

»Ach du, – der läßt sich nichts mehr von mir gefallen.«

»Na, dann kann's auch meinetwegen ein Kuß sein.«

»Wird besorgt – prompt!«

»So – nun Schluß! In einer Viertelstunde sind wir dort. Stellt den Sekt gleich kalt!«

»Auf Wiedersehen!«

Lotte hing den Hörer hin und führte Käthes Auftrag aus.

Später gab es eine frohe Verlobungsfeier.

* * *

Werner Rutland war spät am Abend in Berlin angekommen und fuhr sofort in das Gasthaus, wo er mit Sanna gewohnt hatte.

Der Pförtner mit dem guten Personengedächtnis erinnerte sich sofort seiner, als er fragte, ob Frau Rutland ihr altes Zimmer wieder bewohnte.

»Gewiß, Herr Doktor, die gnädige Frau Gemahlin bewohnt wieder Nummer vier. Aber das Zimmer, das der Herr Doktor früher bewohnt hat, ist leider besetzt.«

Werner wußte nun wenigstens, daß Sanna wirklich hier war.

»So geben Sie mir vorläufig ein anderes Zimmer.«

Er bestimmte dann noch, daß er am anderen Morgen um acht Uhr geweckt zu werden wünsche, und daß man seiner Frau seine Ankunft nicht melden solle, weil er sie überraschen wolle. Dann ging er hinter dem führenden Kellner hinauf in sein Zimmer und begab sich zu Bett.

Vor Erschöpfung schlief er bald ein, trotz der Erregung, die ihn beherrschte; hatte er doch schon einige Nächte auf der Heimreise ziemlich schlaflos verbracht.

Erst als man ihn am nächsten Morgen weckte, wachte er auf. Schnell machte er sich fertig und überlegte nun, wie er sich Sanna nähern sollte.

Unschlüssig ging er den langen Flur einige Male auf und ab. Dabei ging er wieder und wieder an Sannas Zimmer vorbei.

Dann mußte diese wohl geklingelt haben, denn das Zimmermädchen trat bei ihr ein. Sie kam gleich darauf wieder heraus mit dem leeren Frühstücksgeschirr. Durch die halbgeöffnete Tür erblickte Werner Sanna einen Augenblick. Sie saß fertig zum Ausgehen angekleidet am Fenster.

Werner wartete noch einen Augenblick, bis das Mädchen verschwunden war. Dann trat er entschlossen an die Tür und klopfte.

Sanna forderte zum Eintreten auf, wohl in der Meinung, daß das Zimmermädchen noch einmal zurückgekehrt sei.

Werner trat schnell ein und schloß die Tür hinter sich. Sanna fuhr entsetzt von ihrem Stuhl empor und stieß einen leisen Schrei aus. Mit zitternden Händen umfaßte sie die Lehne ihres Stuhles, um sich zu stützen. Ihr Antlitz wurde erst glühend rot und dann sehr bleich. Werner trat auf sie zu, und sie sahen sich stumm in die Augen. Ihm war zumute, als sähe er Sanna zum erstenmal. Wie herrlich hatte sie sich in diesen zwei Jahren der Trennung entfaltet.

»Sanna – warum bist du vor mir geflohen?« fragte er bebenden Tones.

Sie schauerte zusammen wie im Frost und biß die Zähne fest aufeinander. Und dann streckte sie wie bittend die Hände aus und zeigte stumm nach der Tür.

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, Sanna – du darfst mich nicht fortschicken, bevor du mich gehört hast. Du hast mir zwar geschrieben, ich soll dir nicht folgen, du willst mich nicht sehen – aber ich konnte dir diesen Wunsch nicht erfüllen. Denn ich muß dir sagen, daß du mich durch dieses Verbot sehr unglücklich gemacht hast. Sanna, seit zwei Jahren habe ich mich selbst aus deiner Nähe verbannt, um deine Ruhe, deinen Frieden nicht zu stören. Es ist mir sehr schwer geworden, denn schon als ich von dir ging, liebte ich dich zärtlich. Ich wäre so gern bei dir geblieben, um mir deine Liebe zu erringen. Aber ich wollte dich nicht zu früh in Unruhe bringen. Ich ging mit dem heimlichen Wunsch im Herzen, daß du mich zurückrufen würdest mit der Bitte: »Bleibe bei mir!« Du sprachst sie nicht aus, und ich ging, dem Versprechen getreu, das ich deinem Vater gegeben hatte. Wie schwer ist es mir geworden, Sanna! Denn ich liebe dich – seit du mein Weib geworden bist. Diese Liebe ist während der Trennung gewachsen und erstarkt. Sehnsuchtsvoll weilten meine Gedanken bei dir. Im Geiste sah ich dich durch das Haus schreiten, und die Tage der Trennung wurden mir zu Ewigkeiten. Jedes deiner Worte in deinen Briefen habe ich geprüft, ob sich ein Fünkchen Liebe dahinter bergen könnte. Deine Locke, die du mir als Talisman mitgabst, habe ich auf meinem Herzen getragen und habe sie geküßt vieltausendmal. Der Gedanke: Du hast ein schönes, junges Weib daheim, aber du darfst es nicht in deine Arme nehmen und fragen: liebst du mich? quälte mich in mancher schlaflosen, sehnsuchtsvollen Nacht. Und dann endlich hielt ich's nicht mehr aus und eilte heim. Fiebernd vor Sehnsucht betrat ich mein Haus und suchte mein junges Weib. – Es war geflohen vor mir und meiner Liebe. Fassungslos stand ich erst und starrte auf deine Abschiedsworte. So kühl sagtest du dich los von mir. Aber ich bin dir dennoch gefolgt. Du sollst es mir wenigstens ins Gesicht sagen, daß ich keine Hoffnung habe, dich mir zu erringen.«

Die junge Frau hatte in einem unbeschreiblichen Aufruhr der Gefühle seinen Worten gelauscht. Mit großen bangen Augen sah sie nun zu ihm auf in sein bleiches, zuckendes Gesicht, in seine flehenden Augen. Sie konnte nicht fassen, was er da alles zu ihr sprach. Die Allgewalt der Liebe wurde ihr erst jetzt ganz verständlich, als die seine auf sie einstürmte. Aber sie brach hilflos unter diesem Sturm zusammen und sank zitternd in ihren Sessel zurück, das Gesicht fassungslos in den Händen bergend.

Da stand er aber schon neben ihr und umfaßte sie mit beiden Armen.

»Meine Sanna – mein geliebtes Weib – willst du wirklich von mir gehen?« fragte er leise mit heißer Innigkeit.

Da drängte sie sich stumm und zitternd in seine Arme und barg den Kopf an seiner Brust.

Er riß sie jubelnd zu sich empor. »Wildvöglein – hast du mich lieb?« Sie blickte ihn an mit einem bangen, glückseligen Staunen.

»Ach, Werner – liebst du denn nicht Käthe Verhagen?«

Fest preßte er sie an sich, und in seinen Augen flammte es auf.

»Das also war es. Ach – nun verstehe ich alles. Das hat dir Tante Phine erzählt?«

Sie nickte, ihn immer noch bang und forschend ansehend.

»Ist es denn nicht wahr?« fragte sie in atemloser Erwartung.

Er preßte seine Lippen fest auf die ihren in jäher Glut.

»Fühlst du, daß ich dich liebe, nur dich?« flüsterte er.

Sie schmiegte sich erschauernd an ihn.

»Und bin ich dir wirklich keine drückende Fessel?«

Er barg ihr Köpfchen wie schützend an seiner Brust.

»Hat dir das Tante Phine auch gesagt?«

»Ja.«

»Sie soll es mir büßen!« stieß er hervor. Aber gleich wurde er wieder weich und zärtlich.

»Und das hast du geglaubt, Sanna?«

»Mußte ich's denn nicht, Werner? Ich wußte doch, daß du mich nur auf Vaters Wunsch zu deiner Frau machtest. Und Käthe Verhagen ist so gut und schön – man muß sie lieben.«

Er setzte sich und zog sie auf sein Knie. Ernst und voll heißer Zärtlichkeit sah er in ihre dunklen, wunderbaren Augen.

»Ich habe Käthe auch einmal sehr lieb gehabt – als du noch nicht mein Weib warst, und als sie Fritz Verhagens Frau wurde, war ich sehr niedergeschlagen und dachte, es gäbe kein anderes Glück für mich. Aber dann wurdest du mein – und die Liebe zu dir ließ mich Käthe ganz vergessen. Und jetzt kann mich nur eins glücklich machen – deine Liebe. Hast du mich lieb, kleine Sanna?«

»So unsagbar – ich wäre ja gestorben vor Herzeleid – wenn du mich nicht wiedergeliebt hättest. Schrecklich waren die Tage der Qual, seit mir Tante Phine gesagt, daß du froh wärest, wenn ich aus deinem Leben ginge.«

Er küßte und streichelte sie zärtlich.

So saßen sie und wurden nicht müde, von ihrer Liebe zu sprechen und von dem, was sie gelitten hatten.

Werner konnte sich nicht genug tun, sie noch nachträglich zu trösten.

»Du läßt mich nun nie, niemals mehr allein!« bat sie leise.

Er küßte sie heiß und innig.

»Nie mehr! Sollte ich noch einmal reisen müssen, gehst du mit mir.«

»Bis ans Ende der Welt, wenn es sein muß.«

»Aber jetzt wird es mich lange genug im Hause festhalten. – Mit Tante Phine rechne ich gründlich ab, wenn ich heimkomme. Aus dem Hause kann ich sie leider nicht weisen. Aber in den zweiten Stock wird sie verbannt, in ihre Zimmer, und du selbst wirst nun in meinem Hause die unbeschränkte Herrin sein. Vorläufig aber, meine süße Sanna, bleiben wir einige Wochen hier in Berlin. Ich muß dich erst eine Weile ganz für mich allein haben und wäre sogar auf Käthe eifersüchtig. Aber jetzt wollen wir der Guten wenigstens eine Drahtnachricht schicken, damit sie weiß, daß ich mein Glück gefunden habe. Ich halte es fest in meinen Armen, und lasse es nimmer von mir.«

So geschah es denn auch. Werner setzte folgende Drahtnachricht an Käthe auf:

»Als glückliches Ehepaar empfehlen sich Werner und Sanna ihrer Glücksgründerin. Brief folgt.«

Als Antwort hierauf traf Rudolf Ravens Verlobungsanzeige mit Doktor Lotte Hansen ein. Und dazu ein lieber, lieber Brief von Käthe an Sanna.

* * *

Vier Wochen später kehrte das junge Paar nach Danzig zurück.

Seraphine Münzer hatte recht unbehagliche Tage hinter sich, denn sie hatte weder von Werner noch von Sanna eine Nachricht bekommen.

Um so erstaunter und fassungsloser war sie, als Ende Mai das junge Paar ohne jede Anmeldung im Hause Rutland eintraf.

Seraphine verlor diesmal doch ihre überlegene Ruhe. Die hoheitsvolle Miene hielt nicht stand vor Werner Rutlands zürnenden Augen.

Auch ihre fein ausgeklügelte Verteidigungsrede verfing nicht. Fürstin Seraphine wurde entthront und in den zweiten Stock verbannt.

Dort mußte sie in Zukunft, auf ihr Jahrgeld angewiesen, ein bescheidenes Leben führen, das sehr verschieden war von dem, welches sie unten auf Werner Rutlands Kosten geführt hatte. Ihren Kränzchenschwestern gegenüber suchte sie die Behauptung aufrecht zu halten, daß sie sich freiwillig auf ihr ›Altenteil‹ zurückgezogen habe. Aber man glaubte ihr das nicht, und da man nicht mehr auf die üppigen Einladungen rechnen konnte, vernachlässigte man die alte Dame sehr.

Sanna hatte sich mit anmutiger Würde in ihr unbeschränktes Hausfrauenamt gefunden.

Werner Rutland betete sein schönes, junges Weib an. Käthe Verhagen blieb Sannas beste Freundin. Sie und ihr Mann, dazu Rudolf mit seiner Lotte, das waren die liebsten Gäste im Hause. Wenn außer ihnen niemand weiter zu Gaste war, und dies geschah sehr häufig, dann wurde Tante Phine nicht herunter gebeten. Käthe und Rudolf zürnten der alten Dame viel länger als Sanna und Werner.

Sanna wurde ihrem Gatten eine eifrige Mitarbeiterin an seinem Werke. Nach einigen Jahren begleitete sie ihn auf kurze Zeit nach Südwest. Sie suchten die Stätten auf, die sie vor Jahren zusammen betreten hatten, und schmückten die Gräber von Sannas Eltern. Der Farmer hatte sein Wort gehalten, die Gräber glichen herrlichen Blumenbeeten.

Auch Schwester Agathe sahen sie wieder. Sie war in ihr Amt zurückgekehrt und freute sich an dem Glück des jungen Paares.

Mit Dankbarkeit im Herzen kehrte Sanna mit ihrem Gatten nach wenigen Monaten der Abwesenheit in ihre deutsche Heimat zurück.

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