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Zwölftes Kapitel.

Wieder hatte Rudolf Sanna nach Hause begleitet und war, von Tante Phine aufgefordert, noch eine Weile geblieben. Und wieder hatte sich die alte Dame unter einem nichtigen Vorwand entfernt.

Rudolf sah ihr eine Weile nach, ohne sein Gespräch mit Sanna zu unterbrechen. Aber plötzlich erhob er sich, sprang auf die Türe zu und öffnete sie mit einem jähen Ruck.

Da ertönte ein heiser Schrei. – Tante Phines Kopf war in sehr unsanfte Berührung mit der Türklinke geraten, denn sie hatte, wie Rudolf richtig vermutete, am Schlüsselloch gelauscht. Dafür trug sie nun eine lange Zeit eine sichtbare Beule an der Stirn.

Rudolf wußte nun plötzlich ganz genau, woran er war. Er entschuldigte sich höflich, aber mit leisem Hohn, um Sanna nicht zu beunruhigen. Tante Phine murmelte etwas von ›eben zurückkehren wollen‹ und preßte sichtlich verlegen das Taschentuch gegen die Stirn.

Sanna bedauerte Tante Phine, als sie eintrat, und sprach ihre Verwunderung aus, daß die Klinke die alte Dame an der Stirn hatte treffen können. Diese hatte sich inzwischen auf eine Ausrede besonnen und erklärte, sie habe sich gerade gebückt, um ihr Schuhband zu befestigen. Sanna glaubte dies ohne weiteres.

Rudolf konnte es sich nicht versagen, am anderen Tage mit seiner Schwester über die Angelegenheit zu reden.

Käthe lachte erst herzlich auf, als sie von dem Zusammenstoß Tante Phines mit der Türklinke hörte, aber dann wurde sie ernst und blickte ihren Bruder nachdenklich an.

»Was denkst du nun davon, Rudolf?« fragte sie etwas unruhig.

»Ich wollte erst deine Meinung hören, Käthe. Dabei rechne ich auf deinen berühmten sechsten Sinn.«

Käthe nickte.

»Ich glaube, der führt mich auch diesmal auf die rechte Spur, wenn es mir auch schwer wird, an so viel Niedertracht zu glauben. Daß Seraphine um die eigenartige Ehe des jungen Paares weiß, haben wir gehört. Darauf baut sie wohl. Ich glaube ihr kein Unrecht zu tun, wenn ich annehme, daß sie auf eine Lösung dieser Ehe hofft. Und ist es da so schwer zu erraten, daß sie nun gern ein wenig nachhelfen möchte? Sage mir einmal, mein lieber Bruder, ob du Sanna gegenüber ein ganz reines Gewissen hast.«

Rudolfs Stirn rötete sich.

»Aber, Käthe, ich bin doch kein Schuft!«

Sie legte in herzlicher Liebe ihre Arme um seine Schultern.

»Nein, mein Rudolf, das weiß ich. Aber du bist ein Mensch mit empfänglichen Sinnen für Frauenschönheit. Und Sanna ist ein wunderholder Paradiesvogel geworden. Ich kann mir so gut denken, daß sie einem Manne, dessen Herz noch frei ist, gefährlich werden kann. Deshalb frage ich dich, ob du Sanna gegenüber dich sicher fühlst, niemals, auch nur auf Minuten ihrem Zauber zu erliegen?«

Rudolf zog die Schwester herzlich an sich.

»Du bist ein prachtvoller Kerl, Käthe, und hast Verständnis für menschliche Schwächen. Aber sei ganz ruhig, deine kleine Sanna ist mir in doppelter Beziehung heilig, einmal als Frau meines besten Freundes, und dann als die Freundin meiner Schwester. Aber vielleicht könnte ich dir trotz allem nicht so antworten, wenn mein Herz noch frei wäre.«

Käthe sah ihn froh erstaunt an.

»Rudolf – du?«

Er lachte ein wenig.

»Ja, du kluge Käthe – das hat dir dein sechster Sinn nun doch nicht verraten.«

»Ist es denn wahr, keine Flausen?«

»Schrecklich wahr. Ich bin verliebt bis über beide Ohren – nein, ernster, Käthe, bis ins tiefste Herz.«

»Aber in wen, Rudolf, in wen denn?« stieß Käthe eifrig hervor.

»Es ist – Lotte Hansen.«

»Die Lotte? Meine Freundin Lotte, die in Zürich Arzneikunde studiert?«

»Ja – dieselbe.«

»Aber, Rudolf, das ist ja nicht möglich.«

»Warum denn nicht?«

»Was soll denn daraus werden?«

»Hoffentlich eine glückliche Ehe.«

»Aber sie will ja gar nicht heiraten, die Lotte. Sie will doch Ärztin werden, es ist ihr Vorsatz, der kranken Menschheit zu nützen.«

»Das hat sie mir auch gesagt, aber ich weiß es besser. Sie will eine glückliche Frau werden. Sie redet sich das nur ein mit der Befriedigung im ärztlichen Beruf. Übrigens kann sie den ja auch ausüben im Nebenamt – wenn unsere Kinder die Masern haben und ich den Schnupfen. Weißt du – sie will mir nur Hochachtung vor dem Studium der Frau beibringen. Du weißt ja, ich habe sie immer ein bißchen damit geneckt. Und sie ist ein süßer kleiner Trotzkopf. Aber gerade das gefällt mir an ihr, daß sie ihren Willen durchsetzt. Nun sitzt sie in Zürich und studiert drauf los, und ich muß hier geduldig warten, bis sie entweder ihren Doktor gemacht hat oder flügellahm heimkehrt. Aber ich glaube, sie macht ihn, den Doktor – am Ende gar › summa cum laude‹, und ich kann dann sehen, wie ich mich gegen diesen Doktor behaupte. Meine Frau wird sie aber auf jeden Fall.«

Käthe lachte, aber sie hatte Tränen in den Augen.

»Also die Lotte! Mein Gott, daran hätte ich nie gedacht. Ihr konntet euch doch eigentlich nie ausstehen.«

»Alles Verstellung.«

»Und du bist Lottes so sicher?«

»Unbedingt.«

»Hat sie dir denn einen Beweis ihrer Liebe gegeben?«

Rudolf machte ein sonderbares Gesicht, und ein lustiges Lächeln spielte um seinen Mund.

»Gewiß – einen untrüglichen Beweis, nämlich eine Ohrfeige.«

Käthe fuhr betroffen zurück.

»Eine Ohrfeige? Aber, Rudolf!«

Er nickte gemütlich.

»Ja, ich habe sie einmal gegen ihren Willen geküßt, und da hat sie erst einen Augenblick ganz still und erschrocken in meinem Arm gelegen und hat am ganzen Körper gezittert und dann – ja – dann hat sie sich plötzlich aufgerichtet und hat mir einen Schlag ins Gesicht versetzt – ganz kräftig, kann ich dir sagen.«

»Und das nennst du einen Liebesbeweis?« stammelte Käthe fassungslos.

»Ja – so eine Ohrfeige kann unter Umständen Bände reden. Mir hat sie jedenfalls riesig Eindruck gemacht. Und ich habe ihr gleich gesagt, daß sie meine Frau werden muß.«

»Und was hat sie dir geantwortet?«

»Nicht ja und nicht nein, sie hat mir nur die Tür vor der Nase zugeschlagen und mich mit einem Blick angesehen – mit einem Blick – na – ich danke. Und seit dem Augenblick habe ich sie nicht wiedergesehen. Am nächsten Tage ist sie nach Zürich abgereist. Und nun warte ich auf ihre Heimkehr.«

»Lieber Gott,« seufzte Käthe sorgenvoll, »wenn du dich nur nicht in einer Täuschung befindest.«

Mit einem herzlichen Kuß schloß Rudolf ihr den Mund.

»Laß nur, Käthe, das mit Lotte kommt schon in Ordnung. Aber wir waren bei Sanna. Was meinst du also, wie ich mich in Zukunft benehmen soll?«

»Nach deiner Erklärung ist das sehr einfach – genau so wie bisher. Übersieh Fürstin Seraphines Spioniersystem vollständig und gib dir den Anschein, als ob du nichts merktest.«

»Und nun wünsche ich nur, daß Lotte ihren Doktor macht und heimkehrt,« sagte Käthe, als sich Rudolf verabschiedete.


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