Otto von Corvin
Die Geißler
Otto von Corvin

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Schläge als Weihe.

Da körperliche Schmerzen, wie überhaupt die Erleidung von Gewalt gegen den eigenen Willen, mit am meisten dazu angethan sind, sich der Erinnerung des Menschen einzuprägen, so hat man schon seit alten Zeiten Schläge mitunter angewandt, um einen Augenblick und eine Stelle dem Gedächtniß der Menschen recht eindringlich zu machen. Wenn bei unseren Voreltern ein Grenzstein gesetzt wurde, so gab man den dabei herumstehenden Kindern tüchtige Ohrfeigen, damit sie sich noch als alte Leute dieser Stelle erinnern sollten und eine Ungewißheit über die Grenze der Felder desto eher verhütet werde.

Und so sind denn Schläge gar häufig geradezu als Mittel der Weihe benutzt worden. Bei der Firmung, dem zweiten katholischen Sakramente, verabfolgte der Bischof jedem Gefirmten eine kleine Ohrfeige, um anzudeuten, daß er von nun an Feuer und Schwert willig und geduldig ertragen müsse, daß er nun aus der Gewalt des Teufels erlöst und gleichsam wehrhaft gemacht und berufen sei, alle Schande, die Gott und seiner heiligen Kirche angethan werde, ritterlich zu rächen. Denn an die Worte Christi zu Petrus: »stecke Dein Schwert in die Scheide,« oder an die: »mein Reich ist nicht von dieser Welt« wurde offenbar dabei nicht gedacht.

Auch die Edelknaben, wenn sie herangewachsen waren, wurden so an den Höfen der Fürsten und Kurfürsten unter einer Ohrfeige » wehrhaft gemacht«. Und zwar mit den Worten: »Das leide sonst von Keinem mehr!« Daher kam die Bezeichnung: Ritter-Ohrfeige.

Auch wenn die Römer Einen freisprachen, mußte er sich eine Ohrfeige geben lassen – gleichsam eine Genugthuung für die Mühe, die sich die Untersuchungsrichter mit ihm gemacht und ein Dankbarkeitsopfer für die ihm erwiesene Gerechtigkeit.

Ehemals durfte, nach Paullini, kein königlicher Prinz an die Tafel seines Vaters kommen und mit ihm speisen, wenn er nicht zuvor von einem fremden Könige »wehrhaft gemacht« worden war.

Wenn die deutschen Kaiser in alten Tagen zur Krönung nach Rom reisten, mußten sie jedesmal auf der Brücke, die über die Adria führt, Ritterschläge ertheilen. Dazu wurde dann öffentlich ausgerufen, ob Etliche da seien, die zum Ritter geschlagen zu werden wünschten. Auf diese mußte der Kaiser warten.

Graf Wilhelm von Holland war i.J. 1247 gegen Friedrich II. zum Kaiser erwählt worden, war aber noch sehr jung. Nun wollte er gerne zuvor zum Ritter geschlagen werden. Das geschah denn auch; er bekam aber eine derbe Ohrfeige mit der Mahnung, sich dabei zu erinnern, wie der Herr Christus um seinetwillen verspottet, geschlagen, gegeißelt, mit Dornen gekrönt und vor dem ganzen Volke gekreuzigt worden wäre. Dessen Schmach eingedenk, solle er auch jetzt sein Kreuz auf sich nehmen, Christi unschuldigen Tod gegen alle seine Feinde bitter rächen und als ein apostolischer Ritter leben und sterben. Er solle sich gürten mit Wahrheit, er solle den Harnisch der Gerechtigkeit anziehen und an den Beinen gestiefelt sein, um dem Evangelium des Friedens nachzuwandeln. Vor Allem aber müsse er den Schild des Glaubens ergreifen, um dadurch alle Pfeilschüsse der Bösewichter zu vereiteln. Er müsse auch nehmen den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, nämlich das Wort Gottes, wie Paulus solch eine schöne Kriegsrüstung (vermuthlich nach dem Homer) beschreibt.

Wer zum malthesischen Ritter geschlagen wurde, der erhielt mit dem Schwerte drei leichte Schläge auf die Schultern unter den Worten: »Einem edlen Menschen kann keine größere Schmach widerfahren, als wenn er geschimpft und geschlagen wird. Darum gebe ich Euch hiermit diese Streiche, auf daß dies Eure letzte Schande, Schmach und Unehre sei und Ihr Zeit Eures ganzen Lebens von nun an bis an's Ende hinfüro nimmermehr irgend welche Schande erlebt.«

Bei der Aufnahme in die Hansa wurde man »gehänselt«, d.h. in's Wasser getaucht, in Rauch gehangen oder mit heruntergezogener Hose bis auf's Blut gepeitscht, den Kopf in einem Sack, unter rauschender Musik. Diese Unmenschlichkeit wurde lange aufrecht erhalten, damit sich nicht bloß Reiche in die Hansa eindrängen sollten. – Zu ähnlichem Zweck, um den hohen Adel zu verscheuchen, war das Ruthenstreichen des Novizen auch beispielsweise in dem Hochstift Würzburg Sitte, ja bei den Templern soll man gar dem Großmeister den Hintern haben küssen müssen.

In der Universität von Coimbra in Portugal war es von Alters her bis auf unsere Tage Gebrauch, dem Neuling mit einem sogenannten Canellar eine Art Fußtritt zu versetzen, sobald er nicht den Schutz eines Aeltern in Anspruch nahm. Trotz des Verbotes vom Rektorat wurde der Unfug weiter geübt. Einen vom Pedell auf der That ertappten Studenten verurtheilte der Rektor zu dreitägiger Gefangenschaft. Darüber waren die Studenten so erregt, daß sie am selben Abend ihrem bestraften Genossen ein Ständchen brachten und dann vor der Wohnung des Rektors ihrem Unwillen Ausdruck verliehen. Die Auftritte wiederholten sich, und Polizei und Soldaten schritten mit blanker Waffe ein. Dadurch stieg die Erbitterung immer mehr; die Studenten verlangten die Entlassung des Rektors, des Pedells und des Polizei-Befehlshabers, die Regierung jedoch antwortete mit Schließung der Universität. Und das meldeten die Zeitungen im Mai dieses Jahres.

Die Huldigung, die einst in Kärnten der neue Regent empfing, war von der Art, wie man heute dem neuen Herrscher zu huldigen pflegt, sehr verschieden, aber voll tiefen Sinnes. Nahe bei einer längst untergegangenen Stadt war auf einer geräumigen Wiese ein hoher Marmorstein aufgerichtet. Auf diesen stieg ein Bauer, dem diese Ehre durch Erbrecht zugefallen war. Rechts stand ein magerer schwarzer Ochse, links ein häßliches Mutterpferd und rings herum alles Volk. Nun kam von Weitem der neue Fürst herangeschritten. Voran wurde sein Wappen und eine Fahne getragen. Alle waren Prächtig gekleidet, nur der Fürst hatte ein einfach Bauernkleid an und einen Hirtenstab in der Hand. Sobald ihn der Bauer auf seinem hohen Steine nun von Weitem erblickte, rief er ihm auf Slavonisch entgegen: »Wer ist der, der da so stolz angeschritten kommt?« – Man antwortete: »Der Landesfürst.« – Der Bauer fragte weiter: »Ist er auch gerecht? Sucht er das Beste des Landes? Ist er frei und ehrenwerth? Liebt und vertheidigt er die christliche Religion und breitet sie aus?« – Alle riefen: »Ja, ja.« – Und der Bauer abermals: »Mit welchem Rechte will er mich hier von diesem Platze vertreiben?« – Darauf antwortete der Graf-Paladin zwischen den Fahnenträgern: »Der Platz wird um ein Gewisses verkauft werden. Dies Vieh (indem er auf Ochs und Pferd hinzeigte) soll Deines sein; auch sollst Du die Kleider bekommen, die der Fürst jetzt ablegt, und Dein ganzes Haus soll steuerfrei sein.«

Darauf gab der Bauer dem neuen Herzog eine kleine Ohrfeige, indem er ihn zu allem Guten ermahnte, trat herab, nahm Ochs und Gaul und wanderte damit heim. Der neue Fürst aber stieg auf den Stein, schwang den Degen nach allen vier Himmelsrichtungen und versprach dem Volke Alles, was recht und billig ist. Darauf brachte ein Bauer einen Hut voll kalten Wassers und gab es dem Fürsten zu trinken, um anzudeuten, daß er den Wein hassen und sich ja nicht von ihm überrumpeln lassen sollte. Denn Salomo lehrt: »O nicht den Königen, Samuel, gieb den Königen nicht Wein zu trinken, noch den Fürsten starkes Getränke! Sie möchten trinken und des Rechtes vergessen und verändern die Sache irgend der elenden Leute.«

Endlich ging der Herzog nach einer Kirche, die auf dem nahen Hügel stand. Dort wurde erst eine Messe gehalten; der Herzog legte den Bauernrock ab; es wurde gespeist; dann ging es wiederum auf die Wiese, wo nun der neue Herzog Gericht hielt, Urtheil sprach und an Diesen und Jenen Gaben austheilte.

Und hier könnt' ich noch ein paar Geschichten von fürstlichen und adligen Maulschellen anreihen, die ich ebenfalls dem obengenannten Buche von Paullini entnehme. Zwei junge Edelleute hatten sich wegen einer jungen Dame überworfen, welche sie Beide liebten. Endlich schickte der Eine, und zwar der Jüngere, dem Andern zu Neujahr eine schöne Tasche von blauem Sammt. Darauf war mit Silber ein großer Mund und daneben zwei kreuzweis übereinander liegende Degen gestickt. Damit gab er dem Nebenbuhler zu verstehen, er solle ihm entweder vor die Klinge kommen, oder, wo nicht, Maulschellen von ihm gewärtig sein. Da mußte der Andere sich stellen und schlagen, bekam auch einen Stich in's Knie, grade tief genug, daß er geraume Zeit hinken mußte. – Ebenso schickte Einer dem Andern Feigen zu, um ihm dadurch zu sagen, er sei feige. Als Antwort aber erhielt er Maulbeeren, mit dem Hinzufügen, dergleichen könne Jener noch mehr mit eigenen Händen bekommen.

Kaiser Maximilian hatte einst beschlossen, alle Gefangenen hinrichten zu lassen und Jedem, der für sie bitten würde, mit einer derben Maulschelle gedroht. Nun jammerte den Herzog von Braunschweig der guten Leute, doch durfte er keine Fürsprache einlegen. Endlich wagte er es. Der Kaiser, um sein Wort in Ehren zu halten, gab ihm freundlich und lachend einen kleinen Backenstreich und gebot, die Gefangenen auf freien Fuß zu setzen.

Eine seltsame Hochzeitssitte herrscht in der Bretagne. Dort will es der Brauch, daß, wenn ein Brautpaar den priesterlichen Segen empfangen hat, der Bräutigam der neuen Ehewirthin erst eine Ohrfeige mit den Worten: »So schmeckt es, wenn Du mich böse machst«, und darauf einen Kuß verabreicht. Als nun einst ein Bretagner ein deutsches Mädchen, eine Schwäbin, heirathete, wurde ihr ebenfalls die Ohrfeige von der Hand ihres Angetrauten zu Theil. Mit der Sitte unbekannt, wartete die junge Frau den Kuß nicht erst ab, sondern gab dem Manne sofort eine kräftige Ohrfeige zurück mit den Worten: »Weischt, des kann me scho gar nett g'falle«. Der junge Ehemann rieb sich die Wange und wußte nun wenigstens, daß seine Frau nicht mit sich spaßen lasse.


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