Otto von Corvin
Die Geißler
Otto von Corvin

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2. Römisch-katholische Selbsthiebe.

»Lobet den Herrn mit Pauken.«
Ps. 150, V. 4.

In dem Treibhause der römisch-katholischen Kirche wachsen Prügel von allen Sorten. Neben rechtschaffen fanatischen Selbsthieben mit Ketten, Geißeln und Stricken zur Ehre Christi und zum Heile der Seele finden wir hier wollüstig-jesuitisches Kitzeln mit Ruthen, welches sich zu den mörderischen Hieben der alten Geißelhelden verhält wie der Ringkragen eines jetzigen Lieutenants zu der Rüstung Karls des Großen. Ohne eine heillose Verwirrung anzurichten, kann ich diese verschiedenartigen Kinder eines Stammes nicht in einem Kapitel zusammenbringen, und beschränke mich daher hier in diesem auf die unter den römischen Katholiken gebräuchliche Selbstgeißelung mit ihren theils schrecklichen, theils lächerlichen nächsten Folgen. Das Furchtbare und Lächerliche liegt näher beisammen, als man gewöhnlich denkt. Man stelle sich nur einmal vor den Spiegel und mache ein so furchtbares Gesicht, als man kann, und dann lasse man fast unmerklich die Mundwinkel fallen oder ziehe sie in die Höhe, so hat man die lächerlichste Fratze.

Im dritten Kapitel werde ich von den »ordentlichen und außerordentlichen Kirchen- und Klosterhieben« reden; im vierten von den »beichtväterlich-jesuitischen Disciplinen« und endlich im fünften von den »Erziehungsprügeln«, welche als das mißgestaltete Kind aller früheren Arten zu betrachten sind.

Ich habe schon früher bemerkt, daß die Menschen eine ganz besondere Neigung zu allen recht mühsamen Arten der Gottesverehrung haben, und wie auch unter den Christen der ersten Jahrhunderte die seltsame Idee Raum gewann, daß es verdienstlich und zur Erlangung der Seligkeit nothwendig sei, sich Entbehrungen und körperliche Qualen freiwillig aufzuerlegen. Das bequemste Mittel, sich Schmerzen zuzufügen, hat aber jeder sogleich bei der Hand, indem n sich nur mit der eigenen Faust oder mit einem Instrumente Schläge zu versetzen braucht. Es ist daher zu verwundern, daß die Gewohnheit der Selbstgeißelung nicht schon früher allgemein wurde, als es in der That der Fall ist. Vielleicht war aber grade die Bequemlichkeit des Mittels das Hinderniß, denn aus dem, was ich darüber in dem Kapitel »von den lieben, guten Heiligen« sagte, geht hervor, daß die selbstquälerischen Christen eine Ehre darein setzten, recht mühsame und absonderliche Qualen zu erfinden und an sich auszuüben. Erst als dieser Eifer nachließ, griff man daher zu der Geißelung, die allgemeiner anwendbar war und sich je nach dem verschiedenen Bedürfniß einrichten ließ.

Wir finden indessen schon in den ersten Jahrhunderten bei den Christen Beispiele der Selbstgeißelung, wenn auch den darüber vorhandenen Nachrichten nicht unbedingt zu trauen ist. Der Mönch des 12. oder 14. Jahrhunderts, welcher das Leben seines Lieblingsheiligen beschrieb und der gewohnt war, sich täglich zur Ehre Gottes braun und blau zu schlagen, konnte sich seinen Helden gar nicht anders denken als mit der Geißel in der Hand und erzählte frischweg von dessen entsetzlichen Heldenthaten mit dem größten Aufwände von Phantasie, unbekümmert um die Wahrheit oder die historische Wahrscheinlichkeit, denn erstere glaubte er zu Ehren eines Heiligen verletzen zu dürfen, und daß er gegen die letztere sündigte, wußte er wahrscheinlich selbst nicht.

Es giebt aber in manchen Schriften einige ganz absichtslos eingestreute Stellen, welche als glaubwürdigere Beweise dienen können. In dem Werke Gabriels, Erzbischofs von Philadelphia, Sammlung der Thaten und Handlungen der heiligen Väter, ist von einem Heiligen erzählt, der den Entschluß gefaßt hatte, der Welt zu entsagen, und der sich zu diesem Zwecke in die Nitrianischen Gebirge in Thebais zurückzog. Der gute Heilige hatte den besten Willen, seine Sünden recht ernstlich zu bereuen, und seine Reue schien ihm lange Zeit sehr aufrichtig. Da hörte er aber eines Tages einen benachbarten Bruder Einsiedler laut über seine Sünden weinen und dieses tagtäglich wiederholen. Dies frappirte den Heiligen sehr, denn bis zu Thränen hatten ihn seine Sünden noch nicht gerührt, und er kam sich als ein sehr verstocktes Ungeheuer vor. »Und Du elender Kerl,« sprach er zu sich, »der Du so viel mehr als jener gesündigt hast, Du jammerst und heulst nicht einmal? Aber warte nur, ich will Dich schon kriegen, Du sollst schon mit Gewalt zum Weinen gebracht werden, wenn Du es nicht freiwillig thust; ich will schon machen, daß Du Dich über Deine Sünden betrübst, wie es Dir zukommt.« Darauf machte er eine mächtige Geißel und prügelte sich damit so unbarmherzig, daß ihm bald die Thränen über die Wangen liefen und er in den glückseligen Zustand versetzt wurde, um welchen er seinen Nachbar beneidet hatte.

Climax erzählt Aehnliches von einem morgenländischen Kloster. »Einige unter den Mönchen,« sagt er, »tränkten den Boden mit ihren Thränen, während andere, die keine Thränen vergießen konnten, sich selbst geißelten.« – Thränen über seine Sünden zu vergießen galt bei den morgenländischen Christen als der höchste Grad der Zerknirschung und Reue und zugleich als hinlängliche Buße, denn der den Thränen vorhergehende Zustand war gewiß kein beneidenswerther. Die Geißelung wurde also nur als Thränenerzeugungsmittel gebraucht, wie Schneeberger Pulver zur Beförderung des Niesens.

Indessen wurden die Christen auch noch durch andere Ursachen auf die Selbstgeißelung geführt, und es sind dies dieselben, welche die andere Selbstmarter veranlaßten. Christus war gegeißelt worden und es schien seinen Anhängern ein Beweis der Liebe gegen ihren Meister, wenn sie sich dieselben Qualen auferlegten, die er zu ertragen gehabt hatte; deßbalb geißelten sie sich auch, wie aus den Statuten mehrerer Mönchsklöster hervorgeht. »Wenn die Mönche,« heißt es darin, »die Geißelung an sich selbst ausüben, so sollen sie sich an Christum, ihren liebenswürdigsten Herrn, erinnern, wie er an die Säule gebunden und gegeißelt ward, und sollen sich bemühen, wenigstens einige geringe von den unaussprechlichen Schmerzen und Leiden selbst zu erfahren, welche er erdulden mußte.«

Ein anderer Grund, weshalb man sich geißelte, ist der, daß man dadurch sein Gewissen beruhigte, wenn man eine Sünde begangen hatte. Jeder hatte das Gefühl, daß er dafür Strafe verdient habe. Um nun zu zeigen, daß er das vollkommen anerkenne und durch einen thätlichen Beweis der Reue den Zorn Gottes zu versöhnen, geißelte er sich und suchte nach seinem eigenen Ermessen die Größe der Sünde mit der Anzahl und Stärke der Schläge in ein Verhältniß zu bringen. Als nun später durch die Pfaffen der Glaube aufkam, daß man durch diese oder jene von ihnen auferlegte Pönitenz entsündigt sei, lag der Irrthum sehr nahe, daß dies auch durch eine angemessene Anzahl Schläge geschehen könne, und Gewissenhafte verdoppelten die Portion, um in jedem Falle sicher zu sein. Ein weiterer Grund der Selbstgeißelung war auch der, daß man dadurch die »Anfechtungen des Fleisches« zu überwinden hoffte. Dieser Grund läßt sich hören, denn die tägliche Erfahrung lehrt, daß schon Mancher durch eine tüchtige Tracht Prügel für lange Zeit von aller Verliebtheit geheilt wurde. Daß aber auch unter besonderen Umständen durch Schläge das Gegentheil erzeugt wird, werden wir weiter unten sehen.

Theodoret, Bischof von Cyrus, welcher ungefähr um das Jahr 400 lebte, erzählt uns von dem heiligen Petrus, einem Einsiedler, der am Schwarzen Meere sein Standquartier hatte. Dieser würdige Mann hatte das Glück. ein junges schönes Mädchen aus den Händen eines Offiziers zu befreien, der sie verführen wollte. Der heilige Peter hatte diese Befreiung in der besten Absicht unternommen; aber leider sind, wie ich schon früher bemerkte, diese Heiligen entzündbar wie Streichhölzchen, und auch dieser fromme Mann hatte viel von den Anfechtungen des Fleisches zu leiden. Da ihm nun die Tochter so viel Qual machte, so tröstete er sich mit der Mutter, schloß sich mit derselben ein, und hier geißelte er sich entweder selbst oder ließ sich von dem Weibe geißeln.

Ein anderer uralter Geißler war der heilige Pardulph, der ums Jahr 737, zur Zeit Karl Martels lebte und dessen Leben zuerst von einem gleichzeitigen Schriftsteller, dann aber, zweihundert Jahre später, von Yvus, dem Prior der Benedictiner zu Clugny, auf Verlangen der Mönche des heiligen Martials in der Stadt Limoges in eleganterer Sprache beschrieben wurde. »Der heilige Pardulph,« heißt es an der bezüglichen Stelle, kam selten aus seiner Zelle, bloß, wenn ihn irgend eine Krankheit nöthigte, sich zu baden, wobei er sich allemal vorher die Haut aufritzte. Während der Fastenzeit aber zog er sich ganz nackend aus und befahl einem seiner Schüler, ihn mit Ruthen zu hauen.«

Von dem heiligen Wilhelm, Herzog von Aquitanien, der zur Zeit Karls des Großen lebte, erzählt sein gleichzeitiger Biograph Harduin, »es sei eine allbekannte Sache gewesen, daß sich der Herzog sehr häufig aus Liebe zu Christum hätte geißeln lassen, und daß er dann allemal mit der Person, welche ihn geißelte, allein gewesen wäre.« Ob diese Person nun ein Mann oder ein weibliches Wesen war, kann ich nicht finden; aber die Sache selbst wird auch noch bestätigt durch Häftenus, den Superior des Klosters von Afflingen, der erzählt: »daß der Herzog von Aquitanien ein großes Vergnügen darin gefunden hätte, auf einem harten Bette zu schlafen, und daß er sich überdies selbst mit einer Geißel geschlagen habe.«

Gualbertus, Abt von Pontoise, der um das Jahr 900 lebte, geißelte sich selbst mit einer aus knotigen Riemen gemachten Geißel. Der mit ihm ungefähr zu gleicher Zeit lebende heilige Romuald war ein noch berühmterer Geißeler. Er war aber nicht allein strenge gegen sich, sondern auch gegen seine Mönche, die ihn deshalb haßten, wovon wir im nächsten Kapitel reden werden. Diese Strenge ging so weit, daß er sogar seinen eigenen Vater prügelte! Dieser hatte sich auch dem geistlichen Leben gewidmet, fand aber keinen Geschmack daran und wollte wieder in die Welt zurückkehren. Kaum erhielt sein heiliger Sohn davon Nachricht, als er sich sogleich von seinen Oberen die Erlaubnis; erbat, seinen Vater auf den rechten Weg des Heils zurückführen zu dürfen. Als er dieselbe erhalten halte, machte er sich zu Fuß auf die Reise, barfüßig und mit einem Stock in der Hand und marschirte so von den äußersten Grenzen Frankreichs nach Ravenna, wo sein Vater lebte. Sein erstes Geschäft war es, denselben mit schweren Ketten gefesselt in den Stock zu legen und ihn so unbarmherzig und so lange zu prügeln, »bis er dessen Seele unter göttlichem Beistände zum Stande des Heils wieder zurückgeführt hatte.«

Dieser heilige Romuald war so heilig, daß ihm seine Heiligkeit bald den Tod gebracht hätte. Er hatte sich in einem Kloster in Catalonien niedergelassen und erfüllte die ganze Gegend rings umher mit dem Geruche seiner Heiligkeit. Nachdem er lange Zeit hier gelebt hatte, verbreitete sich das Gerücht, der heilige Mann gehe damit um, das Land zu verlassen. Das ganze Volk kam in Aufregung, denn es fürchtete, – die Reliquien von diesem Heiligen zu verlieren, die es als sein Eigenthum betrachtete, weil derselbe sich so lange Zeit unter ihm aufgehalten hatte. Um nun dem schrecklichen Verluste auf eine ganz sichere Art vorzubeugen, faßte das Volk den sehr sinnreichen Entschluß, – den Heiligen zu ermorden und sich dadurch seines Körpers zu versichern. St. Romuald erhielt jedoch Nachricht von dem beabsichtigten Attentat gegen seinen kostbaren Körper und war gescheut genug, sich bei ihm zugedachten Ehre bei Nacht und Nebel zu entziehen.

Bei der Erwähnung von Ravenna fällt mir ein anderer Fall früherer Selbstgeißelung ein. Heribert, der Erzbischof dieser Stadt, hatte befohlen, daß das Kloster Panposa bei Ferrara niedergerissen werden solle. In diesem war aber der heilige Guido Abt und auf die erhaltene traurige Nachricht beschloß er sowohl als seine Mönche, sich alle Tage im Kapitelhause einzuschließen und daselbst mit Ruthen zu schlagen. Dieser Abt Guido oder Guy lebte am Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts.

An dem Beispiele des Herzogs von Aquitanien habe ich schon gezeigt, daß selbst weltliche vornehme Personen im ersten Jahrtausend der christlichen Kirche sich selbst geißelten. Diesem Beispiele will ich noch zwei andere hinzufügen. Das erste findet sich in einem der Bücher des Osbertus. – In England lebte etwa in der Mitte des 10. Jahrhunderts ein vornehmer englischer Graf, welcher sich, den bestehenden Kirchengesetzen zuwider, mit einer nahen Anverwandtin vermählt hatte. Nach der Hochzeit dachte er ganz anders als vor derselben, und seine Sünde erschien ihm unendlich groß. Seine Buße begann damit, daß er sich einige Zeit darauf nicht nur von seiner Gemahlin scheiden ließ, sondern auch verlangte, in der Gegenwart des heiligen Dunstan und der ganzen Clerisei gegeißelt zu werden. Osbertus erzählt: »Erschrocken über die Größe seines Verbrechens ließ der Graf endlich von seiner Halsstarrigkeit ab, verzichtete auf seine gesetzwidrige Verbindung und legte sich selbst eine Buße auf. Da Dunstan damals gerade Präsident eines gewissen Convents der Clerisei des Königreichs war, welcher auf eine bestimmte Zeit gehalten wurde, so kam der Graf auch in den Convent barfuß, in einem wollenen Kleide und Ruthen in der Hand und warf sich seufzend und weinend dem heiligen Dunstan zu Füßen. Dieses Beispiel von Gottesfurcht rührte die ganze Versammlung, hauptsächlich aber Dunstan. Dessenungeachtet nahm er, da es vorläufig sein einziger Wunsch war, den armen Sünder gänzlich wieder mit Gott auszusöhnen, eine sehr ernsthafte und zu diesem Vorfall sehr passende Miene an und verweigerte ihm eine ganze Stunde lang die Gewährung seiner Bitte, bis sich endlich die übrigen Prälaten für den Grafen ins Mittel schlugen und zugleich mit baten, worauf ihm Dunstan die erbetene Buße gewährte.«

Das andere Beispiel finden wir in Frankreich. Ungefähr um das Jahr 1000 lebte hier ein sehr angesehener Mann, Fulques, mit dem Beinamen Grisegonelle. Er war der Sohn des Reichspräsidenten und zugleich einer der grausamsten und gottlosesten Menschen, was in jener Zeit der Fehden und Räubereien mehr sagen will als heut zu Tage. Dieser Fulques hatte unter andern auch den Herzog von Bretagne, Conan, mit eigener Hand ermordet. Diese That lastete schwer auf seinem sonst so abgehärteten Gewissen, und um Buße zu thun, unternahm er drei Wallfahrten nach dem heiligen Grabe. Bei der dritten ließ er sich sogar nackt mit einem Stricke um den Hals auf einem Karren durch die Straßen von Jerusalem fahren, und außerdem hatte er besondere Männer zur Begleitung, die ihn abwechselnd mit Geißeln schlagen mußten. Eine andere Person, die ihn begleitete, mußte von Zeit zu Zeit ausrufen: »Gott sei gnädig dem verrätherischen und meineidigen Fulques!« – Er wurde nachher sehr fromm, führte ein untadelhaftes Leben und stiftete einige Klöster.

Allmählich wurde die freiwillige Geißelung als Bußmittel immer beliebter. Es bildeten sich besondere Gebräuche dabei, und das Verhältniß zwischen Sünde und Hiebe wurde festgestellt. Besondere Bußbücher bestimmten, durch welche Strafen gewisse Sünden gebüßt werden könnten, und gewöhnlich waren den darin dictirten Fasten, Hersagungen von Gebeten, Almosen und dergleichen eine bestimmte Anzahl Hiebe beigefügt, welche sich die Sünder unter Hersagung oder Absingung der Psalmen entweder selbst aufzählten oder von einem Andern aufzählen ließen. Geißelhiebe wurden gleichsam die Scheidemünze der Buße, besonders für die, welche der römischen Kirche keine anderen Münzen zahlen konnten.

In der Mitte des 11. Jahrhunderts gab es in Italien einige heilige Männer, die im Fache des Selbstgeißelns Außerordentliches leisteten. Sie begnügten sich nicht damit, sich die Vergebung für alle von ihnen begangenen und noch zu begehenden Sünden zu erprügeln, sondern nahmen auch Rücksicht auf die zarte Haut vieler anderer Sünder und geißelten sich für fremdes Conto. Hätte Gott, wie diese armen Narren glaubten, jeden zur Besänftigung seines Zorns geführten Schlag in sein Buch getragen, so möchte ich wohl einmal in dieses Buch gucken, um die Totalsumme all dieser Schläge kennen zu lernen! Sie muß ganz unendlich groß sein, wenn wir in Betracht ziehen, was einzelne dieser fanatischen Geißler vermochten.

Der heilige Rodulphus, Bischof von Gubbio und später von, Eugubio, legte sich oft eine Bußübung für hundert Jahre auf und vollbrachte dieses ungeheure Pensum in zwanzig Tagen durch unaufhörlichen Gebrauch der Ruthen, ohne dabei die gewöhnlichen Bußübungen zu vernachlässigen. Er schloß sich häufig einen ganzen Tag in seiner Zelle ein, sagte wenigstens einmal den ganzen Tag den ganzen Psalter her und peitschte sich unaufhörlich während dieser Zeit mit den großen Ruthen, deren er in jeder Hand eine hielt.

Der wüthendste Geißler, der von keinem andern weder erreicht noch übertroffen würde, war aber der Mönch Dominikus der Gepanzerte, welchen Namen er erhielt, weil er beständig, außer wenn er sich geißelte, einen eisernen Panzer auf dem bloßen Leibe trug. Dieser unwissende und rohe Mönch war unfähig, sich auf irgend eine andere Weise als durch unerhörtes Geißeln auszuzeichnen. Was Petrus de Damiani, Cardinalbischof von Ostia der Bewunderer und Beförderer des Geißelns, von ihm sagte, übersteigt fast allen Glauben. Damiani war Abt des Beneditkinertklosters zu Fonte-Avallana, in welchem Dominikus lebte, und hatte die beste Gelegenheit, die Heldenthaten dieses Narren in der Nähe zu beobachten.

»Kaum vergeht ein Tag,« erzählt Damiani. »ohne daß er mit Geißelbesen in beiden Händen zwei Psalter hindurch seinen nackten Leib schlägt, und dieses in den gewöhnlichen Zeiten, denn in den Fasten, oder wenn er eine Buße zu vollbringen hat (oft hat er eine Buße von hundert Jahren übernommen), vollendet er häufig unter Geißelschlägen wenigstens drei Psalter. Eine Buße von hundert Jahren wird aber, wie wir von ihm selbst gelernt haben, so erfüllt: Da dreitausend Geißelschläge nach unserer Regel ein Jahr Buße ausmachen, und wie es oft erprobt ist, bei dem Hersingen von zehn Psalmen hundert Hiebe stattfinden, so ergeben sich für die Disciplin eines Psalters fünf Jahre Buße, und wer zwanzig Psalter mit der Disciplin absingt, kann überzeugt sein, hundert Jahre Buße vollbracht zu haben. Doch übertrifft auch darin unser Dominikus die Meisten, daß er als ein wahrer Schmerzenssohn, da Andere mit einer Hand die Disciplin ausüben, mit beiden Händen unermüdet die Lüste des widerspenstigen Fleisches bekämpft. Jene Buße von hundert Jahren vollendet er aber, wie er mir selbst gestanden hat, ganz bequem in sechs Tagen.Giebt sich also – nach dem angegebenen Maßstabe, 3000 für ein Jahr – während dieser sechs Tage 300 000 Hiebe! Ich erinnere mich auch, daß er einmal im Anfange der Fasten verlangte, wir sollten ihm tausend Jahre Buße auflegen, und diese Buße erfüllte er fast ganz, ehe die Fastenzeit verfloß.«

An einer andern Stelle berichtet Damiani die größte Geißelthat Dominiks, mit denselben Worten, wie ihm dieser dieselbe erzählte: »Vor einigen Tagen kam er zu mir und erzählte: Als ich zufällig erfuhr, Du habest geschrieben, daß ich an einem Tage neun Psalter mit körperlicher Disciplin abgesungen hätte, erschrak ich und wurde von Gewissensbissen gequält. Wehe mir, sagte ich, das ist ohne mein Wissen von mir geschrieben worden, und ich weiß doch nicht, ob ich es thun kann. Ich will es also nochmals versuchen, um mit Gewißheit zu erfahren, ob ich es auszuführen vermag. Nun zog ich mich am Mittwochen aus, bewaffnete beide Hände mit Geißelbesen, und indem ich die Nacht durchwachte, hörte ich nicht auf Psalmen zu beten und mich zu schlagen, bis ich am andern Tage auf gewöhnliche Art zwölf Psalter vollendet hatte und im dreizehnten bis zum einunddreißigsten Psalm gekommen war.« – Welchen Anblick mag der Körper dieses Geißelhelden dargeboten haben, denn schon beim achten Psalter war das Gesicht zerschlagen, voller Striemen braun und blau. Der Körper Dominiks, erzählt Damiani mit Stolz, habe ausgesehen, wie die Kräuter, die der Apotheker zu einer Ptisane gestoßen habe.

Die Lobsprüche, die Dominikus von allen Seiten erhielt, entstammten seinen Ehrgeiz immer mehr, und er versuchte das Aeußerste. Seinem von Narben durchfurchten Leib konnten die Ruthen nur noch wenig anhaben, und er vertauschte sie einige Jahre vor seinem Tode mit einer Geißel von Riemen, die bei weitem schmerzhafter war, woran er sich indessen auch bald gewöhnte. Er erfüllte die Pflichten, welche er sich auferlegt hatte, so gewissenhaft, daß, wenn er ausgehen mußte, er seine Geißel allemal in seinen Bußen steckte, damit er, wenn er irgendwo über Nacht bleiben müßte, nicht die Zeit verlöre und sich mit der gewöhnlichen Pünktlichkeit geißeln könnte. Wenn es nicht anging, daß er sich an dem Orte, wo er übernachtete, gänzlich entkleiden und sich vom Kopfe bis auf die Füße durchpeitschen konnte, so zerschlug er wenigstens seinen Kopf und seine Füße mit der größten Grausamkeit.

Der schon genannte Cardinalbischof Damiani wurde nun der eifrigste Beförderer des Geißelns und pries diese heilsame Bußübung mit allem ihm zu Gebote stehenden Scharfsinn den frommen Christen an. Seine Ermahnungen fanden Beifall; der Gebrauch der Selbstgeißelung griff immer weiter um sich und wurde besonders in den Klöstern als Hauptbußmittel, welches man vorzugsweise mit der Benennung Disciplin bezeichnete. Ursprünglich bedeutet dieses Wort alle Strafen und Züchtigungen welche solche Personen, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, von ihren Vorgesetzten empfingen, und wenn die Geißelung einen Theil der Strafe ausmachte, so wurde dieselbe besonders erwähnt, und man nannte eine solche Disciplin die der Geißel ( disciplina scoparum oder flagelli). Als nun diese Art der Disciplin über jede andere den Preis davontrug, wurde das bloße Wort Disciplin der technische Ausdruck, womit man diese Art Züchtigung bezeichnete, und endlich nannte man gar das Instrument, welches zum Schlagen gebraucht wurde, eine Disciplin.

Ueber die beste Art, sich zu geißeln, entstanden nun mancherlei Streitigkeiten. Damiani verlangte, daß man sich ganz nackt und in Gesellschaft eines Andern geißeln solle, wahrscheinlich um eine Controlle für richtige Anwendung der Disciplin zu haben, da man nach Gehör nicht allein urtheilen konnte. Es gab Leute, welche die Wände ihrer Zellen oder die Lehnen ihrer Stühle besser zu treffen wußten, als ihre weit empfindlicheren Rücken. Damiani wurde in seiner Behauptung von dem mit ihm gleichzeitig lebenden Cardinal Pullus unterstützt, der Erzkanzler der römischen Kirche und ebenfalls eine sehr wichtige Person war. Er war der Meinung, daß die Entkleidung des Büßenden die Größe seines Verdienstes bedeutend vermehre. Der Hauptgrund, weshalb man sich von vielen Seiten gegen das ganz nackte Geißeln erklärte, war der, daß man es nicht mit der Schamhaftigkeit und Wohlanständigkeit für vereinbar hielt; allein mit diesem Einwurfe kamen die Verfechter dieser Meinung bei Damiani schlecht weg. Er antwortete darauf Folgendes:

»Sagt mir, wer ihr auch sein möget, ihr, die ihr so viel Stolz besitzt, die Passion unseres Erlösers gering zu schätzen, und indem ihr euch weigert, euch so wie er zu entkleiden, seine Entkleidung lächerlich machen zu wollen scheint, und dadurch seine Leiden zu bloßen Träumen und Kinderspielen macht; sagt mir, ich bitte euch, was wollt ihr alsdann vornehmen, wenn ihr diesen himmlischen Heiland, welcher öffentlich entkleidet und an ein Kreuz gebunden ward, mit Majestät und Ehre angethan, von tausendmal tausend Engeln begleitet und mit Glanz umgeben sehen werdet, welcher nicht beschrieben, mit nichts verglichen werden kann, und unendlich weit über alle sichtbare und unsichtbare Dinge erhaben ist? Was wollt ihr alsdann vornehmen, sage ich, wenn ihr ihn, dessen Blöße ihr geringschätzt, sehen werdet auf einem erhabenen Throne sitzen, mit Feuer umgeben, und wenn er alle Menschen sowohl auf eine gerechte als auf eine schreckliche Art richten wird? Dann wird die Sonne ihren Glanz verlieren, der Mond wird in Dunkel gehüllt werden und alle Steine werden herabfallen, die Grundfesten der Berge werden erschüttert werden und von dem Aether werden nur einige wenige trübe Strahlen herankommen; die Erde und die Luft werden durch ein unauslöschliches Feuer verzehrt werden und alle Elemente werden durcheinander und in Unordnung gerathen; was wollt ihr, ich sage es noch einmal, was wollt ihr alsdann vornehmen, wenn alle diese Dinge geschehen werden? Was werden alsdann euer Gewand und eure Kleider euch für Nutzen bringen, mit welchen ihr jetzt bedeckt seid und welche ihr bei euren Bußübungen nicht ablegen wollt? Wie könnt ihr euch mit einer so stolzen und verwegenen Hoffnung schmeicheln, an der Ehre desjenigen Theil zu haben, an dessen Blöße und Schande ihr nicht habt Antheil nehmen wollen?«

Gegen diese Argumente, die ganz im Geiste jener Zeit waren, konnten die Gegner der Nacktheit allerdings nicht viel einwenden; allein dessen ungeachtet fand das Auskleiden beim Geißeln doch nicht viele Nachfolger, und man begnügte sich damit, den Körper partiell zu züchtigen. Nun war es aber wieder eine höchst wichtige Frage, auf welchen Theil des Körpers die Schläge gegeben werden sollten, und die geißelnde Welt theilte sich in zwei Parteien. Die eine zog das Geißeln des Rückens vor, die sogenannte obere Disciplin ( disciplina sursum oder im besten Mönchslatein secundum supra), die andere entschied sich für die Peitschung des Hinterns und der Lenden, für die untere Disciplin ( disciplina deorsum, secundum sub).

Beide Parteien wußten für ihre Wahl wichtige Gründe geltend zu machen und ich thue am klügsten daran, wenn ich diese Gründe dem scharfsinnigen Leser zur Prüfung und Beurtheilung vorlege, um bei einer so hochwichtigen Sache seinem Urtheile nicht vorzugreifen. Die Anhänger der oberen Disciplin sagten: diese ist die anständigste, und da ein Schlag auf die Schultern dem Körper noch weher thut als auf dem fleischigen Hintern, so ist sie bei weitem verdienstlicher. – Diesen letztern Punkt wollen wir dahingestellt sein lassen, antworteten ihnen die Anhänger des untern Reviers, allein jedenfalls ist die obere Disciplin der Gesundheit schädlicher. Alle berühmten Aerzte und Anatomen sagen, daß die Nerven der Schultern mit dem Gehirn und den Sehnerven in unmittelbarer Verbindung stehen, und daß durch das heftige Geißeln auf den Schultern die letzteren in Mitleidenschaft gezogen und die Augen krank werden.

Dies ist so gefährlich nicht, antworteten ihre Gegner, denn ihr werdet euch schwerlich so heftig schlagen, daß es die Augen angreift, was bei starkem Blutverlust allenfalls möglich ist, wie das Urtheil des berühmten Arztes darthut, den der höchst ehrwürdige Pater Gretser von der Gesellschaft Jesu darüber zu Rathe zog. Dieses Unheil lautet: »Die gewöhnliche Meinung, daß die Geißelhiebe auf den Rücken die Augen angreifen, kann man nicht so geradezu bestätigen. Es ist wahr, daß das zu häufige Bluten dem Gehirn schadet und zu gleicher Zeit auch den Augen, die, wie einige sagen, davon gleichsam die Schößlinge sind, und daß dieser Schade von der Verminderung der natürlichen Hitze herkommt: aber bei den Disciplinen findet keine so starke Blutung statt, daß dadurch das Gehirn von seiner Hitze verlieren könnte; und da man sehr oft das Schröpfen auf dem Rücken mit glücklichem Erfolge zur Heilung mehrerer Augenkrankheiten anwendet, warum sollte man für sie etwas Nachteiliges von den Geißelhieben fürchten? Nur allein Denen, welche ein schwaches Gesicht haben und bei denen die natürliche Hitze beinahe erloschen ist, könnten die Geißelungen schaden; übrigens färbt auch die Geißelung, die man auf den Rücken empfängt, nur die Haut roth, ohne eine Blutung zur Folge zu haben, und ist nicht so heftig, als daß man daraus irgend eine üble Folge herleiten könnte.«

Darauf konnten die Anhänger der untern Disciplin nicht viel erwidern, sondern begnügten sich damit, zu behaupten, daß die Erfahrung das Gegentheil lehre, und daß die Geißelung auf den Hintern dem Himmel bei weitem wohlgefälliger sei. Was sie sonst noch zu dieser Hartnäckigkeit bewegen konnte, will ich nicht aussprechen, da es nur eine Vermuthung ist; allein so viel bleibt gewiß, daß sämmtliche Nonnen und überhaupt die Frauen die untere Disciplin vorzogen. Bei ihnen finde ich das ganz natürlich, denn ihr Oberkörper ist zart und schwach; aber warum die Kapuziner und später die Jesuiten sich zu dieser Geißelart bekannten – wird uns vielleicht später klar werden.

Doch will ich nun auch angeben, was gegen diese untere Disciplin hauptsächlich geltend gemacht wurde. Der Hauptanstand dabei war die durchaus nothwendige Entblößung von Körpertheilen, welche man nach den seltsamen Sittengesetzen sich mehr zu zeigen schämt, wie das Gesicht und die Hände oder andere, mehr vom Mittelpunkt des Körpers entfernte Glieder. Manche betrachten diese Art Scham als ein natürliches Gefühl; allein ich behaupte, daß sie ein künstliches und eine Folge unserer »Sündhaftigkeit« ist, um auch ein mal einen theologischen Ausdruck zu brauchen. Das erkennt ja selbst die Bibel an; denn vor dem sündhaften Apfelbiß fiel es weder Adam noch Eva auf, daß sie nackt waren. Erst als sie gesündigt hatten, schämten sie sich, diejenigen Glieder unverdeckt zu zeigen, welche Gott sich nicht geschämt hatte, ihnen unverhüllt zu geben. Dieses Schamgefühl, welches man seit dem Sündenfall fast bei allen Völkern findet, war aber schwerlich der Grund, welcher die älteren Verfasser der Klosterregeln bewog, ihren Mönchen und Nonnen zu verbieten, irgend einen Theil ihres nackten Körpers zu betrachten, sondern dieses Verbot ging aus der Kenntniß des sündhaften Menschen und aus der Furcht hervor, daß durch solche Selbstbetrachtung wollüstige Gedanken erzeugt werden möchten, welche nur das Halten des Gelübdes der Keuschheit erschwerten.

Höchst komisch ist der Eifer, mit dem einige Gegner des Selbstgeißelns von dieser Entblößung sprechen. Ich will nur das anführen, was der Abbé Boileau in seinem berühmten Werke darüber sagt: »Der h. Gregorius von Nyssa lobt in seiner kanonischen Epistel an Leloyus den Gebrauch, die todten Körper zu vergraben, welches man seiner Meinung nach thue, damit die Schande der menschlichen Natur nicht dem Sonnenlichte ausgesetzt werde. – Aber ist es bei der verdorbenen Natur nicht weit schamloser und niederträchtiger, beim Lichte der Sonne die Lenden junger Mädchen und ihre, obwohl der Religion geweihten, nichts desto weniger wunderschönen Schenkel zu zeigen, als einen bloßen und entstellten Leichnam?«

Nun heißt es der Frömmigkeit der Mönche und Nonnen aber wahrlich zu viel zugemuthet, wenn man von ihnen verlangte, daß sie, wenn sie sich zum Geißeln entblößten, nicht einmal die Körpertheile betrachten sollten, deren Anblick ihnen verboten war.Ich habe eine solche Enthaltsamkeit für unmöglich gehalten; indessen erzählte mir eine im Kloster erzogene Dame, daß sie jedes Mal beim Wechseln des Hemdes die Augen fest zugedrückt habe, um nur nichts Verbotenes zu sehen, weil sie sich scheute, diese Sünde zu beichten, und um keinen Preis dem Beichtvater etwas verschwiegen hätte. Diese Neugierde ist gar zu natürlich und verdankt ihren Ursprung meistens der Eitelkeit und einer gewissen Neigung, sich selbst zu bewundern, die unter den Menschen von jeher gewöhnlich gewesen sind, und es würde schwer halten, eine Periode in unserm Leben ausfindig zu machen, wo wir sagen könnten, daß wir von dieser Thorheit gänzlich geheilt wären. Alle Leute, die sich den Mangel der Haare und den Ueberfluß der Runzeln in ihrem Gesichte nicht verbergen können, bewundern wenigstens noch ihren wohlkonservirten Körper und machen es wie jene Dame, von der Brantome erzählt.

Diese Dame, die sehr schön gewesen war, aber anfing zu altern, wollte ihr Gesicht nicht mehr im Spiegel besehen, aus Furcht, auf demselben irgend eine neue, durch die Zeit angerichtete Verwüstung zu entdecken. Dafür unterließ sie es aber nie, ihren Körper zu betrachten, und pflegte dann stets mit einer Art von Entzücken auszurufen: »Gott sei Dank, hier werde ich nicht alt.«

Ein anderer Grund, welchen die Gegner der untern Disciplin geltend machten, hängt mit dem vorigen gewisser maßen zusammen. Er ist abermals medicinischer Art, und da ich mich auf diese Wissenschaft nicht verstehe, so will ich hier auch den Abbé Boileau reden lassen. Er sagt: »Wenn man ein Uebel flieht, so muß man wohl Acht geben, daß man nicht unklugerweise in das entgegengesetzte rennt, und daß man, nach dem lateinischen Sprüchwort, um die Scylla zu vermeiden, nicht in die Charybdis geräth. Wenigstens ist die Geißelung der Lenden um so viel gefährlicher, als die Krankheiten des Geistes mehr zu fürchten sind als die des Körpers. Die Anatomen bemerken, daß die Lenden sich bis zu den drei äußern Muskeln der Hinterbacken erstrecken, dem großen, dem mittleren und dem kleinen, und daß darin drei Zwischenmuskeln enthalten sind, oder ein einzelner, welchen man den dreiköpfigen Muskel nennt, oder den triceps, weil er an drei Orten des os pubis beginnt, an dem obern Theile nämlich, an dem mittleren und dem inneren. Hieraus folgt nun ganz nothwendig, daß, wenn die Lendenmuskeln mit Ruthen- oder Peitschenhieben genossen werden, die Lebensgeister mit Heftigkeit gegen das os pubis zurückgestoßen werden und unkeusche Bewegungen erregen. Diese Eindrücke gehen sogleich in das Gehirn über, malen hier lebhafte Bilder verbotener Freuden, bezaubern durch ihre trügerischen Reize den Verstand, und die Keuschheit liegt in den letzten Zügen.

»Man kann nicht daran zweifeln, daß die Natur auf dieselbe Weise verfährt, weil es außer den Nierenblut-, Samen- und Fettadern ( veines emulgentes, spermatiques et adipenses) noch zwei andere giebt, welche man Lendenadern nennt, und die sich zwischen dem Rückgrat, zu beiden Seiten des Rückenmarks befinden, und vom Gehirn einen Theil der Samenbestandtheile herführen, so daß diese durch die Heftigkeit der Peitschenhiebe erhitzte Materie sich in die Theile stürzt, welche zur Fortpflanzung dienen und durch den Kitzel und den Stoß des os pubis zur rohen fleischlichen Lust anreizen.«

Diese hier erwähnten Folgen der untern Disciplin waren entweder ihren Anhängern nicht bekannt oder wurden nicht von ihnen gefürchtet, indem sie es, so aufgeregt, vielleicht für um so verdienstlicher hielten, ihr »Fleisch« zu besiegen. Wie die Herren Jesuiten auf diesen Umstand spekulirten, werden wir in der Folge sehen. –

Auch über die Wahl und Zweckmäßigkeit der Geißelinstrumente war man nicht einig, und es herrschten darüber die verschiedensten Ansichten. Manche, vom heiligen Bußeifer ergriffen, geißelten sich mit dem ersten besten Instrumente, welches ihnen in die Hand fiel, war es nun ihr Hut, ein zusammengedrehtes Handtuch oder, wie jener Heilige die Gewohnheit hatte, eine Feuerzange. Andere bedienten sich, wie Dominikus der Gepanzerte, der Besenruthen, andere, wie Dominikus, der Vater des Dominikaner, der eisernen Ketten; noch andere gebrauchten knotige lederne Riemen oder Dornen, Disteln oder Nesseln. Die heilige Brigitte geißelte sich mit einem Büschel Weidenzweige, und eine andere Dame mit einem Federbüschel oder Fuchsschwanz. Manche nahmen auch wohl die flache Hand oder ihr Blanchet, womit ich selbst einmal von einer Dame gegeißelt worden bin.

Man darf indessen nicht glauben, daß der Gebrauch der freiwilligen Disciplin so ohne Widerstand in der christlichen Kirche eingeführt wurde. Es gab selbst unter den Freunden Damiani's einige, welche dieser Verkehrtheit geradezu entgegen waren und sie lächerlich zu machen trachteten. Einer derselben war der Mönch Peter Cerebrosus, welcher zwar nicht geradezu das Selbstgeißeln, aber doch die Art und Weise, wie es geschah, und besonders die lange Dauer der Züchtigung verwarf. Dies veranlaßte den Kardinal, ihm, wie er schon öfters gethan hatte, einen Brief zu schreiben, in welchem er ihn bat, sich deutlicher über diesen Gegenstand zu erklären. Damiani konnte es nicht zusammenreimen, wie man das Geißeln an und für sich nicht tadeln und dennoch eine Beschränkung desselben verlangen konnte. Wenn eine Disciplin von fünfzig Hieben erlaubt sei, so müsse eine von hundert oder zweihundert oder von mehreren tausenden es noch bei weitem mehr sein, da es unvernünftig sei, den größten Theil einer Sache zu tadeln, deren kleinsten man doch gutgeheißen habe. Cardinal Stephan erklärte sich ebenfalls heftig gegen die Selbstgeißelung und die florentinische Geistlichkeit erhob sich in Masse dagegen, als einer gefährlichen Neuerung in Kirchensachen.

Damiani und seine Anhänger suchten aber den Gebrauch des Selbstgeißelns aus der Bibel zu rechtfertigen, indem sie sich darzuthun bemühten, wie selbst Personen des alten und neuen Testaments sich selbst gegeißelt hätten. Cardinal Hosius aber schreibt, wie uns der gelehrte St. Adelgonde berichtet: »daß die Schrift nur ein loser, dürftiger, todter Buchstabe ist, der nicht werth ist, daß man sich viel mit ihm bemühe, viel weniger, daß einer sein Heil darauf setze, dieweil sie eine wächserne Nase ist, die einer in allerlei Gestalt biegen kann,« und es ist in der That ergötzlich zu sehen, wie diese Nase von den Vertheidigern des Geißelns gebogen wurde.

Daß die Bibel eine sehr große Menge von Stellen enthält, in welchen von erhaltenen Schlägen überhaupt die Rede ist, wird sich Jeder erinnern, der sie gelesen hat, aber es sollte ihm sehr schwer werden, eine einzige aufzufinden, die von einem vernünftigen Menschen als ein Beweis für das freiwillige Geißeln unter den alten Juden oder ersten Christen aufgeführt werden könnte, denn dazu gehört eine ganz besonders spitzfindige Pfaffennase.

Ich sagte schon früher, daß man die Psalmen Davids zu diesem Zwecke mißbrauchte, und besonders ist es eine Stelle im 73. Psalm, aus der Damiani's Anhänger herleiten wollen, daß sich der fromme König alle Morgen höchst eigenhändig durchgebläut habe. Sie heißt nach Luthers Uebersetzung V. 14.: »Ich bin geplaget täglich, und meine Strafe ist alle Morgen da.« – Eine andere Stelle steht im 150. Ps. V. 4: »Lobt den Herrn mit Pauken.« Da die Pauke eine trockene Haut ist, sagt Damiani, so lobt der den Herrn wahrhaftig mit Pauken, der seinen von Fasten ausgemergelten Körper durch die Disciplin schlägt. Mit dem Körper hat der fromme Cardinal überhaupt wenig Mitleid, indem er an einer Stelle von ihm sagt: »Was ist dein Leib? Ist er nicht Aas, ein Madensack, Staub und Asche? Werden die Würmer dir danken, daß du ihn so wohl gepflegt hast?«

Die Hauptbeweisstelle, auf welche sich die Geißler besonders stützen, findet sich aber 1. Corinth. 9, 27, wo der Apostel Paulus sagt: »Ich bezwinge meinen Leib und bringe ihn zur Dienstbarkeit.« Jeder vernünftige Mensch wird einsehen, daß Paulus damit nur sagen will: »meine menschliche Natur treibt mich an zu thun, was ich nicht für recht halte; allein durch die Kraft meines Geistes und meines Willens unterdrücke ich die vom Körper ausgehenden Versuchungen und zwinge diesen, sich nach dem Willen meines Geistes zu richten.« –

Die Vertheidiger des Selbstgeißelns, darunter der gelehrte Jesuit Gretser, behaupten gradezu daß jene in griechischer Sprache geschriebenen Worte dem buchstäblichen Sinne nach lauten: »ich drücke meinem Leibe die Geißel oder die Merkmale der Geißel ein, so daß er durch die harten Schläge braun und blau wird.« Diese Erklärung muß dem deutschen Leser ganz und gar verrückt erscheinen, besonders da die obige Uebersetzung etwas frei ist. Eigentlich würde diese Stelle heißen: »Ich halte meinen Körper streng (oder auch: ich behandle ihn hart) und bringe ihn zur Dienstbarkeit«; allein unglücklicher Weise steht im Urtext ein Wort, welches, streng wörtlich genommen, einen Schlag in das Gesicht bedeutet, wie ihn die Faustkämpfer sühnen, um Jemand ein Auge blau zu schlagen. Diesen Ausdruck, den der Apostel ganz bildlich gebraucht, faßte man nun wörtlich auf! Durch ein Beispiel wird die Sache ganz klarwerden. Ich schreibe: »N. N war bei mir und hat mich zwei Stunden lang auf die jämmerlichste Weise gequält, da ich ihm kein Geld leihen wollte.« Hieraus schließt nun nach Jahrhunderten ein Ausleger, daß N. N. mich mit glühenden Zangen gekniffen und mir die Haut abgezogen habe; denn er findet in einem alten gerichtlichen Urtheile, »daß der Verbrecher vor seinem Tode jämmerlich gequält werden solle,« und liest weiter, daß dieses Quälen in Hautabziehen oder Kneipen mit glühenden Zangen bestanden habe. Dieser Ausleger hat ebenso Recht, wie der Jesuit Gretser und andere Verdreher von Bibelstellen. Ueber diese Stelle des Briefes an die Corinther hat man dicke Bände voll geschrieben, und deshalb wird man mir hoffentlich diese Seite verzeihen, besonders da ich mehr für römische Katholiken als für gescheute Leute schreibe.

Daß die Christen der ersten Jahrhunderte und selbst der heilige Hieronymus vom Selbstgeißeln nichts wußten, daß dasselbe wenigstens noch nicht als Bußübung gebräuchlich war, geht aus den Schriften der altern Kirchenschriftsteller ganz klar hervor, wenn sich auch der jesuitische Scharfsinn an einigen Stellen in der Art des paulinischen Ausspruchs, aber mit nicht besserem Glück versucht hat. Hieronymus, der so viel vom Büßen und von der Besiegung des Fleisches spricht, würde doch in seinen vielen Schriften einmal vom Selbstgeißeln geredet haben, wenn es zu seiner Zeit schon gebräuchlich gewesen wäre. Sabinus, von dem ich schon im ersten Buche redete, dieser gottlose Priester, der sogar die Krippe, in welcher Christus gelegen, dadurch schändete, daß er in ihr ein Mädchen zu notzüchtigen trachtete, – dieser wurde von dem heiligen Hieronymus zu allen möglichen Bußen ermahnt: allein die Selbstgeißelung ist nicht darunter. – Alles dies machten die Gegner derselben geltend und zahlten ihren Vertheidigern mit gleicher Münze, indem sie ebenso wie jene Worte und Aussprüche verdrehten. So hatte man in den ersten Jahrhunderten – entweder im 4 ten oder 5 ten – über die Säule, an welche Christus gebunden und gegeißelt worden war, eine lateinische Inschrift gesetzt, die wie folgt, übersetzt wurde: »In diesem Hause stand unser Herr gebunden; er ward an diese Säule befestigt und bot gleich einem Sklaven seinen Rücken der Geißel dar. Diese ehrwürdige Säule steht noch bis jetzt, trägt den Tempel und belehrt uns, daß wir von aller Geißelung frei sind.« Der lateinische Schluß, auf den es hier besonders ankommt, heißt: Nosque docet cunctis immunes vivere flagris. Das Wort flagrum bedeutet freilich eine Geißel, aber auch eine wollüstige Neigung oder »Regung des Fleisches,« und die Gegner der Geißelung zogen die erste Uebersetzung vor, weil diese ihnen freilich einen schlagenden Beweis dafür darbot, daß die Disciplin unter den Christen der früheren Jahrhunderte nichts weniger als allgemein üblich war, wenn es unter ihnen auch schon hier und da einen Geißelnarren gegeben haben mag.

Damiani war klug genug, diese sich gegen seine Lehren erhebenden Stimmen wenigstens in so weit zu berücksichtigen, daß er in der Praxis einige Mäßigung beobachtete, wenn er auch innerlich damit durchaus nicht einverstanden war. Er schrieb seinen Mönchen einen Brief, in welchem er ihnen von zu anhaltender Disziplin abrieth, da er gehört, daß manche von ihnen täglich einen oder zwei Psalter vollbrächten, und man glaube, daß dies der Gesundheit schädlich sei. Ferner würden auch viele Brüder durch übertriebene Vorstellung von der Härte ihrer Disciplin abgeschreckt, in ihre Congregation zu treten. Er verordne also, daß niemand zur eignen Disciplin gezwungen werden solle, wen aber der heilige Eifer dazu treibe, der solle an einem Tage höchstens vierzig (doch in den Fasten vor Ostern und Weihnachten sechszig) Psalmen hindurch sich geißeln dürfen.

Unter den Vorschriften, welche in Damiani's Congregation befolgt wurden, finden wir auch folgende: Wenn ein Bruder starb, so fastete jeder sieben Tage für ihn, empfing sieben Disciplinen mit hundert Schlägen, machte siebenhundert Kniebeugungen und sang außerdem dreißig Psalmen nach der gewöhnlichen Weise; starb aber ein Novize, ehe er die ihm auferlegte Buße hatte vollbringen können, so wurde die Buße unter die Brüder zu gleichen Theilen vertheilt und mit Freude vollbracht. – Aus solchen Thatsachen erkennt man den damaligen religiösen Zeitgeist, dessen Hundstage damals begannen.

Die Gegner des Geißelns drangen nicht durch, und der Unsinn siegte, besonders da der Zufall wollte, daß einige der heftigsten Widersacher, darunter auch der Cardinal Stephan und dessen Bruder, eines plötzlichen Todes starben. Das dumme Volk schrie: Gottesgericht! und so wurde dem lieben Gott abermals eine menschliche Dummheit aufgebürdet. Die Mönche von Monte Cassino, welche in Folge der Streitigkeiten die Geißelungen an den Freitagen unterlassen hatten, führten diese schleunigst wieder ein, um nicht auch von Gottes Zorn getroffen zu werden. –

Von nun an nahm das freiwillige Geißeln überhand, und wir finden es allein bei Geistlichen und in den Klöstern, sondern unter allen Ständen und selbst bei Frauen. Der heilige Andreas, Bischof von Fiesola, der Abt Poppo, aber besonders der heilige Anthelm, Bischof von Bellay, waren große Geißler. Letzterer lebte etwa hundert Jahre nach Dominikus und Rodulphus von Eugubio. Einer seiner vertrautesten Freunde hat sein Leben beschrieben. In diesem Buche heißt es: »Jeden Tag geißelte er sich selbst und zwar so oft und so heftig, daß seine Haut niemals ganz heil ward, und er die Merkmale der Geißelstreiche stets mit sich herumtrug.« Trotz dieser heftigen Geißelungen wurde der heilige Anthelm sehr alt und es ist auffallend, daß dies fast bei allen Selbstquälern dieser Art der Fall ist. Dominikus, der Gepanzerte wurde vierundachtzig Jahre alt. Der heilige Romuald, von dem ich schon früher erzählte, soll hundertundzwanzig Jahre erreicht haben und ein anderer Geißelnarr, Leo von Preza, gar hundertundvierzig Jahre.

Ja sogar Könige dieser Zeit geißelten sich selbst, wenn wir nämlich den Erzählungen der Pfaffen Glauben schenken dürfen. So berichtet uns Reginhardt von Kaiser Heinrich II., daß er sich niemals unterstand, seinen kaiserlichen Schmuck anzulegen, bevor er nicht die Erlaubniß eines Priesters dazu erhalten, und es sich durch Beichte und Geißelung verdient hatte.

Ludwig der Heilige, König von Frankreich, war eben ein solcher Narr. Wilhelm von Nangis erzählt von ihm, daß er sich nach der Beichte jedes Mal von seinem Beichtvater habe geißeln lassen und fügt hinzu: »Ich darf es nicht unterlassen, noch aufzuzeichnen, daß der Beichtvater, den er vor dem Bruder Geoffroi de Beaulieu (oder de Bello loco) hatte, und der ein Dominikaner war, die Gewohnheit hatte, ihn so hart zu geißeln, daß sein zarte und empfindlicher Körper davon sehr viel zu leiden hatte. Dessenungeachtet ließ er sich, so lange dieser Beichtvater lebte, niemals gegen diesen darüber aus: aber nach dem Tode desselben erwähnte er es scherzend, gegen den neuen Beichtvater, jedoch nicht ohne Ehrfurcht.«

Man geißelte sich aber nicht nur zur Buße für Sünden, die man selbst oder die ein anderer begangen hatte, nein, man geißelte sich förmlich in Vorrath und einzig und allein zu dem Zwecke, den Berg seines Verdienstes immer mehr zu erhöhen, da man glaubte, des Guten dieser Art nie genug thun zu können. Ich greife zum ersten besten Beweise, den ich gerade vorfinde. Es ist dies eine Stelle in den Statuten der berühmten Abtei Clugny, welche Peter Mauritius, gewöhnlich der Ehrwürdige zugenannt, der 1122 Abt wurde, gesammelt hat. Hier heißt es im 53. Kapitel: »Es ward befohlen, daß der Theil des Klosters, welcher zur linken Seite über dem linken Chore war, keinem Fremden offen stehen sollte, er mochte zur Klerisei ober unter die Laien gehören, wie es früher gewesen war, und sollte Niemand außer den Mönchen hineingelassen werden. Dies war deswegen festgesetzt, weil die Fratres, die alte Peterskirche ausgenommen, keinen Platz hatten, wo sie dergleichen heilige und geheime Uebungen vornehmen konnten, wie sie in den Klöstern in Gebrauch waren; sie machten daher auf diesen neuen Theil der Kirche Anspruch, damit sie an diesem Orte bei Tage sowohl als bei der Nacht unaufhörlich ihre Gebete zu Gott abschicken, ihren Schöpfer durch häufige Bußübungen und öfteres Kniebeugen zum Erbarmen bewegen und ihren Körper dreifach geißeln könnten, entweder ihrer Sünden wegen oder zur Vermehrung ihrer eigenen Verdienste.«

Die guten Mönche scheinen auch an unendlich viel Abstufungen der Seligkeit geglaubt zu haben; es genügte ihnen nicht, einfach selig zu sein, sie wollten seliger als selig werden, oder vielleicht in den fünfunddreißigsten Himmel kommen, wie der indische Fakir in Voltaires köstlicher Satire. In dieser heißt es: »Mein Freund Omri führte mich unter anderm zur Zelle eines der berühmtesten von ihnen (der Gynmosophisten oder nackten Philosophen nämlich). Bahabek war sein Name. Er war so nackend, wie er auf die Welt gekommen war, und hatte eine große Kette um den Hals, welche über sechszig Pfund wog. Er setzte sich auf einen hölzernen Stuhl, welcher über und über mit kleinen Nagelspitzen versehen war und welche alle in seinen Hintern hineinfuhren. Demungeachtet that er dies mit so vielem Anstand, und ließ so wenig Zwang dabei merken, daß man viel eher hätte glauben sollen, er setzte sich auf ein sammetnes Kissen.

»Ganze Heere von Frauenzimmern strömten zu ihm, um ihn um Rath zu fragen. Er war Orakel fast aller Familien in der ganzen Nachbarschaft und stand, die Wahrheit zu gestehen, wirklich in sehr großem Ansehen. – Ich war bei einer langen Unterredung gegenwärtig, welche Freund Omri mit ihm hielt.

»Glaubt ihr, ehrwürdiger Vater,« sagte mein Freund, »daß ich, wenn ich durch sieben verschiedene Körper gegangen bin, endlich in das Haus des Brahma kommen werde?« – »Ich will es wünschen,« sagte der Fakir, »welche Lebensart führst du?« –

»Ich gebe mir Mühe,« antwortete Omri, »ein guter Unterthan, ein guter Ehemann, ein guter Vater und ein guter Freund zu sein; ich leihe mein Geld den Reichen, welche es bedürfen, ohne Zinsen, und den Armen schenke ich es; ich suche Einigkeit unter meinen Nachbarn zu halten.«

»Aber du hast denn doch auch irgend einmal Nägel in deinen Hintern geschlagen?« fragte der Brahmine.

»Nein, ehrwürdiger Vater, niemals –

»Ei das thut mir leid,« antwortete der ehrwürdige Herr, »wirklich, das thut mir sehr leid. Es ist jammerschade. Aber du willst gewiß nicht höher als in den neunzehnten Himmel kommen?«

»Nicht höher?!« – versetzte Omri. »Im dritten bin ich vollkommen mit meinem Schicksal zufrieden – aber in welchen Himmel glaubt ihr denn mit euren Nägeln im Hintern und mit eurer Kette zu kommen, ehrwürdiger Bahabek?«

»– In den fünfunddreißigsten!« antwortete dieser.«

Durch die Lehre und das Beispiel der Geißler und besonders durch die Schriften des Cardinals Damiani griff die Geißelwuth immer mehr um sich und steckte auch, wie ich schon bemerkte, fromme Frauen an, die überhaupt allem religiösen Unsinn am zugänglichsten sind. Damiani unterhielt einen sehr lebhaften Briefwechsel mit einer Gräfin Blanka, mit welcher er Ideen über das Geißeln austauschte. – Eine andere von Damiani zum Geißeln verführte vornehme Dame war die Wittwe Zechald, von welcher der Cardinal mit hohem Lobe redet. Sie übernahm vermöge eines gethanen Gelübdes eine hundertjährige Buße, auf jedes Jahr 3000 Hiebe gerechnet, was die anständige Summe von dreimal hunderttausend Hieben macht. Leider hat der Cardinal vergessen, anzumerken, mit was für einem Instrument diese Buße erfüllt wurde. – Das Beispiel dieser vornehmen und angesehenen Damen und besonders Damianis erbauliches Traktätlein »vom Lobe der Geißeln und der Disciplin« machte die Buße dieser Art, auf hundert Jahre nämlich, in vielen italienischen Städten in den Privathäusern zur Modesache – und der heilige Antonius von Padua kann diese gottselige Mode nicht laut genug preisen. Der heilige Franziskus nennt ihn aber auch ein »Rindvieh«, und ich mag ihm nicht widersprechen, und um so weniger als dieses heilige »Rindvieh« der Urheber der Geißelprozessionen wurde, von denen ich weiter unten weitläuftiger reden muß.

Wollte ich alle wahnsinnigen oder hysterischen Weiber nennen, welche sich den Leib zerfetzten oder mit Ruthen peitschten und dafür von der römischen Kirche heilig gesprochen wurden, dann müßte ich meine Leser noch lange langweilen; ich will daher nur einige der vorzüglichsten Geißlerinnen anführen.

Die heilige Brigitte von Schweden war die Wittwe des Königs Sueno. Schon als zwölfjähriges Mädchen hatte sie die seltsame Leidenschaft, ganz nackt vor einem Kruzifix zu beten. Einst wurde sie in dieser seltsamen Betstunde von ihrer Muhme überrascht, welche ganz andere Gründe als Andacht für das Nacktsein der jungen Prinzessin vermuthete und befahl, ihr eine Ruthe zu bringen. Diese wurde alsbald mit Thätigkeit und Geschicklichkeit gehandhabt; aber – o Wunder! – kaum hatte Brigitte einige Schläge erhalten, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel und sie erkannte, welchen köstlichen Schatz sie in dieser Ruthe bisher unbeachtet im Hause gehabt habe.

Von nun an legte man Brigittens frommen Uebungen kein Hinderniß in den Weg; sie konnte sich nach Gefallen aus- und ankleiden, und so viel es ihr beliebte, die Ruthe geben. – Die Schläge schienen aber ihre Wirkung auf das os pubis und weiter auf das Gehirn nicht verfehlt zu haben, denn die heilige Brigitte hatte mystische Visionen und Offenbarungen, besonders über die Art der Geißelung Christi, von welcher sie behauptete, daß dieselbe ganz außerordentlich schmerzhaft gewesen sei, den Angaben der Kirchenväter zuwider, welche sagen: daß Jesus nicht nach der schmerzhaften römischen, sondern nach der jüdischen Weise gegeißelt worden sei und daher nicht mehr als neununddreißig Streicher empfangen habe.

Diese heilige Brigitte hatte eine Tochter Namens Katharina, welche schon frühzeitig in die Geißelmysterien der Mutter eingeweiht wurde. Trotz aller Schläge ward sie ein sehr schönes und vielleicht eben wegen dieser Schläge ein verliebtes Mädchen. – Das Bild eines schönen Mannes, der durch Meere von ihr getrennt war, erfüllte mehr ihre Seele als das des gegeißelten Jesus, und nächtlicher Weile hatte sie Versuchungen, welche sie sehr quälten. Sie klagte diese Noth ihrer heiligen Mutter. Diese bat ihren Beichtvater, sich der armen Versuchten anzunehmen, und die schöne Katharina bekam in ihrem Schlafzimmer in Gegenwart der Mutter ganz besonders tüchtig die Ruthe. Anfangs war sie so heldenmüthig, den ehrwürdigen Pater zu bitten, sie nur ja nicht zu schonen; aber dieser ließ sich die Sache so angelegen sein, daß es ihr doch zu viel wurde und sie erklärte, daß sie spüre, wie die Versuchung gänzlich von ihr gewichen sei.

Die heilige Hedwig, Herzogin von Polen, Gemahlin Heinrichs des Bärtigen und Tochter des Herzogs Berthold von Meranien, war eine ebenso leidenschaftliche Geißlerin wie die heilige Brigitte. L. Surius, der ein Leben der Heiligen und auch über das Geißeln geschrieben hat, spricht sich über sie auf folgende Weise aus: »Um Christo, der für alle gestorben ist, leben zu können, tödtete Hedwig die Glieder ihres Leibes auf das Härteste mit Geißeln ab. Sie nahm das Kreuz der täglichen Züchtigung auf ihre Schultern: und schritt Christus mit männlicher Brust nach, weil sie aus Liebe zu ihm nicht fürchtete, ein Opferlamm zu werden, in Erinnerung der unermeßlichen Liebe, welche ihn bewogen, für das Heil Aller sich kreuzigen zu lassen. Mit dem Dolche der Leiden erstach sie das Laster, bändigte sie die thierischen Triebe, zähmte sie den Muthwillen der äußern Sinne und zwang sie den innern Menschen zu Einschlagung des Gnadenweges und zum Wandeln auf dem Pfade der Tugend und Vollkommenheit.

»Da sie jedoch Christo, welcher unsertwillen völlig entblößt ans Kreuz geschlagen wurde, nicht so ganz nachfolgen konnte, darin, daß auch sie sich völlig entblößte, so strebte sie wenigstens auf das Standhafteste ihm darin nachzuahmen, daß sie die dünnsten und schlechtesten Kleider anzog, welche sie kaum zur Nothdurft bedeckten und blos in demjenigen bestanden, was unsere durch die Sünde verdorbene Natur schlechterdings nicht entbehren kann. Ab warf sie dagegen allen Prunk von kostbaren Seide- und Pelzstoffen, an denen sie Ueberfluß hatte. Im Winter und Sommer, in Hitze und Kälte trug sie ein einziges Gewand und einen einfachen Mantel auf ihrem Leibe, der von Fasten ganz abgemergelt war. Unter ihrer schmutzigen und bleichen Haut, welche durch die unaufhörlichen Geißelstreiche eine ganz eigene Farbe erhalten hatte und stets mit Striemen und Wunden überdeckt ward, schienen nichts mehr als Knochen übrig zu sein; aber sie achtete nicht den Frost, der den Außenleib quälte; sie fühlte nur die heilige Liebe im Innern brennen.«

Ihre Verwandten und Umgebungen, ja selbst ihr Beichtvater drangen vergebens in sie, daß sie sich etwas mehr schonen solle. »Die heilige Liebe, die in ihrem Innern brannte,« hatte ihr dermaßen das Gehirn versengt, daß sie nicht einmal dazu zu bewegen war, während des harten polnischen Winters Schuhe anzuziehen.

Eine andere Närrin dieser Art war die Nichte der heiligen Hedwig, die Tochter des Königs Andreas II. von Ungarn und Gemahlin des Landgrafen LudwigThiers in seiner critique de l´Histoire de Flagellans nennt (p. 373 u, 74) ihn irrthümlicher Weise Herrmann. von Thüringen und Hessen, die heilige Elisabeth. In verkehrter Frömmigkeit erzogen, war sie schon in früher Jugend dem Mystizismus anheimgefallen, und quälte ihren zarten und schönen Körper mit Bußübungen jeder Art. Diese setzte sie auch fort, als sie den schönen und ritterlichen Landgrafen heirathete. Oft schlich sie sich mitten in der Nacht von der Seite desselben hinweg, weckte ihre Frauen und ließ sich von ihnen in einem besonderen Zimmer die Disziplin geben, so daß diese sie mit weinenden Augen baten, gegen sich selbst doch barmherziger zu sein.

Später wurde sie noch strenger gegen sich, als sie sich nämlich unter die Leitung des berüchtigten Dominikanermönchs Conrad von Marburg begab, desselben, welcher den vergeblichen Versuch machte, die Inquisition auch in Deutschland einzuführen. Nie ist eine fürstliche Person mehr von einem Pfaffen tyrannisirt worden, als Elisabeth von Thüringen von diesem Dominikaner! Ohne den Willen dieses Gewissensrathes durfte sie nicht das Geringste thun; er behandelte sie ganz und gar wie ein Kind, und Elisabeth ertrug alle seine Launen mit einer gleichen Sanftmuth und Ergebenheit, wenn sich dieselben auch auf die übermütigste Weise äußerten.

Einst hatte die Landgräfin Besuch von fürstlichen Verwandten und folgte nicht, als ihr Conrad befehlen ließ, zu seiner Predigt oder Homilie zu kommen. Der hochmüthige Pfaffe wurde hierüber wüthend und drohte ihr, sich gar nicht mehr um sie zu bekümmern, was Elisabeth als das schrecklichste Unglück erschien. Sie bat ihren Peiniger auf den Knieen um Verzeihung und erklärte sich bereit, sich jeder Strafe zu unterwerfen. Sie und ihre vier Hofdamen, welchen ihr Ungehorsam Schuld gegeben ward, wurden bis aufs Hemde ausgezogen und tüchtig gegeißelt.

Als Landgraf Ludwig bei Otranto gefallen und Elisabeth dadurch Wittwe geworden war, wurde die Strenge und der Uebermuth Conrads immer ärger. Er gab ihr besondere Aufseherinnen, die an Frechheit mit ihm wetteiferten und unter Anderem auch darauf zu sehen hatten, daß sie gegen Arme nicht zu freigebig war, weil dadurch dem Orden der Dominikaner eine Einnahme entzogen wurde. Mehrmals erhielt Elisabeth für ihre Mildthätigkeit Strafe. –

Einst besuchte die Landgräfin mit ihrer Vertrauten, dem Kammerfräulein Irmtraud, ein benachbartes Kloster, welches dem Mönch Conrad mißfiel und dessen Besuch er seiner geistlichen Tochter verboten hatte. Dieser offenbare Ungehorsam erzürnte ihn so sehr, daß er ihn auf außerordentliche Weise zu bestrafen beschloß. Sowohl die Landgräfin wie ihr Fräulein mußten sich vor ihm auf die Kniee werfen und während er das Miserere betete, erhielten sie von seinem Gehilfen, dem Laienbruder Gerhardt, eine nach der anderen auf den bloßen Unterkörper so heftige Schläge mit einer dicken Ruthe, daß die Striemen bei Elisabeth noch vier Wochen darauf sichtbar waren.

Kurz nach dieser Geißelung besuchte sie ihr alter Freund und Vertrauter, Schenk von Vargula. Dieser konnte sein Mißvergnügen über die zu weit getriebene Unterwürfigkeit gegen den Pfaffen nicht verhehlen, wie auch das zweideutige Gerede der Leute, welche ein Liebesverhältnis zwischen ihr und Conrad voraussetzten. Zur Rechtfertigung ihrer Ehre setzte sich Elisabeth über die Scham hinaus, hob ihre Kleider auf und zeigte ihrem Freunde die Striemen auf ihrem Körper und sagte: »Sehet da die Liebe, die der heilige Mann zu mir trägt und die ich zu ihm trage.« – Schenk mußte schweigen und konnte nur den frommen Wahnsinn seiner sonst so verständigen Freundin beklagen. – Sie starb 1231 in ihren besten Jahren und wurde auf Antrag ihres Quälers, Conrad von Marburg 1236 heilig gesprochen.

Maria von Cugny trieb vierzig Tage hindurch einen seltsamen Gottesdienst. Sie beugte Tag und Nacht hindurch 1001 mal die Knie, rief die heilige Jungfrau an und betete den Psalter. Wurde sie »vom Geist« ergriffen, dann nahm sie eine tüchtige Ruthe und schlug sich damit beim jedesmaligen Niederknien, und zwar so heftig, daß bei den letzten paar hundert Hieben, das Blut an ihrem Körper herunterströmte. – Aehnlich trieben es die heilige Hildegard zu Cöln und eine Menge anderer heiliger Frauen, die ich zum Theil schon im ersten Buche genannt hab.

Schon kurze Zeit nach Damiani's Tode hatte die Geißelwuth selbst in den Klöstern so überhand genommen, daß Verordnungen dagegen erlassen werden mußten. Die erste rührt vom heiligen Bruno her, der den Carthäuser-Orden stiftete. In seinen Statuten findet sich folgende Verordnung: »Was dergleichen Geißelungen, Wachen und andere Klosterübungen betrifft, welche nicht ausdrücklich in unsern Vorschriften anbefohlen worden sind, so soll sie keiner unter uns vornehmen, es geschehe denn mit der Erlaubnis des Priors.«

Damit war jedoch wenig gethan. Die Liebhaber der Geißelung unter den Pfaffen erfanden die seltsamsten Geschichten, welche den Werth derselben in das rechte Licht stellen sollten. So behaupteten Einige, daß die Geißelung die Kraft besäße, die Seelen sogar aus der Hölle zu erretten, schrieben ihr also mehr Wirksamkeit zu als der heiligen Messe, welche die Seelen nur aus dem Fegefeuer befreien soll. So erzählt Vincent von Beauvais, der im Jahre 1256 starb, eine »Thatsache,« die ihm von dem Erzbischof von Umbert mitgeteilt wurde, folgenderweise: »Der Erzbischof Umbert erzählt, daß in dem Kloster St. Silvester im Herzogthume Urbino ein Mönch gestorben. Die Brüder sangen unaufhörlich vom ersten Abendgeschrei des Hahnes bis zwei Uhr Morgens bei seiner Leiche; als sie aber darauf für den Verstorbenen die Messe lasen und das Agnus Dei begannen, erhob sich dieser plötzlich wieder. Die erstaunten Mönche näherten sich ihm, um zu hören, was er zu sagen habe; aber er ließ Lästerungen und Blasphemien gegen Gott hören; spuckte auf das Kreuz, welches man ihm zum Kusse vorhielt, überhäufte die unbefleckte Mutter Gottes mit den grimmigsten Vorwürfen und sagte dann zu den Mönchen: Weshalb singt ihr und lest Messe für mich? Ich war in den Flammen der Hölle, wo Lucifer, mein Herr und Meister, mir eine immerwährend brennende Krone von Erz auf den Kopf setzte und mir ein Gewand von demselben Metall auf den Rücken legte, womit er selbst bekleidet war. Dieses Gewand reichte nicht bis auf die Fersen, aber es war so durchglüht, daß geschmolzene Tropfen davon auf die Erde zu fallen schienen.

»Die Brüder ermahnten ihn darauf, seine Sünden zu bereuen; aber er verfluchte sie und leugnete alle Geheimnisse unsers Erlösers. Die Mönche beteten darauf inbrünstig für ihn, entkleideten sich, um sich zu geißeln, mit der Faust vor den Magen zu schlagen und alle Arten heftiger Bußen an sich vorzunehmen. Dies hatte eine so große Wirkung, daß der Verzweifelte alsbald wieder zu sich kam; er erkannte die Allmacht des Heilandes, entsagte den Irrthümern des Satans, betete das Kreuz an und verlangte Buße zu thun. Das Verbrechen, dessen er sich anklagte, war: daß er, als er sich schon dem geistlichen Leben gewidmet, Ehebruch begangen und diese Sünde niemals gebeichtet hatte. Er pries Gott und lebte bis zum anderen Tage, und nachdem er eine heilige Beichte abgelegt, starb er abermals.«

Folgende Geschichte ähnlicher Art, die denselben Zweck hatte, erzählt Thomas de Chantpré, der mit dem Erzähler der vorigen zu gleicher Zeit lebte: »Hugo war ein Ordensbruder in dem Kloster St. Victor zu Paris. Man nannte ihn wegen seiner außerordentlichen Gelehrsamkeit den zweiten Augustinus. Wenn er aber im Allgemeinen auch große Achtung verdiente, so kann man doch nicht sagen, daß er vollkommen war, weil er sich wegen seiner täglichen Sünden weder allein in seiner Zelle, noch im Chor in Gesellschaft seiner Brüder geißelte. Dies kam daher, wie man mir sagte, weil er schwach und seit seiner Jugend verzärtelt war. Da er sich aber nicht bemühte, über seine Natur Herr zu werden oder vielmehr über eine Gewohnheit, die durchaus nicht gut war, so erfahrt nun, was er dafür in der anderen Welt zu leiden hatte. Als er schon dem Tode nahe war, bat ihn einer seiner liebsten Freunde, ihm nach dem Tode zu erscheinen. Er antwortete, daß er das herzlich gern thun wolle, wenn es ihm der Herr über Leben und Tod erlauben würde. Nachdem er dieses Versprechen gegeben hatte, starb er, und es dauerte nicht lange, so kam er zu seinem ihn erwartenden Freunde und sagte: »Hier bin ich, frage, was du zu fragen hast, ich kann nicht bei dir verweilen.« Der Andere, zu gleicher Zeit erschreckt und erfreut, erwiderte: »Nun Lieber, wie steht es mit dir?« »Sehr gut,« antwortete Hugo, »da ich mich aber in dieser Welt geweigert habe, mich zu discipliniren, so war da fast nicht ein Teufel aus der Hölle, der mich auf meinem Wege ins Fegefeuer nicht schrecklich gegeißelt hätte.««

Kurz, das Geißeln erschien als durchaus nothwendig, und sowohl Gott wie die Heiligen und die Jungfrau Maria fanden Gefallen daran und ließen sich dadurch versöhnen. Die Pfaffen erzählten davon merkwürdige Geschichten. Eine derselben findet sich in einem Buche, welches Itinerarium Cambriae betitelt und von einem Walliser Namens Sylvester Geraldus, der um 1188 lebte, verfaßt worden ist.

»Die Concubine des Kirchenvorstehers der Kirche von Hooëden, welches in Northumberland im nördlichen England liegt, setzte sich eines Tages unachtsamer Weise auf das Grabmahl der heiligen Osanna, der Schwester des Königs Osred, welches von Holz war und in Form eines Sitzes sich über dem Grabe erhob. Als sie aber aufstehen wollte, saß sie so fest im Holze, daß sie es nicht eher vermochte, als bis sie in Gegenwart des herzueilenden Volkes sich ausgekleidet und unter einem Strome von Thränen und bitterer Reue eine Geißelung bis aufs Blut empfangen, eifrig gebetet und eine Buße für das ganze Leben angelobt hatte. Nun erst konnte sie durch ein Wunder des Himmels aufstehen.«

Beweise dieser Art, daß die Heiligen Liebhaber vom Geißeln sind, giebt es noch sehr viele; allein ich übergehe sie und erzähle nur einige, die auf die allerglückseligste Jungfrau Maria Bezug haben. Eine davon erzählt Cardinal Damiani selbst unter dem Titel: »Die gebenedeite Jungfrau befiehlt, daß einem Geistlichen, der sie verehrt, eine Präbende wiedergegeben wird.« »Ferner,« sagt der Cardinal, erzählte mir Stephan eine andere Geschichte, welche er indessen nicht für so gewiß wie die vorhergehende hielt. Ich erinnere mich, sagte er, gehört zu haben, daß es einen dummen und einfältigen Geistlichen gab, der weder irgend einen Beruf zum geistlichen Leben, noch zu der kanonischen Disciplin, noch Ernst und Bescheidenheit hatte; der aber mitten unter der todten Asche eines unnützen Lebens noch einen kleinen Funken von Feuer und Ehrfurcht für die gebenedeite Jungfrau bewahrte. Alle Morgen näherte er sich mit ehrfurchtsvoll gebeugtem Haupte ihrem heiligen Altar und sang den in folgendem Verse des Evangeliums enthaltenen englischen Gruß: »Gegrüßet seist du, Maria voller Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gesegnet unter den Weibern.« Als nun der Bischof seine Unwissenheit und Dummheit entdeckte, war er der Meinung, daß er unwürdig sei, irgend eine geistliche Stelle zu bekleiden, und nahm ihm die Präbende, welche er von dem vorhergehenden Bischof erhalten hatte. Der Geistliche aber wurde dadurch in die bitterste Noth versetzt, da er nichts anderes hatte, wovon er leben konnte. In der Nacht erschien dem Bischof im Traume die heilige Mutter Gottes, der ein Mann voranging, welcher in einer Hand ein helles Licht, in der anderen ein Bündel Ruthen trug. Gleich darauf befahl sie diesem ihrem Begleiter, dem verbrecherischen Prälaten einige Schläge zu geben, zu dem sie dann wie folgt redete: Warum hast du meinem Kapellan, der täglich sein Gebet an mich richtete, eine Kirchenstelle genommen, die du ihm doch nicht gegeben hast? Der erschrockene Bischof war kaum aufgestanden, als er dem Geistlichen auch schon die Präbende wieder zurückgab und in der Folge achtete er denjenigen sehr, von dem er vielleicht geglaubt hatte, daß Gott sich gar nicht um ihn bekümmere.«

In einem anderen, dem Papste Alexander VI. gewidmeten Werke von Bernhard du Bustis (in opere Mariali, Serm. VIII. de conceptione beatae Virginis) wird eine andere Geschichte erzählt, in welcher ein Doctor der Theologie während des Pontificats Sixtus IV. zu Ehren der Jungfrau Maria auf öffentlichem Markte von einem Fianziskanermönch Schläge erhielt. Doch ich will den Verfasser selbst reden lassen: »er nahm ihn – nämlich den Doctor der Theologie – und legte ihn über das Knie, denn er war sehr stark. Er hob ihm die Robe auf (unter welcher er weder Ober- noch Unterkleid trug), und gab ihm mit der Hand auf seinen viereckigen nackten TabernakelQuadrata tabernaculua quae erant nuda. tüchtige Hiebe, um ihn dafür zu züchtigen, daß er gegen das heilige Tabernakel Gottes geredet und die gebenedeite Jungfrau beschimpft hatte durch eine Citation aus dem Aristoteles, die vielleicht aus dem libro Priorum genommen war. Der andere widerlegte ihn darauf mit Fünffingerschrift auf seinen Posterioribus,Das Wortspiel läßt sich nicht gut wiedergeben, es heißt: allegando forsitan Aristotelem in Libro Priorum: iste praedicator confutavit legendo in Libro suorum Posteriorum. worüber sich die versammelte Menge sehr freute. Darunter war sogar eine fromme Frau, die mit lauter Stimme rief: Ach, Herr Prediger, gebt ihm noch vier Hiebe für mich! Gleich darauf fiel eine andere ein: auch vier Hiebe für mich! und eine Menge Anderer folgten, so daß er den ganzen Tag zu thun gehabt hätte, wenn er alle Wünsche hätte erfüllen wollen.«

Der Doctor hatte öffentlich gegen die unbefleckte Empfängniß der Jungfrau Maria gepredigt und Bernhard de Bustis findet diese Züchtigung dem Charakter der Jungfrau so angemessen, daß er sogar hinzufügt: »Vielleicht war es die heilige Jungfrau selbst, welche ihn – den Franziskaner – zu dieser Handlung veranlaßte und die für ihn eine Ausnahme von der Strafe bewirkte, der er sich nach den Gesetzen der Kirche schuldig gemacht, nach welchen niemand eine zur Kirche gehörige Person schlagen darf, – und die also zu seinem Besten die Strenge jener Gesetze linderte.«

Sogar die Teufel geißelten sich zu Ehren der Jungfrau, wenn sie dieselben erblickten. Ein gewisser Jacob Hall, ein großer Wucherer, wurde durch die gebenedeite Jungfrau Maria den Krallen der Teufel entrissen. Die höllischen Geister, die in großer Menge da waren, sahen sie kaum erscheinen, als sie anfingen zu fluchen und sich untereinander zu geißeln, worauf sie die Flucht ergriffen.

Doch genug des mönchischen Unsinns! Ich könnte noch viel dergleichen mittheilen, aber es ist selten einmal in diesen Erzählungen ein Fünkchen Geist, welcher der Mühe lohnte; nichts als plumpe Mönchsdummheit, die indessen noch witzig genug war, um die Bekenner der römischen Kirche zu bethören!

Nächst diesen Pfaffenlegenden haben auch die Gemälde unwissender Maler viel zur Geißelnarrheit beigetragen. Schon Papst Gregor, von den Pfaffen der Große genannt, sagte von ihnen: » daß sie die Bibliothekare der unwissenden Christen wären! Die Alten meinten zwar, daß Dichter und Maler nicht verbunden wären, über ihre Handlungen Rechenschaft zu geben; so sagt Horaz nach einer altdeutschen sehr naiven Uebersetzung:

Malern und Dichtern ist erlaubet,
Zu malen offt, das man nicht glaubet,
    Ir Recht ist, vil zu maln und Reimen
    Welch uber Nacht ja nur thut träumen.Pictoribus atque poetis Quidlibet audenti semper fuit aequa potestas

Lucian sagt etwas Aehnliches; aber wenn ich den Malern und Dichtern auch gar nicht das Recht streitig machen will, Dummköpfe zu sein, so muß ich doch lebhaft dagegen protestiren, daß ihre dummen Bilder in die Kirchen gehängt werden. Das ungebildete Volk, welches sie hier sieht und sich auf Poesie und Allegorie schlecht versteht, saugt aus ihnen nur schlechte Vorstellungen ein, welche dazu dienen, es nur immer mehr zu verdummen. Die Griechen und später die Protestanten in den Niederlanden wurden von einem ganz richtigen Gefühle geleitet, als sie die Bilder aus den Kirchen hinauswarfen, nur gingen sie zu weit.

Wie abgeschmackt sind nicht die Abbildungen Gottes. Bald wird er dargestellt durch ein Auge, welches aus den Wolken herausschaut – das mag allenfalls noch angehen – dann wieder als ein Dreieck, in welchem mit hebräischen Buchstaben Gott steht; dann wieder als alter Mann mit langem Bart, der mit grimmigem Gesicht und ausgespreizten Fingern in halb sitzender, halb springender Stellung »über den Wassern schwebt.« Und nun gar die Abbildungen der schon an und für sich die schwachen Sinne des Volkes verwirrenden Dreieinigkeit! wobei der heilige Geist beständig als Taube figurirt, so daß nun endlich Taube und heiliger Geist bei vielen ungebildeten Menschen ganz identisch geworden sind. So pflegte ein Bauer seine Tauben nur deshalb mit der allergrößten Sorgfalt, weil vielleicht der heilige Geist unter ihnen sein könne. Ein Tischler, der die hölzerne Taube in der Kirche ausgebessert hatte, unter welcher dort der heilige Geist dargestellt wurde, setzte in seine Rechnung: Einen Groschen sechs Pfennige den heiligen Geist zu flicken. – In dieselbe Kategorie gehört die Abbildung von Engeln, und noch abgeschmackter ist die der Teufel mit Hörnern, Pferdefuß und langem Schwanz. Selbst in Gesang- und Schulbüchern sieht man dergleichen mittelalterliche Ungereimtheiten, und das ist sehr schlimm. Die Kinder nehmen dadurch Vorstellungen in sich auf, die nachher nur mit großer Mühe wieder herauszubringen sind.

Die römische Kirche hat ein Interesse dabei, daß sie dergleichen Bilder in ihren Kirchen duldet; aber die Protestanten sollten sich doch von solchem Unsinn frei halten und die Ueberbleibsel der römisch-katholischen Zeit dieser Art aus ihren Kirchen entfernen. Will man Bilderschmuck in denselben haben – und ich möchte ihn aus manchen Gründen nicht daraus verbannt wissen, dann hänge man Bilder wie Lessings Huß, oder Luther auf dem Reichstage zu Worms oder Darstellungen aus dem Leben Jesu hin und verweise dafür die meistens unausstehlich dummen allegorischen Bilder, selbst wenn sie von Raphael, Dürer oder Cranach wären, in die Kunstmuseen, wo sie weit mehr an ihrem Platze sind.

Der Einfluß der Maler auf die Geißelungen verleitete mich zu dieser Abschweifung und ich komme darauf zurück. Mit ihrer gewöhnlichen Sorglosigkeit malten sie uralte Heilige, bewaffnet mit der Geißel, die zu der Zeit, als sie lebten, noch gar nicht als Selbstbuße angewandt wurde. Das Beispiel so heiliger Personen verleitete die Frommen natürlich zur Nachahmung. – Außerdem ist noch ein anderer Punkt in Betracht zu ziehen, den ich indessen nur andeuten will, da eine weitere Besprechung mich zu weit abführen würde. – Die Maler, welche Heiligengeschichten malten, waren meistens bemüht, ihren Gegenstand so natürlich und so schön als möglich darzustellen. Dies erstreckte sich auch auf die menschlichen, sowohl männlichen als weiblichen Figuren, die häufig nackt gemalt wurden. Nun ist es aber bekannt, wie sehr dergleichen Bilder auf die Einbildungskraft wirken, und besonders bei Menschen, welche wenig zu thun und beständig – wie Mönche und Nonnen – mit dem regen Geschlechtstriebe zu kämpfen haben. Das Bild einer fast nackten, üppigschönen, büßenden Magdalena war den Mönchen meistens der liebste Schmuck für ihre Zellen, während die Nonnen den gegeißelten Jesus oder einen heiligen Sebastian vorzogen. Der Anblick solcher Bilder im Verein mit der untern Disciplin erzeugte oft höchst seltsame Wirkungen, – welche Mönchen und Nonnen die Disciplin noch lieber machte.

Aus den Klöstern drang die Gewohnheit des Geißelns leicht unter das Volk, denn die Laien fanden es sehr gemächlich, mit Erlaubniß ihrer Beichtväter, manche weit längere und lästigere Buße für begangene Sünden in Geißelhiebe umzusetzen, denen eine so große versöhnende Kraft zugeschrieben wurde. Bei dem genauen Zusammenhange, der damals unter den Klöstern aller Länder bestand, ist es kein Wunder, daß die Gewohnheit des Selbstgeißelns sehr bald über die Grenzen Italiens ging, und dann ist es ja auch eine alte Erfahrung, daß Dummheiten sich auf ebenso unbegreifliche Weise verbreiten wie die Cholera.

Eine andere Erfindung des Selbstgeißelns war die, daß man sie bei geistlichen Aufzügen, den sogenannten Prozessionen, anwandte. Diese Sitte der Prozessionen ist aus dem Heidenthum ins Christenthum mit hinübergeschlüpft, wie so vieles Andere, das für uns nicht paßt und nichts mehr taugt. Schon bei den Alten war es Sitte, bei Hungersnoth, Pest, Ueberschwemmung, Erdbeben oder anderm öffentlichen Unglück durch öffentliche Bußübungen die Götter zur Hilfe bewegen zu wollen, und dies behielten die Christen bei. In solchen Fällen zogen sie unter Heulen und Wehklagen, die Geistlichkeit mit den kirchlichen Insignien voran, zu den verehrtesten Heiligthümern der Stadt oder Gegend. Da man alle solche Landplagen als direkte Strafen Gottes für die Menschen betrachtete, und die Kirche nun die Lehre aufgestellt hatte, daß die Gerechtigkeit des Allmächtigen durch freiwillig aufgelegte Schmerzen, besonders durch Geißeln, zu befriedigen sei, so lag es sehr nahe, daß man mit solchen Prozessionen Geißelungen verband.

Als der Urheber solcher Geißelprozessionen wird das heilige »Rindvieh«So nennt ihn, wie schon früher bemerkt, sein Mitheiliger, St. Franziskus, nicht ich. Dies bemerke ich nur, damit die Augsburger »Sion« sich wegen dieser Injurie an ihn wendet und nicht mich anathematisirt oder die Redaktion der Journale, die so ehrenwerth sind, ganze Kapitel aus diesem Buche abzudrucken, wie sie es aus dem ersten thaten. Ich für meine Person sehe das sehr gern, muß dabei aber bitten, meine Worte nicht gar zu sehr zu verstümmeln und dann wenigstens die Quelle zu nennen, wie es ehrenwerthe Blätter auch gethan haben. von Padua genannt, oder, wie er gewöhnlich heißt, der heilige Antonius, aber man hat über die nähere Veranlassung und den Verlauf fast gar keine Nachrichten. Der Biograph des heiligen Antonius, der darüber berichtet, sagt nur: »Seine Predigten waren Feuerströme, denen nichts wiederstehen konnte, und die eine unzählige Menge von Sündern zur Reue und Buße entflammten. Damals fingen die Menschen zuerst an, schaarenweis, sich geißelnd und geistliche Lieder singend, in Prozessionen zu gehen. Dies muß vor 1231 gewesen sein, denn in diesem Jahre starb Antonius.Es ist nicht meine Absicht, hier eine Geschichte der sogenannten Geißelfahrten zu schreiben, was wegen der dabei unumgänglich nöthigen Wiederholungen ziemlich langweilig und dabei auch überflüssig wäre, da Dr. E. G. Förstemann in seinem sehr schätzenswerthen Werke die christlichen Geißlergesellschaften Alles zusammengetragen hat, was darüber nur aufzufinden war. Wer sich also noch genauer darüber zu unterrichten wünscht, den verweise ich auf dieses 1828 erschienene Buch. Uebrigens hatten, wie sich schon aus dem Mangel an Nachrichten schließen läßt, diese ersten Prozessionen weder eine große Ausdehnung, noch sonstige Bedeutung.

Aber die römische Kirche verstand es stets, diejenigen Dinge, die ihr Vortheil bringen konnten, zu erkennen und zu benutzen, und da sie dabei stets auf die Dummheit der Menschen zählen konnte, so irrte sie in ihren Berechnungen nur selten. Wie die heilige Katharina in der Ruthe, so entdeckte sie auch in der Geißel einen kostbaren Hausschatz, eine Waffe gegen die mächtigen Feinde. Diese Feinde waren damals die Hohenstaufen und vor allen der kräftige und aufgeklärte Kaiser Friedrich II.,Siehe Pfaffenspiegel, Cap.»Die Statthalterei Gottes in Rom.« der an der Spitze der damaligen Liberalen, der Ghibellinen stand: die Partei der Welfen war die der Päpste. Seit langen Jahren rangen diese mit den Kaisern nicht nur um das höchste Ansehen in der Christenheit, sondern auch um den Besitz des reichen Oberitaliens. Dieses Land war damals in unendlich viele kleine Fürstenthümer und Republiken getheilt, ganz ähnlich unserm heutigen Deutschland. Diese Staaten, welche unter sich längst in Zwistigkeit lebten, hatten die verschiedensten Interessen. Selbständig zu schwach, mußten sie sich einer der beiden mächtigen Parteien anschließen, von deren Sieg sie sich den meisten Vortheil versprachen, oder deren Grundsätze mit ihren Ueberzeugungen übereinstimmten.

Schon mehrmals hatten die Päpste in diesem Kampfe den religiösen Fanatismus zur Hülfe gerufen. Franziskaner und Dominikaner, die damalige Leibgarde des römischen Stuhles, die heut zu Tage durch die feineren und geschickteren Jesuiten ersetzt sind, waren unaufhörlich bemüht, diese schreckliche Kraft zu entfesseln und gegen die Ghibellinen zu hetzen; wenn es ihnen gelang, so hatte es fast immer Erfolg. Von Zeit zu Zeit, besonders wenn es der römischen Partei schlecht ging, standen unter diesen Mönchen papstbegeisterte Männer auf, die sich das Ansehen von »Gottbegeisterten« zu geben wußten, und predigten Versöhnung und Frieden, der natürlich nur so lange gewünscht wurde, bis die Mittel zur Fortsetzung des Kampfes herbeigeschafft waren. Wohl den meisten Erfolg hatte unter ihnen der Dominikanermönch Johannes von Vicenza. Seine glänzende Beredsamkeit bezauberte alle Zuhörer und verblendete sie so sehr, daß sie freiwillig wieder die Köpfe in die römische Schlinge steckten, der sie erst glücklich entwischt waren. In den letzten Tagen des August 1233 hielt dieser Mann in einer Ebene an der Etsch, einige Stunden von Verona, vor einer Versammlung von 400 000 Menschen eine Predigt, welche den wunderbarsten Erfolg hatte. Weinend gaben sich die bisherigen Feinde den Friedenskuß, und St. Petri Nachfolger that einen guten Fischzug.

Aber die überlisteten Ghibellinen merkten bald, baß der heilige Johannes, der zu Bologna und Verona in drei Tagen 60 Personen als Ketzer verbrennen ließ, ein Wolf im Schafskleide war, und ergriffen sogleich wieder die kaum niedergelegten Waffen. Acht Jahre später war Gregor IX. abermals in großer Noth, denn Friedrich II. hatte im Frühjahr 1240 mehrere welfische Städte erobert und rückte gerade auf Rom los. Aus dieser Noth errettete kein Friedensprediger mehr, und das schwere Geschütz rückte aus dem Vatikan. Der Papst selbst zog in großer Prozession durch die Stadt, und ein Stück von dem wahren Kreuz Christi nebst den Köpfen der Apostel Petrus und Paulus wurden vor ihm hergetragen.Wie es sich damit verhält, habe ich in dem dritten Kapitel des Pfaffenspiegel »die heilige Trödelbude« angegeben. Der Anblick dieser heiligen Raritäten benebelte den ohnedies unklaren Verstand der Römer, und Gregors Aufforderung, die heilige Kirche zu vertheidigen, fand Gehör. Die Leibgardepfaffen predigten von allen Kanzeln einen Kreuzzug gegen Friedrich II., und mit glücklichem Erfolg, denn sie versprachen allen nur gewünschten Ablaß. Die Pfaffen selbst griffen zu den Waffen, und in wenigen Stunden stand ein von römischem Opium berauschtes Heer schlagfertig da. Friedrich wußte, daß der Fanatismus der gefährlichste Feind ist, gab seine Pläne gegen Rom auf und zog sich zurück.

Wie er abermals siegte und den gewaltigen Innocenz IV. beinahe gefangen genommen hätte, wenn dieser sich nicht durch einen Angstritt von 54 italienischen Meilen rettete; wie die elenden deutschen Fürsten den großen Kaiser im Stiche ließen und dieser endlich an päpstlichem Gifte starb – das habe ich schon früher erzählt. Sein wackerer Sohn Manfred setzte den Kampf in Unteritalien fort, und mit solchem Glücke, daß im Jahre 1260 die Ghibellinen fast überall triumphirten, besonders nach der glücklichen Schlacht von Monte Aperto (4. Septbr.), in Folge welcher Florenz und Toskana ihrer Herrschaft unterworfen wurden. Nie war die welfische Partei in größerer Verlegenheit.

Wer sich auf Gott verließ, ist hier auf Erden schon oftmals verlassen geblieben, und was »im Himmel« vorgeht, wissen wir nicht; wer sich aber auf die Dummheit der Menschen verließ und auf diese spekulirte, dem ist es auf Erden noch niemals fehlgeschlagen; und – wie es ihm »im Himmel« gehen wird, das wissen wir auch nicht. Cardinal Bianco kannte sehr gut das Talent seiner Partei, deshalb rief er bei der Nachricht von all dem geschehenen Unglück weissagend aus: »Die Besiegten werden siegreich siegen und in Ewigkeit nicht untergehen.«

Das Talent seiner Partei besteht aber in ihrer Kunst, die Dummheit zu benutzen und den Fanatismus zu entfesseln; er mußte auch diesmal wieder als Bundesgenosse auftreten. – Der lange Krieg hatte Italien verwüstet; der Wohlstand war dahin, die rohe Gewalt herrschte überall, Verbrechen wurden auf Verbrechen gehäuft, kein Mensch war seines Eigenthums oder Lebens sicher, und alle Familienbande waren durch Factionen zerrissen. Es war ein höchst trostloser Zustand, und mit verzweifelnden Blicken schauten die Menschen umher nach einem Mittel, ihn zu beendigen. Da sie auf Erden keines fanden, so nahmen sie ihre Zuflucht zu Gott, und weil sie ihn erzürnt glaubten durch ihre Verbrechen und Sünden, so sehnten sie sich darnach, ihn durch Buße zu versöhnen. Diese Stimmung entging der wachsam päpstlichen Partei nicht, und sie war bemüht, dieselbe zu erhöhen und zu benutzen. In Perugia, einer echt welfischen Stadt an der Grenze von Toskana, welche sich durch ihre Anhänglichkeit an die Päpste stets ausgezeichnet hatte, kam das durch pfäffische Künste zusammengezogene Geschwür zum Aufbruch. Sein ekelhafter Ausfluß war eine große Buß- und Geißelfahrt. Ueber die nächste Veranlassung sind die Geschichtschreiber nicht einig, aber so viel kann man mit ziemlicher Gewißheit annehmen, daß sie von einem Pfaffen ausging, wenn auch viel Wunderbares darüber erzählt wurde, wie es ja bei dergleichen Dingen in früheren Zeiten immer geschah. Bald sollte ein Wiegenkind die Veranlassung gegeben haben, bald ein Eremit bei Perugia, dem eine Stimme vom Himmel herab verkündete, daß die Stadt zu Grunde gehen würde, wenn die Einwohner nicht Buße thäten, und dergleichen Unsinn mehr.

Genug, die Aufforderung zündete wie ein in ein Pulverfaß geworfener Funken, und die Geißelwuth verbreitete sich mit rasender Schnelligkeit. Die Buß- und Geißelfahrt erschien den Gläubigen als eine unmittelbar durch den Geist Gottes errichtete Anstalt; sie verkündeten das, was sie glaubten mit begeisterten Stimmen, und Jung und Alt wurde vom Geißelwahnsinn ergriffen.

Der Papst Alexander IV. ließ den höchst wahrscheinlich von ihm selbst ausgestreuten Samen aufgehen und gedeihen, ohne sich sonst vorläufig darum zu bekümmern. Das that er aus einer ganz natürlichen Politik. Erkannte er die neue Buße offiziell an, so konnte er des heraufbeschworenen Geistes des Fanatismus vielleicht nicht wieder Herr werden, und überdies hätte er durch diese Anerkennung die besten Früchte, die er davon erwartete, verloren. Das Mißtrauen der Ghibellinen wäre gleich von vornherein rege geworden, und man hätte den Büßern die Thore ihrer Städte verschlossen gehalten.

Im September wahrscheinlich begann die Geißelfahrt in Perugia, denn schon im Oktober war sie bis Bologna heraufgedrungen, wie das Zeugniß eines Mönchs von St. Justina zu Padua beweist, dessen Chronik Ursitius von Basel 1585 gedruckt herausgab. Ich will die Schilderung, welche der Chronist von dieser merkwürdigen Erscheinung giebt, wörtlich hersetzen: »Im Laufe jener Jahrhunderte, als viele Laster und Verbrechen Italien schändeten, überfiel plötzlich eine nie erhörte reuige Stimmung der Gemüther zuerst die Einwohner von Perugia, dann die Römer und endlich fast alle Völker Italiens. Die Furcht Christi kam so sehr über sie, daß Edle und Unedle, Greise und Jünglinge, selbst Kinder von fünf Jahren, nackend bis auf die bedeckten Schamtheile, ohne Scheu, paarweise in feierlichem Aufzuge durch die Stadt wallten. Jeder hatte eine Geißel aus ledernen Riemen in der Hand, womit sie sich unter Seufzen und Weinen heftig auf die Schultern schlugen, bis das Blut danach kam. Unter Strömen von Thränen, als wenn sie mit leiblichen Augen das Leiden des Heilandes sähen, riefen sie in kläglicher Weise um Barmherzigkeit zu Gott, dem Herrn der Barmherzigkeit, und um Hülfe zur Mutter Gottes. Sie flehten, daß er, der unzähligen Büßenden verziehen hat, auch ihnen für die erkannten Sünden Versöhnung angedeihen lassen möge.

»Nicht nur am Tage, sondern auch des Nachts, im strengsten Winter, zogen sie mit brennenden Kerzen zu Hunderten, Tausenden, ja Zehntausenden, angeführt von Priestern mit Kreuzen und Fahnen, durch die Städte und nach den Kirchen und warfen sich in Demuth vor den Altären nieder. Also thaten sie auch in Flecken und Dörfern, so daß die Felder und Berge widerzuhallen schienen von den Stimmen Derer, die zu Gott schrieen.

»Es schwiegen zu derselbigen Zeit alle musikalischen Instrumente und alle Liebeslieder; nur den Trauergesang der Büßenden hörte man überall, in den Städten und auf dem Lande; seine klagenden Töne rührten steinerne Herzen, und die Augen der Verstockten füllten sich mit Thränen. Auch die Frauen nahmen Theil an dieser frommen Uebung; in ihren Kammern thaten nicht allein die vom Volke, sondern auch edle Frauen und zarte Jungfrauen mit aller Ehrbarkeit dasselbe. Damals versöhnten sich fast alle Entzweite; Wucherer und Räuber eilten das mit Unrecht Erworbene zurückzugeben, und wer sonst in Lastern befangen war, beichtete demüthig seine Sünden und entschlug sich seiner Eitelkeit. Kerker wurden geöffnet, Gefangene entlassen, und Verbannte durften zurückkehren. Männer und Weiber thaten so große Werke der Barmherzigkeit, als ob sie fürchteten, die göttliche Allmacht werde sie durch Feuer vom Himmel verzehren, oder durch ein Erdbeben zertrümmern lassen, oder andere Strafen, durch welche sich die göttliche Gerechtigkeit an den Sünden zu rächen pflegt, über sie verhängen.

»Eine so plötzliche Sinnesänderung, welche sich nicht nur über Italien verbreitet, sondern auch schon andere Länder erreicht hatte, setzte Ungelehrte sowohl als die Weisesten des Volkes in unbeschreibliches Erstaunen. Man konnte auf keine Weise begreifen, woher ein so heftiger Anfall von Frömmigkeit mit einem Male gekommen sein könnte, besonders da man von dergleichen öffentlichen Bußübungen und Ceremonien in den vergangenen Zeiten kein Wort gehört hatte, da sie von dem Papste, der damals zu Anagni residirte noch nicht gutgeheißen und weder von einem Prediger, noch irgend einer andern Person von Ansehen oder Einfluß empfohlen worden waren, sondern ihren Ursprung blos einfältigen Leuten verdankten, deren Beispiel Gelehrte und Ungelehrte gleicherweise befolgt hatten.«

In vielen Städten der Lombardei wurden die Geißler mit großem Enthusiasmus aufgenommen, besonders in Reggio, Parma und Genua, wo die Podestas, Bischöfe Magistrate, angesehene Geistliche und Leute aller Stände sich den Prozessionen geißelnd anschloßen. Nicht so gut glückte es ihnen in Cremona, Brescia, Novara und Mailand, welche Städte dem mächtigen Ghibellinen Marchese Palavicino gehorchten, und der König Manfreds bester Freund und Bundesgenosse war. In Mailand wollten die Geißler mit Gewalt eindringen, allein der dort befehlende Martino della Torre ließ für sie eine Menge Galgen errichten und schreckte sie dadurch.

Dieses Mißtrauen war vollkommen gerechtfertigt. König Manfred mußten diese Buß- und Friedensprediger bei dem damaligen traurigen Zustande der welfischen Partei um so verdächtiger sein, als der Papst mit seiner Autorisation dieser Buß-Anstalt fortwährend zurückhielt. Er verwehrte daher den Geißlern nicht nur den Eintritt in seine Königreiche Apulien und Sicilien, sondern verbot auch in seinem Gebiete die Ausübung der Geißelbuße bei Todesstrafe.

Die Berichte über diese Geißler, welche uns aus jenen Zeiten zugekommen sind, stimmen im Allgemeinen mit dem des paduanischen Mönches überein. Der Fanatismus wirkte förmlich epidemisch. Dies zeigte sich besonders auffallend in Genua. Hier zog die ganze Menge der Geißler, die von Tortona kam, entkleidet durch die Stadt, unaufhörlich schreiend: »Heilige Jungfrau Maria, erbarme dich der Sünder und bitte Jesus Christus, daß er unserer schone!« Dann warfen sie sich nieder und schrieen laut: »Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! Friede, Friede!« An ihrem Halse trugen sie die Waffen, mit denen sie früher viele getödtet oder beschädigt hatten. Dieses wahnsinnige Treiben wiederholte sich drei Tage lang, ohne daß es die Genueser besonders rührte; ja diese verspotteten sie sogar als Narren. Aber plötzlich wurden sie von demselben Wahnsinn ergriffen. Personen aller Stände versammelten sich in den Kirchen, entkleideten sich und stellten mehrere Tage hintereinander Geißelprozessionen an. Alle Verbannte wurden zurückgerufen und in ihre alten Rechte wieder eingesetzt.

Der Bußeifer brachte die seltsamsten Wirkungen hervor. Viele, die Mordthaten begangen hatten, gingen mit bloßen Degen zu ihren Feinden, gaben diese Waffen ihnen in die Hände und baten sie, sich zu rächen; aber diese warfen dieselben an die Erde und fielen gerührt ihren Feinden zu Füßen. Alles war in Sanftmuth, Rührung, Thränen und Versöhnlichkeit aufgelöst.

In ihrem Wahnsinn fühlten die Büßenden gar nicht den Einfluß der Kälte. Manche geißelten sich, bis zum Gürtel nackend, von Morgens früh bis um drei Uhr ohne zu frieren, und es war mitten im Winter! Sie schlugen sich mit Dornen oder mit eigens dazu eingerichteten Riemen, oder gar mit eisernen Handschuhen. Viele Weiber versammelten sich Nachts auf den Straßen und geißelten sich. Anfangs lachte man wohl über den seltsamen heiligen Eifer, aber als er in seiner höchsten Blüthe war, wurde jeder Spötter darüber für einen Gottesverächter gehalten.

Der römisch-katholische Rausch verrauchte aber bald und machte weltlichem Katzenjammer Platz. Die anständigeren und gebildeteren Leute fingen an, sich des Unsinns zu schämen, den sie in ihrem Wahnsinn begangen hatten. Zur Nüchternwerdung trugen viel die mancherlei Unordnungen bei, die durch die enge Berührung so vieler halbnackter Personen beiderlei Geschlechts und aus den verschiedensten Ständen hervorgebracht werden mußten. Eine Menge schmutziger Geschichten, wie sie sich ja schon bei gewöhnlichen Prozessionen zutragen, kamen hie und da zum Vorschein, und der heilige Eifer verging. In den ersten Monaten des Jahres 1261 war der römische Spiritus in Italien aufgebrannt – und die Fehden begannen aufs Neue. Die Aufmerksamkeit der Ghibellinen war zerstreut worden, der Papst hatte Zeit gewonnen, und der Zweck war erreicht.

Aber in Deutschland wurde das beklagenswerthe Schauspiel fortgesetzt. Die Geißelschwärmerei ging über die Alpen und breitete sich aus in Krain, Kärnthen, Steiermark, Bayern, in den oberdeutschen Ländern bis über den Rhein, in Oestreich, Böhmen, Mähren, Ungarn und Polen und Sachsen. In einer Reimchronik von Ottokar, einem gleichzeitigen Schriftsteller, wird über die Geißler diesseits der Alpen wie folgt berichtet:

Ain Volkch deselbing jars (1261) phag
Ainer Puezz, de waz frömd,
Weib und Man heten da Hemd
Da warn Gugel (Kappen) an gesniten.
Nu hört mit wie getanen Siten
Dem Puezz her ze Lande chom.
In Lampparten (Lombardei) sy sich von erst nam.
Jegleich Pharr-Volkch sampt sich
Und giengen gemainklich,
Die man sunder geschört (besonders geschaart),
Parfuez und mit Part.
Sunst (so) sach man sew wanndern,
Von ainer Chirchen zu der andern,
Die Alten zu den jungen,
Ir Pues-Lied sy sungen,
Sy waren Gotleich darczu,
Sy warn auf dez Smorigens frue,
Und wan sy chomen in der nahen,
Daz sy ein Chirchen sahen,
So sluegen sy sich selb an
Mit Gaislen, daz daz Plut ran
Nach dem Ruckch hernieder,
Umb die Chirchen und herwider,
Darnach sy in die Chirchen giengen,
Ir Puezz sy darinn begiengen
Mit Gaislen und mit Gebet.
Hört wie die Frawen schar tet.
Die giengen dez Smorigens frue
In die Chirchen und sparten zue,
Unzct(bis) daz von jn ward volbracht
Ir Puezz und jr Andacht,
So legten sy sich wieder an.
Dacz (in) Wahlen (Welschland) man sein erst begann.
Sunst gie ez ymer mer
Unzct (bis) zu den Dewczschen (deutschen) Lannden her.
Da liesßen sy jns enplannden (sich's gefallen)
Mit paiden jrn hannden
Payde Man und Frawen.
Da mans von erst begund schawen
Umb die Lichtmezz daz geschach,
Und wert also darnach
Gar gancze acht Wochen,
Da ward dew Puezz zebrochen,
Daz sy nicht andechtig wer,
Manig vnuczes mer
Wart davon gesait.
Nu wart ez den Pfaffen lait,
Und predigten darauf,
Daz man süder tet den lauf,
So lang vnczt darvon liez,
Do ez die Pfaffheit also hiez.

Wir sehen hieraus, daß es die Geißler in Deutschland ganz ebenso trieben wie in Italien; nur geben die deutschen Chroniken an, daß sie hier zwar bis zum Nabel nackt, aber, um nicht erkannt zu werden, mit verhülltem Gesichte gingen, wodurch die Sittlichkeit bei diesen Prozessionen eben nicht befördert sein mag. Wenn die Geißler auch hier und da in Deutschland mit Enthusiasmus empfangen wurden, so läßt sich derselbe mit dem der Italiener doch schwerlich vergleichen. Der Grund davon lag theils in der Charakterverschiedenheit beider Nationen, theils darin, daß hier die Pfaffen gar bald die Gegner der Geißler wurden, da sie ihrer Autorität höchst gefährlich zu werden drohten. »Sie absolvirten sich selbst untereinander, nicht achtend der kirchlichen Ordnung,« schreibt der böhmische Abt Johann Neplach.

Die Geißler erhoben ihre Bußweise über jede andere und behaupteten, daß diese die von den Geistlichen vorgeschriebene unnütz mache, und daß sie sich von ihren Sünden dadurch losmachen könnten, ohne der Absolution der Pfaffen zu bedürfen. Die Folge davon war, daß man sie als Ketzer verfolgte, oder daß die Fürsten, deren Länder sie durchzogen, sie auseinanderjagten. So hatte der Unsinn auch diesseits der Alpen bald ein Ende, da der Papst hier vollends kein Interesse dabei hatte, ihn unter seinen Schutz zu nehmen. Hin und wieder hörte man in den nächsten Jahren noch von Geißlern; sie erlangten aber nirgends Bedeutung, denn ihnen war für dies Mal als Ketzern der Stab gebrochen.

Wie diese Geißelfahrt so lange dauern konnte, wird nur dadurch erklärlich, daß die Zahl der Büßenden sich täglich rekrutirte. Zur vollständigen Buße war es nämlich nothwendig, daß man 34 Tage lang der Geißelfahrt folgte. Täglich kehrte nun eine Anzahl wieder in die Heimath zurück, die durch stets aufs Neue herzuströmende Fanatiker ersetzt wurden.

Diese Geißelfahrt ging indessen nicht vorüber, ohne bleibende Folgen zu hinterlassen. Sie ward Veranlassung zur Errichtung stehender Geißlergesellschaften, welche das angezündete Feuer wenigstens fortwährend glimmend erhielten, so daß es nur eines leichten Zuges bedurfte, um es wieder zu hellen Flammen anzufachen. Dergleichen Gesellschaften entstanden besonders in Italien, namentlich zu Piacenza, Modena, Venedig, Rom, Mantua und Bologna und führten besondere Namen. Die in Bologna wurde von dem heiligen Rainer von Perugia eingerichtet, den man als den Eremiten bezeichnet, welcher die Geißelfahrt angestiftet habe. Schon im Jahre 1262 machte die von ihm errichtete Brüderschaft eine Geißelprozession nach Modena zu den Reliquien des heiligen Geminianus, an welcher viele angesehene Personen Theil nahmen. Im Jahre 1269 scheint sie den Versuch gemacht zu haben, eine Geißelfahrt von größerem Umfange zu Stande zu bringen, woran sie aber durch das Mißtrauen der Ghibellinen gehindert wurde. Der Marchese Obizzo von Este und die Räthe von Ferraro erließen die allerstrengsten Verordnungen dagegen. Auch in Deutschland tauchten hie und da zu verschiedenen Zeiten wieder Geißler auf. Ihre Erscheinung war aber schnell vorübergehend und von keiner weiteren Bedeutung.

Erst im 14ten Jahrhundert erneuerte sich der Unfug wieder in größerem Maßstabe, als eine Menge von Umständen zusammentrafen, welche die Menschen bedrückten und zur Buße stimmten. Das erste Feuer dieser Art flammte wieder in Italien auf im Jahre 1334. Dies unglückliche Land wurde fortwährend von innern Kriegen zerrissen. Die Päpste hatten sich nach Avignon geflüchtet und ließen ihre Angelegenheiten in Italien durch Legaten führen. In dem Jahre 1333 hatte der Legat Johanns XXII. eine entscheidende Niederlage erlitten, und die Sache des Papstes stand sehr schlecht. Wie in früheren Zeiten in solchen Lagen, erhob sich auch dieses Mal wieder ein Buß- und Friedensprediger, der Dominikanermönch Venturinus von Bergamo. Er war mit einem außerordentlichen Rednertalente begabt, und die Legende erzählt, daß während er redete, eine Flamme aus seinem Munde hervorging und häufig eine Taube über seinem Haupte schwebte. Er empfahl den durch ihn bekehrten Sündern eine feierliche Bußfahrt nach Rom, um hier von den Aposteln Ablaß zu holen. Die Zahl dieser Sünder belief sich zu Bergamo allein auf 3000, unter ihnen die ärgsten Verbrecher. Todtschläger, Vater- und Brudermörder kamen zu dem Mönche mit einem Stricke um den Hals, und Venturinus schickte sie zu denen, welche von ihnen beleidigt worden waren, um ihnen den Friedenskuß zu bringen. An zehntausend Lombarden schlossen sich der Geißelfahrt nach Rom an, für welche Venturinus eine besondere Kleidung vorgeschrieben hatte.

Diese bestand aus einer langen weißen Kutte, über welche ein farbiger, meist blau oder purpurfarbener Mantel getragen wurde, der bis auf das Knie reichte. Die Füße der Büßenden waren mit Weißen Strümpfen und ledernen Halbstiefeln bekleidet; den Kopf bedeckte eine große Leinwandhaube von der Farbe des Mantels, auf welcher vorn über der Stirn ein I.H.S. stand, unten weiß und oben roth. Auf der Brust trugen sie eine weiße Taube mit einem Oelzweige im Schnabel; in der rechten Hand einen Pilgerstab und in der linken ein Paternoster, welches ein Strick mit sieben Knoten war, der ihnen zugleich auch zum Geißeln diente. Die Farbe der Kleidung wird indessen verschieden angegeben.

Um Christus und seine Jünger nachzuahmen, gingen die Büßenden in kleinen Abtheilungen zu zwölf; ein dreizehnter folgte. Dieser trug auf seinem Stabe ein kleines Kreuz mit dem Bilde der Mutter Gottes, die Christus auf dem Schooße hat, auf der einen, und der heiligen Martha auf der andern Seite.

Manche Städte zeigten sich mißtrauisch und verweigerten ihnen den Eintritt, allein in andern wurden sie sehr freundlich aufgenommen, wie zum Beispiel in Florenz, wo die Bürger die Büßenden beherbergten. Venturinus predigte hier mehrmals unter ungeheurem Zulauf des Volkes, von dem viele sich der Bußfahrt anschlossen.

In Rom machte seine Ankunft großes Aufsehen; aber es scheint nicht, daß er die Römer sehr bußfertig fand. Sie strömten in Menge herbei, um seine Predigten zu hören, aber nicht um daraus gute Lehren zu schöpfen, sondern um nur zu hören, ob er auch gut Latein spräche, wie wenigstens ein Geschichtsschreiber seiner Zeit erzählt. Als er von ihnen Geld für die Armen verlangte, verlachten und verspotteten sie ihn gar, und der heilige Venturinus hielt es für gerathen, Rom zu verlassen, – »um der eitlen Ehre zu entfliehen« sagt freilich einer seiner eifrigen Lobredner und Lebensbeschreiber.

Von Rom ging Venturinus nach Avignon; allein er hatte die Unvorsichtigkeit begangen zu sagen, »es sei kein würdiger Papst, der nicht zu Rom auf dem Stuhle des heiligen Petrus sitze,« und das wurde ihm dort sehr übel genommen. Man klagte ihn als Ketzer an; da aber die verhängte Untersuchung nichts gegen ihn ergab, so wurde er an einen Ort verwiesen, wo man seine Reden nicht zu fürchten hatte. Sein Ruf hatte sich aber so verbreitet, daß viele Prälaten aus Frankreich, Spanien, Deutschland und England kamen, ihn zu sehen, oder doch Briefe mit ihm zu wechseln. – Er starb 1346 zu Smyrna während eines Kreuzzuges, an welchem er mit Bewilligung des Papstes Antheil nahm.

Sechs Jahre nach dieser Bußfahrt nach Rom, im Jahre 1340, trieben abermals gegen 10 000 Geißler im Gebiete von Cremona ihr Wesen. Sie gingen barfuß in armseligem Aufzuge geißelnd umher und sammelten Almosen. Anstifterin dieser Gesellschaft war ein sehr schönes Mädchen, welches man allgemein für eine Heilige hielt. Aber der Bischof von Cremona ließ sie ergreifen, und da entdeckte man in dieser Heiligen die Bettgenossin eines Mönches, der als gottlos und gefährlich bekannt war und von dem sie die nöthigen Künste erlernt hatte. Das Pärchen sollte verbrannt werden, allein die Herren von Gonzaga befreiten sie, entweder weil sie mit ihrer Hülfe politische Absichten durchsetzen wollten, oder weil ihnen das schöne Mädchen gefiel.

Dies waren jedoch alles nur Vorspiele zu der großen Geißeltragödie des Jahres 1349, welche durch die damals herrschende entsetzliche Pest hervorgerufen wurde, die unter dem Namen das große Sterben und der schwarze Tod bekannt ist. Die Verwüstungen, welche in neueren Zeiten die Cholera anrichtete, sind gering im Vergleich mit den Verheerungen, welche der schwarze Tod in der alten Welt verursachte. Die Erde schien krank zu sein. Im innern Asien soll um diese Zeit eine große Erdumwälzung stattgefunden haben, dieselbe, von der man annimmt, daß sie den Lauf des großen Flusses Oxus veränderte. Ueberall herrschten Erdbeben, Ueberschwemmungen und Mißwuchs.

Die Pest brach zuerst 1347 in China aus und zog mit großer Schnelligkeit nach Westen, auf ihrem Wege Millionen von Menschen dahinraffend. In China sollen 13 Millionen ihr zum Opfer gefallen sein. Ganze Städte starben aus, so daß in ihnen kein lebendes Wesen zu finden war, denn vierfüßige Thiere aller Art und sogar Vögel erlagen ebenfalls an dieser entsetzlichen Krankheit.

Durch levantische Handelsschiffe wurden im Frühjahr 1348 ihre Keime in die italienischen Häfen getragen, und bald verbreitete sich die Pest über Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, kurz ganz Europa; das Meer setzte ihr keine Grenzen. Der Tod erschien hier in dreifacher Gestalt. Drüsengeschwülste bildeten sich zu abscheulichen Pestbeulen; ein rasendes Fieber kam dazu und verursachte den Tod; andere starben an schmerzhaften Blutflüssen, und noch andere wurden von einem innern Feuer ergriffen, welches den Körper verzehrte bis auf die Knochen und den Tod zur Folge hatte.

Drei Jahre dauerte diese gräßliche Krankheit, indem sie bald diese bald jene Gegend vorzugsweise zum Schauplatz ihrer Verheerungen wählte. In vielen Ländern starb ein Drittheil, in andern die Hälfte oder zwei Drittheile, in einigen gar neun Zehntheile der Einwohner! Die meisten Dörfer lagen verlassen da, denn die Bauern flüchteten in die Städte, wo sie aber ebensowenig dem Tode entgingen, denn hier war das Sterben noch größer. Straßburg verlor durch diese Weltseuche sechzehntausend Einwohner, Basel vierzehntausend, Lübeck neuntausend, und in Wien starben an einem Tage gegen tausend Menschen. In Erfurt waren bereits alle Kirchhöfe voll, und zwölftausend Todte mußten durcheinander in elf große Gruben geworfen werden. Nicht stark bevölkerte Länder starben fast gänzlich aus. Man fand auf dem Meere reichbeladene Schiffe willenlos umhertreiben, denn es war Niemand mehr auf ihnen, der sie leitete. In manchen Klöstern starben alle Mönche.

Ein so allgemeines Sterben machte aller bürgerlichen und sittlichen Ordnung ein Ende. Jeder sah den Tod vor Augen und wollte vom Leben noch so viel als möglich genießen. Dieser that es auf feinere, jener auf rohere Weise, je nach dem Grade der Bildung. Der Ausbruch der vollen Bestialität wurde aber durch die jenem Zeitalter eigentümliche Religiosität verhindert, wenn diese auch in nichts anderem bestand, als in der Furcht vor dem Fegefeuer und der Hölle, welche die Pfaffen stets mit den entsetzlichsten Farben gemalt hatten. Die Angst vor dem Tode und vor der Nähe des Gerichts erfüllte die meisten mit Verzweiflung, und Jeder suchte noch in der Eile alle Mittel anzuwenden, den Zorn Gottes zu versöhnen; denn als eine Strafe desselben für die sündigen Menschen mußte die Pest nach den damaligen Begriffen erscheinen.

Zunächst richtete sich aber dennoch die Wuth gegen Diejenigen, welche man als die Werkzeuge dieser Rache Gottes und als die Beförderer dieses Sterbens betrachtete. Als solche bezeichnete man die unglücklichen Juden, denen man Schuld gab, daß sie die Brunnen vergiftet hätten, um sich von der Herrschaft der Christen zu befreien und zu Herren der Uebrigbleibenden zu machen. Das Unsinnige dieser Beschuldigung lag auf der Hand, denn sowohl Juden als Christen starben; allein hat das Volk einmal eine Meinung gefaßt, so ist es schwer davon abzubringen, besonders wenn sich Niemand sonderliche Mühe darum giebt.

Man ergriff an vielen Orten die Juden, und auf der Folter gestanden einige Alles, was man verlangte; Boshafte warfen wirklich Gift in mehrere Brunnen, welches man bald fand, und nun war das Factum nach damaligen Rechtsansichten festgestellt. Es begannen die scheußlichsten Judenverfolgungen von Seiten des Pöbels, wenn ihm nicht schon die Obrigkeiten die Mühe ersparten, wie in vielen Städten am Rhein. In Straßburg verbrannte man am St. Valentinstage auf einem auf ihrem Kirchhofe errichteten Gerüste nicht weniger als zweitausend Juden auf einmal! Wer sich taufen lassen wollte, den ließ man leben. Kleine Kinder wurden den Flammen entrissen, um sie im christlichen Glauben zu erziehen. An andern Orten erbaute man zum Verbrennen der Juden große Brennöfen oder hölzerne Schuppen, in welche man sie hineintrieb und die man dann anzündete.

Viele Juden zogen es vor, freiwillig zu sterben und verbrannten sich und ihre Kinder in ihren Häusern oder in den Synagogen, da sie es verschmähten, ihr Leben dadurch zu erretten, daß sie zu einer Religion übertraten, welcher ihre Henker angehörten. Manche Städte gingen dabei in Feuer auf. Der Papst und der Kaiser und viele Obrigkeiten suchten entweder aus Eigennutz oder weil sie von ihrer Unschuld überzeugt waren, ihre Juden zu retten; andere Fürsten dagegen, die ihnen vielleicht sehr verschuldet sein mochten, trieben eifrig dazu an, sie auszurotten, und das Volk bot, wie gesagt, höchst bereitwillig die Hand dazu.

Die römische Kirche unterließ es natürlich nicht, die allgemeine Noth zu ihrem Vortheil auszubeuten. Sie ertheilte Ablaß in reichem Maaße und der Papst schrieb gar für 1350 ein neues Jubeljahr aus. Mit welchem Erfolge, habe ich schon früher erzählt.

Es gab indessen sehr viele Menschen, welche das Gefühl hatten, daß eine Schuld gegen Gott, die dessen Zorn in solchem Maße hervorrief, unmöglich durch das Zahlen einiger Groschen an die Pfaffen und die gewöhnlichen Kirchenbußen gesühnt werden könne; sie dachten daher auf eine strengere, allgemeinere Buße und wählten als solche eine Geißelfahrt.

Schon im Frühling 1349 zogen größere oder kleinere Schaaren sich geißelnd umher, und plötzlich wimmelte es überall von Geißlern, ohne daß man eigentlich weiß, wo der Anfang gemacht wurde. Einige Chroniken und neuere Geschichtsschreiber nehmen an, daß dies in Oberdeutschland geschah; andere sagen wieder in Ungarn, und die Geißler selbst behaupten, ihre Geißelfahrt komme »von Osten«. Welchen Weg dieselbe aber genommen hat, darüber enthält ihre sogenannte Predigt oder der von einem Engel gebrachte Brief – den ich weiter unten mittheilen werde – höchst konfuse Nachrichten. Genug, die Geißler waren da und erfüllten mit ihrem schwermüthigen Bußgesang ganz Europa.

Die genauesten Nachrichten über die große Geißelfahrt sind in einer Straßburgischen Chronik enthalten und treffen in den Hauptsachen mit andern Berichten überein. Ich will bei meiner Erzählung der erst angeführten Quelle folgen,Elsassische und Straßburgische Chronik von Jakob von Königshoven. Seite 297. »Von der großen Geischelfart.« allein die darin fehlenden Nachrichten aus andern ergänzen.

Vierzehn Tage nach Johannis im Jahre 1339, nachdem man die Juden dort bereits verbrannt hatte, verbreitete sich in Straßburg die Nachricht, daß eine Schaar von 200 besonders frommen Geißlern heranziehe. Ihr Hauptanführer, den sie Vater nannten, schritt mit einem Kreuze in der Hand voran, und ihm folgten zehn der Brüder, welche kostbare sammetne und seidene Fahnen und schön gewundene Wachskerzen trugen. Diesen folgte paarweise die übrige Schaar. Sie trugen Mäntel und Hüte, welche beide mit einem rothen Kreuze versehen waren. Während die Glocken ihnen zu Ehren von allen Thürmen geläutet wurden, wie in allen Orten, die sie passirten, geschah, näherten sie sich singend der Stadt. Ihre Lieder aber, die sie sangen, nannten sie Lais, Leis oder Leich, welche Benennung wahrscheinlich durch eine abkürzende Verstümmelung von Kyrie eleison entstanden ist, welches in den ersten Zeiten der Kirche der erste Gesang war. Der Lais der Geißler, den sie im Gehen sangen, lautete:

Nu ist die bettevart so her,
Crist reit selber gen iherusalem,
Er fürt eine krütze an siner hant,
Nu helf uns der heilant.
Nu ist die bettevart so gut,
Hilf uns herre durch din heilges blut,
Daz du an dem crütze vergoßen hast,
Unn uns in dem ellende geloßen (erlöset) hast.
Nu ist die stroße also breit,
Die uns zu unsere lieben frowen treit, (trägt)
In unsere lieben frowen lant
Nu helfe uns der heilant.
Wir süllent die buße an uns nemen,
Daz wir gote deste bas gezemen (gefallen)
Aldort in sines vatters rich,
Des bitten wir dich sünder alle gelich.
So bitten wir den vil heiligen Crist
Der alle der welte gewaltig ist.

Der erste Weg der Geißler war nun stets in die Kirche. Kamen sie dorthin, dann knieten sie nieder und sangen:

Jhesus wart gelabet mit gallen,
Des süllent wir an ein crütze hallen.

Nun warfen sie sich plötzlich nieder »daß es klapperte« und daß ihre Körper ein Kreuz bildeten. So blieben sie eine Weile liegen, bis ihre Vorsänger sich erhoben und sangen

Nun hebent uf die üwern hende,
Daz got dis große sterben wende;
Nu hebent uf üwere arme,
Daz sich got über uns erbarme.

Dasselbe wurde nun drei Stunden lang wiederholt unter dem Zuschauen der in Masse herbeigeströmten, verwunderten Menge. Jeder, der es vermochte, lud nun wenigstens einen oder mehrere dieser Wallfahrer zu sich ins Haus; manche nahmen wohl zehn bis zwanzig mit und bewirtheten sie gut.

Die Regel dieser Bußbrüder war nun folgende: Wer in die Brüderschaft treten wollte, mußte sich verpflichten, 34 Tage lang darin zu bleiben, nachweisen, daß er gebeichtet hatte, daß er von Reue zerknirscht sei und daß er allen seinen Feinden vergeben; daß er, wenn verheirathet, die Erlaubniß seiner Frau habe, und für seinen Unterhalt wenigstens täglich vier Pfennige besitze, denn die Geißelbrüder durften nicht betteln. Ebenso wenig durften sie um Herberge bitten oder in ein Haus kommen, es sei denn, daß man sie ohne ihr Bitten einlud. Mit Frauen durften sie nicht reden; wer dagegen fehlte, der kniete vor dem Meister nieder und beichtete es ihm. Dieser gab ihm eine Buße auf, schlug ihn mit der Geißel auf den Rücken und sprach:

Stant uf durch der reinen martel ere
Vnd hüte dich vor den sünden mere.

Geistliche konnten in die Brüderschaft zwar aufgenommen, durften aber niemals Meister werden und wurden auch zum geheimen Rathe nicht zugezogen. Außer dem Meister hatte jede Gesellschaft noch zwei Untermeister, denen unbedingter Gehorsam geleistet werden mußte.

Die Geißelbrüder, welche von den Kreuzen, mit denen sie versehen waren, auch Kreuzbrüder genannt wurden, pflegten am Tage zwei Mal zu büßen; so nannten sie das Geißeln. Gewöhnlich geschah es ein Mal des Morgens und wieder des Abends. Unter dem Läuten aller Glocken zogen sie paarweise und ihre Laise singend unter Vortragung des Kreuzes und ihrer Fahnen auf das Feld hinaus, in Straßburg auf die Metzgerau, ein großer Platz, der damals noch nicht angebaut war. Ihnen folgte, wie natürlich, eine große Menschenmenge.

Auf dem ausersehenen Orte angekommen, legten sie ihre Kleider ab uud zogen eine Art weißleinenen Weiberrocks oder Schürze an, welche von den Hüften bis zu den Füßen herunterreichte. Der Oberkörper war völlig nackt. Nun legten sie sich in einem weiten Kreise an die Erde nieder, und ein Jeder suchte durch ausdrucksvolle Geberden seine Hauptsünde, weshalb er büßte, kenntlich zu machen. Ein Meineidiger legte sich auf die Seite und reckte die Finger in die Höh; ein Säufer setzte die Hand an den Mund, als ob er tränke; ein falscher Spieler machte Bewegungen mit der Hand, als habe er Würfel darin; die Mörder legten sich auf den Rücken und die Ehebrecher auf den Bauch.

Lagen sie nun alle an der Erde, dann schritt der Meister über einen von ihnen hinweg, schlug ihn mit der Geißel und sprach:

Stant uf durch der reinen martel ere
Vnd hüte dich vor der sünden mere.

Der Geschlagene erhob sich und folgte nun dem Meister, der mit den übrigen die Ceremonie wiederholte, bis alle aufgestanden waren.

Nun begann die Geißelung. Zwei oder drei der Brüder, welche die besten und stärksten Stimmen hatten und die Vorsänger machten, stellten sich zusammen und um sie herum bildeten Brüder paarweise einen Kreis. Nun setzte sich derselbe in Bewegung, und jeder geißelte sich selbst mit einer Geißel, die aus einem hölzernen Stiel bestand, an welchem drei Stränge befestigt waren, an deren Enden sich dicke Knoten befanden. Durch diese Knoten waren kreuzweise zwei eiserne Stacheln getrieben, so daß vier Spitzen in der Länge eines Waizenkorns hervorsahen. Diese Spitzen schlugen sich häufig so fest in das Fleisch, daß die Geißler mehr als einmal ziehen mußten, um sie wieder herauszubekommen.

Sie schlugen sich nach dem Takte des Liedes, welches die sich ebenfalls geißelnden Vorsänger sangen, und dessen Refrain sie wiederholten. Es lautete:Ich gebe dies berühmte Geißlerlied nach der Handschrift der Closnerschen Chronik, auf welche sich Königshofen bezieht, welche aber Förstemann nicht kannte. Letzerer theilt das Lied nach einer andern Quelle mit. Es stimmt zwar im allgemeinen mit dem hier abgedruckten, allein einige Verse sind ausgelassen, andere an falschen Stellen eingeschoben und andere zugesetzt. – Da den Lesern die alte Sprache schwer verständlich sein wird, so gebe ich eine Uebersetzung, so gut ich sie mit Hülfe der Förstemannschen zu geben vermag.

Nun tretet herzu wer büßen will,
Fliehen wir die heiße Hölle,
Lucifer ist ein böser Geselle
Sein Trachten ist, wie er uns fangen will.
Wen er hat dem wird Pech zum LohnEine Variante dieses Liedes lautet:

Wen er habet,
Mit Pech er ihn labet.


Drum soll'n wir von der Sünd' abstohn.
Wer unsrer Buße will pflegen,
Der soll vergelten und wiedergeben,
Der vergelte recht, lass' die Sünde fahr'n
So wird sich Gott über ihn erbarm'n.
Der vergelte recht, lass' sich die Sünden reuen,
So will sich Gott in ihm erneuen,
Jesus Christ, der wart gefangen
An ein Kreuz wart er gehangen,
Das Kreuz das wart von Blute roth,
Wir (be)klagen Gott's Marter und seinen Tod.
Durch (um) Gott vergießen wir unser Blut,
Das sei uns für die Sünde gut.
Des (dazu) hilf uns lieber Herr und Gott,
Des bitten wir durch deinen Tod.
    »Sünder, womit willst du mir lohnen?
    »Drei Nägel und eine Dornenkronen
    »Das heilige Kreuz, eines Speeres Stich,
    »Sünder, das leid' ich Alles durch dich.
    »Was willst du leiden nun durch mich?«
    So rufen wir nun mit lautem Ton:
    »Unsern Dienst geben wir zum Lohn:«
    Durch dich vergießen wir unser Blut,
    Das sei uns für die Sünde gut.
    Des hilf uns lieber Herr und Gott
    Des bitten wir dich durch deinen Tod.
    Ihr Lügener, ihr Meineidschwörer,Ir lügener, ir meinswerere,
Dem hoheste got sint ir un mere,
Ir bihtent keine sünde gar
Des muszent ir in die helle dar.

    Dem höchsten Gott seid ihr ein Greu'l.
    Ihr beichtet keine eurer Sünden,
    Müßt drum euch in der Hölle finden.
    Davor behüt uns Herr und Gott
    Des bitten wir dich durch deinen Tod.

Nun fielen alle Geißler auf die Knie, erhoben die Arme in Kreuzesform und sangen:

Jesus ward gelabt mit Gallen,
Drum sollen wir an ein Kreutze fallen.

Nun fielen sie wieder zur Erde nieder, erhoben sich dann wieder auf die Knie und sangen:

Nun hebet auf wohl eure Hände,
Daß Gott dies große Sterben wende,
Nun hebet auf wohl eure Arme,
Daß Gott sich über uns erbarme.
Jesus durch deiner Namen drei
Du mache uns hier von Sünden frei,
Jesus, durch deine Wunden roth,
Behüte uns vor dem jähen Tod.

Jetzt erhob sich die Schaar und fing wieder an, im Kreise umhergehend, sich zu geißeln, wobei folgender Lais gesungen wurde:

Maria stand in großen Nöthen,
Als sie ihr liebes Kind sah tödten,
Ein Schwerdt durch ihre Seele schneid't,
Das laß dir Sünder seien leid.
Des hilf uns lieber Herr und Gott,
Des bitten wir dich durch deinen Tod.
Jesus rief im Himmelreich,
Seinen Engeln allzugleich.
Er sprach zu ihnen dessengleichen:Er sprach zu in vil sendelichen steht eigentlich da, soll aber vielleicht semelichen, desgleichen heißen.
»Die Christenheit will mir entweichen,
»Drum will ich lan (lassen)
»Die Welt zergan (untergehen),
»Das wisset sicher ohne Wahn.«
Davor behüt uns Herr und Gott,
Drum bitten wir dich durch deinen Tod.
Maria bat ihr'n Sohn, den süßen:
»Liebes Kind laß sie dir büßen,
»So will ich machen, daß sie müssen
»Bekehren sich,
»Des bitt ich dich,
»Viel liebes Kind gewähr du mich.«
Des bitten wir Sünder all' auch dich.
Welch Mann oder Frau ihre Eh' nun brechen,
Das will Gott selber an ihnen rächen.
Schwefel, Pech und auch die Galle
Gießet der Teufel in sie alle.
Fürwahr sie sind des Teufels Beut'. (? bot)Die Variante bei Förstemann hat spot.
Davor behüt uns Herr und Gott,
Des bitten wir dich durch deinen Tod.
Ihr Mörder und ihr Straßenräuber (strosrôbere)
Euch ist die Red' ein Theil zu schwere,
Ihr wollt euch über Niemand erbarm'n,
Drum müßt ihr in die Hölle fahr'n.
Davor behüt' uns Herr und Gott,
Des bitten wir dich durch deinen Tod.

Nun wiederholte sich dieselbe Zwischenhandlung, die vor der zweiten Geißelung stattfand, und es begann die dritte Geißelung unter Absingung eines an die Sünder gerichteten Lais:

O weh ihr armen Wucherer
Dem lieben Gott seid ihr ein Gräu'l (mere)
Du lieh'st ein Mark wohl um ein Pfund,
Das zieht dich in der Hölle Grund,
Deshalb bist du nun ewig verlor'n,
Dazu so bringt dich Gottes Zorn.
Davor behüt uns Herr und Gott,
Des bitten wir dich durch deinen Tod.
Die Erde bebt, es klaffen die Steine,
Mit den Augen Thränen weinet.
Schlagt euch sehr
Durch Christus Ehr,
Durch Gott vergießen wir unser Blut,
Das ist uns für die Sünde gut.
Des hilf uns lieber Herr und Gott,
Des bitten wir dich durch deinen Tod.
Wer den Freitag nicht gefastet,
Und den Sonntag nicht gerastet,
Der soll in der Hölle Pein
Ewiglich verloren sein.
Davor behüt uns Herr und Gott,
Des bitten wir dich durch deinen Tod.
Die Eh die ist ein reines Leben,
Die hat Gott selber uns gegeben.
Ich rath' euch Frauen und euch Mannen,
Daß ihr die Hoffahrt laßt von dannen,
Durch Gott so lasst die Hoffahrt fahr'n,
So will sich Gott über uns erbarm'n.
Des hilf uns lieber Herr und Gott,
Des bitten wir dich durch deinen Tod.Der Schluß des Liedes, welches Förstemann mittheilt, heißt:

Wäre diese Buße nicht geworden,
Die Christenheit wäre ganz verschwunden,
Der leidige Teufel hat sie gebunden.
Maria hat gelös't unser Band. –
Sünder ich sage dir liebe Mähr:
Sankt Peter ist Pförtener.
Wende dich an ihn, er lässet dich ein,
Er bringet dich vor die Königin.
Lieber Herr Sankt Michael,
Du bist ein Pfleger aller Seel;
Behüte uns vor der Hülle Noth!
Das thu durch deines Schöpfers Tod.

Hatten nun die Geißler diesen Gesang vollendet, dann zogen sie wieder ihre Kleider an, und einer von ihnen erhob sich und las mit lauter Stimme einen höchst wunderlichen Bericht von einem himmlischen Briefe vor, welchen die Leute die Predigt der Geißler nannten. Sie lautet in möglichst wörtlicher Uebersetzung wie folgt:

»Dies ist die Botschaft unseres Herrn Jesu Christi, die vom Himmel herabgekommen ist auf den Altar der guten Herren St. Peters zu Jerusalem, geschrieben an eine marmorne Tafel, von der ein Licht ausging gleich einem Blitz. Die Tafel hat Gottes Engel aufgerichtet. Da das Volk das miteinander sah, da fielen die Leute nieder auf ihr Antlitz und schrieen Kyrie eleison! was so viel heißt als:

Herr erbarme dich über uns. Die Botschaft unseres Herrn lautete also:

»Ihr Menschenkinder, ihr habt gesehen und gehöret, was ich verboten habe, und habet das nicht beachtet; weil ihr ungerecht und ungläubig seid, und auch nicht gehalten habt meinen heiligen Sonntag, und habt das nicht gebüßt und gebessert und auch von euren Sünden nicht lassen wollt, die ihr begangen habt, und habt Wohl gehört in dem Evangelio, Himmel und Erde müssen vergehen, aber mein Wort vergeht niemals. Ich habe euch gesandt Korn, Wein und Oel genug, wohl nach rechtem Maße, und das Alles hab ich genommen von euren Augen um eurer Bosheit willen und wegen eurer Sünde, und wegen eures Hochmuths, da ihr meinen heiligen Sonntag und meinen heiligen Freitag nicht beachtet habt mit Fasten und Feiern. Darum gebiete ich den Saracenen und andern heidnischen Leuten, daß sie vergießen euer Blut und viele Gefangene hinwegführen.

»Es ist in kurzen Jahren viel Jammer geschehen; Erdbeben, Hunger, Feuer, Heuschrecken, Raupen, Mäuse, Hagel, Reif, Frost, Gewitter und großen Streites viel; das habe ich euch alles vorhergesandt, weil ihr meinen heiligen Sonntag nicht gehalten habt. Da ihr nun so blind seid an den Augen eurer Seele, und so taub an euren Ohren, daß ihr nicht hören wollt die Worte meiner Stimme, darum habe ich euch viel Schmerzen und Plagen gesandt und daß viel wilde Thiere eure Kinder fressen sollen. Ich habe euch gesandt trockene Jahre, und Regen mit Güssen und großem Wasser, und habe das Erdreich verdorben, daß es unfruchtbar geworden ist. Ich habe über euch gesandt das heidnische Volk, das eure Kinder gefangen hinweggeführt hat. Ich machte, daß ihr dürres Holz vor Hunger mußtet essen ohne Brot in manchen Landen, und die Tannzapfen und Haselzapfen, und das Kraut im Garten und neben den Straßen, das mußten sie vor Hungersnoth essen. Selig war der, der es hatte, darum, daß ihr nicht gehalten habt meinen heiligen Sonntag und auch meinen Freitag.

»O ihr Ungetreuen und ihr Ungläubigen, bedenket ihr nicht, daß mein Gottes-Zorn über euch gekommen ist wegen eurer Bosheit, die ihr euch angewöhnet habt. Ich hatte mir vorgenommen, daß ich zerstören und zertrümmern wollte die weite Welt wegen eures Unglaubens und weil ihr nicht verstehen wollt mein heiliges Wort des heiligen Evangelii, daß ich gesprochen habe, Himmel und Erde müssen vergehen, aber mein Wort nimmermehr. Der Worte habt ihr vergessen und habt nicht gefeiert meinen heiligen Sonntag und meinen heiligen Freitag mit Fasten und mit andern guten Werken. O ihr viel Armen, bedenket ihr denn nicht das Leiden Gottes und sprecht also: wir sind Brüder und sind doch nicht wahre Brüder. Ihr seid einander feind: ihr machet unter einander Gevatterschaft und haltet sie nicht, wie ihr von Rechtswegen solltet. Darum dachte ich, daß ich euch zertheilen wollte in die weite Welt. Das hat mich gereut; um euretwegen nicht, sondern wegen der Menge meiner Engel, die mir zu Füßen gefallen sind und mich gebeten haben, so daß ich meinen Zorn von euch gewendet und euch meine Barmherzigkeit zugetheilt habe. O ihr sehr armes Geschlecht. Den höllischen Leuten, den Juden, habe ich auf dem Berge Sinai gegeben das alte Testament, und diese halten ihren Samstag. Aber ich habe euch gegeben das Gesetz des heiligen BundesO ir viel armes geschlechte, daz ich den helleschen lüten den Juden han geben die alten e uf deme berge Synai, unn die behaltend iren samestag. Aber ich habe üch geben die e des heiligen töffes mit miner sele selber etc. mit meiner Seele selber, und ihr haltet nun dennoch nicht den heiligen Sonntag und den heiligen Freitag und andere Feiertage meiner lieben Heiligen, deshalb will ich über euch gehen lassen meinen Zorn, daß die Wölfe und andere wilde Thiere eure Kinder fressen, und will machen, daß ihr jung sterbet und daß euch der Sarazenen Rosse zertreten müssen und an euch rächen die Tage meiner heiligen Auferstehung. Wahrlich die Wahrheit sage ich euch, haltet den heiligen Sonntag von dem Samstag zu Mittag bis zum lichten Morgen des Montags. Ich gebiete euch Priestern und Brüdern Bußübungen mit dem Kreuze zu haltendaz sü setzent Crütze verte vasten un betten und zu fasten und zu beten und zwar an einem Freitag. Glaubet und folget ihr nicht meinem Gebot, so will ich blutigen Regen fallen lassen, dicker als Hagel. Ich hatte die Absicht, an dem zehnten Tage des siebenten Monats, das ist an dem Sonntag nach unser Frauen Tage, als sie geboren ward, Alles zu tödten, was da lebet auf Erden. Davon haben mich meine liebe Mutter Maria und die heiligen Engel Cherubim und Seraphin abgebracht, die nicht abließen für euch zu bitten. Durch diese habe ich euch eure Sünden vergeben und mich über euch Sünder erbarmet. Ich schwöre euch bei meinen heiligen Engeln, daß ich – (wenn die Menschen nämlich nicht seine Gebote halten) euch etliche Thiere und Vögel senden werde, die ihr nie vorher gesehen habt und daß die Sonne so finster werden wird, daß ein Mensch den andern tödtet.

»Ich kehre mein Antlitz von euch, und wird sich unermeßliche Klage mit mancherlei Stimmen erheben. Eure Seelen sollen dürren von dem Feuer, welches kein Ende hat. Ich will über euch schicken ein greuliches Volk, die euch schlagen und euer Land verwüsten wegen eurer Sünde. Ich schwöre euch bei meiner rechten Hand, das ist bei meiner göttlichen Gewalt und bei meiner Würde, sollte es der Fall sein, daß ihr nicht haltet meinen heiligen Sonntag und meinen heiligen Freitag, ich euch so von Grund aus vernichten will, daß eurer auf Erden nimmer gedacht werden soll. Dagegen verspreche ich euch, daß, wenn ihr euch von euren Sünden bekehret, ich euch segnen will, daß die Erde Frucht bringt in Menge und alle Welt mit meiner Würde erfüllt wird. Ich will euch geben meine große frôdeHier fehlt: also daz ir üwers nüwen mit dem viernen hinbringent, welchen Satz ich nicht entziffern kann. und will meinen Zorn gegen euch vergessen und will erfüllen alle eure Häuser mit meiner göttlichen Güte, und wenn ihr kommt vor mein Gericht, so will ich euch meine Barmherzigkeit mittheilen mit den Auserwählten in dem ewigen Reiche. Amen.

»Welcher Mensch nicht an die Botschaft glaubet, der wird in den Bann Gottes meines Vaters im Himmel gethan. Aber wer sie glaubet, dem kommt mein Segen in sein Haus. Sehet, wer der Mensch ist, der seinen Nächsten erzürnt hat, der soll sich mit ihm versöhnen, ehe er meinen heiligen Leib empfängt. Wer den andern zwingt oder reizt zum Schwören am Sonntag, der ist verflucht mit dem, der den Eid schwört. Wer Gerichte an meinem Sonntage hält, ist verflucht ewiglich. Wisset, daß ich Gewalt habe über alle Kreaturen im Himmel und auf Erden und im Abgrunde und an allen Orten, und ihr seid so gar unverständig, daß ihr das nicht einseht und eure Sünden weder bereuet, noch Ablaß dafür empfangt. Drum haltet ihr nicht meinen heiligen Sonntag und auch nicht meinen heiligen Freitag und andere meiner Gebote und seid so gar dummen Sinnes, und seid ohne Verstand, und versteht nicht die ewige Reue und den ewigen Frieden. Die Tage die sind mein, ich habe sie geschaffen und alle Zeit. Ich habe euch gegeben Alles, was ihr habt, und ihr erkennt nicht die Tageszeit oder mich selber, und jede Kreatur erkennt doch ihren Schöpfer. O ihr armen Dummen, ihr erkennet nicht euren Schöpfer. Es wäre euch besser, daß ihr nicht geschaffen wäret, daß ihr nicht das ewige Leben besäßet. Sehet, meine Tage sind ewig friedlich alle Zeit, und die Kreatur, die mir dienet, soll würdig sein, etwas von diesem ewigen Frieden zu erhalten; und ihr Armen, ihr erhaltet nicht meinen Frieden. Ihr haltet nicht meinen heiligen Sonntag und andere Feiertage meiner lieben Heiligen, und wer der Priester ist, der den Brief meiner Botschaft hat und ihn nicht liest vor dem Volke und dafür sorgt, daß er gehalten werde, der ist Gottes Feind und hält nicht seine Gebote. Ja, giebt es etliche Priester, die darum Priester werden, daß sie gut essen und trinken und Gottes Wort nicht predigen wollen, das kommt Alles auf ihr Haupt vor Gottes Gericht. Höret ihr meine Stimme und haltet meine Gebote und laßt ab von euren Sünden, so verfluche ich euch nimmermehr. Wahrlich ich schwöre euch bei meiner rechten Hand und bei meinen hohen Armen und bei den Tugenden meiner Engel, ist es der Fall, daß ihr haltet meinen heiligen Sonntag und meinen Freitag, so halte ich euch das vollkommen, was ich euch versprochen habe. Wer der Mensch ist, der gern zur Kirche geht und Almosen giebt und andere Ehre mir erzeiget, für diese Handlungen will ich ihm danken mit mancher Liebe an dem Tage des Gerichtes und an dem Ende. Alle die Wucherer und alle die, welche Zinsen nehmen uud die darnach streben, über die kommt Gottes Zorn, wenn sie sich nicht bessern. Wahrlich alle Ehebrecher und Ehebrecherinnen, die sind miteinander verloren und verdammt ewiglich, wenn sie sich nicht bessern und Buße thun, und alle die freventlich schwören und das nicht ändern, sind auch verloren, denn sie sind und heißen Gottes Lästerer ( marteler). O ihr sehr Armen! gebt ihr nicht recht euren Zehnten, so geht Gottes Zorn über euch. Wer die sind, die in die Kirchen gehen an meinem heiligen Sonntage und an andern heiligen Tagen und ihr Almosen theilen mit den Armen, die erwerben die Barmherzigkeit meines Vaters.

»Als der Brief der heiligen Botschaft von dem Engel gelesen wurde und er ihn in der Hand hielt, da kam eine Stimme vom Himmel und sprach: Glaubet mit reuigem Herzen an euren Schöpfer und an die gute Botschaft, die ich euch gesendet habe. Wenn ihr zu entfliehen hoffet, so kann sich Niemand vor meinen Augen verbergen. Da stand auf der Patriarch mit seinen Priestern und rief das Volk zusammen. Da sprach der Engel: Höret Alle und vernehmet, wie ich euch schwöre bei den Tugenden unseres Herrn Jesu Christi und bei seiner Mutter, der reinen Jungfrau, und bei den Tugenden aller Engel und bei den Kronen aller Märtyrer, daß die Botschaft keines Menschen Hand geschrieben hat, sondern der König des Himmels mit seiner Hand, und wer das nicht glaubt, der ist verkehrt und verbannt, und Gottes Zorn kommt über ihn. Wer es aber glaubet, der soll Gottes Erbarmung haben und seine Wohnung in dem ewigen Leben, und wer die Botschaft Gottes abschreibet und von Stadt zu Stadt, von Haus zu Haus und von Dorf zu Dorf den Brief sendet, mein Segen kommt in sein Haus. Welcher Priester diese Botschaft höret und schreibet und vor dem Volke verkündet, über den soll mein Segen ergehen und soll sich freuen mit meinen Auserwählten immer in meinem Reiche ewiglich. Amen.

»Nun schweiget und höret, so will ich euch sagen von der Brüderschaft und von der Wallfahrt, wie sie hergekommen ist von dem Engel des allmächtigen Gottes, wie das Gott der Welt kund that, daß sie ihn erzürnet hätte, und schrieb an eine Tafel von Marmor und sandte sie durch einen seiner Engel nach Jerusalem. Die Botschaft verkündete der Engel; mit aufgereckter Hand hob er die Tafel auf und sprach also: O ihr armes Geschlecht, warum erkennt ihr nicht euren Schöpfer. Wisset, und willst du nicht fürchten Gottes Zorn, so will er über dich seinen Zorn und seine Gewalt ergehen lassen. Als das Volk die Tafel sah, an welcher die Botschaft stand, so erglänzte die Tafel und erleuchtete die Kirche gleich einem Blitz. Da erschrak das Volk so sehr, daß sie auf das Antlitz niederfielen, und als sie wieder zu sich selber kamen, was thaten sie? sie gingen zu einander und beriethen sich, was sie thäten, das Gott angenehm wäre und daß er seinen Zorn vergesse.

»Da beriethen sie sich und gingen zu dem Könige von Sicilien ( Cecilien) und baten ihn, daß er ihnen riethe, was sie thun sollten, daß Gott seinen Zorn gegen sie vergesse. Der rieth ihnen, daß sie auf die Knie fallen und den allmächtigen Gott bitten sollten, daß er ihnen kund thäte, was sie thun sollten und wie sie sich mit ihm versühneten, daß er vergeße seines Zornes gegen die arme Christenheit. Das Volk that, wie er ihm rieth, und fiel auf seine Knie und bat Gott mit ganzem Ernste. Da sprach der Engel: Mensch, du weißt Wohl, daß Gott 34 Jahre auf Erden wandelte und nie einen guten Tag hatte, nicht zu gedenken seiner großen Marter, die er durch dich am Kreuze erlitten hat, das hast du ihm nicht gedankt und willst es ihm auch nicht danken. Willst du dich nun mit Gott versöhnen, so sollst du wallen 34 Tage und sollst niemals guten Tag noch gute Nacht haben, und sollst vergießen dein Blut, so will er nimmer sein Blut an dir lassen verloren werden und will vergessen seines Zornes gegen die arme Christenheit.

»Dies fing an der König von Sicilien und vollbrachte die Wallfahrt gemeinschaftlich mit seinem Volke bis zu dem Könige von Krakau ( Krakôwe), der vollbrachte sie bis zu dem Könige von Ungarn. Der König von Ungarn bis zu dem von Meißen, der von Meißen bis zu dem von Brandenburg, der von Brandenburg bis zu dem von Eisenach, die von Eisenach bis zu denen von Würzburg, die von Würzbürg bis zu denen von Hall. Die von Hall bis zu denen von Eßlingen, die von Eßlingen zu denen von Calw, von Calw gen Weil, von Weil gen Bulach, die von Bulach vollbrachten die Wallfahrt zu denen von Herrenberg und gen Tübingen ( tuwingen) und gen Rotenburg und ist also gekommen an den Rhein in alle großen und kleinen Städte und in den Elsaß. Nun bittet Gott, daß er uns Kraft gebe und Sinn und Verstand sie gut zu vollbringen, daß es Gott und seiner lieben Mutter Maria und allen Engeln und dem ganzen himmlischen Heere eine Freude sei und allen denen ein Trost, zur Liebe und zur Seele, die uns oder unsern Brüdern, die die Wallfahrt gethan haben, jetzt thun und noch thun wollen, Gutes gethan haben nnd noch wohl thun; denen möge Gott den ewigen Lohn geben und möchten die Seelen noch heute getröstet werden von allen ihren Nöthen ( erebeiten). Dazu helfe uns der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen.

»Allen denen soll werden kund, die diese gesehen oder lesen gehört, daß von Apulien ( pullen) bis Sicilien, und in Cypern und von Cypern bis zu Toskana ( tuschan), und Catanea ( kadan) zu Genua ( ienue) bis gegen Avignon ( Avion) und wieder von Avignon bis zu Lyon ( loyn), von Lyon bis zu Rom und innerhalb allen ihren Gebieten und in Padua ( badôwe) und in ihren Gebieten der dritte Mensch nicht leben bleiben soll. Nun ist der Tod gekommen bis gen Bern und nach Kärnthen und nach Oestereich und her bis in den Elsaß. Wer da stirbt oder todt ist, die liegen alle nicht länger als bis zum dritten Tage, und haben keine andere Krankheit als Dreierlei. Die erste ist, manche Menschen bekommen Kopfweh mit großer Hitze und sterben sogleich. Die andere heißet das kalte. Die dritte sind kleine Drüsen, welche unter beiden Armen und in den Kniekehlen in der Größe einer Haselnuß entstehen. An diesen Krankheiten sind gar viele Leute in den Landen gestorben, und vor den Krankheiten soll Niemand erschrecken. Wer da erschrickt, der ist todt auf der Stelle. Für die Krankheiten ist gut Oel von weißen Lilien und Oel von Dillensamen, zusammen heiß gemacht und dann in ein weißwollen Tuch gethan und daraus gedrückt so heiß man es leiden kann, vier oder fünfmal und auf den Kranken gelegt. Essig und saure Speisen sind für die Krankheiten gut.«

Die Menge der Zuschauer, welche unter Schluchzen und Weinen die Buße mit angesehen hatte, hörte auch geduldig diesen ungeheuren Unsinn mit an, der, wie man schon aus der konfusen Geographie sieht, wahrscheinlich das Machwerk eines der Meister der Geißler und im geheimen Rathe ausgeklügelt war. War die Vorlesung vorüber, dann ging der Zug zurück in die Kirche der Stadt, wieder unter dem Geläute der Glocken und nach Durchmachung der schon früher erwähnten Ceremonien ging jeder Bruder mit seinem Wirthe in dessen Wohnung, wenn es der Meister erlaubte. Auf Federn schlief Niemand, und in keinem Kirchspiele blieben die Geißler länger als eine Nacht.

In Speier hatten sie schon eingen sehr großen Enthusiasmus erregt, das Geißeln wurde hier mode, und sogar zweihundert Knaben rotteten sich zusammen und geißelten sich; viele der Bürger schlossen sich dem Zuge an, der schon um deshalb einen guten Eindruck machte, weil diese Geißler nichts mit den Frauen zu thun hatten und weil sie nicht bettelten.

In Straßburg vermehrte sich der Zug um mehr als tausend Männer und die Meister fanden es für gut, die Geißelfahrt zu trennen. Ein Theil zog den Rhein hinauf, ein anderer hinab, aber Straßburg blieb, wie es scheint, ihr Hauptquartier. Doch diese beiden Schaaren blieben nicht die einzigen. Die neue Buße fand in allen Ländern solchen Beifall, daß sich neue Geißelschaaren unter besondern Meistern bildeten, welche Deutschland und die benachbarten Länder nach allen Richtungen hin durchzogen. Eine dieser Abtheilungen ging sogar über das Meer und nach England, wo sie sich drei Tage lang in der Paulskirche in London geißelte. Fast überall wurden die Büßenden als fromme, gottselige Leute freundlich aufgenommen; nur die Berner verspotteten die trübseligen Sänger und suchten sich in der traurigen Zeit durch Feste und kriegerische Unternehmungen zu zerstreuen. Den Lais der Geißler parodirend sangen sie:

Wer unsrer Buß will pflegen,
Soll Roß' und Ochsen nehmen,
Gänse und fette Schwein',
Damit gelten wir den Wein.

Die Franzosen übersetzten dagegen die Geißlergesänge, und jedes deutsche Volk sang sie nach seiner Mundart oder dichtete neue. Einige derselben sind in den Fasti Limpurgensis enthalten. Ich will nur zwei daraus mittheilen:

O Herr Vater Jesu Christ,
Wann du allein ein Herre bist,
Du hast uns die sünd macht zu vergeben,
Nun gefrist uns hie unser leben,
Daß wir beweinen deinen tod
Wir clagen dir Herr all unser noth u.s.w.

Ein anderer Lais lautete:

Es ging sich unser Frauwe, Kyrieleison.
Des morgens in dem Tauwe, Halleluja.
Da begegnet ihr ein junge, Kyrieleison.
Sein bart war ihm entsprungen, Halleluja.
Gelobet seistu Maria.

Der große Beifall, den die Geißler überall fanden, machte sie aber bald übermüthig. Wenn man sie fragte, oder wenn man sie gar belehren wollte, dann antworteten sie grob und trotzig und pochten auf den guten Erfolg ihrer Unternehmung. Zwei Predigermönche wollten ihrem Beginnen wehren und ließen sich mit ihnen in eine Disputation ein; allein ihr Widerspruch erzürnte die Geißler dermaßen, daß sie den einen mit Steinen todt warfen. An der bayrischen und meißenschen Grenze soll Aehnliches geschehen sein. Daß sie überhaupt gegen die Geistlichen nicht gut zu sprechen waren, habe ich schon früher bemerkt. Wenn sie von diesen gefragt wurden: »Warum predigt ihr, die ihr nicht gesandt seid und lehrt, was ihr nicht versteht?« dann antworteten sie:

»Wer hat denn euch gesand und woher wißt ihr, daß ihr Christi Körper consekrirt, und daß ihr das wahre Evangelium predigt?« Und fragten die Geistlichen, woran man erkennen sollte, daß die Geißelfahrt wohl begründet sei und wer ihren Brief besiegelt hätte? dann gaben sie zur Antwort: »Der die Evangelien besiegelt hat.« Ueberall, wo sie es vermochten, nahmen sie das Volk gegen die Geistlichen ein, deren Sittenlosigkeit und Schlechtigkeit nach ihrer Meinung an dem Verderben der Welt großen Antheil hatten.

Die Geistlichen, welche mit Besorgniß diese gefährliche Macht sich gegen sie erheben sahen, thaten, was in ihren Kräften stand, sie zu unterdrücken, und suchten Alles hervor, um die Geißler als Ketzer verdächtig zu machen, wozu sie durch manche ihrer Handlungen und Lehren allerdings hinlänglich Veranlassung gaben. Ihre freiwillige Buße war schon überhaupt nicht im Sinne der Kirche, denn griff diese Lehre um sich, so wurde sie den Leuten unentbehrlich. Besonders nahm man es den Kreuzbrüdern sehr übel, daß sie ihren Meistern, die Laien waren, beichteten und von ihnen eine Buße und Absolution empfingen. Auch sollen sie vorgegeben haben, daß durch sie Wunder und Zeichen geschähen. So behaupteten sie, sagte man, sie hätten Todte erweckt und Teufel ausgetrieben. Um letzteres zu beweisen, sollten sie Weiber mit sich herumgeführt haben, welche aussagten, daß durch die Geißler ihre Teufel ausgetrieben worden wären. Auch erzählten sie, daß Gott ihre Speise auf dem Felde vermehrt habe, als sie einst Mangel gelitten hätten und lehrten, daß das Blut, welches durch die Geißelschläge vergossen werde, sich mit dem Blute Christi vermische, und andern Unsinn, welcher dem entgegen war, den die Pfaffen selbst predigten.

Die Folge davon war, daß sie sehr bald anfingen, in Verachtung zu gerathen. Während ein Theil des Volkes die Geißler noch immer verehrte, wurden sie bereits von den Vernünftigen verlacht und selbst gehaßt, da sich allerlei lüderliches Gesindel zu ihnen gesellte und das Land unsicher machte. Hierdurch und weil durch die Geißelfahrt alle Gewerbe und der Ackerbau stockten, wurden verschiedene Fürsten und Obrigkeiten veranlaßt, mit Strenge gegen diese Fanatiker zu verfahren.

König Philipp VI. von Frankreich befahl »diese Teufelsmärtyrer« mit dem Tode zu bestrafen, denn die Universität Paris hatte erklärt, die neue Sekte sei gegen Gott, gegen die Vorschriften der heiligen Mutter-Kirche und gegen das Heil ihrer eigenen Seele.

Auch Kaiser Karl IV. erließ Verordnungen gegen sie und veranlaßte den Papst, ein Gleiches zu thun. Jacob von Königshofen schreibt darüber: »Das Volk trat in solcher Menge in ihre Brüderschaften, daß es den Papst und den König und die Geistlichkeit verdroß. Da schrieb der römische König Karl dem Papste, daß er etwas in der Sache thäte, sonst würden die Geißler die ganze Welt verkehren; denn sie maßten sich große Heiligkeit an und gaben vor, es geschähen durch sie große Zeichen. Zu Straßburg trug man ein todtes Kind um ihren Ring, aber es gelang ihnen nicht, dasselbe lebendig zu machen. Die Geißelfahrt dauerte über ein halbes Jahr, während welcher Zeit jede Woche einige Schaaren Geißler kamen. Darauf machten sich auch die Frauen auf und zogen über Land und geißelten sich. Hierauf zogen auch die Knaben und Kinder über Land in der Geißelfahrt. Endlich wollten die Stadtbürger sie nicht mehr mit Glockengeläut empfangen, und man war ihrer so müde, daß man aufhörte, sie nach Hause zu laden. Man fing an davon zu sprechen, daß sie mit Betrug umgingen, und daß der Brief, den sie predigten, erdichtet sei. Zuletzt verbot der Papst ihre Fahrt und gebot allen Bischöfen, daß sie in ihren Bisthümern die Geißler abthun und verbieten sollten. Auch in Straßburg gebot man, daß kein Geißler mehr hereinkommen sollte; und wer Lust hätte, sich zu geißeln, sollte sich im Verborgenen in seinem Hause geißeln, so viel als er wollte. Also nahm die Geißelfahrt in einem halben Jahre ein Ende, die, wie sie sagten, vierunddreißig Jahre dauern sollte ... Und so lange die Geißelfahrt währte, so lange dauerte auch die Pest, und als jene aufhörte, ließ auch das Sterben nach.«

Die Pariser Magister schickten den gelehrten niederländischen Benediktiner, Doktor und Professor der Theologie, Johann du Fay, nach Avignon zum Papst, um ihn zum Einschreiten gegen die Geißler zu bewegen. Dieser gelehrte Mann wußte ihn davon zu überzeugen, daß die Geißler dem Ansehen der Kirche gefährlich wären, und Clemens VI. entschloß sich um so leichter, dem Verlangen des Kaisers und der Universität Paris zu entsprechen, als er die Geißler ganz in der Nähe gesehen hatte und durch sie erschreckt worden war. Eine Gesellschaft von etwa hundert Baseler Bürgern, die sich zu einer Geißelfahrt vereinigten, hatten den Einfall, Sr. Heiligkeit einen andächtigen Besuch in Avignon zu machen, um zu erfahren, was die apostolische Kirche eigentlich von den Geißlern hielt. Der Papst wollte sie ins Gefängniß werfen lassen, weil sie sich eigenmächtig eine Kasteiung und Buße auferlegten; allein der heiligen römischen Kirche »Thürpfosten«, die Herren Kardinäle, entschuldigten sie damit, daß die Leute nicht geglaubt hätten, etwas Böses zu thun.

Am 20. Oktober 1339 wurde von Clemens die Verdammungsbulle gegen die Geißler unterzeichnet und an die deutschen, polnischen, schwedischen, englischen und französischen Erzbischöfe abgeschickt.

In dieser Bulle sagt der Papst: »Viele große und glaubwürdige Männer haben uns berichtet, daß in Deutschland und in den daran stoßenden Ländern durch Einwirkung des Satans unter dem Namen einer Buße eine thörichte Religionsübung aufgekommen ist, zu welcher eine Menge einfältiger Menschen sich hat verführen lassen. Sie nennen sich Geißler. Ihre Verführer geben vor, Christus sei dem Patriarchen von Jerusalem in dieser Stadt (wo doch schon so lange kein Patriarch ist) erschienen und habe ihm Einiges gesagt, das abgeschmackt ist und den Aussprüchen der Schrift widerspricht. Dieses Unwesen wird immer gefährlicher und nimmt immer mehr überhand und breitet sich aus, da die Geißler, ohne aus der allgemeinen Verbindung zu treten, sich in Gesellschaften und Versammlungen zertheilen, welche die verschiedenen Provinzen durchstreifen. Sie verachten alle andern Stände und Lebensarten und rechtfertigen sich selbst, indem sie die Schlüssel der Kirche nicht ehren. Die Kirchenordnung geringschätzend, führen sie ohne eines Obern Erlaubniß unter dem Namen der Buße ein ungewöhnliches Leben, tragen ein Kreuz vor sich her und haben ein besonderes schwarzes Kleid, das hinten und vorn mit einem Kreuz bezeichnet ist. Sie bilden verbotene Gesellschaften und Vereine, zeichnen sich aus durch Handlungen, welche dem Charakter und der Weise der Gläubigen fremd sind, und haben sich eigenmächtig Gesetze und Satzungen aufgestellt, die irrig und vernunftwidrig erscheinen.

»Am meisten beunruhigt uns, daß selbst Ordensgeistliche, vorzüglich von Bettelorden, die Andere von den Irrwegen auf den rechten Weg führen sollten, aus dem Schooße der Mutterkirche sich böslich entfernen und ohne Achtung gegen göttliche und menschliche Gesetze, auf ihre eigene Klugheit vertrauend, gegen die Freiheit der Kirche und die Reinheit des Glaubens predigen und lehren, das Volk vom wahren Glauben abzuführen sich unterfangen, indem sie ihre Zuhörer durch glatte Worte bethören, um denselben zuletzt ihr Gift desto sicherer einzuflößen und sie mit sich in den Abgrund des Verderbens zu reißen.

»Diesem gefährlichen Beginnen, das die göttliche Majestät beleidigt, den Staat gefährdet und die Gläubigen ärgert, müssen wir uns widersetzen, damit es nicht in seinem Fortgange und Wachsthume noch mehr Unheil stifte; denn schon haben Geißler unter dem Scheine der Frömmigkeit mit gottloser Grausamkeit der Juden, welche die christliche Liebe erhält und schützt, häufig auch der Christen Blut vergossen, und wo sie Gelegenheit erhielten, das Eigenthum der Geistlichen geplündert und geraubt, auch der Gerichtsbarkeit ihrer Obern sich anzumaßen sich nicht entblödet, und es ist zu befürchten, daß man sich ihrer Anmaßung und Verwegenheit nicht mehr würde widersetzen können, wenn man ihr nicht bald durch kräftige Mittel begegnete.

»Endlich scheint ein Irrthum, dem man nicht widerspricht, gebilligt zu werden, und wir sind durch unser Amt gehalten, die auf gefährlichen Wegen Irrenden zurechtzuweisen und auf den Weg der Wahrheit und Gerechtigkeit zu leiten. Deshalb befehlen wir nach dem Rathe unserer Brüder (der Kardinäle) den Erzbischöfen und ihren Suffraganen, daß sie in ihren Diöcesen alle Erfindungen, Gebräuche, Gesellschaften, Zusammenkünfte, Verordnungen und Satzungen der sogenannten Geißler, die wir auf unsrer Brüder Rath verworfen und auf ewig verboten haben, in unserm Namen öffentlich für gottlos und verboten erklären oder erklären lassen.

»Die Erzbischöfe und Suffraganen sollen Alle, die in einer solchen Gesellschaft sind, sowohl die Welt- und Ordensgeistlichen als die Laien, wer sie auch sein mögen, in unserm Namen ermahnen, von jener Sekte und Weise abzustehen und nie wieder in dergleichen Verbindungen zu treten und ihre Gebräuche und Satzungen zu beobachten. Sie sollen die Widerspenstigen durch Kirchencensuren, diejenigen, welche ihrer weltlichen Gerichtsbarkeit unterworfen sind, auch durch zweckmäßige weltliche Strafen zur Ordnung nöthigen. Sie sollen die Ordensgeistlichen und andere Irrlehrer, welche das Volk zu jener Sekte verführen, ohne Rücksicht auf ihren Orden und ihre Würde oder auf irgend ein Privilegium in Verhaft nehmen und darin behalten, bis wir ihnen andere Befehle ertheilen, indem sie, wo es nöthig ist, dazu die Hülfe des weltlichen Arms anrufen.

»Durch alles dieses wollen wir keineswegs verhindern, daß die Christgläubigen eine ihnen auferlegte oder eine freiwillig übernommene Buße, in rechter Absicht und aus reiner Andacht, in oder außer ihren Wohnungen, ohne jene abgläubischen Gebräuche, Versammlungen und Gesellschaften erfüllen, und indem sie sich in guten Werken üben, dem Herrn, wie es ihnen eingegeben, im Geiste der Demuth dienen.«

Mit dieser Päpstlichen Verbannungsbulle war aber die Sekte der Geißler noch keineswegs unterdrückt, und es würde niemals mit Gewalt gelungen sein, wenn nicht allmälig die Hitze des Bußeifers mit dem Nachlassen der Pest verraucht wäre. Die Bischöfe sahen sich sehr oft genöthigt, zu »dem weltlichen Arm« ihre Zuflucht zu nehmen, und der Papst hielt es nicht für überflüssig, selbst an verschiedene Fürsten zu schreiben, um sie zur Vertheidigung der Kirche gegen die Geißler aufzurufen, da es den Erzbischöfen und Bischöfen nicht allein gelingen wolle, »die Giftpflanze, die der himmlische Säemann nicht gesäet, auszureißen.« Der Brief an König Philipp VI. vom 3. Dezember 1349 aus Avignon schließt: »Halte also, geliebter Sohn, diese Verworfenen von dem Reiche ab, wenn sie dahin kommen sollten, ja nöthige sie auch, doch mit Mäßigung, von ihren Thorheiten und Irrthümern abzustehen, damit der katholische Glaube immer seine Reinheit und seinen Glanz behalte, und deine Vorsicht und dein Eifer den Sauerteig der Bosheit dieser Menschen deine Unterthanen nicht beflecken lasse.«

Verschiedene gelehrte Männer schrieben besondere Schriften gegen die Geißler, und wenn diese Schriften auch nicht unter das Volk zu dringen vermochten, so verfehlten sie ihre Wirkung doch nicht auf die Geistlichen, welche mit der Bulle des Papstes vielleicht nicht einverstanden sein mochten. Hatte es diesen doch Mühe gekostet, die Kardinale von der Gefährlichkeit der Kreuzbrüder zu überzeugen. Die meisten der Letzteren gaben ihre Buße auf, da die Kirche ähnliche Gnadenanstalten öffnete und der Papst für 1350 ein neues Jubeljahr ausgeschrieben hatte, wo jeder nach Gefallen Ablaß bekommen konnte. Diejenigen alten Geißler aber, welche Feinde der Pfaffen waren, bildeten heimliche Geißlergesellschaften, in denen ihre von der Kirche verdammten Lehren fortgepflanzt und weitausgebildet wurden.

Daß eine so große und allgemeine Bewegung nicht mit einem Schlag aufhörte und noch längere Zeit nach vibrirte, versteht sich wohl von selbst, und so finden wir noch in den Jahren 1350, 54 und 57 Spuren von Geißlern, besonders in der Diöcese des Erzbischofs von Köln, wodurch dieser veranlaßt wurde, die allerstrengsten Maßregeln zu ergreifen. Diese fruchteten so viel, daß die öffentlichen Geißler ganz aus dem Norden Europas verschwanden; allein unterhalten durch die zahlreichen Geißlergesellschaften, brannte das angezündete Feuer im Süden heimlich fort, wo sein Auflodern abermals durch traurige politische und andere Verhältnisse noch am Ende dieses Jahrhunderts veranlaßt wurde.

Pest und Hungersnoth wütheten in Italien, und von Osten her stürmte drohend der mächtige Sultan Bajazet einher, gefolgt von dem noch mächtigern und wilderen Tamerlan, Sultan von Samarkand. Ungarn und Polen war von türkischen Horden überschwemmt, welche nur auf eine Gelegenheit warteten, auf Europa hereinzubrechen. Im Jahre 1399 glaubte man, daß das Ende der Welt nahe sei und die Menschen waren trostlos, denn sie fürchteten, in ihren Sünden dahin zu fahren. Der Glaube zu der versöhnenden Kraft der Kirche war erschüttert. In dem Kampfe der Gegenpäpste hatten die Söhne der Kirche, gleich dem Sohne des Noah, freventlich die Scham ihrer Mutter aufgedeckt und der erstaunten Welt gezeigt, daß sie durch und durch ungesund war. Sollten die Kranken Hilfe suchen bei noch Kränkern? Die Buße, welche die Kirche vorschreiben konnte, genügte ihnen nicht mehr, und sie sehnten sich darnach, sie aus reineren, unbefleckteren Händen zu empfangen.

Während dieser Stimmung der Gemüther tauchte plötzlich die Gesellschaft der weißen Büßenden auf ( Bianchi). Wo sie entstanden, weiß man eben so wenig wie bei den Kreuzbrüdern. Einige sagen, die weißen Büßenden wären aus Spanien gekommen, andere nennen die britischen Inseln, andere Frankreich als ihr Vaterland, und über ihren Ursprung erzählte man wunderbare Sagen. Die verbreitetste und am meisten Glauben findende war folgende: »Im Jahre nach unsers Herrn und Seligmachers Geburt 1394, im Maimonat, in der Dauphiné, ungefähr drei Tagereisen von Alessandria, wie das Gerücht geht, kam unser Herr Jesus Christus, willens, die Welt um unfrei Sünde willen zu strafen, in der Gestalt eines Jünglings von der edelsten Bildung um Mittag zu einem Landmann, der sein Feld bearbeitete. Und als er gearbeitet hatte, setzte er sich nach seiner Gewohnheit, um zu essen. Und als er sein Brot gegessen und seinen Wein getrunken und nichts übrig gelassen hatte, weder von dem Brote noch von dem Weine, kehrte er zur Arbeit zurück. Da erschien ihm Christus in der genannten Gestalt und sprach: Gieb mir ein wenig von deinem Brote. Er antwortete: Verzeih, daß ich dir nichts geben kann, denn so eben habe ich gegessen und nichts übrig behalten. Christus sprach: Du hast doch wohl etwas? Er aber wußte nicht, daß es Christus war, und sprach: Ich habe gewiß nichts. Darauf hieß Christus ihn nachsehen. Und er sah nach und fand drei Brote, oder wie Andere sagen, ein Brot in drei Theile getheilt. Der Landmann verwunderte sich; aber Christus sprach zu ihm: Gehe hin zu jenen Brunnen und wirf diese drei Stücke Brotes in den Brunnen, der an dessen Fuße ist. Und der Landmann sprach: Mehr denn zwanzig Jahre habe ich das Land gebauet und weiß gewiß, daß eine Meile weit im Umkreise kein Brunnen ist. Und Christus sprach: Gehe, denn er ist daselbst. Da bedachte der Landmann, was mit dem Brote geschehen war, und machte sich auf und ging hin und fand den Brunnen an dem Fuße des Baumes. Aber dabei saß eine weißgekleidete Frau, ganz in Thränen; es war die Jungfrau Maria. Dieselbe sprach: Was willst du thun? Und er antwortete: Ich will dieses Brot in den Brunnen werfen, wie mir dort ein Jüngling geheißen. Sie sprach: Wirf es ja nicht hinein, sondern gehe hin zu jenem und sage ihm, du habest eine Frau gefunden, die nicht wolle, daß du es hineinwerfest. Der Landmann that also. Und Christus sprach zu ihm: Geh' und wirf es hinein, wie ich gesagt. Und er kehrte zurück, um es hineinzuwerfen. Sie aber sprach zu ihm: Thue es nicht, sondern kehre wieder zu jenem und sage ihm, deine Mutter will nicht, daß ich es hineinwerfe. Also kehrte der Landmann wieder zurück. Da befahl ihm Christus, es dennoch auf jeden Fall hineinzuwerfen, ohne wieder zurückzukehren.

»Und als die Frau ihn kommen sah, ward sie hoch betrübt und wehrte ihm mit dem Mantel und schrie laut: Wirf es nicht hinein! Aber der Landmann sprach: Er hat mir's befohlen, ich thue es also: – und nahm ein Stück Brot und warf es über die Frau hinweg in den Brunnen. Da sprach sie: Du hast übel gethan; denn dieses bedeutet, daß der dritte Theil der Welt zu Grunde gehen wird. Und wenn du das zweite Stück hineinwerfen wirst, so werden zwei Drittheile zu Grunde gehen, wirfst du aber das Ganze hinein, so wird die ganze Welt untergehen. Und wisse, der dir jenes befahl, war Christus, und ich bin seine Mutter. Er hatte beschlossen, die Welt zu strafen für ihre Sünden; da ließ ich nicht ab zu bitten, daß ich solche Grausamkeit nicht sehen möchte; und ich bewirkte durch meine Fürbitte, was ich wünschte.

»Nun weinte die Frau gar sehr; der Landmann aber fiel auf seine Kniee und sprach: Heilige Jungfrau, sage ein Rettungsmittel. Sie sprach: Ich weiß kein anderes, als daß ihr geht von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, von Dorf zu Dorf und diese Geschichte predigt und durch eure Predigt die ganze Christenheit in Bewegung setzet, und solche Weise haltet: Alle, Männer und Weiber, Kleine und Große, sollen sich kleiden in weiße Leinwand, gleich wie ich gekleidet bin. und sollen gehen nach Art der Geißler, die Weiber mit einem rothen Kreuze auf dem Kopf, die Männer mit einem rothem Kreuze auf der Schulter, und sich geißeln, und alle sollen, sich geißelnd, neun Tage lang in Prozession hinter einem Crucifix gehend drei Mal rufen, so laut sie können: Barmherzigkeit, und drei Mal Friede! Sie sollen nicht auf bemauerter Erde schlafen, und neun Tage weder sich auskleiden, noch unter ein Dach eingehen; sie sollen jeden Morgen nach einer Stadt oder nach einem Flecken sich begeben, und wenigstens drei Kirchen besuchen, und sollen in einer Kirche Messe lesen lassen, vorzüglich die Messe von den fünf Wunden, und dem Volke predigen; sie sollen kein Fleisch essen und den ersten Sonnabend bei Brot und Wasser fasten, und sollen barfuß gehen, laut singend das Lied Stabat mater dolorosa und andere Gesänge, Psalmen und Gebete. Also soll die Christenheit neun Tage hindurch thun und acht Nächte. Und wenn sie dieses thun, werde ich nicht ablassen, meinen Sohn zu bitten, daß sein Zorn sich lege. Ich bin gewiß, daß er, der voll unendlicher Barmherzigkeit ist, seinen Zorn unterdrücken und das harte Urtheil widerrufen wird.

»Geh und verkündige dies überall, wohin du kommen magst. Und also sollen sie thun mit aufrichtigem Herzen, beichtend alle ihre Sünden und beklagend alle ihre Sünden gegen die göttliche Majestät. Alles Unrecht werde verziehen in allen Städten, Oertern, Dörfern und Ländern, mit dem guten Vorsatze, hinfort nicht mehr zu fehlen, so weit die menschliche Schwäche verstatten wird.

»Der Landman verkündigte alles dieses. Es waren anfangs, wie man sagt, ungefähr achtzehn Männer, die sich also kleideten und anfingen, alles zu thun, was die Jungfrau befohlen. Diese bewogen das ganze Land, dasselbe zu thun, und zogen nebst unzähligen Andern bis nach Genua, in dessen Gebiete sich zuerst sechstausend Menschen also kleideten, hernach aber waren ihrer mehr denn zwanzigtausend, wie Herr Giusto de Filippo di Gaio aus Pistoia, der daselbst gewesen war, sagte.«

Diese neue Geißelfahrt der büßenden Weißen hatte einen ganz anderen Charakter als die der Kreuzbrüder im Jahre 1349. Die Geistlichkeit war sogleich bemüht, sich dieser Bewegung zu bemächtigen, um nicht durch dieselbe bei Seite geschoben zu werden, und die Geißelfahrt bekam dadurch gewissermaßen Gesetzlichkeit und Ordnung. Wer sich derselben anschloß, that, wie nach der Legende die Jungfrau dem Manne gesagt. Männer und Weiber beichteten und breiteten sich durch das Abendmahl zu der Buße vor. Man vergab seinen Feinden, bat die Beleidigten um Verzeihung und erstattete so viel als möglich Unrecht erworbenes Gut zurück. So gereinigt nahm man das bis auf die Füße herabfallende weiße Bußgewand um, welches gewöhnlich aus zwei Betttüchern gemacht war. Der Kopf und das Gesicht wurden durch eine Kapuze oder eigene Tücher verhüllt, und nur Oeffnungen für die Augen waren eingeschnitten. Die Weiber unterschieden sich durch ein rothes Tuchkreuz, welches auf dem Kopftuch genäht war. Viele trugen auf der Schulter eine Muschel. Die Kreuze und Muscheln der Geistlichen waren auf dem Bilde des heiligen Jakob geweiht, auch trugen sie zur Unterscheidung Chorhemden und Chorröcke nebst der Stola und dem Kopftuch. Jeder Weiße trug eine brennende Kerze. Voran zogen drei Männer mit Stäben, um Platz zu machen. Dann kamen die, welche Wachskerzen auf Stäben trugen, dann die Crucifixträger, dann die hohe Geistlichkeit, dann Weiber und zuletzt Männer, entweder paarweise oder zu drei und drei. Hin und wieder beobachtete man auch eine andere Ordnung. Die meisten der Büßenden waren barfuß und geißelten sich mit aus Strängen gemachten Geißeln, ohne sich zu entkleiden. An jedem Scheidewege, an jeder Kirche und auf jedem freien Platze warfen sich die Büßenden nieder und riefen überlaut mit emporgestreckten Händen: Barmherzigkeit, Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! Friede, Friede, Friede! Dann beteten sie ein Paternoster oder andere Gebete und sangen gewöhnlich das Stabat mater, ein Lied, welches dem lüderlichen Papste Johann XXII., nach andern dem heiligen Bernhard, oder dem Papst Gregor I., mit dem meisten Recht aber einem Franziskaner, Jakob de Benedictus, zugeschrieben wird, der 1306 starb. Dieses Lied wird noch heut zu Tage so oft gesungen und genannt, daß ich es nicht für überflüssig halte, die früheste gelungene deutsche Uebersetzung desselben hierherzusetzen:

1.
        Die muter stund vol leid und schmerzen
bei dem kreuz mit schwerem herzen,
da ir liebes kind ane hieng,
deren seufzende traurige sele
ganz vol kummers und große quell
des mitleidens schwert durchgieng.
2.
O wie trauig, wie verheret
was die muter hochgeeret,
gottes eingeborner sun,
da sie sach den zarten Herren
sein so heilig blut verreren
und jm soliche pein antun.
3.
Welcher mensch wollt doch nit weinen,
wann er sech die muter reine
in so großer quell und Pein?
wer möcht doch nit mit ir trauren,
der Mariam ân alles dauren
sach in solichem jammer sein?
4.
Sie sach jn marteln und peinen,
Jesum für die sünd der seinen
leiden so gedultiglich,
sie sach Jesum gar verlassen,
sterben mit den ungenossen,
sein sel lassen bitterlich.
5.
Eia munter, brunn des herzen,
mach empfinden mich dein schmerzen,
mach dass ich auch traur mit dir;
mach mein herz also entbrennen,
Christ lieb haben und erkennen,
dass er hab gefall an mir.
6.
Heilige muter, deins suns schmerzen,
wöllest eindrucken meinem Herzen,
dass ich stets gedenk daran;
mach mich solich streich und wunden,
Die Christ für mich hat empfunden,
alle zeit in meim herzen han.
7.
Mach mich warlich mit dir weinen,
dem kreuz Christi mich vereinen
als lang als mein leben wär,
dass ich bei dem kreuz werd' funden,
mit dir wein zu allen stunden
herziglich ist mein beger.
8.
Jungfrau aller jungfraun kronen,
wollest meiner sünden schonen
und mich mit dir weinen lan,
dass ich änderst nüt tu achten
dann das leiden Christi betrachten,
das selb in mein herzen han.
9.
Mach mich durch den tod deins kindes
sicher vor bei hand des veindes,
vor seim grimmen zorn und neid,
daß ich in der lieb gefirmet
durch dich, Jungfrau, werd beschirmet
auf den tag der letsten zeit.
10.
Mach daß mich des kreuzes güte
und der tod Christi behüte
in genaden ewiglich;
wan der leib nüt mer sol leben,
daß meiner armen sel werd geben
bei dir freud in seinem rich.

Die Buße der Weißen dauerte neun Tage, während welcher sie fasteten und sich des Nachts auf freien Plätzen, meistens auf Kirchhöfen, lagerten, Männer und Weiber unter einander, wie es grade kam. Die Schwärmerei ergriff alle Italiener, und wer das weiße Bußgewand nicht anlegte, wurde für einen Ketzer gehalten. Die vornehmsten Herren, selbst Bischöfe und Prälaten, ja sogar Nonnen sah man in den Reihen der Weißen.

Diese wurden als willkommene Friedensstifter fast überall zuvorkommend aufgenommen; nur in Genua, welches durch Parteikämpfe innerlich zerrissen war, wies sie das Volk anfänglich aus Mißtrauen zurück; als sie aber später wiederkamen, wurden sie mit unerhörtem Enthusiasmus aufgenommen, denn ein Wunder bahnte ihnen den Eingang! Zu Boltri wurde ein Knabe, der schon drei Stunden todt gelegen hatte und ihren Fürbitten empfohlen worden war, durch ihr Geschrei: Friede! Barmherzigkeit! wieder lebendig, und das Gespött der Genueser verstummte. Viele Tausende stark hielten die Weißen in Genua ihren Einzug, und der alte Erzbischof, Jakob von Fiesco, benutzte die durch sie erregte Stimmung, Frieden in der Stadt herzustellen.

Er veranstaltete mit allem nur möglichen geistlichen Pomp eine feierliche Messe und schloß sich dann selbst mit seinen Geistlichen der Prozession an. Da er wegen Altersschwäche nicht mehr gehen konnte, so ritt er auf einem gleichfalls in weiße Decken gehüllten Pferde. Ein Lahmer wurde wieder gesund; man fand die Leichname der Heiligen, kurz es trugen sich unerhörte Dinge zu, worunter aber wohl das unerhörteste war, daß sich hier und in andern Orten die gegen einander erbitterten Welfen und Ghibellinen versöhnten.

Joh. Galeazzo Visconti, seit dem Jahre 1395 Herzog von Mailand und der Herr der bedeutendsten Orte in der Lombardei, war den Weißen nichts weniger als günstig. Er fürchtete durch sie den Umsturz seiner Herrschaft und verwehrte ihnen den Eintritt in seine Festungen; aber dessenungeachtet fand die Bußschwärmerei in seinem Lande die regste Theilnahme, und die Einwohner verließen die den Weißen verschlossenen Städte, um ihre Predigten auf freiem Felde anzuhören oder sich der Geißelfahrt anzuschließen. Die Zahl dieser Büßerschaaren war ungeheuer, und am 4. September sah man in der Nähe von Bergamo nicht weniger als zwanzigtausend, und an einer Prozession der Weißen in Florenz nahmen gegen vierzigtausend Büßende Theil. Dieser große Zusammenlauf der Menschen erregte aber die Besorgniß des Herzogs von Mailand in hohem Grade, und am 16. September verbot er bei zehn Goldgulden Strafe, einer solchen Prozession beizuwohnen, weil dadurch die Pest nur immer weiter getragen werde.

In Bologna war der Enthusiasmus ungeheuer. Hierher kam der Bischof von Modena mit fünfzehntausend Weißen und das ganze Volk von Bologna legte weiße Bußkleider an. Todfeinde versöhnten sich hier wie überall, und es geschahen Wunder über Wunder. Bald stand ein drei Stunden lang todt gelegener Priester wieder auf und predigte dieses Wunder, bald sahen die Büßenden durch ihre Fanatismus-Brille allerlei Veränderungen an Sonne, Mond und Sternen, bald weinten und bluteten Kruzifixe, und Krüppel, welche sie küßten, wurden gesund. Den vernünftigsten Leuten wurde der Kopf verrückt, und wer seinen gesunden Verstand behielt, der mußte schon der öffentlichen Meinung wegen den Unsinn mitmachen. Am 8. September sah man den Marchese Nikolaus III. von Este nebst seiner Gemahlin und seinem ganzen Hofe, die Bischöfe von Ferrara und Modena, den Patriarchen von Jerusalem und alle vornehmen und geringen Geistlichen in weiße Säcke gehüllt der Prozession folgen.

Die gottlosen Römer, welche mit den pfäffischen Machwerken am genauesten bekannt waren, lachten und spotteten, als sie von der neuen Buße hörten; aber als die Weißen dorthin kamen, hüllten sich die ärgsten Spötter in weiße Bußkleider und jammerten und heulten über ihre Sünden. Der Papst war ganz erstaunt über die Bußfertigkeit seiner Römer. Als er am 14. August eben auf dem Petersplatze den Segen austheilte, kam dorthin eine Prozession der Weißen. Voran schritt des Papstes mächtiger Feind, Graf Nikolaus Colonna, barfuß und mit dem Kreuze in der Hand. Als der Papst ihn fragte, was ihn zu diesem Vorhaben bewogen habe, antwortete Colonna: »Als die Weißen in mein Land kamen, lachte ich über sie; doch ging ich mit ihnen nach Sutri. Aber nun sah ich wahres Blut aus der Seite des Kruzifixes quellen; da wurde ich gerührt nebst den Meinen: das ist die Veranlassung.«

Der Papst wurde sichtlich gerührt, besonders durch den schönen Gesang der Weiber von Monte Fiascone; er segnete die Büßenden und setzte alle gefangenen Geistlichen in Freiheit. Der Auditor des Papstes und viele päpstliche Hofleute schlossen sich der Wallfahrt an.

Daß bei einem so großen Zusammenfluß von Menschen trotz aller Frömmigkeit höchst unheilige Dinge vorfielen, kann man sich denken, ohne daß ich es sage. Mancher lockere Patron mochte das Bußgewand anziehen, um unter dieser Maske allerlei Unfug zu treiben, und die verliebten italienischen Frauen veranlaßte wohl nicht Frömmigkeit allein dazu, sich in weiße, unkenntlich machende Gewänder zu hüllen. Des Abends auf dem Lagerplatz mögen sich oft genug Freund und Freundin zusammengefunden haben, wie die Bemerkungen der alten Chronikenschreiber vermuthen lassen.

Die Schwärmerei würde vielleicht noch viel länger gedauert haben, als es der Fall war, wenn nicht die entdeckte Betrügerei einiger Anführer der Weißen ihr schnell ein Ende gemacht hätte. Einer derselben, ein großer, schwarzer und bärtiger Alter, kam an der Spitze von dreißigtausend Weißen nach Rom; die Büßenden nannten ihn Johannes den Täufer, und allgemein hieß es, er habe mit einem Kruzifixe Wunder verrichtet. Er stellte es in einer Kirche auf und rief drei Mal wie Bosco: Kruzifix, zeige dein Wunder! Das Crucifix gehorchte und vergoß drei Blutstropfen. Aehnliche Wunder verrichtete dieser »Johannes der Täufer« noch mehrere und versetzte dadurch den Papst Bonifazius IX. in nicht geringe Unruhe, denn er wurde über den heiligen Mann förmlich vergessen.

Er versammelte ein Konsistorium und erklärte sich bereit, die päpstliche Würde niederzulegen, wenn die Sendung und die Wunder dieses Mannes echt wären. Der römische Senator Zacharias Trevisani von Venedig erbot sich, die Sache zu untersuchen, und nahm zuerst den Heiligen ins Gebet, der mit großer Unverschämtheit dabei blieb, daß er Johannes der Täufer sei. Nun nahm man sein Kruzifix und zerlegte es. Da fand man denn, daß es hohl war und ein kleines Loch an der Seite hatte, aus welchem man vermittelst einer Vorrichtung einige Blutstropfen herausfließen lassen konnte. Johannes blieb aber dabei, er sei kein Betrüger. »Nun gut,« sagte der Senat, »das wird sich zeigen.« und ließ ein großes Feuer anzünden, »Wenn du unversehrt herauskommst, so wollen wir an dich glauben.« »Au waih, Barmherzigkeit um Gottes Willen,« schrie der Heilige und gestand, daß er zwar nicht Johannes der Täufer, aber doch – ein anderer Jude sei. Der Papst ließ ihn ins Feuer werfen und für seine Künste, auf welche die römisch-katholische Kirche nur allein ein Privilegium hat, zu Asche verbrennen.

Ein anderer Anführer der Weißen, den sie den Propheten Elias nannten, that ebenfalls mit einem Kruzifix viele Wunder und gewann einen Ungeheuern Anhang unter dem Volke. Dieser Prophet kam bis nach Viterbo, von wo aus er dem Papste mit seinen fanatisirten Schaaren einen Besuch machen und sich vielleicht selbst auf den Stuhl Petri setzen wollte. Bonifatius war aber klug genug, den Betrüger durch Soldaten aufheben und allein nach Rom bringen zu lassen. Das Crucifix war ebenfalls hohl und der heilige Elias gestand, daß er ein Geistlicher wäre, der nach der päpstlichen Krone getrachtet habe. Er wurde ebenfalls verbrannt. Seine Genossen, die durch ähnliche Wunder gewirkt hatten, machten sich eiligst davon und die Buße der Weißen nahm ein Ende.

Ich habe früher gesagt, daß man über den Ursprung dieser Schwärmerei keine bestimmten Nachrichten hat; allein aus mancherlei zusammentreffenden Umstanden kann man mit ziemlicher Gewißheit den Schluß ziehen, daß die Buße der Weißen, wenn auch nur mittelbar, durch den heiligen Vincentius Ferrer hervorgerufen wurde.

Vincente de Ferrer aus Valencia war die Blume der Dominikaner. Seine Verehrer nennen ihn den Stern von Spanien, das Licht von Valencia und das Wunder der Welt. Er war in der That ein merkwürdiger Mann und noch lange nicht der größte Narr unter den Heiligen. Im Jahre 1357 zu Valencia geboren, trat er 1374 in den Orden, dessen Zierde er werden sollte. Durch seine Schriften wurde der Legat des Papstes in Spanien, Petrus de Luna auf ihn aufmerksam gemacht, und dieser verschaffte ihm eine Professur in Valencia. Als der Legat unter dem Namen Benedict XIII. den päpstlichen Stuhl in Avignon bestieg, berief er Vincentius zu sich und machte ihn (1395) zu seinem Beichtvater und zum Magister sacri palatii.

Hier unter so heiligen Umgebungen entwickelten sich seine Anlagen zum Heiligen wunderbar. Schon im Mutterleibe war er häufig laut geworden und hatte so seine Bestimmung zum Prediger zu erkennen gegeben, und als er als solcher auftrat, war jedermann erstaunt über seine Rednergabe und über seine donnernde Stimme, welche man, wenn er in der Bretagne predigte, bis in Avignon hörte. So erzählte die Acta sanctorum, ein höchst glaubwürdiges Buch.

In Avignon stieg dem Dominikaner die Heiligkeit in den Kopf und er bekam ein hitziges Fieber, welches er dadurch verschlimmerte, daß er während desselben seine gewöhnliche Geißelungen fortsetzte. Er schlug sich alle Nächte mit knotigen Stricken, oder ließ sich geißeln, wenn er zu schwach war, es selbst zu thun. Im Delirium erschien ihm Christus, umgeben von einer Leibgarde von Engeln, und beauftragte ihn, die Menschen durch Predigten zur Buße zu ermahnen, da wegen ihrer Sünden das Ende der Welt sehr nahe sei.

Nun konnte den heilige Mann nichts mehr in Avignon zurückhalten. Der Papst gab seinen Bitten endlich nach, machte ihn zum Special-Legaten und bestätigte ihn (1396 oder 97) als apostolischen Prediger. Als solcher trat er im Jahr 1398 seine großen Wanderungen an, überall die Menschen zur Buße ermahnend und das Ende der Welt verkündend. Zu gleicher Zeit bekehrte er Ketzer und Ungläubige aller Art und warb Anhänger für seinen Papst Benedict XIII. Ueberhaupt schien er sich zur Hauptaufgabe gemacht zu haben, das unheilvolle Schisma in der römischen Kirche zu Ende zu bringen. Die Fürsten, welche das Ende des ärgerlichen Zwiespaltes ebenso sehnlich herbeiwünschten, bedienten sich des allgemein geachteten Vincenz als Vermittler.

Die apostolischen Wanderungen dieses Mannes hatten einen so guten Erfolg, daß er nicht im Stande war, sein Amt allein zu versehen und gezwungen wurde, fünf andere Dominikaner als Gehülfen anzunehmen. Daß die Natur dem Heiligen parirte und auf seinen Befehl von ihren ewigen Regeln abging, das heißt, daß der heilige Mann Wunder verrichtete, versteht sich von selbst, sonst wäre er kein Heiliger.

Wo er nur erschien, strömte ihm eine ungeheure Menge bußbedürftiger und bußfertiger Sünder zu. Die Handwerker hörten auf zu arbeiten, die Professoren in den Universitäten setzten ihre Vorlesungen aus und es traf sich nicht selten, daß gegen achtzigtausend Menschen um Vincentius versammelt waren. Ein ungeheurer Schwarm Büßender begleitete ihn fortwährend und er war genöthigt, zur Verhütung von Unordnung besondere Bußregeln und polizeiliche Anstalten einzurichten. Er stellte einige rechtliche Leute an, welche für Erhaltung der Ordnung, für Herbeischaffung des Proviants und für Einrichtung des Nachtlagers zu sorgen hatten. In letzterem waren stets die Laien von den Geistlichen und die Männer von den Weibern gesondert.

Geistliche aus den verschiedensten Orden zogen mit Ferrer, um Beichte zu hören und Messe zu lesen. Für den Gesang führte er sogar tragbare Orgeln mit sich. Die Büßenden, welche ihm nachfolgten, mußten täglich nach Sonnenuntergang in den Städten und Dörfern, wo sie übernachteten, gewisse Prozessionen anstellen, wobei Lieder gesungen wurden, die er zu diesem Zwecke selbst gedichtet hatte. Jeder mußte sich bei diesen Umzügen auf die bloßen Schultern geißeln und dabei ausrufen: »Dies geschieht zum Gedächtniß der Leiden Jesu Christi und um meiner Sünden willen.« Wenn dies unter den Aeußerungen der tiefsten Zerknirschung von gegen zehntausend Menschen geschah – denn so stark war meistens des Vicentius stehende Narrenarmee – so machte dies auf die von allen Seiten herbeiströmenden Zuschauer einen solchen Eindruck, daß sie anfingen mitzuheulen und gleichfalls von ähnlichem Wahnsinn ergriffen wurden.

Was dieser heilige Mann alles für wunderbare Dinge verrichtete, erzählen höchst glaubwürdige Pfaffen und Mönche der gläubigen Welt in ihren von echt römischem Geist durchwehten Schriften. An der Wahrheit dieser Erzählungen zu zweifeln fällt nur solchen Leuten ein, welche von den römischen Katholiken Ketzer genannt werden. Vincentius erweckte nicht allein Todte, sondern er machte auch, daß sein vortreffliches Latein von allen Völkern, sogar von den Sarazenen verstanden wurde. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß er durch seine lateinischen Predigten achttausend dieser Heiden bekehrt hätte? Doch das ist noch nicht Alles. Er bekehrte auch fünfundzwanzigtausend Juden, gegen vierzigtausend »öffentliche« Sünder, wie Banditen und Huren, und außerdem noch hunderttausend Sünder von der gewöhnlichen Sorte.

Etwas Abglanz von dem ihn umstrahlenden Heiligenschein fiel sogar auf die ihn begleitenden fünf Dominikaner, denn auch sie verrichteten Wunder. Aus ihrer Schule gingen wahrscheinlich die Anführer der verschiedenen Geißlerhaufen der Weißen hervor, denn diese waren, wie man sagt, meistens ausländische Dominikaner. In allen Ländern, die man als Geburtsstätten der Buße der Bianchi nennt, war Vicentius Ferrer gewesen. Im Jahre 1398 zog er von Avignon nach Spanien und auch in das maurische Königreich Granada und auf der Rückreise kam er 1400 wieder nach der Provence, woher die Weißen stammten, die nach Genua und in die Lombardei zogen.

Die Bestrebungen des heiligen Vincentius, und besonders seine Beförderung der Geißler, wurden von den zu Costnitz versammelten Prälaten keineswegs mit günstigem Auge angesehen. Erst vor kurzer Zeit hatte man eine Anzahl heimlicher Geißlei in Thüringen den Händen der Inquisition überliefert und dadurch erfahren, welche für die römische Kirche gefährlichen Lehren diese Art Fanatismus erzeugen könne, Es lag der Kirchenversammlung viel daran, der gefährlichen Wirksamkeit des Vincentius ein Ende zu machen; allein man konnte mit einem Manne von so außerordentlichem Einflüsse nicht umspringen wie mit dem unglücklichen Johannes Huß. Wurde dem Heiligen ein Haar gekrümmt, so erhoben sich hunderttausende zu seiner Vertheidigung. Ueberdies mußte man ihn auch schon wegen seines großen Einflusses auf den Gegenpapst Benedict schonen und versuchen, ihn von diesem ab und in das Interesse der Kirchenversammlung zu ziehen.

Der Landesherr des Heiligen, Ferdinand I. von Arragonien, forderte ihn auf (1416) nach Costnitz zu gehen, und von hier aus schickte man einen Kardinal und zwei Theologen an ihn ab ihn ebenfalls freundlichst einzuladen; allein Vincentius hatte keine Lust und zog es vor in Frankreich Buße zu predigen. Da schrieben im Juni 1417 der Kanzler von Paris, Johann Gerson und der Kardinal Peter von Cambrai an Ferrer, um die Einladung zu wiederholen. Dies geschah in den allerschmeichelhaftesten Ausdrücken, aber man verhehlte ihm nicht, daß man mit seiner Ansicht über das Selbstgeißeln gar nicht einverstanden sei.

Ferrer war jedoch selbst ein Pfaffe und kannte seine Brüder. Er war nicht ein solcher Narr, daß er den Kopf freiwillig in die Schlinge gesteckt hätte. Er ging nicht nach Costnitz, versicherte aber der Kirchenversammlung schriftlich, daß er sich ihr in allen Dingen unterwerfen werde und zog nach wie vor mit seiner Geißlerarmee im Lande umher.

Gerson reichte nun eine am 18. Juni 1417 abgefaßte Schrift gegen die Geißler dem Concilium ein. Der Inhalt derselben ist folgender: »Die christliche Religion ist eine Religion der Liebe, welche mit wenig Ceremonien (!) sich begnügt, keine drückenden Sklavendienste auflegt und die grausamen abergläubischen Gebräuche der Götzendiener, z. B. das Zerfleischen des eigenen Körpers, vermeidet. Ihre vornehmste Kraft besteht in der Barmherzigkeit und Gnade, und deren Gefäße sind die Sakramente, durch den bloßen Gebrauch derselben; weshalb verworfen werden muß, was vom Gebrauche der Sakramente, namentlich des Sakraments der Beichte abhält. Aber die Erfahrung lehrt, daß die, welche sich also geißeln, sich weder um die Beichte, noch um die zum Sakramente gerechnete Buße kümmern; denn sie geben vor, ihre Geißelung sei wirksamer zur Vernichtung der Sünden, und einige schätzen sie sogar dem Märtyrerthume gleich oder ziehen sie demselben vor, da sie freiwillig ihr Blut vergössen, die Märtyrer aber nur gezwungen litten.

»Auch ist zu befürchten, daß die Blutbesudelung der Geistlichen und der heiligen Oerter Entweihung und Exkommunikation derselben bewirke. Die Religion verbietet sorgfältig, den Geistlichen öffentliche Buße aufzuerlegen, wegen ihrer Würde; wie viel weniger sollten solche Personen dergleichen öffentliche Buße übernehmen, wie dem Gerüchte nach viele der Selbstgeißler sind; denn man erkennt sie wohl, obgleich sie sich zu verbergen scheinen.

»Ferner wird der Stand der vornehmen Personen beiderlei Geschlechts, die Schamhaftigkeit der Mädchen und Jünglinge, die Würde der Männer und das Ansehen der Eltern, das Alles wird durch jene öffentlichen Entblößungen und Geißelungen beleidigt und geschwächt. Wenn aber Christi Lehre die Geißelungen zuzugeben scheint, nach dem Ausdrucke: Siehe ich bin zum Geißeln bereit! so dürfen dieselben der Vernunft gemäß doch nicht wie bei jenen Geißlern, sondern nur nach dem Urtheile eines Obern, der solche Buße auferlegt, und durch die Hand eines andern, mäßig und ohne Aergerniß und ohne Prahlerei, auch ohne Vergießung des Blutes vorgenommen werden, wie es in einigen bestätigten Orden und von einigen frommen Personen geschieht. Es ist auch bekannt, daß die Lehre Christi, welche erklärt wird durch die heilige Kirche, die mehr Autorität hat, als irgend ein einzelner Lehrer, die Sekte der Selbstgeißler immer gemißbilligt hat, wenn dieselbe sich in verschiedenen Ländern erhob, wie zur Zeit noch jetzt lebender Menschen in Lothringen, Deutschland und Frankreich. Das Christenthum hat viele religiöse Anstalten, wie die der weiblichen und männlichen Begharden, welche Anfangs viel geistliche Frucht zu bringen und Beispiele von Heiligkeit und Strenge zu geben schienen, verworfen, weil sich unter dem guten Scheine (denn nichts Böses kann bestehen ohne einigen Schein des Guten) häufig üble Folgen zeigten; daher ist es ein falscher Schluß, daß man die Sekte nicht aufheben müsse, weil viel Gutes aus ihr komme.

»Die Religion setzte die Christen in ein gewisses Verhältniß mit Gott, aber auch mit ihren Nächsten und mit ihren Fürsten und Prälaten; daher darf das Volk keinen Gebrauch einführen, welcher Aufstand, Spaltung und Aberglaube hervorbringen könnte, sondern solches muß regelmäßig geschehen, nach Vorschrift eines Obern, damit die hierarchische Verfassung nicht gestört werde. Dieses würde aber geschehen, wenn jeder nach Belieben ohne bestimmte Vorschrift und Aufsicht einen neuen Ritus aufbringen dürfte, und Jünglinge und Jungfrauen, Greise und junge Leute, Reiche und Arme sich dazu versammelten. Die einfältige Beobachtung der zehn Gebote ist hinreichend zur Erwerbung der Seligkeit, zumal für die Laien, und es ist unnöthig, neue schwere Lasten aufzulegen. Uebernimmt aber das Volk solche Geißelungen freiwillig, so verachtet es dagegen die göttlichen Gebote um so mehr, denn die verdorbene menschliche Natur zeigt mehr Eifer für die Ausführung der eigenen Entschlüsse und Erfindungen, als für die Erfüllung der göttlichen Gebote; so finden Geistliche mehr Vergnügen an einer freiwillig übernommenen Kasteiung, als an der ganzen regelmäßigen Disciplin.

»Die Unternehmungen der Selbstgeißler sind in der von den Aposteln und heiligen Vätern hinreichend erklärten Lehre Christi auf keine Weise begründet, vielmehr werden sie gemißbilligt und auch in so fern als gefährlich bezeichnet, als sie das Christenthum in den Augen der Juden und Heiden als hart und grausam erscheinen lassen. Die Religion fordert also die Prälaten und Geistlichen und die Fürsten auf, diese blutige Sekte zu zerstören oder zu unterdrücken, sowohl durch Ueberredung als durch Strafen, nach dem Beispiele der Vorfahren. Und da sich, wie die Erfahrungen gelehrt hat, unter der Maske der Buße unzähliges Böse versteckt (neue Ketzereien, Geringschätzung der Geistlichkeit, Verachtung der Beichte und des Bußsakraments, betrügerische Gelderpressungen, verderblicher Müßiggang, Diebstahl, Ehebruch und Unzucht und Verführung zu jeder Sünde durch falsch Büßende), und da das Böse dieser Leute ihr Gutes so sehr überwiegt: ist es räthlich, diese schon früher verdammte Secte, wenn sie wieder keimt und aufwächst, mit der Wurzel auszureißen.

»Um aber nicht mit dem eingewurzelten Unkraute der Geißler auch den guten Weizen auszujäten, verfahre man dabei mit großer Vorsicht. Zuvörderst schärfe man oft und nachdrücklich das Ansehen der heiligen Kirchenversammlung ein, während ihrer Dauer, und das Ansehen des Papstes und der römischen Kirche, damit sich jene den Befehlen derselben unterwerfen. So sagt der vortreffliche Prediger Vincentius in einem neulich hierhergesandten Briefe: Täglich empfehle ich das heilige und allgemeine Concilium zu Constanz, indem ich die Gläubigen auffordere, alle Handlungen, Worte und Schriften der Entscheidung und Berichtigung der heiligen Versammlung zu unterwerfen; und dies thue ich auch in allen meinen Handlungen Reden und Schriften. Diese Worte bezeugen des großen Mannes Demuth und Unterwürfigkeit, welche die Wegweiserin der Tugend ist, indem sie dem Unheile Anderer mehr traut als dem eigenen. Auch lehrt das Beispiel und das noch bestehende Ansehen des heiligen Augustinus, daß Widerruf keine Schande bringt, und den Worten des Demüthigen wird große Kraft verliehen.

»Ferner nenne man die Anstalten, welche mit unschuldiger Frömmigkeit errichtet im Laufe der Zeit ausarten, oder durch Aergerniß, das sie den Schwachen gaben, und aus Mangel an guter Leitung ihres frommen Eifers schädlich wurden. Dabei hüte man sich in Lehre und Predigt, einzelnen Personen, welche sich zu dieser Zeit gegeißelt haben, solche Vorwürfe zu machen, als ob sie des Fluches würdig wären, wenn sie nur der heilsamen Erinnerung Gehör geben, daß Gehorsam besser ist denn Opfer. Man stelle sorgfältige Belehrungen an über die Vorzüge der Geduld in den mancherlei geistlichen und leiblichen Nöthen, welche uns in diesem Leben täglich treffen, von der Geduld in den freiwillig übernommenen Geißelungen. Eine Aufzählung jener vielen Leiden, denen Niemand entgeht, wird zeigen, daß wir unsere Geduld ohne Selbstpeinigung üben können, und daß wir durch standhafte Erduldung derselben unsere Sünden schon abbüßen könnten, wenn die reuige Zerknirschung und ein aufrichtiges und demüthiges Bekenntniß hinzukommt. Es ist mehr werth, sich ohne Murren unter Gottes strafende Hand zu fügen, als wenn man zornig und ungeduldig nicht allein sich bis aufs Blut geißelte, sondern auch sich zerfleischte und gliederweis zerrisse. Wie aber niemand seinen Körper verstümmeln soll, so soll auch niemand freiwillig sein Blut verspritzen, außer zur Erhaltung der Gesundheit und des Lebens.

»Besonders verwende man große Vorsicht, wie gegen eine Unheil bringende Wurzel, gegen jene sehr zahlreiche Gesellschaft, welche solche Geißelungen angefangen oder doch fortgesetzt zu haben scheint. Erklären aber jene Leute ihren Gehorsam, so gebiete man ihnen, von ihrem Unternehmen abzustehen, bis irgend das heilige Concilium oder die römische Kirche dasselbe verordnet und verstattet. Man kann dabei auch die moralische Regel anführen, daß es besser ist, eine Handlung, über deren Zulässigkeit Zweifel obwaltet, zu unterlassen, als sie zu thun, vorzüglich wenn Andere ein Aergerniß daran nehmen. So sichte man die Guten von den Bösen.

»Endlich wenn das Volk etwas Neues verlangt, verweise man es auf solche Gegenstände, die eine sichere und heilsame Andacht gewähren, z.B. auf die Barmherzigkeit der Heiligen, indem man ihre besondere Macht angiebt, und lehrt, wie man bei denselben oder wie ein jeder bei seinem Schutzengel, bei dem Heiligen, dessen Namen er führt, bei der Mutter Gottes und ihrem jungfräulichen Gemahl Hülfe suchen soll. Wenn aber vom jüngsten Gericht oder vom Antichrist gepredigt werden soll, so geschehe es im Allgemeinen mit dem Schlusse, daß mit dem Tode jedem sein ungewisses doch nahes Gericht bevorsteht. Und wollte jemand neue Wunder anführen, so bemerke er, daß die alternde Welt Phantasien falscher Wunder erleide, wie ein alter Mann im Schlafe phantasirt, weshalb die jetzigen Wunder für sehr verdächtig gehalten werden müssen, wenn sie nicht vorher sorgfältig geprüft worden sind. Ueberdies lasse man die Glieder dieser Gesellschaft nicht im Müßiggange leben, wenn sie arbeiten können, damit sie den Arbeitenden ein ermunterndes Beispiel seien und auf keine eigenmächtigen Handlungen verfallen, die, von Verachtung der Prälaten und Geistlichen zeugen, also weder Predigten noch Beichte hören.

»An jedem Orte, wohin sie zum ersten Male kommen, müssen sie sich erst mit den Dienern oder Häuptern der Kirche besprechen und vereinigen, damit keine Trennung zwischen den Laien und Geistlichen entstehe. Sollte endlich der trefflliche Prediger Vincentius dafür halten, daß man keine heilsamen und kräftigen Anstalten treffen könne, sich wider diese Sekte zu verwahren: so scheint es räthlicher zu sein, daß er sich auf einige Zeit von jener großen Gesellschaft entferne und ihr entfliehe. Das könnte durch einen Besuch des heiligen Conciliums geschehen, oder indem er sonst eine Gelegenheit ergriffe.«

Das Concilium sprach sich ganz den Ansichten Gersons gemäß aus; ob aber Vincentius Ferrer dadurch wirklich veranlaßt wurde, seine Geißlerschaaren zu verlassen und nach Constanz zu kommen, davon haben wir keine Nachricht; allein er scheint trotz aller Anfechtungen doch nicht sehr viel von seinem Ansehen eingebüßt zu haben, denn im Jahre 1418 bestätigte Papst Martin V. die ihm früher verliehene Macht zu lösen und zu binden. Im Jahre 1419 starb er in der Bretagne.

Kirche und Staat, oder vielmehr Prälaten und Fürsten, hatten sehr wohl erkannt, wie gefährlich der entfessellte Geißelfanatismus ihrem Regimente werden konnte und sich zur Unterdrückung und Ausrottung desselben vereinigt. Wie wenig die Geistlichen bei den Geißlern des Jahres 1349 in Ansehen standen, haben wir gesehen, und die von Seiten derselben gegen sie veranlaßten Verfolgungen waren nur dazu geeignet, diese Verachtung vollends in Haß zu verwandeln.

Die von fanatischem Bußeifer durchglühten Anführer einzelner Geißlerschaaren sahen, wie schon früher bemerkt, in den Verderbtheiten der Pfaffen die nächste Ursache von dem Zorne Gottes, und alle von denselben empfohlenen Bußmittel erschienen ihnen als unwirksamer Tand, sie betrachten nur allein die Geißelung als einziges Gott wohlgefälliges Sühnmittel.

Der Gewalt nachgebend entsagten zwar die meisten Geißler öffentlich ihren Schwärmereien; allein im Geheimen hingen sie derselben desto eifriger nach, dazu angefeuert durch einige ihrer alten Geißlermeister. Diese trugen, wie gesagt, in ihrem Herzen Haß gegen die Pfaffen und die durch dieselben verkündeten Satzungen der Kirche. Sie prüften dieselben mit ihrem unklaren, durch Fanatismus verwirrten Verstande, und da sie ihnen durchaus nicht genügten, so verwarfen sie dieselben und bildeten für ihre Sekte eine neue Lehre, die zwar nicht viel widersinniger als die der herrschenden Kirche, aber hin und wieder noch abenteuerlicher und mystischer war.

Die Diener der Kirche, welche mit Argusaugen diese ihr Leben bedrohenden Regungen im Volke beobachteten, kamen diesen heimlichen Geißlern bald auf die Spur, und ihre erste Sorge war es, die öffentliche Meinung gegen diese »Ketzer« einzunehmen und dann die »Hauptirrlehrer« zu entfernen. Die Kirche nannte diese heimlichen Geißler sehr verschieden, und da es sehr schwierig war, über ihre Lehren genaue Nachrichten zu erlangen, so warf sie manches Ungehörige zusammen und vereinigte es unter einem Namen. So wurden diese Ketzer bald Krypto-Flagellanten, bald Fratricellen, bald Begharden und noch anders genannt.

In Thüringen, wo die Geißelbuße besonders Anklang gefunden hatte, war der Samen, den ihre Anführer ausgesäet hatten, auch am üppigsten aufgegangen, und die Inquisition entwickelte hier frühzeitig ihre Thätigkeit. Bald nach dem Jahre 1349 verfiel ihr ein gewisser Beghardt, den seine Anhänger für den wiedergekommenen Elias hielten, und der wegen seiner der Kirche widersprechenden, also »ketzerischen« Lehren in Erfurt öffentlich verbrannt wurde Es ist aber eine alte Erfahrung, daß Gedanken sich nicht mit Feuer und Schwert ausrotten lassen, und daß aus jedem Blutstropfen eines sogenannten Ketzers hundert neue Ketzer entstanden. Die Lehren dieser der bestehenden Kirche feindlichen Secten griffen im Geheimen immer weiter um sich und die Inquisition hatte alle Hände voll zu thun. Noch im Laufe des 14. Jahrhunderts wurden sowohl zu Erfurt wie zu Nordhausen eine Menge verbrannt. In letzterer Stadt, im Jahre 1369 sieben Personen, die ihre Lehre nicht widerrufen wollten.

Diese Ketzer waren wohl meistens noch Ueberbleibsel der alten Kreuzbrüder, ohne daß sie eine zusammenhängende Sekte gebildet hatten. Diese entstand allmählig und fing erst im Jahre 1444 an, unter dem Namen Krypto-Flagellanten bekannter zu werden. Sie war besonders ausgebreitet im Gebiete des Thüringer Waldes und Harzgebirges und erregte den Eifer des Ketzermeisters im Stift Halberstadt, des Dominikaners und Professors der Theologie Heinrich Schönfeldt. Unterstützt durch die Fürsten jener Gegenden hielt er über viele als Ketzer eingezogene Personen in Sangerhausen Gericht. Aus den zahlreichen Verhören stellte man folgende Artikel als das Wesentliche ihrer Lehre zusammen:

  1. Die Geißler oder Kreuzbrüder haben ihren Anfang genommen vor ungefähr sechszig Jahren durch einen Brief, den ein Engel vom Himmel gebracht, und auf St. Peters Altar gelegt.
  2. Bei ihrer Entstehung nahm Gott dem Papste, den Kardinälen und Bischöfen und der ganzen Geistlichkeit alle Gewalt und Aufsicht über das Volk in geistlichen Dingen, alle Macht zu lösen und zu binden, oder etwas zu weihen.
  3. Wie Christus um der Priester Bosheit, um des Kaufens und Verkaufens willen das jüdische Priesterthum aus dem Tempel warf und abschaffte, so hat er um der lasterhaften Pfaffen willen das römische Priestenthum verworfen und abgeschafft.
  4. Seitdem die Kreuzbrüder umgegangen, müssen Kirchen, Kirchhöfe, Wasser, Salz, Asche, Oel, Chrisma und andere geweihte Dinge als ungeweiht angesehen werden; denn kein Priester konnte sie weihen.
  5. Seit der Kreuzbrüder Auftritt sind die Kirchen nichts als Steinhaufen, Wohnungen der Sünder und Mördergruben.
  6. Indem die Priester die Taufe und die andern Sakramente als Gesetze predigen, ermorden sie sich selbst und das Volk geistlich.
  7. Der Sprengwedel ist des Todes Keule, und die Tropfen des Weihwassers sind lauter Funken des höllischen Feuers.
  8. Das lange Schreien und Amt-Singen in der Kirche ist nicht besser als Hundegeheul.
  9. Durch der Geißler Umgehen ist die Wassertaufe von Gott aufgehoben und dagegen die Taufe mit eines jeden Blut eingesetzt.
  10. Wie Christus gegen das Ende des Hochzeitgelages zu Kana das weiße Wasser in rothen Wein verwandelt hat, so muß auch vor der Welt Ende die Wassertaufe in die Bluttaufe verwandelt werden.
  11. Wie den Gästen auf jener Hochzeit der letzte Wein besser geschmeckt, als der frühere, so hat Gott an der Bluttaufe weit mehr Gefallen, als an allen früheren Sakramenten.
  12. Seitdem die Geißelbrüder umgegangen, wird niemand ein Christ, er geißle sich denn selbst und werde so durch sein eigenes Blut getauft.
  13. Die Konfirmation nutzt nichts und ist eitel Narrenwerk; denn die Juden, welche von den Pfaffen weder das Chrisma noch sonst etwas bekommen, haben ebensowohl Bärte als Seelen, als die Gefirmten.
  14. Das Sakrament der Priesterweihe ist mit den Priestern von Gott verworfen.
  15. Der Leib Christi ist nicht wesentlich gegenwärtig im Sakramente des Altars;
  16. denn wäre sein Leib wahrhaftig zugegen, so hätte man ihn längst aufgezehrt, und sollte er auch so groß sein als ein Berg;
  17. und da Christus sich nach der Auferstehung von Maria Magdalena nicht wolle verehren lassen, wie viel weniger wird er es thun im Sakramente.
  18. Es ist mit den Pfaffen nichts als Geiz; denn sie verkaufen dem Volke einen kleinen Bissen Brot mindestens für einen Pfennig.
  19. Wäre Christus wahrhaftig im Sakramente, so wären die Pfaffen ärger als Judas; denn dieser verkaufte Christum für dreißig Silberlinge, jene aber verkaufen ihn für einen Pfennig.
  20. Das Sakrament des Altars ist der Pfaffen Kuckuk-Spiel.
  21. Zur Vergebung ist Beichte und Absolution oder Sakrament nicht nöthig.
  22. Wer einem Pfaffen beichtet, wird nicht reiner, als wenn er sich an einer unflätigen Sau reibt.
  23. Eine Sünde sei noch so groß, wenn man sie herzlich bereut und sich freiwillig geißelt, wird sie vergeben.
  24. Der Ablaß taugt nichts und ist mit den Pfaffen von Gott verworfen.
  25. Der Segen und andere Ceremonien der Pfaffen bei der Trauung schänden und entehren den Ehestand, anstatt ihm Ehre und Würde zu verleihen.
  26. Es ist besser, daß einer mit wohlgefärbter und gegeißelter Haut sterbe, als wenn die Pfaffen ein ganzes Pfund Oel an ihm verschmierten.
  27. Das hochzeitliche Kleid im Evangelio bedeutet nichts, als der Menschen Haut freiwillig bis aufs Blut durchstäupt und gegeißelt, und
  28. niemand, nach der römischen Kirche Gebrauch, darf der sieben Sakramente sich bedienen ohne schwere Todsünde.
  29. Statt der sieben Sakramente ist es künftig hinlänglich, zum Andenken an Christi Leiden seinen eigenen Leib bis aufs Blut zu geißeln.
  30. Seitdem die Geißler zuerst umgegangen sind, ist kein Mensch ein wahrer Christ, als wer zu ihnen hält.
  31. Der Priester und der Levit, welche an dem Verwundeten ohne Erbarmen vorübergingen, sind die jetzigen Pfaffen und das Volk, das ihnen anhängt und glaubt und Christo für sein Leiden keinen Dank weiß;
  32. aber der Samariter, der den Verwundeten auf sein Thier legte, ihn in die Herberge führte und zwei Groschen für ihn bezahlte, bedeutet die Geißler, die Christum an ihrem eigenen Leibe tragen und ihn mit dem Vater Unser und Erfüllung der zehn Gebote ehren.
  33. Der Antichrist hat schon lange regiert und regiert noch, und der jüngste Tag ist vor der Thür; denn beide, Elias und Henoch, sind schon in der Welt erschienen und gestorben.
  34. Der Antichrist sind die Prälaten und Pfaffen, die bis jetzt die armen Geißler verfolgten.
  35. Elias ist der Beghardt gewesen, der vor achtundvierzig Jahren zu Erfurt verbrannt worden.
  36. Henoch ist Conrad Schmidt gewesen, der die Weise der Geißler in Thüringen eingeführt hat und schon lange der Welt aus dem Wege gegangen ist.
  37. Gott schuf im Anfange aller Menschen Seelen zugleich und setzte sie mit Adam ins Paradies.
  38. Wenn nun die Frucht im Mutterleibe belebt werden soll, so bringen die Engel die bestimmte Seele aus dem Paradiese; dieselbe wird der Frucht eingeblasen.
  39. Als nun jener Beghardt und Conrad Schmidt empfangen wurden, brachten die Engel die Seelen des Elias und Henoch und gossen sie ihnen ein; so daß der Eine der wahrhaftige Elias, der Andere der wahrhaftige Henoch war.
  40. Es wird kein jüngstes Gericht gehalten werden durch Christus, sondern es werden sieben oder acht Gerichte durch einige dazu verordnete Richter gehalten werden.
  41. Nicht Christus, sondern statt seiner Conrad Schmidt, der Geißler Oberpriester, wird das letzte Gericht anstellen.
  42. Alle Schwüre und Eide sind Todsünde; doch es ist besser, die Geißler thun einen Meineid und schwören falsch vor den Inquisitoren, als daß sie ihre Sekte verrathen sollten; denn die Meineide können sie selbst durch die Geißel wieder versühnen.
  43. Es giebt kein Fegefeuer nach diesem Leben; darum ist das Gebet für die Verstorbenen unnütz.
  44. Vigilien, Begräbniß und Seelenmessen nutzen nichts; sie trösten blos die lebenden Freunde und füllen der Pfaffen Beutel.
  45. Du sollst kein Bildniß Christi, Mariä oder irgend eines andern Heiligen anbeten; denn das kann nicht geschehen ohne Abgötterei.
  46. Feiere kein Fest außer dem Sonntage, Christi Geburt und Mariä Himmelfahrt.
  47. Faste nicht auf der Pfaffen Gebot, außer am Weihnacht-Heiligenabende, am Heiligen-Abende vor Mariä Himmelfahrt und alle Freitage.
  48. Fiele der Tag der Geburt Christi auf einen Freitag, so unterlaß das Fasten darum nicht.
  49. Die Geißler ehren die Priester, gebrauchen die Sakramente, sind den Geboten der Kirche gehorsam, bringen den Geistlichen zur gewöhnlichen Zeit die Opfer, behalten die Bilder und feiern die Feste, blos damit sie nicht in Verdacht kommen bei den Leuten; doch sie bereuen es immer und büßen es mit der Ruthe und Geißel.

Diese Lehren mußten der römischen Kirche natürlich als höchst verdammliche Ketzerei erscheinen; denn gewannen dieselben mehr Glauben und Verbreitung, so war das Reich der Pfaffen am Ende. Es war daher nicht anders zu erwarten, als daß der Inquisitor mit der größten Strenge richtete. Gegen dreihundert Geißler sollen zu dieser Zeit in Sangerhausen und einigen benachbarten Orten verbrannt worden sein.

Diese Strenge machte den Anhängern der Geißlersekte aber ihre Lehre noch lieber; sie folgten den Vorschriften derselben im Geheimen und zwar mit einer Leidenschaftlichkeit und Hartnäckigkeit, die sich nur aus der damit verbundenen Todesgefahr erklären läßt. Die Pfaffen unterließen es aber nicht, fortwährend die strengste Aufsicht zu führen und den Geißlern allerlei Schändlichkeiten anzudichten, um sie in der öffentlichen Meinung zu brandmarken. Dazu war es nun am dienlichsten, sie der Zauberei oder des Bündnisses mit dem Teufel zu beschuldigen. So erzählte man von ihnen, daß sie sich oftmals zusammen in einen Keller begäben und hier den Teufel anbeteten. Dieser käme dann in Gestalt einer Hummel und flöge Jedem in den Mund. Wer sich gegen die Hummel verneige, dem widerfahre viel Gutes. Darauf lösche man die Lichter aus, und jeder Mann ergriffe das zunächststehende Frauenzimmer, sei es auch seine Tochter oder Schwester, und triebe das Werk der Finsterniß mit ihr. Solcher Unsinn fand damals Glauben!

Im Jahre 1446 hielt der Ketzermeister Friedrich Müller, ebenfalls ein Dominikaner und Professor der Theologie, zu Nordhausen strenges Gericht über eine Anzahl entdeckter Krypto-Flagellanten. Schon in frühern Zeiten hatten ähnliche Verfolgungen in dieser Stadt stattgefunden, und mehrere Leute waren als Ketzer verbrannt worden. Diesmal waren die Eingezogenen hauptsächlich Frauen aus den niedrigen Volksständen. Das Verhör ergab, daß sie ähnliche Ansichten von der Kirche und den Pfaffen hatten, wie sie oben angeführt sind, und daß sie das Geißeln als Haupterforderniß zur Seligkeit betrachteten. Zwölf von ihnen wurden verbrannt, obwohl sie sich bereit erklärten, ihre Irrthümer abzulegen und sich jeder auferlegten Buße zu unterwerfen.

Im Jahre 1481 wurde im Anhaltischen, im Schloß Hoym, auf Verlangen des Fürsten Georg II. Grafen von Anhalt von einer Deputation der halberstädtischen Inquisitoren ein Verhör über einen Ketzer und Geißler Namens Berthold Schade abgehalten. Dieser arme Tropf gestand ein, daß er sich nur gegeißelt, weil ihm ein Anderer weis gemacht habe, daß er dadurch zu Ehre und Reichthum gelangen werde. Von den Pfaffen und der Kirche hielt er übrigens auch nichts, bat aber um Gnade und um Unterricht in der christlichen Glaubenslehre, damit er als ein guter Christ sterben könnte. Was mit dem Dummkopf geschah, weiß ich nicht.

So eifrig die Kirche darauf bedacht war, diejenigen Geißler zu unterdrücken und auszurotten, die sich von ihr emanzipiren wollten, so eifrig war sie aber andererseits bemüht, die Geißlerbrüderschaften zu beschützen und zu pflegen, welche sich dem Willen der Mutterkirche unterordneten. Ich habe schon an einem andern Ort gesagt, daß nach der ersten Geißelfahrt im Jahre 1260 sich dergleichen Brüderschaften in Italien bildeten. Kirche und Staat betrachteten sie anfangs mit sehr mißtrauischen Augen, denn man argwöhnte, und wohl nicht mit Unrecht, daß bei ihnen die Religion als Deckmantel für politische Verbindungen benutzt werde.

Diese Vereinigungen, die ich hier mit dem allgemeinen Namen Geißlerbrüderschaften bezeichnete, bestanden unter verschiedenen Benennungen und hießen bald Sodalitates, Scholae, Confraternitates, bald Fratriae oder Frataleae. Jede von ihnen hielt sich zu einer bestimmten Kirche und stellte an gewissen Tagen feierliche Geißelprozessionen an. Die Gesellschaften, welche 1260 in Italien entstanden, hießen Compagnia della Scopa, del Battuti, Flagellanti, Scopatori und Disciplinata.

Die große Bußfahrt der Weißen rief wieder viele neue Brüderschaften dieser Art hervor, und überall gab es eine Compagnia de' Bianchi. In Padua entstanden nicht weniger als sechs, die an bestimmten Tagen in weißem Büßergewand in Prozession nach allen Kirchen der Stadt zogen. Viele Personen verordneten, daß sie in einem solchen weißen Büßersack begraben werden und daß auch die Träger und Leidtragenden dergleichen Gewänder anziehen sollten. Diese Sitte fand so vielen Beifall, daß sie sich in Italien bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Den meisten Leichen folgte ein Zug weißer Gespenster, deren Gesichter sogar mit weißen Larven bedeckt sind. Die Mitglieder der Geißlerbrüderschaften hatten gewöhnlich eine Kapuze an ihrem Büßerhemd; oder es befand sich an ihrer Mütze oder ihrem Hut ein Stück Leinwand, wodurch das Gesicht verhüllt wurde; nur für die Augen waren Löcher gelassen. Auch aus dem Rücken des Gewandes war ein Stück herausgeschnitten, damit die Geißel auf die nackte Haut angewendet werden konnte.

Die Regierung zu Florenz wollte sich mit diesen vermummten Heiligen nicht befreunden. Sie hob die Comapgnia de' Bianchi auf und verbot das öffentliche Geißeln mit verdecktem Gesicht bei einer Strafe von zweihundert Pfund. Dieselbe Buße stand darauf, wenn sich eine neue Gesellschaft dieser Art ohne besondere Erlaubniß der Regierung bildete.

So lange der Bußeifer des Jahres 1399, welcher die Geißelfahrt der Weißen hervorgerufen hatte, noch nachhielt, bedurften diese Gesellschaften keine besondern Regeln; allein nach und nach fand man es doch für angemessen, sich durch besondere Statuten zu binden. Diese wurden aber im Laufe der Zeit vergessen und vernachlässigt; es schlichen sich allerlei Mißbräuche ein, und die Kirche, welche diese Brüderschaften den Bischöfen unterworfen hatte, fand es für nöthig, die alten Statuten zu revidiren und zu ergänzen.

Ein besonderes Verdienst in dieser Hinsicht erwarb sich der Erzbischof von Mailand, Carl Borromäus, unter dessen Leitung neue Geißelbrüderschaften in seinem Erzbisthum errichtet wurden. Eine Provinzialsynode erließ unter seinem Vorsitze im Jahre 1569 ein Dekret, durch welches den Bischöfen aufgetragen wird, die Geißelbrüderschaften zu visitiren, ihre Statuten und Gebetbücher zu untersuchen, dafür zu sorgen, daß alle Brüder den Prozessionen beiwohnten und sich nicht für Lohn, sondern aus wahrer Frömmigkeit geißelten. Widerspenstige Geißelbrüderschaften sollten strenge bestraft und unverbesserliche aufgelöst werden.

Unter den Regeln, welche der heilige Borromäus für die Geißelbrüderschaften auf Grund der alten feststellte, bemerke ich nur folgende: Selbst Knaben unter sechzehn Jahren hatten Zutritt zum Oratorium der Brüderschaft, damit sie durch das Beispiel auf den guten Weg geleitet und bei erlangtem Alter als Brüder aufgenommen werden konnten. Die Aufnahme selbst erfolgte erst nach sorgfältiger Prüfung und waren dazu wenigstens zwei Drittel der Stimmen der Brüder nöthig. Das Noviziat dauerte ein Jahr. Die Kleidung der Brüder war ein einfacher leinener Saccus. An der Stirn trugen sie ein rothes Kreuz und auf der linken Seite der Brust das Bild des Schutzheiligen der Gesellschaft. Als Gürtel diente ein mit sieben Knoten geknüpfter Strick. Außerdem trug jeder Bruder die Disciplin. Den Novizen fehlte das Kreuz und das Heiligenbild. Diese Kleidung war indessen nur die große Uniform, die bei feierlichen Veranlassungen angelegt wurde; aber auch für die Kleidung der Brüder im bürgerlichen Leben gab es Vorschriften. Vor allen Dingen sollte dieselbe einfach sein, und Federn und Pludderhosen waren verpönt, Waffen nur auf Reisen und mit Erlaubniß des Beichtvaters oder des Priors gestattet.

An bestimmten Festen sollten alle Brüder im Oratorium zusammenkommen, um Gott zu loben durch gewisse Gebete und Gesänge u.s.w., des Morgens und des Abends. Am ersten Sonntage eines jeden Monats sollte ein Todtenamt für die verstorbenen Brüder gehalten werden. Jeder sollte einen bestimmten Heiligen verehren und täglich zehn Pater Noster und Ave Maria beten; außerdem auch stilles Gebet üben und des Nachts, wenn geläutet würde, mit ihrer ganzen Familie beten; ferner täglich Messe hören, zu Hause Tischgebete einführen, wenigstens einmal monatlich beichten und an den ersten Sonntagen der Monate und an bestimmten Festtagen das Abendmahl genießen. Jede Gesellschaft sollte ihren bestimmten Beichtvater haben. An den heiligen Abenden ihrer Feste sollten die Brüder fasten und an den Festen in Feierkleidern zum Abendmahle gehen, aber keine Gastmähler an denselben anstellen. Alle Freitage sollen sie fasten und sich geißeln für eigene Sünden und für die Sünden des Volkes; alle Adventssonntage, an den drei großen Prozessionssonntagen und am Charfreitage sollten sie Geißelübungen anstellen. An Tagen, an welchen viel Ausgelassenheit zu herrschen pflegt (am Aschermittwoch-Heiligenabend, am ersten Mai, am ersten August), sollten die Brüder den Zorn Gottes durch Geißelungen in ihren Oratorien besänftigen und auch außerdem sich üben.

Bei ihren Zusammenkünften sollten sie Beiträge in einer Büchse sammeln für die Bedürfnisse der Gesellschaft und für die armen Brüder. An den drei Sonntagen nach Ostern sollten sich die Brüder aller Geißlergesellschaften der Stadt früh in der Kirche versammeln, welche ihnen der Bischof anweisen würde, und nach Anhörung der Predigt in Prozession eine andere bestimmte Kirche oder Kapelle besuchen und endlich dahin zurückkehren, von wo sie ausgezogen waren. Auf dem Zuge sollten sie sieben Psalmen recitiren und bei der Rückkehr in der Kirche oder Kapelle sich geißeln.

In Flecken und Dörfern, so sich nicht mehrere Gesellschaften vereinigen konnten, sollte jede für sich drei Umgänge anstellen, die gelegensten Kirchen und Bethäuser besuchen, und wenn dergleichen fehlten, wenigstens einen Umgang um den Ort nach Anordnung des Pfarrers halten. Diese Prozessionen sollten geschehen, Gott zu bitten um Ausrottung aller Ketzereien, um Frieden der christlichen Fürsten, um Vermehrung des Glaubens, um Fruchtbarkeit, um Abwehrung von Pest, Krieg und Hungersnoth. Auch den anderen Prozessionen, welche die Geistlichkeit anstellte, sollten sie beiwohnen, und sich immer den Anordnungen des Bischofs unterwerfen.

Jede Brüderschaft sollte einen Prior haben, der über die Regel wachte, und in dessen Abwesenheit sollte der Subprior an der Spitze der Gesellschaft stehen. Der Novizenmeister sollte die neuen Brüder unterrichten, der Direktor des Amtes die Vorsänger ordnen u. s. w.; der Sakristan sollte für Wachs, Oel, Schmuck und Kelche sorgen; der Depositarius sollte die Kasse der Beiträge führen, der Cancellarius die Einkünfte aufzeichnen, wie auch die Instrumente, die Namen der neuen und verstorbenen Brüder, die Beschlüsse des Kapitels und die Wahlen.

Im Bethause oder in der Kapelle sollten an einer Wandtafel die Pflichten der Brüder und die ganze Einrichtung der Gesellschaft angeschrieben sein. Die Prokuratoren sollten die Streite schlichten, unwichtigere Geschäfte nach eigenem Ermessen und wichtigere nach Auftrag des Kapitels besorgen. Die Krankenpfleger sollten für die leiblichen und geistlichen Bedürfnisse der Kranken sorgen und den Sterbenden beistehen. Diesen sollte das Abendmahl gebracht werden in feierlichem Aufzuge aller Brüder, mit brennenden Kerzen und unter Absingung des Miserere. Die Leichen sollten feierlich begleitet werden. Zwei Brüder, die auf einer besonderen Bank sitzen, sollten die Almosen einsammeln und kein Weib in das Bethaus lassen.

Die Beamten der Gesellschaft sollten auf ein Jahr gewählt werden; der Prior, der Subprior und der Novizenmeister durch Stimmenmehrheit, und von diesen die übrigen. Diese Beamten sollten wenigstens fünfundzwanzig Jahre alt sein und konnten erst wieder nach drei Jahren, der Subprior aber sogleich zum Prior gewählt werden.

Strafen waren: Verlust der Stimme im Kapitel, Geißelung, Ausschließung auf eine bestimmte Zeit oder gänzliche Ausstoßung. Tragen von Waffen, Besuch der Weinhäuser, Unterlassung der Kommunion und der Theilnahme an den Prozessionen wurden bestraft. Die Strafgesetze sollten wenigstens vier Mal jährlich vorgelesen werden, wie auch das Breve vom Papst Gregor XIII., welches dieser und ähnlichen Gesellschaften Ablaß ertheilte.

Dieser Ablaß war für die damaligen Menschen sehr verlockend und bewog Viele, in die Geißelbrüderschaften einzutreten. Durch päpstliches Breve vom 12. December 1572, welches wahrscheinlich auf Veranlassung des heiligen Borromäus erlassen wurde, erhielten alle Mitglieder der unter seinem Schutze stehenden Brüderschaften »vollkommenen Ablaß nach Genuß des heiligen Abendmahles, zehnjährigen nach gemeinschaftlicher Geißelung, siebenjährigen nach feindlichen Prozessionen; und diejenigen, welche in den bestätigten Brüderschaften beharrten und den Gebrauch der Geißelung nicht aufgaben, erhielten vollkommenen Ablaß und Vergebung aller Sünden, wenn sie sterbend den Namen Jesu anrufen würden, nachdem sie reuig gebeichtet hätten.«

Durch diese Begünstigungen gewannen die Geißelinstitute außerordentlich, und ihre Zahl vermehrte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts besonders in Italien ins ungeheure. Es gab Brüderschaften von allen möglichen Farben, und zur Unterscheidung trugen die Brüder das Wappen der Gesellschaft auf der Schulter. In Rom gab es nicht weniger als hundert solcher Geißelbrüderschaften, und wahrscheinlich bestehen sie dort noch bis auf den heutigen Tag.

Uebrigens muß ich diesen Gesellschaften, die in mancher Hinsicht große Ähnlichkeit mit unsern Freimaurern haben, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu sagen, daß ihre Geschäfte nicht einzig allein in Beten, Singen und Geißeln bestanden; manche von ihnen hatten es sich auch zur Pflicht gemacht, Kranke zu pflegen, arme Mädchen auszustatten, Verbrecher zum Tode vorzubereiten und auf den Richtplatz zu begleiten und dergleichen mehr. – Daß es unter diesen Büßenden viele gab, welche nicht durch die Frömmigkeit zum Eintritt in die Gesellschaft bewogen wurden, brauche ich wohl nicht erst zu erwähnen, denn das versteht sich von selbst; die eine Hälfte derselben bestand aus Schwachköpfen, die andere aus Heuchlern. Letztere mögen es denn wohl gewesen sein, welche bei den Geißelungen ihre eigenen Rücken schonten und Leute mietheten, die an einem Schlachttage auf ihren Posten traten. Schon Borromäus fand sich veranlaßt, dergleichen Mißbrauch zu verbieten.

Doch nicht allein in Italien, auch in Frankreich wurden derartige Geißelbrüderschaften gestiftet. Die erste, die Gesellschaft der grauen Büßenden, entstand schon im Jahre 1268 in Avignon; aber zur ächten Blüthe gelangten diese Institute auch hier erst im 16. Jahrhundert, wo weiße, schwarze und blaue Büßerschaften entstanden.

Die Franzosen sind eigentlich zu dieser Art Narrheit nicht sehr geneigt, wenn sie auch in andern Zweigen derselben sich auf das rühmlichste auszeichnen; allein zu jener Zeit sah es in Frankreich aus, wie zur Zeit der Welfen und Ghibellinen in Italien. Das Papstthum wurde von allen Seiten hier angegriffen und ließ alle Fledermäuse fliegen, die jemals unter der Tiara ausgeheckt worden waren.

Carl IX., der gekrönte Schurke, welcher in der Bartholomäusnacht seine reformirten Unterthanen schlachten ließ und mit eigener Hand auf sie feuerte, war gestorben, und Heinrich von Anjou wurde sein Nachfolger. Er hatte bereits die polnische Königskrone angenommen, ließ diese aber im Stich und entfloh nach Frankreich, dessen Scepter ihm besser behagte.

Die Welt hat sich wohl selten mehr in einem Fürsten getäuscht, als sie es in Heinrich III. that. Als Kronprinz war er ein aufgeweckter und geistreicher Mann, der ein großer Monarch zu werden versprach; aber als König wurde er ein charakterschwacher Narr, der sich von Günstlingen, Weibern oder Pfaffen gängeln ließ. Katharina von Medicis hatte ihrem Sohne gerathen, den Franzosen vor allen Dingen zu zeigen, daß er ein eifriger und frommer Anhänger der römisch-katholischen Kirche sei; wenn sie davon die Ueberzeugung hätten, dachte sie, dann würden sie auch weniger Umstände machen, ihre Beutel für die Vergnügungen und kostspieligen Bedürfnisse des Hofes zu öffnen. Als Heinrich daher im December 1575 in Avignon war, wohnte er einer Prozession der dortigen Geißler bei. Die Königin-Mutter wollte ebenfalls daran Theil nehmen, allein Heinrich meinte lächelnd, daß sie dazu nicht sehr geeignet sei. Dem Kardinal Carl von Lothringen bekam diese heilige Winterpromenade sehr schlecht. Er hatte der Prozession im bloßen Kopfe und mit nackten Füßen das Kreuz vorgetragen und sich dermaßen erkältet, daß er am 26. December starb. Einige meinen aber, Katharina von Medicis habe durch einiges Gift nachgeholfen, denn der Kardinal war ihr erbitterter Feind.

Heinrich III. ließ sich in einer der Geißlergesellschaften zu Avignon als Bruder aufnehmen. Es gab deren dort drei: die weiße war die des Königs, die schwarze der Königin Mutter und die blaue des Kardinals von Armagnac.

Im Jahre 1576 strebte der König darnach, den Ablaß des Jubiläums zu erhalten, welchen Gregor XIII. für Frankreich ausgeschrieben hatte, und man sah ihn in Begleitung von zwei bis drei Personen, bewaffnet mit einem ungeheuern Rosenkranze, Gebete murmelnd und mit gesenktem Haupte durch die Straßen von Paris gehen. Dieser Rosenkranz bestand aus kleinen Todtenköpfen von Elfenbein, und Heinrich nannte ihn einst lachend die Geißel seiner Ligueurs.Theilnehmer der Ligue, einer politischen Verbindung, welche den Sturz des Königs und die Erhöhung des Herzogs von Guise zum Zweck hatte und bei welcher der religiöse Fanatismus als sehr wirksamer Hebel benutzt wurde. Sogar auf Bällen sah man ihn mit diesem seltsamen Schmuck am Gürtel!

Die Franzosen ließen sich aber durch diese zur Schau getragene Frömmigkeit nicht blenden und fingen an, den König wegen seiner Verschwendung zu hassen und wegen seiner kindischen Liebhabereien zu verachten. Des Nachts strich er mit seinen lüderlichen Genossen maskirt durch die Straßen und trieb den tollsten Unfug, und seine Lieblinge überschüttete er mit reichen Geschenken.Besonders liebte er sehr kostbare Maskeraden und erschien auf ihnen meistens in Weiberkleidung. Zu seinen Liebhabereien gehörten die der kleinen Hunde, Affen und Papageien. Einst fuhr er mit der Königin, seiner Gemahlin, durch die Stadt und ließ alle kleinen Hunde wegnehmen, die ihm gefielen; dann stellte er zu demselben Zwecke Nachsuchungen in den Nonnenklöstern an und versetzte dadurch eine große Menge Damen in Trauer. Als er 1576 von einer Reise in die Normandie nach Paris zurückkehrte, brachte er eine Menge kleiner Hunde, die er auffangen ließ, und Affen und Papageien mit, welche er in Dieppe gekauft hatte.

Gar bald nannte ihn das Volk mit allerlei Spottnamen. Unter andern gab es ihm folgenden Titel: Heinrich, von seiner Mutter Gnaden ungewißer König von Frankreich und imaginärer König von Polen, Stockmeister des Louvre, Glöckner von St. Germain l'Auxerrois und von allen Kirchen von Paris, Fältler der Krägen seiner Frau, Visitator seiner Badestuben ( estuves), Bettelvogt der vier Bettler, Auserwählter der weißen Geißler ( Pére conscriptes des Blancs battus) und Protektor der Kuttenträger ( Caputtiers).Den Ursprung all dieser Titel zu erklären würde gar zu weitläufig sein, da ich dabei tiefer in die Geschichte Heinrichs eingehen müßte, als es der Zweck dieses Buches gestattet.

Dieser Spott machte aber Heinrich keineswegs irre. Im März des Jahres 1583 errichtete er in Paris eine neue weiße Brüderschaft der Verkündigung Mariä, welcher außer ihm seine beiden Mignons Joyeuse und d'Epernon nebst vielen Hofleuten beitraten. Er lud dazu auch die angesehensten Mitglieder des Parlaments, der Rechenkammer und anderer Gerichtshöfe und der Bürgerschaft ein; aber es fanden sich nur wenige, welche Lust hatten, sich den Regeln der Brüderschaft zu unterwerfen, die er in einer Druckschrift unter dem Titel: de la Congregation des Penitens de l´Annonciation nostre Dame bekannt machen ließ und zu welcher der päpstliche Legat, Castello, Bischof von Rimini, eine Vorrede schrieb.

Am Festtage Mariä Verkündigung, welcher auf Sonntag den 25. März fiel, sollte die neue Geißlergesellschaft zum ersten Male in großer Prozession erscheinen. Ich thue am besten, wenn ich die darauf bezügliche Stelle aus dem Journal du Roy Henri III. wörtlich übersetze. Hier heißt es: »An diesem Tage fand die feierliche Prozession dieser Bußbrüder statt; sie kamen um vier Uhr Nachmittags aus dem Augustinerkloster und gingen in die große Kirche Notre Dame je zwei und zwei, bekleidet mit eben solchen Gewändern wie die Geißler zu Rom, Avignon, Toulouse und an andern Orten, nämlich von weißer holländischer Leinwand, von der Form und dem Schnitte, wie in den Statuten der Brüderschaft vorgeschrieben sind. In dieser Prozession ging der König, sich weder durch eine Wache, noch durch die Kleidung, einen besondern Platz oder sonst etwas von den andern Brüdern unterscheidend. Der Kardinal von Guise, der das Kreuz trug, der Herzog von Mayenne, sein Bruder, der Ceremonienmeister war, und der Jesuit Bruder Edmund Auger, mit dem Ansehen und den Manieren eines Marktschreiers, welches auch sein früheres Gewerbe gewesen war, nebst einem Lyoner, Namens du Peirat, führten die Uebrigen. Die Sänger des Königs und Andere in demselben Büßerkleide folgten in Reihen geordnet und in drei besondere Abtheilungen getheilt, sehr melodisch die Litanei herleiernd. In der Kirche Notre Dame angekommen, fielen sie alle auf die Kniee und sangen das Salve Regina mit sehr harmonischer Musikbegleitung. Der ungeheure Regen, der während dieses ganzen Tag herabgoß, hinderte sie nicht, mit ihren ganz und gar durchnäßten Bußsäcken alle ihre Mysterien und Ceremonien von Anfang bis zu Ende durchzumachen. »Ein angesehener Mann, der diese Prozession vorüberziehen sah, machte auf den nassen Sack des Königs folgenden vierteiligen Vers, der als Impromptu sehr passend gefunden und sogleich wie ein Lauffeuer verbreitet wurde:

Apres avoir pillé la France
Et tout son peuple despouillé
Est ce pas belle penitence
De se couvrir d´un sac mouillè?

(Wenn man Frankreich geplündert und seinem ganzen Volke das Fell über die Ohren gezogen hat, ist es nicht eine schöne Buße, sich mit einem nassen Sacke zu bekleiden?)

»Sonntag den siebenundzwanzigsten ließ der König den Mönch Poncet einstecken, der zu Notre Dame die Fastenpredigt hielt, weil er am vorhergehenden Sonnabend zu frei gegen die neue Brüderschaft gepredigt und sie die Brüderschaft der Heuchler und Atheisten genannt hatte. Ich habe aus guter Quelle erfahren, sagte er, daß gestern Abend, am Freitag, wo ihre Prozession stattfand, der Spieß sich drehte für das Abendessen dieser ungeheuren Büßer und daß man ihnen, nachdem sie den fetten Kapaun verzehrt hatten, zur Kollation für die Nacht ein nettes junges Mädchen bereit hielt. Ah! unglückliche Heuchler, ihr verspottet also Gott unter der Maske und tragt nur des Scheines wegen eine Peitsche an eurem Gürtel; da gehört sie bei Gott nicht hin, sondern auf eure Rücken und Schultern, die ihr tüchtig damit bearbeiten sollt, denn es ist nicht einer unter euch, der sie nicht wohl verdient hätte.In mehreren Werken finde ich angegeben, daß Poncet in seiner Predigt die Büßer mit Männern verglich, die, um den Regen aufzuhalten, nasse Kleider anzogen, und dabei wird das Journal de Henry III. angezogen. In dem von mir benutzten Exemplar findet sich jedoch davon nichts. Der König wollte ihn wegen dieser Worte nicht zur Rede stellen und sagte, daß er ein alter Narr sei, ließ ihn aber durch den Chevalier du Guet in seiner Kutsche in seine Abtei de Sait Pere zu Melun bringen, ohne daß ihm sonst etwas geschah und er allein mit der Furcht wegkam, daß man ihn in den Fluß werfen würde. Der Herzog von Epernon, der ihn sehen wollte, sagte lachend zu ihm: »Herr und Meister, man sagt, daß ihr die Leute durch eure Predigten lachen macht, das ist eben nicht schön, ein Prediger wie ihr muß predigen, um zu erbauen und nicht um Lachen zu erregen. – Mein Herr (antwortete Poncet, ohne sich weiter zu ärgern), ich will ihnen hiermit sagen, daß ich nur das Wort Gottes predige, und daß kein Mensch in meine Predigt kommt, um zu lachen, er sei denn ein Nichtswürdiger oder ein Atheist; und habe ich auch niemals in meinem Leben so Viele lachen gemacht als ihr weinen gemacht habt. Dies war für einen Mönch einem Herrn von Epernons Rang gegenüber eine kühne Antwort, die übrigens zu jener Zeit sehr passend gefunden wurde,« – Wie es den armen Pagen ging, welche die Prozession des Königs zu verspotten wagten, habe ich schon im ersten Kapitel erzählt.

»Am grünen Donnerstage, den siebenten April, neun Uhr Abends, ging die Prozession der Büßenden, welcher der König mit allen seinen Mignons beiwohnte, die ganze Nacht durch die Straßen mit prachtvoller Beleuchtung und herrlicher Musik; und einige der Mignons geißelten sich bei dieser Prozession.

In der Kapelle der Geißler bei den Augustinern zu Paris schrieb man an diesem Tage folgenden Quatrain mit Kohle an die Wand:

les os des pauvres Trepassès,
Qu´on depeint en croix Bourguignone,
Monstrent que tes Heurs sont passez,
Et que tu perdras ta couronne.

(Die Knochen der armen Todten, die man in Form des burgundischen Kreuzes über einander legt, bedeuten, daß deine Stunden abgelaufen sind, und daß du deine Krone verlieren wirst.)« –

»Freitag den neunten (März 1584),« heißt es an einer andern Stelle des Journals, »ging der König zu unserer lieben Frau von Chartres und zu U. L. F. von Clery; diese Reise machte er zu Fuß, begleitet von siebenundvierzig der jüngsten Bußbrüder, die am besten zu Fuß waren, und während ihrer ganzen Reise trugen sie unterwegs stets ihre Bußkleider.«

Eine ähnliche Wallfahrt hatte er schon früher gemacht und zwei Hemden U. L. F. von Chartres mitgenommen, eins für sich und eins für seine Frau; »ce qu´ayant fait, il revint à Paris coucher avec elle, en esperance de luy faire un enfant.« Am 26. März 1586 zog er gar mit sechzig Brüdern nach Chartres, und am grünen Donnerstage fand wieder die gewöhnliche nächtliche Prozession statt, an der 200 Büßende Theil nahmen. Vom heiligen Abend bis zum dritten Ostertag blieb er bei den Kapuzinern in Gebet und Bußübungen. Am 5. April 1587 ging er der großen Prozession mit der Kerze in der Hand voran.

So lange der Präsident de Thou lebte, hielt er so viel als möglich den König von diesen öffentlichen Narrheiten ab, die er aufs höchste mißbilligte, weil sie dem Ansehen des Königs durchaus schadeten. In der vortrefflichen »Geschichte seiner Zeit« sagt er darüber: »Die Einführung dieser Ceremonien in Frankreich, wo sie bisher noch etwas ganz Unerhörtes gewesen waren, war den eigennützigen Absichten einiger ehrgeizigen Personen gar sehr willkommen; denn die Verachtung, welche sie dadurch auf die Person des Königs brachten, mußte ganz gewiß das königliche Ansehen in einem sehr hohen Grade schwächen.«

Nicht alle höheren Staatsdiener dachten und handelten so ehrlich wie de Thou; der Kanzler Birague und der Siegelbewahrer Chiverny gingen in ihrer Gefälligkeit so weit, daß sie die Prozession mitmachten. Die Hauptbeförderer dieses Unsinns waren aber der schon erwähnte Legat Castelli und der Jesuit Edmund Auger, der Beichtvater des Königs. Letzterer hätte es gern gesehen, wenn sich auch die Pariser Damen diesen Bußübungen angeschlossen hätten, und er wirkte dafür durch Wort und Schrift. Die Metanöologie, welche er 1584 in französischer Sprache für die Pariser Geißler schrieb, enthält nächst der Bestätigungsbulle Gregors XIII. und der ganzen Einrichtung der Gesellschaft und was sonst noch dazu gehörte, auch folgende Stelle:

»Diese heilige Weise befolgten in der treuen und frommen Stadt Toulouse zur Zeit des letzten Jubiläums (1572) die ehrbaren Frauen; denn nachdem auf Rücksprache mit den ersten Personen des Magistrats und der Geistlichkeit drittehalb hundert derselben drei Tage nach einander verschiedene Male in einer Kirche zusammengekommen waren, mit der größten Andacht das Abendmahl genossen und von Mitternacht an insgeheim sich selbst auf eine ungewohnte Weise gezüchtigt hatten, hielten sie endlich einen feierlichen Umgang, paarweis, in grobe Leinwand gehüllt, barfuß ungeachtet des Schmutzes und der heftigen Kälte; sie trugen Fackeln und einige ein großes Kruzifix auf den Köpfen und besuchten vier entfernte Kirchen. Die Prozession dauerte vier bis sechs Stunden. Diese neue Andacht setzte alles in Verwunderung, so daß bei dem dritten Umgange mehr als hunderttausend Zuschauer aus der ganzen Gegend zusammenkamen. Auch die Feinde des Glaubens, die Hugenotten aus den umliegenden Orten, liefen zu diesem Schauspiele, und das veranlaßte die gänzliche Auflösung zweier Kriegsschaaren, welche wenige Stunden von Toulouse verwüstend umherstreiften. Dagegen wurden in demselben Monate zu Toulouse drei fromme Bußbrüderschaften gebildet. Möchten doch die üppigen Pariser Damen jenen Frauen von Toulouse nachahmen und jenen Bauerweibern und Bauermädchen, welche vor einigen Monaten, weiß gekleidet, mit einem Kreuze in der Hand und um Barmherzigkeit für Frankreichs Sünden rufend, nach Paris und nach andern Orten zogen. –

»Wie die weiße Brüderschaft, so geht auch die blaue Bußbrüderschaft des heiligen Hieronymus, welche in den Fasten des Jahres 1584 zu Paris bei den Mathurinern errichtet, und zu deren Haupt der junge Kardinal Joyeuse erwählt worden ist, barfuß und mit der Disciplin am Gürtel, mit welcher die blauen Brüder alle Freitage, vorzüglich an den ersten Freitagen des Monats, bei verschlossenen Thüren, im Dunkeln und unerkannt sich geißeln. – Auch das bloße Tragen der Geißel ist verdienstlich. – Oeffentliche Geißelung ist auch nicht zu verwerfen, wenn die Vorgesetzten sie erlauben.«

Die Pariser Damen scheinen indessen der Aufforderung des marktschreierischen Jesuiten nicht Folge geleistet zu haben. Einen desto eifrigeren Schüler fand er dagegen in Heinrich, der sich von Tag zu Tage mehr diesen religiösen Abgeschmacktheiten überließ und die Achtung des Volkes vollends verlor. Wenn auch im Könige noch hin und wieder ein Funken des alten Geistes aufblitzte, so wurde er doch sogleich durch kindische Liebhabereien und Narrheiten verdunkelt, die man kaum begreifen kann. So lesen wir zum Beispiel in dem schon mehrmals angeführten Journal: »Zu dieser Zeit (1585) fing der König an, ein BilboquetDas Spiel ist noch heut zu Tage überall bekannt. Es besteht nämlich aus einem kleinen Becher, der auf einem Stiele steht. An diesem ist durch einen Faden eine Kugel befestigt, welche gerade in den Becher paßt. Das Spiel besteht nun darin, die Kugel, so weit es der Faden erlaubt, in die Höhe zu werfen und in dem Becher aufzufangen. in der Hand zu tragen, selbst wenn er über die Straße ging, und damit zu spielen, wie es die kleinen Kinder thun. Die Herzoge von Epernon, von Joyeuse und mehrere andere Hofleute machten es ihm nach; ihnen folgten darin die Edelleute, Pagen, Lakaien und jungen Leute von allen Arten; so viel Gewicht und Folgen haben (besonders in Bezug auf Narrheiten) die Handlungen und die Aufführung der Könige, Prinzen und großen Herren.«

Endlich hatte der König durch sein unsinniges Betragen erreicht, was er zwar keineswegs beabsichtigte, was aber unausbleibliche Folge desselben war. Das Volk haßte und verachtete ihn so sehr, daß es größtentheils seinem Gegner, dem Herzog von Guise, anhing und im Verein mit diesem den König zwang, Paris zu verlassen und sich nach Chartres zu begeben. Nun trachtete die Partei des Herzogs darnach, die Lage des Königs in Chartres auszukundschaften und die Einwohner dieser ihm treuen Stadt aufzuwiegeln. Dies war aber nicht leicht, denn Alles, was von Paris kam, wurde mit dem größten Mißtrauen bewacht. Um nun den beabsichtigten Zweck zu erreichen, beschlossen die zur Brüderschaft des Königs gehörigen Geißler unter den Aufrührern, eine Geißelprozession nach Chartres zu veranstalten. Da diese mit verhüllten Gesichtern stattfand, so war es nicht leicht, Freund und Feind zu unterscheiden. Um den König sicher zu machen, beschloß man, den einfältigen Joyeuse (einen Bruder des früher zu Coutras getödteten Herzogs von Joyeuse), der nun unter dem Namen Ange Kapuziner geworden war, zu bewegen, diese Prozession anzuführen. Der Dummkopf meinte seinem Herrn eine rechte Freude zu machen und willigte nicht allein ein, sondern bewog auch noch eine Menge andere Kapuziner, bei dieser Prozession Charakterrollen zu übernehmen.

Den abenteuerlichen Zug eröffnete ein schmutziger Kapuziner, umgürtet mit einem Säbel und wie ein Marktschreier auf einer verrosteten Trompete blasend. Ihm folgten drei andere Kapuziner mit grimmigen Gesichtern, eiserne Töpfe statt Helme auf den Köpfen, Harnische über der Kutte und verrostete Lanzen in der Hand. Sie stellten die Kriegsknechte vor, welche Christus zur Geißelung führten. Dieser wurde durch Joyeuse selbst repräsentirt, der von den drei Kriegsknechten an Stricken fortgeschleift wurde. Er bot einen seltsamen Anblick dar. Er trug ein weißes Priestergewand und auf ein Perücke eine Dornenkrone, von welcher gemalte Blutstropfen über das Gesicht liefen. Er schleifte ein großes aus Pappe gemachtes Kreuz hinter sich her, that, als ob es ihm sehr schwer würde, seufzte und stöhnte, fiel zuweilen in die Kniee und zerschlug sich die Brust. Ihm zur Seite gingen zwei junge Mönche in Weißen Kleidern. Der eine stellte die Jungfrau Maria dar, der andere Maria Magdalena. Beide heulten und weinten mit dem joyeusen Christus und warfen sich zu Zeiten zur Erde nieder. Hinter dem seltsamen Ecce homo gingen abermals vier grimmige Kriegsknechte, die ihn wie einen wilden Bullen an Stricken hielten und unter Schimpfen und Schlagen vorwärts trieben. Die ganze Gesellschaft sang das Miserere.

Der König ließ den seltsamen Zug in Chartres ein, und derselbe begab sich in die Hauptkirche, wo Heinrich mit seinem Hofe war. Er hatte große Lust über den elenden Zustand des armen Joyeuse zu weinen; allein der größere Theil der Zuschauer war dem Lachen nahe, besonders als man entdeckte, daß das Kreuz von Pappdeckel war und daß die lautschallenden Schläge der Kriegsknechte dem Bruder Ange gar nichts thaten. Der im Gefolge des Königs befindliche brave Gardehauptmann, Berton de Crillon, ein Verwandter des Narren, war sehr entrüstet über das unwürdige Spiel und rief laut: »Harnibieu! haut, haut tüchtig zu, denn er ist ein Feigling, der nur in die Kutte gekrochen ist aus Furcht, den Degen tragen zu müssen!«

Der arme Joyeuse bot auch einen theils Ekel, theils Lachen erregenden Anblick dar! Von den Anstrengungen schwitzte er über und über; der Schweiß weichte die gemalten Blutstropfen auf, und diese liefen nun in langen Streifen herunter. Er ging daher in eine Kapelle, um sich aufs Neue zu bemalen; aber der Zudrang war so groß, daß er dies bei offenen Thüren zur großen Ergötzung des Volkes thun mußte.

Joyeuse verklagte Crillon wegen seiner Worte beim König dieser tröstete ihn aber darüber und machte ihm Vorwürfe, daß er nicht allein mit einer so heiligen Sache Scherz treibe, sondern sich auch von seinen Feinden mißbrauchen lasse, deren er mehrere unter den Büßenden entdeckte. Heinrich aber war zu unentschlossen, um dem Rathe eines seiner Vertrauten zu folgen und diese erkannten Feinde in ihrem Versammlungsorte gefangen zu nehmen.

Wie Heinrich sich endlich durch schändlichen, feigen Mord des Herzogs und des Kardinals von Guise entledigte, wie er dann genöthigt wurde, zur Partei der Hugenotten seine Zuflucht zu nehmen und wie er durch den Dolch eines fanatischen Mönches sein Leben endete, gehört nicht hierher. Mit seinem Tode verloren die Geißelbrüderschaften ihr Ansehen, denn Heinrich IV. war kein Freund davon. Sie wurden sogar durch ein Dekret des Pariser Parlaments vom 17. Juni 1601 völlig aufgehoben und ein Jeder, der trotz des Verbotes die Regeln einer solchen Brüderschaft beobachtete, für einen Majestätsverbrecher erklärt. Gründe zu dieser Strenge fand das Parlament in den politischen Absichten dieser Gesellschaften, welche man mit dem Scheine der Religion verhüllt hatte.

Die römische Kirche fuhr aber fort, diese Institute zu unterstützen, welche durch Beschluß des tridentinischen Concils der besondern Obhut der Bischöfe anvertraut waren. Aus diesem Grunde bestanden sie noch immerfort, besonders in den südlichen Provinzen Frankreichs, wenn sie auch ihre politische Bedeutung verloren.

Vorzüglich waren es die Herren Jesuiten, welche diese Geißelsodalitäten aufrecht zu erhalten strebten. Meistens unter ihrer Leitung fanden an hohen Feiertagen große Geißelprozessionen statt, und da sie sich überall als Beichtväter eingedrängt hatten, so wußten sie auch einen großen Theil ihrer Beichtkinder zu bewegen, sich diesen lächerlichen Aufzügen anzuschließen.

Ein Jesuit predigte, daß überall, wo die frommen Väter hinkämen, sogleich Friede sei, und St. Adelgonde meint, indem er dies erzählt, daß man sie doch ja alle an die türkische Grenze schicken möge, damit sie dort den Krieg beendigten. Der fromme Pater würde mehr die Wahrheit gesprochen haben, wenn er gesagt hätte, daß die Jesuiten in jedes Land, wohin sie kamen, auch die Geißel mitbrachten. In Mexiko, in Japan und in Ostindien, ja sogar an der Grenze der Tatarei sah man durch Jesuiten neubekehrte Christen zu tausenden in Bußgewändern einherziehen und sich an heiligen Tagen den Rücken blutig geißeln.

Der Umfang dieses Buches erlaubt mir indessen keine Ausflüge in so ferne Länder, und ich will mich nur auf Europa beschränken, welches mir Stoff genug darbietet und was nebenbei noch den Vortheil hat, daß ich mich überall auf ganz authentische Nachrichten stützen kann.

Ich will mit Italien beginnen. Hier bestehen noch heut zu Tage die frommen Brüderschaften, und wenn wir nicht mehr so viel von ihnen hören, so kommt das entweder daher, weil jetzt die römisch-katholische Kirche ihre Lächerlichkeiten vor den Ketzern geheimer hält, oder weil Jedermann dieselben schon so gewöhnt ist, daß sie gar nicht mehr erwähnenswerth scheinen. Hin und wieder findet sich jedoch Einiges darüber in Reisebeschreibungen. Vor etwa zwanzig Jahren wohnte ein Reisender einer frommen Geißlerversammlung in Rom bei, die allwöchentlich in der Kirche des Caravita – so benannt nach einem frommen Jesuiten – neben dem Corso in der Nähe des Colonnaplatzes in der Abenddämmerung gehalten wurde. Es waren in der Kirche wohl tausend Männer versammelt. Nur vier Kerzen brannten auf einem schwarzbehangenen Altar. Ein Prediger bestieg die Kanzel, welche in Italien eine Art Balkon ist, die dem begeisterten Redner Platz genug gewährt, um seine Worte durch alle nur mögliche Gestikulation zu unterstützen. Im dritten Theil der Predigt sprach der Geistliche von den Versuchungen der Natur und verirrte sich in etwas lebhafte Schilderungen der Reize der büßenden Magdalena so sehr, daß er nicht wieder herauskommen konnte und plötzlich den Zuhörern zurief: »Nun wohlan, meine Brüder, bewaffnet euch gegen den Stachel des Fleisches. Züchtigt euch muthig! Bestraft euch, daß ihr so oft unterlagt! Ehret mit einigen Geißelschlägen den, welcher so viel erduldet, um euch von euren Sünden frei zu kaufen!«

Nun stimmte ein Knabe aus dem Chore mit dünner Stimme das Ave Maria an, Jeder holte seinen Rosenkranz hervor, und ein wunderbar schmutziger Küster reichte Jedem eine Geißel. Plötzlich verlöschten die Lichter, und »es wurde zugehauen, daß es schien, als sei der Genius des Sturmes und Wetters in die Kirche gefahren.« Hoffentlich werden indessen noch mehrere der Büßenden so klug gewesen sein wie der berichtende Reisende und anstatt ihrer Rücken die Kirchenpfeiler gepeitscht haben. Nach einer Viertelstunde wurden die Lichter wieder angesteckt. Die Männer machten den Frauen Platz. Diese bedienten sich aber der untern Disciplin, weil die Geißelschläge bei der obern ihnen häufig die Brust verletzten. Die Büßenden waren sämmtlich in weite, dunkle Gewänder verhüllt.

Von den unsinnigen Charfreitags-Prozessionen habe ich schon im vorigen Buche gesprochen. In den südlichen Ländern spielte das Geißeln dabei eine Hauptrolle. Blainville sah eine solche im Jahre 1707 in Rom. Fünfhundert Battuti versammelten sich in Säcken von roher Leinwand vor der Kirche des heiligen Marcellus und zogen nach der Peterskirche. Jeder Büßende hatte in der einen Hand eine brennende Fackel und in der andern eine Geißel, mit welcher er sich von Zeit zu Zeit nachdrücklich züchtigte. Es wurde ihnen ein großes hölzernes Kreuz vorgetragen, das durch eine Krone darauf befestigter krystallener Lampen erleuchtet war, und die Kapuziner begleiteten sie mit Körben voll Zuckerwerk, eingemachter Sachen und Rosolis zur Stärkung für die, welche durch ihre heftige Disciplin ohnmächtig werden sollten. Die Anzahl der aufrichtigen Büßenden, welche sich blutig schlugen, war übrigens klein, indem die meisten eine schützende Unterlage unter ihren Säcken hatten. Dieses erkannten und unterschieden die Umstehenden an dem Schalle der Streiche und riefen: Dieser hat ein ledernes Wams, jener eine Weiberschnürbrust, jener einen blechernen Küraß unter dem Sacke. – Daß in Venedig eine Menge Geißelbrüderschaften existirten, erzählt Blainville ebenfalls. Der Dominikaner Labat schildert in der Beschreibung seiner Reise durch Spanien und Italien eine Charfreitagsprozession, die er im Jahre 1700 zu Civita Vecchia sah; ich setze seine Schilderung hierher, weil sie von einem römisch-katholischen Geistlichen ist und weil sie für alle dergleichen Prozessionen dienen kann.

»Unser Kloster,« erzählt Labat, »war angefüllt von Büßenden mit verhülltem Gesicht und bloßen Schultern, welche sich heftig geißelten, während sie auf den Anfang der Prozession warteten. Sie bedienen sich zu dieser heiligen Bußübung eines Bündels zusammengeflochtener, an den Spitzen mit Eisen beschlagener Schnüren, womit sie die Haut auf dem Rücken sieben bis acht Zoll breit aufschlagen,Das geht mit aller Bequemlichkeit, wie jeder finden wird, der den Versuch machen will. Peter Fourier, Geistlicher zu Maraincourt und Vorsteher einer Menge heiliger Anstalten, geißelte sich so häufig und so stark, daß er einst nicht im Stande war, bei der Messe niederzuknieen. Als man ihn untersuchte, fand man auf seinem Rücken eine Wunde, in welche man mit Bequemlichkeit drei Finger hineinlegen konnte! daß das Blut herabläuft und Alle bespritzt, welche ihnen nahe sind; denn sie verstehen sich darauf, die Geißeln so zu führen, daß ihr Blut diejenigen trifft, welche sie bespritzen wollen.

»Die drei Bußbrüderschaften der Stadt gingen nach ihrer Ordnung. Zuerst kamen die schwarzen Büßenden des Todes mit ihrem großen, schwarz behangenen Kruzifix und dabei vier Brüder mit Fackeln, dann fünfzehn Kinder als Engel gekleidet mit Passionsinstrumenten, jedes zwischen zwei Fackelträgern; darauf mit vier Fackelträgern als Veronica, die das Tuch mit Christi Gesichtsabdruck trägt, ein junger Mann in einem schwarzen Schleier, hinter welchem vier Brüder mit Fackeln ein erleuchtetes Ecce homo auf einem Gerüst trugen, begleitet von einem Büßenden, der ein schweres Kreuz und lange Ketten an den Füßen schleppte. Auf diesen folgten zehn bis zwölf Geißler, deren Kleider ganz blutig waren, und zwei sogenannte Hieronymus, welche ihren ganzen nackenden Körper fürchterlich zerschlugen mit großen Wachskugeln, in welchen Stücke Glas staken.

»Neben den Büßenden gingen Fackelträger und hinter ihnen Leute, die Wein und Essig auf ihre Wunden spritzten. Endlich schlossen die ehrbarsten Brüder mit Fackeln und nach ihnen sieben bis acht Franziskaner in den Säcken und mit der Kopfbedeckung der Brüderschaft, das Miserere singend, diese erste Abtheilung.

»Nun folgten die blauen Büßenden mit ungefähr zwölf Geißlern hinter ihrem Kreuze. Sie hatten bei sich einen Christus, einen gefesselten Mann in zerrissener Kleidung mit der Dornenkrone und einem schweren Kreuze, geführt an Stricken von sechs oder sieben Henkern und von Kriegsknechten begleitet, einen Simon von Cyrene, einen hämischen, rothbärtigen Judas, der Geld in einen Beutel schüttelte, die drei weinenden Marien. Auf diese folgten die Brüder paarweis, und fünf Dominikaner schlossen singend diese Brüderschaft.

»Zuletzt, an der Ehrenstelle, als die älteste und angesehenste Brüderschaft, kamen die weißen Büßenden mit einer Menge Geißler, Gefesselter und anderer Büßer. Sie hatten die meisten dieser Büßer, weil sie, als die reichste Brüderschaft, für die, welche kamen, um in ihrer Kleidung zu ziehen und sich zu geißeln, nach der Prozession die beste Kollation veranstalteten. Da ihre Priester, die Väter von der Lehre Christi, nicht mit ihnen zogen, so sangen die besten Sänger von ihnen unter Anführung ihres Priors. Fast alle Einwohner der Stadt nahmen Theil an dieser Prozession, welche von der Dominikanerkirche ausging, und die Weiber zeigten sich an den Fenstern und auf den geschmückten Balkons.«

Solche Prozessionen fanden indessen nicht nur allein an Festtagen statt, sondern sie wurden auch häufig durch Missionarien veranlaßt, welche der Großpfaff zu Rom aussandte, um den römisch-katholischen Sinn wieder aufzufrischen. Dergleichen Gesandte waren der heilige Vincentius und Bruder Venturinus, die ihre Instruktionen aber wohl zu weit ausdehnten. Missionarien ähnlicher Art zogen noch in neuern Zeiten umher, und Labat erzählt von einem solchen, dessen Treiben er ebenfalls in Civita Vecchia – welches er Processionopolis nennt – beobachtete.

Es war dies im ersten Decennium des achtzehnten Jahrhunderts. Der von Rom ausgesandte Apostel kam mit einem Gehülfen in einem bequemen Wagen bis in die Nähe der Stadt. Hier stieg er aus, legte Pilgerkleider an und wurde von der blauen Bußbrüderschaft feierlich eingeholt. Er kehrte bei den Dominikanern ein und las in ihrer Kirche die Päpstliche Verordnung über seine Mission vor. Nach derselben hatte er die Macht, mit einem geweihten Kreuze allen denjenigen vollkommenen Ablaß zu ertheilen, welche gebeichtet und die von ihm zu veranstaltende Prozession mitgemacht haben würden. Zum Gebrauch bei der letzteren hatte er eine ganze Kiste voll Geißeln mitgebracht.

In der ersten Nacht predigte er in der Dominikanerkirche vor einer Menge Volks mit großem Erfolge, denn viele wurden zu Thränen gerührt, und die Weiber heulten laut und schrien um Barmherzigkeit. Als die Predigt zu Ende war, wurden die Thüren geschlossen und die Geißeln an diejenigen vertheilt, welche darnach verlangten. Die Lichter wurden ausgelöscht, der heilige Missionar ermahnte zur Geißelbuße und ging mit dem Beispiel voran, indem er sich mit einer Geißel schlug, die aus fünf Ketten bestand, deren Glieder die Gestalt und Größe eines Feuerstahls hatten. Die anderen Geißeln bestanden theils aus zusammengeflochtenen Strängen, theils aus dicken Riemen. Während der Aktion ermunterte er die frommen Narren von Zeit zu Zeit wie ein Jäger die Jagdhunde, indem er schrie: »Muthig, meine Brüder! Lasset uns diesen Feind Gottes züchtigen!« Dieses Exercitium dauerte eine starke Viertelstunde; darauf zogen sich die Büßenden wieder an, die Lichter wurden angezündet, die Geißeln eingesammelt, und Jedermann verließ die Kirche. – Wir sehen, wenn wir diese Schilderung mit der obigen eines Reisenden vergleichen, daß sich von 1700 bis 1826 ungefähr in diesem Geißelunsinn gar nichts geändert hat, und dürfen daher mit Bestimmtheit annehmen, daß er jetzt, 25 Jahr später, noch fortbesteht.

Doch wieder zu unserm Missionarius. Die Predigt desselben hatte so gut gefallen, daß er am anderen Abend auf dem Markte predigen mußte, weil die Menge der Zuhörer nicht in der Kirche Raum fand. In der Dominikanerkirche wurde eine Nacht um die andere Geißelpredigt gehalten und bei verschlossenen Thüren eine Geißelung vorgenommen.

Die Mission dauerte vierzehn Tage. Während derselben wurden fünf Prozessionen gehalten, welche die Büßenden in der Kleidung ihrer Brüderschaften mitmachten. Die Stationen wurden in den Kirchen der Stadt gehalten. Der Missionar schloß den Zug, sich mit seiner schrecklichen, eisernen Geißel geißelnd. Er verstand aber die Kunst, sich mit ungeheurem Geklapper sehr sanft zu schlagen, denn Labat sah, daß sein Rücken ganz heil war.

Die Dominikaner folgten der Aufforderung, sich bei der Prozession ebenfalls zu geißeln, nicht, denn Labat als Provicarius S. Officil schlug es ab, da es Geistlichen verboten sei, öffentlich Buße zu thun. Dies war vielleicht gerade für die Franziskaner ein Sporn, sich desto thätiger zu zeigen. Sie beschlossen, barfuß, mit Dornenkronen, einen Strick um den HalsDa war nach der Meinung Vieler der Strick an seiner richtigen Stelle. Der Dichter Nuchananus schreibt an Bruder Pantalabus: In tunicam fluxam nodosa cannabe cingis, cum melius fauces stringeret illa tuas. Das übersetzt St. Adelgonde: Was gürtst die Kutt mit Knoppfecht stricken, Stricks umm den hals, wird sich baß schicken. und sich geißelnd im Zuge zu gehen. Diese Bereitwilligkeit zog das Herz des Missionärs zu den Franziskanern. Am Ende der Mission war allgemeine Communion in der Kirche, in welcher alle Theilnehmer Rosenkränze erhielten. Nachmittags wurde die letzte Prozession gehalten und am Ende derselben zuletzt der päpstliche Segen mit dem großen Kruzifix ertheilt.

Einen gedruckten Anschlag, der die Einrichtung dieser letzten Bußprozession enthielt, ließ Labat von den Kirchenthüren wegnehmen, weil man ihn ohne seine Bewilligung angeheftet hatte. Dieser Anschlag war ein Schema, in dem die Namen nur mit Dinte eingeschrieben wurden; ein Beweis daß man dergleiche Komödien auch an anderen Orten aufführte.

Die Büßenden waren darin in halb so viel Klassen getheilt wie das ganze russische Büßervolk, welches in vierzehn eingepfercht ist. Voran zogen die Büßenden, welche Kreuze tragen, sich dabei geißeln oder auf andere noch beschwerlichere Art büßen wollten; sie wurden angeführt von einem Geistlichen mit einem hohen Kreuze. Nun folgten paarweis die Damen ohne Dienerinnen, dann die Mädchen, dann die geringeren Weiber, dann die Geistlichen paarweise und barfuß, mit Dornenkronen auf den Strohköpfen und einem wohlverdienten Strick um den Hals und hinter ihnen das Kreuz der Mission. Dann kamen die Mitglieder der Brüderschaften, welche nicht büßen wollten, und dann die übrigen Narren.

Jede Klasse hatte ihren besonderen Sammelplatz. Wer an der Prozession nicht Theil nähme, oder wer ohne Grund nicht barfuß, ohne Dornenkrone und ohne ein kleines Kruzifix in der Hand ginge, sollte des päpstlichen Segens nicht theilhaftig werden. Die Mädchen sollten das Gesicht mit einem weißen Schleier verhüllen.

Labat ließ die Prozession durch die Sbirren (Polizeidiener) escortiren, um zu verhindern, daß nicht gegen das erlassene Verbot ein halbnackter Hieronymus dabei erscheine. Die Zahl der Geißler war sehr groß. Alle trugen Dornenkronen, und viele schleppten schwere eiserne Ketten an den Füßen nach sich. Außer den Franziskanern nahmen keine Geistlichen an der Prozession Theil. Am Ende derselben predigte der Missionarius zum letzten Mal auf dem Markt, ertheilte nach nochmaliger Geißelung mit dem großen Kreuze den Segen, verkündete den Ablaß und zeigte an, daß er nach andern Städten gehen werde, um dasselbe zu thun. Als der heilige Mann am anderen Tage abzog, begleitete ihn die Brüderschaft bis ans Thor, und in einiger Entfernung davon setzte er sich mit seinem Adjutanten in einen Wagen und fuhr davon.

Im ersten Kapitel habe ich erzählt, daß es bei ungewöhnlichen Naturerscheinungen bei den heidnischen Römern Sitte war, zur Besänftigung der Götter ihre Bilder in Prozession umherzutragen. Das geschieht bei den Christen in Italien noch in unserer Zeit, und wollte ich mir die Mühe machen, die katholischen Journale der neuesten Zeit zu durchblättern, so würde ich gewiß eine Menge Belege auffinden. Hier mag nur ein Beispiel stehen, welches vom 14. März l813 datirt und welches im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen von 1814 Nr. 292 zu finden ist.

An dem genannten Tage sah man nämlich zu Gerace in Calabrien eine feuerrothe Wolke vom Meere herkommen, die bald die Tageshelle verdunkelte. Das erschrockene Volk eilte in die Kirche, um zu beten. Endlich, während man das Tosen des eine deutsche Meile weit entfernten Meeres in der Stadt hörte, und unter dumpfem Brausen der Luft und unter heftigem Blitz und Donner fiel ein röthlicher Regen; zufällig ging auch in einem Hause Feuer auf. So schien der jüngste Tag mit Blut und Feuerregen gekommen zu sein. Unter lautem Jammergeschrei lief das Volk durch die Straßen. Manche zerschlugen sich Brust und Gesicht und beichteten laut; Andere geißelten sich und glaubten, das Menschengeschlecht werde wegen seiner Sünden vertilgt. Mit großem Geschrei verlangte man, daß die Heiligenbilder in Prozession herumgetragen werden sollten, welches auch geschah. Um diese Bilder blieb das Volk betend und schreiend zusammengedrängt, bis in der Nacht das Gewitter aufhörte, und die Ursache des Brandes entdeckt und derselbe gelöscht wurde. Buße predigende Missionarien werden noch heut zu Tage ausgesendet, und es geht dabei noch ebenso zu, wie im dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert, wie folgende Schilderung aus dem Jahre 1823 beweist, die in der Allgemeinen Kirchenzeitung vom Juni 1824 zu finden ist. Hier heißt es: »Ein anderes Städtchen in der Gegend von Salerno wurde mit einer Mission Bußprediger heimgesucht. Alt oder jung, dumm oder aufgeklärt, weiblich und männlich, kurz die ganze Bevölkerung mußte öffentliche Buße thun, mit einer Dornenkrone auf dem Haupte, im schwarzen Bußgewande, barfuß die Kirche durchwandeln und mit Stricken und Ketten sich geißeln. Der Prediger von der Kanzel feuerte so sehr zur heftigen Geißelung an, daß gegen hundert Personen die Folgen auf dem Krankenbette büßen mußten.–

»Die Büßenden müssen sich mit den Händen das Gesicht zerfleischen und gegenseitig sich anspucken. Des Abends wird die Kirche erleuchtet und mit Todtenköpfen und andern Schreckensgemälden behängt. Eine schwangere Frau ist aus Entsetzen darüber mit einer unzeitigen Frucht niedergekommen, mehrere Kinder sind in Konvulsionen gefallen. Dieses Unwesen hatte am Ende des Novembers angefangen und dauerte nun schon vierzehn Tage, zum Abscheu aller rechtlichen Menschen, welche sich diesem heillosen Unsinne unterwerfen müssen, wollen sie nicht als Carbonari angeklagt und verfolgt weiden.

»Sonntags den 7. December 1823 forderte der Bußprediger seine unglücklichen Zuhörer auf, ihm ein Zeichen zu geben, daß sie nun in der That ihre Sünden ernstlich bereuet hätten. Was meinst du, welches? Sie mußten alle die Zungen gegen ihn ausstrecken. Aber das genügt mir noch nicht, fuhr er in seiner Predigt fort; nun will ich, daß ihr euch alle in Demuth niederwerft, und auf den Knieen zum Hochaltar rutschet, und mit eurer unkeuschen, sündhaften Zunge den Boden der Kirche ableckt. – Augenzeugen versichern die buchstäbliche Wahrheit.«

In Spanien scheint das Geißeln schon seit der Mitte des elften Jahrhunderts Sitte gewesen zu sein; allein rechten Geschmack daran bekam man dort erst durch den heiligen Vincentius Ferrer. Bei den Spaniern verband sich aber bei den Geißelungen der Bußeifer mit der Galanterie; man geißelte sich nicht allein zur Ehre Gottes und für seine Sünden, sondern auch zu Ehren seiner Dame. Eine spanische Novelle, betitelt »Das Leben des Mönchs Gerund de Campazas«, welche einen sehr gelehrten Mann (vermuthlich einen Jesuiten) zum Verfasser hat, enthält folgende Stelle, welche beweist, wie sehr dort das Geißeln zur Ehre der Geliebten Mode war und vielleicht noch ist: »Antonius, heißt es hier, studirte damals zu Villagarcia, saß schon in der vierten Klasse und war bereits fünfundzwanzig Jahre alt. In der heiligen und Osterwoche wurden die Collegia auf vierzehn Tage geschlossen, und Antonius ging auf diese Zeit nach Hause in seine Vaterstadt, wie es der Gebrauch bei allen Studenten ist, welche nicht zu weit nach ihrer Heimath haben. – Der Teufel, welcher niemals schläft, brachte ihn auf den Gedanken, am grünen Donnerstage den Büßenden zu spielen. Antonius war schön gewachsen, hatte schon einen Bart und verliebte sich in ein junges Mädchen, welches seine Nachbarin gewesen, und mit welcher er früher zu dem Lehrer des Orts in die Schule gegangen war, um das ABC zu lernen. Um nun um ihre Gunst zu werben, hielt er es für das beste und untrüglichste Mittel, als Geißler auszugehen; denn dies ist eine von den Galanterien, welche den Damen von Campos am meisten gefallen, und es ist schon eine sehr alte Erfahrung, daß die meisten Ehebündnisse daselbst bei den Maitänzen und am grünen Donnerstag geschlossen werden. Einige Damen sind in so hohem Grade in diese Ceremonie verliebt, daß sie ein weit größeres Vergnügen empfinden, wenn die sie Geißeln in Bewegung setzen sehen, als wenn sie das Klappern der Castagnetten beim Tanze hören.

»Dem Schelm Antonius war dieser Geschmack der Mädchen seiner Stadt nicht unbekannt, und deshalb ging er, wie schon gesagt, am grünen Donnerstag als Geißler aus. Trotz seiner Maske und seines Büßergewandes, welches bis auf die Fersen herunterhing, hätte ihn doch Catania Rebollo, so hieß seine Geliebte, ehemalige Nachbarin und Schulkameradin, in der Entfernung einer Meile erkennen können; denn außerdem, daß bei der Prozession keine so schöne geputzte und so steife Mütze war, so trug er noch zum Kennzeichen einen schwarzen Gürtel, welchen sie ihm einst am Lukastage gegeben hatte, als er einst von ihr Abschied nahm, um nach Villagarcia zu gehen.

»Sie verwandte die ganze Zeit hindurch, da er bei ihr vorbei ging, kein Auge von ihm; und Antonius, der es sehr wohl bemerkte, ergriff die Gelegenheit, die Strenge seiner Geißelhiebe zu verdoppeln, und machte ihr im Vorbeigehen, ohne daß es die übrigen gewahr wurden, zwei fast unmerkbare verliebte Verbeugungen mit seinem Kopfe; denn dies ist eine der zahlreichen Galanterien und Kunstgriffe, welche unfehlbar die Herzen der mannbaren Mädchen gewinnen und auf welche sie sehr Achtung geben; und derjenige, der es mit der größten Anmuth und Eleganz zu thun weiß, hat unter ihnen die Wahl, gesetzt auch, er wäre noch nicht mit den ländlichen Spielen und Uebungen ganz bekannt.

»Endlich, als Antonius durch seine allzu strenge Geißelung schon unendlich viel Blut vergossen hatte, bat ihn einer der Majordomus, welcher die Aufsicht über die Prozession führte, ehe noch dieselbe ihr Ende erreicht hatte, nach Hause zu gehen und für sich Sorge zu tragen. Catania folgte ihm in das Haus nach, wo Wein, Rosmarin, Salz und Flachs in Bereitschaft standen, denn dies war der ganze Apparat, dessen man sich zu dergleichen Kuren bediente. Man wusch seine Schultern wohl aus und verband ihm die Wunden, welche er sich durch die allzuheftige Geißelung zugezogen hatte. Er legte nachher seine gewöhnliche Kleidung wieder an und hüllte sich in seinen grauen Mantel. Man ging nachher wieder aus, um der Prozession ferner zuzusehen, nur Catanla ausgenommen, denn diese sagte, sie wolle bei Antonius bleiben u. s. w.«

Doch dies steht in einer Dichtung und könnte von Manchem nicht für einen genügenden Beweis gehalten werden. Deshalb mag hier noch der Bericht einer sehr geistreichen Frau folgen, der Gräfin d'Aulnoy, welche einer Prozession in der Marterwoche des Jahres 1679 beiwohnte. Sie erzählte: »Alle wahre Büßende, Heuchler und Stutzer, gehen in der Marterwoche, vorzüglich von Mittwoch bis zum Freitag in Prozession. Die nach der Vorschrift der Beichtväter oder aus eigenem Willen ernstlich und strenge Büßenden schleppen sich häufig mit Ketten, bloßen Schwertern, durch die sie verwundet werden, schweren Kreuzen u. s. w. durch die Straßen und martern sich entsetzlich.

»Die galanten Büßenden, welche blos aus Mode die Geißelaufzüge mitmachen, lassen sich erst in der Kunst, sich mit Grazie zu geißeln, wie in der Tanzkunst unterrichten.

Sie tragen ein langes und weißes Faltengewand von feinem Battist, aus dem Kopfe eine Battist-Mütze drei Mal so hoch als ein Zuckerhut, bedeckt mit holländischer Leinwand, von welcher ein Stück über das Gesicht lang herabhängt. In diesem Schleier sind zwei Löcher für die Augen und im Rücken auf den Schultern zwei große Löcher. Sie haben weiße Handschuhe und Schuhe und viele Bänder am Kleide und eins an der Geißel, Geschenke der Geliebten.

»Wer sich mit Anstand geißeln will, muß dabei blos die Hand, nicht den Arm bewegen, in ruhigem Takte schlagen und sein Kleid nicht mit Blut besudeln. Sie schlagen sich so heftig, daß das Blut von den Schultern fließt, vorzüglich wenn sie vor den Fenstern ihrer Geliebten vorbeiziehen, welche sie hinter den Jalousien betrachten und zum Schlagen ermuntern. Wenn ihnen ein hübsches Frauenzimmer begegnet, so schlagen sie sich so, das dasselbe mit Blut bespritzt wird, und das ist eine ehrenvolle Auszeichnung. Sie haben auch Stacheln in den Geißeln, mit denen sie sich zerfleischen.

»Des Abends gehen auch die jungen Stutzer vom Hofe in Prozession. Die Vornehmeren bitten dazu besondere Gesellschaften, zu denen sie ihre Freunde einladen. Es gingen damals der Marquis von Villahermosa und der Herzog von Bejar. Dieser zog um neun Uhr aus seinem Palaste mit hundert Wachsfackeln, die man vor ihm hertrug und mit sechzig seiner Freunde, die ihm vorangingen, und mit hundert andern, die ihm folgten. Alle hatten wieder ihre Pagen und Bedienten. Wenn solche vornehme Prozessionen gehen, sind alle Damen an den Fenstern; sie haben Tapeten auf ihren Balkons und Fackeln an den Ecken derselben, um besser zu sehen und gesehen zu werden.

»Zuweilen fällt eine Störung vor, wenn zwei dergleichen Prozessionen sich begegnen und keine der andern aus der Mitte der Straße oder vom Trottoir weichen will. So begegneten sich der Herzog von Bejar und der Marquis von Villahermosa und begannen sogleich einen Kampf. Die Diener schlugen sich mit brennenden Fackeln, die Freunde der beiden Anführer mit ihren Degen, die beiden Helden selbst aber mit der Geißel und mit Fäusten, bis der Herzog wich. Darauf schafften beide ihre Verwundeten nach Hause, reinigten ihre Kleider, ordneten ihren Zug und zogen gravitätisch weiter. Nach solchen ermüdenden Geißelumgängen erholen sich die lockeren Büßenden (ungeachtet der Fasten) bei einem prächtigen Gastmahle.

»Am Charfreitag findet eine allgemeine glänzend Prozession statt, welcher der König, die Prinzen und der ganze Hof beiwohnen, indem die Damen in festlichem Schmucke von Ihren geschmückten Balkons zuschauen. Die Menge der Vornehmen, ihr Gefolge, die königlichen Garden, die hohe und niedere Geistlichkeit, die Mönche, die unförmlichen, aber prächtig geschmückten Heiligenfiguren geben einen Anblick, der alle Schauspiele dieser Art übertrifft.«

Noch in neuerer Zeit war es in Madrid Sitte, daß sich die eifrigen römischen Katholiken während der Charwoche in dem unterirdischen Gewölbe einer Kirche versammelten und hier die obere Disciplin auf der bloßen Haut gaben, wozu die Geißeln an der Thür ausgetheilt wurden.

In Frankreich begann mit der wieder hergestellten Herrschaft der Bourbonen auch die der Pfaffen, und die Missionaren zogen predigend im Lande umher, von Vielen verlacht, von Andern ehrenvoll aufgenommen. In der Normandie sang man bei Anwesenheit der Mission ein Lied, dessen Refrain war: Vive Jesus, vive sa croix! Vivent les Bourbons et la foi! – In Toulon wurde am 23. April 1820 unter dem Donner der Kanonen das Missionskreuz auf dem Admiralschiffe aufgepflanzt, und das gute Franzosenvolk schrie: Es lebe der Glaube! es lebe der König! es lebe die Mission! Alle Galeerensklaven knieten längs dem Kai mit entblößtem Haupte, und ein Missionar predigte hier Buße, ein andrer auf dem Paradeplatz. Die Geistlichen von sechs Stunden und alle Korporationen der Stadt waren zugegen; die blauen, weißen, schwarzen und grauen Büßenden gingen barfuß im Sacke, mit einem Stricke umgürtet. – Es war Zeit, daß die Franzosen Karl X. wegjagten, denn schon wallfahrteten die frommen Pariser mit bloßen Füßen, und der König selbst ließ sich von seinem Beichtvater die untere Disciplin geben! – Der Pfaffenkönig ist nun fort; aber der Bürgerkönig sieht, daß sein Herr Vetter nicht so unrecht hatte, indem er zur Unterdrückung des Volkes römisches Verdummungselexir verordnete, wenn er es auch sonst ungeschickt genug anfing. Die französischen Pfaffen in Paris lenkten schon wieder in die alte Straße ein; aber hoffentlich wirft ihr Wagen bei Zeiten um.

In Deutschland waren Geißelprozessionen ebenfalls üblich; aber sie kamen erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts recht in Aufnahme, als die Herren Jesuiten dieselben eifrig beförderten. In Augsburg scheint selbst eine Geißelbrüderschaft bestanden zu haben. Wir finden die Geißelprozessionen sowohl im Süden als im Norden Deutschlands, und im Anfang des 17. Jahrhunderts entspann sich darüber ein heftiger Federkrieg zwischen Katholiken und Lutheranern. in welchem sich der Jesuit Gretfer, natürlich für das Geißeln, auszeichnete. Mit den Jesuiten scheint das Geißeln bei den Prozessionen in Deutschland aufgeholt zu haben; daß sie auch ohne dasselbe noch immer verrückt genug waren, habe ich im ersten Buche erwähnt. Allein wir haben die besten Hoffnungen! Die Herren Jesuiten bauen sich ja schon wieder bei uns ihre Nester, und Jeder wird wohl mit mir einverstanden sein, wenn ich sage: Wer die Jesuiten hat, der hat auch die Geißel. Ich könnte dies lange Kapitel noch viel länger machen, wenn ich alle die in der Kirche berühmten Männer mittlerer und neuerer Zeit anführen wollte, welche durch Geißelhiebe zu Gott redeten – Greiser und Thiers geben mir Material genug –, allein ich will schließen, um meinen Lesern nicht selbst zur Geißel zu werden.


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