James Fenimore Cooper
Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston
James Fenimore Cooper

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Einunddreißigstes Kapitel.

Sie eine Kapulet? O theurer Preis! mein Leben
Ist meinem Feind als Schuld dahingegeben!

Romeo (Uebers. v. Schlegel).    

 

Ach! Lincoln! Lincoln!« rief die weinende Braut, während sie sich sanft aus Lionel's langer Umarmung loswand, »in welchem Augenblicke hast Du mich verlassen?«

»Und wie bin ich dafür bestraft worden, Du, meine Liebe! Eine Nacht des Wahnsinns und ein Morgen der Reue! Wie früh mußte ich die Stärke der Bande fühlen, die uns verknüpfen – wenn nicht gar meine eigene Thorheit sie bereits für immer gelöst hat!«

»Bösewicht! Ich kenne Dich! und werde in Zukunft mit Frauenkunst ein Netz weben, Dich in meinen Banden zu fesseln! Wenn Du mich liebst, Lionel, wie ich so gerne glauben möchte, laß alles Vergangene vergessen seyn. Ich fordere – ich wünsche keine Erklärung. Du bist getäuscht worden, und dieses reuevolle Auge versichert mich Deiner wiederkehrenden Vernunft. Laß uns jetzt allein von Dir sprechen. Warum finde ich Dich so bewacht, ähnlicher einem Verbrecher als einem Offizier der Krone?«

»Sie haben in der That ganz besondere Wachsamkeit auf meine Sicherheit verwendet!«

»Wie kamst Du in ihre Gewalt? und warum mißbrauchen sie ihren Vortheil?«

»Das ist leicht zu erklären. Erinnern wir uns des Sturmes jener Nacht – welch eine Hochzeitsnacht war die unsere, Cäcilie!«

»Sie war fürchterlich!« antwortete sie schaudernd; dann mit plötzlichem freundlichem Lächeln, als wollte sie jeden Schein des Mißvergnügens oder der Sorge aus ihrem Antlitz verbannen, fuhr sie fort: »Aber ich glaube nicht länger an Vorzeichen, Lionel! oder wenn uns eines erschienen – ist nicht die schreckliche Erfüllung bereits eingetreten? Ich weiß nicht, wie hoch Du die Segenswünsche einer scheidenden Seele achtest, Lionel; aber für mich liegt ein heiliger Trost in dem Bewußtseyn, daß meine sterbende Großmutter unserem schnellgeschlossenen Bunde ihren Segen zurückließ!«

Ohne die Hand zu beachten, die sie mit lieblichem Ernste ihm auf die Schulter gelegt hatte, ging er düster von ihrer Seite in eine entfernte Ecke des Zimmers.

»Cäcilie, ich liebe Dich, wie Du mir so gerne glaubst,« sagte er, »und ich höre bereitwillig Deinen Wunsch, das Vergangene in Vergessenheit zu begraben. – Aber ich lasse meine Erzählung unvollendet. Du weißt, die Nacht war so, daß Keiner wohl ohne besonderen Grund ihrer Wuth sich ausgesetzt hätte: – ich versuchte, den Sturm zu benützen, und bediente mich einer Flagge, welche für gewöhnlich dem Simpel Pray bewilligt ist, mit der ich dann die Stadt verließ. Ungeduldig – ungeduldig, sage ich? – nein, getrieben vielmehr durch den Sturm meiner Leidenschaften, welcher der schwächeren Elemente spottete, wagten wir zuviel – Cäcilie, ich war nicht allein!«

»Ich weiß es – ich weiß es,« fiel sie hastig ein, obwohl sie kaum noch Athem zum Sprechen hatte – »Du wagtest zu viel –«

»Und traf auf ein Piquet, das einen königlichen Offizier nicht für einen verarmten, wenn auch privilegirten, Schwachsinnigen halten lassen wollte. In unserer Angst übersahen wir – glaube mir, theuerste Cäcilie, wenn Du Alles wüßtest – die Scene, der ich angewohnt – die Beweggründe, welche drängten – sie zum wenigsten würden diese dem Scheine nach so befremdende Flucht rechtfertigen.«

»Hätte ich daran gezweifelt, würde ich dann meine Lage, meinen neulichen Verlust und mein Geschlecht vergessen haben, um den Fußstapfen eines Mannes zu folgen, der meiner Angst unwürdig wäre?« antwortete die Braut, indem sie eben so sehr in angeborener Bescheidenheit, als in dem Drange ihrer Gefühle erröthete. »Glaube nicht, ich komme mit mädchenhafter Schwäche, um Dir ein eingebildetes Unrecht vorzuwerfen! Ich bin Dein Weib, Major Lincoln, und als solches wollte ich Dir in einem Augenblicke zu Hülfe eilen, wo ich weiß, daß Du aller Zärtlichkeit dieses Bandes am meisten bedürfen wirst. Am Altar und in Gegenwart meines Gottes habe ich die heilige Pflicht übernommen und soll ich zaudern, sie zu erfüllen, weil die Augen der Welt auf mich gerichtet sind?«

»Ich werde noch rasend werden! – Es wird mich noch wahnsinnig machen!« rief Lionel, in unbezähmbarer Geistesangst, während er in tiefer Verwirrung im Zimmer auf und ab schritt. »Es gibt Augenblicke, wo ich glaube, der Fluch, der den Vater zerstörte, hat auch bereits den Sohn erfaßt!«

»Lionel!« sprach neben ihm die milde, besänftigende Stimme seiner Gefährtin, »soll dieß mich glücklicher machen? – lautet so der Willkomm, welchen Du dem vertrauenden Mädchen schenkst, das ihr Glück Deiner Hand übergeben hat? Ich sehe, Du wirst milder, und willst gerechter gegen uns beide seyn und gehorsamer gegen Deinen Gott! Nun laß uns von Deiner Gefangenschaft sprechen. Hoffentlich liegt bei diesem raschen Besuch in dem amerikanischen Lager nicht der Verdacht verbrecherischer Absichten auf Deiner Person. Es wäre leicht, ihre Führer zu überzeugen, daß Du unschuldig an einem so niedrigen Plane bist!«

»Es ist schwer, der Wachsamkeit Derer zu entgehen, die für die Freiheit kämpfen!« antwortete die tiefe ruhige Stimme Ralph's, der unerwartet vor ihnen stand. »Major Lincoln hat zu lange auf die Rathschläge von Tyrannen und Sklaven gehört und das Land seiner Geburt vergessen. Will er sicher ausgehen, so laßt ihn jetzt, so lange er noch mit Ehren kann, seinen Irrthum wieder gut machen.«

»Ehren!« wiederholte Lionel mit unverhehlter Verachtung – und abermals maß er das Zimmer mit schnellen unruhigen Schritten ohne den unwillkommenen Gast fernerer Aufmerksamkeit zu würdigen. Cäcilie senkte das Haupt und sank in einen Stuhl, das Gesicht in ihren kleinen Muff verbergend, als wollte sie ein furchtbares, schaudervolles Gesicht von ihren Blicken ausschließen.

Das augenblickliche Stillschweigen wurde durch das Geräusch von Fußtritten und Stimmen auf dem Gang unterbrochen; im nächsten Augenblick wurde die Thüre geöffnet und Meriton erschien auf ihrer Schwelle. Seine Erscheinung brachte Cäcilie wieder zu sich, die schnell aufsprang und mit einer Art wilden Ernstes ihm hinauszugehen winkte, indem sie ausrief:

»Nicht hier! nicht hier! – um's Himmels willen, nicht hier!«

Der Diener zauderte; als er aber einen Blick aus seines Herrn Auge auffing, da gewann seine Anhänglichkeit dennoch die Oberhand über seinen Respekt.

»Gott sey gelobt für diesen gesegneten Anblick, Herr Lionel!« rief er: – »das ist die glücklichste Stunde, die ich erlebt habe, seit ich die Ufer von Alt-England aus den Augen verlor! Wär's nur zu Ravenscliffe oder in Soho, ich wäre der zufriedenste Narr in den drei Königreichen! Ach! Herr Lionel, laßt uns aus dieser Provinz ziehen und nach einem Lande wandern, wo keine Rebellen sind und wo nichts Schlimmeres zu treffen ist als König, Lords und Gemeine!«

»Genug davon, für dießmal, ehrlicher Meriton, genug!« unterbrach ihn Cäcilie, die in ihrem Eifer, gehört zu werden, kaum Athem fand. – »Geht, kehrt in's Wirthshaus zurück – zu den Kollegien – überall hin – nur geht fort!«

»Schicken Sie einen königlichen Unterthan nicht wieder unter die Rebellen, ich bitte Sie inständig darum, Madame. Ach, Sir! was ich für schreckliche Lästerungen mit anhören mußte, so lange ich dort war! Sie sprachen von Seiner geheiligten Majestät gerade so frei, Sir, als ob er ein Herr gleich Ihnen wäre. Wie fröhlich war ich über die Nachricht meiner Erlösung!«

»Und wäre es ein Wachzimmer auf dem jenseitigen Ufer gewesen,« sagte Ralph, »dort wären die Freiheiten, welche sie sich mit eurem irdischen Monarchen nahmen, eben so schonungslos an dem König der Könige versucht worden!«

»So bleibt denn,« sagte Cäcilie, die wahrscheinlich dem verachtenden Blick, den Meriton auf seinen bejahrten Reisegefährten warf, eine ganz verschiedene Bedeutung unterlegte – »aber nicht hier. Du hast noch andere Zimmer, Major Lincoln; laß meine Begleiter dort eintreten: – sicherlich willst Du nicht die Dienstboten zu unserer Unterredung zulassen!«

»Warum dieser plötzliche Schreck, meine Liebe? Bist Du hier auch nicht glücklich, so bist Du zum wenigsten sicher. Meriton, gehe in das anstoßende Zimmer; bedarf ich Deiner, so trittst Du durch diese Verbindungsthür ein.«

Der Diener murmelte einige halbausgesprochene Redensarten, von denen nur das nachdrucksvolle Wort ›höflich‹ vernommen wurde, während die Richtung seines unwilligen Auges hinlänglich klar machte, daß Ralph der Gegenstand seiner Betrachtungen war. Der alte Mann folgte seinen Tritten; die Gangthüre schloß sich bald hinter Beiden und Cäcilie stand, wie eine schöne Bildsäule, in nachdenkender Stellung da. Als das Geräusch ihrer Begleiter, während sie ruhig in das anstoßende Zimmer traten, gehört wurde, athmete sie wieder auf's Neue, ein zitternder Seufzer machte sich Luft, der eine schwere Last der Besorgniß von ihrem Herzen zu heben schien.

»Fürchte nicht für mich, Cäcilie, und am wenigsten von Allen für Dich selbst,« sagte Lionel und schloß sie mit zärtlicher Bekümmerniß an seine Brust; – »meine unbesonnene Raschheit oder vielmehr jener verhängnißvolle Fluch, der auf dem Glücke meines Hauses ruht, die ungewöhnliche Empfindlichkeit, die Du oft gesehen und beklagt haben mußt, haben mich allerdings in scheinbare Gefahr gebracht. Doch ich habe einen Grund für mein Benehmen, der, wenn ich ihn bekenne, selbst den Verdacht unserer Feinde in Schlummer wiegen soll.«

»Ich habe keinen Verdacht – keine Kenntniß von irgend einer Unvollkommenheit – keinen Kummer, Lionel; – nichts, als den glühendsten Wunsch für den Frieden Deiner Seele, und wenn ich das sagen darf! – ja – nun ist die Zeit dazu da – Lionel, gütiger, aber wilder Lionel – –«

Ihre Worte wurden durch Ralph unterbrochen, der wieder mit jenem geräuschlosen Tritte in dem Zimmer erschien, welcher, in Verbindung mit seinem hohen Alter und der abgemagerten Gestalt, seiner Erscheinung und seinen Bewegungen manchmal den Charakter eines über die gewöhnliche Menschheit erhabenen Wesens verlieh. Im Arme trug er einen Oberrock und Hut, welche beide Cäcilie auf den ersten Blick als das Eigenthum des fremden Mannes erkannte, der ihrer Person durch alle die Wechselfälle dieser ereignisreichen Nacht gefolgt war.

»Sieh'!« sagte Ralph, indem er mit schrecklichem, bedeutungsvollem Lächeln auf seine Beute zeigte; »sieh' in wie vielerlei Gestalten die Freiheit erscheint, um ihren Bekennern beizustehen! Hier ist die Verkleidung, in der sie jetzt gewonnen werden will. Trage dies, junger Mann, und sey frei!«

»Glaube ihm nicht – höre nicht auf ihn,« flüsterte Cäcilie, indem sie mit unverhehltem Schauder vor seiner Annäherung zurückbebte; – »doch, höre, aber handle mit Vorsicht!«

»Zögerst Du, die gesegnete Gabe der Freiheit anzunehmen, wenn sie Dir geboten wird?« fragte Ralph; »wolltest Du bleiben, trotzen der zürnenden Gerechtigkeit des amerikanischen Heerführers und Dein Weib von einem Tag zur Wittwe für ein ganzes Leben machen?«

»Was soll mir diese Kleidung nützen?« sagte Lionel. – »Um mich der Demüthigung einer Verkleidung zu unterwerfen, müßte das Gelingen gewiß seyn.«

»Wende Deine stolzen Blicke, junger Mann, auf dieß Bild von Unschuld und Schrecken an Deiner Seite. Um ihretwillen, deren Geschick in Deines verflochten ist, wenn nicht um Deiner selbst willen, denke auf Deine Sicherheit und fliehe – die nächste Minute kann dazu zu spät seyn.«

»O! zaudere nicht einen Augenblick länger, Lincoln,« rief Cäcilie, die ihren Entschluß ebenso plötzlich geändert hatte als der Eindruck der Hoffnung mächtig auf sie wirkte: – »fliehe – verlaß mich; mein Geschlecht und Stand wird –«

»Nie,« antwortete Lionel, mit kalter Verachtung das Gewand von sich werfend. – »Einmal, als der Tod geschäftig war, konnte ich Dich verlassen; aber ehe ich's noch einmal thue, muß er mich selbst treffen!«

»Ich will folgen – ich will Dich wieder treffen.«

»Ihr sollt Euch nicht trennen,« sagte Ralph, der noch einmal den verschmähten Rock aufhob und Lionel darein kleiden half. Während dieser bei den verwirrten Anstrengungen seiner Braut und ihres betagten Helfers sich leidend verhielt. – »Bleibt hier,« fuhr der Letztere fort, als ihr kurzes Geschäft beendigt war, »und erwartet den Ruf der Freiheit. Und Du, süße Blume der Unschuld und Liebe, folge und theile die Ehre der Befreiung dessen, der Dich zur Sklavin gemacht hat!«

Cäcilie erröthete in jungfräulicher Scham über die Stärke seiner Ausdrücke, beugte aber ihr Haupt als Zeichen ihres Gehorsams. Der Alte schritt auf die Thüre zu und winkte ihr, zu ihm heranzukommen, während er Lionel durch eine ausdrucksvolle Gebärde bedeutete, daß er ruhig zurückbleiben müsse. Als Cäcilie ihm gefolgt war und beide in dem engen Gange sich befanden, näherte sich Ralph furchtlos und ohne irgend eine Besorgnis zu verrathen, der Schildwache, welche in der ganzen Länge der Hausflur sich hin und her bewegte, und redete sie mit der Zuversicht eines vertrauten Freundes an.

»Sieh!« hob er an und zog den Ueberwurf von den bleichen Zügen seiner Gefährtin, »wie die Furcht vor dem Schicksal ihres Gemahls dem guten Kinde Thränen ausgepreßt hat! Sie verläßt ihn nun, Freund, mit einem ihrer Begleiter, während der Andere zurückbleibt, um für seines Herrn Bedürfnisse zu sorgen. Sieh sie an; ist sie nicht eine süße, wenn auch trauernde Gefährtin, um den Lebenspfad eines Soldaten zu verschönern?«

Der Mann schien ganz besonders ergriffen durch die ungewöhnlichen Reize, welche Ralph so ohne Umstände vor seinem Blick enthüllte und während er in staunender Verwirrung dastand – zu gleicher Zeit kaum so keck, um hinzuschauen und dabei doch nur mit Widerstreben sich abwendend – folgte Cäcilie den leichten Tritten des alten Mannes, der in das Zimmer trat, welches Meriton und der Fremde eingenommen hatten. Sie war noch beschäftigt, ihr Gesicht vor den Augen der Schildwache wieder zu verhüllen, als Ralph wieder erschien, von einer Gestalt begleitet, welche in den wohlbekannten Oberrock eingehüllt war. Trotz des niederhängenden Huts und der angenommenen Verstellung im Gang, erkannte doch das scharfe Auge der Frau ihren verkleideten Gemahl und da sie sich im nämlichen Augenblick der Verbindungsthüre zwischen beiden Zimmern erinnerte, war ihr der ganze Kunstgriff auf einmal enthüllt. Mit zitterndem Eifer glitt sie an der Schildwache vorüber und drängte sich mit einer Hingebung an Lionel's Seite, welche den Betrug leicht vor einem Andern hätte verrathen können, der mehr an die Gestaltungen des Lebens gewöhnt gewesen wäre als der ehrliche Landmann, der kaum erst den Dreschflegel mit der Muskete vertauscht hatte, in Wirklichkeit es war.

Ralph ließ der Schildwache keine Zeit zur Ueberlegung, sondern winkte ihr mit der Hand als Zeichen des Abschieds und wandte sich mit seiner gewohnten Raschheit nach der Straße. Hier trafen sie den andern Soldaten, der auf dem ihm angewiesenen Raume vor dem Gebäude auf und abging, und die Wachsamkeit, von der sie umringt waren, doppelt gefährlich machte. Lionel folgte dem Beispiele seines bejahrten Führers und ging mit seiner zitternden Gefährtin in scheinbarer Gleichgültigkeit dem Manne entgegen, der, wie sich zeigte, das ihm anvertraute Amt besser als sein Kamerad innerhalb zu versehen entschlossen war. Seine Muskete quer über den Weg hinhaltend, wodurch er seine Absicht, sie erst nach ihrem Ziele zu befragen, ehe er sie weiter gehen ließe, deutlich genug anzeigte – rief der Soldat in barschem Ton:

»Wie ist das, alter Herr? Ihr kommt haufenweise aus des Gefangenen Zimmer! einer, zwei, drei; unser englischer Galan könnte wohl unter Euch sich befinden und immer noch wären zwei im Hause übrig! Kommt, kommt, alter Vater, gebt einige Rechenschaft von Euch selbst und Eurem Auftrag. Denn, um's Euch aufrichtig zu sagen, es gibt Leute, welche Euch für nicht viel besser, als für einen von Howe's Spionen halten, wenn Ihr gleich nach Belieben im Lager auf- und abrennen dürft. In reinem Yankee-Dialekt und das ist ein verständliches Englisch – Ihr seyd neulich in schlimmer Gesellschaft eingefangen worden und man hat scharf davon gesprochen, Euch ebenso wie Euren Kameraden einzusperren!«

»Hört Ihr das!« erwiederte Ralph mit kaltem Lächeln und wandte sich an seine Gefährten statt an den Mann, dessen Fragen er, wie man erwartete, beantworten sollte; – »meint Ihr, die Miethlinge der Krone seyen auch so munter? Würden die Sclaven nicht schlafen, sobald die Augen ihrer Tyrannen auf ihre eigenen gesetzlosen Vergnügungen gerichtet sind? So ist's mit der Freiheit! Der heilige Geist weiht ihre geringsten Diener und erhebt den Gemeinen zu den Tugenden des stolzesten Kapitäns.«

»Geht, geht,« erwiederte die geschmeichelte Schildwache und warf die Muskete wieder auf die Schulter; »ich glaube, man gewinnt nichts, wenn man sich in Worten mit Euch herumstreitet! Ich hätte ein oder zwei Jahre in jenen Kollegien dort verleben müssen, um Eure Meinung ganz zu ergründen. Doch vermuthe ich, Ihr habt in Einer Sache so ziemlich Recht; denn wenn ein armer Bursche, der sein Vaterland und die gute Sache liebt, es so schwer findet, auf dem Posten die Augen auf zu behalten, wie muß es dann erst so einem halb verhungerten Teufel mit sechs Pence (Groschen) des Tags zu Muthe seyn! Geht nur, geht weiter, alter Vater; Ihr seyd um Einen weniger, als vorhin, hineingegangen und wenn irgend Etwas nicht richtig wäre, müßte es ja der Mann im Hause drinnen wissen!«

Nachdem er also geendet hatte, trat er seinen Gang aufs Neue an, wobei er, in der zufriedensten Laune mit sich selbst und mit der ganzen Menschheit, die Feinde seines Landes natürlich ausgenommen, einen Vers aus dem ›Yankee-Taugenichts‹ vor sich hinsummte. Wenn man behaupten wollte, dieß sey nicht der erste Fall gewesen, wo gutgemeinte Ehrlichkeit durch ein Gesalbader von Freiheit hintergangen worden, so möchte dieß vielleicht als eine zu gewagte Versicherung erscheinen; daß es aber nicht der letzte war, das glauben wir mit gutem Gewissen annehmen zu können, wenn auch nicht augenblicklich ein anderes Beispiel zur Hand seyn mag, um eine so ketzerische Leichtgläubigkeit zu unterstützen.

Ralph jedoch schien keineswegs gemeint, mehr zu äußern, als der Geist der Zeiten rechtfertigen mochte, denn nachdem er wieder sich selbst überlassen war, verfolgte er seinen Weg und fuhr fort, mit einer Heftigkeit und einem Ernst, die seine Aufrichtigkeit bewies, einzelne Worte vor sich hinzumurmeln. Als sie sich um die nächste Ecke gewendet hatten und nun von der unmittelbar drängenden Gefahr befreit waren, wurde sein Schritt langsamer; er ließ seine eilenden Gefährten zu sich herankommen, stahl sich auf Lionel's Seite und flüsterte, indem er dabei heftig dessen Hand faßte, mit einer durch die innere Bewegung halberstickten Stimme:

»Nun hab' ich ihn, er ist nicht länger gefährlich! Ha – ha – nun ist er streng bewacht von den Augen dreier unbestechlicher Patrioten!«

»Von wem sprechen Sie?« fragte Lionel: – »welches ist sein Verbrechen und wo ist Ihr Gefangener?«

»Ein Hund! ein Mensch an Gestalt, aber ein Tiger im Herzen! O! – doch ich hab' ihn!« fuhr der Alte mit einem hohlen Gelächter fort, das aus seiner innersten Seele hervorzubrechen schien: – »ein Hund, ein wahrhafter Hund ist er! Ich hab' ihn und Gott gebe, daß er den Kelch der Sklaverei leeren müsse bis auf die Hefen!«

»Alter Mann,« sprach Lionel in festem Tone, »daß ich Ihnen bis hieher zu keinem unwürdigen Zwecke gefolgt bin, können Sie selbst am Besten bezeugen: – Ich habe den Eid vergessen, den ich am Altar geschworen, den Eid, dieses süße, fleckenlose Wesen zu lieben! – auf Ihren Antrieb hab' ich's gethan, getrieben von den betäubenden Ereignissen des Augenblicks; aber die Täuschung ist nun geschwunden! Hier scheiden wir für immer, wenn Ihre feierlichen, oft wiederholten Zusagen nicht auf der Stelle erfüllt werden!«

Der hohe Triumph, der kaum noch das abgemagerte Gesicht Ralph's entstellt und dasselbe häßlich und gespenstig gemacht hatte, verschwand wie ein vorüberziehender Schatten und er horchte mit kalter, gesetzter Aufmerksamkeit auf Lionel's Worte. Aber indem er antworten wollte, wurde er von Cäcilien unterbrochen, welche mit einer Stimme, die durch ihre Furcht fast erstickt wurde, ausrief:

»O! keinen Augenblick längeren Verzug! Laßt uns weiter gehen, überall hin und auf jede Weise! Jetzt vielleicht schon sind die Verfolger auf unserer Ferse. Ich bin stark, theuerster Lionel, und will folgen bis an der Welt Enden, so Du mich führst!«

»Lionel Lincoln, ich habe Dich nicht betrogen!« sprach der alte Mann feierlich. »Die Vorsehung hat uns schon auf den rechten Pfad geleitet und wenige Minuten weiter werden uns an's Ziel führen – so gestatte denn, daß diese schöne Zitternde in die Stadt zurückkehre und folge!«

»Nicht einen Zoll breit!« erwiederte Lionel und preßte Cäcilie fester an sich: – hier trennen wir uns oder Ihre Zusagen werden erfüllt.«

»Nein, geh' mit ihm – geh',« lispelte wieder das Wesen, das in zitternder Hingebung an seiner Seite hing. »Gerade dieser Streit kann Dein Untergang werden – sagte ich nicht, ich wollte Dich begleiten, Lincoln?«

»Vorwärts denn,« schloß endlich ihr Gatte und winkte Ralph, weiter zu gehen: – »noch einmal will ich Dir vertrauen; aber gebrauche dieß Zutrauen mit Vorsicht, denn mein Schutzgeist ist zur Hand, und bedenke, daß Du nicht länger einen Mondsüchtigen führst!«

Der Mond fiel auf die bleichen Züge des alten Mannes und zeigte sein zufriedenes Lächeln, während er sich schweigend wegwandte und mit dem gewohnten, raschen, geräuschlosen Schritt seinen Gang wieder antrat. Noch führte sie ihr Weg längs der Einfassung des Dorfes hin. Während noch immer die Gebäude der Universität nahe vor ihnen lagen und das laute Gelächter der Müßiggänger vor dem Wirthshaus neben dem häufigen Anruf der Schildwachen deutlich gehört wurde, leitete sie ihr Führer unter den Mauern einer Kirche vorüber, die in feierlicher Einsamkeit in dem trügerischen Lichte des Abends sich erhob. Zu diesem um seiner Regelmäßigkeit willen etwas ungewöhnlichen Bauwerke empordeutend, murmelte Ralph im Vorübergehen:

»Hier wenigstens blieb Gott in seinem Eigenthume ohne Beschimpfung!«

Lionel und Cäcilie warfen flüchtige Blicke auf die schweigenden Mauern und traten durch eine Lücke in der niederen, zerrissenen Umzäunung auf einen kleinen eingefriedigten Platz. Hier stand der Erstere still.

»Ich will nicht weiter gehen,« fing er abermals an, und bekräftigte, sich unbewußt, seine Erklärung, indem er seinen Fuß fest und in der Stellung des Widerstrebens auf einen Damm gefrorner Erde setzte: – »es ist Zeit, nicht mehr an sich selbst zu denken und auf die Schwäche Derjenigen zu achten, die ich stütze.«

»Denke nicht an mich, theuerster Lincoln – –«

Cäcilie wurde durch die Stimme des Alten unterbrochen, der, seinen Hut lüftend und seine grauen Locken vor den milden Strahlen des Gestirns entblößend, in zitternder Bewegung antwortete:

»Deine Aufgabe ist bereits geendet! Du stehst auf dem Grunde, wo die Gebeine eines Wesens modern, das lange Dich getragen hat. Achtloser Knabe, dieser gotteslästerliche Fuß tritt auf Deiner Mutter Grab!«

 


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