James Fenimore Cooper
Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston
James Fenimore Cooper

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Welch Wunder, Sir! seit Weiber Euch verhaßt sind,
Und Ihr sie flieht, wie Eure Lordschaft schwört –
Begehrt Ihr dennoch Heirath?

Ende gut, Alles gut.    

 

Cäcilie hatte das Zimmer ihrer Großmutter mit dem Gefühle einer auf ihr lastenden Angst verlassen, wie ihre jugendliche Erfahrung sie bis jetzt noch nicht gekannt hatte. Auf ihren Knieen, in der Einsamkeit ihres Gemachs, sandte sie die Ergießungen ihrer reinen Seele in heißem, inbrünstigem Gebete zu jener Macht empor, gegen welche die Sterbende, die jetzt am meisten deren Stütze bedurfte, so lange durch erheuchelte Ehrfurcht und scheinheilige Andacht gefrevelt hatte. Die Seele noch durch ihre jüngste Gemeinschaft mit Gott erhoben und mit Gefühlen, welche durch die heilige Gluth, die sich um sie ergossen, selbst bis zu völliger Ruhe gesänftigt waren, bereitete sich die jugendliche Braut, ihre Stelle an dem Lager ihrer betagten Verwandten wieder einzunehmen.

Während sie von ihrem Zimmer auf das der Mrs. Lechmere ging, hörte sie Agnesen's geschäftige Stimme unten, zugleich mit dem Geräusch der Vorkehrungen, welche eben noch zur Feier ihrer eigenen übereilten Hochzeit getroffen wurden, und einen Augenblick lang stand sie stille, um sich selbst zu versichern, daß Alles, was eben erst vorgegangen, mehr als nur die Ausgeburt einer wirren Phantasie sey. Sie blickte auf die zwar bescheidenen, doch ungewöhnlichen Verzierungen ihres Anzugs, schauderte zusammen, als sie der schrecklichen Vorbedeutung jenes Schattens gedachte, und jetzt erst drängte sich die schreckenvolle Gegenwart mit der überwältigenden Ueberzeugung ihrer Wahrheit vor ihre Seele. Die Hand an die Thürklinke gelegt, hielt sie eine Weile mit geheimem Schrecken still, um die Töne zu erhaschen, die aus dem Zimmer der Kranken hervordringen möchten. Nachdem sie einen Augenblick gelauscht, hörte der Lärm unten auf und auch sie vernahm jetzt das Pfeifen des Winds, wie sein Echo zwischen den Kaminen und den Winkeln des Gebäudes allmählich erstarb. Ermuthigt durch die Stille in ihrer Großmutter Zimmer, öffnete Cäcilie die Thüre in der freudigen Erwartung, daß sie jetzt da, wo sie kaum noch Zeuge von der beginnenden Raserey der Verzweiflung gewesen war, die Resignation einer Christin finden würde. Ihr Eintritt war furchtsam, denn sie besorgte, dem hohlen und doch glühenden Blick jenes namenlosen Wesens zu begegnen, welches die Botschaft des Arztes gebracht und von dessen Miene und Sprache sie noch eine verwirrte, aber furchtbare Rückerinnerung, behalten hatte. Ihr Zaudern wie ihre Furcht waren gleich vergeblich, denn das Zimmer war still und leer. Einen verwunderten Blick um sich werfend, um die Gestalt zu suchen, die ihr die theuerste war, näherte sich Cäcilie dem Bett mit leisem Tritte, hob die Decke in die Höhe und – entdeckte die traurige Wahrheit.

Mrs. Lechmere's Züge waren bereits erstarrt und hatten jenen leichenartigen gespenstigen Ausdruck angenommen, welcher die Hand des Todes verräth. Die scheidende Seele hatte die Spuren ihres Todeskampfes auf ihrem Antlitze zurückgelassen, das noch die Ueberreste jener Leidenschaften zeigte, welche sie zwangen, selbst im Tode noch auf eine Welt zurückzublicken, die sie für immer verließ, anstatt vorwärts nach jenem unbekannten Daseyn zu schauen, dem sie entgegeneilte. Vielleicht hielt gerade das Plötzliche und die Schwere des Schlags die betroffene Braut in diesem Augenblicke der Prüfung aufrecht. Länger als eine Minute vermochte sie weder zu sprechen, noch sich zu rühren, sondern hielt fortwährend die Augen auf die Zerstörung eines Antlitzes geheftet, welches sie von Kindheit auf mit einer Art heiliger Scheu, die nicht ganz frei von Furcht war, betrachtet hatte. Dann kam die Erinnerung an die unglücklichen Vorzeichen ihrer Vermählung und mit ihr der angstvolle Gedanke, daß der schwerste ihrer Unglücksfälle sie erst noch erwarten möchte. Sie senkte die Decke wieder auf die blassen Züge der Todten nieder und verließ das Gemach mit eiligem Schritt. Lionel's Zimmer befand sich mit jenem, welches sie so eben verlassen hatte, auf gleichem Boden und ehe sie Zeit zur Ueberlegung fand, hatte sie die Hand an der Thürklinke. Ihr Kopf war durch den plötzlichen Andrang all' dieser verschiedenen Vorfälle ganz verwirrt. Einen einzigen Augenblick zögerte sie mit mädchenhafter Verschämtheit, indem sie mit Scheu vor dem Schritte zurückbebte, den sie zu thun im Begriffe war; dann aber überwältigte die Furcht, vermischt mit den aufglimmenden Strahlen der Wahrheit, aufs neue ihre zagende Seele, sie stürzte ins Zimmer und rief laut den Namen dessen, den sie suchte.

Die Brände eines zusammengestürzten Feuers waren sorgfältig gesammelt und knisterten mit schwacher ersterbender Flamme. Das Zimmer schien von kalter Luft erfüllt, welche Cäcilien's zarte Gestalt empfindlich berührte; fliehende Schatten, durch das unstäte, Licht verursacht, schwebten in unsicherer Bewegung an den Wänden; aber gleich dem Gemache der Todten, war auch dieses schweigend und leer. Da sie die Thüre des kleinen Ankleidezimmers offen sah, stürzte sie nach dieser Schwelle und das Räthsel der kalten Luft und des flackernden Feuers wurde ihr nun klar, als sie die Windstöße von der offenen Thüre der geheimen Treppe herauf an sich vorüberstürmen fühlte. Hätte man Cäcilien je aufgefordert, die Gefühle, welche sie jetzt die Treppe hinabführten, oder die Art, wie sie hinabkam, zu erklären, sie wäre nicht im Stande gewesen, diese Aufgabe zu lösen, denn schnell, wie der Gedanke, stand sie, ihrer Lage fast völlig unbewußt, auf der Schwelle der äußern Thüre.

Der Mond wandelte noch unter fliehenden Wolken und verbreitete gerade Licht genug, um ihr die Stille des Lagers und der Stadt fühlbar zu machen. Der Ostwind heulte noch durch die Straßen, trieb gelegentlich da und dort Schneewirbel mit sich und hüllte ganze Stadtviertel in deren dunstigen Schleier: aber weder Mensch noch Thier war zu sehen.

Die zitternde Braut bebte vor dem düstern Anblicke zurück; unwillkührlich drängte sich ihr die Bemerkung auf, wie diese Scene so ganz mit dem Tode ihrer Großmutter in wildem Einklange stand. Im nächsten Augenblick war sie wieder oben im Zimmer und durchforschte jeden Winkel desselben mit betäubender Angst nach der Person ihres Gemahls. Doch ihre Kräfte, unnatürlich angespannt wie sie waren, vermochten nicht länger sie aufrecht zu erhalten. Sie mußte endlich dem tiefen Eindrucke unterliegen, als sich ihr der Gedanke aufdrängte, daß Lionel sie im entscheidendsten Augenblicke verlassen habe, und es darf nicht befremden, wenn sie die düsteren Vorzeichen dieser Nacht mit seiner räthselhaften Abwesenheit in Verbindung brachte. Das im Innersten getroffene Mädchen schlug die Hände angstvoll zusammen, rief noch jammernd den Namen ihrer Cousine und sank bewußtlos zu Boden.

Agnes war in fröhlicher Emsigkeit mit ihren Dienstboten beschäftigt, den Reichthum der Lechmere's auf eine Weise zu entfalten, welche ihrer Cousine dem reicheren Herrn und Gemahl gegenüber keine Unehre machen sollte. Der schneidende Hülferuf drang jedoch durch den Lärm der eilfertigen Diener und das Klappern von Messern und Tellern bis zu dem Speisezimmer, jede Bewegung hemmend und jegliche Wange mit Blässe färbend.

»Das ist mein Name!« sagte Agnes; »wer ruft!«

»Wenn es möglich wäre,« antwortete Meriton mit entsprechendem Nachdruck, »daß Sir Lionel's Braut solch' Zetergeschrei erheben könnte, würde ich sagen, es war meiner Lady Stimme.«

»Es ist Cäcilie – Cäcilie ist's!« rief Agnes und stürzte aus dem Zimmer: »o, ich fürchtete – fürchtete wohl diese hastige Vermählung!«

Es folgte ein allgemeines Rennen der Dienstboten durch die Zimmer, und alsbald ward die traurige Wahrheit der ganzen Familie bekannt. Die leblose Hülle der Mrs. Lechmere wurde in ihrer geisterhaften Entstellung entdeckt und allen, außer Agnes, gab dieß hinlängliche Aufklärung über die Lage der Braut.

Mehr als eine Stunde verstrich, bis es der äußersten Sorgfalt ihrer Umgebung gelang, Cäcilie wieder so weit zu sich zu bringen, daß Fragen an sie gerichtet werden konnten. Dann ergriff ihre Cousine die Gelegenheit, als ihre Frauen einen Augenblick abwesend waren, und erwähnte den Namen ihres Gemahls. Cäcilie hörte sie mit plötzlicher Freude an; dann aber wild im Zimmer umherblickend, als ob sie ihn mit den Augen suchte, preßte sie die Hände aufs Herz und fiel abermals in jenen Zustand der Bewußtlosigkeit, aus dem sie kaum zuvor erweckt worden war. Dieser ausdrucksvolle Beweis von Cäcilien's Kummer war ihrer Freundin nicht entgangen, welche, sobald es ihrer Sorgfalt gelungen war, die Leidende noch einmal zur Besinnung zurückzubringen, augenblicklich das Zimmer verließ.

Agnes Danforth hatte ihre Tante nie mit jener vertrauensvollen Verehrung und Liebe betrachtet, wie sie die Gefühle der Enkelin der Verstorbenen heiligten. Sie hatte immer ihre näheren Verwandten gehabt, deren Empfindungen und Ansichten sie vorzugsweise theilte; auch fehlte es ihr durchaus nicht an der nöthigen Unterscheidungsgabe, um die kalten und selbstischen Züge wohl zu bemerken, welche den Charakter der Mrs. Lechmere so ganz besonders bezeichneten. So hatte sie sich einzig und allein aus uneigennütziger Anhänglichkeit an ihre Cousine dazu verstanden, den Kränkungen, den Entbehrungen und Gefahren der Belagerung sich auszusetzen, da Cäcilie ohne sie ihre Lage höchst peinlich gefunden haben würde.

In Folge dieser Gemüthsstimmung war Agnes über den Todesfall, der so unerwartet eingetreten war, eher betroffen als betrübt. Vielleicht, wenn ihre Besorgniß um Cäcilie nicht in diesem Grade erregt worden wäre, hätte sie wohl auch im Stillen über das Hinscheiden einer Person geweint, welche sie so lange gekannt hatte, und die, so sagte ihr Herz, zu einem solchen Wechsel so wenig vorbereitet gewesen war. So wie die Sachen nun standen, begab sie sich ruhig und gefaßt nach dem Besuchzimmer, wo sie Meriton zu sich rufen ließ.

Als der Diener eintrat, nahm sie den Schein einer Gelassenheit an, die ihren Gefühlen fremd war, und befahl ihm, seinen Herrn zu suchen und ihn zu bitten, er möge ohne Aufschub Miß Danforth eine kurze Unterredung gewähren. So lange Meriton mit diesem Auftrag abwesend war, suchte Agnes ihre Gedanken zu sammeln. Doch eine Minute verstrich nach der andern und der Diener kehrte nicht zurück. Sie stand auf und ging mit leisen Tritten nach der Thüre, um zu lauschen; sie glaubte, sie höre seine Fußtritte in den entfernteren Theilen des Hauses mit einer Schnelligkeit ertönen, woraus sie schloß, daß er das Suchen mit dem größten Eifer fortsetzte. Zuletzt hörte sie die Tritte näher kommen, und bald vernahm sie deutlich, daß er sich auf dem Rückwege befinde. Agnes setzte sich, wie zuvor, mit einer Miene nieder, als ob sie den Herrn und nicht den Diener zu empfangen erwartete. Doch Meriton kehrte allein zurück.

»Major Lincoln?« fragte sie; »Ihr batet ihn doch, mich hier zu treffen?«

Gränzenloses Erstaunen war in Meriton's Gesicht zu lesen, während er antwortete:

»Gott! Miß Agnus, Herr Lionel ist ausgegangen! ausgegangen in einer solchen Nacht! und was noch wunderbarer ist, er ist ohne sein Trauerkleid ausgegangen, obgleich eine Todte von seinem eigenen Blut und aus seiner Familie noch unbeerdigt im Hause liegt!«

Agnes behauptete ihre Ruhe und ergriff gern die Gelegenheit, den Diener in dem einmal eingeschlagenen Gedankengange weiter zu führen, um so auf die Wahrheit zu kommen, ohne ihre eigenen Besorgnisse zu verrathen.

»Woher wißt Ihr, Mr. Meriton, daß Euer Herr in der Vergeßlichkeit bei seinem Anzug so weit gegangen ist?«

»So gewiß, Madame, als ich weiß, daß er heute Abend, als er zum ersten Mal das Haus verließ, seine Paradeuniform trug; damals freilich ließ ich mir wenig davon träumen, daß Seine Gnaden sich vermählen wollten! Wenn er nicht abermals in dem nämlichen Anzuge ausgegangen, wo soll dieser denn seyn? – Ueberdieß, Madame, ist sein letzter Traueranzug eingeschlossen und der Schlüssel dazu ist hier in meiner Tasche.«

»Es ist sonderbar, daß er eine solche Stunde und den Abend seiner Hochzeit gewählt haben sollte, um sich zu entfernen!«

Meriton hatte schon lange gelernt, alle seine Interessen mit denen seines Herrn zu identificiren und er erröthete bei der indirekten Beschuldigung, welche hier, wie er glaubte, nicht nur gegen Lionel's Höflichkeit, sondern im Allgemeinen gegen sein Gefühl für Anstand erhoben wurde.

»Ei, Miß Agnus, Sie werden sich gütigst erinnern, Madame,« antwortete er, »daß diese Hochzeit ganz und gar nicht wie eine englische Hochzeit war – auch kann ich nicht sagen, daß es in England ganz gebräuchlich sey, so plötzlich zu sterben, wie es Mad. Lechmere beliebt hat – –«

»Vielleicht« fiel Agnes ein, »mag ihm ein Unglück zugestoßen seyn. Kein Mann, sicherlich, und hätte er auch nur das allergewöhnlichste Gefühl, würde absichtlich in solchem Augenblicke abwesend seyn!«

Meriton's Empfindungen nahmen nun eine andere Richtung, und er faßte ohne Zaudern dieselben schlimmen Besorgnisse, wie die junge Dame.

Agnes lehnte einen Augenblick, in Nachdenken versunken, die Stirne auf die Hand, ehe sie weiter sprach; dann richtete sie die Augen auf den Diener und sagte:

»Mr. Meriton, wißt Ihr, wo Kapitän Polwarth schläft?«

»Freilich, Madame! – Er ist ein Herr, der immer in seinem eigenen Bette schläft, wenn nicht des Königs Dienst ihn anders wohin ruft. Ein bedächtiger Herr ist Kapitän Polwarth, Madame, was nämlich ihn selbst betrifft!«

Miß Danforth biß sich in die Lippen und ihr muthwilliges Auge glänzte einen Augenblick unter einem Lächeln, welches alle Trauer aus ihrem Blick verscheuchte; doch im nächsten Augenblick wurden ihre Züge wieder düster und fast melancholisch, während sie fortfuhr:

»Dann glaube ich – es ist zwar unhöflich und störend – aber ich weiß nichts Besseres zu thun.«

»Beliebten Sie, mir einen Befehl zu geben, Miß Agnus?«

»Ja, Meriton; Ihr werdet in Kapitän Polwarth's Wohnung gehen, und ihm sagen, Lady Lincoln erwarte ihn augenblicklich hier in der Tremontstraße.«

»Meine Lady!« wiederholte der erstaunte Diener – »ei, Miß Agnus, die Frauen sagen, meine Lady sey ohne Bewußtseyn und wisse nicht, was um sie geschieht, noch wer zu ihr spricht! Eine traurige Hochzeit, Madame, für den Erben unseres Hauses!«

»Dann sagt ihm,« entgegnete Agnes, indem sie aufstand, um das Zimmer zu verlassen, »daß Miß Danforth erfreut seyn werde, ihn zu sehen.«

Meriton wartete nicht länger als nöthig war, um seinen Beifall über diese Aenderung seiner Botschaft auszudrücken, worauf er das Haus in einer Eile verließ, welche durch die wachsende Angst um die Sicherheit seines Herrn bedeutend beschleunigt wurde. Trotz seiner Besorgnisse war der Diener keineswegs unempfindlich gegen die Strenge des Wetters und eben so wenig für die besonderen Vorfälle dieser Nacht, in der er so unerwartet hinausgetrieben worden war, um der Wuth des Sturmes Trotz zu bieten. Es gelang ihm jedoch bald, mitten in dem treibenden Schnee und trotz einer Kälte, die ihm das Mark in den Beinen gefrieren machte, die Wohnung Polwarth's zu erreichen. Zum Glück für die Geduld des würdigen Dieners war Shearflint, der halbmilitärische Bediente des Kapitäns, noch auf; er war so eben mit seinen nächtlichen Geschäften bei seinem Herrn fertig geworden, denn dieser hatte es nicht für klug erachtet, sein Kissen zu suchen, ohne zuvor zu den Tröstungen der Tafel seine Zuflucht genommen zu haben. Die Thüre wurde auf das erste Klopfen Meriton's geöffnet, und nachdem der Andere durch die gewöhnlichen Ausrufungen sein Erstaunen ausgedrückt hatte, begaben sich die beiden würdigen Herrn in das Bedientenzimmer, wo die Brände eines guten Holzfeuers noch eine behagliche Wärme verbreiteten.

»Was für ein rauhes Land ist dieses Amerika mit seiner Kälte, Mr. Shearflint!« hub Meriton an, indem er die Brände mit dem Fuß zusammenschürte und sich die Hände über der Gluth wärmte – »ich meine, sie ist gar nicht wie unsere englische Kälte; bei uns zu Haus ist's eine viel strengere, aber doch bessere Kälte, und dabei schneidet sie einen nicht, gleich stumpfen Scheermessern, wie diese hier in Amerika.«

Shearflint, der sich für besonders liberal hielt, und als ein Zeichen seiner Großmuth gegen Feinde den Grundsatz beobachtete, nie von den Kolonisten ohne eine gewisse Protektorsmiene zu sprechen, welche, wie er meinte, auf seine aufrichtige Gesinnung einen gehörigen Glanz zurückwerfen sollte, antwortete hochweis:

»Es ist ein neues Land, Mr. Meriton, und man muß da nicht gar zu genau seyn. Wenn man auswärts geht, muß man mit Schwierigkeiten fertig zu werden lernen, besonders in den Kolonien, wo man nicht erwarten kann, daß Alles so comfortable seyn soll, wie wir's zu Hause gehabt haben.«

»Nun gut, ich mache, was das Wetter betrifft, so wenig Ansprüche, als nur irgend ein Anderer,« antwortete Meriton. »Aber gebt mir England nur wegen seines Klima's, wenn auch sonst wegen gar Nichts. Das Wasser kommt in diesem gesegneten Lande in guten, tüchtigen Tropfen herunter und nicht in kleinen gefrorenen Stückchen, die einem das Gesicht wie lauter feine Nadeln kitzeln!«

»Mr. Meriton, Ihr seht fast aus, als hättet Ihr Eures Herrn Puderbüchse über Eure eigenen Ohren ausgeschüttet. Doch ich war eben daran, die Ueberreste von des Kapitäns heißem Punsch zu mir zu nehmen; vielleicht, wenn Ihr davon versuchen wollt, kann es dazu verhelfen, Eure Ideen aufzuthauen.«

»Gott steh' mir bei! Shearflint,« sprach Meriton, der endlich die Flasche aus der festen Umklammerung losließ, um nach einem tüchtigen Zuge Athem zu schöpfen – »ist Eures Herrn Schlaftrunk immer in einem so dichten Zustande?«

»Nein – nein – der Kapitän kann ein solches Gemisch sogleich am Geruch erkennen, und ich möchte es nicht wagen, besondere Veränderungen an seinem Glase vorzunehmen,« erwiederte Shearflint, und schwenkte, während er sprach, die Flasche im Kreise, um ihren Inhalt aufzurühren, worauf er das Bischen, das zurück geblieben, wie es schien mit einem Zuge – verschlang; »da es aber doch Schade wäre, wenn irgend Etwas in diesen betrübten Zeiten weggeworfen würde, trinke ich gewöhnlich das, was er stehen läßt, wobei ich denn zuvor gerade so viel unter das Wasser mische, daß es dadurch für mich genießbarer wird. Aber was führt Euch in einer so schlimmen Nacht aus dem Hause, Mr. Meriton?«

»Wahrhaftig, meine Ideen bedurften des Aufthauens, wie Ihr bemerktet, Shearflint! Ich bin hierher gesendet mit einer Botschaft auf Leben und Tod, und vergaß meinen Auftrag, wie ein ungeschlachter Junge, der eben vom Land hergemiethet worden.«

»So ist also etwas los!« sagte der Andere, und bot ihm einen Stuhl, den sein Gefährte, ohne ein Wort zu sagen, annahm, während Polwarth's Diener mit gleicher Ruhe auf einen zweiten sich niederließ. »Ich dachte mir so etwas, als der Kapitän heute Nacht so hungrig nach Haus kam, nachdem er sich mit so vieler Sorgfalt angekleidet hatte, um sein Abendessen in der Tremontstraße einzunehmen.«

»Allerdings ist etwas los! Für's erste ist es ganz gewiß, daß Herr Lionel heute Nacht in der Königs-Kapelle getraut wurde!«

»Getraut!« wiederholte der Andere, – »gut, dem Himmel sey Dank, so etwas Unvermeidliches hat uns nicht befallen, obgleich wir amputirt worden sind. Ich könnte mit keinem verheiratheten Herrn auskommen – nein, nein, Mr. Meriton. Mir ist ein Herr in Hosen genug, ohne einen zweiten im Unterrock, der meinen Herrn noch unter den Pantoffel brächte!«

»Das hängt ganz von den Verhältnissen der Leute ab, Shearflint,« erwiederte Meriton mit herablassender Miene, als ob er den Andern bemitleide. – »Es wäre gewiß für einen Kapitän zu Fuß, der nichts weiter ist als Kapitän zu Fuß, eine große Thorheit, wenn er sich in Hymens Bande schmiegen wollte. Aber wie wir zu Ravenscliffe und Soho sagen, auf die Seufzer des Erben eines Devonshirer Baronets mit fünfzehn Tausend des Jahrs wird Amor doch schon eher hören!«

»Ich hörte nie, daß es mehr als zehn seyen,« unterbrach ihn der Andere mit ziemlichem Anstrich von übler Laune.

»Nicht mehr als zehn! Ich selbst kann die zehn zusammen zählen und bin gewiß, es muß deren noch manche geben, von denen ich nichts weiß.«

»Gut, und wenn's zwanzig wären,« rief Shearflint, indem er aufstand und die Feuerbrände unter die Asche stieß, so daß das kleine lustige Feuer, das bis jetzt gebrannt hatte, gänzlich erlosch, »es wird Euch doch Euren Auftrag nicht ausrichten helfen. Ihr solltet Euch erinnern, daß wir Diener armer Kapitäns Niemand haben, der die Arbeit für uns thut und daß wir unserer natürlichen Ruhe bedürfen. Was steht Euch zu Diensten, Mr. Meriton?«

»Euren Herrn zu sehen, Mr. Shearflint.«

»Reine Unmöglichkeit! er steckt unter fünf Decken und ich möchte nicht um eine Monatslöhnung auch nur die dünnste derselben lüften.«

»Dann werde ich's für Euch thun, denn sprechen muß ich mit ihm. Ist er in dem Zimmer dort?«

»Ja, Ihr werdet ihn dort irgendwo unter den Betttüchern finden,« antwortete Shearflint und öffnete die Thüre eines anstoßenden Gemachs mit der geheimen Hoffnung, daß Meriton für seine Störung zum Wenigsten der Kopf heruntergerissen würde, während er sich ganz aus der Affaire zurückzog und zu seinem Platz am Kamine zurückkehrte.

Meriton mußte mehrere Mal tüchtig an dem Kapitän rütteln, bis es ihm gelang, ihn aus seinem tiefen Schlaf zu erwecken. Dann endlich hörte er den Schläfer murmeln:

»Ein verdammt dummes Geschäft, das – hätten wir den richtigen Gebrauch von unsern Beinen gemacht, so hätten wir sie wohl behalten können. Sie nehmen diesen Mann zu ihrem Ehegemahl – besser als gar Nichts – ob etwas reicher oder ärmer – ha! was rüttelst Du mich so, Du Hund? nimmst Du keine Rücksicht auf die Verdauung, daß Du einen Mann gerade nach dem Essen auf diese Art schüttelst!«

»Ich bin's, Sir – Meriton.«

»Und was zum Teufel meint Ihr mit dieser Freiheit, die Ihr Euch nehmt, Mr. Ich oder Meriton, oder wie Ihr sonst Euch nennen mögt.«

»Ich bin in großer Eile zu Ihnen gesendet, Sir – schreckliche Dinge haben sich heute Nacht in der Tremontstraße zugetragen.«

»Dinge zugetragen!« wiederholte Polwarth, der jetzt vollkommen wach war. »Ich weiß, Bursche, daß Dein Herr vermählt ist – ich selbst habe ihm die Braut zugeführt. – Ich denke, unter solchen Umständen kann sich wohl nichts so besonders Außerordentliches zugetragen haben?«

»O Gott, doch, Sir – meine Lady fällt von einer Schwäche in die andere, Herr Lionel ist fort, Gott weiß wohin und Madame Lechmere ist todt!«

Meriton hatte noch nicht geendet, als Polwarth, so eilig er konnte, aus dem Bett sprang und mit einer Art Instinkt, doch ohne bestimmten Zweck, sich selbst anzukleiden begann. Die unglückliche Reihenfolge von Meriton's Nachrichten hatte ihn zu glauben veranlaßt, Mrs. Lechmere's Tod sey die Folge von irgend einer besondern, geheimnißvollen Trennung der Braut von ihrem Gemahl, und seine geschäftigen Gedanken verfehlten nicht, ihm die schon erwähnte sonderbare Unterbrechung bei der Trauung in's Gedächtniß zu rufen.

»Und Miß Danforth!« fragte er – »wie erträgt sie es?«

»Wie ein Weib, das sie auch wirklich ist, und als eine ächte Lady. Eine Kleinigkeit ist's nicht, Sir, welche Miß Agnus außer sich bringen wird.«

»Nein, das ist es nicht! sie ist viel geschickter darin, Andere toll zu machen.«

»Sie war's, Sir, die mich mit der Bitte an Sie sandte, Sie möchten ohne Zögern in die Tremontstraße hinaufkommen.«

»Der Teufel auch! Gib mir den Stiefel dort, mein guter Junge. Ein Stiefel ist gottlob schneller angezogen als zwei! Nun die Weste und die Halsbinde. He, Shearflint, wo steckst Du denn, Bursche! Bring mir mein Bein, im Augenblick!«

Sowie sein eigener Bedienter dieß hörte, erschien er im Zimmer und da er in dem Geheimnis von seines Herrn Toilette weit besser als Meriton bewandert war, so war der Kapitän in kurzer Zeit fertig.

So lange er sich ankleidete, fuhr dieser fort, über die Ursache der Verwirrung in der Tremontstraße hastige Fragen an Meriton zu richten, deren Beantwortung übrigens nur dazu diente, ihn mehr als je in ein Meer von Ungewißheit zu versenken. Sobald er angezogen war, hüllte er sich in seinen Mantel, nahm den Arm des Dieners und versuchte, durch den Sturm seinen Weg nach dem Hause zu finden, wo, wie ihm gesagt worden, Agnes Danforth sein Erscheinen erwartete, wobei er eine ritterliche Hingebung an den Tag legte, die ihn in einem anderen Zeitalter und unter anderen Umständen zu einem Helden gestempelt haben würde.

 


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