James Fenimore Cooper
Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston
James Fenimore Cooper

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

's war ein Reiten unter Grämes in dem Netherbyklan;
Fosters, Fenwicks und Musgraves, jeder ritt hier und rann;
's war ein Rennen und Jagen auf Cannobie Lea. –

Marmion.    

 

Der Pomp militärischer Parade, mit welchem die Truppen aus dem Dorfe Lexington marschirten, wie der kleine Weiler hieß, wo die obenerzählten Vorfälle sich ereigneten, verwandelte sich bald wieder in die nüchterne, geschäftige Miene von Männern, welche ernstlich auf Erreichung ihres Zieles bedacht sind. Es war nicht länger Geheimniß, daß sie noch zwei Meilen weiter in's Innere vordringen sollten, um jene schon erwähnten Vorräthe zu zerstören, welche, wie man jetzt wußte, zu Concord aufgehäuft worden waren, einer Stadt, wo der Kongreß der Provinzial-Deputirten, welche von den Kolonisten zum Ersatz für die früheren Legislaturen in den Provinzen ernannt worden, seine Versammlungen hielt. Da der Marsch jetzt nicht mehr verhehlt werden konnte, war es nöthig, zur Eile seine Zuflucht zu nehmen um sich eines glücklichen Ausgangs zu versichern. Der alte Offizier der Marine, dessen wir schon öfter erwähnt haben, stellte sich wieder an die Spitze, und mit den nämlichen Kompagnien der leichten Truppen, die er vorher geführt hatte, eilte er rastlos den schwereren Kolonnen der Grenadiere voran. Durch diese Anordnung sah sich Polwarth abermals in die Zahl Derer eingeschlossen, von deren Leichtfüßigkeit so Vieles abhing. Als Lionel seinen Freund wieder traf, sah er ihn an der Spitze seiner Leute so ernst einhermarschiren, daß der Major auf einmal sich versucht fand, seiner Unzufriedenheit weit rühmlichere Beweggründe zu unterstellen, als der erste Verdacht blos physischer Ermattung ihm Anfangs eingegeben hatte. Die Reihen öffneten sich abermals, sowohl um Raum zu gewinnen, als auch um Luft zuzulassen, was jetzt höchst nöthig geworden war, da eine heiße Sonne die Morgennebel zu zerstreuen begann und jenen entnervenden Einfluß auf die Leute ausübte, welcher der ersten Wärme eines amerikanischen Frühlings so eigenthümlich ist.

»Das ist ein ausnehmend hastiges Geschäft gewesen, Major Lincoln,« fing Polwarth an, als Lionel seine gewohnte Stelle an dessen Seite einnahm und mechanisch in den geregelten Schritt der Truppe einfiel; – »ich weiß nicht, ob es bei einem Menschen durchaus eben so gesetzlich ist, ihn auf den Kopf zu schlagen, wie bei einem Ochsen.«

»Du stimmst also mit mir in der Ansicht überein, daß unser Angriff hastig, wenn nicht grausam war?«

»Hastig! ganz unläugbar. Hast kann überhaupt als das unterscheidende Merkmal unserer Expedition bezeichnet werden – und was immer den Appetit eines ehrlichen Mannes zu Grunde richtet, mag wohl auch als grausam geltend gemacht werden. Ich war nicht im Stand, einen Mund voll zum Frühstück zu mir zu nehmen, Leo. Man müßte den Heißhunger einer Hyäne und den Magen eines Straußen haben, um mit solcher Arbeit, wie die vor uns liegende, zu essen und zu verdauen.«

»Und doch blicken die Leute mit Triumph auf ihre Thaten.«

»Die Hunde werden darauf dressirt. Aber Du hast wohl bemerkt, wie nüchtern die Provinzialen zu der Sache gesehen haben; wir müssen versuchen, ihre Gefühle zu besänftigen, so gut wir können.«

»Werden sie nicht unsern Trost und unsere Entschuldigungen verachten und lieber sich selbst um Vergeltung und Rache befragen?«

Polwarth lächelte verächtlich; es war ein Ausdruck des Stolzes an ihm, der selbst seinem schwerfälligen Tritt einen Anschein von Elasticität gab, während er antwortete:

»Es ist eine schlimme Sache, Major Lincoln, und wenn Du willst, eine bitterböse Sache – aber nimm die Versicherung eines Mannes, der das Land recht wohl kennt – man wird keinen Versuch zur Rache machen, und was die Abhülfe betrifft – auf dem Weg des Kriegs ist das Ding unmöglich.«

»Ihr sprecht mit einer Zuversichtlichkeit, Sir, die ihre Garantie in einer innigen Bekanntschaft mit der Schwäche des Volkes finden müßte.«

»Ich habe zwei Jahre im Herzen des Landes selbst gelebt, Major Lincoln,« sagte Polwarth, ohne seine starren Augen von dem weiten Wege, der noch vor ihm lag, abzuwenden; »ich bin bis auf dreihundert Meilen jenseits der unbewohnten Distrikte hinaus gekommen und sollte wohl den Charakter der Nation, sowie ihre Hülfsquellen kennen. Was letztere betrifft, da ist kein eßbares Ding innerhalb dieser Gränzen, vom Colibri bis zum Büffel oder von der Artischocke bis zur Wassermelone, das ich nicht bei einer oder der andern Gelegenheit auf irgend eine Art in Untersuchung gezogen hätte – darum kann ich mit Zuversicht sprechen und nehme keinen Anstand, zu sagen, daß die Kolonisten nie fechten werden; und wären sie selbst dazu geneigt, so besitzen sie nicht die Mittel, einen Krieg zu unterhalten.«

»Vielleicht, Sir,« erwiederte Lionel spitzig, »habt Ihr euch zu ausschließlich an die Thiere des Landes gehalten, um mit seinem Geiste sehr vertraut zu seyn?«

»Die Verwandtschaft zwischen beiden ist nur zu innig; sag' mir, welche Nahrung ein Mann zu sich nimmt und ich will Dir ein Bild von seinem Charakter geben. Es ist moralisch unmöglich, daß ein Volk, das seinen Pudding vor dem Fleisch ißt, wie diese Kolonisten es machen, je gute Soldaten liefern kann, da der Appetit gestillt wird, ehe das Einbringen der saftigen Fleischspeise in –«

»Genug! verschone mich mit dem Uebrigen,« unterbrach ihn Lionel – »es wurde bereits zu viel gesagt, um die Ueberlegenheit des europäischen Thiers über das amerikanische zu beweisen, und Dein Raisonnement ist unwiderleglich.«

»Das Parlament muß etwas thun für die Familien der Schadenleidenden.«

»Das Parlament! Ja – wir werden aufgefordert werden, lobende Beschlüsse zu fassen über die Entschlossenheit des Generals und den Muth der Truppen, und dann, nachdem wir in der Ueberzeugung von unserer eingebildeten Oberherrschaft noch jeden erdenklichen Schimpf zu dem Unrechte gefügt, werden wir vielleicht einige armselige Summen für Wittwen und Waisen als einen Beweis aufgeführt hören, wie unbegränzt die Großmuth der Nation gegen diese Armen gewesen.«

»Das Auffüttern von sechs oder sieben aus dieser jungen Yankeebrut ist keine solche Kleinigkeit, Major Lincoln,« erwiederte Polwarth; »und damit, hoffe ich, wird die unselige Geschichte ein Ende haben. Wir marschiren nun auf Concord, einen Ort mit äußerst glückverkündendem Namen, unter dessen Schatten wir die gewünschte Ruhe, so wie auch jene Lebensmittel finden werden, welche dieses selbstgemachte Parlament zusammenbringen ließ. Solche Betrachtungen allein halten mich aufrecht unter den Anstrengungen des grausamen Trotts, mit welchem der alte Pitcairn über das Land hinrast – glaubt denn der alte Mann, er jage mit einer Koppel von Spürhunden hinter sich?«

Die Meinung, welche sein Gefährte über die kriegerischen Eigenschaften der Amerikaner geäußert, war zu allgemein unter den Truppen verbreitet, um Lionel irgend in Erstaunen zu setzen; aber mit der unedlen Art seiner Gesinnung unzufrieden und durch die hochmüthige Manier heimlich gekränkt, womit der Andere so beleidigende Ansichten über seine Landsleute aussprach, setzte er seinen Marsch schweigend fort, während Polwarth seine Geschwätzigkeit bald in dem Gefühl der Ermüdung verlor, das jede Muskel und Sehne seines Körpers überwältigte.

Das strenge Vorwärtstreiben des Corps, worüber der Kapitän schon so manchen Seufzer ausgestoßen hatte, kam übrigens jetzt der Avantgarde sehr zu Statten. Es war offenbar, daß sich das ganze Land in einem Zustand großer Aufregung befand und wenn auch noch keine Versuche gemacht wurden, den Tod Derer, welche zu Lexington gefallen, zu rächen, so waren doch manchmal auf den Höhen zu beiden Seiten der Straße kleine Abtheilungen von Bewaffneten zu sehen. Der Marsch der Truppen wurde mehr in dem Glauben beschleunigt, die Kolonisten möchten sonst ihre Vorräthe wegschaffen und verbergen, als aus irgend einer Besorgniß, daß sie es wagen könnten, sich dem Vordringen dieser auserlesenen Truppen zu widersetzen. Der geringe Widerstand der Amerikaner bei dem Zusammentreffen an diesem Morgen war schon zum Scherz unter den Soldaten geworden. Sie bemerkten mit Hohnlächeln, der Name ›kleine Leute‹ werde mit allem Recht auf Krieger angewendet, die sich zur Flucht so geschickt gezeigt hätten; kurz jedes schimpfliche, gehässige Beiwort, welches Verachtung und Unwissenheit irgend ersinnen konnte, wurde verschwenderisch über die nachgebende Milde der duldenden Kolonisten ausgestoßen. In dieser Stimmung erreichten die Truppen einen Punkt, von wo der bescheidene Kirchthurm mit den Dächern von Concord sichtbar wurde. Eine kleine Schaar Kolonisten zog sich aus dem Platze zurück, als die Engländer vorrückten, und das Detaschement zog ohne den geringsten Widerstand und mit der Miene von Eroberern in die Stadt ein. Lionel konnte bald aus den Reden der zurückgebliebenen Einwohner bemerken, daß, ungeachtet ihre Annäherung seit einiger Zeit bekannt geworden, die Vorfälle dieses Morgens dem Stadtvolke doch noch geheim geblieben waren. Abtheilungen der leichten Truppen wurden augenblicklich nach verschiedenen Richtungen entsendet, die einen, um nach Munition und Lebensmittel zu suchen, die andern, um die Zugänge des Platzes zu bewachen. Ein besonderes Corps folgte der zurückziehenden Truppe der Amerikaner und postirte sich in einiger Entfernung bei einer Brücke, welche die Verbindung mit dem nördlichen Lande bildete.

Mittlerweile begann in der Stadt, hauptsächlich unter der Leitung des alten Marineoffiziers, das Werk der Zerstörung. Die wenigen männlichen Einwohner, die in ihren Wohnungen zurückgeblieben waren, verhielten sich notgedrungen ruhig, obgleich Lionel in ihren glühenden Wangen und funkelnden Blicken den geheimen Unwillen von Männern lesen konnte, welche, an den Schutz des Gesetzes gewöhnt, sich nun den Beleidigungen und muthwilligen Mißhandlungen eines militärischen Einfalls ausgesetzt sahen. Alle Thüren wurden erbrochen, kein Ort blieb vor den rohen Nachforschungen der zügellosen Soldateska verschont. Hohn und Flüche mischten sich bald in die anscheinende Mäßigung, mit welcher die Nachforschung begonnen hatte, und lauter Jubel ertönte selbst unter den Offizieren, als die dürftigen Vorräthe der Kolonisten nach und nach an's Licht gebracht wurden. Dieß war kein Augenblick, wo die Rechte des Einzelnen geachtet wurden, und die Willkühr und Zügellosigkeit der Mannschaft war auf dem Punkt, in noch gefährlichere Unordnung auszuarten, als man plötzlich von dem Posten der leichten Infanterie bei der Brücke den Knall von Feuerwaffen ertönen hörte. Auf das Knattern einiger einzelnen Schüsse folgte eine ganze Salve, welcher mit Blitzesschnelle eine zweite antwortete, und alsbald war die Luft von dem unaufhörlichen Geknalle eines hitzigen Gefechts erfüllt. Jeder Arm blieb regungslos, jede Zunge stumm vor Erstaunen; die Leute verließen ihr Geschäft, als diese unerwarteten Töne des Kampfes zu ihren Ohren drangen. Die Anführer des Zugs traten in Berathung zusammen und Reiter sprengten wüthend in die Stadt, um über die Natur des neuen Kampfes zu berichten. Major Lincoln's Rang verschaffte ihm bald Kenntnis von dem, was man für unklug hielt, dem ganzen Detaschement mitzutheilen. Obgleich es augenscheinlich war, daß Diejenigen, welche die Nachricht überbrachten, ängstlich bemüht waren, ihr die günstigste Wendung zu geben, so erfuhr er doch bald, daß jene Schaar Amerikaner, welche sich bei ihrer Annäherung zurückgezogen hatte, bei ihrem Versuche, in die Stadt zurückzukehren, an der Brücke mit Schüssen empfangen worden war und sofort in dem darauf folgenden Scharmützel die Truppen mit Verlust zurückgeworfen hatte. Die Wirkung dieses raschen und muthigen Benehmens von Seiten der Provinzialen veranlaßte nicht nur in dem Aeußeren, sondern auch in den Vorkehrungen der Truppen eine plötzliche Veränderung. Die entsendeten Abtheilungen wurden zurückbeordert, die Trommeln riefen alle Mannschaft unter die Waffen und zum ersten Mal schienen Offiziere und Soldaten sich zu erinnern, daß sie sechs Meilen durch ein Land zurück zu marschiren hatten, das schwerlich einen Freund für sie enthielt. Noch waren wenige oder keine Feinde zu sehen, die Männer von Concord ausgenommen, welche kühnen Muths schon angefangen hatten, blutig gegen Diejenigen einzuschreiten, welche in das Heiligthum ihrer Häuser eingedrungen waren. Die Todten und alle verwundeten Gemeinen ließ man liegen, wo sie gefallen waren, und es galt in den Augen der Denkenden in dem Detaschement als ein schlimmes Vorzeichen, daß selbst ein verwundeter junger Offizier von Rang und Vermögen den Händen der aufgebrachten Amerikaner überlassen werden mußte. Die Gemeinen wurden von der Mutlosigkeit ihrer Offiziere angesteckt und Lionel sah in dem Augenblick, als der Befehl zum Abmarsch gegeben wurde, statt des stolzen, beleidigenden Vertrauens, womit die Truppen in die Straßen von Concord einmarschirt waren, jetzt nur noch bleiche Gesichter, welche ängstlich nach den umgebenden Höhen gewendet waren und in deren Blicken sich deutlich das Bewußtseyn der Gefahren abspiegelte, die, wie man besorgte, den weiten Weg, der vor ihnen lag, umlagern konnten.

Ihre Befürchtungen waren nicht grundlos. Die Truppen hatten kaum ihren Marsch angetreten, als aus einer Scheune eine Salve auf sie abgefeuert wurde, und wie sie vorrückten, folgte Ladung auf Ladung, Schuß auf Schuß hinter jedem deckenden Gegenstand hervor, der sich ihren Feinden darbot. Anfangs wurden diese ungeregelten und schwachen Angriffe nur wenig beachtet; eine plötzliche Charge, ein rasches Abfeuern von wenigen Minuten verfehlte nie, die Angreifenden zu zerstreuen, worauf die Truppen eine kurze Strecke unbelästigt weiter zogen. Aber der Allarm der vergangenen Nacht hatte das Volk von einer ungeheuren Landstrecke her zusammengerufen und so drängten diejenigen, welche dem Kampfplatze am nächsten waren, nachdem sie lange auf Botschaft gewartet, schon allenthalben zum Beistand ihrer Freunde herbei. Es herrschte übrigens nur wenig Ordnung und gar keine Uebereinstimmung unter den Amerikanern; jeder Haufe, so wie er ankam, stürzte sich in's Gefecht, hing sich an die Fersen seiner Feinde und machte lebhafte, aber erfolglose Versuche, dessen Weiterschreiten zu hemmen. Während die Mannschaft aus den Städten die Arrieregarde drängte, sammelte sich die Bevölkerung vor der Front in Schaaren gleich rollenden Schneebällen, und ehe noch die halbe Strecke zwischen Concord und Lexington zurückgelegt war, bemerkte Lionel, daß die Sicherheit ihrer gepriesenen Macht in der äußersten Gefahr schwebte. In der ersten Stunde dieser Angriffe, so lange sie noch entfernt, ungeordnet und schwach waren, hatte sich unser junger Krieger an der Seite von M'Fuse gehalten, der verächtlich sein Haupt schüttelte, so oft eine Kugel an ihm vorbeipfiff, und nicht ermangelte, über die Thorheit sich auszulassen, daß man einen Krieg so unzeitig begonnen, der, wäre er gehörig genährt worden, wie er selbst sagte, in kurzer Zeit zu etwas Interessantem hätte führen können.

»Sie bemerken, Major Lincoln, fuhr er fort, »diese Provinzialen haben die ersten Anfangsgründe der Kunst aufgefaßt, denn die Schurken feuern mit ausnehmender Genauigkeit, wenn man die Entfernung berücksichtigt, und sechs Monate oder ein Jahr tüchtigen Exercirens würde sie so ziemlich für einen geregelten Kampf tauglich machen. Sie haben in ihren Gewehren schon einen tüchtigen Knall und in ihrem Blei liegt bereits ein recht artiges Pfeifen; könnten sie nur in Pelotons feuern lernen, die Bursche vermöchten selbst jetzt schon einigen Eindruck auf die leichte Infanterie zu machen und in einem Jahr oder zwei, Sir, wären sie sogar der Begegnung der Grenadiere nicht unwürdig.«

Lionel hörte auf diese und manche ähnliche Reden nur mit halbem Ohr; als aber der Kampf hitziger wurde, begann das Blut in seinen Adern rascher zu fließen und zuletzt durch den Lärm und die Gefahr, die immer näher auf sie eindrang, aufgeregt, stieg er zu Pferd; jede andere Empfindung war von seinem jugendlichen Blut und dem kriegerischen Stolze zurückgetreten, und so ritt er zu dem Kommandanten des Detaschements und bot ihm seine Dienste als Freiwilliger an. Er erhielt alsbald seine Aufträge für die Avantgarde, und seinem Pferde die Sporen einsetzend, flog er durch die zerrissene Linie der fechtenden und ermatteten Truppen und galoppirte an die Spitze vor. Hier fand er mehrere Kompagnien eifrig beschäftigt, ihren Kameraden den Weg zu bahnen, da bei jedem Schritt, den sie vorwärts thaten, neue Feinde gegen sie aufstanden. Eben als Lionel herankam, schlug eine volle Ladung des feindlichen Feuers aus einem dichten Gartenzaune den vorderen Reihen gerade in's Gesicht und sandte die schnellen Werkzeuge des Todes bis in die Mitte der Abtheilung.

»Schwenkt mit einer Kompagnie leichter Infanterie, Kapitän Polwarth,« schrie der alte Marinemajor, der tapfer in dem Vordertreffen kämpfte, »und jagt die lauernden Schufte aus ihrem Hinterhalt hervor!«

»O! bei der Süße der Ruhe und den Hoffnungen eines Halts! hier ist schon wieder ein neuer Trupp von diesen weißen Wilden!« antwortete der unglückliche Kapitän. – »Paßt auf, meine braven Kameraden! schießt über die Mauer zur Linken weg, – gebt den lästigen Schurken kein Pardon – gebt ihnen den ersten Schuß – und jetzt einen Fuß von eurem Stahl!«

Mit diesen fürchterlichen Aufforderungen und solch' mörderischen Befehlen, welche dem friedlichen Kapitän durch die Gewalt der Umstände abgepreßt worden, sah Lionel seinen Freund in einer Wolke von Rauch zwischen den Gebäuden des Pachthofes mit seinen Leuten verschwinden. Wenige Minuten nachher, während die Linie sich an dem Hügel hinaufarbeitete, wo diese Scene vorfiel, kehrte Polwarth wieder aus dem Kampfe zurück, das Gesicht von Pulver geschwärzt, während eine Flammenschichte von dem Orte emporstieg, welche bald die dem Unglück verfallenen Gebäude des armen Pächters in Asche legte.

»Ha! Major Lincoln,« rief er, als er sich dem Andern näherte, »nennst Du das Leichtinfanterie-Manöver? für mich sind sie die Qualen eines Verdammten! – Geh, Du hast Einfluß und was noch besser ist, ein Pferd, gehe zu Smith und sage ihm, wenn er einen Halt befehlen wolle, so mache ich mich verbindlich, mit meiner einzigen Kompagnie überall, wo er nur will, mich festzusetzen und diese Blutsauger eine Stunde aufzuhalten, während das Detaschement ausruhen und seinen Hunger stillen kann – ich hoffe, er wird dann auch seinen Vertheidigern Zeit lassen, das nämliche höchst dringende Bedürfniß zu befriedigen. Ein Nachtmarsch, kein Frühstück – eine brennende Sonne – Meile für Meile – keinen Halt und nichts als Feuer – Feuer – 's ist gegen alle Grundsätze der Medizin und selbst gegen die Anatomie! Wer wird nur glauben, daß man so Etwas noch länger ertrage!«

Lionel versuchte, seinen Freund zu neuen Anstrengungen zu ermuntern und wandte sich hierauf in munterem, kriegerischem Tone zu dessen Truppe. Die Leute antworteten wohlgemuth, als sie vorüberzogen und schritten zu neuen Angriffen vorwärts; die Amerikaner wichen zögernd, aber nothgedrungen, vor den fortwährenden Bajonetangriffen zurück, zu welchen die regulären Truppen ihre Zuflucht nahmen, um sie zu vertreiben. Als die Avantgarde sich wieder vorwärts bewegte, wandte sich Lionel, um die Scene in seinem Rücken zu betrachten. – Sie waren jetzt mit geringer oder eigentlich keiner Unterbrechung zwei Stunden lang fechtend marschirt und es war nur zu deutlich, daß die Kräfte der Angreifenden mit jedem weiteren Schritt an Zahl und Kühnheit zunahmen. Auf jeder Seite der Chaussee, längs der Umzäunungen eines jeden Gehölzes oder Gartens, in dem offenen Feld, aus jedem Haus, Scheune oder Hütte, so weit man sehen konnte – nichts als Blitze von Feuerwaffen, während der Ruf der Engländer mit jedem Augenblick schwächer und matter wurde. Schwere Wolken von Rauch erhoben sich über dem Thal, in das er blickte und mischten sich mit dem Staube des Marsches zu einem undurchdringlichen Schleier, welcher die Aussicht verhüllte; wenn jedoch der Wind ihn auf Augenblicke bei Seite schob, erreichte sein Blick die zerrissenen und wankenden Pelotons des Corps, wie sie da und dort trotzig und voll Muth einen Angriff zurückschlugen, zu Zeiten wieder aus dem Kampfe zurückwichen und ihren Wunsch kaum noch verhehlen konnten, den Rückzug selbst bis aufs Aeußerste, bis zur gänzlichen Flucht zu treiben. Jung, wie er war, verstand Major Lincoln genug von seinem Handwerk, um einzusehen, daß nichts, als der Mangel an Uebereinstimmung und Einheit des Befehls auf Seiten der Amerikaner das Detaschement vor gänzlicher Vernichtung rettete. Die Angriffe wurden äußerst hitzig, nicht selten anhaltend und blutig, obwohl ihre Disciplin die Truppen immer noch in Stand setzte, sich gegen diese nachdruckslose und unzusammenhängende Kriegführung aufrecht zu erhalten; – da vernahm Lionel mit einer Freude, die er nicht verbergen konnte, einen lauten Ruf von der Spitze und hörte alsbald die frohe Botschaft durch die Reihen hinlaufen, daß die Staubwolke vor ihnen von einer auserlesenen Brigade ihrer Kameraden herrühre, welche so ganz zur rechten Zeit mit dem Erben von Northumberland an der Spitze zu ihrem Beistand herangekommen war. Die Amerikaner wichen zurück, als die beiden Divisionen sich vereinigt hatten und die Artillerie der Verstärkung ihr Feuer gegen die fliehenden Haufen eröffnete, wodurch endlich die Truppen, die dessen so sehr bedurften, wenige Minuten verstohlener Ruhe genießen konnten. Polwarth warf sich der Länge nach auf den Boden, als Lionel an seiner Seite abstieg, und diesem Beispiel folgten alsbald seine Leute, die vor Hitze und Ermattung keuchend wie gejagte Hirsche dalagen, welche glücklich die Hunde von ihrer Witterung abgebracht haben.Es ist ein historisches Faktum, daß die englische leichte Brigade, nachdem sie von der Verstärkung in die Mitte genommen worden, sich erschöpft auf den Boden niederwarf, wie hier berichtet wird. Ueberhaupt ist die ganze Erzählung vollkommen der Wahrheit gemäß, mit einziger Ausnahme derjenigen Ereignisse, welche auf die besonderen Charaktere unserer Geschichte Bezug haben.

»So wahr ich ein Mann von einfachen Sitten und unschuldig an all' diesem Blutvergießen bin, Major Lincoln,« sagte der Kapitän, »ich erkläre diesen Marsch für den ungerechtesten Raub an den Kräften der menschlichen Natur. Ich habe in diesen zwei Stunden wenigstens fünf Meilen zwischen hier und jener Stadt der Discordia, die sie fälschlich Concord nennen, zurückgelegt, mitten unter Staub, Rauch, Stöhnen und anderem höllischem Geschrei, das den bestdressirten Renner in England scheu machen würde, und diese ganze Zeit über habe ich eine Luft geathmet, die ein Ei, wenn man es ihr gehörig aussetzte, in zwei und einer Viertelminute sieden machen könnte.«

»Du überschätzst die Entfernung – es sind blos zwei Meilen nach den Stundenzeigern – –«

»Stundenzeiger!« unterbrach ihn Polwarth – »ich verachte ihre Lügen – ich habe hier ein Bein, das ein besserer Zeiger ist für Meilen, Fuße oder selbst für Zolle, als je einer in Stein gemeißelt wurde.«

»Wir wollen uns darüber nicht umsonst streiten,« erwiederte Lionel, »denn ich sehe die Truppen im Begriff, Mittag zu machen und wir haben jeden Augenblick nöthig, um Boston zu erreichen, noch ehe die Nacht uns überfällt.«

»Essen! Boston! Nacht!« wiederholte Polwarth langsam und erhob sich auf einen Arm, wobei er wild um sich starrte. »Sicher ist keiner unter uns so toll, zu behaupten, daß von dieser Stelle vor einer Woche aufgebrochen werden soll – es bedarf die Hälfte dieser Zeit, um die innerlichen Erfrischungen einzunehmen, die unserm Körper so nöthig sind und den Rest, um unsere gesunde Eßlust wieder herzustellen.«

»So aber lauten die Befehle des Grafen Percy, von dem ich erfahren, daß das ganze Land vor uns im Aufstand ist.«

»Ach, die Kerls haben die vergangene Nacht ruhig in ihren Betten geschlafen und sicherlich hat jeder Hund unter ihnen, ehe er diesen Morgen seine Schwelle verließ, sein halb Pfund Schweinefleisch nebst den nöthigen Beilagen zu einem Frühstück zu sich genommen. Aber bei uns ist's ein ganz anderer Fall. Es ist eine dringende Pflicht für zweitausend Mann brittischer Truppen, ihre Bewegungen mit Ueberlegung auszuführen und wäre es auch nur zu Ehren von Sr. Majestät Waffen. Nein, nein – der wackere Percy achtet zu sehr seine fürstliche Abstammung und seinen Namen, um vor einem Haufen so niedriger Hunde den Schein der Flucht anzunehmen.«

Nichtsdestoweniger wurde Lionel's Nachricht alsbald bestätigt, denn nach kurzem Halt, der den Truppen kaum Zeit gestattete, ein hastiges Mahl einzunehmen, gaben die Trommeln abermals das Zeichen zum Aufbruch und Polwarth mit vielen hundert Andern war trotz seines Widerstrebens gezwungen, sich wieder auf seine Füße aufzurichten, wenn er nicht der Wuth der Amerikaner preisgegeben seyn wollte. So lange die Truppen ausruhten, hielten die Feldstücke der Verstärkung ihre Feinde in der Entfernung; aber sobald die Kanonen aufgeprotzt waren und die Reihen des Raumes wegen sich wieder geöffnet hatten, wurden die Angriffe von allen Seiten erneuert. Die Excesse der Truppen, die ihrem Grimm dadurch Luft zu machen anfingen, daß sie die Wohnungen, an denen sie vorüber kamen, ausplünderten und anzündeten, vermehrten noch die Heftigkeit der Angriffe und der Marsch hatte noch nicht viele Minuten gedauert, als längs der ganzen Linie ein neuer und wilderer Kampf entbrannt war, als vorher an diesem ganzen Tag geherrscht hatte.

»Wollte Gott, der große Northumbrier stellte uns in Schlachtordnung und schritte zum geordneten Kampf gegen diese Yankees!« seufzte Polwarth, während er sich noch einmal mit der Avantgarde längs des Weges hinschleppte; »eine halbe Stunde würde die Sache beendigen und man hätte dann doch die Genugthuung, sich als Sieger zu sehen oder wenigstens zu wissen, daß man bequem und ruhig dem Tod im Arme läge.«

»Wenige von uns würden wohl den Morgen erleben, wenn wir den Amerikanern eine Nacht überließen, um sich zu sammeln, und der Halt einer Stunde würde uns die Vortheile des ganzen Marsches entreißen,« erwiederte Lionel. – »Ermanne Dich, alter Kamerad, und Du wirst den Ruhm deiner Tapferkeit für immer gründen; – hier kommt ein Haufen Provinzialen über den Kamm jenes Hügels, um Dich in Thätigkeit zu erhalten.«

Polwarth warf einen verzweifelten Blick auf Lionel, während er als Erwiederung murmelte:

»Thätigkeit! Gott weiß, daß nicht eine einzige Muskel, Sehne oder Flechse an meinem ganzen Körper diese vierundzwanzig Stunden hindurch in heilsamer Ruhe gewesen ist!« Dann an seine Leute sich wendend, rief er mit fröhlicher, muthiger Stimme, welche die letzte, endliche Anstrengung in ihm noch aufbot, während er sie tapfer in den nahenden Kampf führte: »Zerstreut die Hunde, meine tapferen Freunde – weg mit ihnen wie mit Mücken, Musquitos, oder Blutegeln, die sie sind! – Gebt ihnen Blei und Stahl – ganze Hände voll!«

»Vorwärts – dringt voran mit der Avantgarde!« schrie der alte Major der Marine, der die vorderen Pelotons schwanken sah.

Polwarth's Stimme wurde noch einmal in dem Kampfgetöse gehört, und ihre ungeregelten Angreifer wichen voll Ingrimm vor dieser Charge zurück.

»Vorwärts – vorwärts mit der Avantgarde!« schrien fünfzig Stimmen aus einer Wolke von Rauch und Dampf, die an dem Hügel hinzog, an dessen Abhang dieses Treffen vorfiel.

Auf solche Art fuhr der Kampf fort, sich langsam vorwärts zu wälzen, indem er den müden, schweren Tritten der Soldaten folgte, die nun schon viele Meilen umringt von dem Gebrüll der Schlacht sich durchgefochten hatten und die blutigen Spuren ihres Marsches auf ihrem Pfad zurückließen. Lionel konnte ihren Weg weit gegen Norden an den breiten rothen Flecken erkennen, die in beunruhigender Anzahl längs der Chaussee und auf den Feldern zerstreut lagen, über welche die Truppen gelegentlich marschirten. Er fand in den Zwischenräumen der Ruhe sogar Zeit, den Unterschied im Charakter der Kämpfenden zu beobachten. So oft der Boden und die Umstände einen regelmäßigen Angriff zuließen, schien das ersterbende Vertrauen der Truppen wiederhergestellt und sie stürzten sich mit all der kühnen Haltung in den Kampf, welche hohe Disciplin einflößt, und erfüllten die Luft mit Geschrei, während die Feinde in finsterem Schweigen vor ihrer Macht zurückwichen, dabei aber nie aufhörten, ihre Waffen mit einer Geschicklichkeit zu gebrauchen, welche sie doppelt gefährlich machte. Die Richtung der Kolonnen führte sie häufig über den Boden, auf dem an der Spitze heftig gestritten worden war, und die Opfer dieser kurzen Scharmützel kamen so vor die Augen der Truppen. Taub mußte man das Ohr vor dem Geschrei und den Bitten so vieler verwundeter Krieger abwenden, die, Schrecken und hoffnungslose Furcht in jedem Zuge ihres Gesichts tragend, den Rückzug ihrer Kameraden in ihrer Hülflosigkeit mit ansehen mußten. Auf der andern Seite lag der Amerikaner in seinem Blut und betrachtete die vorüberziehende Schaar mit finsterem unwilligem Blick, der weit mehr als blos seine persönlichen Leiden auszudrücken schien. Bei einem der Leichname hielt Lionel sein Pferd an und verweilte einen Augenblick, um denselben zu betrachten. Es war die leblose Gestalt eines Mannes, dessen weiße Locken, hohle Wangen und ausgemergelte Gestalt anzeigten, daß die Kugel, die ihn zu Boden geworfen, den unwiderstehlichen Beschlüssen der Zeit nur um wenige Tage zuvorgekommen war. Er lag auf dem Rücken und sein starres Auge zeigte selbst noch im Tode den edlen Zorn, der ihn im Leben erfüllet hatte; die gelähmte Hand packte noch das Schloß seines Gewehres, das, alt und abgenutzt wie sein Besitzer, zur Vertheidigung des Vaterlandes mit ihm in's Feld gezogen war.

»Wo wird ein Streit enden, der solche Kämpfer zur Hülfe herbeiruft?« rief Lionel, welcher bemerkte, daß der Schatten eines zweiten Zuschauers über die erblaßten Züge des Todten fiel; – »wer kann sagen, wie dieser Blutstrom gehemmt werden kann oder wie viele noch dessen Opfer werden sollen?«

Da er keine Antwort auf seinen Ausruf erhielt, schlug er die Augen empor und bemerkte, daß er ohne es zu wissen, diese Frage gerade an Den gerichtet hatte, durch dessen Raschheit der Ausbruch des Kriegs beschleunigt worden war. Der Marinemajor stand vor ihm und betrachtete eine Minute lang den Leichnam mit einem Auge, das so leer war als das des Todten, welches seinen wilden Blick zurückzuwerfen schien. Dann, aus seinem Nachdenken erwachend, bohrte er seinem Rosse die Sporen in die Seiten und verschwand in dem Dampfe, der ein Corps Grenadiere einhüllte; rasch sah Lionel ihn den Degen schwenken und laut erschallte sein Ruf: »Vorwärts – dringt vor mit der Avantgarde!«

Major Lincoln folgte langsam, über die Scenen nachsinnend, die er so eben mitangesehen hatte, als er zu seinem Erstaunen auf Polwarth traf, der auf einem Steinblock neben der Landstraße saß und mit trübem, verdrossenem Blick den zurückziehenden Kolonnen nachschaute. Seinen Renner anhaltend, fragte Lionel seinen Freund, ob er verwundet sey.

»Nur erschöpft,« antwortete der Kapitän; »ich habe heute all meine Manneskraft verbracht, Major Lincoln, und kann nicht weiter. Wenn Du einige meiner Freunde im theuren England siehst, sag' ihnen, daß ich meinem Schicksal, wie es einem Soldaten geziemt, mit Standhaftigkeit begegnete, obgleich ich in der That wie der Aprilschnee in Strömen dahinschwinde.«

»Gütiger Gott! Du willst doch nicht hier zurückbleiben, um von den Provinzialen erschlagen zu werden, von denen wir, wie Du siehst, gänzlich umzingelt sind?«

»Ich bereite mich eben auf eine Rede für den ersten Yankee, der mir nahe kommen wird. Ist er wirklich ein Mensch, so wird er über meine Leiden von heute in Thränen zerfließen – ist er ein Wilder, so haben meine Erben die Kosten eines Leichenbegängnisses erspart.«

Lionel würde seine Vorstellungen fortgesetzt haben, wenn nicht ein hitziges Gefecht zwischen einem Seitentrupp der Engländer und einer Schaar der Amerikaner die Ersteren ihm ganz nahe gebracht hätte; er sprengte über die Mauer seinen Kameraden entgegen und wandte das Gefecht zu ihrem Vortheile. Durch die Wechselfälle des Kampfes wurde er weit von dem vorigen Platze fortgeführt; einen Augenblick sogar, während er von einer Truppenabtheilung zu der andern hinritt, fand er sich unerwartet allein in der höchst gefährlichen Nachbarschaft eines kleinen Gehölzes. Der schnelle Ruf: »schießt den Offizier dort herunter!« machte ihn zuerst auf die große Gefahr aufmerksam und er hatte sich mechanisch in Erwartung der tödtlichen Geschosse auf den Hals seines Pferdes niedergebeugt, als er in Tönen, welche jede Nerve seines Körpers erzittern machten, eine Stimme unter den Amerikanern laut rufen hörte:

»Schont sein! bei der Liebe des Höchsten, den ihr verehrt, schont seiner!«

Die überwältigenden Gefühle des Augenblicks hinderten den jungen Mann an der Flucht, und er gewahrte Ralph, der mit rasenden Gebärden an dem Saume des Versteckes hinrannte und die Gewehre von zwanzig Amerikanern niederschlug, wobei er immer seinen Ruf mit einer Stimme wiederholte, die keinem menschlichen Wesen anzugehören schien. – Da, in der Verwirrung, die ihm durch den Kopf wirbelte, dachte Lionel schon, er sey ein Gefangener, als plötzlich ein Mensch, mit einer langen Flinte bewaffnet, aus dem Walde hervorkam, die Hand an den Zaum seines Pferdes legte und ernst sagte:

»Es ist ein blutiger Tag und Gott wird's gedenken; aber wenn Major Lincoln gerade den Hügel hinabreiten will, wird das Volk nicht feuern aus Furcht, Job zu treffen; und wenn Job feuert, wird er auf jenen Grenadier schießen, der dort über die Mauer kommt und darüber wirds keinen Lärm geben in Funnel Hall.«

Lionel sprengte schneller als sein Gedanke davon, und während sein Renner in weiten und verzweifelten Sätzen den sanften Hügel hinabjagte, hörte er hinter sich das Geschrei der Amerikaner, das Krachen von Job's Büchse und das Pfeifen der Kugel, welche der Blödsinnige, wie er versprochen, in einer Richtung entsendet hatte, daß ihm dadurch kein Leid geschehen konnte. Als er eine etwas sicherere Stelle erreicht hatte, traf er Pitcairn, der eben sein blutendes Roß verließ, da die nahen und heftigen Angriffe der Provinzialen es nicht länger rathsam für einen Offizier machten, sich auf den Flanken des Detaschements zu Pferd zu zeigen. Obgleich Lionel seinen Hengst sehr hoch hielt, so hatte doch auch er so viele Beweise von der gefährlichen Aufmerksamkeit erhalten, die er auf sich gezogen, daß er bald genöthigt war, diesem Beispiel zu folgen und mit tiefem Bedauern sah er das edle Thier mit losem Zaum über die Felder hinsprengen und die verdorbene Luft anschnauben und beschnuppern. Er vereinigte sich jetzt zu Fuß mit einer Abtheilung der Streiter und fuhr fort, sie während der Dauer des mühsamen Tages zu neuen Anstrengungen zu ermuntern.

Von dem Augenblick an, wo die Truppen der Thürme von Boston ansichtig wurden, ward der Kampf ausnehmend interessant. Neue Kraft stärkte bei diesem erfreulichen Anblick die ermatteten Glieder der Krieger und nochmals die Haltung eines hohen kriegerischen Bewußtseyns annehmend, wiesen sie die Angriffe ihrer Feinde mit erneutem Muthe von sich. Auf der andern Seite schienen die Amerikaner zu fühlen, daß die Augenblicke der Rache rasch dahinschwanden und Knaben und weißgelockte Männer, Verwundete und Gesunde hiengen sich rings an ihre Angreifer, voll Begierde, ihnen noch einen letzten Schlag zum Abschied zu versetzen. Selbst die friedlichen Diener der Kirche waren, wie man wußte, bei dieser denkwürdigen Gelegenheit im Felde erschienen und trotzten, von ihren Pfarrkindern umringt, jeder Gefahr zum Besten einer Sache, welche sie im Einklang mit ihrem heiligen Berufe glaubten. Die Sonne sank unter und die Lage der Truppen war nahezu verzweifelt geworden; da gab Percy den Gedanken auf, die Landenge zu erreichen, über die er am heutigen Morgen stolz von Boston ausgezogen war, und strengte jetzt noch jede Nerve an, um die Ueberreste seines Kommando's nach der Halbinsel Charlestown zu werfen. Die Gipfel und Abhänge der Höhen waren von Menschen belebt, und als die Schatten des Abends sich dichter um die Kämpfenden zogen, schlugen die Herzen der Amerikaner hoch von Hoffnung, wie sie die schwankenden Schritte und das nachlassende Feuer der Truppen bemerkten. Aber hohe Disciplin siegte endlich in sofern, als sie die Engländer aus der vernichtenden Umklammerung ihrer Feinde herausriß und dieselben in Stand setzte, den schmalen Eingang zu dem ersehnten Zufluchtsorte zu gewinnen, eben als die Nacht herangekommen war, um, wie es scheinen mochte, ihr äußerstes Verderben zu vollenden.

Lionel stand an einen Zaun gelehnt, als diese schönen Truppen, welche wenige Stunden früher sich für stark genug gehalten hatten, um ihren Marsch durch die ganze Kolonie fortzusetzen,Man sollte nie vergessen, daß ein englischer Offizier von Rang im Parlament erklärt hatte, zweitausend Mann englischer Truppen seyen im Stand, sich einen Weg durch das ganze Festland der amerikanischen Provinzen zu bahnen. jetzt langsam und schwerfällig an ihm vorüberzogen und ihre müden und erschöpften Glieder die beschwerliche Höhe von Bunker-Hill hinanschleppten. Die Augen der meisten Offiziere waren vor Schaam zu Boden geschlagen und der gemeine Haufe warf selbst an diesem Orte der Sicherheit noch manchen angstvollen Blick hinter sich, als wollten sie sich überzeugen, daß die verachteten Bewohner der Provinz nicht länger ihre Fersen drängten. Peloton nach Peloton zog vorüber, Jeder gezwungen, sich auf seine eigenen müden Beine zu stützen, bis Lionel zuletzt einen einzelnen Reitersmann langsam unter dem Haufen heraufklimmen sah. Zu seinem höchsten Erstaunen und mit großer Freude erkannte er in dem nahenden Offizier unsern Polwarth auf seinem eigenen Streitroß, der mit der Miene höchster Behaglichkeit und Ruhe auf ihn zugeritten kam. Die Uniform des Kapitäns war an vielen Stellen zerrissen, die Satteldecke zu Lumpen zerfetzt, während hie und da ein Flecken geronnenen Bluts an den Seiten des Thiers dazu diente, die besondere Aufmerksamkeit anzudeuten, die dem Reiter von den Amerikanern erwiesen worden war. Die Wahrheit war bei dem ehrlichen Krieger bald herausgefunden. Die Liebe zum Leben war mit dem Anblick des verlassenen Pferdes wieder bei ihm eingekehrt. Er gestand, daß es ihn seine Uhr gekostet habe, das Thier einzufangen; aber einmal im Sattel festgesetzt, konnte keine Gefahr noch Vorstellung ihn dazu vermögen, einen Sitz zu verlassen, den er so tröstlich fand nach all der Bewegung und Anstrengung dieses schlimmen Tages, an welchem er genöthigt worden, die Drangsale Derer zu theilen, welche in der denkwürdigen Schlacht von Lexington auf Seiten der Krone gefochten hatten.

 


 << zurück weiter >>