James Fenimore Cooper
Der rote Freibeuter
James Fenimore Cooper

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Fünftes Kapitel.

Die guten Einwohner der Stadt Newport pflegten sich zeitig zur Ruhe zu begeben. Sie zeichneten sich durch eine Regelmäßigkeit und Ordnungsliebe aus, die noch heutigentags ein Charakterzug der Sitten und Gewohnheiten der Neu-Engländer ist. Um zehn Uhr waren alle Türen in der ganzen Stadt verschlossen: und es ist mehr als wahrscheinlich, daß eine Stunde später von allen den Augen, die den Tag über eigene Geschäfte, vielleicht auch wohl Geschäfte der Nachbarn wach erhalten hatten, kein einziges mehr offen war.

Der Wirt zum »Unklaren Anker«, so hieß die Schenke, wo es zwischen Nightingale und Fid beinahe zur Prügelei gekommen wäre, schloß seine Tür pünktlich um acht Uhr: hiermit wollte er nämlich im Schlafe alle die kleinen Sünden abbüßen, die er sich am Tage erlaubt haben mochte. Überhaupt war es in der Stadt zur allgemeinen Regel geworden, daß alle, die die meiste Mühe gehabt, ihren Namen und Ruf rein zu erhalten, sich frühzeitig von den Sorgen und Umtrieben der Welt zurückzogen. So war's auch der Fall mit der Admiralswitwe. Sie hatte zu ihrer Zeit durch langes Aufbleiben und späte Beleuchtung ihres Hauses, wenn alles schlief oder schlafen sollte, kein kleines Ärgernis gegeben, – Überdies war in ihrem Leben und Umgang manches vorgefallen, wodurch sich die gute Frau der tadelnden Beurteilung ihrer weiblichen Bekanntschaft ausgesetzt hatte. So pflegte sie sich z. B., ungeachtet sie zur bischöflichen Kirche gehörte, am Samstagabend mit der Nadel zu beschäftigen, obschon sie keineswegs im Ruf stand, eine fleißige Arbeiterin zu sein. Sie tat es nur, um auf diese Weise zu erkennen zu geben, ihrem Glauben und ihrer Meinung nach sei der Sonntagabend der wahre orthodoxe Abend des Sabbats. In diesem Punkte war zwischen ihr und der Frau des Hauptpfarrers in der Stadt eine Art offener Fehde, doch ohne Kriegserklärung und Feindseligkeit. – Die Frau Pastorin begnügte sich nur, das Wiedervergeltungsrecht auszuüben. Sie brachte ihren Nähbeutel alle Sonntag abend zur Frau Admiralin, unterbrach bisweilen die Unterredung, um zur Arbeit zu greifen, nähte emsig und fleißig fünf bis sechs Minuten hintereinander, und knüpfte alsdann den Faden des Diskurses wieder an. Während der Pause und Sabbatschändung wußte sich Frau von Lacey gegen die Gefahr der Ansteckung nicht anders zu decken, als daß sie in einem vor sich liegenden Gebetbuche blätterte. Sie dachte vermutlich dabei an den Grundsatz der Kirche, daß man durch Weihwasser den Teufel in Respekt und in der gehörigen Entfernung halten könne.Die Puritaner glaubten, daß der Sabbat mit dem Sonnenuntergange des Samstags beginne und mit derselben Stunde des Sonntags zu Ende gehe. Dieser letztere Abend wurde daher, und wird es zum Teil noch, mehr zu Festlichkeiten als zur Gottesverehrung verwendet, während man den des Samstags aufs Förmlichste und mit aller Ruhe der Andacht beging. Der Verfasser gegenwärtiger Novelle hatte einmal über diesen Punkt mit einem Geistlichen New-Englands einen Wortkampf, und obgleich der letztere für seine Ansicht keine gewichtige biblische Autorität aufzustellen wußte, so mußte ihm doch darin recht gelassen werden: es liege etwas Tröstliches und Großartiges in dem Gedanken, daß die ganze Christenheit den Sabbat genau zu derselben Zeit feiere. Aber freilich tritt hier der Einwurf dazwischen, daß sich, abgesehen von der Beschränkung dieses Gebrauchs auf einzelne Sekten, die Zeitberechnungen unter verschiedenen Längegraden anders herausstellen.

Abends zehn Uhr also war Newport so still, als wenn es keine lebendige Seele beherbergt hätte. Ich sage mit Bedacht: Abends zehn Uhr, und nicht, als der Wächter rief: »Zehn ist die Glock!« Denn es gab damals keine Nachtwächter in Newport, aus dem ganz einfachen Grunde, weil es noch keine Schelme und Spitzbuben in der Provinz gab, die ihr Handwerk in der Nacht trieben. Als sich daher Wilder und seine zwei Gefährten um diese Zeit in den Straßen sehen ließen, fanden sie die Stadt menschenleer und ausgestorben. Kein Licht brannte; keine Seele rührte sich. Dies mochte unseren Abenteurern wohl bewußt sein, denn anstatt an die Tür eines Gasthofes zu klopfen und den schläfrigen Wirt herauszupochen, schlugen sie sich gleich auf die Wasserseite. Wilder führte den Trupp an, Fid folgte auf ihn, und Scipio, wie gewöhnlich still und untertänig, machte den Nachtrab.

Am Strande fanden sie mehrere kleine Fischerboote am Fuße einer nahen Kaje. Wilder gab den beiden seinen Auftrag, und schritt selbst weiter, eine bequeme Stelle zum Einsteigen suchend. Nach Verlauf kurzer Zeit kamen zwei Boote zugleich ans Land, das eine geführt vom Neger, das andere von Fid,

»Was ist das?« fragte Wilder. »Warum zwei? Ihr habt gewiß unrecht verstanden!«

»Nicht doch«, antwortete Fid, das Ruder flach liegen lassend und sich mit den Fingern in das Haar fahrend, wie einer, der mit dem, was er getan hat, zufrieden ist, »Hier ist ebensowenig Mißverständnis, als wenn jemand bei klarem Wetter und stillem Wasser in See sticht. Scipio ist im Boote, das Ihr gedungen habt; aber ich dachte gleich, als Ihr den Handel abschlosset, daß er nichts tauge, und so folgte ich meiner Regel und meinem Sprichwort: ›Besser bewahrt als beklagt!‹ Und weil ich denn Lunte gerochen und den Betrug entdeckt habe, so bring' ich Euch dies Boot. Wenn es nicht das beste, festeste von allen ist, so mögt Ihr sagen, ich verstehe nichts davon.«

»Kerl,« erwiderte Wilder aufgebracht, »du wirst mich dahin bringen, daß ich dich über kurz oder lang wegjage. Gleich rudre das Boot wieder dahin, wo du es genommen hast.«

»Mich wegjagen?« antwortete Fid frei und entschlossen, »das hieße, Meister Harry, mit einem Hieb Euer gut Wetter meilenweit abschneiden. Ihr und Scipio Afrika würdet nicht viel Kluges anfangen, wenn wir uns trennen sollten. Habt Ihr wohl je im Log nachgemessen, wie lange wir zusammengesegelt sind?«

»Freilich hab' ich's; doch es gibt Fälle, wo man eine zwanzigjährige Freundschaft abbricht.«

»Mit Eurer Erlaubnis, Meister Harry, will ich verdammt sein, wenn ich so was glaube. Hier steht Guinea, er ist nichts besser als ein Neger, und folglich weit entfernt, ein geeigneter Gesellschafter für einen Weißen zu sein! Da ich aber gewohnt bin, seht Ihr, zweiundzwanzig Jahre in sein schwarzes Gesicht zu schauen, so hat seine Farbe Eingang bei mir gefunden, und gefällt mir nun wie eine andere. Überdies läßt sich zur See, in stockfinsterer Nacht, nicht leicht schwarz von weiß unterscheiden. Nein, nein, Master Harry, ich bin Eurer noch nicht überdrüssig, und eine Kleinigkeit wie diese soll uns nicht trennen.«

»Dann mußt du aber auch die Gewohnheit ablegen, mit dem Eigentum anderer wie mit dem deinen umzugehen.«

»Nichts, gar nichts leg' ich ab. Niemand kann auftreten und sagen: Er hab' mich ein Deck verlassen sehen, solang noch eine Planke mit dem Balken zusammenhing, und ich sollte meine Rechte fahren lassen oder ablegen, wie Ihr's nennt? Was hab' ich denn so groß verbrochen, daß das Schiffsvolk zusammengerufen wird, weil ein alter Seemann bestraft werden soll? Ihr habt einem ungehobelten Fischer, einem Kerl, der nie in tieferem Wasser gewesen, als wo seine Angel den Grund finden kann, Ihr habt ihm, sag' ich, einen blanken SpanierPiaster. gegeben für den mageren Gebrauch seines Kahns auf eine Nacht, oder allenfalls auch auf einen Teil des Morgens. Nun was hat Richard Fid getan? Er hat zu sich selbst gesprochen: – denn Gott soll mich verdammen, wenn ich jemals im Schiff herumgezogen bin und geplappert, und mich bei der Mannschaft über einen Offizier beschwert habe. – Nein, zu sich selbst hat Dick gesprochen: ›Das ist zuviel Geld!‹ Und dann ist er hingegangen und hat für weniger Geld einen bessern Nachbarskahn gedungen. Geld kann man veressen und, was noch besser ist, vertrinken: folglich muß man es nicht, wie der Schiffskoch die kalte Asche, über Bord werfen. Ich bin ferner überzeugt, beim Lichte besehen, daß die Eigentümer dieser Jolle und jenes Kahns Vettern und Muhmen sind, und daß von der ganzen Familie das Geld in Tabak und stark Bier verzehrt wird, so daß es zuletzt auf eines rausläuft, und niemanden unrecht geschehen ist.«

Wilder gab dem andern ein Zeichen der Ungeduld und den schweigenden Befehl zu gehorchen, und ging am Strande auf und nieder, bis er zurück kam. Fid widerstand nie einem ausdrücklichen deutlichen Gebot; nur wenn es ein weniger bestimmtes war, nahm er sich Zeit, ihm nachzukommen. Diesmal ging's also rasch vor sich; unverzüglich ruderte er das Boot zurück, doch erlaubte er sich dabei den kleinen Subordinationsfehler, unterwegs vor sich hin zu protestieren. Sobald alles wieder in Ordnung war, bestieg Wilder das Boot, die beiden anderen griffen zu den Rudern, und jener wies sie an, sich mit so wenig Geräusch als möglich zum Hafen hinauszuarbeiten. Fid steckte die Linke in den Busen, und führte mit der Rechten das Ruder mit Kraft, so daß die Jolle leicht und schnell dahinglitt. Er sagte dabei:

»Erinnert Ihr Euch noch der Nacht, wo ich Euch bis in Louisburg hineinruderte, um zu rekognoszieren? Damals wickelten wir uns ein wie Wickelkinder und hatten keine Zunge. Wenn es not tut, der Equipage einen Knebel ins Maul zu stecken, so hab' ich nichts dagegen; in anderen Fällen aber bin ich der Meinung, daß die Zunge zum Sprechen gemacht ist, wie die See zum Leben, und habe gern ein vernünftiges Gespräch und eine gesellschaftliche Unterhaltung . . . Sip! Junge! Wo willst du hin? Die Insel liegt ja rechts, und du ruderst gerade links auf die Kirche zu!«

»Legt die Ruder an,« unterbrach Wilder befehlend, »laßt das Boot vor dem Schiffe vorbeitreiben.«

Sie waren in diesem Augenblick dem Schiffe nahe, das unweit der Kaje vor Anker lag und, wie der junge Seemann heimlich im Turme erfahren hatte, am folgenden Morgen mit Frau Wyllys und der bezaubernden Gertraud nach Karolina absegeln sollte. Während das Boot vorüberschwamm, betrachtete Wilder mit Seemannsaugen das Schiff beim schwachen Sternenlicht. Kein Teil des Rumpfs, die Spieren, die Takelage, nichts entging seiner Untersuchung; und als sie sich entfernten und alles ineinanderfloß und wie eine dunkle Masse hinter ihnen lag, da lehnte sich der junge Mann mit dem Kopfe auf den Bootsrand und fiel in ein langes und tiefes Nachdenken. Fid fand sich nicht berufen, ihn in seinen Betrachtungen zu stören. Er hielt sie für eine natürliche Folge der Ansicht des Schiffs, für eine Sitte des Seemanns, kein Segel unbeachtet vorüber zu lassen, und somit für eine Art heiliger Beschäftigung. – Scipio schwieg ebenfalls, weil er überhaupt gern schwieg. So vergingen mehrere Minuten. Wilder war der erste, der die Stille brach und, sich plötzlich fassend und besinnend, die paar Worte hervorstieß:

»Ein großes, festes Schiff; ein Schiff, das eine lange Jagd machen könnte!«

»Ja, und imstande wäre, beim Vorteil des Windes, und mit vollen Segeln, einem königlichen Kreuzer bis zum Entern nahe zu kommen; aber eingeklemmt wie es ist, wär' ich der Mann, mich mit der naseweisen Hebe an seine Windseite zu . . .«

»Burschen!« unterbrach Wilder, »es ist Zeit, daß ich euch zum Teil von meinen Bewegungen unterrichte. Wir sind seit zwanzig Jahren und drüber Schiffsgenossen – ich möchte sagen Schiffskameraden gewesen. Ich war nicht viel besser als ein Kind, als du, Fid, mich zum Patron deines Schiffes brachtest, und nicht nur der Retter meines Lebens, sondern auch das Werkzeug warst, das mich in der Folge vielleicht zum Offizier erheben wird!«

»Sprecht doch nicht davon, Master Harry; Ihr wart ja bald geborgen und machtet nicht viel Umstände. Eine kleine Hängematte war Euch ebensoviel wert als des Kapitäns Kajüte.«

»Nein, Fid, ich bin dir viel schuldig für diesen ersten Dienst, und nicht weniger für deine Anhänglichkeit in der Folge.«

»Darin habt Ihr recht, Master Harry; in diesem Punkt bin ich nie von der Bahn gewichen und habe besonders nie meinen Enterhaken fahren lassen, so oft Ihr auch geschworen, mich wegzujagen. Was den Schuft hier, den Guinea, betrifft, der macht immer schön Wetter mit Euch, und hängt den Mantel nach dem Winde, wogegen zwischen uns beiden bald ein kleiner Sturm aufstößt, wie z. B. der Handel mit dem Boote . . .

»Nichts mehr davon«, unterbrach ihn Wilder, dessen Gefühle durch die Rückerinnerung an soviel Ereignisse seines Lebens, an soviel bittere Auftritte aufgeregt waren. »Du weißt, daß nur der Tod uns trennen kann, du müßtest mich denn jetzt verlassen wollen. Ihr müßt nämlich beide wissen, daß ich in einem verzweifelten Handel begriffen bin, daß ich einen Plan verfolge, der mich leicht, und alle, die mich begleiten, in Tod und Verderben stürzen kann. Es schmerzt mich, liebe Freunde, wenn ich von euch scheiden müßte, vielleicht auf immer, aber ich kann nicht umhin, euch die ganze Gefahr meiner Lage zu entdecken.«

»Ist dabei viel Wegs zu Lande?« fragte Fid herausplatzend.

»Nein, das ganze Geschäft, soweit es sich erstreckt, macht sich zu Wasser ab.«

»Nu, so schlagt Eure Schiffsbücher auf und macht mein Zeichen, nämlich ein paar Anker kreuzweise, denn das hat immer soviel bedeutet, als wenn ganz ausgeschrieben dastände: Richard Fid

»Vielleicht aber, wenn Ihr erst erfahret . . .«

»Ich brauche von der Sache nichts zu wissen und zu erfahren, Master Harry. Bin ich nicht oft mit Euch bei versiegelter Order gesegelt? Sollte ich meine Pflicht vergessen und meinen alten Leichnam Euch nicht noch mal anvertrauen? Und was sagst du dazu, Guinea. Willst du mit? Oder sollen wir dich dort auf jene flache Landspitze absetzen, und dich mit den Stechmücken Bekanntschaft machen lassen?«

»Ich will sie mir hier schon abwehren«, murmelte der Neger, der gern mitging.

»Seht doch, Master Harry, Guinea ist wie die Barkasse eines Küstenfahrers, immer bereit, sich in Euer Kielwasser bugsieren zu lassen. Ich hingegen lege mich oft quer vor Eure Klüsen, oder schieße auf die eine oder die andere Weise Eurem Schiff in die Windvierung. Soviel aber ist ausgemacht, wir gehen mit Euch auf den Kreuzzug aus, und sind mit allen Umständen vollkommen zufrieden. Sagt uns nur noch, was wir zu tun haben, und dann kein Wort weiter parlamentiert!«

»Denkt an die Weisung, die Ihr von mir erhalten habt,« erwiderte Wilder, weil er wohl sah, daß die Ergebenheit seiner Begleiter keines Sporns bedurfte, und ihm eine lange Erfahrung ihre Treue und Anhänglichkeit verbürgte, und daß er nur über kleine Fehler und Verstöße, Folgen ihres Standes und ihrer Erziehung, wegzusehen habe; »denkt an meine Erklärung, und nun geradezu auf das Schiff im Außenhafen.«

Fid und der Schwarze gehorchten, und bald strich das Boot neben der kleinen Insel vorbei, in die sogenannte große See. Sowie sie dem Schiffe näher kamen, gingen die Ruder erst leiser, dann hörten sie zugleich ganz auf. Wilder zog es vor, die Jolle dem Strome zu überlassen, damit er das Schiff gemächlich untersuchen könnte, bevor er an Bord ginge.

»Hat das Schiff nicht die Finkenetten, wie zum Gefecht, um die Takelage gelegt?« fragte er mit einer Stimme, deren leiser Ton unbemerkt bleiben sollte, und dennoch den Anteil verriet, den er an der Antwort nahm.

»Sehe ich recht, so ist es so«, entgegnete Fid, »Die Sklavenhändler haben kein gut Gewissen, und sind nie ohne Furcht, außer wenn sie an der Küste von Kongo Jagd auf einen jungen Neger machen. Und doch ist hier in dieser Nacht so wenig Gefahr, daß sich ein französisch Segel sehen lasse, bei diesem Landwinde und klaren Himmel, als ich zu befürchten habe, Lord Großadmiral von England zu werden; wenigstens nicht sobald, weil meine Verdienste, leider! Sr. Majestät dem Könige zurzeit noch unbekannt sind.«

»In der Tat,« fuhr Wilder fort, der den Ausschmückungen, womit Fid seine Reden pikant zu machen suchte, keinen Geschmack abgewann, »die Leute sind in Bereitschaft, jeden, der zu entern versuchte, heiß zu empfangen. Es würde kein leichtes Stück Arbeit sein, ein so gut ausgerüstetes Schiff anzugreifen und wegzunehmen, wenn sich der Kapitän auf seine Leute verlassen kann.«

»Ich wollte wohl wetten, daß ein gut Vierteil der Wache in diesem Augenblicke zwischen den Kanonen schläft, mitten in dem weiten Ausguck von Krahnbalken und Hackebord. Ich stand mal in der Hebe, bei der Fockrahe, an der Wetterseite, als ich von Südwest ein Schiff mit raumem Wind auf uns zukommen sah . . .«

»Still! Man rührt sich auf dem Verdeck!«

»Ja, gewiß und wahrhaftig. Der Koch spaltet ein Brett, der Kapitän ruft nach seinem Nachttrunk.«

Fids Stimme verlor sich in einen Anruf vom Schiffe, der wie das Brüllen eines Seeungeheuers klang, das unvermutet den Kopf aus dem Wasser hervorstreckt. Die geübten Ohren unserer Seefahrer begriffen im ersten Augenblick, was es war, nämlich die Art und Weise, wie man ein Boot anholt.Anruft. Ohne an die Möglichkeit zu denken, daß noch ein anderes in der Nähe sein könne, bildete er sich ein, es gelte seinem, stand auf und gab Antwort.

»Was ist das?« rief jene Ungeheuerstimme. »Das ist keiner von denen, die hier am Bord Brot essen. Wo steckt ihr, die ihr mir zuruft?« fuhr er fort zu fragen.

»Hier unter Euerm Backbordbug, im Schatten des Fahrzeugs.«

»Und was habt Ihr hier zu suchen im Bereich meiner Klüsen?«

»Ich durchschneide die Wellen mit meinem Hackebord«, erwiderte Wilder nach einer Pause.

»Wer ist der Narr, der auf das Schiff hier lostreibt?« murmelte der Fragende. »Hervor mit dem Tölpel! Laßt sehen, ob der Kerl imstande ist, eine vernünftige Antwort zu geben.«

»Halt!« rief eine Stimme in ruhigem aber befehlendem Tone vom äußersten Ende des Schiffes. »Alles ist, wie es sein soll.«

Der Mann im Bug hieß sie näherkommen, und die Unterredung hatte ein Ende. Erst jetzt fand Wilder Zeit, zu bemerken, daß das Anholen ein anderes Boot betraf, das weiter zurück war, und daß er zu frühzeitig Antwort gegeben hatte. Da es aber zu spät war, sich zurückzuziehen, und vielleicht auch, da er fand, daß es in seinen ersten Plan paßte, so hieß er seine Gefährten heranrudern.

»Die Wellen mit dem Hackebord durchschneiden, ist zwar nicht die schicklichste Antwort auf ein Anholen«, murmelte Fid vor sich hin, als er das Ruder fallen ließ. »Allein es liegt doch auch keine Beleidigung darin. Wollen sie uns dort, Master Harry, durchaus was am Zeuge flicken, so laßt es aus dem Walde rausschallen, wie es reinschallte, und rechnet auf uns, Euch den Rücken zu decken.«

Die mannhafte Versicherung blieb von Wilder unbeantwortet, denn inzwischen war das Boot nur noch einige Fuß vom Fahrzeuge entfernt. Wilder bestieg nun das Schiff unter einer tiefen, und wie er selbst fühlte, nichts Gutes versprechenden Stille. Die Nacht war dunkel, obschon von den hier und dort sichtbaren Sternen so viel Licht herabschien, daß das Auge eines geübten Seemannes die Gegenstände unterscheiden konnte. Sobald unser junger Abenteurer das Deck erreicht hatte, warf er einen schnell forschenden Blick um sich, als sollten die Zweifel und Eindrücke, womit er sich lange getragen hatte, mit einem Male durch dieses ernste Umsichschauen aufgelöst und erklärt werden.

Auf einen, der solch Schauspiel nie gesehen, würde die Ordnung und Symmetrie des Schiffs, die hohen, wolkenansteigenden Spieren, die schwarze Masse des Rumpfs, die in der Luft hängende Takelage, das dunkel sich durchkreuzende Tauwerk, das ganze anscheinend verwirrte, verwickelte, und doch so kunstreich eingerichtete und berechnete Labyrinth, einen unbeschreiblichen Eindruck gemacht haben. Für Wilder waren die ihm bekannten Gegenstände kaum anziehend. Den ersten, schnellen Blick hob er zwar nach Seemanns Sitte aufwärts, dann aber durchlief er kurz und als Kenner die oben erwähnten Teile. Mit Ausnahme eines einzigen, der, in einen großen Wachtmantel bis an die Augen vermummt, ein Offizier schien, war keine Menschenseele auf den Verdecken sichtbar. Von jeder Seite zeigte sich eine finster drohende Batterie, in der schönen, imposanten Ordnung aufgestellt, wodurch sich die Marineartillerie und Architektur auszeichnet. Nirgends aber konnte er eine Spur von Menschengruppen entdecken, die gewöhnlich das Deck eines bewaffneten Schiffs einnehmen, oder nur die Mannschaft, die zur Bedienung des Geschützes erforderlich ist. Es mochte sein, daß die Leute in ihren Hängematten lagen, wie es zur Nachtzeit zu sein pflegt; aber wo blieb dann der Teil der Equipage, der die Wache hatte, und für die Sicherheit sorgen sollte? Einem einzigen Individuum gegenüber, fing unser Waghals an, das Befremdende und Unrichtige jener Lage inne zu werden, und sah sich gedrungen, eine Erklärung einzuleiten.

»Ihr wundert Euch mit Recht, Sir, daß ich eine so späte Stunde zu meinem Besuche gewählt habe.«

»Ihr wurdet freilich früher erwartet!« war die lakonische Antwort.

»Erwartet?«

»Ja, erwartet. Hab' ich nicht gesehen, wie Ihr und Eure beiden Gefährten im Boote uns den halben Tag über von der Kaje aus, und selbst vom alten Turm auf dem Hügel beobachtet habt? Was konnte all diese Neugierde bedeuten, als die Absicht, an Bord zu kommen?«

»Seltsam! Ich muß es gestehen!« rief Wilder nicht ohne Unruhe aus. »Also war Euch meine Absicht bekannt?«

»Hört, Freund,« unterbrach ihn der andere, sich ein kurzes, leises Lächeln erlaubend, »nach Eurem Äußern und Aussehen zu urteilen, muß ich Euch für einen Seemann halten. Glaubt Ihr denn, daß wir keine Ferngläser an Bord haben, und daß wir sie nicht zu gebrauchen wissen?«

»Ihr müßt wichtige Gründe haben, auf die Bewegungen der Fremden am Strande so genau acht zu geben.«

»Hm! Vielleicht warten wir auf Ladung vom Lande. Aber Ihr seid wohl nicht in stockfinsterer Nacht hergekommen, Euch unsere Deklaration zeigen zu lassen? Doch, Ihr wolltet ja den Kapitän sprechen?«

»Seh' ich ihn nicht hier?«

»Wo?« fragte der andere mit einer Bestürzung, die bewies, daß er ihn hinter sich stehend vermutete.

»In Eurer Person.«

»Ich? So hoch steh' ich nicht, obschon es mit der Zeit dahin kommen mag. Hört aber, Freund, Ihr seid doch auf dem Wege hierher am Spiegel jenes Schiffes vorbeigerudert?«

»Ja; es liegt, wie Ihr seht, gerade auf meinem Wege.«

»Ein schönes, künstlich gebautes, gesundes Schiff; eines der besten, die ich sah. Bereit zur Abfahrt, wie man mir gesagt.«

»So scheint es; die Segel sind angeschlagen; es flotet wie ein Gefäß, das seine volle Ladung hat.«

»Und diese Ladung?« fragte jener abgebrochen.

»Nun, ich soll denken, die Artikel stehen auf der Deklaration. Aber Ihr scheint noch leicht; und wenn Ihr hier ladet, so mögen wohl noch ein paar Tage verstreichen, ehe Ihr abfahrt.«

»Hm! Ich sollte meinen, kaum ein paar Stunden später als der Nachbar.« Diese Worte stieß der andere etwas trocken aus, schien sich aber zu besinnen, als habe er zuviel gesagt, und setzte hinzu: »Wir Sklavenschiffer laden, wie Ihr wißt, nicht viel mehr, als die Schellen für unsere Neger, und so viel Reis, als wir brauchen. Den Ballast machen Kanonen aus, und die Munition.«

»Bringt es denn der Gebrauch mit sich, daß Handelsschiffe schweres Geschütz führen?«

»Bisweilen ja, bisweilen nein. Die Wahrheit zu sagen, ist hier an der Küste wenig gesetzliche Ordnung, und der starke Arm kommt oft so weit, und noch weiter, als der rechtliche. Daher kommt's, daß es unsere Patrone nicht für überflüssig halten, sich mit Geschütz und Kriegsvorrat zu versorgen.«

»Dann müßten sie sich aber auch mit Leuten versehen, die damit umzugehen wissen.«

»Freilich haben Sie das in ihrer Weisheit oder Unweisheit vergessen.«

Die letzten Worte wurden von derselben rauhen Stimme halb erstickt, die Wilders Boot angeholt hatte, und jetzt wieder Töne in die See hineinbrüllte, die so viel bedeuten sollten, als: »Boot, halt!«

Die Antwort erfolgte schnell, kurz und seemännisch; aber leise und mit Vorsicht gegeben. Der Mann, mit dem Wilder die zweideutige Unterredung gewagt hatte, schien über die plötzlich eingetretene Störung verlegen, und ungewiß, wie er sich bei dem neuen Auftritte zu benehmen habe. Schon wollte er dem Fremden anbieten, ihn in die Kajüte zu führen, als das Plätschern der Ruder die Nähe des Bootes meldete, und es zu spät war. Er bat ihn also, einen Augenblick zu verweilen, und sprang nach der Laufplanke hin, den Leuten im Boote entgegen.

So sah sich der verlassene Wilder ganz allein im Besitz des Schiffsteiles, worauf er stand. Dies erleichterte ihm zugleich eine zweite Musterung der ihn umgebenden Gegenstände, und eine erste der neuen Ankömmlinge.

Fünf bis sechs Matrosen von athletischer Gestalt stiegen von dem Boot aufs Schiff, das tiefste Schweigen beobachtend. Eine kurze, leise Zwischensprache erfolgte mit dem Offizier, der ihren Bericht anzuhören und ihnen einen Befehl zu erteilen schien. Nachdem dieses vorläufige Geschäft beendigt war, wurde ein Seil vom Klappläufer der großen Rahe gerade auf das Boot herabgelassen, und gleich nachher sah Wilder zwischen Wasser und Spieren eine Last schweben, erst hoch, dann wieder nachgelassen, bis sie, mit vieler Sorgfalt geleitet, das Verdeck erreicht hatte.

Während dieser ganzen Verrichtung, die an und für sich nichts Seltenes und Außerordentliches ist, und täglich bei Auf- und Abladen der Schiffe am Hafen vorkommt, hatte Wilder seine Augen dergestalt angestrengt, als wollten sie aus ihren Höhlen hervordringen. Die dunkle Masse, die aus dem Boote geluftet wurde, hatte ihm, als ihr die Sterne zum Hintergrunde dienten, etwas von den Verhältnissen einer Menschengestalt gezeigt. Die Matrosen drängten sich bald um den Klumpen oder Körper oder was es sonst war, hoben die Last auf, trugen sie fort, und verschwanden mit ihr hinter die Masten, Boote und Kanonen am Vorderteil.

Das Ereignis war vollkommen geeignet, die ganze Aufmerksamkeit Wilders zu fesseln. Doch war sein Auge nicht so ganz auf die Leute gerichtet, die ihre Bürde nach der Laufplanke trugen, daß es nicht zugleich ein Dutzend schwarzer Gegenstände entdeckt haben sollte, die hinter den Spieren und andern dunkeln Massen des Schiffs sichtbar wurden. Es konnten in der Luft schwebende Blöcke sein, gleichwohl hatten sie eine wunderbare Ähnlichkeit mit Menschenköpfen. Die gleichförmige Weise, auf die sie abwechselnd sichtbar wurden und wieder verschwanden, schien ihn in der letztern Meinung zu bestärken, so daß er bald gar nicht daran zweifelte, die Neugier, ihn zu sehen, bringe dieses Auf- und Niederducken der Köpfe aus ihren Verstecken hervor. Doch hatte er nicht Muße, sich die Sache genauer zu überlegen, denn jetzt kam der Offizier zurück, der, allem Anschein nach, mit ihm ganz allein auf dem Deck war.

»Ihr wißt, wie schwer es hält, die Mannschaft vom Lande wieder ins Schiff zu bringen, wenn die Abfahrt nahe ist.«

»Wie es scheint,« erwiderte Wilder, »macht Ihr kurzen Prozeß, und habt Eure unvergleichlichen Mittel, das Volk zusammenzuholen.«

»O, Ihr meint den Kerl, den wir heraufgewunden? Guter Freund, Ihr müßt gute Augen haben, daß Ihr in einer solchen Weite ein Jackknief von einem Spitzeisen unterscheiden könnt. Aber der Bursch war meuterisch – zwar nicht eigentlich ein Meuterer, aber betrunken; ein Meuterer, wie man es sein kann, wenn man weder sitzen, noch stehen, noch sprechen kann.«

Mit seinem eigenen Humor ebenso zufrieden, als mit dieser einfachen Erklärung, lachte jener, und schüttelte sich auf eine Art, die zu erkennen gab, wie sehr er sich in diesem Humor gefiel.

»Aber Ihr steht ja hier eine Ewigkeit auf dem Deck, und der Kapitän wartet auf Euch in der Kajüte; kommt, ich will Euch hineinlotsen.«

»Halt,« sagte Wilder, »wollt Ihr mich nicht vorher melden.«

»Er weiß schon, daß Ihr da seid; es gibt hier auf dem Schiffe wenige Stellen, wohin sein Ohr nicht reichen sollte.«

Wilder machte keinen Einwurf und zeigte sich bereit, zu folgen. Jener führte ihn nun zu dem Verschlag, der die Hauptkajüte von dem Hinterdeck trennt, zeigte dann auf eine Tür und flüsterte mehr als er sprach: »Pocht zweimal, und gibt er Antwort, so tretet ein.«

Wilder tat, wie ihm geheißen. Das erste Anpochen wurde entweder überhört und blieb unbeachtet. Das zweitemal rief man: Herein! Der junge Seemann machte die Tür auf und stand nun, im Scheine einer gewaltigen Lampe – dem Fremden im grünen Rock gegenüber.


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