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Zweites Kapitel.
Eine »angesehene« Familie

Oakbury ist nicht Blacktown – das darf nie vergessen werden. Denn obgleich es nicht zu leugnen ist, daß Oakbury das Vorhandensein eines Teiles der vielen hübschen Landhäuser, die seine Zierde sind, ebensogut der Nachbarschaft der schmutzigen, aber emporstrebenden Stadt, wie seiner eigenen hübschen Lage verdankt, so ärgern sich doch seine Einwohner, wenn man sagt, Oakbury sei eine Vorstadt von Blacktown.

Manche der begehrenswerten Villen ist zwar von Blacktowns Kaufleuten und Gewerbetreibenden, deren Thätigkeit von Erfolg gekrönt wurde, gekauft und bewohnt – trotzdem blicken die vornehmen Einwohner von Oakbury gleichgültig und gelassen auf das Geschick der Stadt; sie stehen außerhalb ihres Ringens und Strebens, und was noch mehr ist, außerhalb des Bereiches ihrer Besteuerung. Sie wohnen auf dem Lande, nicht in der Stadt, sie datieren ihre Briefe »Oakbury, Westshire« und verkehren im allgemeinen mit keinem Geschäftsmann aus Blacktown, der nicht Banquier oder Großhändler ist.

Außer dem Landsitze eines Lords gehören noch etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Anwesen zu dem Kirchspiel Oakbury. Man kann diese Besitzungen nicht wohl Landgüter nennen, weil der dazu gehörige Grund und Boden nicht beträchtlich ist. Es sind keine auf Spekulation gebaute luftige, neue Häuser, sondern gediegene, gute, alte Gebäude, die nicht von zierlichen oder vergoldeten Gittern eingefaßt sind, sondern durch dicke Umfassungsmauern und alte Bäume gegen die neugierigen Blicke der Spaziergänger geschützt werden.

Da die Umgegend sehr schön und abwechselungsreich ist, der herrschende Wind die reine, unverdorbene Seeluft herüberträgt, für die Jagden der Grafschaft zwei der besten Koppeln Hunde in England unterhalten werden und außerdem alle Annehmlichkeiten einer großen Stadt in der Nähe zu finden sind, so ist es kein Wunder, daß der Pfarrherr von Oakbury gar manche angesehene Familie in seiner Gemeinde hat.

Aus dieser Schilderung ist leichtlich zu entnehmen, daß die Einwohner von Oakbury etwas ausschließlich sind – unter den Einwohnern von Oakbury sind die Bewohner der vorbesagten zwanzig Häuser zu verstehen; die Dorfbewohner und andere kleine Leute, aus denen der Rest der Bevölkerung besteht, kommen nicht in Betracht. Die Einwohner von Oakbury also sind sehr wählerisch in betreff ihres Umganges, und die wählerischsten und ängstlichsten davon sind zwei Herren Namens Talbert, die gemeinsamen Besitzer und Bewohner von Hazlewood House.

Daß sie so besonders wählerisch waren, hatte seinen Grund in ihrer Stellung. Die Thatsache, daß sie ihr Einkommen aus einem Vermögen bezogen, das ihr Vater in Holz, Tabak, Seife oder Zucker – man weiß schon nicht mehr in was – gemacht hatte, beweist genugsam, daß die Gebrüder Talbert zu äußerster Vorsicht im Anknüpfen neuer Beziehungen verpflichtet waren, da ihnen ja, wenigstens ihrer Meinung nach, der Makel dieses Handels noch immer anhaftete. Waren sie doch nur eine Generation von dem thatsächlichen Kaufen, Verkaufen und Schachern entfernt! Deshalb waren die Söhne des Vaters, der seinen Handel mit so großem Vorteil geführt hatte, fest überzeugt, daß ihnen mehr als anderen Menschen die Pflicht obliege, vorsichtig in der Wahl ihrer Freunde zu sein. Da sie liebenswürdige, richtig fühlende junge Männer waren, betrachteten sie diese Pflicht als eine traurige Notwendigkeit.

Hätten sie auch irgend welche Neigung in sich verspürt, von diesem Grundsatz abzuweichen, so würde sie doch die Achtung für ihren Vater davon abgehalten haben, denn dieser hatte ihnen ihre große Verpflichtung immer wieder vorgehalten. Noch ehe die beiden Knaben die Kinderschuhe abgetreten hatten, war Herr Talbert in der Lage gewesen, seine Kapitalien zu realisieren und sein Geschäft zu verkaufen, das ihm aber weniger einbrachte, weil er darauf bestand, seinen Namen von der Firma zurückzuziehen. Also Witwer mit drei Kindern, zwei Knaben und einem Mädchen, kaufte er Hazlewood House, wo er sich häuslich niederließ und nach und nach seinen Weg in die gute Gesellschaft fand.

Er erzog seine Kinder zu dem Glauben, daß es jedermanns Pflicht sei, in der Welt emporzukommen, sowohl in finanzieller als in gesellschaftlicher Beziehung. Den ersten Teil dieser Verpflichtung hatte er, dank seiner Thätigkeit und seinem Glück, erfüllt, aber dem zweiten nachzukommen, war nun größtenteils die Sache seiner Kinder. Er sagte ihnen das nicht in dürren Worten, predigte es ihnen aber nichtsdestoweniger deutlich genug und war mehr wie erfreut, als seine Tochter sich mit Sir Maingay Clauson, einem angesehenen, wohlhabenden Baron vermählte.

Diese befriedigende Verbindung hob die Familie in den Augen der Gesellschaft wieder einige Stufen höher, obgleich dies in Oakbury eigentlich nicht mehr nötig gewesen wäre. Herr Talbert hatte sein Geschäft nun schon seit zehn Jahren aufgegeben; er war ein ruhiger Mann von feinem Benehmen und wenn auch nicht gerade zurückhaltend, so doch auch nicht aufdringlich; sein Reichtum wurde dreimal so hoch geschätzt als er wirklich war. Unter diesen Umständen wurde er von allen angesehenen Familien in seiner Nachbarschaft sehr gut aufgenommen. Obgleich er also für seine Person zufrieden sein konnte, hielt er seinen Söhnen doch immer die glänzende Heirat ihrer Schwester als Beispiel vor und sprach so viel über die Notwendigkeit, ihren Umgang passend zu wählen, daß es ein wahres Wunder ist, daß die jungen Leute nicht in Bälde ausgemachte Narren oder prahlerische Gecken waren. Doch auch in späteren Jahren wurden sie dies keineswegs; man konnte nichts Schlimmeres gegen sie geltend machen, als daß sie sagten: »Wir können ebensogut unter den ›oberen Zehntausend‹ wahre Freunde finden, als unter den Tauschhändlern und Kaufleuten; es fällt uns nicht ein, den Vornehmen zu schmeicheln, aber bei unserer Ansicht von der Sache können wir nur mit denen umgehen, die wir für dazu geeignet halten. Ein Herzog von Soundso kann verkehren mit wem er will, er ist und bleibt per se der Herzog. Wir sind keine Herzöge, nicht einmal Millionäre. Unser Vater machte sein Vermögen in – nun, es kommt nicht darauf an in was. Wir sind reich genug, um behaglich und gut zu leben, wir können uns aber nicht im Gelde wälzen. Bei dem kurzen Zwischenraum, der zwischen jetzt und der Zeit liegt, in der wir dem höchst achtungswerten, für uns aber unsympathischen Handelsstand noch tatsächlich angehörten, können wir nicht mit Tabak-, Korn-, Oel- und Zuckerhändlern Arm in Arm gehen, ohne wieder zu denselben herabzusinken oder mit deren Angehörigen verwechselt zu werden. Es ziemt uns deshalb, so wählerisch wie möglich zu sein, auf die Gefahr hin, damit einen Fehler zu begehen.«

Wer kann solche Gefühle tadeln? Liegt nicht sogar eine Art schlauer Würde in denselben? Warum die beiden Brüder mit solchen vernünftigen Anschauungen, aus denen ihnen gewiß niemand einen Vorwurf machen kann, nicht dem Beispiel ihrer Schwester folgten und sich glänzend verheirateten, ist nie ganz aufgeklärt worden.

Als sie Oxford, wo sie einen tadellosen Lebenswandel geführt hatten, verließen, waren sie stattliche, vornehm aussehende junge Leute, die indessen trotz ihrer breiten Schultern und ihrem hübschen Aeußeren von manchen für »Milchsuppen« gehalten wurden. Trotz dem höflichen, fast förmlichen Benehmen, das sie gegen jedermann zeigten, hatten sie einzelne kleine altjüngferliche Eigenheiten, die eine Quelle der Belustigung für ihren Bekanntenkreis abgaben; dessenungeachtet waren sie nicht unbeliebt, ja sie standen sogar bei manchen Damen von mittlerem Alter hoch in Gunst. Die Thatsache, daß sie mit vierzig und einundvierzig Jahren noch unverehelicht waren, bewies also, daß ihnen die Neigung zum Heiraten fehlte.

Möglicherweise hatte sie auch die Lust am Reisen von der Gründung einer Häuslichkeit abgehalten; miteinander oder jeder für sich hatten sie lange Jahre hindurch neun Monate von zwölfen im Ausland verlebt, wozu ihnen ihr Vater, der nicht wünschte, daß seine Söhne sich wie der größte Teil der übrigen Menschheit mit dem Erwerb der Güter dieser Welt befaßten, die Mittel reichlich gewährte. Sie lebten in den Grenzen ihres Einkommens und machten sogar noch Ersparnisse, die sie stets in Kunstwerken anlegten, so daß sie sich im Laufe der Jahre eine geschmackvolle, kostbare Sammlung erwarben, deren einzelne Teile im Osten, Westen, Norden und Süden so sorgfältig gewählt worden waren, daß sie den Ruhm der Brüder als Kunstkenner noch vermehrt hätte, wenn dies überhaupt nötig gewesen wäre.

Die Brüder waren die besten Freunde von der Welt und verstanden die gegenseitigen Neigungen, Abneigungen und Schwächen durchaus. Sie hatten sich nur einmal in ihrem Leben entzweit, aber dann gleich auf sechs Jahre. Noch jetzt schaudern sie, wenn sie an jene Zeit zurückdenken.

Es war keine jener alltäglichen Meinungsverschiedenheiten, die man aller Welt mitteilt und in welchen von den beiderseitigen Freunden erwartet wird, daß sie für den einen oder anderen Teil Partei ergreifen; nur die Talberts selbst wußten, daß der Streit vorhanden war; der Außenwelt schien es nur, als ob sie noch höflicher gegeneinander wären als sonst.

Die Veranlassung zum Zanke war die Einmischung des einen Bruders in die Angelegenheiten des anderen. Sie waren beide eigentümliche Männer und hielten fest an der Pflicht des Engländers, sich nur um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Bei einer ziemlich zarten Angelegenheit indessen hatte der eine geglaubt, es gehe ihn ebensoviel an, wie seinen Bruder; dies war ein Mißgriff gewesen. Sie wechselten keine heftigen Reden, weil dies nicht ihre Art war, aber jeder zeigte sich beklagenswert fest. Die Folge war, daß sie sechs Jahre lang nur in Gesellschaft miteinander sprachen.

Endlich starb der alte Talbert. Seine erfolgreiche Tochter war schon lange vor ihm gestorben. Der alte Mann hinterließ Hazlewood House seinen beiden Söhnen miteinander, während der Rest seines Vermögens zwischen seinen drei Kindern oder deren Kindern gleichmäßig verteilt wurde. Nun trafen die Söhne in Hazlewood House zusammen, um zu überlegen, was zu thun sei.

Zu allererst versöhnten sie sich miteinander, wie es sich geziemte, worüber sich beide ungemein freuten – die sechsjährige Trennung war schrecklich gewesen – und jeder gelobte sich selbst, daß ihm die Angelegenheiten seines Bruders in Zukunft heilig sein sollten.

Um diese Zeit waren die beiden Brüder des Herumreisens müde geworden; außerdem waren sie es nun auch ihrer Stellung schuldig, ein festes Heim zu haben. Gegen zwanzig Jahre hatten sie in den verschiedenen Hauptstädten Europas gelebt und waren sich bewußt, die Gesellschaft für sich gewonnen zu haben. Es ist in der That kaum möglich, daß zwei Männer, die keine Berühmtheiten sind, allgemeiner bekannt wären, als Horace und Herbert Talbert. Sie beschlossen also, seßhaft zu werden und auf eigene Faust einen Haushalt zu gründen.

Sie trugen ihre Kunstschätze zusammen und nahmen als gute Geschäftsmänner ausführliche, bis ins kleinste gehende Inventarien über das Eigentum eines jeden Bruders auf, um spätere Unannehmlichkeiten zu vermeiden.

Dann vereinigten sie die beiderseitigen Sammlungen und verliehen Hazlewood House mit Hilfe von Gemälden, Porzellan und Altertümern eine eigenartige interessante Schönheit. Dies gethan, begannen sie ein ruhiges, behagliches Leben und besorgten ihren Haushalt so methodisch und sorgfältig und ohne Zweifel viel besser, als es zwei alte Frauen je gekonnt hätten.

Natürlich war bei ihrem feinen Geschmack, ihrer vielseitigen Bildung, ihren ausgebreiteten Erfahrungen und den beneidenswerten Bekanntschaften, die sie hatten, die Stellung der Talberts in Oakbury unantastbar. Sie waren der Stolz der Gegend und hätten ohne Gefahr der Wiedervergeltung die angesehensten Familien schneiden können, vorausgesetzt, daß sie nicht viel zu gutherzig dazu gewesen wären. Wenn auch über ihr weibisches Wesen und ihre Haushaltungstalente gespöttelt wurde, so freute sich doch jeder, die Brüder bei sich zu sehen oder von ihnen eingeladen zu werden. Das letztere besonders war indessen kein Wunder, denn die kleinen Diners in Hazlewood House erreichten den Gipfel kulinarischer Vollendung und zeugten vom feinsten gastronomischen Verständnis der Wirte.


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