Luis Coloma
Gottes Hand
Luis Coloma

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Männer von ehemals.

»Und sie waren groß in ihren Heldentaten und kurz in ihren Berichten.«

Am 8. April 1579 machte sich im Feldlager der am Fuße der Mauer von Mastricht und auf beiden Ufern der Maas kampierenden Truppen eine ungewöhnliche Erregung bemerkbar. Deutsche, Burgunder, Irländer, Italiener und Spanier regten sich allerorten in ihren Quartieren mit jener ordnungsmäßigen Geschäftigkeit, die ein gemeinsames Vorgehen und die allgemeine Hingebung an eine Sache beweist. Die leichte Reiterei schleppte Äste und Unkraut von den Ufern des Flusses herbei; einige richteten Faschinen her, mit denen sie die Gräben ausfüllten, andere Schanzkörbe, um die Artillerie zu decken, wieder andere füllten Säcke mit Wolle und Hopfen, um Schanzen herzustellen, andere führten auf ihren von Ochsen gezogenen Lafetten Kanonen heran, welche Bresche in die Mauer schießen sollten, kurz, alles rüstete sich zum Sturm, der nach einer Belagerung von drei Monaten bei Sonnenaufgang des folgenden Tages unternommen werden sollte. Ein Reiter, von mehreren anderen gefolgt, besuchte auf seinem Braunen trabend die verschiedenen Quartiere und leitete und ermunterte alle: er trug keinerlei Waffen, nur einen blauen, mit Marderfell besetzten Überrock, auf dem Kopf eine Mütze aus demselben Material. Es war Alexander Farnese, Herzog von Parma und Piacenza, General-Gouverneur der Niederlande im Namen seiner katholischen Majestät Philipps II., des weisen Königs.

Im Hintergrund hoben sich die schwarzen Mauern von Mastricht ab, der unglücklichen Stadt, die damals unter der dreifachen Geißel des Krieges, des Hungers und der Gesetzlosigkeit zu leiden hatte. Die protestantische Besatzung hatte die katholischen Gotteshäuser geplündert, die Heiligenbilder zerstört und einige auf diejenigen Bastionen geschleppt, wo das Gewehrfeuer und die Geschosse der Artillerie am meisten zu fürchten waren. Ein sehr großes und schönes Bild, welches die Jungfrau Maria mit dem Christuskinde im Arm darstellte, hatten sie auf die Batterie gestellt, welche den Laufgräben des katholischen Heeres zunächst lag, und die Soldaten verspotteten, mit den priesterlichen Gewändern geschmückt, die Zeremonien des katholischen Gottesdienstes. Sie trieben ihre Keckheit sogar so weit daß sie, mit dem kirchlichen Schmuck behängt, auf den Zinnen der Mauern hin und her gingen. Eine kirchenschänderische Herausforderung, die im katholischen Lager jenen heiligen Zorn heraufbeschwor, der stets der Vater großer Taten ist: jenen heiligen Zorn, den die feige Gleichgültigkeit unserer Zeit nicht begreift und den sie deshalb als Intoleranz und Fanatismus bezeichnet: jenen heiligen Zorn, den der Geist der Wahrheit mit den Worten rechtfertigt und anempfiehlt: » Irascimini et nolite peccare – ereifert euch, aber sündiget nicht.«

Der Trommelschlag, der den katholischen Soldaten die Stunde verkündete, zu der sie sich in ihre Quartiere zurückzuziehen hatten, war bereits verhallt: mit eintretender Dunkelheit traten sie bei einem zweiten Schlag in ihre Zelte, und es war jetzt nicht mehr erlaubt, das Lager zu verlassen, ohne dem Posten das Losungswort des Tages zu geben.

Während dieser Zeit bot sich in einem der Quartiere, in dem die berühmten spanischen Regimenter kampierten, ein damals gewöhnliches, heute befremdendes Schauspiel dar, das mehr als einem Rekruten unserer Zeit ein höhnisches Lächeln entlockt haben würde. Auf einem freien Platz, der von einem Kreis von Zelten umringt war, sah man eine dichtgedrängte Soldatenmenge; einige saßen, andere standen. In der Mitte stand ein Mann von kleiner Gestalt und schwächlichem Aussehen auf einem Brett, das über eine Trommel gelegt war; er trug die Soutane der Gesellschaft Jesu, erhob ein Kruzifix, verkündete den gefürchteten Soldaten das göttliche Wort und bereitete sie auf den Tod vor, indem er ihnen den Weg zum Siege zeigte.

Und diese Schar kriegerischer Männer von denen viele verwildert und unsäglich roh waren, jene Nacheiferer der Makkabäer, die alle mutig und von denen nur wenige tugendhaft waren, lauschten mit gesenktem Haupt den ernsten Wahrheiten, während mehr als eine Träne über die gefurchten Wangen lief und sich in den grauen Bärten verlor, und mehr als ein Panzerhandschuh an die eiserne Rüstung schlug, unter der ein reuiges Herz klopfte. Denn der hervorstechendste Zug jener Zeit, die von dem einen so gerühmt, und von dem andern so geschmäht wird, war der aufrichtige Glaube, der in der Brust eines jeden lebte, die unerschütterliche Achtung vor dem Priestertum, war eine gefestigte Moral, die noch nicht Gute und Böse durcheinandergeworfen hatte. Deshalb auch wußten diejenigen, die schlecht handelten, daß sie schlecht handelten; sie fürchteten den öffentlichen Tadel, und diese Überzeugung, diese Furcht öffneten dem Schamgefühl die Tür, dem Schamgefühl, das im menschlichen Geist die Demut und Reue erweckt, das Verzeihung erbittet und erlangt und Besserung gewährleistet.

Viele Soldaten und Offiziere entfernten sich aus dem Kreis und wandten sich den verschiedenen Zelten zu, die sich von den andern durch den Schmuck eines Kreuzes unterschieden: sie gingen, um den vom Herzog herbeigerufenen Abgesandten der Gesellschaft Jesu die Beichte abzulegen.

Ein junger Ritter von stattlichem Aussehen hatte soeben auf einer der beiden Schiffbrücken, die die Verbindung zwischen dem Heer auf beiden Ufern des Flusses herstellte, Wache gehalten. Er trug die kleidsame rotgelbe Uniform eines Infanterie-Regimentes und ließ durch das Fehlen der Rüstung erkennen, daß sein Rang der eines Fähnrichs war. Jung, keck und von lockeren Sitten, hatte er sich verschiedene Ermahnungen der Jesuitenmissionare zugezogen, die ihn dadurch gegen sich eingenommen hatten. Er hielt sich trotzdem bei einer Gruppe von Reitern auf, die, auf Holzblöcken stehend, dem Worte Gottes lauschten.

Die Sonne, die für manch einen dieser Helden nicht mehr leuchten sollte, war bereits untergegangen und die Mauern von Mastricht nahmen allmählich das Aussehen einer riesengroßen, schwarzen Fläche an, die sich von der blassen und roten Färbung des Horizonts abhob. Die Protestanten hatten zwei Scheiterhaufen auf der Mauer angezündet, zu beiden Seiten des Muttergottesbildes, das auf dem Mauerkranze zu sehen war. Bei dem rötlichen Feuerschein wurde das heilige Bild, das der abtrünnigen Stadt den Rücken wandte und den Spaniern den göttlichen Sohn zeigte, deutlich sichtbar, als wenn seine Mutter von ihnen den Schutz für den Glauben erflehte, den er am Kreuze so teuer erkauft hatte.

Der Jesuit wandte sich der Mauer zu und zeigte mit dem Finger auf das Bild.

»Habt ihr den Mut, das loszukaufen?« fragte er einfach. »Tut es, und wir werden zu seinen Füßen für die Einnahme von Mastricht danken.«

Als der Fähnrich das hörte, warf er den Panzerhandschuh auf die Erde und rief mit einer Anmaßung, die eher seinem ererbten Hochmut als seiner jugendlichen Keckheit entsprang:

»Niemals will ich wieder kastilischen Boden betreten, wenn dieser Juan Fernandez es nicht für leichter hält, ein Bollwerk zu erstürmen, als eine Absolution zu erteilen! ...«

Diese Worte kamen dem Jesuiten zu Ohren: er stieg mit erhobenem Kruzifix von der Trommel und wandte sich der Gruppe der Reiter zu. Seine kleine Gestalt schien gewachsen, sein demütiger Ausdruck geschwunden zu sein, und beide machten einer imponierenden Haltung Platz, die etwas Übernatürliches hatte.

»Kennt Ihr mich?« rief er dem anmaßenden Fähnrich zu und faßte ihn am Arm.

»Ja,« antwortete dieser verwirrt.

»Wißt Ihr, daß ich ein Priester bin?«

»Ja!«

»So kniet zu meinen Füßen nieder und küßt diese Hand, die in Christi Namen segnet und verzeiht.«

Und während Juan Fernandez dies sagte, klang seine Stimme so niederschmetternd und gewaltig, daß der Ritter, von ihrer Macht überwältigt, langsam sein Haupt entblößte, das Knie beugte und die Hand küßte, die der Jesuit ihm entgegenstreckte.

Alle ringsum verharrten in tiefem Schweigen; der Ritter hatte sich wieder erhoben. Nun warf sich Pater Juan Fernandez zu seinen Füßen nieder und neigte seine Stirn in den Staub.

»Ihr habt dem Diener Gottes Genüge getan. Herr Ritter,« sagte er. »Der Mensch ... der geringe Juan Fernandez ist es nicht wert, daß er Euch die Füße küsse ... tretet ihn, Herr Alvar de Mirabal; tretet ihn, denn Ihr tretet doch nur auf eine Hülle von Elend.«

Der Ritter brach in Schluchzen aus. Der Trommelschläger gab in demselben Augenblick das zweite Zeichen, der Kreis löste sich und langsam gingen die Soldaten in ihre Zelte zurück.

Zwei Stunden darauf herrschte im Lager tiefes Schweigen, das nur zuweilen durch die Rufe der Wachtposten unterbrochen wurde. Darauf trat ein Mann, in einen langen, schwarzen Mantel gehüllt, aus dem Zelt des Paters Juan Fernandez; es war der Fähnrich Alvar de Mirabal, der dem Jesuiten gebeichtet und dann auf seinen Knien geschworen hatte, entweder bei der Bestürmung zu fallen oder das von den Protestanten entweihte Bild der Mutter Gottes zu befreien.

Die feindliche Artillerie war früher an der Arbeit als die der katholischen. Kaum graute der Morgen, als eine von dem St.-Peters-Tor abgeschossene Kartätsche fünf Soldaten in den Laufgräben schwer verwundete und den Feldwebel Pello Paez leblos niederstreckte; ihm drang die Kartätschenkugel zwischen die Pickelhaube und das Visier und trat am linken Auge wieder heraus. Er war an jenem Tage das erste Opfer, dem eine Menge anderer folgen sollten.

In dem herzoglichen Lager wurde Alarm geblasen und die Krieger eilten in der bereits vorher bestimmten Ordnung auf ihre Posten. Sie hatten sich sechs starke Bastionen in derselben Höhe wie die Verteidiger der Festung erbaut, und darauf achtundvierzig schwere Kanonen verteilt. Sie sollten eine Bresche in das Mittelstück der Mauer schießen, welche das Fort von St. Anton mit dem von St. Peter verband. Eine Mine zog sich von diesen Laufgräben bis zum Grabenrand, lief unterhalb weiter und barg einen enormen Vorrat von Pulver in den unterirdischen Gängen des Tores von San Servasio. Diese Mine sollte gesprengt werden, sobald die Batterien die Mittelmauer durchschlagen haben würden, um so die Aufmerksamkeit der Belagerten zwischen den beiden Breschen zu teilen. Auf das Zeichen der Explosion hin sollten vier Regimenter der spanischen Soldaten durch die Tore von St. Anton und St. Peter, drei wallonische und vier spanische Regimenter durch das Tor von San Servasio angreifen. Der Rest der Truppen sollte außerdem die Ermattung der Feinde abwarten, um auf ein zweites Zeichen denjenigen Teil der Festung zu stürmen, der wegen tieferer Lage und der Trockenheit seiner Gräben leichter mit Sturmleitern genommen werden konnte.

Dort haben die Niederländer das Bild der hl. Jungfrau heruntergeholt und wie zum Hohne auf den schmalen Rand gestellt, der unterhalb der Schießscharten des Festungswerks den Gräben des katholischen Heeres gegenüberlag. Darin stand der Fähnrich Alvar de Mirabal ruhig und schweigsam, ein wenig bleich, und erwartete mit schlecht verhehlter Ungeduld das Zeichen zum Angriff. Er hatte seinen Rundschild abgelegt und das Schwert losgegürtet, trug nur noch zwei Pistolen in seinem Gurt und in der einen Hand einen sogenannten flämischen Springstock. An der Zwinge eines solchen Stockes befindet sich ein großes Stück Holz, welches verhindert, daß man zu tief in den Schlamm einsinkt. Er ist gleichzeitig eine Waffe und ein Gerät, um Pfützen und Gräben zu überspringen.

Die Beschießung der Mauer hatte lange Zeit in Anspruch genommen, denn die Belagerten eilten rasch herbei, um Ausbesserungen vorzunehmen unter der Leitung eines französischen Ingenieurs Sebastian Tapin und des spanischen Überläufers Manzano, eines Deserteurs, der seine Treulosigkeit später teuer bezahlen mußte, da er durch Spießrutenlaufen seinen Tod fand.

Alexander Farnese ritt auf einer kleinen Erhöhung des inneren Lagers auf einem friesischen Pferd, das, den Beginn der Schlacht witternd, sich ungeduldig bäumte; er trug eine vergoldete Rüstung und war umgeben von Don Pedro de Toledo, Carlos von Manzfeldt. Lope de Figuerra und verschiedenen Herren aus dem Lager, die seine Befehle übermittelten und vollzogen. Die Kanonen der Batterien krachten wie das Rollen des Donners; etwa um die Mittagszeit unterschied man im Pulverdampf die auseinanderklaffende Mauer, sah deutlich einen Turm schwanken und sich nach der Seite des Grabens zu neigen. Alexander gab ein Zeichen und Hunderte von Trommeln ertönten zu gleicher Zeit. Darauf herrschte feierliche Stille; die Kanonen verstummten, die Schwerter neigten sich, die Lanzen wurden zur Erde gesenkt, die Fahne, die zwei Welten umfaßte, küßte demütig den Staub, und jene eisengepanzerten Männer, deren Mut stärker war als der Panzer, der sie umhüllte, jene wilden Tiger, die sehnsüchtig darauf warteten, sich auf die Beute stürzen zu können, neigten minutenlang das Knie und erflehten Hilfe vom Herrn der Heerscharen; denn das, sagte Bernhardino von Mendoza, erfordert die Sitte, die die Christen, und besonders die Spanier stets befolgen, bevor sie den Kampf beginnen.

Und wieder gab Alexander ein Zeichen und es ertönte zu gleicher Zeit eine schreckliche Salve und eine entsetzliche Explosion, während die Mauer und das Tor von St. Servatius plötzlich verschwanden wie die Dekorationen in einer Zauberkomödie. Die Mine war gesprengt und der Sturm begann.

Da erblickte man einen Mann, der von den Laufgräben des katholischen Heeres bis zur Batterie der Burg durch die Luft zu fliegen schien; man sah, wie er einen Augenblick am Rande des Abhanges schwankte, auf dem das Bild der heiligen Jungfrau Maria thronte, wie er sich dann einen heftigen Stoß gab und darauf den Springstock fallen ließ, dessen er sich bedient hatte, um jenen gewaltigen Sprung machen zu können.

Er war nun allein, ohne Waffen, unter seinen Füßen ein beträchtlicher Abgrund und über seinem Haupte eine große Zahl von Feinden, die, nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatten, ihre Musketen auf ihn richteten. Der Krieger schwankte keinen Augenblick: er ergriff das Bild, das groß und schwer war, ließ sich von der Höhe der Batterie des Festungswalles herunterfallen und erreichte, das Bild krampfhaft umklammernd, die Gräben des Feldlagers. Dann richtete er sich auf, aus mehreren Wunden blutend, und indem er eine Tartsche ergriff und eine Partisane schwang, die er hier verlassen liegen sah, rief er mit donnernder Stimme den Soldaten, die sich wie eine fürchterliche Lawine gegen die Mauern von Mastricht wälzten, ein lautes »Santiago! Jungfrau Maria!« zu.

Inzwischen kämpften die Belagerer und die Belagerten an beiden Breschen mit gleichem Mut und gleicher Erbitterung. In der Bresche der Mauer wurde der furchtbare Ansturm der Wallonen, die das Vordertreffen bildeten, durch eine ungemein starke Schutzwehr aus Ketten, zugespitzten Balken, die wie durch Zauber erstanden waren, und einen mit Nägeln und Eisenstücken gefüllten Vorgraben aufgehalten. Endlich wurden sie nach einem großen Gemetzel auf beiden Seiten mit Unterstützung der vier im Rücken angreifenden Regimenter genommen, und es begann ein Kampf auf der Mauerbrüstung, Mann gegen Mann.

An der Mauerbresche des St.-Servatius-Tores hatte sich ein harter Kampf entsponnen; die Verteidiger kamen hurtig herbei, um die Bresche auszufüllen, unterstützt von dreitausend Frauen, die, in drei Kolonnen geteilt, Holz und Erde herbeischleppten und auf die Deutschen und die schwarzen Reiter Feuerbrände, Steine und kochendes Wasser schleuderten. Diese ihrerseits füllten den Graben mit Faschinen. Erde und Schutt, der von dem Einsturz des Tores heruntergestoßen war, und bereiteten sich einen Weg zum Angriff. Es gab viel Gefallene auf beiden Seiten, ohne daß einer von beiden zurückwich, die Leichname türmten sich vor der Mauerbresche auf, die den katholischen Soldaten den Zutritt erschwerte und den Protestanten die Verteidigung erleichterte.

Der Herzog von Parma befahl darauf dem Rest des Heeres, durch das Tor der Zitadelle anzugreifen; wütend fielen 1500 Mann von der Vorhut darüber her, und es gelang ihnen, den Graben zu nehmen, bevor die Belagerten auch nur einen einzigen Schuß abgegeben konnten. Schon legten die Katholiken Leitern an. Viele erkletterten die Mauer und einem Rittmeister der schwarzen Reiter gelang es sogar, eine blaue Fahne mit dem Christusbilde darauf zu befestigen, ähnlich der, welche Pius V. dem Don Juan d'Austria während der Schlacht von Lepanto gesandt hatte. Zu derselben Zeit wurden diejenigen, die an den beiden Mauerbreschen kämpften, durch den Ruf ermutigt: »Sieg! Santiago! Gewonnen ist das Burgtor!«

Da ertönte eine entsetzliche Explosion, stärker als das Krachen von hundert Donnerschlägen, und durch die Luft flogen Menschen, Steine, Waffen, Leitern, Erde, menschliche Glieder, alles in wirrem Durcheinander, und fielen schwer in die Gräben in einer Wolke von Rauch und Staub, die das ganze so schreckliche Schauspiel in schauerliche Dunkelheit hüllte. Die Verteidiger hatten eine Mine, die heimlich unterhalb des Burgtores ohne eine andere Hilfe als die der dreitausend Frauen gelegt war, gesprengt, und so jene glänzende Vorhut vernichtet, die von den Besten des Heeres gebildet wurde.

Es starben dort Fabio Farnese, ein Neffe des Herzogs von Parma, der Graf von San Georgio, der Marquis Malaspina, der Graf von Mondeglio, ferner fünfundvierzig hervorragende Hauptleute und mehr als zweitausend Soldaten aller Nationen.

Der Sieg war unmöglich geworden und Alexander Farnese befahl an dem Tage die Belagerung aufzugeben.

An demselben Tage besuchte Alexander die Quartiere, sprach den Soldaten Mut zu, tröstete die Verwundeten und teilte eine Menge Unterstützungsgelder mit jener Freigebigkeit und Freundlichkeit aus, die er von seinem Vorfahren, Onkel und geliebten Freund Don Juan d'Austria geerbt zu haben schien. In einem versteckten Winkel des spanischen Lagers hatten die Soldaten das von Mirabal gerettete Bild der heiligen Jungfrau Maria auf eine Lafette gestellt, die sie mit einer von den Niederländern eroberten Fahne bedeckt hatten. Alexander fragte, was das bedeute, und darauf erzählte man ihm die Heldentat des Fähnrichs und die Szene, die sich am Abend vorher mit Pater Juan Fernandez abgespielt hatte.

»Reicht mir jene Lanze,« sagte der Herzog zu einem Pagen, der hinter einem Reiter herschritt und eine Lanze aus vergoldetem Eisen trug, die zu jener Zeit das Abzeichen der Hauptleute der spanischen Infanterie war. Und sie selbst dem Fähnrich übergebend, sagte er:

»Nehmt Sie hin, Herr Alvar von Mirabal, wer solche Heldentaten vollführt, verdient es wohl ein Regiment zu befehligen.«

Alexander fragte darauf nach dem Pater Juan Fernandez, aber dieser erschien nicht. Alle hatten ihn gesehen, wie er während der Belagerung, unterstützt von den anderen Priestern, in den Augenblicken höchster Gefahr den Verwundeten und Sterbenden beisprang; später sah man ihn dann noch einmal in dem großen Zelt, das in der Mitte des Lagers für die Verwundeten aufgeschlagen war, bei derselben Arbeit, dann aber hatte ihn niemand mehr gesehen. Nur ein alter Soldat erzählte, daß der Jesuit ihn etwa vor einer halben Stunde ganz eingehend ausgefragt hätte über die genaue Lage des Tores der Zitadelle, wo so viel Verwundete ohne jegliche Hilfe schmachteten: darauf sah er ihn, Schmerzens- und Klagerufe ausstoßend, in das Zelt treten. – –

»Seht ihn, seht ihn, – da ist er,« riefen plötzlich viele Stimmen durcheinander.

Und diejenigen, welche etwas höher standen, konnten den Pater Don Fernandez sehen, wie er die Gräben des Lagers durchschritt und ganz allein, ruhig, ohne Furcht, unbewaffnet und mit einem um den Hals hängenden Kruzifix auf den Graben des Burgtores zuschritt. Die Niederländer sahen ihn von der Mauer aus herannahen und schossen auf ihn mit einer kleinen Kanone. Der Jesuit aber schritt kaltblütig weiter, ohne seine Schritte zu beschleunigen oder zu hemmen. Die Verteidiger stießen ein Wutgeschrei aus und die Katholiken sahen ihn mit verhaltenem Atem weiterschreiten, denn sie errieten seine heroische Absicht. Als er an den Graben kam, krachte eine Musketensalve und der Jesuit fiel leblos auf den Rand des Grabens, rollte hinunter und blieb unbeweglich auf einem Leichenhaufen liegen.

Die Schatten der Nacht breiteten nach und nach ihre dunklen Fittiche über jenes Feld des Unheils, und da konnte man sehen, daß die heldenhafte Seele des Jesuiten ihren schwächlichen Körper nicht verlassen hatte; er erhob vorsichtig den Kopf von dem Kopfkissen von Leichen, auf das er sich gelegt hatte, und horchte aufmerksam, ob sich im Lager der Protestanten irgend etwas rege. Allein es war nichts zu hören, dann richtete er sich schleunigst auf und streckte seine durch das stundenlange unbewegliche Liegen erstarrten Glieder. Er hatte sich tot gestellt, um so den Geschossen zu entgehen. Darauf fing er an, im Dunkeln tappend, jene erstarrten Leichname zu befühlen und sagte mit leiser Stimme:

»Mein Bruder, lebst du? ... Ich bin der Pater Fernandez, und komme, um dir die Beichte abzunehmen, damit du deine Seele errettest.«

Oft antwortete niemand, dann wieder bewies ein Seufzen, daß noch Leben in dem Körper sei, der qualvoll litt. Dann schritt der Jesuit nach jener Richtung und wiederholte leise seine Frage: ein zweiter Seufzer antwortete und dann schaffte er in der Dunkelheit die Leichen fort, die die Verwundeten bedrückten, und brachte sein Ohr an die Lippen des Sterbenden, hörte sein Sündenbekenntnis, erteilte ihm Absolution und öffnete ihm die Pforten des Himmels.

So durcheilte er jenen ganzen Graben von einem Ende bis zum anderen und nahm zweiundvierzig Sterbenden die Beichte ab. Nachdem er seine Aufgabe, die zugleich fürchterlich und erhaben war, beendet hatte, kletterte er, bevor der Tag graute, mühsam an dem Rand des Grabens empor und kehrte blutend, mit Staub bedeckt, zum Tode erschöpft und unfähig, das Kruzifix noch länger hoch zu halten, in das Lager zurück.

Die Vorposten an den Gräben empfingen ihn mit Ausrufen der Freude und Begeisterung, die auch dem Herzog von Parma zu Ohren kamen. Dieser stieg in demselben Augenblick zu Pferde, um die Veränderung der Batterien zu besichtigen, welche die zweite Beschießung unternehmen sollten. Er wandte sich um, um den Pater Juan Fernandez persönlich zu empfangen, und sprang von seinem weißen Hengst, als er ihn in einer Gruppe von Offizieren und Soldaten entdeckte, die ihn jubelnd umringten. Alexander Farnese ergriff mit seiner vom Kampfe ermüdeten – jene vom Segen ermüdete Hand und führte sie respektvoll an seine Lippen, dann geleitete er ihn zu seinem eigenen Pferde und sagte zu ihm:

»Steigt auf, Pater Juan Fernandez, und begebt Euch in mein Zelt, dort werdet Ihr alles finden, dessen Ihr bedürft.«

Und zu dem jungen Kapitän Mirabal gewendet fügte er hinzu: »Haltet ihm die Steigbügel, Alvar von Mirabal, und gesteht, daß es dieses Mal eine größere Heldentat war, eine Absolution zu erteilen, als eine Bastei zu erstürmen.«


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