Luis Coloma
Gottes Hand
Luis Coloma

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Gottes Hand.

Digitus Dei est hic.
(Dieses ist ein Fingerzeig Gottes.)
Exodo cap. VIII, v. 19.

I.

In dem kleinen Dorfe herrschte eine gewisse Unruhe: die Männer kamen vor der Zeit und eilig von der Arbeit nach Hause, legten die Werkzeuge ab und eilten scharenweise in die Schenke des Gevatters Mal-Alma. Auch die Frauen eilten herbei, scharten sich zusammen und gingen mit hochaufgerichtetem Kopf, wie witternde Hunde, auf der Suche nach Nachrichten von der Türe der Schenke bis zu dem verfallenen Häuschen von Juan dem Gesichtslosen. Dort war an einem in die Mauer eingelassenen Ringe ein herrliches schwarzes Füllen angebunden, mit einer Trense im Maul, einem Kappzaum mit doppeltem Zügel, einem Sattel, wie ihn die Kuhhirten brauchen, hinten aufgeschnallt, Pistolen im vorderen Halfter und einer zweiläufigen Flinte an der rechten Seite. Eine Schar von Kindern umringte das hübsche Tier, das ungeduldig die Mähne schüttelte und den Fußboden stampfte, als wollte es sich gewaltsam gegen die Fesseln auflehnen, die es seiner Freiheit beraubten. Neben diesem Füllen stand ein anderes starkes Pferd, das weniger schön, knochig und von jener Art war, wie sie in Andalusien die Viehhändler und Gutsinspektoren reiten, das das Geschirr halb ländlich, halb kriegerisch mit Geduld trug und mit seiner Unbeweglichkeit seinem widerspenstigen Nachbarn als Beispiel dienen konnte.

»Lopijillo ist gekommen!« sagten die Männer halb geheimnisvoll, halb furchtsam und erwartungsvoll, und die angsterfüllten Frauen wiederholten diesen Namen und fügten wütend hinzu:

»Der Teufel hole ihn! ... Er sei verflucht! Gibt es denn keinen Blitz, der auf ihn herniederfährt?«

In dem letzten Hause des Dorfes, von den übrigen durch ein Melonenfeld getrennt, lehnte ein dicker, untersetzter Mann mit seinem derben Rücken gegen einen alten, vor die Türe gepflanzten Feigenbaum, um dessen Stamm sich üppiger Wein rankte, mit jenem spielenden Vertrauen, mit dem ein Kind die Arme um den Hals des Großvaters schlingt. Er schlug mechanisch mit einem dünnen Steckchen auf die Gamaschen aus derber Wolle, als wollte er den Staub herausklopfen, in Wirklichkeit aber, um die schlechte Laune zu verbergen, die sich auf seinen gütigen, fast einfältigen Zügen widerzuspiegeln begann. Auf der Türschwelle stand eine Frau mit heiteren Gesichtszügen und lebhaften Augen. Sie hatte einen Männerhut unter dem Arm und strickte mit einer gewissen fieberhaften Tätigkeit, die deutlich ihre Erregung verriet.

»Ich sage dir, du wirst nicht gehen, Juan Antonio!« erklärte sie gereizt. »Dieser Don Juan, zu dem der Titel »Don« so wenig paßt wie die Bischofsmütze zu dir, und dein Gevatter Mal-Alma werden dich ins Verderben bringen. Was geht dich das alles an, koche doch nicht, was du nicht zu essen brauchst.«

»Was mich das angeht?« fragte Juan Antonio. »Aber sieh', wenn die Reihe an uns kommt, wirst du dich schon darüber freuen, da mir Don Juan die ganze Meierei versprochen hat, an die mein Anwesen grenzt. Und wie schön steht das Getreide! Jede Ähre so dick wie eine Eiche und jedes Korn wie meine Faust. Du wirst sehen, das bringt uns aus der Not, wenn das Messer uns an der Kehle sitzt.«

»Unser Herr Jesus Christus beschütze uns,« rief seine Frau aus. »Denn wenn dieser Don Juan oder Don Mengue es dir versprochen haben, dann geh und mach einen Strich in das Wasser des Brunnens, damit du nicht vergißt, ihn beim Wort zu halten. Denn wenn er auf den Baum geklettert ist, wird er der Leiter einen Fußtritt geben, und hüte dich, daß er nicht aus deiner Haut die Riemen schneidet, mit denen er dich durchhaut.

»So willst du seine göttliche Majestät, die da gesagt hat: im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, Lügen strafen? Gott, was für ein Unsinn!«

»Sieh' Juan, wenn wir Armen nach außen schwitzen, schwitzen die Reichen nach innen. Siehst du denn nicht, daß den meisten der Honig wie Gift schmeckt, und daß sie immer den Blick über die Achseln werfen, weil sie für ihr Hab und Gut fürchten. Und wozu gibt es denn Arme und Reiche, wenn nicht, damit sie sich gegenseitig dazu verhelfen, in den Himmel zu kommen. Die Reichen bezahlen den Eingang mit ihren Almosen, und die Armen mit ihrer Geduld, und wenn irgend ein großer Herr ein Herz von Stein hat, mag er das selbst verantworten, denn es gibt einen Gott, einen Tod, ein Gericht, eine Hölle und eine Seligkeit. Also, Juan, bei den Kreuzesnägeln Christi, geh' du nicht in das Haus dieses Don Juan, wo mir all meine Sünden einfallen, wo sie dir den Kopf mit Dummheiten und das Herz mit Galle füllen. Denke daran, daß du eine Taube warst, als du noch keine andern Reden hörtest als die des Herrn Pfarrei!«

»Ich habe dir ja schon gesagt, daß ich zu gehen versprochen habe, Catalina; den Stier faßt man bei seinen Hörnern und den Menschen bei seinen Worten.«

»Aber wenn das Wort so ist, daß es dir selbst den Strick um den Hals dreht! Wenn dieses Wort ...«

Das übrige erstarb auf Catalinas Lippen, als sie an der Ecke des Hauses ein breiten, plattes Gesicht, dem eines Jagdhundes ähnlich, erscheinen sah, beschattet von buschigem, halb ergrautem Haar, das seine schmale Stirn bedeckte. Der Herangekommene richtete seine schielenden Augen auf die Gruppe, die die Männer und Frauen bildeten, und sagte mit schriller, scharfer Stimme wie die Trompete einer verstimmten Orgel:

»Gevatter! Laßt uns gehen, es ist Zeit.«

Catalina stellte sich mit einem Sprung vor ihren Gatten und sagte entschlossen:

»Dieser kommt mir heute nicht fort, Gevatter Mal-Alma: und nun könnt Ihr wieder gehen, woher Ihr gekommen seid.«

Mal-Alma machte zwei Schritte vorwärts, kreuzte die Arme auf den Rücken und sagte ganz ruhig:

»Donnerwetter, wie rasch Eure Zunge geht, Gevatterin.«

Und indem er auf Juan Antonio zutrat, der unentschlossen seine Gerte in der Hand hielt, setzte er mit der Sicherheit des Schützen hinzu, der den schwachen Punkt zu treffen weiß:

»Ihr werdet Euch doch nicht von einer Frau einschüchtern lassen, Gevatter! Seid Ihr aber feig!«

»Ich?« rief Antonio stolz aus, der es wie alle schwachen Menschen nicht vertragen konnte, wenn man auf ihre Schwäche anspielt; und indem er Catalina seinen Bolero aus der Hand riß, den diese zurückzuhalten suchte, wandte er sich, ohne ein Wort zu sprechen, dem Dorfe zu.

Der arglistige Mal-Alma folgte ihm auf den Fersen und sagte mit Nachdruck zu der guten Frau:

»Wenn Ihr fürchtet, daß Euer Mann verloren geht, kann ich Euch ja eine Empfangsbestätigung ausstellen, Gevatterin.«

»Ich wünschte nur, daß Ihr Euch nicht mehr hier sehen ließet mit Eurem verräterischen Judasgesicht.« erklärte Catalina wütend.

Mal-Alma lächelte sarkastisch und entfernte sich singend:

Vierhundert Weiber,
Sechshundert Papageien
Machen ein Spektakel
Wie tausend Teufel.

Dieser Refrain brachte Catalina vollends in Harnisch, so daß sie die Türe so heftig zuschlug, daß sich die Katze erschreckt auf das Dach flüchtete, und die Hühner gackernd auseinanderliefen. Der Hahn redete sie auf lateinisch mit einem langegzogenen proptera quoooor an, und indem er zwei Schritte vorwärts machte, blieb er stehen, das eine Bein hochgezogen und mit vorgestrecktem Halse, verrenktem Kopf und glänzenden Augen und sagte: »Caveant consules.«

II.

Die Nacht brach herein und eine Schar phantastischer Schatten fing an durch das Dorf zu huschen; die Pfarrkinder kamen eines nach dem andern aus der Schenke des Gevatters Mal-Alma, wie die Fledermaus aus ihren schmutzigen Nestern, und verschwanden rasch in dem schwarzen Eingang des Hauses des Don Juan des Gesichtslosen, als fürchteten sie einem Spion zu begegnen. Es waren etwa 50 Männer vereint, in einem engen niedrigen Raum, der erweitert wurde durch eine abgerissene Verkleidung, die ihn vom Pferdestall trennte, und hier, zwischen den Ausdünstungen von Nahrungsmitteln, Zigarrendampf und der Stickluft des in den Ecken faulenden Düngers, zwischen der Furcht vor großen Gefahren und der Hoffnung auf große Ereignisse, bereiteten sie sich vor, Lopijillo, den berühmten Demagogen der Stadt, zu empfangen, den ihnen Don Juan der Gesichtslose, der Hilfsdemagoge des Dorfes, vorstellen sollte.

Wichtige Gerüchte gingen um. Es hieß, die Stunde zum entscheidenden Schlag wäre gekommen, Lopijillo führe in seinem Reisesack den Befehl der sozialen Auflösung mit sich und diese Nacht wäre die letzte, in der die Reichen ruhig in ihren Palästen schlafen würden. Der Gevatter Mal-Alma, der Ganymed jener versammelten Väter, hatte inzwischen einen Krug Wein die Runde machen lassen, der die Begeisterung wach hielt, die Angst verscheuchte, die Hoffnung neu belebte und die Beredsamkeit erhöhte.

Fecundi calices quem non fecere disertum.
(Wen haben volle Kelche nicht beredt gemacht?)

Darauf trat durch die Öffnung einer Krippe, die mit dem Hause verbunden war, ein Mann, der kaum den Eindruck eines Menschen machte. Ein Schlapphut mit riesenbreiter Krempe, der bis auf die Augenbrauen herunterhing, bedeckte seine Stirn: darunter eine große Brille mit grünen Gläsern und das Ganze umrahmt von einem schwarzen, struppigen, ungepflegten Bart, aus dem eine breite Stumpfnase hervorlugte, die etwa wie eine Grabschrift das Folgende besagte: »Hier ruht ein Gesicht.« Das war der berühmte Demagoge, der in der Stadt der »Unbekannte« genannt wurde und im Dorfe noch bekannter war unter dem Namen »der Gesichtslose«, weil von einem Gesicht nichts zu sehen war. Er kleidete sich stets bei jedem Wetter in einen übergroßen Mantel, in dessen tiefen Taschen er mechanisch die Hände vergrub, wenn ihm im Eifer jener improvisierten Reden das Wort fehlte, als habe er hier eine Sammlung guter Gedanken verborgen; er pflegte sie dann in fieberhafter Hast wieder herauszuziehen, ohne den flüchtigen Gedanken erhaschen zu können, fand dafür aber endlich jenen derben Fluch, den er ungeschminkt herausbrachte, um seine Periode abzurunden und der Phrase mehr Nachdruck zu verleihen. Hinter ihm trat Lopijillo, der Demagoge aus der Stadt, eine wichtige Persönlichkeit, mit der wir an anderer Stelle unsere Leser bekannt machen werden, in dem Glanze seines revolutionären Ruhmes ein: hinter ihnen eine dritte Persönlichkeit mit Gamaschen und einer Kutscherjoppe: Lopijillos Sekretär, der ein Banner aus feuerroter Leinwand aufpflanzte.

Diese drei betraten ein schwankendes Podium, das an der Hinterwand des Klubstalles errichtet war, und im tiefsten Schweigen, das ringsum herrschte, ergriff Lopijillo das Wort und improvisierte eine Rede, die er aus der »Guillotine« – »dem Organ der oberen Zehntausend« – auswendig gelernt hatte. »Der große Moment wäre gekommen. Die Stunde der Gerechtigkeit hätte für die Proletarier und für die Mächtigen geschlagen und die Rollen würden jetzt vertauscht werden. Mit der flammenden Fackel der Zivilisation in der Hand, wäre er (Lopijillo) durch Städte und Dörfer gezogen und hätte sich für das Wohl der Proletarier geopfert; Hunger, Kälte, schlechte Behandlung und alle die Qualen, welche Tyrannei und Inquisition sich ausdenken, um den edlen Kämpen der Volksrechte zu unterdrücken, hätte er erduldet. Aber er würde noch mehr erdulden; noch sei sein Opferdurst nicht gelöscht. Es wäre der Moment gekommen, da das ganze Spanien mit einem Schrei die Bundesrepublik verkünden werde und er bereit wäre, sich von neuem zu opfern und die Kandidatur anzunehmen, wenn es ihnen beliebte, ihn zum Deputierten zu wählen. Dort stende das rote Banner, das er ihnen mit Todesverachtung zu überliefern gekommen war. denn sobald es einmal in Spanien aufgepflanzt wäre, würde man unweigerlich zur Verteilung der Güter schreiten. Die gewalttätigen Reichen hätten jetzt genug genossen. Er hingegen verlange für sich nichts: ihm genüge ein klarer Himmel, ein sanftes, fließendes Bächlein, eine grüne Matte und das Schauspiel der Menschheit, die sich im Schatten seiner phrygischen Mütze umarme.

Ein Sturm von Zurufen, Applaus, Brüllen und Füßetrampeln erhob sich in dem Klubstall und beschwor die Schatten jener verständigen Maultierhengste, ihrer ursprünglichen Bewohner, herauf, unter deren Wiehern und Hufschlägen jene Mauern so oft erzittert waren. Jene kriegerischen Zurufe, die ein wenig an die Thermopylen erinnerten, übertönten die Stimme Lopijillos. Er wollte fortfahren und konnte nicht: der Taumel der Begeisterung verwirrte ihn, und die stummen Zornesausbrüche der römischen und griechischen Redner zogen an seinem geistigen Auge vorüber. Mark Anton, der die Toga seines Freundes zerreißt, um dem Senat die Wunden zu zeigen, die er bei der Verteidigung des Vaterlandes erhielt. Perikles, wie er Aspasia im Areopag von Athen umarmte, waren verstummt. So umarmte auch er schweigend das Banner aus roter Leinwand und blieb unbeweglich wie Klopstocks Helden stumm in dem Gedanken an seine Unsterblichkeit, in jene roten Falten gehüllt einem gerupften Huhn in einer Tomatensauce gleichend.

Darauf trat Juan der Gesichtslose vor: er wollte sprechen und schlug mit derbem Schlag auf den schwankenden Tisch. Die heilige Begeisterung leuchtete aus seinen Augen, so daß seine grünen Brillengläser zwei venetianischen Fackeln glichen, mit einer Stimme, die sowohl aus seiner Nase wie aus seinen Brillengläsern, oder seinem Busch von Borsten zu kommen schien, die seinen Mund wie Spinnweben den Eingang einer Höhle bedeckten. Er rief:

»Bürger! Gekommen ist die Stunde – die Stunde ist gekommen: – bereits ist die Stunde gekommen! – Ich sage nichts. – Nichts sage ich! Ich sage gar nichts! ... Denn es sprach jener flammende Zivilisator... jener flammende Zivilisator hat gesprochen... und mit ihm verglichen bin ich ... ich bin mit ihm vergleichen ... ein, ein –«

Und dabei vergrub Don Juan seine beiden Hände in die Taschen auf der Suche nach dem Wort, das ihm entfallen war. zog sie wieder heraus, steckte sie wieder hinein, und als er endlich einen jener energischen Ausrufe gefunden, mit denen er seine Rede ausschmückte, schleuderte er ihn laut brüllend heraus.

Das Publikum war überzeugt. Die Begeisterung überschritt alle Grenzen, und nachdem Lopijillo sich wieder erholt hatte, sah er sich gezwungen, mit einer helltönenden großen Kuhglocke Schweigen zu gebieten. Die Ruhe war wiederhergestellt, Lopijillo legte den Plan dar, der für den allgemeinen Aufstand aller guten Patrioten den nächsten Morgen festsetzte. Er erteilte den Anwesenden den Rat. sich des Rathauses zu bemächtigen, Bürgermeister und Räte abzusetzen und an ihrer Stelle durch Abstimmung andere zu ernennen. Nun wurde die Stunde festgesetzt, zu der sie alle auf dem Marktplatz zusammenkommen sollten, es wurde bestimmt, daß sie so viel Flinten mitbringen sollten, als sie auftreiben konnten, und Lopijillo hob die Sitzung auf, um, wie er sagte, in die Stadt zurückzukehren, noch bevor jener Tag des ruhmreichen und bundesgenössischen Glückes anbrechen würde. Der Demokrat wußte sehr wohl, daß der Sturm, sobald der Wind sich einmal erhoben hat, sich ganz von selbst entwickelt.

Als Lopijillo sich verabschiedete, hatte die Begeisterung den Sieg über die Klugheit davongetragen. Sie alle begleiteten den berühmten Anführer truppweise bis zum Ausgang des Dorfes. Vor dem Hause Juan Antonios bestieg Lopijillos endlich mit tausend Vorsichtsmaßregeln sein kostbar aufgezäumtes Fohlen, das er drei Tage vorher auf einem großen Gute gestohlen hatte. Er bezwang das ungebändigte Tier, versuchte mit großer Mühe des Rosses Ungestüm zu zügeln und brachte als letzten Abschiedsgruß ein Hoch auf die Freiheit aus.

Eine weibliche Stimme, scharf wie ein Messer, beantwortete diesen Ruf aus dem Hause Juan Antonius, und in der Stille der Nacht konnte man ganz deutlich alle Abstufungen der Ironie und der Wut wahrnehmen.

»Alter Schwätzer! Wenn die Freiheit leben soll, dann gib nur erst dem Fohlen die Zügel frei!«

III.

Endlich rückte der ersehnte Tag heran und schon am frühen Morgen scharte sich die Gesellschaft vom Abend vorher rings um das Rathaus und ließ durch unruhige Blicke aus ihren besorgten Gesichtern und geflüsterten Gesprächen jene Erregung erkennen, die das Herz des Menschen befällt, sobald man ein Unternehmen wagt, bei dem man alles auf eine Karte setzt. Gevatter Mal-Alma, der Mephistopheles jener armen Tröpfe, lief, das Feuer schürend, von Hof zu Hof, machte hier glänzende Versprechungen, äußerte da prahlerische Drohungen und dort possenreißerische Gotteslästerungen.

Endlich schlug die Kirchenuhr zwölf und zum Erstaunen aller, die nicht in das Geheimnis eingeweiht waren, hörte man plötzlich an Stelle des Angelusläutens ein schrilles Geläut, das an allen Enden des Dorfes Schrecken und Verwirrung hervorrief. Zu derselben Zeit erschien auf der Höhe des Turmes, wie aus einer Schachtel, aus der bei der Berührung der Feder ein Hanswurst hervorspringt, das struppige Gesicht Don Juans des Gesichtslosen, der, eine rote Fahne schwingend, sie neben der Wetterfahne aufpflanzte und mit der ganzen Kraft seiner Lunge schrie:

»Es lebe die Bundesrepublik.«

Diesen Schrei wiederholten alle Anwesenden auf dem Platze. Aber schon nicht mehr in jener grotesken Weise, wie es am Abend vorher im Klubstall Don Juans erklungen war: auf das Komische war das Tragische gefolgt und die tausend gewaltigen Leidenschaften, die in der Brust des Menschen miteinander kämpfen, bevor er sein Leben aufs Spiel setzt, spiegelten sich schon auf jenen rohen Gesichtern wider und verscheuchten alles Lächerliche, um dem Entsetzen Platz zu machen. Zorn, Wut, Schrecken, Zittern und die entsetzliche Angst, die allen Kämpfen und allen Verbrechen vorangeht, prägten sich auf den Gesichtern aus; und dann beim ersten Schrei und dem ersten Pulverdampf bricht die Raserei völlig aus, um in ihrem ganzen Schrecken jene Wut ausbrechen zu lassen, die den Menschen in einen Blutsumpf stürzt, und ihn, wenn er sich darin die Hände färbt, die düstere Wollust der Grausamkeit und Rache auskosten läßt. Denn die schwarze Hand der Reaktion, wie Lopijillo sagte, hatte auch ihrerseits Maßregeln getroffen und kaum war der aufrührerische Schrei Don Juans des Gesichtlosen von der Höhe des Turmes erklungen, als an den Fenstern des Rathauses die schrecklichen Dreispitze der verschiedenen Zivilgarden erschienen, die die drohenden Mündungen ihrer zweiläufigen Karabiner auf die Menge richteten.

»Aus dem Wege!« schrie der Anführer.

Und eine geschlossene Salve erstickte diesen Schrei des Aufruhrs zwischen Krachen der Gewehre und dem Wutgeheul der Menge. Die Zivilgarde gab darauf Feuer und jene ewige Tragödie begann, die sich in der Welt abspielt, seitdem Kain seine Hände mit Abels Blut befleckt hatte.

Hier kämpften Bruder gegen Bruder, jener nur darauf bedacht, ein Blut zu vergießen, das nur Gewissensbisse zu zeitigen vermochte, indem sie sich, gleich den Beduinen in der Wüste den dünnen Faden trüben Wassers, der durch den Sand sickert, streitig machen, ohne sich der Quelle von Lebenswasser zu erinnern, welche in dem Lustgarten des Himmels sprudelt, der einzigen, die den Durst des menschlichen Herzens zu stillen vermag! Nur einen Zuschauer hatte jenes Drama; denselben, der jenen Unglücklichen die Waffe in die Hand gedrückt hatte und dann im Augenblick verschwand, um in der Stunde des Triumphes von neuem zu erscheinen, wie ein elender Marodeur, der sich nicht früher auf dem Schlachtfelde zeigt, bis er auf den Leichenraub zu rechnen hat. Hier hatte sich Don Juan der Gesichtslose auf die höchste Spitze des Turmes geflüchtet, und trotz des Schutzes in den dicken Mauern, den Ausgang des Kampfes erwartend, noch alle Qualen der Feigheit empfunden; und bleich und zitternd in dem Winkel der kleinen Wendeltreppe zusammengekauert, betastete er bei jeder Salve den ganzen Körper, um sich zu vergewissern, daß er noch unverletzt sei, und von seinen Lippen drang stoßweise jenes Gebet, das im Grunde seines Herzens zurückgeblieben, wie einer Riechbüchse, trotzdem sie auf dem Kehrichthaufen gelegen hat, doch noch ein Rest ihres alten Duftes anhaftet.

Inzwischen nahm das Feuer auf dem Kampfplatz kein Ende und schon entfachte der Anblick des vergossenen Blutes die Wut der Raubtiere in Menschengestalt; entfesselte die grenzenlose Wildheit einen Sturm von Gotteslästerung und groben Worten, mit denen die Zungen zur selben Zeit kämpften wie die Hände mit den Waffen. Da wurden plötzlich aus einer der anstoßenden Straßen Kirchengesänge vernommen, die mit wirrem Geschrei durchsetzt waren, und zwischen dem Kampfeslärm, dem Pulverdampf und dem Entsetzen der Kämpfenden bewegte sich eine große Schar weinender und erregter Frauen, die mit brennenden Kerzen in den Händen das Standbild Jesu von Nazareth, des Schutzheiligen des Dorfes, umgaben. Sechs jener Unglücklichen trugen es auf ihren Schultern. Der Heiland stand da, die Dornenkrone auf der majestätischen Stirne, das schöne Antlitz leichenblaß, die ernsten Augen auf die brudermörderischen Kämpfer gerichtet, als wollte von seinen blutleeren Lippen die schreckliche Frage kommen:

»Kain, Kain, – was hast du mit deinem Bruder gemacht?«

Wie erstarrt blieben alle bei diesem unerwarteten Anblick stehen, und während sie mit der einen Hand die Flinten senkten, entblößten sie mit der anderen mechanisch das Haupt, und aus ihren Augen, aus denen kurz vorher noch die Kampfeswut sprühte, drangen die Tränen der Zärtlichkeit. Die weinende Gruppe, die den Herrn umgab, erinnerte lebhaft an die, welche damals die Frauen von Jerusalem bildeten, und unter denen dieser seine Mutter, jener seine Gattin oder die geliebte Tochter seines Herzens erkannte.

Es fehlte nur ein Funke, der die Begeisterung und die Reue in den irregeleiteten Männern entfachte, die als Schuldige vor dem Bilde Jesu zitterten, der ihnen als Richter erschien.

Die gotteslästerliche Bosheit des Gevatters Mal-Alma entzündete diesen Funken: man sah, wie dieser Besessene die Flinte mit dämonischem Lächeln anlegte, auf das Bild zielte, einen Schuß abgab und wie der Blitz in einer angrenzenden Gasse verschwand! Jene gotteslästerliche Kugel traf das Herz des Herrn ... traf dasselbe Herz, das unter den Qualen eines schmachvollen Todes jene Worte gesprochen hat:

»Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«

Darauf erfolgte etwas, was nur schwer schildern läßt: ein tausendfacher Schrei des Entsetzens, der Begeisterung, der Liebe und Furcht, ein Angstschrei, der die Luft zerriß, ertönte gleichzeitig von allen Seiten. Die Männer warfen die Flinten fort und die Frauen die Kerzen, und alle stürmten auf das geheiligte Bild, umarmten es, streckten die Hände danach aus und wollten es alle zugleich umarmen, als wenn jenes göttliche Bild wirkliches Leben atmete, als fürchteten sie, durch jene Kugel den Heiland der Menschheit von neuem hier vor ihren Augen sein Leben aushauchen zu sehen. – Darauf öffneten sich die Pforten des Rathauses: und auch seine bewaffneten Verteidiger mischten sich unter die kurz vorher noch feindliche Menge. Und zwischen begeisterten Rufen und Tränen der Liebe begleiteten sie das Bild Jesu von Nazareth bis nach der Klause am Ausgang des Dorfes, von jener erregten Menschenmenge umringt, die wie eine Schar herrenloser Schafe erschien.

Da stürzten zwei Hirten, atemlos und entsetzt, in rasendem Lauf herbei und erzählten, daß sie weiter unten am Wege den Leichnam eines Mannes gesehen hätten. Und jene große Menge, von demselben Vorgefühl getrieben, begab sich sofort dorthin, und erblickte in der Tat am Abhange eines Berges den Leichnam des Gevatters Mal-Alma. Er hatte eine Kugel in der Brust, die sein Herz genau an derselben Stelle durchbohrt hatte wie die Kugel der Flinte das Bild Jesu von Nazareth.

Niemand fragte wer? – wie? – wann? – In dem verhängnisvollen Schweigen, das die Zunge bindet, wenn der Mensch deutlich den Fingerzeig Gottes zu sehen glaubt und durch eine Art innerlicher Erkenntnis sich Rechenschaft ablegt von seiner fürchterlichen Nähe, brach ein Schrei aus allen Herzen:

»Gottes Gerechtigkeit! Gottes Barmherzigkeit! Gottes Hand!«

IV.

Ein bleicher Schatten kam inzwischen hinter dem Kirchturm hervor. Es war weder der Genius der Schlachten, der den Rauch des verbrannten Pulvers einatmen wollte, noch ein Vampir, der die Sterbenden sucht, um ihnen das warme Blut auszusaugen.

Es war Don Juan der Gesichtslose, der verzweifelt nach dem Schweinestall floh, wo Lopijillo und sein Sekretär, anstatt zur Stadt zurückzukehren, versteckt den Ausgang des Wagnisses abwarteten. Hier kam er keuchend, atemlos an; wie der Bote von Marathon schien er erschöpft umzusinken, aber nicht wie einer, der einen Sieg zu verkünden hat.

»Ist alles verloren?« fragten sie ihn.

»Alles, nur nicht das Fell!« antwortete Don Juan und vergrub die Hände in den Taschen.


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