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Aus Miß Halcombe's Tagebuche.

Der Graf kehrte unter die Veranda zurück, ich hörte den Stuhl unter seinem Gewichte knarren, als er seinen Platz wieder einnahm.

»Nun, Percival,« sagte er, »und was bekommst du, falls Glyde stirbt?«

»Wenn sie keine Kinder hinterläßt –«

»Was nicht wahrscheinlich ist?«

»Was im höchsten Grade wahrscheinlich ist –«

»Nun?«

»Nun, dann bekomme ich ihre zwanzigtausend Pfund.«

»Baar ausgezahlt?«

»Baar ausgezahlt.«

Sie schwiegen abermals. Als ihre Stimmen aufhörten, verdunkelte der Schatten der Gräfin nochmals das Rouleau. Anstatt aber vorüber zu gleiten, blieb er diesmal stehen. Ich sah ihre Finger sich um die eine Kante des Rouleaus stehlen und dasselbe zur Seite ziehen. Der Umriß ihres Gesichtes erschien gerade über mir hinter dem Fenster – ich verhielt mich ganz ruhig, vom Kopf bis zu den Füßen in meinen schwarzen Mantel gehüllt. Der Regen, welcher mich durchnäßte, schlug an das Fenster und verwehrte ihr die Aussicht. »Noch mehr Regen!« hörte ich sie zu sich selbst sprechen. Dann ließ sie das Rouleau wieder fallen, und ich athmete freier.

Unten wurde die Unterhaltung vom Grafen wieder aufgenommen.

»Percival! hältst du viel von deiner Frau?«

»Fosco! Die Frage scheint mir sehr offen.«

»Ich bin ein offener Mann und wiederhole sie.«

»Was, zum Henker, siehst du mich so an?«

»Du willst mir nicht antworten? Nun denn, wir wollen annehmen, deine Frau stürbe, ehe der Sommer vorüber ist –«

»Laß das, Fosco!«

»Nehmen wir an, deine Frau stürbe –«

»Laß das, sage ich dir!«

»In dem Falle würdest du zwanzigtausend Pfund gewinnen; und verlieren würdest du –«

»Die Aussicht auf dreitausend Pfund jährliche Renten.«

»Die entfernteAussicht, Percival – nur die entfernte Aussicht. Und du brauchst sofort Geld. Der Gewinn ist in deiner Lage gewiß – der Verlust zweifelhaft.«

»Sprich für dich sowohl, als für mich. Ein Theil des Geldes, das ich brauche, wurde für dich geborgt. Und wenn du doch von Gewinn sprichst, so würde der Tod meinerFrau der deinigenZehntausend Pfund in die Tasche spielen. So pfiffig du auch bist, so scheinst du doch bei dieser Gelegenheit das Legat der Gräfin Fosco vergessen zu haben. Sieh' mich nicht so an! Es überläuft mir die Haut wahrhaftig ganz eisig bei deinen Blicken und Reden!«

»Die Haut? Bedeutet Haut etwa im Englischen: Gewissen? Ich spreche von dem Tode deiner Frau, wie von einer Möglichkeit. Und warum wohl nicht? Ich habe es mir heute Abend zur Aufgabe gemacht, mir deine Lage so auseinanderzusetzen, daß ich kein Versehen machen kann, und jetzt bin ich damit zu Ende. Dies ist deine Lage: falls deine Frau am Leben bleibt, so bezahlst du jene Wechsel mit ihrer Unterschrift. Stirbt sie, so bezahlst du sie mit ihrem Tode.«

Während er sprach, erlosch das Licht im Zimmer der Gräfin, und die ganze zweite Etage des Hauses lag jetzt in Dunkelheit da.

»Wie du faselst!« brummte Sir Percival; »wenn man dich anhört, sollte man denken, daß wir die Unterschrift meiner Frau bereits in der Tasche hätten.«

»Du hast die Sache in meine Hände gegeben,« entgegnete der Graf; »ich habe mehr als zwei Monate vor mir. Sobald die Wechsel fällig werden, wirst du sehen, ob mein ›Faseln‹ zu etwas nütze ist oder nicht. Und jetzt, Percival, da die Geldgeschäfte für heute Abend abgemacht sind, stelle ich dir meine Aufmerksamkeit zu Diensten, falls du mich über jene zweite Schwierigkeit zu Rathe zu ziehen wünschest, die sich in unsere kleinen Verlegenheiten gemischt und dich seit Kurzem so ungünstig verändert hat. Sprich, mein Freund.«

»Es ist Alles ganz gut, wenn du sagst: sprich,« erwiderte Sir Percival in einem weit ruhigeren und höflicheren Tone, als er sich noch bisher anzuschlagen bequemt; »aber es ist nicht so leicht zu wissen, wie man anfängt.«

»Soll ich dir helfen?« sagte der Graf. »Soll ich dieser deiner Privatverlegenheit einen Namen geben? Wie wär's, wenn ich sie – Anna Catherick nennte?«

»Sieh' her, Fosco, wir beide kennen einander seit langer Zeit; und wenn du mir schon ehedem ein paar Mal aus der Klemme geholfen hast, so habe ich meinerseits mein Möglichstes gethan, um dir Gegendienste zu leisten, soweit Geld mich dazu in Stand setzte. Wir haben einander gegenseitige Freundschaftsdienste geleistet; aber wir haben natürlich auch unsere Geheimnisse vor einander gehabt – wie?«

»Du hast allerdings ein Geheimnis vor mirgehabt, Percival. Du hast hier in Plackwater Park so ein Skelet im Schranke, das während dieser letzten paar Tage schon Anderen, außer dir, in's Gesicht gesehen hat. Glyde, laß uns offen gegeneinander sein. Dies dein Geheimnis hat mich aufgesucht, anstatt daß ich es aufgesucht hätte. Sage mir mit einfachen Worten, ob du meiner Hilfe bedarfst?«

»Ja, und zwar sehr.«

»Und du kannst sie von mir fordern, ohne dich und dein Geheimnis bloßzustellen?«

»Ich kann es wenigstens versuchen.«

»Versuche es also.«

»Nun, die Sache steht so; ich sagte dir heute, daß ich mein Möglichstes gethan, um Anna Catherick zu finden, und daß es mir nicht gelungen. Fosco! ich bin verloren, wenn ich sie nicht finde.«

»Ha! Ist die Sache so ernsthaft?«

Ein kleiner Lichtstrom kam unter die Veranda und fiel auf den Kiespfad. Der Graf hatte die Lampe aus dem Innern des Zimmers geholt, um das Gesicht seines Freundes deutlicher zu sehen.

»Ja!« sagte er. »Diesmal spricht deinGesicht die Wahrheit. Sehr ernsthaft – fast ebenso ernsthaft wie die Geldverlegenheit.«

»Weit ernsthafter! weit ernsthafter!«

Das Licht verschwand wieder, und die Unterhaltung wurde fortgesetzt.

»Ich zeigte dir doch den Brief an meine Frau, den Anna Catberick für sie im Sande versteckte,« fuhr Sir Percival fort; »in dem Briefe prahlt sie nicht, Fosco, sie kennt das Geheimnis!«

»Sage in meiner Gegenwart so wenig wie möglich von dem Geheimnisse, Percival. Weiß sie es durch dich?«

»Nein, durch ihre Mutter.«

»Zwei Weiber im Besitze deines Geheimnisses – schlimm, schlimm, schlimm guter Freund! Erlaube mir hier eine Frage, ehe wir weiter gehen. Dein Beweggrund, indem du die Tochter ins Irrenhaus sperrtest, ist mir jetzt klar genug, aber die Art und Weise ihrer Flucht ist mir nicht ganz so klar. Hast du die Leute, deren Sorgfalt sie übergeben war, im Verdacht, auf Ersuchen irgend eines Feindes, der sie dafür bezahlen konnte, absichtlich die Augen geschlossen zu haben?«

»Nein, sie war die folgsamste und ruhigste aller Patientinnen der Anstalt und man war dumm genug, ihr zu trauen. Sie ist gerade wahnsinnig genug, um eingesperrt werden zu können, und gerade vernünftig genug, um mich zu verderben, wenn sie in Freiheit ist.«

»Nun, Percival, komm' gleich zur Sache und dann werde ich wissen, was ich zu thun habe. Wo steckt augenblicklich die Gefahr deiner Lage?«

»Anna Catherick ist in der Nachbarschaft und in Verbindung mit Lady Glyde, das ist die Gefahr, und mir scheint sie klar genug. Wer kann wohl den Brief lesen, den sie im Sande versteckte, und nicht daraus sehen, daß meine Frau im Besitz des Geheimnisses ist, wie sehr sie es auch leugnen mag?«

»Einen Augenblick, Percival. Falls Lady Glyde wirklich das Geheimnis kennt, so muß sie zugleich wissen, daß es ein compromittirendes für dich ist. Als deine Frau, liegt es doch natürlich in ihrem Interesse, es zu bewahren?«

»So? meinst du? Es läge vielleicht in ihrem Interesse, wenn sie sich einen Pfifferling um mich scherte. Aber ich bin zufälligerweise einem anderen Manne im Wege. – Sie war in ihn verliebt, ehe sie mich heiratete, sie ist noch jetzt in ihn verliebt, ein verdammter Vagabund von einem Zeichenlehrer – Hartright heißt er.«

»Was ist denn daran so Außerordentliches? Sie sind Alle in einen anderen Mann verliebt. Wer hätte wohl je das Erste von dem Herzen eines Weibes bekommen? Es existirt natürlich, aber begegnet bin ich ihm nie!«

»Warte! ich bin noch nicht zu Ende. Wer, glaubst du wohl, half Anna Catherick den Vorsprung gewinnen, als die Leute aus dem Irrenhause hinter ihr her waren? – Hartright. Wer, glaubst du wohl, sah sie hernach in Cumberland wieder? – Hartright. Beide Male sprach er allein mit ihr. Der Schuft weiß das Geheimnis und meine Frau weiß es. Laß sie einmal wieder zusammenkommen, so ist es ihr Beider Interesse, ihre Kenntniß desselben als Waffe gegen mich zu richten.«

»Wo ist Mr. Hartright?«

»Außer Landes. Und wenn er eine heile Haut auf seinen Knochen behalten will, so rathe ich ihm, sobald nicht wieder zurückzukommen.«

»Weißt du es gewiß, daß er außer Landes ist?«

»Ganz gewiß. Ich ließ ihn von dem Augenblicke an, wo er Cumberland verließ, bis zu dem, wo er sich einschiffte, beobachten. O, ich bin vorsichtig gewesen! Anna Catherick war zum Besuche bei Leuten, die auf einem Gehöfte nahe bei Limmeridge wohnten. Ich ging selbst zu ihnen, nachdem sie schon wieder entflohen war, und überzeugte mich, daß sie nichts wußten. Ich gab ihrer Mutter einen Brief abzuschreiben und ihn Miß Halcombe zu schicken, in welchem sie mich von jedem schlechten Beweggrunde freisprach, als ich die Tochter unter Aufsicht gestellt hatte. Ich habe schon so viel Geld ausgegeben, um sie aufzufinden, daß ich nicht daran denken mag. Und trotz Allem erscheint sie plötzlich hier und entgeht mir wieder auf meinem eigenen Grund und Boden! Wie kann ich wissen, wen sie noch sonst sehen oder mit wem sie noch sonst sprechen mag? Der Hartright, der spionirende Schuft, kann zurückkommen, ohne daß ich es erfahre, und schon morgen Gebrauch von ihr machen –«

»Nein, Percival, das wird er nicht! Solange ich hier bin und jenes Frauenzimmer in unserer Nachbarschaft, verpflichte ich mich, sie vor Mr. Hartright aufzufinden, selbst wenn er zurückkommen sollte. Ich sehe! ja, ja, ich sehe! Die erste Notwendigkeit ist die, Anna Catherick aufzufinden, um das Uebrige kannst du dich beruhigen. Deine Frau ist hier in deinen Händen. Miß Halcombe ist unzertrennlich von ihr und darum ebenfalls in deinen Händen; und Mr. Hartright ist außer Landes. Diese unsichtbare Anna ist Alles, woran wir für's Erste zu denken haben. Du hast deine Erkundigungen eingezogen?«

»Ja, ich bin bei ihrer Mutter gewesen; ich habe das ganze Dorf durchstöbert, und Alles ohne Erfolg.«

»Kann man sich auf ihre Mutter verlassen?«

»Ja.«

»Sie hat einmaldein Geheimnis verrathen?«

»Sie wird es nicht zum zweiten Male versuchen.«

»Warum nicht? Ist ihr eigenes Interesse damit verbunden, sowohl wie das deinige?«

»Ja, eng damit verknüpft.«

»Es freut mich um deinetwillen, Percival, das zu hören. Laß den Muth nicht sinken, mein Freund. Vielleicht bin ich morgen glücklicher in meinen Nachforschungen nach Anna Catherick, als du heute gewesen bist. Noch eine letzte Frage, ehe wir schlafen gehen.«

»Was ist es?«

»Dies: Als ich nach dem Boothause ging, um Lady Glyde zu benachrichtigen, daß die kleine Schwierigkeit wegen der Unterschrift aufgeschoben sei, führte der Zufall mich zu rechter Zeit hin, um ein fremdes Frauenzimmer auf sehr verdächtige Weise von deiner Frau scheiden zu sehen. Aber der Zufall ließ mich nicht nahe genug heran kommen, um das Gesicht der Fremden deutlich zu unterscheiden. Ich muß wissen, woran ich unsere unsichtbare Anna zu erkennen habe. Wie sieht sie aus?«

»Wie sie aussieht? Nun! das will ich dir mit zwei Worten beschreiben. Sie ist ein krankes Ebenbild meiner Frau.«

Der Stuhl knarrte und der Pfeiler bebte abermals. Der Graf war wieder aufgesprungen – diesmal vor Erstaunen.

»Was!!!« rief er aus.

»Denke dir meine Frau nach einer schweren Krankheit mit einem Anfluge von Geistesverwirrung und du hast Anna Catherick,« antwortete Sir Percival.

»Sind sie miteinander verwandt?«

»Nicht im Geringsten.«

»Und doch einander so ähnlich?«

»Ja. Worüber lachst du?« rief Sir Percival aus.

»Vielleicht über meine eigenen Gedanken, mein bester Freund. Sieh' mir meinen italienischen Humor nach, gehöre ich nicht der berühmten Nation an, welche die Vorstellungen des Polichinell erfand? Schön, schön, schön, ich werde Anna Catherick erkennen, wenn ich sie sehe, und somit genug für heute Abend. Beruhige dich, Percival. Schlafe, mein Sohn, den Schlaf des Gerechten, und sieh, was ich für dich thun werde, wenn das Tageslicht kommt, um uns Beiden zu helfen. Ich habe meine Pläne und Projecte hier in meinem großen Kopfe. Du sollst diese Wechsel bezahlen und Anna Catherick finden, mein heiliges Ehrenwort darauf! Bin ich nun ein Freund, den man im besten Winkel des Herzens tragen sollte, oder nicht? Verdiene ich jene Geldvorschüsse, an die du mich auf so zartfühlende Weise vorhin erinnertest? Ich vergebe dir! Gib mir die Hand. Gute Nacht!«

Kein Wort wurde weiter gesprochen. Ich hörte den Grafen die Thür der Bibliothek schließen und Sir Percival die Eisenstangen vor die Fensterläden legen. Es hatte die ganze Zeit hindurch geregnet. Meine Glieder waren durch die so lange unverändert gebliebene, gezwungene Lage krampfhaft zusammengezogen und durch die Nässe und Kälte wie erstarrt. Als ich zuerst mich zu rühren versuchte, war die Anstrengung so schmerzhaft, daß ich genöthigt war, es aufzugeben. Ich versuchte es zum zweiten Male, und es gelang mir, mich auf dem nassen Dache auf meine Kniee zu erheben.

Als ich an die Wand kroch und mich an derselben aufrichtete, schaute ich zurück und sah, wie sich das Fenster in des Grafen Ankleidezimmer erhellte.

Die Uhr im Thurme schlug das Viertel nach ein Uhr, als ich meine Hände auf die Fensterschwelle meines Zimmers legte. Ich hatte nichts gesehen oder gehört, das mich vermuthen ließ, daß irgend Jemand meinen Ruckzug entdeckt hätte.

 

Den 6. Juli . – Acht Uhr. Die Sonne steht hell an dem klaren Himmel. Ich bin keinen Augenblick im Bette gewesen, habe nicht ein einziges Mal meine müden matten Augen geschlossen.

Wie kurze Zeit und doch wie lang für mich – seit ich in der Finsternis hier zu Boden sank, bis auf die Haut durchnäßt, starr an allen Gliedern, kalt bis in's Mark, ein nutz- und hilfloses, angstergriffenes Geschöpf.

Ich weiß kaum, wann ich wieder zu mir kam. Ich erinnere mich kaum, wann ich mich in mein Schlafzimmer zurückschleppte, ein Licht anzündete und mir trockene Kleider holte, um mich wieder zu erwärmen. Ich erinnere mich wohl, Alles dies gethan zu haben, aber nicht, wann es geschah.

Kann ich mich sogar entsinnen, wann das Gefühl der starren Kälte der glühenden Hitze wich?

Es muß vor Sonnenaufgang gewesen sein, – ja, ich hörte es drei Uhr schlagen. Ich erinnere mich meines Entschlusses, geduldig eins Stunde nach der anderen zu warten, bis sich eine Gelegenheit bieten würde, Laura aus diesem entsetzlichen Orte hinwegzuführen. Ich erinnere mich, wie sich meinem Geiste allmälig die Ueberzeugung aufdrang, daß das, was jene Beiden zusammen gesprochen hatten, uns nicht allein rechtfertigen würde, indem wir das Haus verließen, sondern auch uns mit Waffen der Vertheidigung gegen sie versehen mußte. Ich entsinne mich des Impulses, der mich trieb, ihre Worte, solange meine Zeit noch mir gehörte und sie noch frisch in meinem Gedächtnisse waren, schriftlich und genau so aufzubewahren, wie sie gesprochen wurden. Alles dessen erinnere ich mich noch ganz klar: es ist noch keine Verwirrung in meinem Geiste. Ich erinnere mich deutlich, wie ich vor Sonnenaufgang mit Feder, Tinte und Papier aus meinem Schlafzimmer hier hereintrat – wie ich mich an das weit geöffnete Fenster setzte, um möglichst viel kühle Luft zu fühlen – wie ich unaufhörlich immer schneller und schneller schrieb, immer heißer und heißer glühte – wie klar es alles vor mir ist, vom Anfange beim Lampenlicht bis zum Ende auf der vorhergehenden Seite im hellen Sonnenschein des neuen Tages!

Wozu sitze ich noch immer hier? Wozu ermüde ich meine heißen Augen und meinen glühenden Kopf, indem ich noch immer weiter schreibe? Warum lege ich mich nicht nieder und ruhe aus und suche im Schlafe das Feuer zu löschen, das mich verzehrt?

Eine nie gefühlte Furcht hat mich ergriffen. Ich ängstige mich um diese Gluth, die mir die Haut austrocknet, und um das Klopfen und Hämmern in meinem Kopfe. Wie kann ich wissen, wenn ich mich niederlege, ob ich die Kraft und Besinnung haben werde, wieder aufzustehen?

»O, der Regen, der Regen – der grausame Regen, der mich in der Nacht erstarrte! – – – – – – – – – – – – – Neun Uhr. Schlug es neun soeben oder acht? Neun, gewiß? Ich schaudere wieder – schaudere am ganzen Körper in der Sommerluft. Habe ich hier gesessen und geschlafen? Ich weiß nicht, was ich gemacht habe.

O, mein Gott! werde ich krank?

Krank, zu einer solchen Zeit!

Mein Kopf – ich fürchte so sehr für meinen Kopf. Ich kann schreiben, aber die Zeilen verschwimmen alle ineinander. Ich sehe die Wörter. Laura – ich kann Laura schreiben und es lesen. Acht oder neun, was war es?

So kalt, so kalt – o, dieser Regen gestern Abend! Und die Schläge der Uhr; die Schläge, die ich nicht zählen kann, sie schlagen fortwährend in meinem Kopfe – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Anmerkung.

(An dieser Stelle fängt das in's Tagebuch Eingetragene an, unleserlich zu werden. Die zwei oder drei noch folgenden Zeilen enthalten bloße Bruchstücks von Wörtern, die durch Kleckse und Federstriche entstellt sind. Die letzten Zeichen auf dem Papiere gleichen den Anfangsbuchstaben (L und A) von Lady Glyde's Namen. Auf der nächsten Seite des Tagebuches findet sich eine andere Schrift. Es ist die Handschrift eines Mannes, groß, entschlossen, fest und regelmäßig; das Datum ist » Den 7. Juli «. Sie lautet folgendermaßen:

 

(Postscriptum eines aufrichtigen Freundes.)

Die Krankheit unserer vortrefflichen Miß Halcombe hat mir die Gelegenheit zu einem unerwarteten geistigen Genusse verschafft.

Ich meine die Durchsicht dieses interessanten Tagebuches, welche ich soeben beendet habe.

Ich kann, die Hand auf's Herz gelegt, gestehen daß jede Seite mich interessirt, erquickt und entzückt hat.

Bewunderungswürdiges Weib!

Ich meine Miß Halcombe.

Diese Blätter sind erstaunlich. Der Takt, den ich hier finde, die Umsicht, der seltene Muth, die wunderbare Gedächtniskraft, die genaue Beobachtungsgabe, die bezaubernden Ausbrüche weiblichen Gefühls, haben meine Bewunderung für diese superbe Marianne ganz unendlich vermehrt. Die Darstellung meines eigenen Charakters ist über alle Beschreibung meisterhaft. Ich bezeuge von ganzem Herzen die Treue des Portraits. Ich fühle, welch einen lebhaften Eindruck ich gemacht haben muß, um in so kräftigen, glänzenden Farben dargestellt zu werden. Ich beklage von Neuem die grausame Nothwendigkeit, welche unsere Interessen einander feindlich gegenüberstellt. Wären die Verhältnisse glücklicherer Art gewesen, wie würdig wäre Miß Halcombe meinergewesen.

Die Gefühle, welche mein Herz bewegen, erheben mich über bloße persönliche Rücksichten. Ich bezeuge auf die unparteiischste Weise die Vortrefflichkeit der Kriegslist, durch welche dieses unvergleichliche Weib bei der heimlichen Unterredung zwischen Percival und mir zugegen war, wie auch die wunderbare Genauigkeit ihres Berichtes über die ganze Unterhaltung von Anfang bis zu Ende derselben.

Diese Gefühle haben mich bewogen, dem unzugänglichen Arzte, der sie behandelt, meine umfassende Kenntnis der Chemie und meine glänzenden Erfahrungen in den noch weit feineren Hilfsquellen, welche die medicinische und magnetische Wissenschaft der Menschheit zu Gebote stellen, anzutragen. Doch hat er bis jetzt ausgeschlagen, sich meines Beistandes zu bedienen. Elender Mann!

Endlich dictiren jene Gefühle diese Zeilen – dankbare, teilnehmende, väterliche Zeilen. Ich schließe das Buch. Mein strenges Rechtlichkeitsgefühl legt es (vermittelst der Hände meiner Gattin) wieder an seinen Platz auf den Tisch der Schreiberin. Die Ereignisse treiben mich fort. Die Verhältnisse leiten mich zu ernsten Ausgängen. Umfassende Perspectiven des Erfolges öffnen sich vor meinen Blicken. Nichts als der Tribut meiner Bewunderung ist mein eigen. Ich lege ihn mit huldigender Zärtlichkeit zu Miß Halcombe's Füßen nieder.

Ich bete für ihre Genesung.

Ich bezeige ihr mein innigstes Bedauern über das unvermeidliche Mißlingen jedes Planes, den sie für das Wohl ihrer Schwester gemacht hat. Zugleich aber bitte ich sie, mir zu glauben, daß die Kenntnis, welche ich ihrem Tagebuche entnommen, in keiner Weise zu diesem Mißlingen beitragen wird. Dieselbe bestärkt mich ganz einfach in dem Plane, den ich mir zuvor gebildet hatte. Ich habe es diesen Blättern zu danken, daß sie die feinsten Empfindungen meiner Natur erweckt haben, weiter nichts.

Miß Halcombe ist ein Wesen, das gleicher Empfindungen fähig ist.

In dieser Ueberzeugung zeichne ich mich

Fosco.


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