Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel: B. Von der Größe des kriegerischen Zweckes und der Anstrengung

Der Zwang, welchen wir unserem Gegner antun müssen, wird sie nach der Größe unserer und seiner politischen Forderungen richten. Insofern diese gegenseitig bekannt sind, würde es dasselbe Maß der Anstrengung geben; allein sie liegen nicht immer so offen da, und dies kann ein erster Grund zur Verschiedenheit in den Mitteln sein, die beide aufbieten.

Die Lage und Verhältnisse der Staaten sind einander nicht gleich, dies kann ein zweiter Grund werden.

Die Willensstärke, der Charakter, die Fähigkeiten der Regierungen sind sich ebensowenig gleich, dies ist ein dritter Grund.

Diese drei Rücksichten bringen eine Ungewißheit in die Berechnung des Widerstandes, welchen man finden wird, folglich der Mittel, die man anwenden soll, und des Zieles, welches man sich setzen darf.

Da im Kriege aus unzureichenden Anstrengungen nicht bloß ein Nichterfolg, sondern positiver Schaden entstehen kann, so treibt das beide Teile, sich einander zu überbieten, wodurch eine Wechselwirkung entsteht.

Dies könnte an das äußerste Ziel der Anstrengungen führen, wenn sich ein solches bestimmen ließe. Dann würde aber die Rücksicht auf die Größe der politischen Forderungen verlorengehen, das Mittel alles Verhältnis zum Zweck verlieren und in den meisten Fällen diese Absicht einer äußersten Anstrengung an dem Gegengewicht der eigenen inneren Verhältnisse scheitern.

Auf diese Weise wird der Kriegsunternehmer wieder in einen Mittelweg zurückgeführt, in welchem er gewissermaßen nach dem direkten Grundsatz handelt, um diejenigen Kräfte aufzuwenden und sich im Kriege dasjenige Ziel zu stellen, welches zur Erreichung seines politischen Zweckes eben hinreicht. Um diesen Grundsatz möglich zu machen, muß er jeder absoluten Notwendigkeit des Erfolges entsagen, die entfernten Möglichkeiten aus der Rechnung weglassen.

Hier verläßt also die Tätigkeit des Verstandes das Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathematik, und wird, im weiten Verstande des Wortes, zur Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unübersehbaren Menge von Gegenständen und Verhältnissen die wichtigsten und entscheidenden durch den Takt des Urteils herauszufinden. Dieser Takt des Urteils besteht unstreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Größen und Verhältnisse, wodurch die entfernten und unwichtigen schneller beseitigt und die nächsten und wichtigsten schneller herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege strenger Schlußfolge geschehen sollte.

Um also das Maß der Mittel kennenzulernen, welches wir für den Krieg aufzubieten haben, müssen wir den politischen Zweck desselben unsererseits und von seiten des Feindes bedenken; wir müssen die Kräfte und Verhältnisse des feindlichen Staates und des unserigen, wir müssen den Charakter seiner Regierung, seines Volkes, die Fähigkeiten beider, und alles das wieder von unserer Seite, wir müssen die politischen Verbindungen anderer Staaten und die Wirkungen, welche der Krieg darin hervorbringen kann, in Betrachtung ziehen. Daß das Abwägen dieser mannigfachen und mannigfach durcheinandergreifenden Gegenstände eine große Aufgabe, daß es ein wahrer Lichtblick des Genies ist, hierin schnell das Rechte herauszufinden, während es ganz unmöglich sein würde, durch eine bloße schulgerechte Überlegung der Mannigfaltigkeit Herr zu werden, ist leicht zu begreifen.

In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt: es würde eine algebraische Aufgabe werden, vor der selbst ein Newton zurückschrecken könnte.

Erschweren die Mannigfaltigkeit und Größe der Verhältnisse und die Unsicherheit des rechten Maßes das günstige Resultat in hohem Grade, so müssen wir nicht übersehen, daß die ungeheure vergleichungslose Wichtigkeit der Sache, wenn auch nicht die Verwicklung und Schwierigkeit der Aufgabe, doch das Verdienst der Lösung steigert. Die Freiheit und Tätigkeit des Geistes wird im gewöhnlichen Menschen durch die Gefahr und Verantwortlichkeit nicht erhöht, sondern heruntergedrückt; wo aber diese Dinge das Urteil beflügeln und kräftigen, da dürfen wir nicht an seltener Seelengröße zweifeln.

Wir müssen also zuvörderst einräumen, daß das Urteil über einen bevorstehenden Krieg, über das Ziel, welches er haben darf, über die Mittel, welche nötig sind, nur aus dem Gesamtüberblick aller Verhältnisse entstehen kann, in welchem also die individuellsten Züge des Augenblickes mitverflochten sind, und daß dieses Urteil, wie jedes im kriegerischen Leben, niemals rein objektiv sein kann, sondern nach den Geistes- und Gemütseigenschaften der Fürsten, Staatsmänner, Feldherren bestimmt wird, sei es, daß sie in einer Person vereinigt sind oder nicht.

Allgemein und einer abstrakten Behandlung fähiger wird der Gegenstand schon dann, wenn wir auf die allgemeinen Verhältnisse der Staaten sehen, die sie von ihrer Zeit und den Umständen erhalten haben. Wir müssen uns hier einen flüchtigen Blick auf die Geschichte erlauben.

Halbgebildete Tataren, Republiken der alten Welt, Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters, Könige des achtzehnten Jahrhunderts, endlich Fürsten und Völker des neunzehnten Jahrhunderts: alle führen den Krieg auf ihre Weise, führen ihn anders, mit anderen Mitteln und nach einem anderen Ziel.

Die Tatarenschwärme suchen neue Wohnsitze. Sie ziehen mit dem ganzen Volke aus, mit Weib und Kind, sie sind also zahlreich wie verhältnismäßig kein anderes Heer, und ihr Ziel ist Unterwerfung oder Vertreibung des Gegners. Sie würden mit diesen Mitteln bald alles vor sich niederwerfen, ließe sich damit ein hoher Kulturzustand vereinigen.

Die alten Republiken, mit Ausnahme Roms, sind von geringem Umfange; noch geringer ist der Umfang ihres Heeres, denn sie schließen die große Masse, den Pöbel, aus; sie sind zu zahlreich und zu nahe beieinander, um nicht in dem natürlichen Gleichgewicht, in welches sich nach einem ganz allgemeinen Naturgesetz kleine abgesonderte Teile immer setzen, Hindernis zu großen Unternehmungen zu finden; daher beschränken sich ihre Kriege auf Verheerungen des flachen Landes und Einnahme einzelner Städte, um in diesen sich für die Folge einen mäßigen Einfluß zu sichern.

Nur Rom macht davon eine Ausnahme, doch erst in seinen späteren Zeiten. Lange kämpfte es mit kleinen Scharen um Beute und um Bündnis mit seinen Nachbarn den gewöhnlichen Kampf. Er wird groß, mehr durch die Bündnisse, die es schließt, und in welchen sich die benachbarten Völker nach und nach mit ihm zu einem Ganzen verschmelzen, als durch wahre Unterwerfungen. Nur erst, nachdem es sich auf diese Weise in ganz Unteritalien ausgebreitet hat, fängt es an, wirklich erobernd vorzuschreiten. Karthago fällt, Spanien und Gallien werden erobert, Griechenland unterworfen und in Asien und Ägypten seine Herrschaft ausgebreitet. In dieser Zeit sind seine Streitkräfte ungeheuer, ohne daß seine Anstrengungen es wären: sie werden mit seinen Reichtümern bestritten; es gleicht nicht mehr den alten Republiken und nicht mehr sich selbst. Es steht einzig da.

Ebenso einzig in ihrer Art sind die Kriege Alexanders. Mit einem kleinen, aber durch seine innere Vollkommenheit ausgezeichneten Heere wirft er die morschen Gebäude der asiatischen Staaten nieder. Ohne Rast und rücksichtslos durchzieht er das weite Asien und dringt bis Indien vor. Republiken konnten das nicht; das konnte so schnell nur ein König vollbringen, der gewissermaßen sein eigener Kondottiere war.

Die großen und die kleinen Monarchien des Mittelalters führten ihre Kriege mit Lehnsheeren. Da war alles auf eine kurze Zeit beschränkt; was in der nicht ausgerichtet werden konnte, mußte als unausführbar angesehen werden. Das Lehnsheer selbst bestand aus einer Einschachtelung von Vasallentum; das Band, welches dasselbe zusammenhielt, war halb gesetzliche Pflicht, halb freiwilliges Bündnis, das Ganze eine wahre Konföderation. Bewaffnung und Taktik waren auf das Faustrecht, auf den Kampf des einzelnen gegründet, also für eine größere Masse wenig geschickt. Überhaupt hat es nie eine Zeit gegeben, wo der Staatsverband so locker und der einzelne Staatsbürger so selbständig war. Dies alles bedingte die Kriege dieser Zeit auf die bestimmteste Art. Sie wurden verhältnismäßig rasch geführt, müßiges im Felde Liegen kam wenig vor, aber der Zweck bestand meistens nur in Züchtigung, nicht in Niederwerfung des Feindes; man trieb seine Herden weg, verbrannte seine Burgen und zog wieder nach Haus.

Die großen Handelsstädte und kleinen Republiken brachten die Kondottieri auf. Das war eine kostbare, mithin dem äußeren Umfange nach sehr beschränkte Kriegsmacht. Noch geringer war sie ihrer intensiven Kraft nach zu schätzen; von höchster Energie und Anstrengung konnte da so wenig die Rede sein, daß es meist nur eine Spiegelfechterei wurde. Mit einem Wort: Haß und Feindschaft regten den Staat nicht mehr zu persönlicher Tätigkeit an, sondern wurden ein Gegenstand seines Handels; der Krieg verlor einen großen Teil seiner Gefahr, veränderte durchaus seine Natur, und nichts, was man aus dieser Natur für ihn bestimmen kann, paßte auf denselben.

Das Lehnssystem zog sich nach und nach zu einer bestimmten Territorialherrschaft zusammen, der Staatsverband wurde enger, die persönlichen Verpflichtungen verwandelten sich in sächliche, das Geld trat nach und nach an die Stelle der meisten, und aus den Lehnsheeren wurden Söldner. Die Kondottieri machten den Übergang dazu und waren daher eine Zeitlang auch das Instrument der größeren Staaten; es dauerte aber nicht lange, so wurde aus dem auf kurze Zeit gemieteten Soldaten ein stehender Söldner, und die Kriegsmacht der Staaten war nun auf das auf den Staatsschatz gegründete stehende Heer gekommen.

Daß das langsame Fortschreiten zu diesem Ziel ein mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von Kriegsmacht verursachte, ist natürlich. Unter Heinrich IV. finden wir Lehnsleute, Kondottieri und stehendes Heer beisammen. Die Kondottieri haben sich bis in den 30jährigen Krieg, ja mit einzelnen schwächeren Spuren bis ins achtzehnte Jahrhundert hineingezogen.

Ebenso eigentümlich wie die Kriegsmacht dieser verschiedenen Zeiten war, waren es auch die übrigen Verhältnisse der Staaten in Europa. Im Grunde war dieser Weltteil in eine Masse von kleinen Staaten zerfallen, die teils in sich unruhige Republiken, teils kleine, in ihrer Regierungsgewalt höchst beschränkte und unsichere Monarchien waren. Ein solcher Staat war gar nicht als eine wahre Einheit zu betrachten, sondern als ein Agglomerat von locker verbundenen Kräften. Einen solchen Staat darf man sich also auch nicht wie eine Intelligenz denken, die nach einfachen logischen Gesetzen handelt.

Von diesem Gesichtspunkt aus muß man die äußere Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man denke nur an die beständigen Züge der deutschen Kaiser nach Italien während eines halben Jahrtausends, ohne daß je eine gründliche Eroberung dieses Landes daraus folgte oder auch nur die Absicht war. Es ist leicht, dies als einen sich immer erneuernden Fehler, als eine in der Zeit gegründete falsche Ansicht zu betrachten, aber es ist vernünftiger, es als eine Folge von hundert großen Ursachen anzusehen, in die wir uns allenfalls hineindenken können, die wir aber darum doch nicht mit der Lebendigkeit ergreifen wie der mit ihnen im Konflikt begriffene Handelnde. Solange die großen Staaten, welche aus diesem Chaos hervorgegangen sind, Zeit gebraucht haben, sich zusammenzufügen und auszubilden, geht ihre Kraft und Anstrengung hauptsächlich nur darauf hinaus; es gibt der Kriege gegen einen äußeren Feind weniger, und die es gibt, tragen das Gepräge des unreifen Staatsverbandes.

Die Kriege der Engländer gegen Frankreich treten am frühesten hervor, und doch ist Frankreich damals noch nicht als eine wahre Monarchie zu betrachten, sondern als ein Agglomerat von Herzogtümern und Grafschaften; England, obgleich es dabei mehr als Einheit erscheint, ficht doch mit Lehnsheeren und unter vielen inneren Unruhen.

Unter Ludwig XI. tut Frankreich den stärksten Schritt zu seiner inneren Einheit, unter Karl VIII. erscheint es als erobernde Macht in Italien und unter Ludwig XIV. hat es seinen Staat und sein stehendes Heer auf den höchsten Grad ausgebildet.

Spanien fängt seine Einheit unter Ferdinand dem Katholischen an, durch zufällige Heiratsverbindungen entsteht plötzlich unter Karl V. die große spanische Monarchie, aus Spanien, Burgund, Deutschland und Italien zusammengesetzt. Was diesem Koloß an Einheit und innerem Staatsverbande fehlt, ersetzt er durch Geld, und die stehende Kriegsmacht desselben gerät zuerst mit der stehenden Kriegsmacht Frankreichs in Berührung. Der große spanische Koloß zerfällt nach Karls V. Abdankung in zwei Teile, Spanien und Österreich. Dies letztere tritt nun, durch Böhmen und Ungarn verstärkt, als große Macht und schleppt die deutsche Konföderation wie eine Schaluppe hinter sich her.

Das Ende des siebzehnten Jahrhunderts, die Zeit Ludwigs XIV., läßt sich als den Punkt in der Geschichte betrachten, wo die stehende Kriegsmacht, wie wir sie im achtzehnten Jahrhundert finden, ihre Höhe erreicht hatte. Diese Kriegsmacht war auf Werbung und Geld begründet. Die Staaten hatten sich zur vollkommenen Einheit ausgebildet und die Regierungen, indem sie die Leistungen ihrer Untertanen in Geldabgaben verwandelten, ihre ganze Macht in ihren Geldkasten konzentriert. Durch die schnell vorgeschrittene Kultur und eine sich immer mehr ausbildende Verwaltung war diese Macht im Vergleich mit der früheren sehr groß geworden. Frankreich rückte mit ein paarmal hunderttausend Mann stehender Truppen ins Feld, und nach Verhältnis die übrigen Mächte.

Auch die übrigen Verhältnisse der Staaten hatten sich anders gestaltet. Europa war unter ein Dutzend Königreiche und ein paar Republiken verteilt; es war denkbar, daß zwei davon einen großen Kampf miteinander kämpften, ohne daß zehnmal soviel andere davon berührt wurden, wie es ehedem geschehen mußte. Die möglichen Kombinationen der politischen Verhältnisse waren immer noch sehr mannigfaltig, aber sie waren doch zu übersehen und von Zeit zu Zeit nach Wahrscheinlichkeiten festzustellen.

Die inneren Verhältnisse hatten sich fast überall zu einer schlichten Monarchie vereinfacht, die ständischen Rechte und Einwirkungen hatten nach und nach aufgehört, und das Kabinett war eine vollkommene Einheit, welche den Staat nach außen hin vertrat. Es war also dahin gekommen, daß ein tüchtiges Instrument und ein unabhängiger Wille dem Kriege eine seinem Begriff entsprechende Gestalt geben konnte.

Auch traten in dieser Epoche drei neue Alexander auf: Gustav Adolf, Karl XII. und Friedrich der Große, die es versuchten, aus kleinen Staaten vermittelst eines mäßigen und sehr vervollkommneten Heeres große Monarchien zu stiften und alles vor sich niederwerfen. Hätten sie es nur mit asiatischen Reichen zu tun gehabt, so würden sie in ihrer Rolle dem Alexander ähnlicher geworden sein. In jedem Fall kann man sie in Rücksicht auf das, was man im Kriege wagen dürfte, als die Vorläufer Bonapartes ansehen.

Allein was der Krieg von der einen Seite an Kraft und Konsequenz gewann, ging ihm auf der anderen Seite wieder verloren.

Die Heere wurden aus dem Schatz unterhalten, den der Fürst halb und halb wie seine Privatkasse ansah oder wenigstens wie einen der Regierung und nicht dem Volke angehörigen Gegenstand. Die Verhältnisse mit den anderen Staaten berührten, ein paar Handelsgegenstände ausgenommen, meistens nur das Interesse des Schatzes oder der Regierung und nicht des Volkes; wenigstens waren überall die Begriffe so gestellt. Das Kabinett sah sich also an wie den Besitzer und Verwalter großer Güter, die es stets zu vermehren trachtete, ohne daß die Gutsuntertanen bei dieser Vermehrung ein sonderliches Interesse haben konnten. Das Volk also, welches bei den Tatarenzügen alles im Kriege ist, bei den alten Republiken und im Mittelalter, wenn man den Begriff desselben gehörig auf die eigentlichen Staatsbürger beschränkt, sehr vieles gewesen war, ward bei diesem Zustand des achtzehnten Jahrhunderts unmittelbar nichts, sondern hatte bloß durch seine allgemeinen Tugenden oder Fehler noch einen mittelbaren Einfluß auf den Krieg.

Auf diese Weise wurde der Krieg in eben dem Maße, wie sich die Regierung vom Volke trennte und sich als den Staat ansah, ein bloßes Geschäft der Regierungen, welches sie vermittelst der Taler in ihrem Koffer und der müßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten Provinzen zustande brachten. Die Folge war, daß die Mittel, welche sie aufbieten konnten, ein ziemlich bestimmtes Maß hatten, welches die eine von der anderen gegenseitig übersehen konnte, und zwar ein Maß sowohl ihrem Umfang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die gefährlichste seiner Seiten: nämlich das Bestreben zu dem Äußersten und in dunkle Reihe von Möglichkeiten, die sich daran knüpft.

Man kannte ungefähr die Geldmittel, den Schatz, den Kredit seines Gegners; man kannte die Größe seines Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des Krieges waren nicht tunlich. Indem man so die Grenzen der feindlichen Kräfte übersah, wußte man sich vor einem gänzlichen Untergange ziemlich sicher, und indem man die Beschränkung der eigenen fühlte, sah man sich auf ein mäßiges Ziel zurückgewiesen. Vor dem Äußersten geschützt, brauchte man nicht mehr das Äußerste zu wagen. Die Notwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte also nur der Mut und Ehrgeiz dazu treiben. Aber diese fanden in den Staatsverhältnissen ein mächtiges Gegengewicht. Selbst die königlichen Feldherren mußten behutsam mit dem Kriegsinstrumente umgehen. Wenn das Heer zertrümmert wurde, so war kein neues zu beschaffen, und außer dem Heere gab es nichts. Dies heischte große Vorsicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn sich ein entschiedener Vorteil zu ergeben schien, machte man Gebrauch von der kostbaren Sache: diesen herbeizuführen, war eine Kunst des Feldherrn; solange aber, wie er nicht herbeigeführt war, schwebte man gewissermaßen im absoluten Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln, und alle Kräfte, nämlich alle Motive, schienen zu ruhen. Das ursprüngliche Motiv des Aggressors erstarb in Vorsicht und Bedenklichkeit.

So wurde der Krieg seinem Wesen nach ein wirkliches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten mischten; seiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas verstärkte Diplomatie, eine kräftigere Art zu unterhandeln, in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten waren. Sich in einen mäßigen Vorteil zu setzen, um beim Friedensschluß davon Gebrauch zu machen, war das Ziel auch des Ehrgeizigsten.

Diese beschränkte, zusammengeschrumpfte Gestalt des Krieges rührte, wie wir gesagt haben, von der schmalen Unterlage her, worauf er sich stützte. Daß aber ausgezeichnete Feldherren und Könige wie Gustav Adolf, Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenso ausgezeichneten Heeren nicht stärker aus der Masse der Totalerscheinungen hervortreten konnten, daß auch sie sich gefallen lassen mußten, in dem allgemeinen Niveau des mittelmäßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politischen Gleichgewicht Europas. Was früher bei der Menge kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natürliche Interesse, die Nähe, die Berührung, die verwandtschaftliche Verbindung, die persönliche Bekanntschaft getan hatte, um den einzelnen zu verhindern, schnell groß zu werden, das tat jetzt, wo die Staaten größer und ihre Zentren weiter voneinander entfernt waren, die größere Ausbildung der Geschäfte. Die politischen Interessen, Anziehungen und Abstoßungen hatten sich zu einem sehr verfeinerten System ausgebildet, so daß kein Kanonenschuß in Europa geschehen konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Teil daran hatten.

Ein neuer Alexander mußte sich also neben seinem guten Schwerte auch eine gute Feder halten, und doch brachte er es mit seinen Eroberungen seiten weit.

Aber auch Ludwig XIV., obgleich er die Absicht hatte, das europäische Gleichgewicht umzustoßen, und sich am Ende des siebzehnten Jahrhunderts schon auf dem Punkte befand, sich wenig um die allgemeine Feindschaft zu bekümmern, führte den Krieg auf die hergebrachte Weise, denn seine Kriegsmacht war zwar die des größten und reichsten Monarchen, aber ihrer Natur nach wie die der anderen.

Plünderungen und Verheerungen des feindlichen Gebietes, welche bei den Tataren, bei den alten Völkern und selbst im Mittelalter eine so große Rolle spielen, waren nicht mehr im Geist der Zeit. Man sah es mit Recht wie eine unnütze Roheit an, die leicht vergolten werden konnte und den feindlichen Untertanen mehr traf als die feindliche Regierung, daher wirkungslos blieb und nur dazu diente, die Völker in ihrem Kulturzustande ewig zurückzuhalten. Der Krieg wurde also nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nach immer mehr auf das Heer selbst beschränkt. Das Heer mit seinen Festungen und einigen eingerichteten Stellungen machte einen Staat im Staate aus, innerhalb dessen sich das kriegerische Element langsam verzehrte. Ganz Europa freute sich dieser Richtung und hielt sie für eine notwendige Folge des fortschreitenden Geistes. Obgleich hierin ein Irrtum lag, weil das Fortschreiten des Geistes niemals zu einem Widerspruch führen, niemals machen kann, daß aus zweimal zwei fünf wird, wie wir schon gesagt haben und noch in der Folge sagen müssen, so hatte allerdings diese Veränderung eine wohltätige Wirkung für die Völker; nur ist nicht zu verkennen, daß sie den Krieg auch noch mehr zu einem bloßen Geschäft der Regierung machte und dem Interesse des Volkes noch mehr entfremdete. Der Kriegsplan eines Staates bestand in dieser Zeit, wenn er der Angreifende war, meistens darin, sich einer oder der anderen feindlichen Provinz zu bemächtigen; wenn er der Verteidigende war, dies zu verhindern; der einzelne Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Festung zu erobern oder die Eroberung einer eigenen zu verhindern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war, wurde sie gesucht und geliefert. Wer ohne diese Unvermeidlichkeit eine Schlacht aus bloßem inneren Siegesdrange suchte, galt für einen kecken Feldherrn. Gewöhnlich verstrich der Feldzug über einer Belagerung oder, wenn es hoch kam, über zwei, und die Winterquartiere, die wie eine neutrale Notwendigkeit betrachtet wurden, in welchen die schlechte Verfassung des einen niemals ein Vorteil des anderen werden konnte, in welchen die gegenseitigen Beziehungen beider fast gänzlich aufhörten, ich sage die Winterquartiere bildeten eine bestimmte Abgrenzung der Tätigkeit, welche in einem Feldzuge statthaben sollte.

Waren die Kräfte zu sehr im Gleichgewicht, oder war der Unternehmende von beiden entschieden der Schwächere, so kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und dann drehte sich die ganze Tätigkeit eines Feldzuges um Erhaltung gewisser Stellungen und Magazine und die regelmäßige Auszehrung gewisser Gegenden.

Solange der Krieg allgemein so geführt wurde und die natürlichen Beschränkungen seiner Gewalt immer so nahe und sichtbar waren, fand niemand darin etwas Widersprechendes, sondern alles in der schönsten Ordnung, und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing, das Feld der Kriegskunst zu besuchen, richtete sich auf das einzelne, ohne sich viel um Anfang und Ende zu bekümmern. So gab es denn Größe und Vollkommenheit aller Art, und selbst Feldmarschall Daun, der hauptsächlich dazu beitrug, daß Friedrich der Große seinen Zweck vollkommen erreichte und Maria Theresia den ihrigen vollkommen verfehlte, mußte als ein großer Feldherr angesehen werden können. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes Urteil hervor, nämlich der gesunde Menschenverstand, welcher meinte, daß man mit seiner Übermacht etwas Positives erreichen müsse oder den Krieg mit aller Kunst schlecht führe.

So waren die Sachen, als die französische Revolution ausbrach. Österreich und Preußen versuchten es mit ihrer diplomatischen Kriegskunst; sie zeigte sich bald unzureichend. Während man nach der gewöhnlichen Art, die Sachen anzusehen, auf eine sehr geschwächte Kriegsmacht sich Hoffnung machte, zeigte sich im Jahr 1793 eine solche, von der man keine Vorstellung gehabt hatte. Der Krieg war urplötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen, die sich alle als Staatsbürger betrachteten. Ohne uns hier auf die näheren Umstände einzulassen, von welchen diese große Erscheinung begleitet war, wollen wir nur die Resultate festhalten, auf die es hier ankommt. Mit dieser Teilnahme des Volkes an dem Kriege trat statt eines Kabinetts und eines Heeres das ganze Volk mit seinem natürlichen Gewicht in die Waagschale. Nun hatten die Mittel, welche angewandt, die Anstrengungen, welche aufgeboten werden konnten, keine bestimmte Grenze mehr; die Energie, mit welcher der Krieg selbst geführt werden konnte, hatte kein Gegengewicht mehr und folglich war die Gefahr für den Gegner die äußerste.

Wenn der ganze Revolutionskrieg darüber hingegangen ist, ehe sich das in seiner Stärke fühlbar machte und zur völligen Klarheit wurde, wenn nicht schon die Revolutionsgenerale unaufhaltsam bis ans letzte Ziel vorgeschritten sind und die europäischen Monarchien zertrümmert haben, wenn die deutschen Heere noch hin und wieder Gelegenheit gehabt haben, mit Glück zu widerstehen und den Siegesstrom aufzuhalten, so lag dies wirklich nur in der technischen Unvollkommenheit, womit die Franzosen zu kämpfen hatten, und die sich anfangs bei den gemeinen Soldaten, dann bei den Generalen, dann zur Zeit des Direktoriums beim Gouvernement selbst zeigte.

Wie in Bonapartes Hand sich das alles vervollkommnet hatte, schritt diese auf die ganze Volkskraft gestützte Kriegsmacht zertrümmernd durch Europa mit einer solchen Sicherheit und Zuverlässigkeit, daß, wo ihr nur die alte Heeresmacht entgegengestellt wurde, auch nicht einmal ein zweifelhafter Augenblick entstand. Die Reaktion ist noch zu rechter Zeit erwacht. In Spanien ist der Krieg von selbst zur Volkssache geworden. In Österreich hat die Regierung im Jahre 1809 zuerst ungewöhnliche Anstrengungen mit Reserven und Landwehren gemacht, die sich dem Ziele näherten und alles überstiegen, was dieser Staat früher als tunlich geglaubt hatte. In Rußland hat man 1812 das Beispiel von Spanien und Österreich zum Muster genommen; die ungeheuren Dimensionen dieses Reiches erlaubten den verspäteten Anstalten, noch in Wirksamkeit zu treten und vergrößerten diese Wirksamkeit von der anderen Seite. Der Erfolg war glänzend. In Deutschland raffte sich Preußen zuerst auf, machte den Krieg zur Volkssache und trat mit Kräften auf, die, bei halb soviel Einwohnern, gar keinem Gelde und Kredit doppelt so groß waren als die von 1806. Das übrige Deutschland folgte früher oder später dem Beispiele Preußens, und Österreich, obgleich weniger sich anstrengend als im Jahr 1809, trat doch auch mit ungewöhnlicher Kraft auf. So geschah es, daß Deutschland und Rußland in den Jahren 1813 und 1814, alles mitgerechnet, was in Tätigkeit war, und was in diesen beiden Feldzügen verbraucht wurde, mit etwa einer Million Menschen gegen Frankreich auftraten.

Unter diesen Umständen war auch die Energie der Kriegführung eine andere, und wenn sie die französische nur teilweise erreichte und auf anderen Punkten die Zaghaftigkeit vorwaltete, so war doch der Gang der Feldzüge im allgemeinen nicht im alten, sondern im neuen Stil. In acht Monaten wurde das Kriegstheater von der Oder an die Seine versetzt, das stolze Paris mußte zum erstenmal sein Haupt beugen und der furchtbare Bonaparte lag gefesselt am Boden.

Seit Bonaparte also hat der Krieg, indem er zuerst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen wieder Sache des ganzen Volkes wurde, eine ganze andere Natur angenommen, oder vielmehr, er hat sich seiner wahren Natur, seiner absolutes Vollkommenheit sehr genähert. Die Mittel, welche aufgeboten worden sind, hatten keine sichtbare Grenze, sondern diese verlor sich in der Energie und dem Enthusiasmus der Regierungen und ihrer Untertanen. Die Energie der Kriegführung war durch den Umfang der Mittel und das weite Feld möglichen Erfolges sowie durch die starke Anregung der Gemüter ungemein erhöht worden, das Ziel des kriegerischen Aktes war Niederwerfung des Gegners; nur dann erst, wenn er ohnmächtig zu Boden liege, glaubte man innehalten und sich über die gegenseitigen Zwecke verständigen zu können.

So war also das kriegerische Element, von allen konventionellen Schranken befreit, mit seiner ganzen natürlichen Kraft losgebrochen. Die Ursache war die Teilnahme, welche den Völkern an dieser großen Staatsangelegenheit wurde; und diese Teilnahme entsprang teils aus den Verhältnissen, welche die französische Revolution in dem Innern der Länder herbeigeführt hatte, teils aus der Gefahr, womit alle Völker von dem französischen bedroht waren.

Ob es nun immer so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege in Europa immer mit dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um große, den Völkern naheliegende Interessen geführt sein werden, oder ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von dem Volke eintreten wird, dürfte schwer zu entscheiden sein, und am wenigsten wollen wir uns eine solche Entscheidung anmaßen. Aber man wird uns recht geben, wenn wir sagen, daß Schranken, die gewissermaßen nur in der Bewußtlosigkeit dessen, was möglich sei, lagen, wenn sie einmal eingerissen sind, sich nicht leicht wieder aufbauen lassen, und daß, wenigstens jedesmal, sooft ein großes Interesse zur Sprache kommt, die gegenseitige Feindschaft sich auf die Art erledigen wird, wie es in unseren Tagen geschehen ist.

Wir schließen hier unseren geschichtlichen Überblick, den wir nicht angestellt haben, um für jede Zeit in der Geschwindigkeit ein paar Grundsätze der Kriegführung anzugeben, sondern nur um zu zeigen, wie jede Zeit ihre eigenen Kriege, ihre eigenen beschränkenden Bedingungen, ihre eigene Befangenheit hatte. Jede würde also auch ihre eigene Kriegstheorie behalten, selbst wenn man überall, früh und spät, aufgelegt gewesen wäre, sie nach philosophischen Grundsätzen zu bearbeiten. Die Begebenheiten jeder Zeit müssen also mit Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilt werden, und nur der, welcher nicht sowohl durch ein ängstliches Studium aller kleinen Verhältnisse als durch einen treffenden Blick auf die großen sich in jede Zeit versetzt, ist imstande, die Feldherren derselben zu verstehen und zu würdigen.

Aber diese nach den eigentümlichen Verhältnissen der Staaten und der Kriegsmacht bedingte Kriegführung muß doch etwas noch Allgemeineres oder vielmehr etwas ganz Allgemeines in sich tragen, mit welchem vor allem die Theorie es zu tun haben wird.

Die letzte Zeit, wo der Krieg seine absolute Gewalt erreicht hatte, hat den allgemein Gültigen und Notwendigen am meisten. Aber es ist ebenso unwahrscheinlich, daß die Kriege fortan alle diesen großartigen Charakter haben werden, als daß sich je die weiten Schranken, welche ihnen geöffnet worden sind, ganz wieder schließen können. Man würde also mit einer Theorie, die nur in diesem absoluten Kriege verweilte, alle Fälle, wo fremdartige Einflüsse seine Natur verändern, entweder ausschließen oder als Fehler verdammen. Dies kann nicht der Zweck der Theorie sein, die die Lehre eines Krieges nicht unter idealen, sondern unter wirklichen Verhältnissen sein soll. Die Theorie wird also, indem sie ihren prüfenden, scheidenden und ordnenden Blick auf die Gegenstände wirft, immer die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im Auge haben, von welchen der Krieg ausgehen kann, und sie wird also die großen Lineamente desselben so angeben, daß das Bedürfnis der Zeit und des Augenblickes darin seines Platz finde.

Hiernach müssen wir sagen, daß das Ziel, welches sich der Kriegsunternehmer setzt, die Mittel, welche er aufbietet, sich nach den ganz individuellen Zügen seiner Lage richten, daß sie aber eben den Charakter der Zeit und der allgemeinen Verhältnisse an sich tragen werden, endlich, daß sie den allgemeinen Folgerungen, welche aus der Natur des Krieges gezogen werden müssen, unterworfen bleiben.


 << zurück weiter >>