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8. Der Guß

Nun müssen Sie aber nicht glauben, lieber Herr, daß ich meinen Eid, den Eid, den ich vor der Statue Montescures ablegte, vergessen habe.

Ja, einen der merkwürdigsten und eigenartigsten Eindrücke meines Lebens empfing ich an dem Tage, da ich dem Gusse meines Ebenbildes beiwohnen durfte. Jawohl, meiner Statue – Sie erinnern sich ja, der, die Montescure nach meiner Gestalt geformt hatte: »Römer unter dem Kaudinischen Joch durchgehend«. Armer Junge!

Der Gemeinderat seiner Geburtsstadt hatte, gedrängt durch den Vizebürgermeister Cazenave, den ich darauf hingelenkt hatte – Sie erinnern sich wohl Cazenaves, Sie haben mich im Salon vor dem letzten Werke, dem Vermächtnis Montescures, mit ihm sprechen sehen – der Gemeinderat hatte also beschlossen, dieses Werk zu erwerben, es in Bronze gießen zu lassen und es auf dem Hauptplatze von Garigat-sur-Garonne aufzustellen. Ich hätte den Namen der Stadt gern verschwiegen. Sie nennen, heißt auf ihren ersten Würdenträger mit dem Finger deuten, auf ihren Bürgermeister, für den die Statue keine andre Bedeutung hatte, als daß sie ein Mittel war, einen Minister zur Enthüllung nach Garigat-sur-Garonne zu bringen und ihm bei dieser Gelegenheit einen Orden aus der Tasche zu locken. Dies ist ein ganz moderner Kunstgriff. Er gelingt fast immer. Ich nützte um der Gerechtigkeit, um der Genugtuung für Montescure willen das Ehrgeizfieber aus, das die Pulse des Bürgermeisters von Carigat-sur-Garonne höher schlagen machte. Und ich muß sagen, der Vizebürgermeister unterstützte mich dabei mit einer Hingabe, einer Aufopferung, die eines Dichters würdig war. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Cazenave Verse macht. Er ist ein Félibre. Mitglied des Félibrige, einer zur Belebung der neuprovencalischen Sprache und Literatur gegründeten Genossenschaft. Anm. d. Übers. Dem Bürgermeister ,... – ich wollte seinen Namen nennen, aber er verdient nur die Namenlosigkeit – galt der unglückliche Montescure, Schüler der Akademie von Toulouse, samt seinem »Römer unter dem Joche« nicht mehr als ein Apfel einem Fisch, wie Victor Hugo sagt. Man hatte ihn ruhig hungern lassen, solange er lebte; aber sowie er tot war, erinnerte man sich, daß er in Garigat-sur-Garonne, zwei Schritte von Toulouse, geboren sei, und daß eine feierliche Denkmalenthüllung der Stadt und ihrem Oberhaupte ein Relief geben würden. Daher der Ankauf des »Römers unter dem Kaudinischen Joch« und der Guß der Statue. Und bei all dem mußte ich mich mit allen Kräften ins Zeug legen, um es so weit zu bringen, und Cazenave kam mir mit félibrischem Enthusiasmus zu Hilfe. Ich drängte ihn und drängte ihn ohne Unterlaß. Ich schrieb ihm so an die zwei Oktavbände beredter Briefe. Aber ich hatte einen Schwur getan. Sie erinnern sich, ich hatte vor der Gipsstatue – Katalog Nummer 3773 – gesagt: »Montescure, du sollst gerächt werden!«

Als ich eines Morgens hörte, daß das Werk Claude André Montescures, mein Bildnis, in seiner Gänze mein, Brichanteaus, Bildnis, mein Bildnis in voller Figur, aus einem öffentlichen Platze Frankreichs aufgerichtet werden sollte, da, ich gestehe es Ihnen, konnte ich eine unwillkürliche Regung des Stolzes nicht unterdrücken. Ich, bei lebendigem Leibe zur Statue geworden! Es war ein schöner Gedanke! Derlei geschieht nicht jedermann. Wellington allein konnte sich, wenn er sein Fenster öffnete, unter dem Helm des Achilles betrachten. Ich aber würde, wenn mich die Lust anwandelte, nach Garigat-sur-Garonne gehen und mich dort von Angesicht zu Angesicht meinem Erzbilde gegenüber sehen können. Sie werden zugeben, daß das schmeichelhaft ist; etwas schmeichelhafter als eine Photographie.

Aber in meiner innersten Seele war es mir nicht um mich und um diese Apotheose im hellen Licht der Gascogner Sonne zu tun. Nein. Ich dachte nur an Montescure, ich arbeitete nur für das Andenken des armen lungenkranken Musikers vom Montmartre-Theater, des Schöpfers einer Gestalt, die eines Bildhauers der Renaissance würdig gewesen wäre. Sie kennen mich nun, und Sie wissen, ob ich mein wahres Gesicht verberge. Ich bin ein durchsichtiger Charakter, des darf ich mich wohl rühmen.

Ich nahm also ein sehr berechtigtes Interesse daran, zu wissen, wo und wann die Statue gegossen werden würde. Ein Werkmeister des Hauses Thibaud, namens Laurençot, war ein guter Bekannter von mir. In dessen Werkstätte sollte der Guß des »Römers« erfolgen, und er hatte mir versprochen, mich zu benachrichtigen. Der Gedanke raubte mir den Schlaf. Einen Guß in der Nähe mit ansehen zu können! – Ich hatte allerdings schon einen gesehen. Ich hatte mit Mélingue den Akt mit dem Guß im »Benvenuto Cellini« gespielt. Ich war es, der ihm den Becher brachte, dessen er zur Vollendung seines Jupiter bedurfte, denn es fehlte an Metall, da bekanntlich Pagolo, der kleine Pagolo, der Bösewicht, einen Teil gestohlen hatte. Und ich selbst hatte in Perpignan den Benvenuto gespielt, und er war, trotz Baculard, einer meiner Triumphe gewesen. Ah, wenn ich ausrief: »Mein Leben für hundert Pfund Zinn! Woher Metall nehmen? Holz kann man aus Balken, aus Möbeln schaffen. Aber Kupfer?« – da ging ein Schauer durch das Haus. Das ganze Publikum erschauerte wie ein Mann. Aber außerhalb des Theaters hatte ich noch keinen Guß gesehen. Es ist immer zu tadeln, wenn man nicht alles nach der Natur studiert. Jetzt, wo ich das Metall in geschmolzenem Zustande gesehen habe, würde ich dem Benvenuto überraschende Töne leihen, Töne eines menschlicheren und tieferen Schmerzes: »Ach, könnt' zu Erzguß ich mein Blut verwandeln!« Wie würde ich das heute sagen!

So ein Guß ist ein förmliches Drama! Mein Freund ließ mich eines Tages wissen, daß die Zeit gekommen sei und daß ich mich um acht Uhr morgens im Atelier Thibaud beim Arc de Triomphe einfinden möge. Ich fand mich pünktlich ein. Ich durchschritt einen langen Hof, der mit Gußformen, Büsten und Basreliefs erfüllt war; ein Bediensteter fragte mich, was ich wünsche; ich nannte meinen Namen, mich auf Laurençot, den Werkmeister, berufend, und durch einen riesigen Schuppen, der als Magazin diente, und in dem ich Fragmente und unvollendete Stücke aller Art erblickte, Beine von Generalen, Arme von Genien, die Fackeln hielten, Engelleiber mit Flügeln, mit Baretten bedeckte Köpfe von Richtern, ein Gewirre von Menschen und Göttern, ein Durcheinander von Unsterblichkeitstrümmern, Gipsmodelle schon errichteter Statuen und Stücke solcher, deren Errichtung bevorstand, Teile von Monumenten und von Gestalten großer Menschen – gelangte ich in die Werkstatt, wo der Guß vor sich gehen sollte.

Hier war, wie zu einer Generalprobe, eine kleine Gruppe von interessierten Zuschauern versammelt, ob Eingeladene des Gießers oder Abgesandte des Bürgermeisters von Garigat-sur-Garonne, das weiß ich nicht.

Aber keiner von ihnen empfand wohl eine so tiefe Bewegung wie ich. Denn erstens dachte ich an den armen Montescure, wie er seinen Römer in den Salon sandte, und dann sagte ich mir, daß ich, Sébastien Brichanteau, nun hier in Erz gegossen werden sollte! Ich sah, wie einer der Gehilfen eine Bewegung machte und mich anhaltend betrachtete. Ich erriet seine Gedanken:

›Der Mann da gleicht ganz auffallend dem römischen Krieger von Claude André Montescure!‹ dachte er bei sich.

Und ich fühlte mich versucht, ihm zu sagen: »Das ist nicht verwunderlich: dieser Krieger bin ich!«

Sie haben vielleicht noch nie einen Guß mit angesehen, Herr? In einer Art Ofen, der seit vielen Stunden in Weißglühhitze erhalten wird, befinden sich das geschmolzene Kupfer und Zink; im gegebenen Augenblicke wird die sie umgebende Sandschicht durchstoßen und das flüssige Metall ergießt sich gleich einem Lavastrom durch eine Rinne in einen kesselförmigen Behälter, der sodann von einem Kran gehoben und wie ein Kübel in die hohle Form gegossen wird, die dicht dabei ebenfalls in eine Sandschicht gebettet ist. Man sieht die Form selbst gar nicht, sie ist bedeckt von Ziegeln und Erde. Die Statue formt sich, entsteht in einer Art Grab.

Ein alter, erfahrener Arbeiter tauchte prüfend das Ende einer Eisenstange in den Ofen, worin das Metall schmolz. Seine Hand und sein Unterarm waren von einem mächtigen Handschuh beschützt, denn ein Verbrennen ist, wie Sie begreifen werden, bei solcher Arbeit leicht möglich und kann furchtbare Folgen haben. Und wir alle warteten gespannt, die Augen auf die Rinne geheftet, durch die nun bald die flüssige, glühende Mischung hinabschießen sollte.

Welchen Lebensvorgang immer wir betrachten, er gleicht dem Theater. Das Leben ist ungeschriebenes Theater. Ich sah auf die Rinne, wie ich auf den Vorhang geblickt hätte, ehe er ausgeht. War die Mischung wohlgeraten? Wird sie nun herauskommen oder den Auftritt verfehlen? Anfangen, Bühne frei! Niemand sprach. Alles wartete mit angehaltenem Atem. Endlich erschienen einige Tropfen der Flüssigkeit, durchbrachen als leuchtende Klümpchen die Sandschicht, und auf einmal sind es keine Tropfen mehr, ein ganz weißer, blendender Strahl schießt heraus, umwallt von roten, gelben und kupfrigen, phantastisch durchleuchteten Dämpfen, und ergießt sich mit Macht in den Behälter unter einem Sprühregen gelber und roter glühender Tröpfchen. Ich hatte es immer bedauert, niemals einen Ausbruch des Vesuv gesehen zu haben. Nun hatte ich einen Vulkanausbruch gesehen. Dieser Strahl flüssigen Metalls war ein Krater im kleinen, ein Strom glühender Lava.

Und ich dachte: ›Dieses Metall, Brichanteau, ist dein noch flüssiges Ebenbild. Dieses glühende Erz ist deine Statue. Dieser Feuerstrahl ist vielleicht deine Stirn; diese Glutblitze sind vielleicht die deiner Augen!‹

Es war ein ganz eigenartiges Gefühl. Der Strom geschmolzenen Metalls warf auf das Dach der Werkstätte, auf die gewaltigen Maschinen, auf die Querbalken phantastische Reflexe. Eine schöne Beleuchtung für eine Walpurgisnachtdekoration, wenn ich je den Faust spielen sollte. Und die Gesichter der kräftigen Arbeiter, der Gießer mit den nackten Armen, die ruhig ihre schwere Arbeit verrichteten, wurden rot oder bleich, ohne dabei ihren unbewegten Ausdruck zu verlieren, im Widerschein dieser Höllendämpfe.

Dann faßte ein gewaltiger Drehkran den Behälter mit dem geschmolzenen Metall, bewegte sich damit bis über die Grube, in der die Form ihres Inhalts harrte, und goß nun langsam und sicher durch einen Trichter die Lava in die Leere, die durch die Statue ausgefüllt werden sollte. Und das flüssige Erz formte sich nach den Wänden dieser Leere, nahm in dieser Grube menschliche Gestalt an; mein Bildnis entstand unter neuen gelben und roten Dämpfen, unter dem Leuchten der glühenden Metallbäche, die sich aus dem gewaltigen Gefäß ergossen ,...

Und bei jedem Kübel, den der Kran hob und durch den Raum schwang, um ihn dann durch den Trichter zu entleeren, dachte ich: ›Wenn nur genug Metall da ist! Die Statue ist groß. Sie ist gewaltig! Wird es an Metall fehlen, wie in »Benvenuto«? Wenn es nun wirklich daran fehlte?‹

Und seltsam, meine ganze Rolle trat mir wieder ins Gedächtnis – die vollständige Rolle, als ob ich sie erst an diesem Morgen wieder durchgenommen hätte:

»O mein Gott, der Kopf schwindelt mir, meine Knie zittern, meine Blicke trüben sich. Soll mir widerfahren, was ich so sehr fürchtete? Sind meine Kräfte zu Ende, ehe mein Werk vollendet ist? Nein, nein, ich gebiete dir zu widerstehen, eiserner Körper! Willst du gehorchen, leblose Materie!«

Ich war nicht mehr in der Gießerei, ich war auf der Bühne. Ich verkörperte in mir Benvenuto. Ich wohnte nicht einer Prozedur bei, deren gespannter Zuschauer ich war, ich stand in einem Drama, dessen Hauptrolle ich spielte. Ich hätte die Balken der Werkstatt verbrennen, meinen Stock in den Ofen werfen mögen, damit das Metall nicht zu wenig sei. – Es war nicht zu wenig. Es war sogar zu viel, und man ließ den Überrest abkühlen. Mein Freund, der Werkmeister, sagte:

»Schön. Das nehmen wir für den brasilianischen General.«

Das war ein General, den man mit einer Statue ehrte, weil er die Regierung gestürzt hatte, die er eingesetzt hatte. Es sollte eine Statue zu Pferd werden, und das war nur billig, wenn man seine eigne Regierung gestürzt hat! ,...

Kurz, es fehlte nichts. Es fehlt heute weder an Statuen noch an Metall.

»Nun also, Ihr Konterfei ist fertig, Brichanteau,« sagte mir der Werkmeister leise, indem er mich mit dem Ellbogen anstieß.

Ich war gegossen, wie der Jupiter Cellinis.

Es war ein ganz einziges Schauspiel für mich gewesen. Ich sah mich plastisch abgebildet unter dieser Decke von Ziegeln und Steinen. Ich dachte: wie ich nun hier unter diesem Mauerwerk begraben liege, werde ich gar bald, sobald das Metall abgekühlt ist, in der eindrucksvollen Pose, die mir Montescure gegeben, auferstehen. Und der Strom glühenden Metalls, den ich hatte fliehen sehen, war mir das Blut, die Lava meiner Adern, alles, was ich der Kunst gegeben habe, alles, was mir die Kunst genommen, alles, was sie mir nicht wiedergegeben hat!

Aber schließlich, was liegt daran? Ich habe meine Stunden gehabt, wie ich Ihnen wiederholt sagte, und der Guß des »Römers unter dem Kaudinischen Joch« war eine jener Stunden, eine, die mir unter allen unvergeßlich bleiben wird. Ich bin sehr geliebt worden in meinem Leben, oft verraten, ich könnte fast sagen, immer verraten, aber sehr geliebt. Und applaudiert bin ich auch worden. Sehr viel; manchmal wahnsinnig. Aber weder die Liebe noch der Beifall haben mir das köstliche Gefühl verschaffen können, das ich empfand, einmal, als ich mich in Form von Lava, und das andre Mal, als ich mich in Form einer Statue sah.

Einige Tage später, als der Guß abgekühlt war, wurde die tönerne Form zerbrochen, die ihn umschloß. Laurençot hatte mich auch hierzu geladen. Ich kann sagen, daß, nachdem ich angesichts des Hügels, in den mein Bildnis versenkt war, eine Empfindung gehabt hatte, ähnlich der Karls V., als er seinem eignen Leichenbegängnis beiwohnte, mir dann ein Hochgefühl zuteil wurde, das der allmächtige Rival Hernanis nicht hatte, nicht haben konnte. Denken Sie nur, stellen Sie es sich vor: Glücklicher als die glücklichsten Zeitgenossen habe ich mich als Statue der Erde entsteigen gesehen!

Ich neigte mich über die Grube, in der der Römer Montescures lag, und indem ich auf die stolze Stirn und die gerunzelten Brauen blickte, sagte ich bei mir – nein, mehr als das, rief ich vor dem ganzen Atelier Thibaud:

»Das bin ich!«

Und in der Tat, ich war es. Und alle haben es anerkannt und haben mich erkannt; alle, von Herrn Thibaud bis zu Laurençot, seinem Werkmeister. Es war der Protestator der Kunst, dargestellt von einem unterlegenen Künstler in der Gestalt eines Protestators gegen die Niederlage. Es war mein Ebenbild mit all meiner ungedämpften Glut und der Zähigkeit meines Mutes.

Ich beugte mich über das mächtige Erzbild, das da in der offenen Grube lag, wie ich nach der Kommune den französischen Cäsar auf dem Strohbette auf der Place Vendôme hatte liegen sehen – nur war mein Bild unversehrt – und sagte mir zum Troste für meine Enttäuschungen und Kränkungen:

»Brichanteau, trockne deine Augen! Oder wenn du jemals vor Zorn weinst, sei stolz, Brichanteau, mein Freund, du genießest hier einen Ruhm, den Musset noch nicht kennt und vielleicht nie kennen wird. Soldat der Kunst, du wirst dich auf einem öffentlichen Platze in Gestalt eines Soldaten des Vaterlandes erheben!«

Ach, welchen Genuß bot mir dieser Tag! Ein Genuß, in den sich die Trauer mischte, denn ich dachte immer an den armen Montescure, und ich weinte, meine Augen verhüllend, nicht Tränen des Zornes, sondern Tränen des Mitleids. Oh, man hätte sie auch sehen dürfen: sie waren da, ich schwöre es Ihnen, sie waren da! Hier, sehen Sie! ,...

Und in meiner Phantasie sah ich mich schon ebenso wie dem Gusse auch der Enthüllung des Monumentes in Garigat-sur-Garonne beiwohnen. Ich glaubte fest an die baldige Enthüllung. Aber die unselige Politik muß in alles hineinspielen und die edelsten Kundgebungen für die Kunst zu Schanden machen!

Der Bürgermeister von Garigat-sur-Garonne wurde, ich weiß nicht mehr welcher Unlauterkeiten beschuldigt, vom Minister des Innern abgesetzt, und der Gemeinderat erklärte sich in seiner Entrüstung gegen alle Pläne des pflichtvergessenen Würdenträgers – gegen alle, selbst gegen die besten, wie es in der betreffenden Erklärung hieß.

Und der beste aller dieser Pläne war sicherlich die Aufstellung des Bildwerkes Montescures auf dem Hauptplatze seiner Geburtsstadt. Es wäre herrlich gewesen! Falguière war gebeten worden, der Feierlichkeit im Kostüm zu präsidieren, und der Präfekt hatte versprochen, in Begleitung eines Divisionsgenerals dabei zu erscheinen. Ich hatte einen Redakteur der »Dépêche de Toulouse« veranlaßt, ein Gedicht zu verfassen, und er hatte dem um so lieber willfahrt, als er hoffte, hierfür das Band eines Offiziers der Akademie zu erhalten. Außerdem hatte der Vizebürgermeister Cazenave eigens für diese Gelegenheit ein Festspiel mit zwei Rollen: »Die Muse und der Dichter« geschrieben, welches im großen Saale des Gemeindehauses aufgeführt werden sollte.

Ich, der ich keinen Vorteil für mich erreichen wollte, rechnete gleichwohl darauf, vor meinem Bildnis angesichts der festlichen Menge ein Gedicht zu sprechen, und hatte mir sogar Notizen für eine Vorlesung gemacht, die ich gerne im Theater von Garigat-sur-Garonne oder in irgendeinem Restaurant, wenn es dort kein Theater gab, gehalten hätte: »Ein Besiegter der Kunst, Studie von einem Unzufriedenen des Theaters. Die Bildnerei und die Bühne. Der Marmor und die Bretter.«

Ich hätte, denke ich, an diesem Tage meiner Zeit einige Wahrheiten gesagt!

Und wenn man mich gefragt hätte, mit welchem Rechte ich das Wort ergreife, so hätte ich erwidert:

»Mit welchem Rechte? Betrachten Sie doch den Römer Montescures! Dieser Römer bin ich!«

Und in der Tat, von der Seite gesehen, von vorne gesehen, ich bin es. Ich verkörpere hier allen Schmerz, alles sich Aufbäumen, allen Vergeltungsdurst des Unterlegenen.

Der Haß, den der Gemeinderat gegen den Bürgermeister hegt, hat bis heute die Enthüllung verhindert. Zu allem Überfluß ist noch ein prosaisches, aber unüberwindliches Hindernis aufgetaucht. Die Geburtsstadt Montescures hat kein Geld mehr. Sie hat kein Geld, um die letzten Spesen zu bezahlen, um die Rechnung des Architekten für den Sockel zu begleichen. Es handelt sich um eine geringfügige Summe, aber da die Frage der Statue eine politische Frage geworden ist, findet sich auch diese Geringfügigkeit nicht. Wenn die Stadt selbst das Geld hätte, würde sie es nicht bewilligen, um dem korrupten Bürgermeister einen letzten Hieb zu versetzen.

Der Unglückliche, der vom roten Bändchen im Knopfloch träumte! – So steht also der Sockel in Garigat-sur-Garonne, aber es steht kein Römer auf dem Sockel. Das Unglück verfolgt Montescure bis übers Grab hinaus, und mein Bildnis erhebt sich nicht, wie ihm das gebührt hätte, unter freiem Himmel, im Licht der Sonne.

Oh, die Politik! Die Politik und das Geld, das schreckliche, unentbehrliche Geld!

Und so liegt die Statue in Garigat-sur-Garonne in einem Schuppen, wie die Lord Byrons auf dem Londoner Zollamt liegen blieb und vielleicht noch liegt, wie die Thiers' in einem Winkel des Museums von Marseille traurig hindämmert.

Ich harre noch immer der Genugtuung, auf die der unglückliche Montescure ein Anrecht hat; ich harre noch immer darauf, daß mein verhülltes Standbild der Sonne des Südens enthüllt werde, unter den Klängen der Marseillaise. Aber ich habe einen Plan. Ich werde im Batignolles-Theater eine Galavorstellung zugunsten der Statue Montescures veranstalten. Dazu bin ich entschlossen, und ich habe auch schon mein Programm festgesetzt. Alle großen Namen werden darauf erscheinen. Ich werde bitten, ich werde intrigieren, ich werde die teppichbelegten Treppen meiner erfolgreichen Kollegen emporsteigen. Ich werde, für einen andern, die atemraubende Rolle eines Benefizianten spielen. Ich werde für einen andern diese ehrliche Hand hinhalten, die noch nie etwas von jemand verlangt hat. Ich werde den Bettler des Unterlegenen machen (das wäre ein schöner Titel für ein Stück!) so wie ich den »Arzt der Kleinen« und den »Advokaten der Armen« gespielt habe!

Und wenn ich der Stadt Garigat-sur-Garonne die letzten Gelder verschafft habe, die ihr noch fehlen, werde ich befriedigt von meinen Mühen ausruhen und zu dem Geist des Musikers von Montmartre sagen können:

»Bist du zufrieden, Montescure? Hat der Schauspieler Brichanteau seinen Schwur gehalten?«

An diesem Tage, der erscheinen wird, denn ich habe es geschworen, werde ich alle Bitterkeiten meines Lebens vergessen. Ich werde entlohnt sein. Und ich hoffe, daß ich den Zuhörern in meiner Vorlesung noch einen letzten Abschnitt werde bieten können:

»Das Erz und das Drama. Skizze des Lebens von Claude André Montescure, Bildhauer, und von Sébastien Brichanteau, seinem Modell.«

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